Psychiatr Prax 2021; 48(02): 110
DOI: 10.1055/a-1347-3260
Mitteilungen BDK

Bericht aus dem Arbeitskreis Forensik

Jutta Muysers
LVR-Klinik Langenfeld
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    Der Arbeitskreis Forensik als Zusammenschluss der Chefärzte der forensischen Kliniken und Abteilungen innerhalb der Bundesdirektorenkonferenz hat sich, wie alle anderen, 2020 nicht wirklich treffen können. Langsam aber sicher macht sich nun deutlich bemerkbar, dass der regelmäßige persönliche Austausch auch zu scheinbar banalen alltäglichen Fragestellungen fehlt und sich alle sehnlichst eine Rückkehr in die Normalität auch dieser Veranstaltung wünschen. Denn die aktuellen Probleme und Fragestellungen im Maßregelvollzug haben natürlich nicht nachgelassen.

    Weiterhin zeichnen folgende Problemstellungen ab:

    1. Zunahme der Zuweisungen gemäß § 126a StPO

    Es gibt nahezu bundesweit eine deutliche Zunahme der Zuweisungen gemäß § 126a StPO und dies exponenziell.

    Dabei sind zwei klassische Fallkonstellationen erkennbar. Zum einen handelt es sich um in der Allgemeinpsychiatrie vorbehandelte Patienten, die nicht compliant in der Behandlung waren, teilweise obdachlos sind und nahezu immer comorbid Probleme mit Substanzkonsum haben. Diese Patienten begehen dann in der Regel BTM-assoziierte kleinere Delikte und werden in die Forensik eingewiesen.

    Zum anderen handelt es sich um bereits in U-Haft befindliche Klienten, die dort auffällig werden und dann ganz schnell „weg sollen“.

    Das Problem ist, dass es sich bei den begangenen Straftaten oft um Bagatelldelikte handelt. Bis allerdings ein juristischer Prozess der Abarbeitung und ggf. eine Entlassung solcher Patienten erfolgt, vergeht entsprechend Zeit.

    Unabhängig davon geraten die Kliniken durch diese vermehrten Zuweisungen in größte Probleme. Die Spitze des Eisberges war erkennbar in Berichten aus dem Maßregelvollzug in Berlin mit völliger Überbelegung, massiven Zwischenfällen und Angriffen auf das Personal und völlig demotivierten Mitarbeitenden (nachzulesen in der Zeit, nachzusehen in der Sendung Panorama).

    Solche Zustände befürchten mittlerweile viele überbelegte Kliniken, vor allem da es pandemiebedingt auch immer wieder zu Störungen des Entlassungsprozesses kommt, womit ein weiteres Problem angedeutet wurde.

    Rein fachlich ist ein Trend zu verzeichnen, dass insbesondere die psychosekranken Patienten sehr schwer erkrankt sind, eine lange Krankheitsgeschichte haben und fast alle zusätzliche Drogenprobleme haben. Dies führt dazu, dass die Behandlung schwierig und langwierig ist und sich noch erschwert durch häufig komplexe bürokratische Prozesse der Durchführung von Zwangsmaßnahmen, wenn sie denn notwendig sind.

    Auch wenn die Vorfälle in Berlin besonders schlimm erscheinen, gibt es überall zunehmende Probleme im klinischen Alltag mit solch oft sehr aggressiven Patienten. Viele Kliniken haben dauerisolierte Patienten und es gibt wenig suffiziente Strategien. Behandlungsstrategien bei Patienten, die sich dauerhaft in geschützten und gesicherten Räumlichkeiten aufhalten müssen, ist eines der zukünftig zu bearbeitenden Themen auf der Agenda des AK Forensik.

    2. Unterbringungen gemäß § 64 StGB

    Auch der Trend zunehmender Unterbringungsanordnungen im Bereich der Unterbringungen gemäß § 64 StGB ist ungebrochen.

    Zentrale Probleme sind weiterhin eine völlige Aufweichung des sogenannten Hangbegriffs, viele Fehleinweisungen aus Hoffnung auf schnellere Entlassungsmöglichkeiten und eine zunehmende Quote von Rückführungen in Haft, weil die ausreichende Behandlung gar nicht mehr gewährleistet werden kann.

    Weiterhin dringend notwendig wäre eine Reform des § 64 StGB mit dem Ziel, die Quote der behandelbaren Patienten in der Unterbringung deutlich zu erhöhen. Hierzu tagen aktuell wieder verschiedene Gremien mit Beteiligung von Mitarbeitenden des Arbeitskreises Forensik (DGPPN, Bund Länder AG). Diese Gremien sind sich einig darüber, dass inhaltlich gefordert werden muss, dass es eine Orientierung an einer sicher gestellten Diagnose einer Suchterkrankung geben muss, der Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der Tat geschärft dargestellt und die Möglichkeit einer schnellen Entlassung geändert werden muss. Weitergehende Forderungen beschäftigen sich mit der besseren Überprüfung der Erfolgsaussichten und der Indikation für eine Behandlung im Maßregelvollzug.

    Für 2021 plant der Arbeitskreis Forensik zumindest eine Videokonferenz im Frühjahr und hofft auf ein Treffen im November 2021 in Rostock.


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    Korrespondenzadresse

    Jutta Muysers
    LVR-Klinik Langenfeld
    Kölner Straße 82
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    Publication History

    Article published online:
    02 March 2021

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