Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(03): 279-303
DOI: 10.1055/a-1330-7466
GebFra Science
Guideline/Leitlinie

Adipositas und Schwangerschaft. Leitlinie der DGGG (S3-Level, AWMF Registernummer 015-081, Juni 2019)

Article in several languages: English | deutsch
Ute Schaefer-Graf
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, St. Joseph Krankenhaus, Berlin, Germany
,
Regina Ensenauer
2   Institut für Kinderernährung, Max-Rubner-Institut, Karlsruhe, Germany
,
Ulrich Gembruch
3   Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Germany
,
Tanja Groten
4   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Maria Flothkötter
5   Netzwerk Gesund ins Leben, Bundesministerium Ernährung und Landwirtschaft, Bonn, Germany
,
Julia Hennicke
6   Studiengang Hebammenwissenschaften, Evangelische Hochschule, Berlin, Germany
,
Josef Köhrle
7   Klinik für Endokrinologie, Charité, Humboldt-Universität, Berlin, Germany
,
Jantke Möhler
8   Hebammenpraxis Jantje Möhler, Bonn, Germany
,
Maritta Kühnert
9   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Marburg, Marburg, Germany
,
Annett Schmittendorf
10   Hebammenpraxis Annett Schmittendorf, Oldenburg, Germany
,
Christine Stroh
11   Klinik für Adipositas und Metabolische Chirurgie, Wald-Klinikum Gera, Gera, Germany
,
Alfred Wirth
12   Klinik Teutoburger Wald, Bad Rothenfelde, Bad Rothenfelde, Germany
,
Markus Schmidt
13   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Sana-Klinikum, Duisburg, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Ziel Adipositas ist ein zunehmendes Problem auch bei jungen Frauen im Reproduktionsalter. Adipositas wirkt sich ungünstig sowohl auf die Konzeption als auch den Schwangerschaftsverlauf und das neonatale Outcome aus. Die Betreuung adipöser Schwangeren nimmt einen immer höheren Stellenwert in der täglichen Praxis ein. Ziel der Leitlinie ist eine Verbesserung der Betreuung von adipösen Schwangeren.

Methoden Diese S3-Leitlinie wurde durch systematische Evidenzrecherche und strukturelle Konsensfindung erstellt.

Empfehlungen Es wurden Empfehlungen zur Betreuung von Schwangeren mit Adipositas erarbeitet, die sowohl die präkonzeptionelle Beratung und Erfassung von Risiken, die besonderen Aspekte der Schwangerenvorsorge und Pränataldiagnostik, das subpartale Management als auch die Langzeitauswirkungen für Mutter und Kind umfassen.


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I  Leitlinieninformationen

Leitlinienprogramm der DGGG, OEGGG und SGGG

Informationen hierzu finden Sie am Ende der Leitlinie.


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Zitierweise

Obesity and Pregnancy. Guideline of the German Society of Gynecology and Obstetrics (S3-Level, AWMF Registry No. 015-081, June 2019). Geburtsh Frauenheilk 2021; 81: 279–303


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Leitliniendokumente

Die vollständige Langfassung und eine DIA-Version dieser Leitlinien sowie eine Aufstellung der Interessenkonflikte aller Autoren befinden sich auf der Homepage der AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-081.html


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Leitliniengruppe

Siehe [Tab. 1] und [2].

Table 1 Federführender und/oder koordinierender Leitlinienautor.

Autor

AWMF-Fachgesellschaft

Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)

Prof. Dr. Markus Schmidt

AG Geburtshilfe und Pränatalmedizin der DGGG

Table 2 Beteiligte Leitlinienautoren/innen.

Autor/in

Mandatsträger/in

DGGG-Arbeitsgemeinschaft (AG)/
AWMF/Nicht-AWMF-Fachgesellschaft/
Organisation/Verein

Prof. Dr. Regina Ensenauer

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)

Maria Flothkötter

Netzwerk Gesund ins Leben (Bundesministerium Ernährung und Landwirtschaft)

Prof. Dr. Ulrich Gembruch

Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin (DGPGM)

PD Dr. Tanja Groten

Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM)

Julia Hennike

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Prof. Dr. Josef Köhrle

Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)

Prof. Dr. Maritta Kühnert

AG Vereinigung Deutscher Hebammenlehrer (AGVDH) der DGGG

Jantke Möhler

Deutscher Hebammenverband (DHV)

Annett Schmittendorf

Deutscher Hebammenverband (DHV)

Prof. Dr. Christine Stroh

Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Adipositastherapie und metabolische Chirurgie (CAADIP) der DGAV

Prof. Dr. Alfred Wirth

Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG)

Die Moderation der Leitlinie wurde dankenswerterweise von Dr. Monika Nothacker (AWMF-zertifizierter Leitlinienberater/-moderator) übernommen.


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II  Leitlinienverwendung

Fragestellung und Ziele

Ziel der Leitlinie ist es, evidenzbasiert die Betreuung von adipösen Schwangeren zu verbessern.


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Versorgungsbereich

Die Leitlinie hat zum Ziel, alle relevanten Bereiche zur Schwangerschaftsbetreuung zu bearbeiten, angefangen bei präkonzeptioneller Beratung. Die Bereiche sind: Epidemiologie, präkonzeptionelle Betreuung (Teilaspekte: Lebensstil, Folsäuresupplementierung, Diabetesabklärung, Umstellung der Medikation), besondere Aspekte der Vorsorge (Teilaspekte: Präeklampsie, Folsäure- und Vitamin-D-Supplementierung, Thromboseprophylaxe, Gestationsdiabetes, Probleme pränataler Diagnostik, fetale Überwachung, Frühgeburtsprävention, Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, bariatrische Chirurgie), Risikobewertung, Effekt von Lebensstilinterventionen, Geburtsplanung (Teilaspekte: Geburtsort, Geburtsmodus, Risiken, Geburtseinleitung, Anästhesie, antepartale Stillberatung), Geburt (Teilaspekte: Geburtsleitung, intrapartale Überwachung, Sectio, Atonieprophylaxe), Betreuung der Neugeborenen, postpartale Folgen für Mutter und Kind.


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Anwenderzielgruppe/Adressaten

Diese Leitlinie richtet sich an folgende Personenkreise:

  • Gynäkologinnen/Gynäkologen in der Niederlassung

  • Gynäkologinnen/Gynäkologen mit Klinikanstellung

  • Hebammen

Und dient zur Information für:

  • Internistinnen/Internisten und Allgemeinmedizinerinnen/Allgemeinmediziner speziell mit Zusatzbezeichnung Diabetologie

  • Neonatologinnen und Neonatologen

Weiter Adressaten sind (zur Information):

  • Pflegekräfte


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Verabschiedung und Gültigkeitsdauer

Die Gültigkeit dieser Leitlinie wurde durch die Vorstände/Verantwortlichen der beteiligten Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine, sowie durch den Vorstand der DGGG und der DGGG-Leitlinienkommission im September 2019 bestätigt und damit in seinem gesamten Inhalt genehmigt. Diese Leitlinie besitzt eine Gültigkeitsdauer von 01.10.2019 bis 30.09.2024. Diese Dauer ist aufgrund der inhaltlichen Zusammenhänge geschätzt.


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III  Methodik

Grundlagen

Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es wird zwischen der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden. Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen, erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte Unterstufe (S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.

Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S3


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Evidenzgraduierung

Evidenzbeurteilung nach SIGN

Zur Beurteilung der Evidenz (Level 1 – 4) wurde in dieser Leitlinie das Klassifikationssystem des Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) in der letzten aktuellen Version aus dem Jahr 2011 benutzt ([Tab. 3]).

Table 3 Graduierung der Evidenz nach SIGN (November 2011).

Level

Beschreibung

Quelle: http://www.sign.ac.uk/pdf/sign50.pdf

1++

qualitativ hochwertige Metaanalysen, systematische Übersichten von RCTs oder RCTs mit sehr geringem Risiko systematischer Fehler (Bias)

1+

gut durchgeführte Metaanalysen, systematische Übersichten oder RCTs mit geringem Risiko systematischer Fehler (Bias)

1−

Metaanalysen, systematische Übersichten oder RCTs mit hohem Risiko systematischer Fehler (Bias)

2++

qualitativ hochwertige systematische Übersichten von Fallkontroll- oder Kohortenstudien oder

qualitativ hochwertige Fallkontroll- oder Kohortenstudien mit sehr geringem Risiko systematischer Fehler (Bias) oder Verzerrung (Confounding) und hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung ursächlich ist

2+

gut durchgeführte Fallkontrollstudien oder Kohortenstudien mit geringem Risiko systematischer Fehler (Bias) oder Verzerrung (Confounding) und moderater Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung ursächlich ist

2−

Fallkontrollstudien oder Kohortenstudien mit hohem Risiko systematischer Fehler (Bias) oder Verzerrung (Confounding) und signifikantem Risiko, dass die Beziehung nicht ursächlich ist

3

nicht analytische Studien, z. B. Fallberichte, Fallserien

4

Expertenmeinung


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Empfehlungsgraduierung

Die reine Evidenzgraduierung einer Leitlinie auf S3-Niveau anhand eines Evidenzbewertungssystems lässt einen leitlinientypischen Empfehlungsgrad zu. Dieser symbolische Empfehlungsgrad unterscheidet sich in 3 Abstufungen mit jeweils unterschiedlichen Stärken der sprachlichen Ausdrucksweise. Diese derzeit allgemein angewandte Graduierung wird außer von der AWMF auch von der Bundesärztekammer und ihren Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) benützt. Die gewählte Formulierung des Empfehlungsgrades sollte im Hintergrundtext erläutert werden.

Der Terminus Graduierung steht in diesem Kontext als Ausdruck der Sicherheit der Nutzen-Schaden-Abwägung, nicht als Ausdruck von Verbindlichkeit. Leitlinien haben Empfehlungscharakter.

Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen symbolisch unterschieden ([Tab. 4]):

Table 4 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).

Symbolik

Beschreibung der Verbindlichkeit

Ausdruck

A

starke Empfehlung

soll/soll nicht

B

einfache Empfehlung

sollte/sollte nicht

0

offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit

kann/kann nicht


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Konsensusfindung und Konsensusstärke

Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen ab. Der Ablauf war wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen, Vorbringen von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen eines Konsensus (> 75% der Stimmen) Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird abhängig von der Anzahl der Teilnehmer die Stärke des Konsensus ermittelt ([Tab. 5]).

Table 5 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.

Symbolik

Konsensusstärke

prozentuale Übereinstimmung

+++

starker Konsens

Zustimmung von > 95% der Teilnehmer

++

Konsens

Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer

+

mehrheitliche Zustimmung

Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer

kein Konsens

Zustimmung von < 51% der Teilnehmer


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Expertenkonsens

Wie der Name bereits ausdrückt, sind hier Konsensusentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenzen (S2e/S3) gemeint. Der zu benutzende Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer Konsensuspunkt“ (KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein semantisch („soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).


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IV  Leitlinie

1  Einleitung

1.1  Zielsetzung, Adressaten Stand

Verbesserung und Vereinheitlichung von Prävention, Schwangerenvorsorge, Betreuung unter und nach der Entbindung unter Berücksichtigung der besonderen Risiken von Schwangeren mit Übergewicht oder Adipositas durch evidenzbasierte Empfehlungen für den ambulanten und stationären Bereich. Adressaten der Leitlinie sind Fachärzte/innen für Gynäkologie und Geburtshilfe, Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Endokrinologie und Diabetologie, Hebammen, Neonatologen/innen sowie zur Information für andere an der Versorgung beteiligte Personengruppen wie z. B. Ernährungsberater/innen, Psychologen/innen und andere mit der Gesundheit von Schwangeren involvierte Berufsgruppen. Eine auf Basis der Vollversion erstellte Patientinnen-Empfehlung soll Schwangeren als Informationsquelle dienen.


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1.2  Definition und Epidemiologie

Adipositas ist definiert als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Berechnungsgrundlage für die Gewichtsklassifikation ist der Körpermassenindex, der sog. Body-Mass-Index (BMI). Der BMI ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2). Die folgenden Angaben zum BMI beziehen sich grundsätzlich auf den BMI vor der Schwangerschaft. Die letzte Erhebung des Robert Koch-Institut (DEGS1) gibt die Rate von Adipositas bei 18 – 29-jährigen Frauen mit 9,6%, bei 30 – 39 Jahren mit 17,9% und bei 40 – 49 Jahren mit 18,6% an. Die Daten der Perinatalerhebung von 2017 zeigen eine Adipositasrate von 14,69% unter den Schwangeren in Deutschland ([Tab. 6]).

Table 6 Prävalenz von Übergewicht oder Adipositas bei deutschen Schwangeren, Pränatalerhebung 2017.

2017

2016

n

%

n

%

alle Schwangeren

n = 761 176

n = 758 614

BMI bei Erstuntersuchung

< 20

92 510

12,15

94 199

12,42

20 – < 25

339 435

44,59

342 377

45,13

25 – < 30

167 015

21,94

164 154

21,64

≥ 30

111 840

14,69

107 499

14,17

ohne verwertbare Angabe

50 376

6,62

50 385

6,64


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2  Präkonzeptionelle Betreuung

2.1  Präkonzeptionelle Lebensstilintervention

Die vorliegenden Studien lassen den Rückschluss zu, dass ein Lebensstil mit vermehrter Bewegung und adäquater Ernährung präkonzeptionell positive Auswirkungen sowohl auf die Schwangerschaft als auch auf die Entbindung/Geburt und die Zeit danach haben kann.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E1

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Adipöse Frauen mit Kinderwunsch sollten zu einer präkonzeptionellen Lebensstilintervention motiviert werden.


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2.2  Folsäuresupplementierung

Frauen mit Adipositas haben ein erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte beim Kind. Interventionsstudien, welche die präventive Wirkung einer höheren Folsäuredosis für Frauen mit Adipositas im Hinblick auf Neuralrohrdefekte beim Kind belegen, liegen nicht vor. Daher wird die in der irischen und der englischen Leitlinie empfohlene Supplementierung von 5 mg Folsäure/Tag für adipöse Frauen vor und in der Schwangerschaft nicht unterstützt.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E2

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Frauen mit Adipositas, die eine Schwangerschaft planen, sollen ebenso wie alle anderen Frauen, die eine Schwangerschaft planen, zusätzlich zu einer folatreichen/ausgewogenen Ernährung ein Supplement mit 400 µg Folsäure/Tag einnehmen.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E3

Expertenkonsens

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +

Nach bariatrischer OP sollten 800 µg Folsäure substituiert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E4

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Die Supplementierung soll mindestens 4 Wochen vor der Konzeption beginnen und bis zum Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels fortgeführt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E5

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +

Frauen mit Adipositas sollen gezielt zur Folsäuresupplementierung bereits in der Phase des Kinderwunsches und in der Frühschwangerschaft beraten werden.


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2.3 Umstellung der Medikation

Adipositas geht häufig mit chronischen Erkrankungen einher, die vor der Schwangerschaft abgeklärt werden sollen. Hierzu zählen z. B. das Vorhandensein eines Hypertonus, einer Hyperlipidämie, eines Diabetes mellitus sowie eines PCO-Syndroms.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E6

Expertenkonsens

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Eine bestehende Medikation sollte vor der Schwangerschaft interdisziplinär überprüft und ggfs. umgestellt werden.


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2.4  Beratung nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen

Unmittelbar nach einem adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff sollte in der Phase des Gewichtsverlustes in den ersten 12 Monaten eine Schwangerschaft vermieden werden, da in der Phase der Gewichtsreduktion potenziell die Gefahr der Minderversorgung der Schwangeren und des Fetus besteht.

Insbesondere nach malabsorptiven Eingriffen ergibt sich die Frage der geeigneten Antikonzeption, Studien zur Resorption oraler Antikonzeptiva fehlen. Daher ist nach den genannten Eingriffen die orale Antikonzeption nicht zuverlässig, sodass den Patientinnen andere Methoden empfohlen werden sollten. Eine Beratung zur (sicheren) Verhütung soll durch den behandelnden Gynäkologen erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E7

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter sollte nach einem adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff eine sichere Empfängnisverhütung über die Phase der Gewichtsreduktion durchgeführt werden.


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2.5  Abklärung von Komorbiditäten

Übergewicht und Adipositas gehen häufig mit Komorbiditäten einher, die bei Kinderwunsch präkonzeptionell erfasst und adäquat behandelt werden sollten. Das betrifft insbesondere Diabetes. Die Zahl der erst in der Schwangerschaft im Rahmen des Screenings auf Gestationsdiabetes entdeckten Fälle von Typ-2-Diabetes ist steigend. Das Vorgehen zur Diagnostik von Diabetes ist beschrieben in der Praxis-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) mit der typischen Insulinresistenz tritt bei übergewichtigen Frauen gehäuft auf, bei Kinderwunsch wird mit Metformin behandelt. Zum Vorgehen bei Eintritt einer Schwangerschaft unter Metformin bei PCOS gibt es eine ausführliche Stellungnahme der DGGG.

Als weitere adipositasassoziierte Komorbidität ist Hypertonus zu bedenken. Es sollte präkonzeptionell eine Umstellung primär auf Alpha-Metyl-Dopa oder Betablocker oder Nifidipin erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 2.E8

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Präkonzeptionell soll eine Abklärung und adäquate Behandlung von Komorbiditäten erfolgen.


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3  Besondere Aspekte in der Schwangerenvorsorge

3.1  Adipositas und Präeklampsie

Die Adipositas stellt einen bedeutenden Risikofaktor für Präeklampsie dar, ein BMI ≥ 30 kg/m2 bedingt eine Risikoerhöhung um den Faktor 3 – 5.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E9

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Eine individuelle Risikokalkulation für Präeklampsie sollte übergewichtigen Schwangeren mit einem BMI ab 25 kg/m2 11 + 0 und 13 + 6 SSW angeboten werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E10

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Bei einem individuell kalkulierten Präeklampsierisiko > 1 : 100 sollte eine Gabe von Acetylsalicylsäure 150 mg/Tag zur Reduktion der Präeklampsierate vor 37 SSW erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E11

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Bei einem BMI > 35 kg/m2 sollte eine Gabe von Acetylsalicylsäure 150 mg/Tag ab 11 + 0 SSW erfolgen.


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3.2  Vitamin-D-Substitution

Die fetale Versorgung mit Vitamin D, Kalzium und Phosphat wird bestimmt durch den maternalen Status und die plazentare Funktion. Bis zu 25% der Schwangeren sind inadäquat mit Vitamin D versorgt. Die augenblicklich verfügbaren Empfehlungen für die Vitamin-D-Zufuhr während der Schwangerschaft sind kontrovers, eine Unterteilung nach BMI erfolgt nicht.

Studien zum Einfluss der maternalem 25-OHD-Spiegel auf die Knochenmasse der Nachkommen kommen zu uneinheitlichen Ergebnissen, es überwiegen jedoch Studien, die eine Assoziation von Vitamin-D-Mangel mit niedriger Peak Bone Mass der Kinder bestätigt. Metaanalysen und Reviews von Beobachtungsstudien weisen darauf hin, dass inadäquate Vitamin-D-Versorgung (< 30 ng/dl) mit erhöhtem Risiko für PTB und SGA verbunden ist, abhängig von der Vitamin-D-Konzentration und Schwangerschaftswoche. Es besteht keine Assoziation zur GDM-Prävalenz.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E12

Evidenzgrad 3

Empfehlungsgrad 0

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren kann im Einzelfall eine Vitamin-D-Supplementation bei fehlender bzw. verminderter Eigensynthese indiziert sein. Die Empfehlungen schwanken zwischen 200 bis 600 UL/Tag. Eine Dosierungsempfehlung bei Adipositas liegt nicht vor.


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3.3 Thromboseprophylaxe

Adipositas stellt einen Risikofaktor für venöse Thromboembolie in der Schwangerschaft dar, und auch ohne weitere Risikofaktoren wie Z. n. Thrombose oder Thrombophilien ist die Kategorie „mittleres Risiko“ anzuwenden. Das Risiko einer venösen Thromboembolie ist bereits im 1. Trimenon erhöht und zeigt eine gleich hohe Rate in allen Trimena. Das höchste Risiko besteht in der 1. postnatalen Woche aufgrund peripartal eintretender Gefäßschäden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E13

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Übergewichtige Schwangere mit zusätzlichen 2 oder mehr Risikofaktoren sollten zusätzlich zur nichtmedikamentösen VTE-Prophylaxe eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten für die Dauer des erhöhten Risikos und im Wochenbett (bis 6 Wochen postpartal).

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E14

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Übergewichtige Frauen, die keine antepartale medikamentöse Prophylaxe erhalten haben, aber per Kaiserschnitt entbunden wurden und/oder eine positive Familienanamnese oder einen zusätzlichen Risikofaktor haben, sollten neben der physikalischen auch eine medikamentöse postpartale Prophylaxe erhalten.


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3.4  GDM-Diagnostik

Schwangere mit Übergewicht haben ein erhöhtes Risiko, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln. Dabei steigt das Risiko, unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Alter, Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, sozioökonomischer Status, Parität und präexistente oder schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, mit steigendem BMI an und ist am höchsten in extrem übergewichtigen hispanischen Bevölkerungsgruppen (RR 3,4). Aufgrund des hohen Risikos für Glukosestoffwechselstörungen und der zunehmenden Prävalenz von Typ-2-Diabetes bei jungen Frauen ist eine Abklärung bereits im 1. Trimenon zu empfehlen. Zu Screening und Diagnostik, auch in der Frühschwangerschaft bei Risikogruppen siehe AWMF 057/008.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E15

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Übergewichtige Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes und unerkannten Typ-2-Diabetes und sollen bereits im 1. Trimenon eine Abklärung einer Glukosestoffwechselstörung empfohlen bekommen.


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3.5  Effizienz der pränatalen Diagnostik

Maternale Adipositas und deren Ausmaß ist ein entscheidender Einflussfaktor auf Qualität der Ultraschalluntersuchung und der gesamten pränatalen Diagnostik und Überwachung.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E16

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei unvollständiger transabdominaler Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung mit 12 – 14 SSW soll versucht werden, diese durch eine transvaginale Untersuchung zu komplettieren.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E17

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei unvollständiger Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung mit 12 – 14 SSW soll kurzfristig (innerhalb 1 – 2 Wochen) eine erneute Untersuchung erfolgen, wobei in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssituation ein mehr erfahrener Untersucher hinzugezogen sowie ein qualitativ hochwertiges Ultraschallgerät genutzt werden sollen. Falls erforderlich, soll auch diese Untersuchung transvaginal erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E18

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Bei der Risikokalkulation mittels biochemischer Verfahren (PAPP-A, free β-HCG, AFP, PlGF etc.) soll entsprechend dem maternalen Gewicht eine Korrektur vorgenommen werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E19

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Wenn bei wiederholter Blutentnahme die Fraktion der zellfreien fetalen DNA (cffDNA) weiterhin für eine Auswertung zu gering sein sollte, soll der Schwangeren eine invasive Diagnostik empfohlen werden, alternativ eine weiterführende sonografische Organdiagnostik mit 12 – 14 SSW, da bei in dieser Gruppe das Risiko einer Trisomie 13, Trisomie 18 und Triploidie erhöht ist.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E20

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Die Schwangere soll über die eingeschränkte Aussagekraft der jeweiligen Ultraschalluntersuchung aufgeklärt werden, ebenso über die längere Zeitdauer und erforderliche Wiederholungsuntersuchungen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E21

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei unvollständiger Zweittrimester-Ultraschalluntersuchung mit 18 + 0 – 21 + 6 SSW soll kurzfristig mit 22 + 0 – 23 + 6 SSW eine erneute Untersuchung erfolgen, wobei in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssituation ein mehr erfahrener Untersucher hinzugezogen sowie ein qualitativ hochwertiges Ultraschallgerät genutzt werden soll.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E22

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

In Anbetracht des erhöhten Risikos adipöser Schwangerer, insbesondere bei Nulliparität, bezüglich des Auftretens hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen (Gestationshypertonie sowie Präeklampsie) und fetaler Wachstumsrestriktion bei materno-utero-plazentarer Dysfunktion sollte zur Risikoabwägung eine dopplersonografische Untersuchung der beiden Aa. uterinae mit 20 – 24 SSW angeboten werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E23

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Bei einer inkomplett durchgeführten Untersuchung bzw. nicht ausreichender Darstellbarkeit fetaler Strukturen und Organe soll dies dokumentiert und der Schwangeren kommuniziert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E24

Evidenzgrad 2−

Empfehlungsgrad C

Konsensusstärke ++

In Einzelfällen kann nach Ausschöpfen aller sonografischer Möglichkeiten eine fetale Magnetresonanztomografie indiziert sein.

Erhöhte Frequenz fetaler Anomalien bei maternaler Adipositas

Chromosomale Aberrationen treten bei maternaler Adipositas nicht gehäuft auf. Für die pränatale Diagnostik relevant ist aber das gehäufte Auftreten nicht chromosomal bedingter Fehlbildungen des Feten bei adipösen, im geringeren Ausmaß bereits auch bei übergewichtigen Schwangeren, es betrifft vor allen Herzfehlbildungen und Neuralrohrdefekt. Die Häufigkeit ihres Auftretens korreliert mit dem Ausmaß der Adipositas bzw. dem BMI. Der pathophysiologische Mechanismus, der für das zunehmend häufige Auftreten nicht chromosomal bedingter Fehlbildungen bei steigendem BMI bei übergewichtigen und adipösen Frauen verantwortlich ist, ist unklar. Diskutiert werden ein maternaler Hyperinsulinismus sowie ein relativer Folsäuremangel.

Allerdings führt – im Gegensatz zu Schwangeren mit vorbestehendem Diabetes mellitus – eine Erhöhung der Folatzufuhr bei adipösen Schwangeren, die täglich mindestens 400 µg Folsäure zu sich nehmen, zu keiner oder nur zu einer marginalen Senkung der Häufigkeit von Neuralrohrdefekten.


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Physikalische Limitationen des Ultraschalls maternaler Adipositas

Der maternale BMI korreliert mit dem Fettgewebe des Bauches und somit der Einschränkung der Bildqualität bzw. Sichtbedingungen beim transabdominalen Ultraschall. Die schlechtere Bildqualität erschwert in allen Trimestern der Schwangerschaft die Ultraschalluntersuchung sehr. Dies gilt im besonderen Maße für die fetale Echokardiografie, bei der nicht nur die Qualität des 2-dimensionalen Bildes schlechter ist, sondern mehr noch die der Farb-Doppler-Darstellung aufgrund der geringeren Signalintensität.

Im 1. Trimester dient die sonografische Messung der Scheitel-Steiß-Länge und/oder des biparietalen Durchmessers der Überprüfung des rechnerisch ermittelten Gestationsalters. Aufgrund der häufiger vorliegenden Menstruationsstörungen ist dieses bei adipösen Frauen besonders wichtig. Die erfolgreiche Darstellung und vorschriftsmäßige Messung der Nackentransparenz gelingt mit zunehmender Bauchdeckendicke immer seltener und erfordert mehr Zeit.

Auch im 2. Trimester (18 – 22 SSW) gelingt es mit zunehmendem BMI und Dicke des abdominalen Panniculus immer weniger, die Organe komplett darzustellen. Die Entdeckungsraten fetaler Fehlbildungen durch die Ultraschalluntersuchung im 2. Trimester sinken mit steigendem maternalem BMI im 2. Trimester erheblich und sind in der Gesamtgruppe der adipösen Schwangeren (BMI ≥ 30 kg/m2) bis zu 20% niedriger als bei normalgewichtigen Schwangeren. Bei der „genetischen Sonografie“ ist die Darstellbarkeit der relevanten „soft marker“, wie Nackendicke > 5 mm, echogener Papillarmuskel, echogener Darm, renale Pyelektasie, Nasenknochen, pränasale Hautdicke, in Abhängigkeit vom Grad der Adipositas zwischen 20 bis 50% reduziert, sodass bei schwerer Adipositas und hohem Ausgangsrisiko von einer „genetischen Sonografie“ abzuraten ist.

Ultraschalluntersuchungen im 3. Trimester dienen überwiegend der Überwachung des fetalen Wachstums und Zustandes. In einigen Studien ist die Genauigkeit der Gewichtsschätzung bei maternaler Adipositas abhängig von deren Ausmaß reduziert [93], in mehreren aktuellen jedoch nicht. Grundsätzlich sollte bei adipösen Schwangeren die sonografische Gewichtsschätzung von erfahrenen Untersuchern durchgeführt werden.

Auch die invasive pränatale Diagnostik (Chorionzottenbiopsie, Amniozentese und Fetalblutentnahme) und Eingriffe zur fetalen Therapie gestaltet sich schwieriger und erfordert häufiger mehrere Versuche und Repunktion.


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Biochemische Analysen

Die Konzentration biochemischer Marker, die im Rahmen von Screening-Programmen bezüglich Aneuploidie, Neuralrohrdefekt und gestörter Plazentation (Präeklampsie, IUGR) genutzt werden, wie PAPP-A, PlGF, β-hCG, AFP, uE3, Inhibin nimmt mit zunehmendem maternalen Gewicht signifikant ab; gleiches gilt für Schwangere mit einem Diabetes mellitus.

Die diagnostische Sicherheit der zellfreien DNA-Analyse (cfDNA Screening, cfDNA Testing) im maternalen Blut (nichtinvasives pränatales Testing [NIPT]) anhand der im maternalen Blut zirkulierenden zellfreien fetalen DNA (cffDNA) ist bei ausgeprägter maternaler Adipositas eingeschränkt. Mit steigendem maternalen Gewicht nimmt der Anteil der cffDNA stetig ab, bei 60 kg maternalem Gewicht beträgt er im Mittel 11,7%, bei 160 kg 3,9%.


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3.6  Maßnahmen zur Frühgeburtsvermeidung

Adipöse Schwangere haben laut Studienlage ein signifikant erhöhtes Risiko von spontanen Aborten nach natürlicher Konzeption, ebenso steigt bei übermäßiger Gewichtszunahme das Fehlgeburts- und Frühgeburtsrisiko. Ein Review zweier Kohortenstudien in Schweden und den USA durch Gould et al. zeigte ein erhöhtes Risiko der extremen Frühgeburtlichkeit zwischen der 22. und 27. SSW, insbesondere im Bereich der ausgeprägten Adipositas mit einem BMI > 40 kg/m2. Es gibt wenig prospektive Studien zu seriellen Zervixlängenmessungen, Progesterongaben oder weitere prophylaktische Maßnahmen bei adipösen Schwangeren im Vergleich zu normalgewichtigen Schwangeren.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E25

Evidenzgrad 3

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Im Rahmen der Schwangerenvorsorge adipöser Schwangerer sollte besonders auf Risikofaktoren der Frühgeburtlichkeit geachtet werden.


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3.7  Antepartale Überwachung

Schwangeren mit Adipositas im letzten Schwangerschaftsdrittel bedürfen einer intensivierten, an die besonderen Risiken der adipösen Schwangeren angepasste fetale Überwachung. Das Risiko für Gestationsdiabetes ist 3-fach erhöht gegenüber normalgewichtigen Frauen, das Risiko für eine Präeklampsie verdoppelt sich mit jedem Anstieg des BMI um 5 kg/m2 und eine Metaanalyse zeigte ein erhöhtes Risiko intrauteriner und neonataler Todesfälle bei übergewichtigen und adipösen Schwangeren [108]. Bei adipösen Schwangeren besteht je nach Studie ein bis zu 1,7 – 3,5-fach erhöhtes Risiko eines intrauterinen Fruchttodes in Terminnähe (37 – 40 SSW) und eine OR von 4,6 (1,6 – 13,5) bei > 40 SSW [108, 111]. Es wird ein Zusammenhang postuliert für dieses erhöhte Risiko für Totgeburten mit dem bei Adipositas erhöhten Risiko für eine (späte) intrauterine Wachstumsretardierung. Für die Vermeidung der terminnahen Totgeburt wegen einer übersehenen späten IUGR, aber auch die Detektion einer Makrosomie mit Implikationen für die Geburtsplanung ist die Durchführung einer weiteren Biometrie nach dem 3. Screening essenziell.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E26

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Wegen des erhöhten Risikos maternaler und fetaler Komplikationen sollten Schwangere mit BMI > 40 kg/m2 ab 36 + 0 SSW wöchentlich klinisch kontrolliert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E27

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Eine intensivierte antenatale CTG-Überwachung soll bei adipösen Schwangeren allein aufgrund der bestehenden Adipositas nicht indiziert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E28

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Neben dem Ultraschallscreening im 3. Trimenon (gemäß den MuRiLi mit 28 + 0 – 31 + 6 SSW) sollte bei adipösen Schwangeren eine weitere Ultraschallbiometrie mit 34 – 36 SSW erfolgen, um einerseits eine fetale Wachstumsrestriktion, andererseits ein LGA-Wachstum in der Spätschwangerschaft zu erkennen.


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3.8  Gewichtszunahme in der Schwangerschaft

Eine exzessive Gewichtszunahme über den Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM) wird bei 37 – 50% der Schwangeren mit BMI > 25 kg/m2 beobachtet.

Eine exzessive Gewichtszunahme oberhalb der IOM-Empfehlung ist mit einem höheren Geburtsgewicht und/oder Geburtsgewicht > 90. Perzentile (LGA) und höherem prozentualen neonatalen Fettanteil assoziiert. Werden in Studien separate Angaben für Schwangere mit BMI ≥ 30 kg/m2 gemacht, bestätigt sich ein signifikant höheres Geburtsgewicht, z-Score und LGA.

Die Daten für das Geburtsgewicht bei einer Gewichtszunahme unter IOM-Empfehlung sind uneinheitlich, befürchtet wird eine Beeinträchtigung des fetalen Wachstums. Diese Befürchtung hat sich in den meisten Studien nicht bestätigt. Die LGA-Rate ist jedoch signifikant niedriger. Daraus schlossen die Autoren, dass eine Gewichtszunahme unter IOM für adipöse Schwangere zu einem besseren Outcome führt und die IOM-Empfehlungen entsprechend modifiziert werden müssten.

Die Daten zur Beeinflussung von GDM- und Präeklampsieprävalenz sind uneinheitlich, aber tendenziell scheint der Effekt der Reduzierung der Gewichtszunahme zu gering zu sein, um sich auf das Outcome auszuwirken.

Die Studienlage hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einer hohen Gewichtszunahme und den kindlichen Langzeit-Outcomes ist kontrovers, denn lediglich in 3 der 7 herangezogenen Studien wurde ein signifikanter Effekt beobachtet.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E29

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Die Empfehlungen zur Gewichtszunahme der IOM sollen nicht überschritten werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E30

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Bei BMI ≥ 30 kg/m2 sollte eine Gewichtszunahme unterhalb der IOM-Empfehlungen von 5 – 9 kg erwogen werden.


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3.9  Schwangerschaft nach Adipositas- und metabolischer Operation

Verglichen mit adipösen Schwangeren ist die Schwangerschaft nach Adipositaschirurgie und metabolischer Chirurgie mit einem geringem Risiko für einen Gestationsdiabetes und fetale Makrosomie assoziiert, auf der anderen Seite besteht höheres Risiko für eine intrauterine Wachstumsrestriktion. Das Risiko einer Totgeburt oder eines perinatalen Todes differierte nicht signifikant, ist jedoch tendenziell höher (1,7 vs. 0,7%; OR 2,39; 95%-KI 0,98; 5,85; p = 0,06).

Zur Abklärung eines Gestationsdiabetes darf nach kombinierten und malabsorptiven Eingriffen (z. B. Magenbypass, Omega-Loop-Bypass, Duodenal Switch und biliopankreatischer Diversion) wegen des Dumping-Effektes kein oraler Glukose-Toleranz-Test eingesetzt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E31

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter sollte nach einem adipositas- oder metabolisch-chirurgischen Eingriff eine sichere Empfängnisverhütung über die Phase der Gewichtsreduktion durchgeführt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E32

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad C

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen nach Gastric Banding kann das Band gelockert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E33

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad C

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen nach adipositas- oder metabolisch-chirurgischer Operation kann, wenn aus geburtshilflicher Sicht keine Kontraindikation vorliegt, eine Spontangeburt erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E34

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen nach adipositas- und metabolisch-chirurgischer Operation soll die Dosierung der Supplemente mindestens 1 × im Trimenon an die Laborkontrolle angepasst werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E35

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Patientinnen nach adipositas- und metabolisch-chirurgischer Operation soll kein oGTT durchgeführt werden, sondern eine venöse Nüchternblutzuckerbestimmung und orientierende Tagesprofile.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E36

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Schwangerschaft nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen soll keine weitere Gewichtsreduktion erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E37

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Schwangerschaft nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen soll eine engmaschige adipositaschirurgische bzw. metabolische Nachsorge und gynäkologische Kontrolle durchgeführt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E38

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Da Schwangerschaften nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen als Risikoschwangerschaften anzusehen sind, sollen engmaschige Wachstumskontrollen des Feten erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 3.E39

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Schwangerschaft und im Wochenbett nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen muss bei abdominellen Beschwerden die Möglichkeit einer Hernie oder Volvulus des Darmes mit bedacht werden.


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4  Lebensstilintervention in der Schwangerschaft

Evidenzbasierte Empfehlung 4.E40

Evidenzgrad 1−

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Adipösen Schwangeren soll empfohlen werden, sich in der Schwangerschaft vermehrt und regelmäßig zu bewegen und die Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung umzustellen.

Zur Gewichtszunahme und zu Risiken der Mutter und zum Outcome beim Kind durch eine Lebensstiländerung gibt es inzwischen viele Studien, einige wurden ausschließlich bei übergewichtigen/adipösen Schwangeren durchgeführt. Ziel war, die Empfehlungen des IOM einzuhalten. Eine Metaanalyse mit 36 RCT-Studien weist aus, dass durch eine Umstellung der Ernährung, vermehrte Bewegung oder eine Kombination von beidem die Gewichtszunahme bei übergewichtigen bzw. adipösen Schwangeren um 0,75 kg und 0,73 kg verringert wird.

Eine Metaanalyse mit 4 Studien zur Ernährung und 10 Studien zur körperlichen Aktivität weist eine Reduktion des Gestationsdiabetes von 21 bzw. 34% aus.

Die Mehrheit der Untersuchungen zur Entwicklung einer Hypertonie berichten über einen erheblichen protektiven Effekt durch körperliche Aktivität. Ob eine Lebensstiländerung Einfluss auf die Schwangerschaftsdauer oder eine vorzeitige Geburt hat, lässt sich zurzeit nicht beurteilen.


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5  Geburtsplanung

5.1  Geburtseinleitung

In der Abwesenheit anderer geburtshilflicher oder medizinischer Indikationen stellt Adipositas allein keine Indikation für eine Geburtseinleitung dar. Es gelten die jeweils gültigen aktuellen Empfehlungen der Geburtshilfe. Adipöse Patientinnen haben ein erhöhtes Risiko, eine Geburtseinleitung zu benötigen, bedingt durch vermehrte Schwangerschaftskomplikationen [159]. Jedoch verlaufen die Geburtseinleitungen eher frustran. In der AWMF-Leitlinie Vorgehen bei Terminüberschreitung wird unabhängig von einer Terminüberschreitung das Risiko für einen IUFT bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 mit um den Faktor 1,6 erhöht beschrieben und als Beratungsinhalt bei der Aufklärung einer Schwangeren definiert betreffs einer Geburtseinleitung. Aus der existierenden Literatur lässt sich nicht ableiten, ob und welche Methode der Geburtseinleitung bei Adipositas die besten Erfolgschancen hat. Eine aktuelle Metaanalyse unter Einbeziehung von 8 Studien kommt allgemein zu dem Ergebnis, dass Adipositas assoziiert ist mit höheren Dosen von Prostaglandinen und Oxytocin. Zur Wirksamkeit der Einleitung mit Ballon gibt es keine BMI-spezifischen Daten. Vorstellbar wäre eine bessere Ansprechbarkeit als mit Prostaglandinen, da nicht das Problem der adipositasangepassten Dosierung besteht.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E41

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 sollte eine Aufklärung erfolgen, dass bei Adipositas ein erhöhtes IUFT-Risiko bei Terminüberschreitung besteht.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E42

Evidenzgrad 1+

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke ++

Bei zusätzlichen Risikofaktoren sollte bei adipösen Schwangeren eine Einleitung mit 39 + 0 SSW angeboten und sorgfältig abgewogen werden.


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5.2  Wahl des Geburtsortes

Adipöse Schwangere werden der Risikoklientel zugeordnet, sodass die Wahl eines geeigneten Geburtsortes erforderlich ist. In mehreren Metaanalysen wurde nachgewiesen, dass das neonatale Mortalitätsrisiko ab einem BMI ≥ 30 signifikant erhöht ist bzw. proportional mit dem BMI ansteigt.

Ursachen sind eine höhere Inzidenz für Frühgeburtlichkeit, Komorbiditäten der Mutter sowie Komplikationen sub partu.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E43

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Medizinisches Personal sollte in der Betreuung und dem Umgang mit geburtshilflichen Komplikationen von adipösen Frauen sowie in der Handhabung von speziellen technischen Geräten und Einrichtungen geschult werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E44

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Adipöse Schwangere sollten bei geburtshilflichen vaginalen Operationen und Sectiones von gynäkologischen und anästhesiologischen Fachärzten betreut werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E45

Evidenzgrad 2++

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Schwangere mit BMI > 35 kg/m2 sollten in Perinatalzentren entbinden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E46

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit einem präkonzeptionellen BMI zwischen 30 – 35 kg/m2 sollte eine individuelle Risikoabwägung zur Geburtsortempfehlung stattfinden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E47

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +

Bei adipösen Schwangeren mit vorangegangener Sectio caesarea soll die Entbindung in einem Perinatalzentrum erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E48

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Einrichtungen, die adipöse Schwangere mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 betreuen, sollten Folgendes vorhalten:

  • ausreichend Bewegungsräume;

  • belastbare Einrichtung (bis 250 kg): Transport- und Untersuchungsliegen, Entbindungsbetten, Operationstische, Rollstühle etc.;

  • passendes medizinisches Instrumentarium, z. B. breite Blutdruckmanschetten, extra lange Epidural- und Spinalnadeln, breite Spekula etc.;

  • angepassten Personalschlüssel zur intensiveren Überwachung;

  • entsprechende Operationskleidung.

Adipöse haben eine niedrigere Erfolgsrate für die Spontangeburt bei Z. n. Sectio. Eine Indikation zur primären Re-Sectio ergibt sich daraus bei fehlender Evidenz jedoch nicht.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E49

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Medizinisches Personal sollte in der Betreuung und dem Umgang mit geburtshilflichen Komplikationen von adipösen Frauen, sowie in der Handhabung von speziellen technischen Geräten und Einrichtungen regelmäßig geschult werden.


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5.3  Anästhesievorstellung

Schwangere mit einem BMI > 40 kg/m2 sollen eine pränatale Konsultation durch einen Anästhesiologen mit geburtshilflicher Expertise erhalten, um potenzielle anästhesiologische Problemkonstellationen zu identifizieren. Im Idealfall wird in diesem Kontext ein anästhesiologischer Behandlungsplan erstellt, der in die geburtshilfliche Weiterbehandlung einfließt. Dabei sollen auch die geburtshilflichen Analgesieoptionen eruiert und besprochen werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E50

Evidenzgrad 3

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit einem BMI > 40 kg/m2 soll eine pränatale Konsultation durch einen Anästhesiologen mit geburtshilflicher Expertise erfolgen, um spezielle anästhesiologische Problemkonstellationen zu identifizieren. Ein anästhesiologischer Behandlungsplan soll dabei erarbeitet und im Rahmen der geburtshilflichen Weiterbehandlung umgesetzt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E51

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Adipöse schwangere Frauen mit Komorbiditäten wie insbesondere einer obstruktiven Schlafapnoe sollen von einem Anästhesiologen konsultiert werden, weil sie ein erhöhtes Risiko für Hypoxämie, Hyperkapnie und plötzlichen Tod haben.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E52

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Frauen mit Adipositas soll bei Geburt frühzeitig ein venöser Zugang gelegt werden.


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5.4  Festlegung des Geburtsmodus

Neue Literatur über Studien, die explizit diese Fragen untersucht haben, liegt nicht vor. Es gibt weder Studien mit prospektivem Design, die die Frage nach dem Outcome bei primärer Sectio oder den Versuch der Spontangeburt bei adipösen Patientinnen im Z. n. Sectio vergleichen. Die vorliegenden internationalen Leitlinien empfehlen letztlich, dass die Entscheidung für oder gegen eine vaginale Entbindung nach individuellen Kriterien getroffen werden sollte.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E53

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad 0

Konsensusstärke +++

Bei adipösen Schwangeren können bei ausreichender fetaler Überwachung und auszuschließendem fetalen Stress längere Geburtsdauern mit dem Ziel der vaginalen Geburt toleriert werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E54

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +

Eine Indikation für eine primäre Sectio besteht allein aufgrund der Adipositas nicht und soll wegen der erhöhten Komplikationsraten vermieden werden.

Adipöse haben eine niedrigere Erfolgsrate für die Spontangeburt bei Z. n. Sectio. Durnwald und andere Autoren beschreiben nur noch eine Erfolgsrate von 13% für die vaginale Geburt nach Sectio bei Frauen mit einem Gewicht > 136 kg.

In Abwesenheit von Kontraindikationen kann Schwangeren nach Kaiserschnitt der Versuch der vaginalen Geburt angeboten werden. Dies trifft grundsätzlich auch für adipöse Schwangere zu.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E55

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Z. n. Sectio soll die adipöse Schwangere sowohl über die Erfolgschancen und Risiken der vaginalen Geburt als auch über die Risiken der primären als auch der sekundären Re-Sectio aufgeklärt werden und eine individuelle Entscheidung getroffen werden.


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5.5  Intrapartale Überwachung

Es ergeben sich bei der Entbindung von adipösen Schwangeren möglicherweise technische Probleme. Bei einem BMI > 40 kg/m2 wird empfohlen, frühzeitig im Geburtsverlauf einen Epiduralkatheter anzulegen in Hinblick auf eine spätere Anästhesie zur Geburtsanalgesie oder für einen möglichen sekundären Kaiserschnitt. Die Anästhesiologen sollten benachrichtigt werden, sobald eine Schwangere mit BMI ≥ 40 kg/m2 in den Kreißsaal aufgenommen wird.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E56

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Bei unzureichender externer Ableitung soll die interne Ableitung durch eine Skalpelektrode eingesetzt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E57

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Es soll eine sichere Differenzierung zwischen fetaler und maternaler Herzfrequenz erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E58

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Für die Blutdruckmessung bei adipösen Patientinnen soll eine Manschette passender Größe verwendet werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E59

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Bei Frauen mit moderater bis schwerer Adipositas soll frühzeitig während des Geburtsprozesses ein intravenöser Zugang gelegt werden.


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5.6  Vorgehen bei Sectio

Wenngleich das intraoperative Risiko einer Sectio bei adipösen Schwangeren im Vergleich zu normgewichtigen Frauen nicht erhöht ist, so ergibt sich dennoch ein erhöhtes postoperatives Risiko, insbesondere durch Wundheilungsstörungen.

Die abdominale Schnittführung hängt vom Habitus der Patientin ab (Fettverteilung etc.). Es gibt keine Daten, ob quer oder longitudinal zu bevorzugen ist. Eine ausreichend große Inzision ist besonders bei erwartetem großen Kind wichtig. Bei einem BMI von ≥ 35 kg/m2 sollte ein niedriger, flacher Querschnitt und das Vernähen der Subkutis, wenn diese stärker als 2 cm ist, erfolgen. Eine Cochrane-Analyse von 7 Studien zeigte, dass die Schließung der Subkutis das Risiko von Hämatomen, Seromen, Infektionen und Nahtdehiszenzen reduzierte, eine Differenzierung bezüglich unterschiedlicher Dicken des subkutanen Fettgewebes erfolgte nicht. Bei supraumbilikalem Zugang ergab sich ein erhöhtes Risiko eines perioperativen maternalen Blutverlustes > 1000 ml, es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Rate an Wundheilungskomplikationen.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E60

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Das Personal im OP soll über jede Frau informiert werden, die über 120 kg wiegt und bei der ein operativer Eingriff bevorsteht.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E61

Evidenzgrad 1++

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +

Bei einem BMI von > 35 kg/m2 sollte ein niedriger, flacher Querschnitt und das Vernähen der Subkutis, wenn diese stärker als 2 cm ist, erfolgen.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E62

Evidenzgrad 1++

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke ++

Es soll prophylaktisch 60 min vor Schnitt ein Cephalosporin (z. B. Cefazolin) gegeben werden: 2 g i. v. bei < 120 kg, 3 g i. v. bei > 120 kg. Bei Penicillinallergie alternativ: Clindamycin 900 mg i. v. kombiniert mit Gentamicin 5 mg/kg i. v.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E63

Evidenzgrad 1

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Subkutane Drainagen sollen nicht routinemäßig angelegt werden.

Evidenzbasierte Empfehlung 5.E64

Evidenzgrad 2−

Empfehlungsgrad 0

Konsensusstärke +

Ein sub- bzw. supraumbilkaler Zugangsweg kann einen zügigen Zugang zum Uterus ermöglichen, ist jedoch mit einer erhöhten perioperativen Morbidität verbunden.


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6  Postpartale Aspekte

6.1  Stillförderung

Die vorliegende Evidenz zur Häufigkeit des Stillen bei adipösen Frauen ist begrenzt. Präkonzeptionell adipöse Frauen beginnen im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen seltener mit dem Stillen und die Stilldauer ist kürzer.

Evidenzbasierte Empfehlung 6.E65

Evidenzgrad 4

Empfehlungsgrad B

Konsensusstärke +++

Adipöse Wöchnerinnen sollten beim Stillen besonders unterstützt werden.


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6.2  Postpartale Aspekte Kind

Evidenzbasierte Empfehlung 6.E66

Evidenzgrad 2+

Empfehlungsgrad A

Konsensusstärke +++

Kinder von Müttern mit präkonzeptionellem BMI ≥ 25 kg/m2 sollen im Rahmen der kindlichen Vorsorgeuntersuchungen auf auffällige BMI-Entwicklungen überwacht und die Sorgeberechtigten frühzeitig beraten werden.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The conflicts of interest of all of the authors are listed in the long version of this guideline./Die Interessenkonflikte der Autoren sind in der Langfassung der Leitlinie aufgelistet.

  • References/Literatur


  • The literature is listed in the long version of the guideline./Die Literatur kann in der Langversion eingesehen werden.

Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ute Schaefer-Graf
Berliner Diabeteszentrum für Schwangere
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
St. Joseph Krankenhaus
Wüsthoffstraße 15
12101 Berlin
Germany   

Publication History

Received: 10 November 2020

Accepted: 02 December 2020

Article published online:
05 March 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • References/Literatur


  • The literature is listed in the long version of the guideline./Die Literatur kann in der Langversion eingesehen werden.

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