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DOI: 10.1055/a-1426-8180
Antwort auf den Leserbrief zum Beitrag "Die vier Schockformen – Teil 4: distributiver Schock"

Sehr geehrter Herr Kollege Glowna,
herzlichen Dank für Ihr Interesse an unserem Übersichtsartikel zum Thema „Distributiver Schock“ und Ihre detaillierte Nachfrage zur medikamentösen Therapie der (schweren) Anaphylaxie.
Das Thema des Applikationswegs von Adrenalin im anaphylaktischen Schock ist seit vielen Jahren Gegenstand zahlreicher Diskussionen, die bisher weder abschließend noch mit einem eindeutigen Ergebnis geführt wurden. Beispielhaft zeigt dies ein Übersichtsartikel von Ring et al. zum Thema „Adrenalin in der Akutbehandlung der Anaphylaxie“ im Dtsch Arztebl Int aus dem Jahr 2018 [1]. Die darin aufgeführte Tabelle 3 beschreibt die möglichen Applikationswege des Adrenalins mit den jeweiligen spezifischen Vor- und Nachteilen. Eine klare Überlegenheit der intravenösen (i.v.) Gabe gegenüber einer intramuskulären (i.m.) Gabe (oder umgekehrt) konnte bisher allerdings noch nicht gezeigt werden. Lediglich der Vorteil dieser beiden Applikationswege gegenüber einer subkutanen oder inhalativen (außer bei rein pulmonaler Symptomatik) Gabe scheint gesichert.
So bleibt dem behandelnden Team im Falle einer schweren Anaphylaxie die Entscheidung überlassen, wie das notwendige Adrenalin appliziert werden soll. Hier zeigt sich, dass eine verzögerte Gabe mit einer Verschlechterung des Outcomes assoziiert ist [2]. Ziel muss also sein, das Adrenalin möglichst zeitnah zur Wirkung zu bringen. Wie Sie korrekt anmerken – und wie auch in der S2-Leitlinie aufgeführt – „zeigt [Adrenalin], wenn es intravenös verabreicht wird, den schnellsten Wirkungseintritt aller Anaphylaxiemedikamente.“ [3] Dies setzt allerdings einen vorhandenen und sicher liegenden intravenösen Zugang voraus. Wie Sie aus Ihrer 35-jährigen Erfahrung sicher bestätigen können, ist die Etablierung eines i.v. Zugangs allerdings bei schweren Schockgeschehen nicht immer schnell und einfach möglich. Auch unsere Erfahrung zeigt, dass dies – zusammen mit der Vorbereitung der Punktion, der korrekten Desinfektion der Punktionsstelle, der eigentlichen Punktion, der Sicherung des i.v. Zugangs und der Vorbereitung der Infusion – gerne mal 3 Minuten dauern kann (und dann musste man noch nicht lange nach einer geeigneten Punktionsstelle suchen)! Hierdurch scheint der Zeitvorteil des schnelleren Wirkeintritts der i.v. Applikation gegenüber der i.m. Gabe wieder verloren, sollte noch kein i.v. Zugang vorhanden sein.
Ist ein intravenöser Zugang bereits etabliert, ist die von Ihnen propagierte Vorgehensweise sicherlich schneller im Wirkeintritt. Allerdings muss hier beachtet werden, dass Komplikationen, wenn auch von Ihnen als erfahrenem Anwender noch nicht beobachtet, nicht ausgeschlossen sind [4]. Dies sollte also dem erfahrenen Anwender vorbehalten bleiben, wie auch in der S2-Leitlinie zur Anaphylaxie beschrieben.
Da sich unser Übersichtsartikel nicht nur an den intensivmedizinisch Erfahrenen, sondern an die breite Masse der notärztlich Tätigen wenden möchte, bedarf es hier einer ausgewogenen Darstellung mit einfachen, praktischen und vor allem auch sicher und komplikationsarm durchführbaren therapeutischen Optionen. Dabei sehen es die Autoren auch aus medikolegalen Gründen als ihre Pflicht an, der Leserschaft die aktuell gültigen Leitlinien zur Therapie der schweren Anaphylaxie darzustellen. Diese beschreibt „Beim nicht reanimationspflichtigen Patienten ist die sofortige intramuskuläre Applikation einer Dosis von 0,3–0,5 mg Adrenalin (ab 30–50 kgKG) in die Außenseite des Oberschenkels die medikamentöse Therapie der ersten Wahl“, und führt weiter aus: „Gegenüber der intravenösen Applikation ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen erheblich geringer.“ [3] Erst „Bei fehlender Stabilisierung des Patienten und drohender Dekompensation von Atmung oder Kreislauf sollte Adrenalin intravenös appliziert werden.“ [3] Aus persönlichen Gesprächen weiß die Autorenschaft übrigens auch, dass es bei der zukünftigen Überarbeitung der Leitlinie bei diesen Empfehlungen bleiben wird.
Selbstverständlich steht es Ihnen als erfahrenem Anwender frei, im Rahmen der oben aufgeführten Überlegungen und der ärztlichen Therapiefreiheit von dem in der Leitlinie empfohlenen Vorgehen abzuweichen, ein solches Vorgehen sollte unseres Erachtens in einem Übersichtsartikel, der sich an die gesamte Notarzt-Gemeinschaft wendet, nicht explizit propagiert werden. Wir möchten daher an der in unserem Artikel aufgeführten Empfehlung zum Vorgehen bei der schweren Anaphylaxie/dem anaphylaktischen Schock gemäß den aktuell gültigen Leitlinien festhalten.
Mit kollegialen Grüßen
Holger Gässler, Tobias Jacko, Björn Hossfeld
Publication History
Article published online:
06 August 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Ring J, Klimek L, Worm M. Adrenaline in the acute treatment of anaphylaxis. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 528-534
- 2 Simons KJ, Simons FE. Epinephrine and its use in anaphylaxis: current issues. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2010; 10: 354
- 3 Ring J, Beyer K, Biedermann T. et al. Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. S2-Leitlinie der DGAKI, AeDA, GPA, DAAU, BVKJ, ÖGAI, SGAI, DGAI, DGP, DGPM, AGATE and DAAB. Allergo J Int 2014; 23: 96-112
- 4 Wood JP, Traub SJ, Lipinski C. Safety of epinephrine for anaphylaxis in the emergency setting. World J Emerg Med 2013; 4: 245-251