Klinischer Fall
Aufgrund der vorliegenden Befunde ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:
Eine 88-jährige Patientin mit chronischer Niereninsuffizienz und Psoriasis vulgaris
wurde in einem Pflegeheim medizinisch durch ihre Hausärztin und eine Hautärztin versorgt.
Wegen einer psoriatrischen Intertrigo ([Abb. 1]) wurde von der Hautärztin eine Therapie mit Methotrexat 15,0 mg/Woche per injektionem
verordnet; Laborkontrollen sollten über die Hausärztin erfolgen. Eine Blutabnahme
durch die Hausärztin wurde vom Pflegedienst erst einen Monat später vereinbart; in
der Zwischenzeit erfolgte aber bereits die Beschaffung des Medikaments und die erste
Methotrexat-Injektion. 4 Tage später klagte die Patientin über Schmerzen in Mund und
Hals und es kam zu einer Verschlechterung der Hautveränderungen. Bei einem daraufhin
durchgeführten Hausbesuch der Hautärztin erfolgte wegen der Befundverschlechterung
des Hautbefundes die Einweisung in eine Hautklinik, die allerdings erst 5 Tage später
stattfand; zwischenzeitlich wurde durch den Pflegedienst die zweite Methotrexat-Injektion
gegeben.
Abb. 1 Psoriasis inversa (nicht vorliegendem Fall entsprechend).
Bei Aufnahme in der Hautklinik wurde aufgrund des Befundes einer erosiven Stomatitis
und Vulvitis, einer ausgeprägten Leukopenie und Thrombozytopenie und des Verdachtes
auf akutes Nierenversagen der Verdacht auf eine Methotrexat-Intoxikation geäußert
und die Patientin notfallmäßig in eine Klinik für Innere Medizin überwiesen. Aufgrund
des Patientinnenwunsches wurde von einer Dialyse und lebensverlängernden Maßnahmen
abgesehen; 6 Tage später verstarb die Patientin unter dem Bild eines Multiorganversagens.
Eine im Anschluss durchgeführte Sektion ergab als hinweisgebend für eine Intoxikation
mit Methotrexat multiple Schleimhautulzera im nahezu gesamten Magen-Darm-Trakt und
Zeichen der vorbestehenden chronischen Nierenleistungsstörung.
Medizinische und rechtliche Interpretation
Nach der S3-Leitlinie „Psoriasis“ [1] bestehen bei der Psoriasis vulgaris eine Vielzahl von topischen, lichttherapeutischen
und systemischen Therapieoptionen, die individuell in Abhängigkeit von der Schwere
des Befundes und der Lebensqualität, aber auch in Abhängigkeit von bei Patienten vorliegenden
Komorbiditäten und Kontraindikationen und Patientenpräferenzen auszuwählen sind. Im
Rahmen eines Europäischen Konsensus wurde die Definition von leichter Psoriasis mit
bestimmten Scores als BSA ≤ 10 und PASI ≤ 10 und DLQI ≤ 10 definiert, mittelschwere
bis schwere Psoriasis als (BSA > 10 oder PASI > 10) und DLQI > 10 definiert. Nach
der S3-Leitlinie kann Methotrexat zur Induktionstherapie bei mittelschwerer bis schwerer
Psoriasis vulgaris empfohlen werden [1].
Die Erstzulassung von Methotrexat für die Behandlung der Psoriasis vulgaris in Deutschland
erfolgte 1991. Es gibt viele verschiedene Anbieter, die das Medikament als Tabletten
oder Injektionslösung vertreiben. Die empfohlene Initialdosis beträgt 15 mg pro Woche,
die empfohlene Erhaltungsdosis 5–20 mg pro Woche in Abhängigkeit von der Wirkung;
im vorliegenden Fall entsprach zumindest die Initialdosis von 15 mg den Empfehlungen
der Fachinformation.
Zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Methotrexat gehören das Risiko für Leberfibrose
und Zirrhose, Myelosuppression, akute Pneumonitis bzw. eine Alveolitis und Lungenfibrose.
Eine Myelosuppression durch Methotrexat ist mehrfach beschrieben worden, insbesondere
bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Die akute Pneumonitis oder eine Alveolitis sind
sehr selten.
Absolute Gegenanzeigen einer Methotrexat-Therapie sind [1]:
-
aktueller Kinderwunsch (bei Frauen)
-
Schwangerschaft und Stillzeit
-
inadäquate Kontrazeption
-
bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff Methotrexat (z. B. Lungentoxizität)
-
schwere Lebererkrankungen
-
Niereninsuffizienz
-
aktive Tuberkulose oder andere schwere Infektionen
-
aktives Ulcus pepticum
-
hämatologische Veränderungen (Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anämie)
Bei der behandelten Patientin lag eine Niereninsuffizienz vor; eine Therapie mit Methotrexat
war daher kontraindiziert.
Entsprechend der Leitlinie und der Fachinformation sind Laborkontrollen bei der Methotrexat-Therapie
individualisiert vor der Behandlung, nach 1 Woche und nach 6 Wochen und danach alle
6–12 Wochen durchzuführen [1]. Die durchzuführenden Laborkontrollen umfassen mindestens:
-
Blutbild
-
ALAT, ASAT, γGT
-
Kreatinin
-
Hepatitis B-Serologie
Vor Therapiebeginn sollten laut Fachinformation folgende Untersuchungen durchgeführt
werden: komplettes Blutbild mit Differenzialblutbild, Leberenzyme (ALAT [GPT], ASAT
[GOT], AP), Bilirubin, Serumalbumin, Nierenretentionsparameter (ggf. mit Kreatinin-Clearance),
Hepatitis-Serologie (A, B, C), ggf. Tuberkulose-Ausschluss sowie Thorax-Röntgen [2].
Im vorliegenden Fall wurden die empfohlenen Laborkontrollen vor der Behandlung bei
der Patientin nicht durchgeführt; sie wurden zwar angeordnet, waren jedoch mit der
Hausärztin erst längere Zeit nach Einleitung der Methotrexat-Therapie vereinbart.
Indikationen zur Therapieunterbrechung und Abklärung bei der Methotrexat-Therapie
sind ein Transaminasenanstieg über das 3-Fache der Norm, Anämie, Abfall der Leukozyten
oder Thrombozytenzahlen im peripheren Blut, Kreatininanstieg, akute Dyspnoe und Husten
und schwere Infektionen. Das Absinken der Leukozyten und Thrombozyten ist meistens
7–10 Tage nach der letzten Dosis zu beobachten. Bei schwerer Leukozytopenie, Diarrhoe
(Dehydratation), ulzerativer Stomatitis, Nephro- und Lungentoxizität wird die Verabreichung
von MTX gestoppt [1]. Folsäuresubstitution (5 mg) am Folgetag der MTX-Einnahme kann leichte unerwünschte
Arzneimittelwirkungen durch MTX vermeiden helfen.
Eine orale Mukositis und kutane Erosionen sind charakteristisch bei Patienten, die
eine schwere akute MTX-Toxizität entwickeln [3].
Bei Überdosierung von Methotrexat ist ein sofortiger Beginn einer Therapie mit Kalziumfolinat/Folinsäure
indiziert. Serumkreatinin und MTX-Spiegel im Serum sind so schnell wie möglich und
im weiteren Verlauf jeweils nach 12–24 Stunden zu bestimmen. Die Folinsäuredosis (Kalziumfolinat)
ist entsprechend dem MTX-Spiegel und der Nierenfunktion anzupassen. Evtl. ist der
Patient auch zu hydrieren und Urin zu alkalisieren, um eine Präzipitation von MTX
und seinen Metaboliten in der Niere zu verhindern. Bei Überdosierung infolge Nierenfunktionsstörung
ist ggf. eine Hämodialyse durchzuführen.
Laut einer pharmazeutischen Publikation seien Methotrexat-Intoxikationen nicht selten;
Apotheker werden deshalb aufgefordert, Rezepte und Einnahmeanweisungen für Methotrexat
in der Kommunikation mit Patienten und Ärzten regelmäßig kritisch zu hinterfragen
[4]. Bei einem erheblichen Teil von Methotrexat-Intoxikationen scheint eine Niereninsuffizienz
zur Kausalität beizutragen [5]; Intoxikationen können tödlich verlaufen [6]. Ein wichtiges klinisches Zeichen für eine Methotrexat-Intoxikation ist, wie erwähnt,
die Mukositis, die auch im vorliegenden Fall vorlag [7], jedoch offensichtlich nicht zu weiteren Abklärungen veranlasste.
Die S3-Leitlinie „Psoriasis“ [1] führt aus, dass die Behandlung mit MTX eine intensive Beratung und regelmäßige Untersuchung
sowie eine auf Verständnis bauende Betreuung der Patienten v. a. in der Frühphase
der Therapie mit häufigen klinischen Kontrollen und Laboruntersuchungen erfordert.
Die Patienten müssen über die Frühsymptome potenzieller unerwünschter Arzneimittelwirkungen
aufgeklärt und nachverfolgt werden. Gerade bei älteren, pflegebedürftigen Patienten
kann die Erfüllung dieser Aufklärungspflicht in der Praxis schwierig sein.
Unter arzthaftungsrechtlichen Gesichtspunkten dürfte im vorliegenden Fall neben der
als groben Behandlungsfehler einzuschätzenden Verordnung von Methotrexat bei bekannter
chronischer Niereninsuffizienz auch ein Befunderhebungsfehler aufgrund der nicht zeitgerecht
durchgeführten Laborkontrollen vorgelegen haben, die aufgrund der dann eingetretenen
und verspätet diagnostizierten Methotrexat-Intoxikation letztlich zum Tode der Patientin
führten. Sowohl der grobe Behandlungsfehler wie auch der Befunderhebungsfehler können
zur Beweislastumkehr für den Schaden führen.
Bei der Fehleranalyse des vorliegenden Falles wird allerdings deutlich, dass an mehreren
Zeitpunkten die Möglichkeit bestanden hätte, die Fehlerkaskade zu unterbrechen. So
hätte der Pflegedienst im Vorfeld der ersten Methotrexat-Gabe in Rücksprache mit Hautärztin
und Hausärztin klarstellen können, ob eine erste Laborkontrolle erst nach einem Monat
ausreichend sei. Bei sorgfältiger Lektüre des Beipackzettels der Methotrexat-Injektion
durch Patientin und/oder Pflegedienst hätten auch die Kontraindikation „chronische
Niereninsuffizienz“ und die Notwendigkeit einer Laborkontrolle vor Therapieeinleitung
auffallen können. Die verzögerte Klinikeinweisung bei sich kontinuierlich verschlechterndem
Allgemeinzustand der Patientin hätte ferner Anlass zur Rückfrage bei Hautärztin und
Hausärztin geben können.
Der tragische Verlauf im vorliegenden Fall wäre bei einer besseren Kommunikation zwischen
den behandelnden Ärzten und Pflegenden möglicherweise zu verhindern gewesen.
Die Behandlung der Psoriasis vulgaris oder einer Psoriasis inversa bei älteren, multimorbiden,
pflegebedürftigen Patienten ist schwierig aufgrund der häufig nicht umsetzbaren topischen
oder UV-Therapie und der für eine leitliniengerechte differenzierte systemische Therapie
vielfach vorliegenden Kontraindikationen. Zusätzliche Herausforderungen stellen die
interdisziplinäre Kommunikation mit anderen behandelnden Ärzten und Pflegediensten
dar. Systemische Medikamente mit dem Potenzial schwerer Nebenwirkungen sollten daher
bei diesen Patienten nur unter Beachtung aller Kontraindikationen und empfohlener
Laborkontrollen eingesetzt werden.