Psychiatr Prax 2021; 48(04): 173-174
DOI: 10.1055/a-1363-6708
Debatte: Pro & Kontra

Ehegattenvertretung bei Selbstbestimmungsunfähigkeit eines Partners – Pro

Spousal Representation in German Guardianship Law – Pro
Tobias Skuban-Eiseler
kbo-Isar-Amper-Klinikum – Region München, Akademisches Lehrkrankenhaus der LMU München
,
Peter Brieger
kbo-Isar-Amper-Klinikum – Region München, Akademisches Lehrkrankenhaus der LMU München
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Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.9.2020 zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wird erstmals ein Ehegattenvertretungsrecht eingeführt. Die DGPPN hatte im Vorfeld starke Bedenken im Hinblick auf psychisch kranke Menschen artikuliert (DGPPN 2020).

In der Neuformulierung des § 1358 BGB wird eine Ermächtigung von Ehegatten vorgesehen, im Falle der Selbstbestimmungsunfähigkeit des Partners im Sinne einer rechtlichen Vertretung zu Fragen der Gesundheitssorge Stellung zu beziehen.

Eine solche Regelung ist zwar nicht im engeren Sinne notwendig, aber sicher zumindest hilfreich. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus drei Punkten:

(1) Die in solchen Fällen aktuell notwendige (Eil-)Bestellung eines gesetzlichen Betreuers ist nicht selten mit Wartezeiten verbunden, während denen Entscheidungen nur im akuten Notfall getroffen werden können. Dies kann eine erhebliche Belastung sowohl für den erkrankten Partner als auch für den Ehegatten bedeuten. Jener muss unter Umständen in einer leidvoll erlebten Situation verharren, bis eine medizinische Entscheidung gefällt werden kann, dieser ist gezwungen, ohnmächtig dem Leid seines Partners gegenüberzustehen. Wäre der Ehegatte berechtigt, in solchen Fällen Entscheidungen zu treffen, könnten Behandlungsverzögerungen vermieden werden. Nicht selten erleben wir – z. B. im Bereich der Alterspsychiatrie –, dass Ehegatten fassungslos sind, wenn sie nicht für ihren Partner einspringen können, sondern zeitaufwendige Betreuungsverfahren abwarten müssen.

(2) Ein externer gesetzlicher Betreuer hat in der Regel deutlich weniger Einblick in die Lebensgeschichte und die Haltungen, Einstellungen und Wünsche des Patienten als dessen Ehegatte. Dieser verfügt für gewöhnlich über eine hohe Informationsdichte hinsichtlich des Patienten, sodass die durch ihn getroffenen Entscheidungen am ehesten den Willen des Patienten widerspiegeln sollten.

(3) Natürlich gibt es dysfunktionale Beziehungen, sowohl bei Menschen mit als auch bei solchen ohne psychische Erkrankung. Die Beziehungsqualität kann unter der psychischen Erkrankung eines Partners leiden [1]. Unterstellte man allerdings Partnerschaften, in denen ein Partner an einer psychischen Erkrankung leidet, generell eine „schlechtere“ Beziehung und führte dies als Argument gegen die hier diskutierte Ehegattenvertretung an, würde man die besondere Würde der Liebesbeziehung nicht ausreichend respektieren, die ihre äußere Form in der Ehe gefunden hat und Menschen mit psychischen Erkrankungen diesbezüglich stigmatisieren.

Darüber hinaus ist die Ehegattenvertretung aus mehreren Gründen auch als sinnvoll zu betrachten:

(1) Das Eingehen sowie das Aufrechterhalten einer Ehe kann auch als Hinweis darauf gesehen werden, dass sowohl diese Form der Beziehung als auch der Partner zumindest nicht unerwünscht sind. Dieser Wille des erkrankten Partners wird durch die Ehegattenvertretung respektiert. Umgekehrt wäre es als Nichtberücksichtigung der autonomen Entscheidung des erkrankten Partners zu seinem Ehepartner zu verstehen, würde der Ehegatte nicht als gesetzlicher Betreuer im hier diskutierten Sinne eingesetzt. Insofern wird durch die Ehegattenvertretung das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen nicht beschränkt, sondern die über die Zeit der Ehe immer wieder autonom gefällte Entscheidung gewürdigt.

(2) In der Debatte wird unseres Erachtens auch übersehen, dass die Liebesbeziehung, die in der Ehe ihre äußere Form gefunden hat, durch die Gesellschaft geschützt wird. Diese Form der Beziehung ist ob des Sich-zusprechens und -aufeinander-Einlassens sowie daneben bestehender wirtschaftlich-existenzieller Aspekte in besonderer Weise ausgezeichnet und qualifiziert die Partner in hohem Maße, füreinander auch in Zeiten von Erkrankung einzustehen. Die Ehegattenvertretung trägt damit nicht zuletzt der besonderen Würde einer Ehebeziehung Rechnung.

(3) Es trifft, wie in der Stellungnahme der DGPPN [2] erwähnt, zu, dass betreuende Angehörige mitunter darauf hingewiesen werden müssen, dass ihre Aufgabe darin besteht, in erster Linie die Interessen des Betreuten und nicht eigene Ziele und Wünsche zu berücksichtigen. Es trifft aber nicht zu, dass ein solches Problem nur bei betreuenden Angehörigen auftritt. Externe gesetzliche Betreuer sind in der Regel deutlich weniger über Wünsche und Interessen des Betreuten informiert, die dieser nicht zuletzt in privatem Umfeld kommuniziert hat. Insofern benötigen Angehörige möglicherweise eine besser etablierte Informationskultur, um ihren betreuerischen Aufgaben nachzukommen. Dass die Ehegatten eher ihre eigenen Wünsche ungeprüft auf den Betreuten übertragen, mag eine Gefahr sein, der aber unseres Erachtens v. a. durch Information und Begleitung der betreuenden Angehörigen abzuhelfen ist (andernfalls stünde dahinter ein nach unserer Erfahrung unangemessen misstrauisch-feindseliger Blick auf die Partner psychisch kranker Menschen). Diese Gefahr scheint nicht größer zu sein als jene, die sich daraus ergibt, dass gesetzliche Betreuer nicht selten in Unwissenheit in Bezug auf die Wünsche und Wertvorstellungen des Betreuten signifikante Entscheidungen für diesen zu treffen haben. Außerdem sind vertretende Ehegatten an dieselben Verpflichtungen wie ein gesetzlicher Betreuer gebunden.

(4) Schließlich ist dem Argument aus der Stellungnahme der DGPPN, durch die geplante Regelung werde die Patientenautonomie gefährdet, nicht zuzustimmen. Es käme einer patriarchalischen Haltung gleich, würde man davon ausgehen, die Bevölkerung würde sich bei Einführung einer solchen Regelung um Vorsorgevollmachten u. Ä. noch weniger kümmern als sie es jetzt schon tut, da der Eindruck entstünde, es wäre alles geregelt. Durch die geplante Regelung würde vielmehr eine Rechtssicherheit entstehen, die aktuell erst mit Verzögerung (Bestellung der Betreuung) zu erreichen ist. Die geringe Inanspruchnahme von Instrumenten wie Patientenverfügungen etc. muss separat von der geplanten Regelung in Augenschein genommen und durch bessere Informationsstrukturen kompensiert werden.

In der Diskussion um die Ehegattenvertretung sollte neben den angeführten Argumenten auch nicht übersehen werden, dass es sich gemäß geplantem Wortlaut von § 1358 lediglich um ein zeitlich befristetes (drei Monate, Verlängerung nicht möglich) Notvertretungsrecht für den Bereich der Gesundheitssorge handelt. Nicht zuletzt sind auch Kontrollmechanismen definiert, die einen Missbrauch verhindern sollen: So besteht das Vertretungsrecht nicht, wenn das Ehepaar getrennt lebt, der erkrankte Ehegatte der Vertretung widersprochen hat oder schon ein Betreuer bestellt wurde. Außerdem existieren in Österreich, Norwegen und der Schweiz bereits ähnliche rechtliche Instrumente, ohne dass sich nach unserer Kenntnis die von der DGPPN formulierten Bedenken bestätigt haben.

Insgesamt sprechen nach unserer Meinung einige Gründe für den hier diskutierten Gesetzesentwurf. Allerdings wären dringend Maßgaben zu diskutieren, wie Ehepartner über die besondere Verantwortung, die sie potenziell füreinander haben können, rechtzeitig und angemessen informiert werden können. Im Zuge einer solchen Information (etwa beim Schließen der Ehe) sollte dann auch eine Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich eines möglichen Widerspruchs erfolgen.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Tobias Skuban-Eiseler
kbo-Isar-Amper-Klinikum – Region München, Akademisches Lehrkrankenhaus der LMU München
Vockestraße 72
85540 Haar bei München
Deutschland   

Publication History

Article published online:
06 May 2021

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