(Quelle: Kirsten Oborny/Thieme Gruppe)
Das Management von Notfällen und akuten Krankheitsverläufen gehört in der Exotensprechstunde
nach wie vor zum Alltag. Auf der einen Seite ist der Vogel als Beutetier Meister im
Verstecken von Krankheitssymptomen und zeigt klinische Symptome erst im weit fortgeschrittenen Krankheitsverlauf
[1]. Auf der anderen Seite spielt die Präventivmedizin in den meisten Exotenpraxen/Kliniken
noch eine weniger bedeutende Rolle ([Abb. 1]). Dabei wären einige Krankheitsursachen durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen,
entsprechendes Haltungs- und Fütterungsmanagement sowie adäquate Beschäftigung und
Training zu vermeiden. Eine gute Besitzerkommunikation und Compliance ist daher auch
in der Notfallmedizin wichtig, um zumindest in der eigenen Klientel ein Umdenken zu
bewirken.
Abb. 1 Manche „Notfälle“ könnten bei regelmäßiger Allgemeinuntersuchung und Beratung im
Vorfeld verhindert werden. a Eingewachsener Fußring bei einer Amazone. b Hochgradige Manifestation von Räudemilben bei einem Wellensittich mit bereits übermäßig
lang gewachsenem Oberschnabel.(Quelle: Cornelia Konicek)
Die Versorgung von einem Vogel-Notfall ist alleine aufgrund der Größe der Patienten,
der unterschiedlichen Spezies mit ihren jeweiligen anatomischen und physiologischen
Besonderheiten und der wenig vorhandenen evidenzbasierten Therapieempfehlungen eine
Herausforderung. Dazu kommt, dass ein kranker Vogel den Transportstress und das Handling
schlechter aushält als ein gesunder Artgenosse. Alleine die klinische Untersuchung
bzw. das Handling können seinen Zustand akut verschlimmern und sogar zum Tod führen
([Abb. 2]) [2].
Abb. 2 Vögel mit sehr schlechtem Allgemeinzustand, die kaum mehr Abwehrbewegungen zeigen,
sollten so schnell und vorsichtig wie möglich untersucht werden. Ist der Allgemeinzustand
bereits so stark vermindert, kann jeder weitere Stress zum vorzeitigen Tod führen.(Quelle:
Cornelia Konicek)
Prinzipien der Notfallversorgung
Prinzipien der Notfallversorgung
Wie in jeder Notfallsituation hat das ABC-Schema (Airways, Breathing, Circulation) Vorrang, bevor klinische Untersuchungen und Therapien angewendet werden
können. Die Stabilisierung des Patienten hat oberste Priorität. Auch wenn einige diagnostische Tests eine bessere Einschätzung der Situation ermöglichen,
kann es auch schnell zu viel werden. Wichtig ist ein rasches Einschätzen der Situation
und so viel Stress, Schmerzen und Unwohlsein wie möglich zu vermeiden, was Erfahrung
sowie ein schnelles und effizientes Arbeiten erfordert.
Hyperoxygenierung ist ebenso schädlich wie Sauerstoffmangel
Wichtig ist eine erste Beurteilung von Atemfrequenz, -qualität und -tiefe. Lunge und
Luftsäcke können gut auskultiert werden. Knackende, feuchte, giemende Atemgeräusche
sind auch beim Vogel pathologisch.
Schwer kranke Vögel werden sehr häufig zunächst mit Sauerstoff versorgt, was ihren Zustand oft verbessert und stabilisiert. Wissenschaftliche Daten
dazu fehlen aber. Eine Hyperoxygenierung kann aber ebenso schädlich sein wie ein Sauerstoffmangel,
das sollte im Hinterkopf behalten werden [3].
Merke
Bei Vögeln mit Atemproblemen und Zyanose sollte Sauerstoff verabreicht werden.
Wenn der Patient selbstständig atmet und ansprechbar ist, kann Sauerstoff direkt über
eine Maske zugeführt werden, sofern das ohne großen Stress von dem Vogel toleriert wird. In
den meisten Fällen ist es aber besser, ihn in eine sauerstoffreiche Umgebung zu setzen (Sauerstoffbox oder Sauerstoffkäfig). Dafür kann eine einfache Plastikbox
mit Sauerstoff angereichert werden und der Vogel dort hineingesetzt werden ([Abb. 3]).
Abb. 3 Plastikboxen mit Luftlöchern können im Notfall mit Sauerstoff angereichert werden
und damit als „Sauerstoffboxen“ fungieren. Weich ausgepolstert eignen sich die Boxen
auch gut für Vögel mit Krampfanfällen.(Quelle: Cornelia Konicek)
Bei Atemstillstand muss sofort intubiert und beatmet werden
Intubation
Die Glottis liegt beim Vogel direkt hinter dem Zungengrund ([Abb. 4]). Es gibt keine Epiglottis, was die Intubation leichter macht. Schwieriger ist es
bei kleinen Papageienarten aufgrund der voluminösen Zunge und der kleinen Schnabelöffnung.
Am leichtesten ist es, wenn man die Zunge mit einer atraumatischen Pinzette nach vorne
zieht, dann findet man sehr schnell die dahinterliegende Öffnung zur Trachea. Achtung,
die meisten Arten haben geschlossene Trachealspangen, daher dürfen nur Tuben ohne Cuff verwendet werden bzw. die Tuben nicht gecufft werden, da sonst schwerwiegende Schäden
an der Trachea entstehen können.
Abb. 4 Die Glottis liegt beim Vogel direkt hinter dem Zungengrund, es gibt keine Epiglottis
und keine Stimmbänder.(Quelle: Cornelia Konicek)
Katheterisierung des Luftsacksystems
Das Luftsacksystem ([Abb. 5]) der Vögel macht es möglich, die oberen Atemwege zu übergehen. Dazu kann ein Katheter
in den kaudalen abdominalen oder kaudalen thorakalen Luftsack gesetzt werden. Dieser
Eingriff ist vor allem bei Obstruktionen der oberen Atemwege lebensrettend, kann aber
auch bei kleinen Vogelarten zum Erhalt der Luftzirkulation eingesetzt werden, wenn
eine Intubation aufgrund der Größe nicht möglich ist.
Abb. 5 Schematische Abbildung der Lunge und Luftsäcke. Aufgrund des permanenten Gasaustauschs
bei Inspiration und Exspiration können Vögel über einen Zugang in die hinteren Luftsäcke
gut mit Sauerstoff versorgt und auch beatmet werden.(Quelle: Cornelia Konicek)
Dafür wird der Vogel bevorzugt in die rechte Seitenlage gebracht. Die Haut hinter
der letzten Rippe und vor der Oberschenkelmuskulatur wird aseptisch vorbereitet ([Abb. 6]). Nach einem Hautschnitt mit einem Skalpell oder einer Injektionsnadel erfolgt ein
stumpfer Zugang mit einer schmalen Péan-Klemme in die Leibeshöhle. Über den Zugang
kann dann ein Katheter, der in etwa denselben Durchmesser wie die Trachea hat, in
den kaudalen Luftsack eingesetzt werden. Der Katheter wird auf eine Länge gekürzt,
die angenehm für den Vogel erscheint und wie ein Harnkatheter an der Haut fixiert.
Über den Katheter kann direkt Sauerstoff eingeleitet werden, und der Vogel kann auch
manuell beatmet werden. Bei sehr kleinen Patienten ist es am schnellsten und effektivsten,
einen Venenkatheter in den Luftsack zu setzen (20 – 24 G) [4].
Abb. 6 a Zugang für einen Luftsackkatheter (rote Markierung: letzte Rippe, Stern: Knie) bei
einem Nymphensittich (Nymphicus hollandicus). Beim Setzen des Katheters muss die Hinterextremität
nach kaudal gezogen werden, da sonst der Oberschenkel und die Muskulatur den Zugang
versperren. b Ein mit „Chinese-finger-trap“-Naht fixierter Luftsackkatheter bei einem Amboina-Königssittich
(Alisterus amboinensis) mit Aspergillose.(Quelle: Cornelia Konicek)
Cave
Achtung, Haut und Körperwand sind beim Vogel nur wenige Millimeter dick. Eine iatrogene
Verletzung von inneren Organen mit dem Stilett ist bei einer Katheterisierung des
Luftsacksystems möglich.
Sobald man den Venenkatheter in den Luftsack eingebracht hat, kann man das Stilett
ziehen und den Zugang fixieren.
Der richtige Sitz kann adspektorisch gut beurteilt werden, die ausströmende warme
Luft beschlägt den Katheter. Man bemerkt zudem bei manueller Ventilation schnell,
ob Luftsäcke und Lunge oder nur die Haut ventiliert werden. Ebenso kann der korrekte
Sitz mittels Kapnografen durch die Messung des exspiratorischen CO2-Werts kontrolliert werden. Es gibt keine genauen Daten zur notwendigen Zirkulationsrate.
Empfehlungen gehen je nach Größe von 10 – 50 Atemzügen/Minute aus.
Eine zügige kardiopulmonale Reanimation ist erforderlich
Für die Beurteilung des Kreislaufs ist es hilfreich, die Schleimhautfarbe der Konjunktiven,
wenn einsehbar der Schnabelhöhle und der Kloake zu beurteilen.
Bei verminderter Durchblutung zeigen die Tiere:
Bei einem kompletten Herz-Kreislauf-Stillstand kann eine kardiopulmonale Wiederbelebung versucht werden. Die Erfolgsrate ist allerdings
gering. Eine reale Chance hat man nur bei sehr raschem Eingreifen, daher sollten ein Notfallset, Medikamente und ein Flowchart (Kasten) mit Dosierungen
immer greifbar sein.
Sobald der Vogel beatmet wird, kann bei komplettem Herzstillstand eine Brustkorbmassage durchgeführt werden, wobei 60 – 120 Kompressionen/Minute empfohlen werden. Da das
Herz aber komplett von Rippen und Sternum eingeschlossen ist, ist es fraglich, ob
eine Herzmassage durch Druck auf den Brustkorb beim Vogel auch wirklich möglich ist.
Medikamentell kann bei Asystolie Epinephrin (Adrenalin) intrakardial gegeben werden; endotracheal oder intravenös sowie intraossär
ist ebenfalls möglich.
Merke
Bei manueller Brustkorbmassage ist die intrakardiale Applikation der Medikamente aufgrund
der fraglichen peripheren Durchblutung zu bevorzugen.
Notfallplan
Notfallplan für Vögel mit Atemstillstand/Herz-Kreislauf-Stillstand nach Lichtenberger
und Lennox [1], [5]:
Atemstillstand:
-
wenn unter Narkose: Narkosegas stoppen/Medikamente antagonisieren
-
setzen eines Endotrachealtubus und beatmen mit 100% Sauerstoff
-
bei Obstruktion der oberen Atemwege oder sehr kleinen Patienten: setzen eines Luftsackkatheters
-
Doxapram 1 – 2 mg/kg i. m./i. v./i. o.
Bradykardie: Atropin 0,02 mg/kg i. v./i. o.
Herz-Kreislauf-Stillstand:
-
Herzmassage 60 – 120/min (Effektivität ist fraglich)
-
Epinephrin (Adrenalin) 0,01 mg/kg i. v./i. o.; 0,02 mg/kg endotracheal
Flüssigkeitsverluste über intravenösen oder intraossären Zugang ausgleichen
Kontrolle der inneren Körpertemperatur – bei Bedarf korrigieren
Diagnostik einleiten
Grundursache behandeln
Aufarbeitung eines Falles
Aufarbeitung eines Falles
Gezielte Anamnese und Adspektion bei stabilen Patienten
Wenn Atmung und Kreislauf soweit stabil erscheinen, sollte eine gezielte Anamnese
erhoben werden.
Wurde kein offensichtliches Trauma (Anflugtrauma, Bissverletzung etc.) beobachtet,
sollten zunächst wichtige anamnestische Daten erfragt werden:
Tab. 1 Häufig vorgestellte Vogelarten, ihre Lebenserwartung in Gefangenschaft sowie ihr
durchschnittliches Körpergewicht.
Vogelart
|
Lebenserwartung (Jahre)
|
durchschnittliches Gewicht (Gramm)
|
Kanarienvogel
|
6 – 10
|
20
|
Wellensittich
|
5 – 10
|
38
|
Nymphensittich
|
10 – 25
|
90
|
Graupapagei
|
40 – 60
|
410
|
Gelbbrustara
|
30 – 40
|
1 000
|
-
Geschlecht inklusive Reproduktionsstatus (v. a. bei weiblichen Tieren)
-
Neuzugänge im Bestand/Kontakt mit Artgenossen
-
vorherige Erkrankungen bei diesem Patienten bzw. im Bestand
-
kurze Beschreibung der Haltung und Fütterung
-
Frage nach Freiflug
-
Aufnahme von Fremdmaterial möglich? (v. a. metallene Gegenstände, verzinkte Gitter,
Glöckchen, Schmuck, Lampen, Batterien, Vorhangbeschwerer)
-
Exposition zu reizenden Dämpfen wie Rauch, Raumdüfte, Desinfektionsmittel, Teflondämpfe,
Backrohrdämpfe oder Tabakrauch möglich?
-
Letzte Futteraufnahme?
-
Normaler Harn- und Kotabsatz ([Abb. 7])? Wurden Veränderungen beobachtet?
Abb. 7 Die adspektorische Beurteilung von Kot und Harn kann bereits sehr aufschlussreich
sein. a Dieser Kot eines Wellensittichs ist voluminös und weiß verfärbt, was typisch für
eine Pankreasinsuffizienz ist. b Dieser Vogel scheidet hochgradig unverdaute Körner aus. Es sollte genau untersucht
werden, ob die Körner wirklich mit dem Kot ausgeschieden wurden oder im Nachhinein
auf den Kot gefallen sein könnten. c Dieser Nymphensittich (Nymphicus hollandicus) hat eine stark gelb verfärbte Harnsäure,
was Hinweise auf eine Lebererkrankung geben kann. d Diese Doppelgelbkopfamazone (Amazona oratrix) scheidet blutigen Harn aus. In diesem
Fall war eine Zinkintoxikation die Ursache.(Quelle: Cornelia Konicek)
Stabile Vögel sollten in ihrem Käfig zunächst aus einiger Entfernung untersucht werden:
-
Reaktion auf die fremde Umgebung: Sitzt der Vogel auf der Stange oder auf dem Boden?
-
Atemfrequenz/Hinweise auf Atemnot (Schwanzatmung, abgespreizte Flügel, Atmung mit
offenem Schnabel/Atemgeräusche, Backenblasen): Schon die Atemfrequenz kann erste Hinweise
geben. Vögel mit weitgestelltem Stand, abgestreckten Flügeln und sehr tiefen Atemzügen
haben oft Erkrankungen der kleinen Atemwege. Hingegen können kurze oberflächliche
Atemzüge oftmals bei Raumforderungen der Leibeshöhle (Flüssigkeitsansammlungen, Tumore,
Eier etc.) auftreten.
-
Zeigt der Patient neurologische Symptome wie Opisthotonus, im Kreis laufen, Tremor,
Krämpfe oder ungewöhnliche Vokalisation?
-
Zudem sollte die Umgebung abgesucht werden: Gibt es Hinweise auf Erbrochenes, Kot-
und Harnveränderungen? Wurden Kot und Harn überhaupt abgesetzt?
Eine priorisierte klinische Untersuchung ist erforderlich
Die klinische Untersuchung von Notfallpatienten muss schnell und nach Prioritäten
erfolgen. Mithilfe der Anamnese und der Adspektion kann in den meisten Fällen bereits
abgeschätzt werden, welche Maßnahmen/Diagnostik in diesem Fall wichtig und möglich
wären und welche Medikamente der Patient brauchen könnte. Das reduziert die Zeit des
notwendigen Handlings und erhöht damit die Überlebenschancen. In jedem Fall sollten
bereits alle notwendigen Utensilien
[6] und Medikamente sowie eine angewärmte Infusion vorbereitet werden. Wichtig sind Sauerstoff, hochprozentige Glukoselösung oder Traubenzuckerlösung
zur oralen Eingabe sowie entsprechende Notfallmedikamente ([Tab. 2]).
Tab. 2 Wichtige Notfallmedikamente mit Dosierungsvorschlägen [2], [7].
Wirkstoff
|
Dosis
|
Indikation
|
Anmerkungen
|
Atipamazol
|
0,1 – 0,2 mg/kg i. m./i. v.
|
α2-Adrenozeptor-Antagonist
|
–
|
Flumazenil
|
0,02 – 0,05 mg/kg i. m./i. v.
0,05 – 0,25 mg/kg intranasal
|
Benzodiazepin-Antagonist
|
–
|
Atropin
|
0,02 – 0,5 mg/kg i. m./i. v./i. o./endotracheal/intrakardial
|
Bradykardie, kardiopulmonale Reanimation
|
–
|
Doxapram
|
1 – 20 mg/kg i. m./i. v./i. o./endotracheal/intrakardial
|
Atemstillstand, kardiopulmonale Reanimation
|
Wirkung fraglich
|
Epinephrin (Adrenalin) (1 : 1000)
|
0,5 – 1 ml/kg i. m./i. v./i. o./endotracheal/intrakardial
|
Bradykardie, kardiopulmonale Reanimation
|
–
|
Infusionen
|
10 – 25 ml/kg i. v./i. o./als Bolus über 5 – 7 Minuten
Erhaltungsbedarf: 50 – 90 ml/kg/Tag s. c./i. m./i. v./i. o.
|
Dehydratation, Hypovolämie
|
–
|
Hetastarch (HES)
|
10 – 15 ml/kg langsam i. v./i. o. alle 8 Stunden
|
Hypoproteinämie, Hypovolämie
|
1 – 4 Anwendungen
|
Mannitol
|
0,2 – 2 mg/kg langsam i. v./i. o.
|
Hirnödem
|
nicht bei Hirnblutungen
|
Kalziumglukonat
|
50 – 100 mg/kg i. m./langsam i. v.
|
Hypokalzämie, Hyperkaliämie
|
verdünnt auf maximal 50 mg/ml anwenden
|
Magnesiumsulfat
|
20 mg/kg einmalig i. m.
|
Hypomagnesiämie
|
v. a. bei Graupapageien
|
Terbutalin
|
0,01 mg/kg p. o./i. m. alle 6 Stunden
|
Psittaziden; α2-selektiver Bronchodilatator
|
–
|
0,1 mg/kg p. o. alle 12 – 24 Stunden
|
Aras, Amazonen; Bronchodilatator; Pneumonie, obstruktive pulmonale Erkrankungen
|
Um die Aufregung beim Einfangen des Patienten zu minimieren, kann es hilfreich sein,
den Raum etwas abzudunkeln. Bei Vögeln, die während des Handlings sehr gestresst erscheinen, empfiehlt sich eine leichte Sedierung mit Midazolam (0,25 – 0,5 mg/kg)
und Butorphanol (1 – 2 mg/kg) i. m. [5].
Vögel, die sehr schwach erscheinen, sollten zunächst weiter stabilisiert werden. Oftmals hilft zunächst eine
warme subkutane Infusion (bei sehr schwachen Tieren kann selbst das Legen von intravenösen
Zugängen oder intraossären Kathetern zu invasiv sein und zum Tod führen). Zusätzlich
kann Glukoselösung oral verabreicht sowie Sauerstoff in den Käfig eingeleitet bzw.
der Vogel in eine Sauerstoffbox umgesetzt werden. Danach sollte man den Patienten
an einem ruhigen, abgedunkelten und warmen Ort zur Ruhe kommen lassen. Ungeeignet
ist ein hochfrequentierter Raum oder eine Station mit Katzen und Hunden. Nach etwa
1 Stunde kann dann ein neuer Versuch gestartet werden, den Vogel genauer zu untersuchen.
Die klinische Untersuchung in Etappen kann empfehlenswert sein
Bei der klinischen Untersuchung sollte in allen Fällen der Ernährungszustand (Palpation der Brustmuskulatur) beurteilt werden, eine Palpation der Leibeshöhle erfolgen sowie der Füllungszustand des Kropfes untersucht werden. Die Leibeshöhle ist in der Regel schmal. Meist kann nur die Unterseite
des Muskelmagens ertastet werden. Der Kropf kann leer oder mit Futter gefüllt sein.
Zu den möglichen tastbaren Abweichungen der Leibeshöhle zählen:
Zu den pathologischen Veränderungen des Kropfes gehören:
Wenn der Vogel weiterhin stabil genug erscheint, sollte eine genaue klinische Untersuchung
durchgeführt werden. Dazu gehört unter anderem der Hydrierungsstatus, der leider klinisch nicht so gut evaluierbar wie bei Kleintieren ist.
Zeichen einer starken Dehydration sind:
Zusätzlich sollten noch die Nasenlöcher, soweit einsehbar die Schnabelhöhle inklusive der Choanenspalte, die Kloakenumgebung und die Haut (besonders unter den Flügeln) untersucht werden.
Auskultatorisch kann es Hinweise auf Lungen- oder Herzerkrankungen geben. Herzgeräusche, Unregelmäßigkeiten,
erhöhte oder verringerte Herzrate, pathologische (giemende/knackende/feuchte) Atemgeräusche
sind als pathologisch zu beurteilen.
Bei zentralnervösen Symptomen oder vorberichtlichem Schädel-Hirn-Trauma sollte auch
immer eine neurologische Untersuchung inklusive Kopfnervenbeurteilung und Augenhintergrund erfolgen. Während des Handlings
der Patienten sollte man darauf achten, ob sich ihr Zustand rasch verschlechtert.
Treten plötzlich verstärkte Atemnot oder Krämpfe auf oder wird der Vogel immer weniger
wehrhaft, muss die Untersuchung sofort abgebrochen bzw. pausiert werden. Wenn notwendig,
müssen die Untersuchungsschritte und Probennahmen in Etappen durchgeführt werden.
Stabilisierung und Erstversorgung des Patienten
Stabilisierung und Erstversorgung des Patienten
Die Flüssigkeitstherapie richtet sich nach dem Grad der Dehydratation
Bei Vögeln mit klinischen Symptomen einer Hypoperfusion oder hypovolämischem Schock
ist eine Flüssigkeitssubstitution notwendig ([Tab. 3]).
Tab. 3 Möglichkeiten zur klinischen Abschätzung des Dehydratationsgrads mit Empfehlungen
zur Flüssigkeitssubstitution nach Riley und Barron [9].
Dehydratationslevel
|
Klinik
|
Flüssigkeitssubstitution
|
5 – 10%
|
-
verminderte Hautelastizität
-
verzögerte Kapillarfüllungszeit
-
gering klebrige Schleimhäute
|
|
> 10%
|
|
|
Intravenöse Katheter können in die Flügelvenen ([Abb. 8]), die mediale Metatarsalvene oder auch in die Jugularvene gesetzt werden. Alternativ
kann ein intraossärer Zugang in den proximalen Tibiotarsus, in die distale oder proximale Ulna gesetzt werden.
Abb. 8 Aufzweigung der V. brachialis in die V. ulnaris/V. basilica und V. radialis. Diese
Gefäße eignen sich zur Blutprobenentnahme sowie für intravenöse Zugänge bei Vögeln
ab ca. 100 g Körpergewicht.(Quelle: Cornelia Konicek)
Cave
Achtung, keine Flüssigkeitsgabe in die Humeri oder Femora, da diese pneumatisiert
und somit mit dem Respirationstrakt verbunden sind.
Man muss beachten, dass intraossäre Infusionen auch für den Vogel unangenehm schmerzhaft
sein können, wie es in der Humanmedizin beschrieben ist. Bei intraossären Zugängen
kann eine möglichst langsame Infusionsrate hilfreich sein, um es weniger unangenehm zu machen. Zusätzlich sollte beim Setzen
des Zugangs die Applikationsstelle lokal mit Lidocain betäubt werden. Der Vogel kann, falls er bei Bewusstsein ist, in eine kurze Narkose
gelegt werden.
Bei sehr schwachen Tieren ist eine erste subkutane Flüssigkeitssubstitution (50 – 100 ml/kg, [Abb. 9]) sinnvoll, bevorzugt in die Inguinalregion.
Abb. 9 Eine gute Stelle für subkutane Infusionen ist die Inguinalregion bzw. die Kniefalte.
Der Bereich ist bei einem Wellensittich (Melopsittacus undulatus) durch Anfeuchtung
mit einem Desinfektionsmittel freigelegt.(Quelle: Cornelia Konicek)
Die Katheter müssen immer gut mit Tape fixiert und/oder an die Haut genäht werden. Bitte nur „hautfreundliches“ Tape benutzen, da
bei Abnahme sonst Feder und Haut verletzt werden können. Bei Kathetern, die in den
Flügel gesetzt werden, sollte der ganze Flügel mit einem Achterverband ruhiggestellt
werden. Je nach Art und Allgemeinzustand können weitere Sicherungsmaßnahmen wie ein
Halskragen ([Abb. 10]) und ein entsprechender Schutz um den Infusionsschlauch (feste Plastikschläuche,
z. B. Aquarienschläuche durch die die Infusionsleitung gezogen wird) notwendig sein.
Abb. 10 Nicht alle Patienten akzeptieren ihre Zugänge und Verbände. Bei manchen muss zusätzlich
ein Halskragen angelegt werden.(Quelle: Cornelia Konicek)
Cave
Ein Vogel mit intravenösem Zugang sollte nie längere Zeit unbeaufsichtigt bleiben,
da es beim Rausreißen des Zugangs zu fatalen Blutungen kommen kann.
Welche Infusionslösungen bieten sich an?
Bei hypovolämischem Schock hat sich die Gabe von kolloidaler Flüssigkeit (z. B. Hetastarch®) bewährt. Dabei sind 10 ml/kg als Boli über 10 Minuten empfehlenswert, die so oft
wiederholt werden können, bis sich der Patient stabilisiert hat. Ebenso können kristalloide
Lösungen verwendet werden (30 – 60 ml/kg über 1 Stunde). Dabei gilt es, immer gut
auf mögliche Symptome einer Hyperperfusion bzw. Paravasation zu achten. Wenn sich die Symptome der Hypoperfusion gebessert haben, kann auf eine
Erhaltungsrate von 10 ml/kg/h umgestellt werden.
Kristalloide Lösungen eignen sich gut als Rehydratationslösungen (50 ml/kg/d über 12 – 24 Stunden; bei Herz-Lungen-Erkrankungen über 24 – 36 Stunden).
Vögel tolerieren Blutverluste besser als Säugetiere
Obwohl Vögel akute und chronische Blutverluste besser tolerieren, gibt es Indikationen,
in denen eine Bluttransfusion eine lebensrettende Maßnahme sein kann. Idealerweise sollte es Blut von derselben Spezies sein. Fremdspezies sind
möglich, allerdings mit einer deutlich verkürzten Lebensdauer der Erythrozyten. Idealerweise
sollte vor Transfusion eine Cross-Matching-Probe durchgeführt werden. Da Vögel aber keine vorgebildeten Antikörper für Blutgruppen
aufweisen, ist die 1. heterogene Transfusion sicher [10].
Indikationen sind:
-
starker Blutverlust (> 20% des Blutvolumens)
-
Hypoproteinämie
-
Perfusionsdefizite
-
Patienten mit chronischer Anämie, die operiert werden müssen
Kontraindikationen sind:
-
Normovolämie
-
Dehydratation
-
geringe bis mittelschwere chronische Anämie
-
Anämie in Kombination mit Dehydratation
-
Anämie in Kombination mit Hypoproteinämie
Blutdruckmessungen sind auch beim Vogel möglich
Nicht invasive Messungen sind an der Flügelvene (V. basilica) und der medialen Metatarsalvene
(V. metatarsalis superficialis plantaris) möglich. Allerdings weisen vergleichende
Studien mit invasiver Blutdruckmessung deutliche Messunterschiede auf, daher sind
die nicht invasiven Blutdruckmessungen mit großer Vorsicht zu interpretieren [11].
Vögel kühlen rasch aus
Vor allem bei kleinen Patienten ist es sehr wichtig, auf die Umgebungstemperatur zu
achten, da sie aufgrund der großen Körperoberfläche rasch auskühlen. Inkubatoren eignen sich zur Wärmetherapie generell besser als Wärmematten oder Wärmelampen. Wenn
Wärmematten oder -lampen verwendet werden, muss der Vogel immer die Möglichkeit haben,
der Wärmequelle auszuweichen. Für die meisten Arten sind Temperaturen zwischen 29 – 32 °C
und eine Luftfeuchtigkeit von 50 – 60% empfehlenswert.
Nie auf einen vollen Kropf zwangsernähren
Anorektische Tiere oder Tiere, die trotz Futteraufnahme ihr Gewicht nicht halten können,
müssen zwangsernährt werden ([Abb. 11]). Das geht in der Regel leicht über eine Knopfkanüle, die in den Kropf eingeführt wird. Einige entsprechende Produkte sind bereits am
Markt für omnivore, carnivore und piscivore Spezies.
Abb. 11 Setzen einer Kropfsonde bei einem Wellensittich (Melopsittacus undulatus).(Quelle:
Cornelia Konicek)
Es gilt:
Wichtig ist, dass der Kropf sich vor der nächsten Fütterung immer entleert hat. Man
sollte nie auf einen vollen Kropf füttern. Die Zwangsfütterung sollte immer die letzte
therapeutische Maßnahme sein, bevor der Vogel wieder in seinen Käfig gesetzt wird,
um ein Regurgitieren zu vermeiden. Sollte der Vogel bereits während der Applikation
regurgitieren, sollte sofort abgebrochen werden und der Vogel zurück auf den Käfigboden
gesetzt werden, damit er den Brei nicht aspiriert und erstickt.
Welche Analgesie bietet sich an?
Ein gutes Schmerzmanagement sollte bei Vögeln immer Anwendung finden, sobald schmerzhafte
Verletzungen/Traumen bekannt sind, es klinische Zeichen gibt, die auf Schmerzen hinweisen
und natürlich, wenn operative Eingriffe vorgenommen werden müssen [12].
Bisher wurde eine stärkere Ausprägung von κ-Rezeptoren im Vergleich zu µ-Rezeptoren
nachgewiesen. Daher spielen κ-Rezeptoren-Agonisten aktuell eine bedeutendere Rolle
in der Schmerztherapie [13]. Butorphanol 1 mg/kg i. m. (0,5 – 2 mg/kg sind möglich) wird in den meisten Fällen empfohlen.
Die Wirkdauer ist allerdings kurz, man geht von einer Analgesie von etwa 4 Stunden
aus. Daher ist eine häufige Gabe notwendig ist. In Liposome gehülltes Butorphanol scheint vielversprechend eine längere
Wirkdauer zu haben. Kürzlich wurde aber gezeigt, dass es Differenzen bei der Genexpression
von µ- und κ-Rezeptor-Agonisten bei verschiedenen Arten und auch Geweben gibt [14], sodass µ-Rezeptor-Agonisten nicht generell außer Acht gelassen werden sollten.
Bei weniger starken Schmerzen kann auch Tramadol (5 – 50 mg/kg i. m./p. o. alle 12 Stunden) gegeben werden; bei Neuralgien auch Gabapentin (10 – 30 mg/kg p. o. alle 8 – 12 Stunden) [15]. Ebenso können nicht steroidale Antiphlogistika (NSAID) verabreicht werden. Vor
allem Meloxicam (1 mg/kg p. o./i. m./s. c. alle 12 Stunden) scheint sicher und wirksam. Vorsicht
sollte dennoch bei dehydrierten Patienten geboten sein. Ebenso sind einige andere
NSAID beschrieben und in Verwendung, jedoch mit unterschiedlicher Toxizität, je nach
Dosis und Spezies.
Kortikosteroide
Die Gabe von Kortikosteroiden beim Vogel ist sehr umstritten. Hauptindikation sind
Schädel-Hirn-Traumata, wobei das Trauma nicht länger als 24 Stunden zurückliegen sollte
und die Gabe maximal ein 2. Mal wiederholt werden soll. Einige Praxen/Kliniken raten
von der Kortikosteroid-Gabe komplett ab, da es keine wissenschaftlichen Daten gibt,
die die Anwendung unterstützen. Sicher ist jedoch, dass es zu einer starken Immunsuppression
kommt und sekundäre Infektionen begünstigt. Vor allem eine sekundär auftretende Schimmelpilzmykose
sollte im Hinterkopf behalten und die Tiere im Zweifelsfall prophylaktisch mit Antimykotika
behandelt werden [16].
Nach der Stabilisierung folgt die diagnostische Aufarbeitung
Nach der Stabilisierung folgt die diagnostische Aufarbeitung
Ist der Patient stabilisiert, können weitere therapeutische Maßnahmen sowie eine notwendige
Diagnostik durchgeführt werden.
Je nach Indikation und Stabilität des Patienten sind folgende Untersuchungen empfehlenswert
[1]:
-
Blutuntersuchung
-
zumindest Hämatologie, Hämatokrit, Leukozytenzahl
-
Blutchemie
-
bei Verdacht auf Schwermetallintoxikation: Plasmaspiegel Blei und Zink (evtl. Kupfer)
-
zytologische Untersuchungen
-
Kropfspülprobe/feuchter Kropfabstrich nativ, Kot nativ
-
gefärbte Abstriche von Rachen, Kropf, Kloake, Kot
-
mikrobiologische Untersuchungen
-
je nach Indikation Abstriche von Wunden, Nasenlöchern, Konjunktiven, Choane, Kropf,
Kloake, Kot
-
parasitologische Untersuchungen
-
Rachenabstriche
-
Kropfspülproben
-
Kot
-
bildgebende Diagnostik
Fazit
Für ein erfolgreiches Notfallmanagement beim Vogel ist eine rasche Einschätzung des
Allgemeinzustands wichtig. Man sollte schon vor dem ersten Handling einen ungefähren
Plan haben, welche Untersuchungen unmittelbar notwendig sind, damit auch alle erforderlichen
Utensilien und Medikamente zur ersten Kreislaufstabilisierung griffbereit sind. Die
direkte Untersuchung sollte möglichst ohne unnötigen Stress, Schmerz und so schnell
wie möglich erfolgen. Eine gute Besitzercompliance ist auch in der Exotenmedizin wichtig.
Vögel sind langjährige Familienmitglieder. Der Besitzer sollten daher im Vorfeld informiert
werden, wie kritisch der Zustand erscheint und dass jedes Handling zu einem vorzeitigen
Tod führen kann.