Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(02): 103
DOI: 10.1055/a-1387-9926
Journal Club
Neonatologie

Bedürfnisse von Müttern intensivpflichtiger Neugeborener

Verbiest S. et al.
Health Needs of Mothers of Infants in a Neonatal Intensive Care Unit : A Mixed-Methods Study.

Ann Intern Med 2020;
173(11 Suppl): S37-S44
DOI: 10.7326/M19-3252.
 

Mütter, deren Neugeborene auf der neonatologischen Intensivstation betreut werden, sehen sich einer erheblichen Doppelbelastung ausgesetzt: Neben der Erholung von Schwangerschaft und Geburt und den damit möglicherweise einhergehenden Komplikationen müssen sie ihr kritisch krankes Kind mitversorgen. Welche gesundheitlichen Bedürfnisse haben diese Mütter in der Postpartalperiode? Und reichen die verfügbaren Hilfsangebote aus?


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Mit diesen und anderen Fragen beschäftigte sich ein US-Forscherteam mithilfe einer Mixed-Methods-Studie. Eines der Ziele war zu klären, wie die postpartale Versorgung von Müttern mit intensivpflichtigen Neugeborenen verbessert werden kann. Im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie werteten die Wissenschaftler/innen die Daten von 6849 Müttern aus, die zwischen 2014 und 2016 an einem Zentrum der höchsten Versorgungsstufe ein Kind lebend geboren hatten. 5768 Frauen (84,2%) hatten ein gesundes Neugeborenes und 1081 (15,8%) ein intensivmedizinisch behandlungsbedürftiges Kind zur Welt gebracht. Die Arbeitsgruppe verglich diese beiden Gruppen bezüglich soziodemografischer Charakteristika, der geburtshilflichen Anamnese, der geburtshilflichen Komplikationen sowie der postpartalen Inanspruchnahme von Hilfen. Zusätzlich befragten die Forscher/innen 50 Mütter kritisch kranker Neugeborener detailliert zu ihren physischen, psychischen, sozialen und emotionalen Bedürfnissen und Erfahrungen innerhalb der ersten 3 bis 5 Monate nach der Geburt. Hierbei interessierte sie insbesondere der Zugang zu entsprechenden Hilfsangeboten sowie Vorschläge für Verbesserungen. Zusätzlich befragten sie 59 an der postpartalen Versorgung der Mütter und ihrer Kinder beteiligte Fachleute (z.B. Ärzt/innen, Pfleger/innen, Sozialarbeiter/innen, Stillberater/innen, Psycholog/innen, Seelsorger/innen) sowie Vertreter/innen der Administration zu Versorgungsangeboten für betroffene Mütter bzw. möglichen Verbesserungen.

Ergebnisse

Im Vergleich zu den Müttern mit einem gesunden Neugeborenen litten die Mütter der kritisch kranken Kinder häufiger an chronischen Erkrankungen (Diabetes, Hypertonie, Adipositas), erlitten häufiger perinatale Komplikationen, wurden häufiger per Sectio entbunden, brachten häufiger ein Frühgeborenes zur Welt und nahmen postpartal häufiger medizinische Akutbehandlungen in Anspruch (z.B. Notaufnahmevorstellung, stationäre Aufnahme). Die Befragung der Mütter zeigte, dass die Frauen der Anwesenheit am Bett des Kindes die höchste Priorität einräumten. Diesem Wunsch ordneten sie eigene Bedürfnisse wie Schlaf oder Wohlbefinden unter. Teilweise nahmen die Frauen notwendige medizinische Behandlungen nicht in Anspruch oder verschoben sie, um mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können. Die ungewohnte und als negativ empfundene Umgebung auf der neonatologischen Intensivstation verstärkte die Belastungen der Frauen zusätzlich. Sie beschrieben erhebliche soziale, emotionale und psychische Bedürfnisse, die durch die zur Verfügung stehenden Angebote nicht befriedigt werden konnten, weil beispielsweise auf der Intensivstation keine auf die Mütter spezialisierten Fachleute ansprechbar waren. Die befragten Fachdisziplinen waren sich der komplexen Probleme, welche Mütter intensivpflichtiger Neugeborener bewältigen müssen (Ängste, Depressionen, Stillen, chronische Erkrankungen, Zwiespalt zwischen eigenen Bedürfnissen und Bedürfnis nach Nähe zum Kind usw.), bewusst, räumten aber insgesamt zahlreiche Versorgungsdefizite ein: So fehlten entsprechende klinikinterne Versorgungsstrukturen und die Rollen der einzelnen Anbieter bzw. deren Verantwortlichkeit waren unklar. Auch die bestehenden Vergütungskonzepte stellten ein Hindernis für eine angemessene Betreuung der Betroffenen dar.

Fazit

Die gesundheitlichen Bedürfnisse von Müttern mit intensivmedizinisch behandlungsbedürftigen Neugeborenen werden nicht ausreichend berücksichtigt, so die Autor/innen. Sie schlagen daher ein universelles Screening auf physische und psychische Belastungen vor und fordern eine Eingliederung der maternalen Angebote in den Alltag auf der neonatologischen Intensivstation. Ihr Fazit: Mutter und Kind bilden eine Einheit und sollten auch gemeinsam betreut werden.

Dr. med. Judith Lorenz, Künzell


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Publication History

Article published online:
19 April 2021

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