Hintergrund
Die neue Weiterbildungsordnung (WBO) fordert für den Erwerb diverser Facharzt- und
Schwerpunktkompetenzen fachgebietsspezifische Fachkunden im Strahlenschutz. Die Voraussetzungen
hierfür werden unter „Handlungskompetenz“ bzw. „diagnostische Verfahren“ fachspezifisch
definiert und orientieren sich inhaltlich an den entsprechenden Richtlinien zum Erwerb
der Sach- und Fachkunde (Richtlinie Fachkunde und Kenntnisse im Strahlenschutz bei dem Betrieb von Röntgeneinrichtungen
in der Medizin oder Zahnmedizin vom 22. Dezember 2005, geändert durch Rundschreiben
vom 27.06.2012, BMU – RS II 4–11 603/01). Details hierzu in der synoptischen Übersicht am Ende des Dokumentes.
Da in der WBO für die einzelnen Facharzt- und Schwerpunktbezeichnungen der Begriff
„erforderliche Fachkunde“ nicht definiert wird, könnten hierfür grundsätzlich die
Fachkunden Rö2 (Notfalldiagnostik), Rö3.1 (Skelett), Rö3.2 (Thorax), Rö3.3 (Abdomen),
Rö 3.4 (Mamma), Rö 3.5 (Gefäße ohne Herz), Rö4 (sonstiges begrenztes Anwendungsgebiet),
Rö6 (Kinder), Rö7 (Interventionen) sowie Rö9.1 oder Rö9.2 (DVT) gefordert werden.
Verschiedene Landesärztekammern haben inzwischen die Formulierung „erforderliche Fachkunde“
für die einzelnen Gebiete näher definiert, wobei unklar bleibt, auf welcher Basis
diese Definition erfolgte. Die Verknüpfung von Weiterbildungsordnung und Strahlenschutzrecht
(Fachkunden) ist aus Sicht der Radiologie problematisch, da das Ziel der Fachkunden
die Vermittlung des erforderlichen Wissens zur sicheren Anwendung von Röntgenstrahlung
unabhängig von der Berufszugehörigkeit ist.
Problemstellung
Im Ergebnis ist in der neuen WBO der jeweils geforderte Sachkundenachweis Voraussetzung,
um zur Prüfung in der entsprechenden Facharzt- und Schwerpunktkompetenz zugelassen
zu werden. Ferner ist es für den Weiterbildungsbefugten notwendig, die Voraussetzungen
für die Erlangung dieser Fachkunde auch der Ärztekammer bei der Beantragung der Weiterbildungsbefugnis
nachzuweisen. Gelingt ihm dies nicht, besteht das Risiko, wegen Fehlen dieser Voraussetzung
nicht die Befugnis für die volle Weiterbildungszeit zu erhalten.
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Basierend auf dieser Situation ist zu erwarten, dass Radiologen*innen verstärkt gebeten
werden, für Kollegen*innen anderer Fächer die in der neuen WBO geforderte Sachkunde
zur Erlangung der Fachkunde zu bestätigen. In vielen Fällen liegen die Voraussetzungen,
insbesondere die Zeiten und Untersuchungsfrequenzen unter Anleitung des fachkundigen
Arztes für den Sachkundeerwerb und damit den Fachkundeerwerb jedoch nicht vor.
Risiken der Verknüpfung von Weiterbildungsordnung und Strahlenschutzrecht
Risiken der Verknüpfung von Weiterbildungsordnung und Strahlenschutzrecht
Die Notwendigkeit der Bescheinigung der Sachkunde im Rahmen der neuen WBO geht mit
vielfältigen Risiken einher:
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Die in den meisten Fällen erforderliche Rotation in die Radiologie ist im klinischen
Alltag für die anderen Fächer schwer abbildbar. In Zeiten der Personalverknappung
sinkt die erforderliche Bereitschaft in einzelnen Fächern zur „Freistellung“ von WB-Assisten*innen.
Mit Verweis auf umfangreiche radiologische Fallkonferenzen oder intraoperatives Röntgen
im jeweiligen Fachbereich wird oftmals bereits das Vorliegen einer ausreichenden Sachkunde
bei den Vertretern der anderen Fächer angenommen und damit wesentliche Voraussetzungen
des Sachkunde- und Fachkundeerwerbes missachtet. Fallkonferenzen ersetzen die Zahl
der unter Aufsicht zu befundenden Untersuchungen nicht. Intraoperatives Röntgen kann
nur für eine Sachkunde Rö4 genutzt werden und auch nur dann, wenn die Untersuchungen
unter Aufsicht des fachkundigen Arztes erfolgten, der die Bescheinigung letztendlich
ausstellt.
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Fehlende Transparenz und Konzeption begünstigen interdisziplinäre Konfliktsituationen.
In einem anzunehmenden Graubereich ist zu erwarten, dass versucht wird, auf die Radiologie
über entsprechenden Druck innerhalb medizinischer Einrichtungen zur Bescheinigung
zu drängen ohne dass weder die Anzahl von Befundungen nachweisbar durchgeführt wurde
und dokumentiert ist, noch die erforderlichen Zeiten abgeleistet wurden.
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In einzelnen Fällen wird die notwendige Sachkunde von den einzelnen Fächern über entsprechende
Weiterbildungsbefugte mit der erforderlichen Fachkunde selbst bescheinigt. Das ist
prinzipiell möglich, wenn in der jeweiligen Abteilung ein Arzt mit der entsprechenden
Fachkunde tätig ist. Das gilt jedoch nur dann, wenn auch die Infrastruktur hierfür
gegeben ist: Ohne eigenverantwortlich betriebenes Röntgengerät sowie eigenes Assistenzpersonal
und die entsprechenden Untersuchungszahlen kann auch ein fachkundiger Orthopäde oder
Unfallchirurg das Sachkundezeugnis nicht ausstellen.
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Bei der Umsetzung der neuen Weiterbildungsordnung können die einzelnen Ärztekammern
den Umfang der erforderlichen Fachkunde in ihrem Geltungsbereich individuell festlegen.
Das kann zu Problemen beim Wechsel der Kammergebiete führen – bis hin zur Verweigerung
der entsprechenden Weiterbildungsermächtigung.
Handlungsempfehlungen
Sachkundebescheinigungen durch Radiologen*innen werden nur nach entsprechender Rotation
in die Radiologie und unter strenger Einhaltung der vorgegebenen Kriterien der Fachkunderichtlinie
vergeben. Wesentlicher Bestandteil der Standardisierung und Grundlage der Sachkundebescheinigung
ist die verpflichtende und damit rechtssichere Dokumentation der durchgeführten Befundungen
in der radiologischen elektronischen Dokumentation entsprechend den geltenden strahlenschutzrechtlichen
Vorgaben.
Als Hilfestellung für die Umsetzung werden folgende Handlungsempfehlungen gegeben:
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Sachkundebescheinigungen werden nur nach entsprechender Rotation in die Radiologie
und unter strenger Einhaltung der vorgegebenen Kriterien der Fachkunderichtlinie vergeben.
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Der Sachkundeerwerb außerhalb der Radiologie durch entsprechend Weiterbildungsbefugte
mit der erforderlichen Fachkunde setzt eine entsprechende Infrastruktur voraus. Ohne
Röntgengerät, eigenes Assistenzpersonal und die entsprechenden Untersuchungszahlen
kann auch ein fachkundiger Arzt außerhalb der Radiologie das Sachkundezeugnis nicht
ausstellen.
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Im Falle einer interdisziplinären Konfliktsituation sollten Gespräche protokolliert
und mit den Hinweisen versehen werden, dass das Geforderte einen Rechtsverstoß darstelle
und daher nicht mitgetragen werden könne. Gleichzeitig sollte über das Angebot einer
Rotation die aktive Mitarbeit und damit eine Lösung des Problems vermerkt werden.
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Die Rotation der Kolleg*innen in die Radiologie kann in Vollzeit oder Teilzeit (arbeitstäglich)
erfolgen. „Arbeitstäglich“ erlaubt auch die stundenweise Rotation. Daher kann der
Zeitraum der Rotation tages- wie stundenweise den lokalen realen Bedingungen angepasst
werden. Dies erhöht Flexibilität und Akzeptanz von Rotationsmodellen innerhalb des
Kollegiums. Prinzipiell sollte dabei eine Form der Rotation Vorrang eingeräumt werden,
die einen Wissenstransfer in beide Richtungen begünstigt
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Beachtung der Möglichkeiten zur Reduzierung der Mindestzeiten. Doppelte Verkürzungen
sind nicht zulässig: beispielsweise 50 % Sachkundeerwerb in einer hauptamtlichen Radiologie
mit Weiterbildungsermächtigung und dann nochmals 50 % bei Erwerb der Sachkunde in
einen zweiten Organsystem
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Erfassen der durchgeführten Befundung mit OA/FA Validierung in einer elektronischen
radiologischen Dokumentation, die den Anforderungen der geltenden strahlenschutzrechtlichen
Vorgaben genügt – RIS oder ähnliche Systeme.
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Nur die im Rahmen der Rotation selbständig durchgeführten Befundungen werden für die
Zahlen angerechnet. Eine pro-Forma Integration in die Befunde ohne tatsächlich Beteiligung
an der Befundung ist nicht zulässig.
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Die Zahl der Befunde sowie die erforderliche Zeit zum Sachkundeerwerb kann nicht über
klinische Fallkonferenzen oder Tumorboards reduziert werden.
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Intraoperative „radiologische Befundkontrollen“ können nur im Rahmen der Fachkunde
Rö4 (intraoperatives Röntgen) und dann nur durch den direkt Aufsicht führenden fachkundigen
Arzt angerechnet werden
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Die mögliche Überprüfbarkeit der ausgestellten Sachkunde aufgrund der radiologischen
elektronischen Dokumentation sind sehr handfeste Argumente für dieses Vorgehen.
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Für Praxen, MVZ, Institutionen ohne hauptamtliche Radiologie muss die genaue Ausgestaltung
der Rotation individuell abgesprochen werden, da in diesen Settings die Realisation
durch die andere Arbeitsorganisation deutlich anspruchsvoller ist und die Betreuung
durch Fachärzt*innen effektiv Zeit benötigt. Wenn auch aus organisatorischen Gründen
keine Rotation möglich ist, sollte auf entsprechende hauptamtliche Weiterbildungsbetriebe
der Radiologie verwiesen werden.
Anhang
Für eine ausführliche Erläuterung der Richtlinie für Fachkunde und Sachkunde verweisen
wir auf die Publikation von Herrn Loose aus dem Jahr 2017:
[Loose R, Wucherer M, Fachkunderichtlinien und Kurse zur Qualifikation. Der Radiologe. 2017 Jul; 57(7):
529–533. doi:10.1007/s00 117-017-0249-4].
Synoptische Übersicht „Richtlinie Fachkunde und Kenntnisse im Strahlenschutz“
Festgelegt in den Regeln für den Sachkunde- und Fachkundeerwerb sind eine Zeit zum
Sachkundeerwerb von 3–12 Monaten und eine bestimmte Anzahl von unter fachkundiger
Aufsicht durchgeführten und befundeten Röntgenuntersuchungen (Details siehe Richtlinie BMU-RS II4–11 603/01). Die Richtlinie unterscheidet zwischen Sach- und Fachkunde.
Sachkunde = praktische Erfahrung = Anzahl von durchgeführten/ befundeten Untersuchungen und
Zeitraum in dem diese durchgeführt werden. Dies beinhaltet auch die Stellung der rechtfertigenden
Indikation.
Fachkunde = Befähigung zur eigenverantwortlichen Durchführung (= Indikation+technische Durchführung+Befundung)
von Röntgenuntersuchungen = Kurse (mindestens Kenntnisse, Grund- und Spezialkurs)
+ Sachkunde
In Hinblick auf die erforderliche Sachkunde gibt die Richtlinie Vorgaben als auch
Hinweise für Handlungsspielraum:
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Inhaltlicher Umfang
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Die Sachkunde wird unter Anleitung, ständiger Aufsicht und Verantwortung eines Arztes,
der auf dem betreffenden Anwendungsgebiet die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz
besitzt (kann also auch ein Nichtradiologe*in sein), und durch den Nachweis einer
ausreichenden Anzahl dokumentierter Untersuchungen und Zeiten erworben.
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Zur Erreichung der geforderten Anzahl dokumentierter Untersuchungen sind die drei
Elemente a) rechtfertigende Indiktion, b) technische Durchführung und c) Befundung
in angemessener Gewichtung zu berücksichtigen.
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Nicht erforderlich ist, dass der die Sachkunde Erwerbende eine Mindestzahl von Untersuchungen
auch selbst in vollem Umfang technisch durchführt; insbesondere dürfen keine ungerechtfertigten
Röntgenuntersuchungen technisch durchgeführt werden, um das Ausbildungsziel zu erreichen.
Allerdings muss sichergestellt sein, dass die technische Durchführung in angemessenem
Umfang praktisch erlernt wird.
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Die Sachkunde im Strahlenschutz, z. B. das Stellen des richtigen Befundes an Hand
der Röntgenbilder, darf erforderlichenfalls zum Teil auf der Grundlage einer Fallsammlung
erworben werden.
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Für die Fachkunde Rö4 „intraoperatives Rönten“ können zusätzlich intraoperative „radiologische
Befundkontrollen“ angerechnet werden – sofern sie durch einen fachkundigen Arzt beaufsichtigt
werden.
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Zeitlicher Umfang
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Der Sachkundeerwerb erfordert im Regelfall eine arbeitstägliche (nicht gleichzusetzen
mit ganztägige) Rotation entsprechender WB-Assistent*innen in die Radiologie.
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Die Voraussetzungen für eine Reduktion der Mindestzeiten (z. B. von 12 auf 6 Monate)
werden in der Richtlinie dezidiert genannt.
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Reduktion jeweils auf die Hälfte, wenn die Sachkunde ganztägig in einer fachradiologischen
Abteilung mit Weiterbildungsbefugnis und dem erforderlichen Leistungsumfang erworben
wird.
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Reduzierung der Mindestzeiten bei Erwerb der Sachkunde in mehr als einem Organsystem
möglich, wenn bereits die Fachkunde für ein Anwendungsgebiet erfolgreich erworben
wurde und die gegebenenfalls erforderliche Aktualisierung nachgewiesen ist. In diesem
Fall verkürzt sich die Mindestzeit für jedes weitere Anwendungsgebiet um die Hälfte.
Die Anzahl der dokumentierten Untersuchungen verringert sich entsprechend.
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Die zu dokumentierenden Untersuchungen müssen nicht zusammenhängend erbracht werden.
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Dokumentationspflichten
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Die Anwendungszahlen und Mindestzeiten sind in einem Tätigkeitsbericht aufzuzeichnen
und von einem aufsichtsführenden fachkundigen Arzt monatlich zu bestätigen.
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Der Erwerb der Sachkunde ist durch Zeugnisse nachzuweisen.
J. Wessling (CAFRAD); G. Antoch (DRG), R. Loose (DRG), J. Lotz (KLR),