Schlüsselwörter
Insulin - Typ-1-Diabetes - Typ-2-Diabetes - ICT
Key words
insulin - type 1 diabetes - type 2 diabetes - intensive insulin therapy
Seit der Entdeckung des Insulins vor hundert Jahren und seiner klinischen Einführung
in die Therapie des Diabetes ist dieses Stoffwechselhormon bisher die wichtigste Errungenschaft
in der Diabetologie und für Millionen von Menschen mit Diabetes lebensrettend und
lebenslang notwendig [1]. Bis zur Einführung von Humaninsulin – gentechnologisch produziert im Jahr 1982,
wurden mehr oder weniger reine Rinder- und Schweine-Insulin-Präparationen unterschiedlicher
Galenik klinisch angewandt. Die Verfügbarkeit von Humaninsulin in beinahe unbegrenzter,
aber kostspieliger Menge war ein Meilenstein in der Insulin-Substitutionstherapie.
Damit konnte erstmals der Slogan „das falsche Insulin, am falschen Ort, zur falschen
Zeit, in einer physiologisch inkorrekten Dosis“ abgewandelt werden, denn es war nun
möglich, zumindest natives Insulin zu substituieren. Mit der Neuentwicklung des ersten
schnell wirkenden Insulinanalogons (lispro) 1996 und dem ersten lang wirkenden Insulin
glargin im Jahr 2000 folgten weitere schnell wirkende Insulinanaloga (aspart, glulisin),
das faster Insulin aspart (fiAsp) 2017, Insulin lispro 200 und kürzlich ultraschnelles
Insulin lispro (URLI) 2020, sowie lang wirkende Insuline (detemir (2004), degludec
(2014), glargin 300 (2015), glargin 100 Biosimilar (2017)) [2]
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[24]. Damit haben sich die Möglichkeiten einer individualisierten Insulinbehandlung von
Menschen mit Diabetes wesentlich erweitert und es wurden die Möglichkeiten geschaffen,
eine Basis-Bolus-Strategie der Insulinsubstitution umzusetzen. Dennoch wird an einer
Reihe von neuen Insulinpräparationen geforscht, um die bisherigen Probleme einer physiologischeren
Insulinsubstitution und für den Patienten einfacheren und angenehmeren Anwendung zu
lösen: noch schneller (z. B. BioChaperone® Insulin lispro 300) und noch länger wirkende Insulinanaloga (z. B. pegyliertes Insulin
lispro oder Insulin icodec [25]) sowie andere Applikationsformen (oral, nasal, inhalativ, dermal). Ein ganz neuer
Ansatz sind glukosesensitive (sog. „Smart“) Insuline mit dem Ziel einer glukoseabhängigen
Insulinfreisetzung (GRIs), wie z. B. mechanische GRIs, polymer- und matrixbasierte
GRIs, molekulare GRIs [26]
[27]. Damit wäre für viele Patienten ein weiterer Schritt in Richtung Normalisierung
des Stoffwechsels und weitgehend uneingeschränkter Lebensqualität ohne Glukosemonitoring
und schwere Unterzuckerungen getan.
Die kritische Frage bleibt jedoch: Können wir uns in unserem Gesundheitssystem die
zukünftigen Innovationen in der Insulintherapie leisten? Aufgrund der Rabattierung
der Insulinanaloga in Deutschland besteht im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auch
kein echter ökonomischer Nachteil bei den Kostenträgern bei der Anwendung von Insulinanaloga.
Dennoch sollte man realisieren, dass sich weltweit der größte Teil der Menschen mit
Diabetes Insulin kaum oder gar nicht leisten kann [28]
[29]. Daher bedarf es neuer Perspektiven für die Verfügbarkeit von Insulinen in Dosis
und Qualität [30], die insbesondere auch in der Vielzahl humanitärer Krisen (z. B. Biosimilar-Insuline)
umgesetzt werden [30]
[31].
Schulung/Training für eine Insulintherapie
Schulung/Training für eine Insulintherapie
Voraussetzung für eine adäquate Schulung ist die Expertise des Behandlungsteams. Je
nach Strategie einer Insulintherapie, dem Typ des Diabetes, den individuellen Therapiezielen,
Kompetenzen und Möglichkeiten vonseiten des Menschen mit Diabetes ist eine spezifisch
strukturierte, evaluierte Schulung notwendig [www.leitlinien.de/nvl/diabetes: NVL Strukturierte Schulungsprogramme; www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/behandlung/leitlinien]. Nur so besteht für den Patienten die Chance, Insulin adäquat einzusetzen, um z. T.
schwerwiegende metabolische Folgen wie schwere Unter- oder Überzuckerungen weitgehend
zu vermeiden.
Typ-1-Diabetes
Der Typ-1-Diabetes ist pathogenetisch eine sehr heterogene Insulinmangelkrankheit,
die unterschiedliche Präventions- und Therapiestrategien erfordert [32].
Es besteht kein Zweifel, dass eine Insulinsubstitution zur „Quasi-Normalisierung“
des Stoffwechsels nur mithilfe einer intensivierten Insulintherapie (ICT) oder einer
Insulinpumpentherapie (CSII) mit dem klinischen Beginn der Erkrankung bei den meisten
Menschen (ausgenommen bei Menschen, die diese Therapiestrategie nicht umsetzen wollen
oder können) mit einem Typ-1-Diabetes die Therapie der Wahl ist. Denn so können mikro-,
aber auch makroangiopathische und neurologische Folgen des Diabetes verhindert, verbessert
oder deren Entstehung zumindest verzögert werden. Dies wurde eindrücklich besonders
in der DCCT/EDIC-Langzeitstudie über 30 Jahre belegt [33]
[34]. Auch in der Cochrane-Analyse von Fullerton et al. [35] zeigte sich, dass strikte Glukosekontrolle die Entwicklung mikroangiopathischer
Komplikationen signifikant reduziert. Dies betrifft insbesondere jüngere Patienten
mit relativ kurzer Diabetesdauer. Bei den meisten Studien waren makrovaskuläre Komplikationen
kein primärer Endpunkt und wurden selten adressiert, oder die Inzidenz war zu gering,
um belastbare Aussagen zu treffen. In der Metaanalyse von Kähler [36] fand sich aber auch ein signifikanter Vorteil strikter metabolischer Einstellung
auf den Composite-Endpunkt makroangiopathische Komplikationen und Nephropathie.
Die mit immensem medizinischem, wissenschaftlichem und ökonomischem Aufwand verbundenen
alternativen Möglichkeiten einer glukoseabhängigen Insulinsubstitution, z. B. die
Pankreas- oder Inseltransplantation, können wegen noch vieler offener Fragen und Komplikationen
(z. B. chronische Immunsuppression) sowie hoher Kosten und der Organknappheit, nur
ganz wenigen Menschen mit einem Typ-1-Diabetes bei speziellen Indikationen erfolgreich
angeboten werden [37]
[38]
[39]
[40]. Auch eine Stammzelltherapie befindet sich noch weitgehend im experimentellen Stadium
[41]
[42]. Aus vielerlei Gründen wäre auf lange Sicht die Primärprävention des Diabetes wünschenswert
[43].
Bis dahin bleibt die exogene Insulinzufuhr durch individualisierte Algorithmen die
einzige Strategie zur Erreichung des mit dem Patienten konsentierten Therapieziels
[44]. Dieses Vorgehen hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung neuer Insuline
und anwenderfreundlicher Applikationssysteme wie Pens und Pumpen, sowie das Selbstmonitoring
der Plasmaglukose (CGM/FGM) für den Patienten und den Therapeuten wesentlich verbessert.
Closed-Loop-Systeme = „Automated Insulin Dosing (AID)“ mit und ohne Glukagon-Applikationsmöglichkeiten
sind der nächste vielversprechende Schritt zu einer noch physiologischeren Substitution
von Insulin und zu einer bedeutenden Erleichterung für die Menschen mit Typ-1-Diabetes
[45]
[46].
Dennoch sind die AID-Systeme noch problematisch wegen u. a.:
-
zeitlicher Differenz zwischen Blut- und interstitieller Glukose,
-
Ungenauigkeit der CGM Systeme (MARD > 10 %),
-
subkutaner Applikation von Insulin = Zeitverzug bis zum Wirkeintritt,
-
unbefriedigender Steuerung prandialer Glukosewerte (Präbolus, Spritz-Ess-Abstand etc.),
-
technischer Probleme und Interferenzen (z. B. Cyber-Interferenz) und
-
hoher Kosten.
Mit den schneller wirkenden Insulinanaloga wird der Eintritt des glukosesenkenden Effekts beschleunigt, die postprandialen Glukosewerte
bei deutlich verringertem Spritz-Ess-Abstand (bis zur Möglichkeit der Applikation
während oder nach der Nahrungszufuhr) werden besser kontrolliert, die Wirkdauer wird
kürzer und damit die Notwendigkeit von Zwischenmahlzeiten geringer, das Risiko insbesondere
für nächtliche Hypoglykämien kleiner und die Insulinstrategie wesentlich flexibler.
Damit sind diese Insuline, insbesondere auch bei der Anwendung von Insulinpumpen und
AID-Systemen, für viele Patienten alltagstauglicher, was zur Therapiezufriedenheit
und -adhärenz wesentlich beiträgt [47]
[48]
[49]. Bei der Insulinpumpentherapie insbesondere bei Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen [50] sind rasch wirkende Insulinanaloga (auch höher konzentrierte schnell wirkende Insulinanaloga)
zur Optimierung der Steuerung der Insulineffekte besonders vorteilhaft. Dies zeigt
sich eindrücklich bei der Anwendung von FGM/CGM-Systemen verbunden mit der Möglichkeit
einer rechtzeitigen Insulindosissteigerung oder -absenkung in Abhängigkeit von der
zeitnahen Trendanalyse der interstitiellen Glukose. Dies führt nicht nur zur Verringerung
der Glukosevariabilität und von Hypoglykämien, sondern auch zur Steigerung der Time
in Range (TIR) der interstitiellen Glukose. Insbesondere um die Vorteile von Closed-Loop-Systemen
optimal auszunutzen, bedarf es sehr schnell wirkender Insulinanaloga, um dem Therapieziel
Glukosenormalisierung noch näher zu kommen [51].
Länger wirkende Insulinanaloga haben Vorteile bei der ICT von Menschen mit Typ-1-Diabetes in Hinsicht auf die Wirkdauer
des Insulins und damit die Verringerung der täglichen Insulininjektionen. Einfachere
Insulinstrategien sind für viele Patienten wünschenswert (Keep it simple!). Die Notwendigkeit
einer Spätmahlzeit fällt meist weg (günstig für die häufig beobachtete Gewichtszunahme
unter Insulin), die Wirkprofile sind flach (insbesondere auch wegen der höher konzentrierten
Präparationen), und die Absorption des Insulins ist besser reproduzierbar [4]. Auch dies trägt ganz wesentlich dazu bei, die Glukosevariabilität zu verbessern
und das Risiko für Hypoglykämien (insbesondere nachts!) im Vergleich zu NPH-verzögerten
Insulinpräparationen signifikant zu senken [6].
Eine Insulinantikörperbildung infolge von Insulinanaloga ist klinisch irrelevant [52]
[53]. Die Induktion von bestimmten Krebserkrankungen hat sich nicht bestätigt [54].
Nicht-Insulin-Therapien als Add-on zur Insulinsubstitutionstherapie des Typ-1-Diabetes
Nicht-Insulin-Therapien als Add-on zur Insulinsubstitutionstherapie des Typ-1-Diabetes
Die Heterogenität des Typ-1-Diabetes [32]
[54], die relative hohe Rate von Patienten, die ihr Therapieziel trotz intensiver Schulung
und Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht erreichen, die z. T. negativen Effekte
einer intensivierten Insulintherapie wie Gewichtszunahme mit Entwicklung einer Insulinresistenz
und die nicht zu unterschätzende Gefahr schwerer Hypoglykämien sowie der mögliche
negative Einfluss auf das psychosoziale Wohlbefinden unterstreichen die Bedeutung
der Suche nach weiteren adjuvanten z. T. auch Nicht-Insulin-Therapien [54]
[55]. Dies wird unterstützt durch die Auswertung neuer Behandlungsansätze bei Menschen
mit einem Typ-2-Diabetes, die einen signifikanten Nutzen neuer Antidiabetika in Bezug
auf renale und kardiovaskuläre Komplikationen nachwiesen.
So konnte gezeigt werden, dass bei Menschen mit einem unzureichend kontrollierten
Typ-1-Diabetes SGLT2-Hemmer (Cana-, Dapa-, Empa-, Sotagliflozin) [56]
[57]
[58] den HbA1c-Wert signifikant reduzieren konnten, begleitet von einer Gewichtsreduktion und einer
Verminderung des Insulinbedarfs ohne eine vermehrte Rate von schweren Unterzuckerungen.
Diese additive Therapie ist jedoch assoziiert mit einer höheren Rate an Ketoazidosen
und Genitalinfektionen unter SGLT2-Hemmern. Aufgrund von zu wenigen Daten (zu geringe
Zahl von Patienten mit Typ-1-Diabetes, zu kurze Beobachtungszeiten) besteht derzeit
vonseiten der EMA nur eine Zulassung von Dapagliflozin und Sotagliflozin [59].
Ob SGLT2-Hemmer daher zukünftig einen Platz in der Add-on-Therapie zu Insulin des
Typ-1-Diabetes erhalten, hängt sicherlich von weiteren klinischen Studien ab, die
die Frage beantworten müssen, speziell welche Patienten von dieser Substanzklasse
profitieren und welche Menschen unter dieser Zusatztherapie insbesondere durch Ketoazidosen
gefährdet sind. Dies lässt sich insbesondere durch längere Beobachtungszeiten und
Real-World-Daten herausfinden [59]
[60]
[61]. Am ehesten werden erwachsene Menschen mit Typ-1-Diabetes infrage kommen, die kooperativ
und gut geschult sind, eine geringe Neigung zu Ketoazidosen besitzen, deren HbA1c-Wert zwischen 9 und 10 % (75–86 mmol/mol Hb) liegt, die eine tägliche Insulindosis
von mindestens 20–30 E benötigen und die an Übergewicht/Adipositas leiden. Inzwischen
ist Dapagliflozin (5 mg/d) bei Menschen mit Typ-1-Diabetes und einem BMI > 27 kg/m2 in Deutschland zugelassen.
KetoAWARE ist ein Online-Schulungsprogramm zur detaillierten Aufklärung der Patienten
über Ketoazidosen (www.fidam.de/ketoaware/registrierung-deutsch/download-deutsch). Zur Sicherheit sollten Patienten mit einem Typ-1-Diabetes, die für eine zusätzliche
SGLT2-Hemmer-Behandlung infrage kommen, diese Schulung erhalten.
Die Anwendung von GLP-1-Rezeptoragonisten als Add-on zu Insulin ist eine weitere neue Option in der Therapie von Menschen mit einem Typ-1-Diabetes,
insbesondere weil umfangreiche Studien bei Menschen mit Typ-2-Diabetes den Vorteil
dieser Substanzklasse nachweisen konnten: Steigerung der endogenen Insulinsekretion,
Inhibierung der Glukagonfreisetzung, Verzögerung der Magenentleerung, Steigerung des
Sättigungsgefühls, häufig eine beeindruckende Gewichtsreduktion, signifikante Verringerung
renaler und kardiovaskulärer Endpunkte einschließlich der Gesamtmortalität [62]
[63]. Kürzlich wurden 2 große randomisierte, placebokontrollierte Studien publiziert.
In der ADJUNCT-ONE-Studie (n = 1398) wurde Liraglutid (0,6, 1,2, und 1,8 mg) im Vergleich
zu Placebo als Add-on zur Insulinbehandlung über 52 Wochen untersucht [64]). In einer Dosierung von 1,2 und 1,8 mg zeigte sich eine bessere, wenn auch klinisch
wenig relevante HbA1c-Wert-Senkung (–0,5 %) im Vergleich zu Placebo (–0,3 %). Wesentlich eindrücklicher
war der Gewichtsverlust unter Liraglutid: 3 bzw. 4 kg (1,2 vs. 1,8 mg Lira) im Vergleich
zu Placebo mit einer Gewichtzunahme von ca. 1 kg. In der ADJUNCT-TWO-Studie (n = 835),
die über 26 Wochen ausgelegt war [65], führte Liraglutid in Kombination mit Insulin zu einer Reduktion des HbA1c-Werts um 0,2–0,3 % bei gleichzeitiger Insulindosisreduktion vorwiegend des prandialen
Insulins um 3–6 E/täglich. Während das Körpergewicht unter Placebo weitgehend konstant
blieb, kam es unter Liraglutid (0,6, 1,2, und 1,8 mg) zur Reduktion des Körpergewichts
um 2,5, 4,0 und 5,1 kg. Die Rate schwerer und nächtlicher Hypoglykämien war in beiden
Studienarmen vergleichbar; Ketosen waren unter Liraglutid 1,8 mg häufiger.
In retrospektiven und Open-Label-Studien führte die Add-on-Gabe von GLP-1-Rezeptoragonisten
zur einer HbA1c-Wert-Senkung von 0,4–0,9 % bei weitgehend unveränderter Glukosevariabilität, einem
Gewichtsverlust von 2–7 % und einer Reduktion der Insulindosis um 0–49 % [54]. Die GLP-1-RA-Therapie als Add-on zu Insulin hat demnach eine Reihe von metabolischen
Vorteilen [66] vor allem bei Menschen mit Typ-1-Diabetes und einer β-Zell-Restfunktion und bei
adipösen Menschen mit Typ-1-Diabetes. Es bleibt jedoch unklar, ob Patienten mit Typ-1-Diabetes
auch im Hinblick auf mikro- und makrovaskuläre Endpunkte profitieren.
Es muss jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Therapie mit GLP-1-Rezeptoragonisten
bei Menschen mit Typ-1-Diabetes derzeit nicht zugelassen ist und die oben diskutierten
potenziell positiven Effekte derzeit intensiv wissenschaftlich diskutiert werden.
Seit Jahrzehnten wird Metformin als adjuvante Therapie zu Insulin insbesondere bei übergewichtigen (insulinresistenten)
Menschen mit Typ-1-Diabetes eingesetzt. Dabei zeigten sich in einer Metaanalyse je
nach untersuchten Kollektiven (Jüngere vs. Ältere, hoher HbA1c-Wert vs. bessere glykämische Kontrolle, hohe Insulindosen) unterschiedliche Effekte
auf HbA1c-Wert, Gewicht und Insulinbedarf. Es wurden eine Reduktion des Körpergewichts zwischen
1,7 und 6 kg, der durchschnittlichen täglichen Insulindosis von 6,6 E und eine Absenkung
des Gesamtcholesterins zwischen 11,6 und 15,4 mg/dl (0,6–0,9 mmol/l) beobachtet, jedoch
ohne Verbesserung des Glukosestoffwechsels [67]).
Eine große randomisierte, kontrollierte Studie [68]
[69] untersuchte mögliche kardiovaskuläre Vorteile von Metformin bei Typ-1-Diabetes.
In der Beobachtungszeit von im Mittel 3 Jahren fanden sich geringe Verbesserungen
von Körpergewicht und Glukosekontrolle, aber der primäre Endpunkt der Studie, nämlich
Reduktion der Intima-Media-Dicke, wurde nicht erreicht, obgleich deren Progression
verlangsamt werden konnte.
Typ-2-Diabetes
Während eine Insulinsubstitution unmittelbar nach klinischer Diagnose eines Typ-1-Diabetes
lebensnotwendig ist, wird die Insulintherapie bei Menschen mit Typ-2-Diabetes weiterhin
heftig diskutiert mit den Fragen: ob – wann – wie? Denn besonders der Typ-2-Diabetes
ist eine sehr heterogene, multifaktorielle, progrediente Erkrankung, die u. a. durch
vererbte und erworbene Insulinresistenz [70] und durch qualitative und quantitative Insulinsekretionsstörungen [71] mit unterschiedlichem Ausmaß charakterisiert ist. Das Fortschreiten dieser Stoffwechselstörungen
erfolgt in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit und verschiedenster Ausprägung (72,
73). Wichtig ist, dass man bei der Diagnostik des Diabetes und der Einleitung einer
Pharmakotherapie an die relativ große Zahl von Menschen mit einer Nicht-Typ-2-Diabeteserkrankung
denkt (MODY, LADA, Pankreaserkrankungen u. a.) und eine entsprechende Differenzialdiagnostik
einleitet [74].
Die Dynamik der Verschlechterung des Stoffwechsels (Insulinresistenzsteigerung, Insulinsekretionsdefizit)
des Typ-2-Diabetes lässt sich wesentlich durch beeinflussbare Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes
günstig modifizieren ([Tab. 1]). Insbesondere das Erreichen einer Gewichtsreduktion kann dabei zu einer Diabetesremission
führen und eine medikamentöse Therapie ersetzen. In diesem Zusammenhang sollte betont
werden, dass bei erfolgreicher nichtmedikamentöser Therapie mit Erreichen des individuellen
Therapieziels eine vorübergehende medikamentöse Behandlung einschließlich Insulin
eventuell reduziert oder sogar abgesetzt werden muss.
Tab. 1
Beeinflussbare Risikofaktoren für eine Verschlechterung des Stoffwechsels durch Steigerung
der Insulinresistenz und Verminderung β-Zell-Reserve.
-
viszerale Adipositas
-
Fettleber, Pankreaslipomatose
-
körperliche Inaktivität
-
energiereiche, ballaststoffarme Nahrung
-
starker Zuckerkonsum (Softdrinks etc.)
-
übermäßiger Alkoholgenuss (Fettleber)
-
schlechter Schlaf (obstruktive Schlafapnoe, OSA)
-
Rauchen
-
Depression
-
diabetogene Medikamente
-
diabetogene Umwelt (u. a. „Deprivation“ = Benachteiligung infolge Mangels an Ressourcen,
übermäßiger chronischer Lärm und Luftverschmutzung)
|
Die klinische Manifestation des Typ-2-Diabetes nimmt besonders mit fortschreitendem
Alter zu, und er wird nicht selten wegen seines schleichenden atypischen Verlaufs
spät erkannt [75]. Infolgedessen bestehen bei diesen Menschen häufig bereits diabetesassoziierte und
mit dem Diabetes nicht im Zusammenhang stehende Krankheiten. Multimorbidität und Polypharmazie
sind daher bei vielen Menschen mit Typ-2-Diabetes die Regel. Daher sind die metabolischen
Therapieziele für Menschen mit einem Typ-2-Diabetes sehr unterschiedlich. Die therapeutischen
Konsequenzen folgen den individuellen Therapiezielen und den Wünschen der Betroffenen
und ihrer Angehörigen. Die letzten Jahre haben der Diabetologie neben Insulinanaloga
und den vielen technischen Errungenschaften eine Fülle neuer Medikamente (SGLT2-Hemmer,
GLP-1-Rezeptoragonisten) beschert mit dem großen Potenzial, neben ihren glukosesenkenden
auch signifikante Effekte auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte zu haben [76]
[77]
[78]
[79]
[80]
[81], und dies bei relativ günstigem Nebenwirkungsprofil sowie positiven Gewichtsverläufen,
klinisch häufig relevanten Blutdrucksenkungen und einem signifikant niedrigeren Hypoglykämierisiko
(s. u.).
Mit diesen neuen Substanzen – in umfangreichen randomisierten, kontrollierten Studien
belegt – wurde die Notwendigkeit des Beginns einer Insulintherapie bei vielen dieser
Patienten zeitlich deutlich nach hinten verschoben, oder man kann ganz darauf verzichten.
Dabei gilt der Slogan „So früh wie nötig – so einfach wie möglich – start slow“. Ähnliches
gilt für die Lebensstiltherapie.
Bei einigen Patienten kann es jedoch sein, dass eine sehr frühzeitige, aber vorübergehende
(2–3 Wochen) Insulintherapie das Potenzial hat, die β-Zellen zu entlasten („keep β-cells
at rest“!) und damit eine längerfristige pharmakafreie Remission des Typ-2-Diabetes
bei ca. 46 % der Patienten nach 12 und 42 % nach 24 Monaten zu erreichen [82]
[83]. Es ist jedoch zu früh, eine solche Insulinstrategie generell zu empfehlen, weil
die Zahl der Studien und ihrer Teilnehmer relativ klein ist, die Heterogenität der
Studien groß und weil es nicht klar ist, wann der günstigste metabolische Zeitpunkt
zur Insulinintervention besteht und welche Patienten potenziell profitieren [84].
Wie bei Menschen mit Typ-1-Diabetes scheint jedoch eine strikte metabolische Kontrolle
direkt nach klinischer Diagnose auch bei Individuen mit einem Typ-2-Diabetes entscheidend
für zukünftige diabetesbedingte Komplikationen zu sein (sog. metabolic memory oder
legacy effect; [85]
[86]). Im Vergleich zu einem HbA1c-Wert < 6,5 % (< 48 mmol/mol Hb) für das erste Jahr nach Diagnose hatten z. B. in
der Diabetes-and-Aging-Studie (mittlere Follow-up-Zeit 13,0 Jahre, N = 34,737, mittleres
Alter: 56,8 ± 11,0 Jahre) Patienten mit einem höheren HbA1c-Wert ein gesteigertes Risiko für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen; und bei
einem HbA1c-Wert ≥ 7,0 % (≥ 58 mmol/mol Hb) bestand sogar eine signifikante Assoziation zu einer
höheren Mortalität [87].
Klare Indikationen für eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes sind in der [Tab. 2] aufgeführt.
Tab. 2
Indikationen für eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes[*].
-
akute hyperglykämische Stoffwechselentgleisungen
-
Patientenpräferenz
-
Nichterreichen der metabolischen Therapieziele mit oralen Antidiabetika mit oder ohne
GLP-1-Rezeptoragonisten
-
Kontraindikationen für und Nebenwirkungen von OADs
-
(prä)terminale Niereninsuffizienz
-
perioperativ (größere chirurgische Eingriffe)
-
häufig bei intensivmedizinischer Betreuung
-
akute schwere Krankheiten
|
* Andere Diabetestypen wie Gestationsdiabetes, Insulinmangel bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
wie Mukoviszidose, Hämochromatose und chronische Pankreatitis erfordern häufig im
Verlauf eine Insulintherapie.
Es bestehen jedoch erhebliche Barrieren gegen eine Insulinbehandlung bei Menschen
mit Typ-2-Diabetes aus Patienten- („psychologische Insulinresistenz“) und aus Betreuersicht
([Tab. 3]) [88]
[89]
[90].
Tab. 3
Barrieren für eine Insulintherapie bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.
-
Ich fühle mich wohl, ich brauche kein Insulin
-
Unsicherheit, Überforderung, Überzeugung, es nicht zu schaffen
-
Unzufriedenheit, Wut, Enttäuschung, Mutlosigkeit
-
Unzureichende Gesundheitskompetenz
-
Mein Leben muss sich komplett ändern
-
Angst vor Hypoglykämien
-
Angst vor Gewichtszunahme
-
Angst, die Flexibilität im Alltag zu verlieren
-
Angst vor beruflichen und sozialen (z. B. Reisen) Einschränkungen
-
Angst, in der Öffentlichkeit zu spritzen
-
Diskriminierung durch Injektionstherapie
-
Spritzenangst
-
Überzeugung, dass der Beginn einer Insulinbehandlung eine besonders schwere Verlaufsform
der Krankheit anzeigt und es mit dem Leben bald zu Ende geht
-
Schuldgefühle, weil die bisherigen Therapien „versagt“ haben
|
Es zeigten sich jedoch auch erhebliche Barrieren für den Beginn einer Insulintherapie
aus Sicht des Betreuerteams ([Tab. 4]) [88]
[89]
[90]. Infolgedessen kommt es nicht selten zu Verzögerungen (z. T. über Jahre) des Beginns
der Insulinbehandlung mit besserer metabolischer Kontrolle und der Gefahr der Entwicklung
oder raschen Progression von diabetesspezifischen und -assoziierten Komplikationen
[91].
Tab. 4
Barrieren gegen eine Insulinbehandlung aus Betreuersicht.
-
Patient weigert sich oder ist nicht fähig, die Therapie umzusetzen
-
Falsche Rücksichtnahme dem Patienten gegenüber
-
Unzureichende Diabeteskompetenz
-
Von Insulin als Therapieoption nicht überzeugt
-
Angst vor Hypoglykämien
-
Angst vor Gewichtszunahme
-
Angst vor der mangelnden Therapieadhärenz des Patienten
-
Komplexität der Therapie
-
Angst, Patienten zu verlieren („Lost to follow-up“)
-
Größerer Ressourcenbedarf (Schulung, Zeitaufwand bei Betreuung oder Organisation,
Budget)
|
Nicht nur aus diesen Gründen ist ein von den Patienten und Ärzten geschätzter, metabolisch
und kardiorenal sinnvoller sowie einfacher Einstieg in eine Injektionstherapie mit
einem GLP-1-Rezeptoragonisten nicht selten verknüpft mit oralen Antidiabetika und/oder einem
Basalinsulin ([Tab. 5]).
Tab. 5
Einfacher und für den Patienten meist unproblematischer Einstieg in eine Insulinbehandlung:
Vor- und Nachteile.
Therapie
|
Vorteile
|
Nachteile
|
Kombination von Basalinsulin mit oralen Antidiabetika
|
-
Geeignet zum Einstieg in eine Insulintherapie, gute Akzeptanz
-
Unkompliziertes, relativ sicheres Therapiekonzept
-
Beeinflusst vor allem die Nüchtern-Glukose
-
Mahlzeiten-unabhängig
-
Geringer Schulungsaufwand
-
Relativ niedriges Hypoglykämie-Risiko
-
Einfache Selbsttitration
-
Geringes Glukose-Monitoring (morgens!, ab und zu nachts)
-
Basal-Insulin-Analoga induzieren weniger Hypoglykämien als NPH, insbesondere nachts
|
-
Deckt postprandiale Glukose-Spitzen kaum ab
-
Falls hohe Basalinsulin-Dosen notwendig sind, ist eine Basis-Bolus-Therapie oder eine
Mischinsulin-Therapie indiziert
-
Gewichtszunahme
|
Kombination von Basalinsulin mit GLP-1-RA mit/ohne orale Antidiabetika
|
-
Einfacher Beginn
-
Einfache Dauertherapie
-
Gute Fasten- und postprandiale Glukose-Kontrolle
-
Keine vermehrten Hypoglykämien
-
Kombinierbar mit OADs
-
Weniger Insulinbedarf
-
Weniger starke Gewichtszunahme oder Gewichts-neutral
-
Positive renale und kardiovaskuläre Endpunkte
|
|
GLP-1-Rezeptoragonisten haben aufgrund ihrer positiven Effekte auf kardiorenale Endpunkte
und metabolische Parameter wie Gewichtsabnahme, bessere metabolische Kontrollen (nüchtern
+ postprandial) und kaum Hypoglykämien inzwischen einen hohen evidenzbasierten Stellenwert
in der antidiabetischen Therapie als Mono-, aber auch als Kombinationstherapie [80]
[81]
[92]
[93]. Außerdem hat die Kombination von Basalinsulin mit GLP1-RA deutliche Vorteile im
Vergleich zu einer CT und ICT in Bezug auf Körpergewicht, Hypoglykämien, Blutdruck,
Fettstoffwechsel und weniger deutlich für die Glukosekontrolle [79]
[92]
[94]
[95]
[96].
Spätestens mit dem Beginn einer individuellen zielorientierten Insulintherapie sind
jedoch eine problemorientierte Schulung und ein praktisches Training notwendig, dessen
Umfang von der Insulinstrategie abhängt. Diese Schulung sollte sich vor allem fokussieren
auf den Zusammenhang zwischen Ernährung und Insulin, körperlicher Aktivität und Insulin,
Alkohol und Medikamenten und der Gefahr für Hypoglykämien und auf ein therapiezielorientiertes
Glukosemonitoring.
Stufenschemata in Form von Algorithmen sind zwar übersichtlich und praktisch, spiegeln
aber nicht die Notwendigkeit wider, dass in Abhängigkeit vom Grad der hyperglykämischen
Stoffwechselentgleisung schon nach Diagnosestellung oder bei akuten schweren Entgleisungen
im Rahmen von Infektionen, Traumata, Operationen oder anderen erheblichen Stresssituationen
eine vorübergehende oder dauerhafte Insulintherapie notwendig sein kann. Insulin ist
– wie häufig gesehen – nicht die „letzte“ Therapieoption, sondern die Chance einer
raschen Verbesserung von Stoffwechsel, akuten und chronischen Komplikationen sowie
der Lebensqualität.
Weitere Strategien einer Insulinsubstitution bei Menschen mit Typ-2-Diabetes
Weitere Strategien einer Insulinsubstitution bei Menschen mit Typ-2-Diabetes
Konventionelle Therapie ([Tab. 6])
Tab. 6
Weitere Strategien einer Insulinsubstitution bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Therapie
|
Vorteile
|
Nachteile
|
Konventionelle Therapie 1–2 Injektionen eines Kombinationsinsulins in fester Mischung (mit Humaninsulin oder als Analog-Mischinsuline)
|
-
Relativ einfach für Patient und Diabetesteam (z. B. in der Altenpflege) zu handhaben
-
Bedarf fester Lebensgewohnheiten
-
Beeinflusst Nüchtern- und postprandiale Glukose nach relativ starrem Schema
|
-
Wenig flexible Therapie
-
Neigung zu Hypoglykämien (vormittags, nachts)
-
Zwischenmahlzeiten notwendig
-
Neigung zu Hyperglykämien (vor dem Abendessen und nüchtern)
-
Häufig klinisch relevante Gewichtszunahme
|
Supplementäre Insulintherapie
Mit Normalinsulin oder kurzwirksamen Insulin-Analoga
|
-
Flexiblere und spontanere Lebensführung möglich
-
Deutliche Verbesserung der postprandialen. Plasmaglukose
-
Keine Zwischenmahlzeiten (geringere Gewichtszunahme oder Gewichtsneutralität)
|
-
Meist zu jeder Hauptmahlzeit (1–3)
-
Glukose und ggf. KH-Mengen- adaptiert s. c. Injektionen
-
Deckt eventuell notwendiges Basalinsulin kaum ab
-
Hypoglykämie-Risiko bei körperlicher Anstrengung und postprandial
-
Erhöhter Schulungsaufwand
|
Intensivierte Therapie
Insulinbedarf wird nach Basal- und Bolus-Insulin aufgeteilt
Synonyme:
Funktionelle Insulintherapie
Flexible Insulintherapie
|
|
|
Die konventionelle Therapie ist charakterisiert durch eine verbindliche Vorgabe sowohl
der Insulindosis als auch der Abfolge und Größe der Mahlzeiten (feste Kohlehydratportionen).
Blutglukosemessungen zu definierten Zeiten über mehrere Tage verteilt unter Alltagsbedingungen
werden empfohlen. In der Regel werden fixe Insulinmischungen (30/70, 50/50) mit Humaninsulin
oder Insulinanaloga verwendet, die meist 2 × täglich, zum Frühstück (ca. 30 % der
Menschen in Deutschland nehmen kein Frühstück ein!) und zum Abendessen, verabreicht
werden. Die Insulintherapie sollte unbedingt an das Essverhalten der Patienten angepasst
werden, was im Alltag bei auf Hilfe angewiesenen Patienten häufig erhebliche Kompromisse
erfordert. Daher ist eine detaillierte Ernährungsanamnese nötig, insbesondere auch,
ob der Patient ein „Frühstücker“ ist, was seine Hauptmahlzeit ist etc. Eine konventionelle
Insulintherapie ist vorwiegend bei einem festen Ernährungsplan und Tagesablauf erfolgversprechend.
Da es keine klinisch relevanten Unterschiede in der metabolischen Kontrolle, der Hypoglykämierate,
dem Körpergewicht und der Insulindosis zwischen einer Insulintherapie mit fixen Insulinkombinationen
und einer Therapie mit einem Basal-Bolus-Regime gibt, ist die Kombinationstherapie
eine Alternative bei einer Reihe von Menschen mit einem Typ-2-Diabetes [97].
Supplementäre Therapie oder Prandiale Insulintherapie
Die Substitution kurz wirksamer Insuline vor den Hauptmahlzeiten ist dann sinnvoll,
wenn bei Glukosetagesprofilen die Nüchternglukose meist im Zielbereich ist, aber die
postprandialen Werte deutlich oberhalb des individuellen Therapieziels liegen. Prandiale
Insulintherapien können sowohl mit Normalinsulin als auch mit kurz wirksamen Analoga
durchgeführt werden. In den meisten europäischen Ländern werden vorwiegend kurz wirksame
Insulinanaloga eingesetzt, wobei in der Cochrane-Analyse 2018 kein eindeutiger Vorteil
von schnell wirkenden Insulinanaloga im Vergleich zu Normalinsulin bei Menschen mit
Typ-2-Diabetes gefunden wurde [98]. Dies steht im Widerspruch zu den praktischen Erfahrungen sehr vieler Patienten
und ihrer Betreuer. In der kürzlich publizierten Metaanalyse [49], in der Vorteile in Bezug auf Stoffwechselparameter (postprandiale Glukose, HbA1c) von schnell wirkenden Insulinanaloga im Vergleich zu Normalinsulin bei Typ-1-Diabetes
gefunden wurden, waren die Analysen bei Typ-2-Diabetes nicht aussagekräftig.
In der täglichen Praxis bestehen keine wesentlichen Unterschiede zwischen den im Handel
befindlichen kurzwirksamen Insulinanaloga. Die individuelle Auswahl orientiert sich
vorwiegend an den Präferenzen und der unterschiedlichen Handhabung der verschiedenen
Insulin-Applikationssysteme.
Mit dem ultraschnell wirkenden Insulin aspart kann jedoch wie beim Typ-1-Diabetes
auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eine noch bessere postprandiale Glukoseregulation
erzielt werden [99]. Auch das ultraschnelle Insulin lispro (URLI) zeigte in Phase-I-Studien bei Typ-1-Diabetes
[100] und Typ-2-Diabetes [101] vergleichbare pharmakodynamische Wirkungen.
Intensivierte Therapie
Synonyme: Funktionelle Insulintherapie oder Flexible Insulintherapie
Die intensivierte Insulintherapie ist gekennzeichnet durch eine Substitution des basalen
Insulinbedarfs mit langwirkendem „Basalinsulin“ und des prandialen Insulinbedarfs
mit kurzwirksamem „Bolus-Insulin“ zu den Mahlzeiten (Basal-Bolus-Regime). Die Insulindosis
wird anhand der gemessenen Plasmaglukose- oder der interstitiellen Glukosewerte (CGM)
festgelegt. Neben den Glukosewerten ist eine zusätzliche Anpassung der Insulindosis
anhand der jeweils aufgenommenen Kohlenhydratmenge nur dann erforderlich, wenn diese
von Tag zu Tag stark schwankt. Nimmt der Patient weniger als 3 Hauptmahlzeiten mit
Kohlenhydratanteil ein, verringert sich entsprechend die Frequenz der Bolus-Injektionen.
Die Vor- und Nachteile dieses für Menschen mit Typ-2-Diabetes aufwendigsten Insulinregimes
sind in [Tab. 6] aufgelistet.
Eine bessere Plasmaglukoseregulation kann mit einer komplementären, supplementären
oder Basal-Bolus-Insulintherapie meist besser erreicht werden als mit einer Basalinsulintherapie,
wobei das Hypoglykämierisiko jedoch deutlich größer ist als bei einer Therapie mit
Basalinsulin plus GLP-1-Rezeptoragonisten oder orale Antidiabetika (ausgenommen Sulfonylharnstoffe)
[102]
[103].
Insulintherapie bei Einschränkung der Nierenfunktion
Die Dosierempfehlungen von Antidiabetika bei nachlassender Nierenfunktion spielen
insbesondere auch bei älteren Menschen eine essenzielle Rolle in der Adjustierung
der komplexen Therapie auch der Antidiabetika, um schwerwiegende Nebenwirkungen der
Behandlung zu vermeiden (z. B. Hypoglykämien) [104]. Da sich die Nierenfunktion in kurzer Zeit dramatisch verschlechtern kann (NSAID,
Antibiotika, Exsikkose, Infektionen etc.), sind dabei kurzfristige Analysen der Nierenfunktion
(eGFR) dringend anzuraten. Sinnvollerweise können keine klaren Angaben über die Insulindosis
in Abhängigkeit vom Grad der Nierenfunktionseinschränkung gegeben werden. Insulin
wird vorwiegend über die Leber eliminiert. Insulin wird aber auch in den Nieren metabolisiert
und eliminiert (≈10–20 %) [105]. Damit verlängert sich die Halbwertszeit von Insulin mit der Gefahr einer Überinsulinsierung
und der damit verbundenen Gefahr schwerer Hypoglykämien. Eine Insulindosisreduktion
ist bei reduzierter eGFR daher unbedingt notwendig. Bei Niereninsuffizienz steigt
auch die Insulinresistenz, verbunden aber mit verminderter renaler Glukoneogenese
mit der Gefahr protrahierter Unterzuckerungen trotz Insulinresistenz. Auf die Insulintherapie
bei Menschen mit Nierenersatztherapie (Hämo-, Peritonealdialyse) kann im Rahmen dieser
Übersicht nicht eingegangen werden.
Hypoglykämien unter Insulintherapie
Die gefürchtetste „Nebenwirkung“ einer Insulinbehandlung sind schwere Hypoglykämien.
Das Hypoglykämierisiko ist bei Menschen mit einem Typ-1-Diabetes höher als bei Individuen
mit einem Typ-2-Diabetes, obgleich Prävalenz und Inzidenz von Hypoglykämien bei Menschen
mit Typ-2-Diabetes häufig unterschätzt werden [106]
[107]
[108]
[109]
[110]. Die Angaben zu Inzidenz und Prävalenz von Hypoglykämien in der Literatur sind jedoch
sehr heterogen, denn in vielen Studien werden die inzwischen international anerkannten
Definitionen einer Hypoglykämie (Positionspapier der ADA/EASD; [111]
[112]) kaum berücksichtigt ([Abb. 1]). Die Angaben sind häufig subjektiv und nicht mit einer zuverlässigen Blutanalyse
untermauert. Zudem sind Hypoglykämieraten bei randomisierten Studien im Gegensatz
zu Real-World-Studien sowohl bei Menschen mit Typ-1-Diabetes als auch bei jenen mit
Typ-2-Diabetes deutlich geringer [110]. Die klassischen Hypoglykämiesymptome fehlen dazu häufig (z. B. Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen,
hohes Alter), sind atypisch und u. a. durch Medikamente (u. a. Psychopharmaka, Sedativa)
und Suchtmittel (z. B. Alkohol) „verfälscht“. Bei den beschriebenen Daten zu Unterzuckerungen
handelt es sich häufig um retrospektive Analysen, obgleich gezeigt werden konnte,
dass auch im Real-World-Setting die prospektive Hypoglykämiedatenerhebung eine deutlich
höhere Inzidenz auch schwerer Unterzuckerungen zeigte [107].
Abb. 1 International konsentierte Definition einer Hypoglykämie [111]
[112].
Die neueren Insulinanaloga führen bei adäquatem Einsatz sowohl bei Typ-1- als auch
bei Typ-2-Diabetes zu weniger Hypoglykämien, wobei insbesondere die Neigung zu nächtlichen
Unterzuckerungen durch Insulin degludec und Glargin300 reduziert werden kann [113]
[114].
Die von der International Hypoglycemia Study Group definierte Hypoglykämie wurde kürzlich
anhand von klinischen Studien validiert [112]. Dabei zeigte sich, dass bei der Auswertung z. B. der SWITCH-Studie 2 [113] bei einer Plasmaglukose von < 3 mmol/ (< 54 mg/dl) nur etwa 60 % der Studienteilnehmer
Hypoglykämiesymptome berichteten, bei einer Plasmaglukose von< 3,9 mmol/l (< 70 mg/dl)
nur 40 % ([Abb. 2]; [112]). Dies bedeutet, dass die klinischen Angaben in Bezug auf Hypoglykämiesymptome nicht
unbedingt die Schwere der Hypoglykämie widerspiegeln ([Abb. 2]) und man in allen zukünftigen klinischen Studien die internationale Definition von
Unterzuckerungen berücksichtigen sollte.
Abb. 2 Zusammenhang zwischen Plasmaglukosespiegel und Rate von Hypoglykämiesymptomen in
der Analyse der SWITCH-2-Studie [113]. Rot markiert sind die Plasmaglukoseschwellenwerte für Hypoglykämie Grad 1 und 2.
Bei den Ursachen für Hypoglykämien ist häufig primär nicht Insulin „schuld“, denn
das Hypoglykämierisiko ist extrem komplex und sollte vor Beginn einer Insulintherapie
individuell analysiert werden ([Abb. 3]), um die Frage zu klären, ob Insulin überhaupt, und wenn, welches Insulin und welche
Art der Insulintherapie angezeigt oder kontraindiziert sind. Typische Risikofaktoren
sind höheres Lebensalter, Multimorbidität, Niereninsuffizienz und Polypharmazie.
Abb. 3 Ursachen für Hypoglykämien (Daten nach [115]).
In diesem Zusammenhang sollte auch betont werden, dass die Assoziation des HbA1c-Werts mit schweren Hypoglykämien sich einer U-Kurve nähert [116] ([Abb. 4]), Zumindest bei Menschen mit Typ-1-Diabetes hängt eine Hypoglykämie eher mit der
Glukosevariabilität als mit der Höhe des HbA1c-Werts zusammen [117]
[118].
Abb. 4 Patienten mit Typ-2-Diabetes haben ein Risiko für schwere Hypoglykämien unabhängig
vom HbA1c-Wert. Analysiert wurden Patienten (N = 9.094) in der DISTANCE-Studie, die ≥ 1 schwere
Hypoglykämie im vergangenen Jahr angegeben haben [116].
Die Therapie schwerer Unterzuckerungen, insbesondere durch Insulin induzierter, wird
zunehmend insbesondere für Laien und medizinisches Personal durch die Einführung von
neuen Glukagon-Galeniken erleichtert [119].
Fazit
Insulin ist das einzige Antidiabetikum, um einen absoluten Insulinmangel (Typ-1-Diabetes,
verschiedene Pankreaserkrankungen) oder ein Insulindefizit auszugleichen (z. B. Gestationsdiabetes).
Bei einem relativen Insulinmangel steht heute eine Vielzahl von Medikamenten zur Glukosesenkung
zur Verfügung. Im Verlauf eines Typ-2-Diabetes mit zunehmendem Insulinmangel und bei
vorübergehender starker Insulinresistenz (Traumata, Operationen, Infektionen, akute
vaskuläre Ereignisse, Anwendung diabetogener Medikamente wie Glukokortikoide) ist
eine vorübergehende oder dauerhafte Insulinsubstitution notwendig. Dabei ist Insulin
auch ein optimaler Kombinationspartner zu OADs und GLP1-RAs oral/s. c. und hat (fast)
keine Kontraindikationen. Die Insulintherapie ist damit nicht der letzte „Notnagel“
in der antidiabetischen Therapie eines Typ-2-Diabetes, sondern ein Segen für viele
Patienten.
Open Access Publikation mit freundlicher Unterstützung der Firma Novo Nordisk Pharma
GmbH. Auf den Inhalt des Artikels hat Novo Nordisk keinen Einfluss genommen.