Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89(04): 145-147
DOI: 10.1055/a-1344-8184
Editorial

Post-Stroke-Depression

Post-Stroke-Depression
Max Schmauß

Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien zeigt, dass die Post-Stroke-Depression als Komplikation des Schlaganfalls in nahezu 50 % der Fälle zu beobachten ist. 25 bis 35 % aller Patienten erkranken dabei bereits im ersten Jahr nach einem Schlaganfall an einer major depression. Nach ICD-11 und DSM-5 ist die „depressive Störung aufgrund eines anderen medizinischen Krankheitsfaktors“ definiert als eine depressive Verstimmung, Interessenverlust oder Freudlosigkeit mit Hinweisen aus körperlicher Untersuchung, Laboruntersuchungen oder technischen Untersuchungen, dass das Störungsbild eine direkte pathophysiologische Folge eines anderen medizinischen Krankheitsbildes ist. Für die häufigsten mit depressiven Störungen in Zusammenhang stehenden körperlichen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen, Epilepsie, multiple Sklerose oder ein Schlaganfall wird ein möglicher, direkter pathophysiologischer Zusammenhang diskutiert [1], In den letzten Jahren gibt es zunehmend Hinweise, dass Schlaganfallpatienten mit einer Depression eine höhere Mortalität zeigen [2]. Zum anderen stellt eine Depression in der Vorgeschichte selbst einen Risikofaktor für einen späteren Schlaganfall dar, sowohl hinsichtlich der Morbidität wie auch der Mortalität [3], [4]. Bei der multifaktoriellen Übertragung dieses Risikos spielen nicht nur psychologische Faktoren, sondern auch eine Reihe von neurobiologischen Faktoren eine entscheidende Rolle, die wiederum gemeinsam mit den allgemeinen Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen oder auch Diabetes mellitus geteilt werden [5].

Die Hypothesen zur Bedeutung der Lokalisation eines Schlaganfalls für die Entstehung einer Post-Stroke-Depression sind widersprüchlich. Einflussfaktoren auf die Entwicklung einer Post-Stroke-Depression sind vielfältig, wobei neben Lokalisation und Größe der zerebralen Schädigung sowie dem Ausmaß der körperlichen Behinderung auch das Lebensalter (jüngere Patienten entwickeln häufig eine Post-Stroke-Depression) von Bedeutung zu sein scheint. Weniger in der Akutphase als im Langzeitverlauf scheint das Ausmaß der durch den Schlaganfall verursachten neurologischen Defizite für das Depressionsrisiko wichtig zu sein, wobei hier aber Interaktionen mit anderen Faktoren, z. B. bestimmten Persönlichkeitszügen oder der verfügbaren psychosozialen Unterstützung in Betracht gezogen werden müssen [5]. Die Post-Stroke-Depression hat eine deutliche Assoziation mit einer schlechteren Erholung der kognitiven Leistungen der betroffenen Patienten, wobei der Zusammenhang von Depression und kognitivem Defizit in der wissenschaftlichen Literatur bidirektional diskutiert wird, einmal die Post-Stroke-Depression als Folge kognitiver Defizite, ein anderes Mal die kognitiven Defizite als Folge der Post-Stroke-Depression [6].

Zusammengefasst hat die Post-Stroke-Depression eine erhebliche sozialmedizinische Relevanz, da sie die Rehabilitation der betroffenen Patienten nachhaltig beeinträchtigt, die Reintegration in den Arbeitsprozess verzögert und zu erhöhten Versorgungskosten beiträgt [3].

In der Behandlung der Post-Stroke-Depression wurden vor allem psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungsansätze, medikamentöse Therapieoptionen und nichtinvasive Hirnstimulationsverfahren wissenschaftlich untersucht [7].

Die vorliegenden psychologischen und psychotherapeutischen Behandlungsansätze zeigen primär eine moderate Wirksamkeit für die kognitive Verhaltenstherapie [5], [7].

Die Wirksamkeit von Antidepressiva in der Behandlung der Post-Stroke-Depression wurde erstmals in einer Metaanalyse von Chen et al auf der Basis von 16 RCTS bei 1.320 Patienten vs. Placebo nachgewiesen [8]. Diese Ergebnisse wurden inzwischen mehrfach repliziert, so dass Antidepressiva als integraler Bestandteil in der Behandlung der Post-Stroke-Depression anzusehen sind [9], [10], [11]. Chen et al (2007) führten auch eine Metaanalyse zur Wirksamkeit von Antidepressiva in der Prophylaxe einer Depression bei nicht depressiven Schlaganfallpatienten durch (10 RCTS, 703 Patienten) und kamen zu dem Ergebnis, dass Antidepressiva das Risiko für das erstmalige Auftreten einer Post-Stroke-Depression deutlich reduzieren können [12].

Im Weiteren deuteten die Ergebnisse der sog. FLAME-Studie und einer Cochrane-Metaanalyse auf positive Effekte von SSRIs bei der Rehabilitation nach Schlaganfall auch bei nicht depressiven Patienten hin [13], [14]. Auf der Basis dieser positiven Ergebnisse verfassten Flaster et al (2013) und Cholett et al (2013) Reviews über den Nutzen einer prophylaktischen antidepressiven Behandlung in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten [15, 16). Zwei vor kurzem publizierte große randomisierte, placebo-kontrollierte Studien konnten jedoch keine positiven Effekte der SSRIs Citalopram bzw. Fluoxetin auf das Rehabilitationsergebnis bei nicht depressiven Patienten nach akutem Schlaganfall aufzeigen [17], [18]. In einer aktuellen Cochrane-Metaanalyse stellten Legg et al (2019) somit keine belastbare Evidenz für den routinemäßigen Einsatz von SSRI in der Schlaganfallrehabilitation fest [19].

Auf der Basis der vorliegenden Daten ist die Verordnung von Antidepressiva unabhängig vom Vorliegen einer depressiven Symptomatik zur Verbesserung des funktionellen Outcomes nach Schlaganfällen nicht eindeutig geklärt und ist somit kontrovers zu diskutieren.

Die Wirksamkeit einer antidepressiven Behandlung bei einer Post-Stroke-Depression ist wissenschaftlich jedoch eindeutig belegt. Diese Behandlung sollte möglichst frühzeitig und konsequent durchgeführt werden und eine adäquate Behandlungsdauer. wie auch eine adäquate Antidepressivadosis beinhalten. Aufgrund ihrer anticholinergen Wirkkomponente und der Gefahr kardialer Nebenwirkungen sind Trizyklika nur sehr zurückhaltend einzusetzen. Insgesamt spricht das günstige Nebenwirkungsprofil bei gesicherter Wirksamkeit für den Einsatz von SSRIs zur Behandlung Post-Stroke-Depression [7], [11], [12], falls keine speziellen Kontraindikationen vorliegen. Vorsicht ist bei Ko-Medikation mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern aufgrund eines möglicherweise erhöhten Blutungsrisikos geboten.

In den letzten Jahren wurden auch zunehmend neuromodulatorische bzw. nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren in der Behandlung der Post-Stroke-Depression wissenschaftlich untersucht. Bucur u. Papagno (2018) fassen die Datenlage zu diesen Behandlungsoptionen in einem Review übersichtlich zusammen [20].



Publication History

Article published online:
15 April 2021

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  • Literatur

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