Einleitung
Dyspnoe und die Angst zu ersticken sind von Tumorpatienten gefürchtete Krankheitssymptome.
Im Besonderen trifft dies für Patienten mit der Diagnose eines Lungenkarzinoms zu.
Das Vorhandensein von Luftnot mit dadurch bedingter Einschränkung der körperlichen
Belastbarkeit beeinträchtigt in ausgeprägtem Maße die Lebensqualität von Tumorpatienten
[1]. Zudem gibt es Hinweise einer Korrelation von Prognose der Lungenkrebserkrankung
mit dem Vorhandensein starker Luftnot [2].
Während die systematische Erfassung von Schmerz oder psychischer Belastung bei der
Begleitung von Tumorpatienten zum Standard geworden ist, hat sich dennoch die Erfassung
von Dyspnoe anhand von validierten Skalen selbst bei Krebspatienten noch nicht fest
etabliert.
Über die Hälfte aller Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom geben dyspnoeische
Beschwerden an [3]. Die Ursache von Luftnot bei Tumorpatienten ist multifaktoriell, dies muss im Rahmen
einer effektiven Dyspnoebehandlung Berücksichtigung finden [4]
[5].
Frühere Arbeiten an heterogenen Kollektiven von Patienten mit verschiedenen soliden
Tumoren konnten einen Zusammenhang zwischen dem Symptom Luftnot und Komorbiditäten
wie COPD oder kardiovaskulären Erkrankungen aufzeigen [6].
Unklar ist bislang allerdings die Gewichtung, die Komorbidität und Begleitsymptome
beim Auftreten von Luftnot bei Lungenkarzinompatienten haben. Bisherige Daten stammen
in erster Linie aus retrospektiven Registerauswertungen. Um eine gezielte und effiziente
Behandlung der dyspnoeischen Beschwerden einzuleiten, ist dieses Wissen jedoch von
großer Bedeutung.
In der vorliegenden prospektiven Beobachtungsstudie erfassten wir standardisiert bei
52 Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom vor Therapieeinleitung den Schweregrad
vorhandener Luftnot und korrelierten das Ausmaß der Symptomatik mit Begleitsymptomen
und Komorbidität.
Methoden
Die Studie wurde von der Ethik-Kommission des Universitätsklinikums Frankfurt begutachtet
und zustimmend bewertet (Geschäfts-Nr. 390/14).
Im Rahmen einer monozentrischen prospektiven Beobachtungsstudie erfassten wir im Zeitraum
von April 2015 bis Januar 2018 das Leitsymptom Dyspnoe bei 52 Patienten mit fortgeschrittenem
Lungenkarzinom. Eingeschlossen wurden Therapie-naive Patienten und Patienten, die
lediglich eine Lokaltherapie (Operation oder Bestrahlung) einer zerebralen Metastasierung
erhalten hatten und bei denen eine Tumorausbreitung der Stadien III oder IV nach UICC
(Union internationale contre le cancer) bei Diagnosestellung vorlag. Patienten mit
bereits begonnener Systemtherapie oder stattgehabter thorakaler Tumoroperation wurden
ausgeschlossen, um mögliche Operationsfolgen oder chemotherapeutische/medikamentöse
Nebenwirkungen als Dyspnoeursache auszuschließen. Weitere Ausschlusskriterien waren
hämodynamische oder respiratorische Instabilität sowie Desorientierung bzw. Bewusstseinsstörung.
Nach Vorliegen der schriftlichen Patienteneinwilligung wurden mit einem standardisierten
Fragebogen die Symptome Dyspnoe, Schmerz, tumorbedinge psychische Belastung sowie
das Vorhandensein von Komorbiditäten abgefragt. Zusätzlich wurden über die elektronische
Patientenakte (System Orbis von Agfa) Lungenfunktionsparameter und die lokale Tumorausbreitung
erfasst (erhoben über vorliegende bronchoskopische und radiologische Befunde).
Die Luftnot wurde anhand der modified British Medical Research Council-Skala (mMRC-Skala)
vom Patienten selbst in die Schweregrade 1 – 5 eingestuft ([Tab. 1]) [7]. Die Abfrage von Schmerz und psychischer Belastung durch die Tumorerkrankung erfolgte
anhand numerischer Ratingskalen (Schwere 1 – 10).
Tab. 1
Dyspnoe-Schweregrade nach der modified British Medical Research Council-Skala (mMRC).
1
|
Nie Atemnot, außer bei starker Anstrengung
|
2
|
Atemnot beim schnellen Gehen oder beim Bergaufgehen mit leichter Steigung
|
3
|
Pat. geht beim Gehen in der Ebene wegen Atemnot langsamer als Gleichaltrige oder benötigt
bei selbst gewählter Geschwindigkeit Pausen
|
4
|
Benötigt eine Pause wegen Atemnot beim Gehen in der Ebene nach ca. 100 m oder nach
einigen Minuten
|
5
|
Zu kurzatmig, um das Haus zu verlassen oder sich an- und auszuziehen
|
Die statistischen Auswertungen erfolgten mit der Statistik-Software „BiAS. für Windows“
(epsilon Verlag) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Biostatistik und mathematische
Modellierungen des Universitätsklinikums Frankfurt. Das Hauptprüfziel, die Charakterisierung
des Einflusses von Begleiterkrankungen auf den Schweregrad der Dyspnoe, wurde mit
dem Wilcoxon-Mann-Whitney-U-Test analysiert. Zur Untersuchung des Einflusses einzelner
dichotomer und quantitativer Patientencharakteristika auf die dichotome Variable „starke
Atemnot (mMRC-Skala 3 – 5)“ wurde eine univariate logistische Regression durchgeführt
und die daraus resultierenden Odds Ratios mit den zugehörigen 95 %-Konfidenzintervallen
berichtet. Alle statistischen Tests wurden zweiseitig und mit einem Signifikanzniveau
von alpha = 5 % (ohne Adjustierung) durchgeführt.
Ergebnisse
Im Zeitraum April 2015 bis Januar 2018 wurden 52 Patienten rekrutiert. Alle rekrutierten
Probanden willigten in die Studienteilnahme ein und wurden in die Studie eingeschlossen.
Das Alter der Patienten war nicht normalverteilt. Im Median lag das Alter der Patienten
bei 64,5 Jahren (41 – 90 Jahre). 25 (48 %) Patienten waren männlich, 27 (52 %) Patienten
weiblich. [Abb. 1] zeigt die Altersverteilung der eingeschlossenen Patienten.
Abb. 1 Altersverteilung der untersuchten Kohorte [n = 52].
12 Patienten (23,1 %) befanden sich im Stadium 3 nach UICC, 40 Patienten (76,9 %)
im Stadium 4.
[Tab. 2] fasst Tumorentität, Tumorstadium und -ausbreitung unserer Studienkohorte zusammen.
Tab. 2
Tumorentität und Tumorausbreitung bei Diagnosestellung.
Tumoreinflussgröße
|
|
Total (N = 52)
n (%)
|
Tumorhistologie
|
SCLC
|
16 (30,8)
|
NSCLC
|
36 (69,2)
|
Adenokarzinom
|
30 (57,7)
|
Plattenepithelkarzinom
|
5 (13,9)
|
großzelliges neuroendokrines Karzinom
|
1 (2,8)
|
Tumorlokalisation
|
Rechts
|
33 (63,5)
|
Links
|
17 (32,7)
|
Mediastinum
|
2 (3,9)
|
T-Stadium
|
T1
|
6 (11,5)
|
T2
|
13 (25,0)
|
T3
|
9 (17,3)
|
T4
|
24 (46,2)
|
N-Stadium
|
N0
|
4 (7,7)
|
N1
|
1 (1,9)
|
N2
|
28 (54,0)
|
N3
|
19 (36,5)
|
M-Stadium
|
M0
|
12 (23,1)
|
M1
|
40 (76,9)
|
pulmonale Metastasierung
|
22 (55,0)
|
Bronchoskopisch sichtbarer Tumoreinbruch
|
Ja
|
15 (28,9)
|
Nein
|
22 (42,3)
|
keine Endoskopie durchgeführt
|
15 (28,9)
|
Tumorbedingte Stenosierung
|
Ja
|
20 (38,5)
|
|
1 (5,0)[*]
|
|
4 (20,0)[*]
|
|
15 (75,0)[*]
|
Nein
|
17 (32,7)
|
Unbekannt
|
15 (27,9)
|
SCLC = small cell lung cancer; NSCLC = non small cell lung cancer
* Prozentangabe bezogen auf die Untergruppe
Bei der Erfassung von Komorbiditäten gaben 26 (50 %) Patienten eine kardiovaskuläre
Vorerkrankung an.
Bei der im Rahmen der Basisdiagnostik durchgeführten Lungenfunktionstestung konnte
bei 34 Patienten (65,4 %) eine obstruktive und bei 7 Patienten (13,5 %) eine restriktive
Ventilationsstörung nachgewiesen werden. Bei nachgewiesener Obstruktion (FEV1/FVC < 0,7) lag der Median der FEV1 bei 55,5 % der Altersnorm (23,7 – 93,1 %). Dabei
zeigten Männer häufiger lungenfunktionell eine Obstruktion: Bei 19 von 25 (76 %) untersuchten
Männern wurde eine bronchiale Obstruktion nachgewiesen. Bei den untersuchten Frauen
fiel dies bei 15 Patientinnen (57,7 %) auf. [Abb. 2] zeigt die Verteilung der Schweregrade der Obstruktion bei Männern und Frauen.
Abb. 2 Verteilung der Schweregrade der Obstruktion (nach GOLD-Klassifikation) nach Geschlecht.
Bei 20 (38,5 %) Studienpatienten war bei Erstvorstellung eine chronisch obstruktive
Lungenerkrankung (COPD) vorbekannt.
Die Vitalkapazität der 7 Patienten mit restriktiver Ventilationsstörung lag im Median
bei 59,6 % der Altersnorm (55,1 – 76,3 %). Von diesen 7 Patienten hatten 3 (42,9 %)
einen in CT-Thorax oder Pleurasonografie nachgewiesenen Pleuraerguss.
[Abb. 3] zeigt die Ergebnisse der Erfassung der Dyspnoeschweregrade nach der mMRC-Skala.
Abb. 3 Verteilung der Dyspnoeschwere, Angabe in Prozent (in Klammer Patientenzahl n).
Fasst man die Schweregrade 1 – 2 als leichte und 3 – 5 als schwere Luftnot zusammen,
so gaben 27 Patienten (51,9 %) leichte und 25 Patienten (48,1 %) mäßige bis starke
Dyspnoe an.
Bei der Erfassung der Schmerzintensität wurden folgende Werte auf der numerischen
Ratingskala (NRS) von 1 – 10 erhoben: Leichte Schmerzen (NRS 1 – 3) haben 39 Patienten
(75,0 %), 6 Patienten (11,5 %) mittelgradige Schmerzen (NRS 4 – 6) und 7 Patienten
(13,5 %) starke Schmerzen (NRS 7 – 10) angegeben.
Die Ergebnisse der vom Patienten angegebenen psychischen Belastung durch die Tumorerkrankung,
ebenfalls auf einer numerischen Skala von 1 – 10, zeigt [Abb. 4].
Abb. 4 Psychische Belastung durch die Tumorerkrankung (Patientenzahl n).
Sonografisch oder computertomografisch wurden bei 18 Patienten (36,7 %) Pleuraergüsse
mit mehr als 200 ml Volumen detektiert, bei 31 (63,3 %) Patienten fanden sich keine
oder nur kleine Pleuraergüsse. Bei 3 Patienten konnten keine Angaben zu Pleuraergüssen
erfasst werden.
Mittels logistischer Regressionsanalyse wurde der Effekt der Einflussgrößen auf die
Entwicklung schwerer Dyspnoe (mMRC-Skala 3 – 5) untersucht.
Hierbei konnten wir in der univariaten logistischen Regressionsanalyse für Alter,
Geschlecht, Tumorart, radiologische Lokalisation, pulmonale Filae, T- und N-Stadium,
Histologie, Tumoreinbruch und Stenosierung sowie deren Lokalisation, psychische Belastung,
restriktive Ventilationsstörungen, keine statistisch auffällige Beeinflussung zum
Signifikanzniveau von 5 % nachweisen.
Bei vorbekannter COPD, bei kardiopulmonalen Begleiterkrankungen, bei starken Schmerzen
(NRS > 6), bei obstruktiver Ventilationsstörung bzw. bei entsprechend der Lungenfunktion
höhergradigen Obstruktionsschweregraden 3 und 4 sowie bei Pleuraergussnachweis konnte
eine statistisch auffällige Risikoerhöhung für das Auftreten schwerer Dyspnoe nachgewiesen
werden (p-Wert ≤ 0,05).
Es korrelierte sowohl bei Männern wie auch bei Frauen die lungenfunktionell nachgewiesene
Obstruktion mit dem Auftreten von Luftnot. Dabei zeigte das Geschlecht als eigener
Einflussfaktor in der logistischen Regression keinen eigenen Einfluss auf die Symptomentwicklung
(p-Wert 0,59).
Von 20 Patienten, bei denen die COPD-Erkrankung bekannt war, gaben 17 (85 %) mäßige
bis starke Luftnot an. Bei 15 Patienten mit nachgewiesener Obstruktion war die COPD
nicht bekannt, hier gaben 6 Patienten (40 %) die Symptome stärkerer Dyspnoe an. Dabei
zeigte sich das Auftreten der Symptome bei Patienten mit vorbekannter Erkrankung stadienunabhängig
verteilt. Wurde die Erkrankung im Rahmen der Lungenfunktionsdiagnostik erstmals diagnostiziert,
dann zeigten eher Patienten mit stärkerer Obstruktion auch eine stärkere Luftnot.
Für eine restriktive Ventilationsstörung konnten wir keinen Zusammenhang mit dem Auftreten von Luftnot
nachweisen (p = 0,084). Von 7 Patienten mit restriktiver Ventilationsstörung zeigte
nur 1 Patient Symptomatik mäßiger bis starker Dyspnoe.
Darüber hinaus korrelierte eine M0-Situation und damit ein niedrigeres UICC-Stadium
III in unserer Auswertung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer schweren Dyspnoe
bei einem p-Wert von 0,05 (siehe [Tab. 3]).
Tab. 3
Ergebnisse der univariaten logistischen Regressionsanalyse zur Korrelation Variable
mit dem Auftreten von mäßiger bis starker Dyspnoe.
Variable
|
Odds-Ratio
|
95 %-Konfidenzintervall
|
p-Wert
|
M0-Stadium/UICC-Stadium III
|
4,50
|
1,02 – 19,76
|
0,05
|
Pleuraergussnachweis
|
3,64
|
1,04 – 12,71
|
0,04
|
Kardiopulmonale Begleiterkrankungen
|
9,05
|
2,51 – 32,59
|
0,0008
|
COPD-Anamnese
|
17,00
|
3,82 – 78,73
|
0,0002
|
Obstruktive Ventilationsstörung
|
8,56
|
1,99 – 36,86
|
0,004
|
COPD-Stadium III und IV nach GOLD entsprechend Lungenfunktion
|
14,64
|
2,73 – 78,50
|
0,002
|
Mäßige bis starke Schmerzen (NRS 4 – 10)
|
5,33
|
1,23 – 23,18
|
0,0255
|
Diskussion
Die in die Studie eingeschlossenen Patienten befanden sich bei Diagnosestellung in
einem fortgeschrittenen Tumorstadium, zu einem großen Teil bereits mit Nachweis einer
Fernmetastasierung. Die Verteilung Männer zu Frauen wich in unserer Kohorte, ebenso
wie die Verteilung der Tumorentitäten, leicht von aktuellen Krebsregisterdaten ab,
was wir in erster Linie auf die niedrige Fallzahl von nur 52 eingeschlossenen Tumorpatienten
zurückführen. In unserer Studie wurden etwa gleich viele Männer (n = 25) wie Frauen
(n = 27) eingeschlossen. Die Inzidenz der Krebsneuerkrankungen in Deutschland lag
2016 nach den Daten des Robert Koch-Institutes bei 31,4/100 000 bei Frauen und 57,5/100 000
bei Männern. Andere Registerdaten geben bei 492 096 Krebsneuerkrankungen in Deutschland
einen absoluten Frauenanteil von 233 572 (47,46 %) zu 258 524 Männer (52,54 %) an
[8].
Das 95 %-Konfidenzintervall für den Frauenanteil liegt für unsere Untersuchung zwischen
37,6 % und 66,0 %. Das Intervall liegt damit im Bereich der zu erwartenden Verteilung
in Deutschland. Dies bestätigt eine geringe Fallzahl als Ursache für den bei uns höheren
Frauenanteil in unserer Untersuchung.
Eine Geschlechterstratifizierung war im Rekrutierungsdesign nicht festgelegt worden,
auf der anderen Seite wurde ein möglicher Geschlechterbias durch die nahezu gleiche
Verteilung der beiden Gruppen möglicherweise reduziert.
Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 69 (Frauen) bzw. 70 Jahren (Männer) [9]. Das mediane Erkrankungsalter der Patienten lag in unserer Arbeit bei 64,5 Jahren
und ist damit repräsentativ für das nationale Kollektiv der Lungenkrebspatienten.
Nach wie vor liegt beim größten Teil der Patienten bei Erstdiagnose bereits ein fortgeschrittenes
Stadium (UICC III oder IV) vor, wie es bei den in unserer Studie rekrutierten Patienten
Einschlusskriterium war. Ein Lungenkrebsscreening, das der Frühdiagnose von Lungenkarzinomen
dienen soll, ist noch nicht flächendeckend empfohlen, wird aber aktuell für Risikopatienten
beruhend auf den aktuellen Daten des NELSON-Trials zunehmend diskutiert [10].
Wir konnten mit unserer standardisierten Erfassung von Dyspnoe mittels der mMRC-Skala
zeigen, dass dyspnoeische Beschwerden bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose des Tumors
ein klinisch relevantes Problem sind. Nahezu die Hälfte aller befragten Patienten
gaben mäßige bis sogar starke Dyspnoe an. Dies bestätigt die Daten anderer Beobachtungsstudien:
In der retrospektiven Auswertung von Ban et al., in der bei NSCLC-Patienten eines
Lungenkrebsregisters der mMRC-Schweregrad untersucht wurde, zeigte sich, dass 56,7 %
der Patienten Luftnot angaben [2]. Andere Arbeiten konnten zeigen, dass die Bedeutung im Endstadium sowohl maligner
wie auch nicht maligner Grunderkrankungen prozentual noch weiter deutlich zunimmt
[11]. Dabei scheinen Lungenkarzinompatienten, insbesondere mit vorhandener pulmonaler
Metastasierung, besonders von Dyspnoe betroffen zu sein [12]. Im Gegensatz zur klinischen Bedeutung steht jedoch die bislang fehlende Stringenz
einer strukturierten Dyspnoe-Erfassung [13].
Die Beeinträchtigung durch Luftnot bei Tumorpatienten ist grundsätzlich lange erkannt,
was sich in verschiedenen Empfehlungen und Leitlinien zur Behandlung von Dyspnoe in
palliativer Situation widerspiegelt. So widmet die 2020 aktualisierte S3-Leitlinie
für Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung der Deutschen
Gesellschaft für Palliativmedizin einen großen Abschnitt explizit der Therapie der
Luftnot bei Palliativpatienten [14].
Einen direkten Zusammenhang zwischen Tumorausbreitung und dem Auftreten von Luftnot
konnten wir in unserer Arbeit nicht nachweisen. Im Gegenteil zeigte sich ein leicht
erhöhtes Risiko für stärkere Luftnot bei den Patienten, die ein niedrigeres Tumorstadium
3 nach UICC zeigten. Der p-Wert erreichte mit 0,05 knapp das vorher festgelegte Signifikanzniveau.
Diese Korrelation lässt sich mit unserer Untersuchung nicht aufklären, möglicherweise
käme eine Untersuchung mit höherer Fallzahl hier zu einem anderen Ergebnis.
Sicher lässt die Größe der Studienkohorte nicht den Umkehrschluss zu, dass die Tumorsituation
keinerlei Einfluss auf die Entstehung von Luftnot hat. So sind sicher in Einzelfällen
minimal-invasive lokale Tumorkontrollmaßnahmen wie endoskopische Stent-Implantation
bei zentral stenosierenden Prozessen gerechtfertigt, um Kurzatmigkeit zu bessern [15]. Darüber hinaus muss bedacht werden, dass die Pleuraergüsse, für die wir einen Einfluss
auf die mMRC-Skala nachweisen konnten, auch als zumindest suspekt-maligne gewertet
werden und damit in das Stadium der Tumorausbreitung einbezogen werden müssen. In
unserer Arbeit wurde nicht in allen Fällen eine zytologische Sicherung diesbezüglich
unternommen.
Wir konnten jedoch deutlich zeigen, dass Begleitfaktoren wie starke Schmerzen ebenso
wie das Vorliegen von Komorbiditäten einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung
von Luftnot haben und dies insbesondere in der Phase der Erstdiagnose ursächlich überwiegen
könnte. In dem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass zwar lungenfunktionell bei einem
großen Anteil der Patienten (n = 34, 65,4 %) insbesondere obstruktive Ventilationsstörungen
nachweisbar waren, während jedoch nur 20 Patienten (38,5 %) angaben, an COPD erkrankt
zu sein. Dementsprechend erhielten die nicht diagnostizierten Patienten auch keine
leitliniengerechte Therapie. Aus internationalen Registern wissen wir, dass die Unterdiagnose
von COPD ein weltweites Problem ist [16]. Bei Lungenkrebspatienten ist aufgrund der häufigen Raucheranamnese der Anteil von
COPD-Patienten noch deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Auch hierzu vorliegende
Beobachtungsdaten ermittelten einen Anteil von über 50 % der Lungenkrebspatienten
mit COPD-Komorbidität. In einer 2018 von Yi et al. publizierten großen retrospektiven
Registeranalyse lag der Anteil von COPD-Patienten bei Lungenkrebspatienten im Stadium
III und iV bei 50,5 %, auch in dieser Arbeit ließ sich bereits ein Einfluss auf die
Häufigkeit von dyspnoeischen Beschwerden durch obstruktive Lungenerkrankung nachweisen
[17]. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer adäquaten Abklärung von pulmonalen
Begleiterkrankungen bei Erstdiagnose eines Lungenkarzinoms. Diese sollte eine lungenfunktionelle
Diagnostik beinhalten, um die Indikation für eine broncholytische Inhalationstherapie
frühzeitig zu stellen und dyspnoeische Beschwerden dadurch zu verbessern.
Möglicherweise wird die Etablierung eines Lungenkrebsscreenings für Risikopatienten
(insbesondere langjährige Raucher) zu einer frühzeitigeren Diagnose eines bis dahin
nicht festgestellten Lungenemphysems oder obstruktiver Ventilationsstörungen führen.
Ruparel et al. konnten im Rahmen einer Querschnittsanalyse einer Lungenkrebsscreeningstudie
für Risikopatienten bei 57 % lungenfunktionell eine Obstruktion, passend zu einer
COPD-Diagnose feststellen. Bei 67 % der gescreenten Patienten war die Diagnose bis
zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Bei einem Drittel dieser Patienten war bereits
ein manifestes Lungenemphysem nachweisbar [18].
Eine mögliche Limitation unserer Studie ist neben der relativ kleinen Patientenkohorte,
dass die psychische Belastung nur eindimensional mittels einer numerischen Ratingscala
erhoben werden konnte. Die Skala dient dem psychoonkologischen Screening und ist nicht
geeignet, die multidimensionalen, in die Lebensqualität eingreifenden Aspekte und
die einhergehenden Symptome, bedingt durch die Krebserkrankung, zu erfassen. Henoch
et al. konnten in einer prospektiven Arbeit bei 20 Patienten anhand semi-strukturierter
Interviews diese multidimensionale Bedeutung von Dyspnoe bei Lungenkarzinompatienten
erfassen [3]. Klinisch relevant, im Rahmen unserer Untersuchung jedoch nicht standardisiert erfasst,
ist die Frage, inwieweit die Dyspnoe Erstsymptom der Tumorerkrankung war.
Eine Follow-up-Erfassung der Symptomatik, insbesondere nach erfolgter Intervention
(wie Anpassung einer antiobstruktiven Therapie) fehlt in unserer Untersuchung. Eine
aktuelle Arbeit zu dieser Thematik ergab, dass offenbar eine Besserung der Symptomatik
nach medikamentöser Intervention nicht zwangsläufig erwartet werden kann. Gottlieb
et al. zeigten interessanterweise, dass die Lebensqualität bei Lungenkrebspatienten
mit COPD-Diagnose durch die Anpassung einer adäquaten broncholytischen Therapie nicht relevant beeinflusst wurde [19].
Zur Fragestellung der Bedeutung von Dyspnoe und dem Zusammenhang von Komorbidität
bei Lungenkarzinompatienten liegen uns in erster Linie Daten aus retrospektiven Registeranalysen
vor.
Wir konnten mit unserer Arbeit erstmals prospektive Daten zu dieser Fragestellung
liefern. Als weitere Stärke kann das homogene Patientenkollektiv, das wir untersucht
haben, angesehen werden.
Fazit und Ausblick
Dyspnoe ist bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ein klinisch relevantes Symptom
bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom. Insbesondere Begleiterkrankungen
wie COPD, aber auch kardiale Komorbidität und Begleitsymptome wie starker Schmerz
beeinflussen die Wahrnehmung des subjektiven Symptoms Dyspnoe relevant.
Eine standardisierte Erfassung des Leitsymptoms Luftnot sollte daher ebenso erfolgen
wie die strukturierte Abfrage von Begleitsymptomen und relevanten Vorerkrankungen.
Bei Nachweis obstruktiver Ventilationsstörungen sollte die Evaluation einer entsprechenden
anti-obstruktiven inhalativen Therapie nicht vergessen werden.
Die Entwicklung standardisierter Fragebögen und die Etablierung in Aufnahmeprotokollen
könnten in Zukunft helfen, einen Fokus auf das Symptom Luftnot zu entwickeln und die
Behandlung unter Berücksichtigung der genannten Faktoren zu optimieren.