Zeitschrift für Phytotherapie 2021; 42(01): 5-8
DOI: 10.1055/a-1338-2314
Forschung

Bedeutung des Immunsystems bei Infektionen und die Beeinflussung durch Pflanzen

Sabine Vollstedt
 

Das Haustier ist dem Menschen heutzutage näher als je zuvor und sollte bei jeglicher gesundheitlicher Evaluation mit bedacht werden. Die Rolle der Zoonosen wie auch der Übertragung resistenter Bakterienstämme stellt uns vor eine Realität, mit der wir noch lernen müssen, wie wir am besten damit umgehen. Prävention allein reicht nicht mehr aus, sondern wir müssen den Schritt vorher – den zum präventiven Denken – vollziehen, um mit den Gegebenheiten fertig zu werden. Das Wissen, welche Strukturen auf welche Weise gestärkt werden können, ist immens wichtig, sowohl beim Menschen wie auch beim Tier.

Das Immunsystem

Das Immunsystem gehört mit zu den wichtigen Strukturen im Körper, weil es dafür sorgt, dass Pathogene nicht eindringen und somit Schaden anrichten können. Es gehören viele Strukturen dazu, die oftmals nicht bedacht werden. So sind Körperoberflächen wie die Haut und die Schleimhäute Teil des Immunsystems, wie das Interstitium mit den Lymphbahnen, das Gefäßsystem mit den Kapillaren und natürlich auch die Lymphknoten [Abb. 1].

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Abb. 1 Schematische Darstellung des Immunsystems mit Makrophagen (MO), Dendritischen Zellen (DC) und Natürlichen Killerzellen (NK) direkt unter der Körperoberfläche und den T- und B-Zellen im Lymphknoten und die entsprechenden Lymphbahnen und Blutgefäße, wie auch dem Knochenmark als Produktionsstätte der Vorläuferzellen. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt

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Angeborene und erworbene Abwehrsysteme

Die Immunzellen sind die zweite Komponente, die dafür sorgen, dass die Abwehr effektiv erfolgen kann. Hier wird zwischen dem angeborenen Immunsystem mit den Dendritischen Zellen (DC), Makrophagen und Natürlichen Killerzellen (NK) und dem erworbenen Immunsystem wie B-Zellen, Plasmazellen und T-Zellen unterschieden.

Die Zellen des unspezifischen Immunsystems befinden sich oft in der Peripherie, dort wo eine Infektion droht, während die naiven B- und T-Zellen sich in den Lymphknoten befinden und erst zum Ort des Infektionsgeschehens auswandern, wenn sie einen entsprechenden Rezeptor besitzen, der zum aktuellen Pathogen passt [1].


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Humorale Immunität

Da es eine Vielzahl von Pathogenen gibt, sind die Immunantworten entsprechend divers. Extrazelluläre Pathogene können Endoparasiten, Bakterien, Pilze, Protozoen und auch Viren sein. B-Zellen spielen eine große Rolle, indem sie sich zu Plasmazellen wandeln, um große Mengen an Antikörper zu produzieren, die genau auf das entsprechende Pathogen wirken. Aber auch Makrophagen sind wichtig, da diese die mit Antikörpern versehenen Pathogene durch Phagozytose eliminieren. Dieses Zusammenspiel wird als humorale Immunität beschrieben oder auch als TH2-Antwort, weil die T-Helferzellen Typ 2 bei der Produktion von Antikörpern eine wichtige, unterstützende Rolle spielen [1].


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Zelluläre Immunität

Bei den intrazellulären Pathogenen wird hauptsächlich zwischen Viren und intrazellulären Bakterien unterschieden. Zur Abwehr von Viren sind sowohl Natürliche Killerzellen (NK) wie auch zytotoxische T-Zellen wichtig, weil sie die befallenen Körperzellen abtöten, sodass diese nicht mehr als Produktionsstätte für die Viren genutzt werden können. Bei den intrazellulären Bakterien kommen hauptsächlich NK-Zellen und T-Helferzellen Typ 1 zum Zuge. NK-Zellen lysieren die befallenen Zellen und die TH1-Zellen produzieren Botenstoffe, sogenannte Zytokine, die für eine Verstärkung der Makrophagenaktivität sorgen, sodass diese ihre Phagozytose noch effizienter durchführen können [1].

In den letzten Jahren sind außerdem noch zwei weitere T-Zellen in den Fokus der Wissenschaft geraten: Die eine ist die T-Zelle Typ 17, die Interleukin-17 produziert und dadurch in der Mukosa Entzündungsreaktionen hervorruft. Die zweite ist die regulierende T-Zelle (Treg), die aktivierte T-Zellen wieder inhibieren kann und somit Entzündungsreaktionen beendet [2].


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Dendritische Zellen als Dirigenten

Die Entwicklung dieser unterschiedlichen TH-Zellen hängt von den Zytokinmustern ab, die – insbesondere von den Dendritischen Zellen (DC) – am Anfang einer Infektion produziert werden.

DC sind Wächterzellen, die dort sitzen, wo Infektionen stattfinden, d.h. besonders im Bereich der Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes, des Respirationstraktes oder auch in der Haut. Sie sind spezialisiert und mit Rezeptoren ausgestattet, die es ermöglichen, unterschiedliche pathogene Oberflächenstrukturen zu erkennen. Im Fall einer intrazellulären Infektion mit Bakterien oder Viren wird lokal viel TNF-α ausgeschüttet. Wenn es Bakterien sind, kommt noch IL-12 dazu, bei Viren IFN-α,β. Bei Vorhandensein extrazellulärer Bakterien wird IL-4 produziert. Diese Zytokinproduktion bestimmt dementsprechend auch die Entwicklung der Immunantwort. Um eine TH1-Antwort zu induzieren, braucht es hohe Mengen an IL-12, für eine TH2-Antwort ist es das IL-4. Wenn die DC viel IL-23 ausschütten, entsteht hauptsächlich eine TH17-Antwort und bei hohen Mengen an TGF-β kommt es zu einer Aktivierung der regulierenden T-Zellen. Somit sind die DC in der Lage, die Immunantwort entsprechend zu modulieren und dem Infektionsgeschehen anzupassen [3].


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Immunmodulation

Das mukosale Immunsystem besitzt einige Strukturen, die für eine ausgewogene Immunantwort wichtig sind. Die Verbindung des mukosalen Epithels mit den Immunzellen ist sehr eng, und daraus entstehen besondere Strukturen wie die Peyer‘schen Platten oder auch die M-Zellen als spezialisiertes Aufnahmesystem von Bakterien im Darm [Abb. 2]. Im Magen-Darm-Trakt gibt es aktivierte Gedächtniszellen und aktivierte unspezifische Zellen, auch wenn es noch keinen Anlass für eine sofortige Immunreaktion gibt. Sollten pathogene Erreger die Überhand nehmen, können sie eine sofortige Immunreaktion initiieren. Daher hat die aktive Inhibierung dieser aktiven Zellen eine große Bedeutung, denn sonst würden Futterbestandteile und das Mikrobiom ständig eine Immunantwort auslösen. Daher finden sich inhibierende Makrophagen wie auch toleranz-induzierende DC in hohen Mengen im Magen-Darm-Trakt [2].

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Abb. 2 Schematische Darstellung des Immunsystems im Darm mit den Darmzotten und den aktivierten Immunzellen, wie auch die Peyer‘schen Platten mit den M-Zellen, die eng mit den Dendritischen Zellen (DC) verbunden sind. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt

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Mikrobiom

Es ist wichtig zu wissen, dass jeder Keim, egal ob pathogen oder nicht, eine Immunantwort auslöst. Im Darmepithel gibt es viele aktivierte zytotoxische T-Zellen, die ständig durch regulierende T-Zellen kontrolliert werden müssen, da es ansonsten zu massiven Schäden der Darmschleimhaut käme. Die DC mit ihren sehr gut definierten Zytokinmustern orchestrieren dieses feine Zusammenspiel der unterschiedlichen Immunzellen. Dadurch können die vielzähligen Bakterien des Mikrobioms ihre wichtigen Aufgaben wie Aufschluss von Futter, Verdauung von Nahrungsbestandteilen und Anregung der Darmperistaltik wahrnehmen, sodass das Darmepithel mit Energie und auch Vitaminen versorgt wird. Das Mikrobiom dient somit als Trainingsgrundlage für das Immunsystem und sorgt dafür, dass sich pathogene Keime nicht ausbreiten können, weil Bakterien und Pilze des Mikrobioms den vorhandenen Platz schon belegen [2].


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Interaktion zwischen Phytotherapeutika und Immunsystem

In der Phytotherapie sind wir in der Lage, uns diese Grundlage zunutze zu machen, weil der größte Teil der Phytotherapeutika oral aufgenommen wird und dann den MDT durchläuft. Die sekundären Pflanzenstoffe wirken hierbei nicht nur inhibierend auf die pathogenen Keime, sondern sind auch in der Lage, spezifische Rezeptoren der Immunzellen anzusprechen, um dann entsprechende Zytokinmuster hervorzurufen [Abb. 3].

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Abb. 3 Schematische Darstellung der Interaktionen von sekundären Inhaltsstoffen mit Rezeptoren auf Immunzellen mit einer anschließenden Induktion von pro- oder anti-entzündlichen Zytokinmustern. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt

Diese Zytokinmuster beziehen sich auf die Infektionslage. Bei einer zellulären Immunantwort werden pro-entzündliche Zytokine wie IL-6, IL-8 und IL-12 produziert, während bei einer humoralen Immunantwort IL-4, IL-10 und TGF-β ausgeschüttet werden. Die Produktion eines bestimmten Zytokins ist abhängig von der Aktivierung definierter Rezeptoren. Interagieren Rezeptoren direkt mit den Keimen (pathogen-associated molecular pattern – PAMP) und auch Toll-like receptor-2 und -4 (TLR-2, TLR-4), werden pro-entzündliche Zytokinmuster hervorgerufen. Der Adenosin-Rezeptor dagegen aktiviert eine anti-entzündliche Kaskade von Zytokinen [4].


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Sekundäre Pflanzenstoffe

Flavonoide sind in der Lage, sowohl mit TLR-2, dem TLR-4 wie auch mit dem Adenosin- und dem Aryl-Hydrocarbon(Ah)-Rezeptor zu interagieren. Diese Rezeptoren bewirken sowohl pro- wie auch anti-entzündliche Zytokinmuster und scheinen damit die Entzündungsprozesse zu modulieren [5]. Mädesüß [Abb. 4], Stiefmütterchen und Mariendistel [Abb. 5] sind nur einige Beispiele, die dafür bekannt sind, überschießende Entzündungsreaktionen herabregulieren zu können.

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Abb. 4 Mädesüß (Filipendula ulmaria). Quelle: Dr. Ferdinand Worm
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Abb. 5 Mariendistel (Silybum marianum): Früchte mit charakteristischem Pappus. Quelle: Dr. Ferdinand Worm

Polysaccharide sind bekannt dafür, dass sie in Verbindung mit Flüssigkeit Schleim bilden und sich somit schützend über geschädigte Schleimhautläsionen legen können. Sie wirken ebenso pro-entzündlich, da sie aktiv den TLR-4 aktivieren und damit entsprechende Zytokine freigesetzt werden [6]. Beispiele für Polysaccharidpflanzen sind Leinsamen, Bockshornkleesamen [Abb. 6], Isländisch Moos und Malve.

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Abb. 6 Samen des Bockshornklees (Trigonella foenum-graecum). In der Volksmedizin (human) innerlich u. a. bei Appetitlosigkeit und als Roborans, äußerlich als Breiumschlag bei lokalen Entzündungen. Quelle: Dr. Ferdinand Worm

Saponine können Oberflächenspannungen lösen und werden dementsprechend therapeutisch eingesetzt. Es gibt noch weitere Funktionen, denn einerseits setzen sie sich an den TLR-4 und blockieren ihn so für andere Agonisten mit dem Ergebnis, dass keine pro-entzündlichen Zytokine produziert werden können. Andererseits wirken Saponine auch sedierend im ZNS, wahrscheinlich durch eine Interaktion mit dem 5-HT2-Rezeptor. Pflanzen mit hohem Saponingehalt sind Ginseng, Efeublätter, Ringelblume und Süßholzwurzel [7], [8], [9].


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Phytotherapie

Phytotherapeutisch ist es möglich, positiv auf die Darmgesundheit einzuwirken, bevor Symptome auftreten. Die vielseitige und ausgeglichene Aktivierung der unterschiedlichen Rezeptoren auf den Immunzellen wirkt modulierend und ausgleichend und ist daher auch für die Prävention gut einsetzbar. Bei einer Erkrankung, wie etwa einer Endoparasitose, unterstützen die Pflanzen die Immunzellen dahingehend, dass sie eine effektive Immunantwort hervorrufen. Davon abgesehen wirken einige Pflanzen auch direkt auf die Pathogene, wie Endoparasiten. Die Kombination von Schulmedizin mit der Phytotherapie ist daher sehr sinnvoll. Ebenso dienen die Pflanzen direkt nach einer Behandlung der Rekonvaleszenz, nicht auch zuletzt, weil sie den Nebenwirkungen einiger unserer synthetischen Arzneimittel entgegenwirken.


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Fazit

Phytotherapeutika sind daher vielseitig und zu jedem Zeitpunkt einsetzbar und ermöglichen eine genaue und feinere Behandlungsstrategie, um die Gesunderhaltung der Tiere zu unterstützen.


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Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. vet. Ph.D. Sabine Vollstedt
Hauptstr. 53
25335 Bokholt-Hanredder
Deutschland   

Publication History

Article published online:
15 February 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Schematische Darstellung des Immunsystems mit Makrophagen (MO), Dendritischen Zellen (DC) und Natürlichen Killerzellen (NK) direkt unter der Körperoberfläche und den T- und B-Zellen im Lymphknoten und die entsprechenden Lymphbahnen und Blutgefäße, wie auch dem Knochenmark als Produktionsstätte der Vorläuferzellen. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt
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Abb. 2 Schematische Darstellung des Immunsystems im Darm mit den Darmzotten und den aktivierten Immunzellen, wie auch die Peyer‘schen Platten mit den M-Zellen, die eng mit den Dendritischen Zellen (DC) verbunden sind. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt
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Abb. 3 Schematische Darstellung der Interaktionen von sekundären Inhaltsstoffen mit Rezeptoren auf Immunzellen mit einer anschließenden Induktion von pro- oder anti-entzündlichen Zytokinmustern. Quelle: Dr. Sabine Vollstedt
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Abb. 4 Mädesüß (Filipendula ulmaria). Quelle: Dr. Ferdinand Worm
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Abb. 5 Mariendistel (Silybum marianum): Früchte mit charakteristischem Pappus. Quelle: Dr. Ferdinand Worm
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Abb. 6 Samen des Bockshornklees (Trigonella foenum-graecum). In der Volksmedizin (human) innerlich u. a. bei Appetitlosigkeit und als Roborans, äußerlich als Breiumschlag bei lokalen Entzündungen. Quelle: Dr. Ferdinand Worm