Schlüsselwörter
postthrombotisches Syndrom - Farbduplexsonografie - Scores
Key words
post-thrombotic syndrome - duplex ultrasound - scores
Einleitung
Die tiefe Venenthrombose (TVT) stellt wegen ihrer prognostischen Bedeutung ein zentrales
Thema in der Phlebologie dar. Einerseits kann sie die Ursache für eine akut lebensbedrohliche
Lungenarterienembolie darstellen. Andererseits kann sie als Folgezustand eine chronische
venöse Insuffizienz (CVI) hinterlassen, die in diesem Falle als postthrombotisches
Syndrom (PTS) bezeichnet wird.
Die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) verschlüsselt die Diagnose
„postthrombotisches Syndrom“ unter der Ziffer I87.0. Diese eindeutige Zuordnung suggeriert,
dass es sich um ein definiertes Krankheitsbild handelt. Ein Syndrom ist laut Duden ein „Krankheitsbild, das sich aus dem Zusammentreffen verschiedener
charakteristischer Symptome ergibt“. Auf der Website der Deutschen Gesellschaft für
Phlebologie wird die Erkrankung beschrieben als „Folgeerscheinungen, die Monate bis
Jahre nach einer tiefen Venenthrombose“ auftreten. Die etymologischen Erklärungen
lassen bereits eine ausgeprägte Unschärfe bei der Begriffsdefinition erkennen.
Die CEAP-Klassifikation lässt sich auf das PTS anwenden und liefert eine Charakterisierung
des Krankheitsbildes. Neben dem klinischen Stadium, das auch beim PTS vom leichten,
expositionell verstärkten Schweregefühl bis zum Ulcus cruris ausgeprägt sein kann,
sind die weiteren Buchstaben des Akronyms relevant: E
Si
besagt, dass es sich ätiologisch um ein sekundäres Krankheitsbild mit intravenöser
Ursache handelt. Da Veränderungen am tiefen Venensystem verantwortlich sind, findet
zur Anatomie A
D
Verwendung. Als pathologisches Korrelat können sowohl Obstruktionen als auch Reflux
eine Rolle spielen, sodass eine Beschreibung sowohl mit P
R
, P
O
oder P
R,O
denkbar wäre [1]. Unter Anwendung dieser Klassifikation lässt z. B. die Einteilung C4 ESi AD PR,OVIE darauf schließen, dass Hautveränderungen am Bein Folge eines PTS nach Thrombose der
V. iliaca externa mit Obstruktion und zusätzlichem Reflux aufgrund postthrombotischer
Klappendestruktion sind.
Wenngleich diese überarbeitete Version der CEAP-Klassifikation die Beschreibung der
Krankheit erleichtert, ergeben sich in der Praxis dennoch mitunter Schwierigkeiten
sowohl bei der pathophysiologischen Einordnung und der Therapieplanung als auch in
der gutachterlichen Bewertung.
Epidemiologie des postthrombotischen Syndroms
Epidemiologie des postthrombotischen Syndroms
Beim postthrombotischen Syndrom handelt es sich um ein chronisches Krankheitsbild
mit lang beobachtbarem Verlauf. Es existieren vergleichsweise viele Daten zur Inzidenz
und zur Prävalenz von Phlebothrombosen und PTS. Verschiedene Studien schätzen die
Inzidenz venöser Thromboembolien auf 0,2–2 pro 1000 Patienten/Jahr [2]
[3].
Eine multidisziplinäre Expertengruppe unter Leitung von Susan Kahn erstellte 2014 im Auftrag der American Heart Association ein Übersichtspapier zum
postthrombotischen Syndrom. In der Arbeit wird die Inzidenz der TVT in weitgehender
Übereinstimmung zu den o. g. Daten mit 1–3 von 1000 Menschen pro Jahr in der Gesamtbevölkerung
angegeben. Die Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms wird für 20–50 % der
Patienten erwartet [4].
Die Prävalenz des PTS wurde in der Bonner Venenstudie I mit 1,1 % ermittelt [5]. Prandoni et al. beziffern die Prävalenz mit 1–5 % [6].
Ein schwergradiges PTS wird laut Kahn bei 5–10 % der Betroffenen beobachtet [7].
Eine amerikanische Arbeitsgruppe verglich 2006 die Kosten, die entstehen, wenn sich
nach einer Phlebothrombose ein PTS entwickelt, mit denen, wenn es gelingt, ein PTS
zu verhindern. In der PTS-Gruppe standen durchschnittliche jährliche Aufwendungen
von $20 569 den Kosten in Höhe von $15 843 gegenüber, wenn sich kein PTS entwickelt,
was auf vermehrte Arztbesuche, technische Untersuchungskosten und Kosten für Heil-
und Hilfsmittel und Medikamente zurückzuführen ist. Wenn man diese Differenz auf die
o. g. epidemiologischen Daten bezieht und berücksichtigt, dass das PTS einen chronischen
und nicht selten progredienten Verlauf nehmen kann, lässt sich ableiten, welche immense
gesundheitsökonomische Bedeutung die Erkrankung hat [8].
Diagnosestellung
Die Diagnose eines postthrombotischen Syndroms lässt sich bei den meisten Patienten
allein anhand des klinischen Befundes und der Anamnese stellen. Die Patienten können
sich mit sämtlichen möglichen Symptomen einer CVI vorstellen, vom Schweregefühl in
der betroffenen Extremität im Tagesverlauf bis hin zu erheblichen Hautveränderungen
und Exulzerationen. Meist können auch Angaben zu einer stattgehabten Thrombose in
der Krankengeschichte gemacht werden.
Laut American Venous Forum besteht ein postthrombotisches Syndrom, wenn die folgenden
4 Kriterien erfüllt sind: das tägliche Auftreten von Schwellung und Schmerzen im Bein
seit mindestens einem Monat, der Beginn dieser Beschwerden 6 Monate oder länger nach
einer tiefen Beinvenenthrombose, Verschlechterung der Symptome beim Stehen oder Laufen,
Verbesserung bei Ruhe und Hochlagerung der Extremität („Ginsberg measure“ [9]). Diese Definition besitzt zwar den Charme, dass sie sich leicht im Rahmen wissenschaftlicher
Untersuchungen anwenden lässt. Allerdings wird sie der Komplexität des Krankheitsbildes
nicht gerecht, da z. B. auf Hautveränderungen gar nicht eingegangen wird.
Es existiert eine Reihe von Fallstricken, die eine weiterführende Diagnostik erforderlich
machen können. So muss einerseits nicht jede in der Anamnese explorierte Phlebothrombose
zur Ausprägung eines PTS führen, wohingegen aber typische Symptome eines Venenleidens
auch durch andere Ursachen imitiert werden können. Von besonderer Bedeutung sind Komorbiditäten
wie Adipositas, Lymphödem, radikuläre Blockierungen, aber auch Hautaffektionen wie
Kontaktekzeme und Kratzaffekte und nicht zuletzt die primäre Varikose, die differenzialdiagnostisch
abgegrenzt werden müssen.
Andererseits kann eine ursächliche Thrombose unerkannt sein, was insbesondere in der
Traumatologie eine Rolle spielt, da Schwellung und Schmerzen in der betroffenen Extremität
auch charakteristische Symptome z. B. einer Fraktur etc. sind. Nicht selten wird ein
PTS erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach einem Trauma im Zusammenhang mit einer Begutachtung
diagnostiziert.
Die Farbdoppler- und Duplexsonografie als Standardmethode ermöglicht die weitere Beurteilung
des postthrombotischen Syndroms und auch die Differenzierung von einer frischen Phlebothrombose.
Die aszendierende Press-Phlebografie hat als Primärdiagnostikum keine Bedeutung mehr.
Eine radiologische Bildgebung wird so gut wie ausschließlich im Rahmen geplanter Interventionen
eingesetzt, wie auch Schnittbildverfahren und der intravenöse Ultraschall (IVUS),
weshalb in dieser Arbeit nicht näher auf diese Methoden eingegangen werden soll.
Phlebologische Funktionsdiagnostik wie venöse Verschluss-Plethysmografie (VVP), Lichtreflex-Rheografie
(LRR) oder Phlebodynamometrie (PDM) kann in Einzelfällen zusätzliche behandlungsrelevante
Informationen liefern und spielt vor allem in der Verlaufskontrolle und der Begutachtung
eine Rolle.
Klinischer Befund und Krankheitsverlauf
Klinischer Befund und Krankheitsverlauf
Zum Verständnis der Pathophysiologie ist die von Hach und Hach-Wunderle eingeführte Untergliederung in 3 Erkrankungsstadien didaktisch sinnvoll. Als postthrombotisches
Frühsyndrom bezeichnen die Autoren die Phase der Rekanalisierung und Kollateralisierung
in den ersten Wochen nach der Phlebothrombose, die vor allem von einer Ödembildung
geprägt ist. Dem schließt sich das postthrombotische Syndrom (im engeren Sinne) an,
welches über viele Jahre stabil sein kann und durch die o. g. Ginsbergsche Symptom-Tetralogie
gekennzeichnet ist. Nach Jahren bis Jahrzehnten schließlich entwickelt sich als Ausdruck
einer Dekompensation der Kollateralvenen das postthrombotische Spätsyndrom. In dieser
Phase lassen sich häufig eine Perforansinsuffizienz und eine sekundäre Stammvarikose
feststellen. Im klinischen Erscheinungsbild können Hautveränderungen bis hin zum Ulcus
cruris hinzutreten [10]. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass zusätzlich komplexe inflammatorische Vorgänge
an der Pathogenese beteiligt sind.
Der Krankheitsverlauf kann individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Maßgebliche
Einflussfaktoren sind das Alter, die betroffene Etage und vor allem das Auftreten
von Rezidivthrombosen.
Die Unterscheidung dieser 3 Krankheitsphasen ist sinnvoll, da die Kenntnis der pathophysiologischen
Entwicklung die Interpretation der klinischen Befunde, der Ultraschallbefunde und
der phlebologischen Funktionsdiagnostik erleichtert.
Die Duplexsonografie markiert den Goldstandard der Diagnostik
Die Duplexsonografie markiert den Goldstandard der Diagnostik
Die Ultraschalldiagnostik liefert Informationen zur Lokalisation des PTS und zum Grad
von Rekanalisierung und Kollateralisierung. Eine Korrelation zwischen Ultraschallbefund
und Klinik ist dabei nicht verlässlich zu erwarten, sodass bisweilen beeindruckende
Ultraschallbefunde mit nur geringer Symptomatik einhergehen können und gleichzeitig
massive Hautbefunde nur geringfügige Veränderungen im Ultraschall aufweisen.
Über die topografische Manifestation postthrombotischer Veränderungen existieren nur
wenige Daten. Eine italienische Arbeitsgruppe detektierte unter 189 Patienten mit
tiefer Beinvenenthrombose an 166 eine proximale und nur an 23 eine distale Thrombose.
Eine isolierte Thrombose der Beckenvenen wurde in der untersuchten Gruppe nicht nachgewiesen
[11]. Johnson et al. führten über 6 Jahre Nachuntersuchungen an 83 Beinen durch, an denen eine tiefvenöse
Thrombose aufgetreten war. 23 zeigten ein Ödem, 11 eine Hyperpigmentierung, 2 wiesen
ein Ulcus cruris auf. 65 % hatten sowohl eine Obstruktion als auch einen Reflux entwickelt.
Während 59 % (n = 49) keine Symptome eines PTS aufwiesen, war in der Ultraschalluntersuchung
nur in 12 % eine vollständige Normalisierung festzustellen [12]. Dies kann exemplarisch als Beleg dafür angesehen werden, wie stark klinischer und
Ultraschallbefund voneinander abweichen können.
In weiteren vergleichenden Ultraschalluntersuchungen an Patienten mit und ohne PTS
nach tiefer Venenthrombose konnte dieselbe Arbeitsgruppe belegen, dass ein klinisch
relevantes PTS signifikant häufiger assoziiert war mit postthrombotischen Veränderungen
in der Vena poplitea und den Venae tibiales posteriores, wohingegen sich Veränderungen
auf der Etage der Magnacrosse in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschieden
[13]. Dieser Umstand entspricht der Beobachtung des Autors in der täglichen Praxis und
ist insofern bemerkenswert, da der einzige aktuell verfügbare und verstärkt im wissenschaftlichen
Fokus stehende interventionelle Behandlungsansatz gerade nur auf diese Gefäßetage
(Beckenvenen) abzielt.
Die Funktion der Vena profunda femoris ist wenig untersucht, wenngleich das Gefäß
in der Venenchirurgie durchaus eine Rolle spielt. Der duplexsonografischen Exploration
entzieht sie sich weitgehend bzw. ist lediglich über wenige Zentimeter im Bereich
der Gabel darstellbar.
Die Bedeutung der Duplexsonografie bei der Behandlung des PTS liegt neben dem qualitativen
Nachweis eines PTS im Sinne der Differenzialdiagnose in der Abgrenzung von einer akuten
Phlebothrombose und der Befunddokumentation im Rahmen der Verlaufskontrolle. Insbesondere
der letztgenannte Punkt ist in der Praxis von großer Relevanz, da von einer Befunddynamik,
etwa in der Folge rezidivierender Thrombosen, das Antikoagulationsmanagement abhängen
kann.
Typische Ultraschallbefunde des postthrombotischen Syndroms
Typische Ultraschallbefunde des postthrombotischen Syndroms
In der Frühphase des postthrombotischen Syndroms unterscheidet sich der duplexsonografische
Befund nur wenig von dem der akuten Phlebothrombose. Eine Kollateralisierung ist oft
noch nicht ausgebildet und die betroffenen Venen sind subtotal oder komplett okkludiert
([Abb. 1a, b]).
Abb. 1 Akute Thrombose vs. postthrombotisches Syndrom. a Akute Phlebothrombose der Vv. tibiales posteriores links. Die Venen sind komplett
reflexreich ausgefüllt ohne Flusssignal wie in der gesunden Gegenseite. b PTS der Vv. tibiales posteriores links. Gegenüber dem homogenen Farbsignal auf der
Gegenseite zeigt sich ein inhomogenes, aufgrund von Turbulenzen „buntes“ Farbbild
mit Aliasing und Kollateralen.
Im Verlauf der Vena femoralis kann mitunter ihre Doppelanlage an Bedeutung gewinnen
([Abb. 2a–c]).
Abb. 2 Postthrombotisches Frühsyndrom. a Klinischer Befund bei 14 Tage alter Beckenvenenthrombose des linken Beins: ausgeprägtes
perimalleoläres und crurales Ödem, Umfangsdifferenz bis 11 cm. b Fortbestehende komplette Okklusion der V. iliaca externa und V. iliaca communis links.
Die Darstellung dieser Region erfordert den Einsatz der Konvexsonde. Es empfiehlt
sich der Seitenvergleich. c Die V. femoralis links ist noch komplett okkludiert. Als Ausdruck der Kompensation
ist bereits die ventral der Arterie darstellbare Doppelanlage der Vene rekrutiert.
Die V. poplitea ist in der Kompressionssonografie thrombusfrei (rechtes Bild).
Eine Rekanalisierung kann im Verlauf zu beobachten sein. In den ersten Wochen ist
der Thrombus reflexarm und homogen, was dafür spricht, dass er noch nicht fibrotisch
organisiert ist. Diese Krankheitsphase zu erkennen ist von therapeutischer Relevanz,
da zu diesem Zeitpunkt sowohl die Kompressionstherapie konsequent appliziert werden
muss, da sie noch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung des PTS hat [14], und in dieser Phase auch interventionelle und chirurgische Akutmaßnahmen noch sinnvoll
sein können.
Das postthrombotische Syndrom im eigentlichen Sinne ist gekennzeichnet durch einen
zunehmend strähnigen Umbau im Sinne der Fibrose bei gleichzeitiger Rekanalisierung
und Ausbildung von Kollateralen. Für den klinischen Befund besitzt jedoch vor allem
der Reflux aufgrund der destruierten Venenklappen eine Bedeutung. Während die Darstellung
der Leitvenen ab Knie-Etage aufwärts in der Regel leichtfällt, kann die aussagekräftige
Bildgebung im Unterschenkelbereich Probleme bereiten, da Ödem, Hautindurationen oder
auch Unterhautfett die in der Tiefe der Muskulatur verlaufenden Venenpaare maskieren
können. Es empfiehlt sich aus diesem Grunde, stets den Vergleich mit der gesunden
Seite zu suchen ([Abb. 3a–c]). Bei besonders kräftigen Beinen kann der Einsatz der Konvexsonde ebenso sinnvoll
sein wie im Beckenbereich.
Abb. 3 Postthrombotisches Syndrom im eigentlichen Sinne. a Klinischer Befund bei PTS 12 Jahre nach 3-Etagen-Thrombose des rechten Beins: umschriebenes
Knöchelödem (Schwellneigung im Tagesverlauf), deutliche Hyperpigmentierung als Ausdruck
der trophischen Hautveränderungen, kleine Ulkusnarbe am Schienbein. b „Pseudoseptenartige“ Residualbefunde in der V. poplitea rechts bei partieller Rekanalisierung
und Leitvenenreflux im PW-Doppler (rechtes Bild). c Im Provokationsmanöver stellt sich die V. poplitea aufgrund der postthrombotischen
Residuen mit inkompletter Farbfüllung dar, in der Muskeldiastole deutlicher Farbumschlag
als Ausdruck des tiefvenösen Refluxes (rechts).
Die beschriebenen Veränderungen lassen sich auch beim postthrombotischen Spätsyndrom
nachweisen. In dieser Phase, die aufgrund der sehr langen Krankengeschichte mit einer
weiteren Verschlechterung des Hautbildes einhergeht, lässt sich als Ausdruck der Überlastung
kompensatorischer Mechanismen eine zusätzliche Insuffizienz der epi- und transfaszialen
Venen beobachten: Perforatoren werden insuffizient und nehmen im Durchmesser zu und
eine Stammvarikose verstärkt sich oder entsteht. Der daraus resultierende zusätzliche
Reflux führt zu einer Erhöhung des ambulatorischen Venendrucks mit konsekutiver Verstärkung
der Symptome oder sogar Verschlechterung der trophischen Situation der Haut. Häufig
zu beobachten ist dieser Prozess im Bereich der Perforatoren der Tibialis-posterior-Gruppe
(frühere Nomenklatur: Cockett-Gruppe). Sie verbinden die hintere Bogenvene oder Äste
der V. saphena parva mit den Vv. tibiales posteriores. Im Normalfall drainieren sie
das Blut aus den epifaszialen Gefäßen in die tiefen Beinvenen, sodass es sich nicht
zwingend um einen pathologischen Reflux handelt, sondern um den physiologischen Wiedereintritt
in das tiefe Venensystem. Eine echte Perforansinsuffizienz hingegen entwickelt sich
im Rahmen eines PTS, wenn der reguläre Abstrom über die Vv. tibiales posteriores aufgrund
einer Okklusion oder eines Leitvenenrefluxes gestört ist. In dem Fall kann eine deutliche
sekundäre Varikose distal der Cockett-Gruppe erkennbar werden, die zu einem Ödem im
Bereich des Innenknöchels, einer Corona phlebectatica oder zur Verstärkung von Hautveränderungen
führt ([Abb. 4a, b]).
Abb. 4 Postthrombotisches Spätsyndrom. a Symptomatische Varikose im Bereich der rechten Innenknöchels 6 Jahre nach Fraktur
des oberen Sprunggelenks. Ein postthrombotisches Syndrom der Vv. tibiales posteriores
war bis zum Untersuchungszeitpunkt nicht bekannt. b Der insuffiziente Perforator der Tibialis-posterior-Gruppe stellt den proximalen
Insuffizienzpunkt dar. Der physiologische Wiedereintritt und Abstrom sind aufgrund
der postthrombotischen Veränderungen in den tiefen Venen gestört (V. saphena magna
ist kompetent).
Wenngleich sich im Laufe der Jahre die Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms
von den Frühsymptomen zum Spätsyndrom in der Regel verfolgen lässt, so bedeutet dies
nicht, dass ein postthrombotisches Spätsyndrom auch regelhaft mit massiven Hautveränderungen
und Beschwerden einhergehen muss. Zum einen hängt diese Entwicklung vom Ausmaß der
zugrunde liegenden Thrombose und von einer Reihe begleitender individueller Faktoren
ab (Alter, Gewicht, Komorbiditäten), zum anderen ist gerade diese Entwicklung durch
eine adäquate Therapie auch zu beeinflussen.
Die phlebologische Funktionsdiagnostik ergänzt die Befunddokumentation
Die phlebologische Funktionsdiagnostik ergänzt die Befunddokumentation
Aufgrund ihrer exzellenten optischen Auflösung und der Fülle an dynamischen Informationen,
welche moderne Ultraschallmaschinen liefern, sind unter Kenntnis von Krankengeschichte
und klinischem Befund in der Regel weitere bildgebende oder diagnostische Verfahren
nicht erforderlich, um ein postthrombotisches Syndrom zu erkennen bzw. adäquat zu
behandeln.
Die Einbeziehung der traditionellen phlebologischen Verfahren VVP, LRR und PDM kann
sich besonders dann als nützlich erweisen, wenn konkurrierende Krankheitszustände
in ihrer pathologischen Bedeutung gegeneinander abgewogen werden müssen, wie z. B.
ein vorrangig okklusives PTS bei gleichzeitigem Vorliegen eines Refluxes im Rahmen
einer primären Stammvarikose ([Abb. 5a–c]).
Abb. 5 Phlebologische Funktionsdiagnostik: LRR und VVP (Patient aus [Abb. 3]). a Lichtreflex-Rheografie (LRR): Gestörte Pumpleistung im Arbeitsmanöver und im Seitenvergleich
deutliche raschere venöse Wiederauffüllzeit rechts (8 s vs. 38 s) belegen den venösen
Reflux. b Venöse Verschluss-Plethysmografie VVP): Im Seitenvergleich verlangsamter venöser
Abstrom am erkrankten rechten Bein (80,1 ml/min vs. 112,7 ml/min) als Ausdruck der
obstruktiven Komponente des PTS. c Phlebodynamometrie (PDM): Die Absenkung des Venendrucks ist im erkrankten rechten
Bein erheblich reduziert gegenüber dem gesunden (21,2 mmHg vs. 48,2 mmHg). Darüber
hinaus ebenfalls beschleunigte venöse Auffüllzeit (17,3 s vs. 130,1 s, beachte die
geänderte Zeitachse).
VVP und LRR sind aufgrund ihrer unkomplizierten und schnellen Durchführung auch hervorragend
zur Dokumentation des Krankheitsverlaufs geeignet. So kann beispielsweise eine plötzliche
Verschlechterung des venösen Abstroms in der VVP die Differenzierung eines PTS mit
frisch stattgehabter Rezidiv-Thrombose von einem älteren postthrombotischen Residualbefund
erleichtern. Gerade diese Differenzialdiagnostik ist oftmals allein mit Ultraschall
nicht möglich.
Die Methoden haben darüber hinaus noch im Rahmen der medizinischen Begutachtung einen
Stellenwert. Thrombose und postthrombotisches Syndrom sind nicht selten Anlass für
Begutachtungen im Rahmen des Entschädigungsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung.
Da sich ein postthrombotisches Syndrom über einen langen Zeitraum entwickelt, in welchem
naturgemäß auch eine Reihe von Komorbiditäten eintreten können, kann es für einen
Gutachter nützlich sein, wenn er seine Argumentation durch Messwerte belegen kann.
Ein schwergradiges PTS als Unfallfolge kann eine entschädigungspflichtige Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) bis zu 50 % begründen [15].
Am besten belastbar ist die direkte Messung des Venendrucks mittels Phlebodynamometrie.
Jedoch ist die Methode aufgrund ihrer Invasivität und des Untersuchungsaufwandes nicht
als Screening-Methode geeignet. Die Nachteile von Lichtreflex-Rheografie und venöser
Verschluss-Plethysmografie bestehen in ihrer Anfälligkeit gegenüber äußeren Fakten
wie Raumtemperatur, Tageszeit und Hautzustand. Aus diesem Grunde sollte die Bewertung
ihrer Ergebnisse nicht in erster Linie auf der Basis der gelieferten Absolutwerte
erfolgen, sondern stets unter Berücksichtigung der Werte der gesunden Extremität.
Die Klassifikation des postthrombotischen Syndroms mithilfe von Scores
Die Klassifikation des postthrombotischen Syndroms mithilfe von Scores
Zur wissenschaftlichen Analyse sowie im Rahmen der gutachterlichen Bewertung ist immer
wieder versucht worden, das PTS zu quantifizieren. Eine niederländische Arbeit hat
verschiedene Definitionen des Krankheitsbildes und international übliche Score-Systeme
evaluiert und dabei insbesondere auch deren Korrelation mit dem maßgeblichen pathologischen
Faktor, dem ambulatorischen Venendruck, untersucht. Kolbach et al. analysierten die Widmer- und die CEAP-Klassifikation, den Venous-Clinical-Severity-Score
(VCSS) und die Scores von Villalta und Brandjes. Die Autoren kamen dabei zu dem Ergebnis,
dass alle Scores in unterschiedlicher Weise subjektive Beschwerden und objektivierbare
Symptome berücksichtigen und eine Korrelation zur venösen Hypertension aufweisen,
wobei letztere allerdings nur in den schweren Krankheitsstadien relevant sind [16].
Die Widmer-Klassifikation beschränkt sich in 3 Schweregraden lediglich auf die klinischen
Symptome. Sie kann als verlassen betrachtet werden, da sie durch die 2020 neu überarbeitete
CEAP-Klassifikation abgelöst wurde, die, wie eingangs beschrieben, neben der konkreteren
Beschreibung des klinischen Zustandes auch Informationen über die Anatomie, die Ätiologie
und die Pathophysiologie liefert.
Der Venous Clinical Severity Score (VCSS) erweitert die klinische Klassifikation um
eine Schweregradeinteilung (0–3). Zusätzlich werden auch das Symptom Schmerz und die
Ulkusgröße erfasst sowie die Intensität der erforderlichen Kompressionstherapie. Der
Score ist für das PTS ebenso gut anwendbar wie für die Varikose und ist ein Standardwerkzeug
in Studien [17]. Der Villalta-Score (nach dem Hauptautor der bekannteren, obgleich später erschienenen
Publikation auch Prandoni-Score genannt) erfasst neben den klinischen Symptomen zusätzlich
die subjektiven Beschwerden des Patienten ([Tab. 1]) [18]. Er ist übersichtlich aufgebaut und damit nicht nur für Studien geeignet, sondern
sehr alltagstauglich auch in der täglichen Praxis.
Tab. 1
Villalta-Score [18].
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Schweregrad
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0
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1
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2
|
3
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Beschwerden
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klinische Zeichen
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Für jede Qualität können 0–3 Punkte vergeben werden (nicht – gering – moderat – schwer).
Ein Score von 5–14 entspricht einem milden bis moderaten PTS. Ein Score von ≥ 15 bzw.
inkl. Ulcus cruris entspricht einem schwergradigen PTS.
Im Rahmen einer Studie zur Messung des Effektes der Kompressionstherapie bei Patienten
mit symptomatischen proximalen Beinvenenthrombosen, die 1997 im Lancet erschien, wurde
der Brandjes-Score entwickelt [19]. Er erfasst neben objektivierbaren Kriterien wie Beinumfängen und Hautveränderungen
auch subjektiv angegebene Symptome wie Spontanschmerz bzw. durch Stehen oder Laufen
provozierten Schmerz, Schweregefühl und Einschränkungen bei der Verrichtung von Alltagsaktivitäten.
Der relativ aufwendige Score zielte darauf ab, ein mildes bis moderates PTS von der
schweren Verlaufsform zu unterscheiden.
Die Scores berücksichtigen in unterschiedlicher Weise subjektive Beschwerden und objektivierbare
klinische Symptome. Es besteht eine Korrelation zum Venendruck, wobei dieser bei schwergradigen
Krankheitsstadien deutlicher erkennbar ist als bei milden bis moderaten Stadien des
PTS. Jedes der verschiedenen, in der wissenschaftlichen Literatur gebräuchlichen Score-Systeme
besitzt seine eigene Charakteristik, seine Schwerpunkte, aber auch Lücken, ohne dass
einer der Scores Überlegenheit aufweist. Zur wissenschaftlichen Betrachtung des PTS
sollten daher möglichst verschiedene Scores Verwendung finden, während nach Ansicht
des Autors die Implementierung eines der Scores in der praktischen Routine zu empfehlen
ist.
Fazit
-
Das postthrombotische Syndrom besitzt neben der individuellen Bedeutung für den betroffenen
Patienten eine große gesundheitsökonomische Bedeutung.
-
Neben der Zuordnung der typischen klinischen Befunde eines postthrombotischen Syndroms
und der Anamneseerhebung ist die Duplexsonografie die Methode der ersten Wahl zur
Sicherung und Beurteilung des postthrombotischen Syndroms.
-
Die verlässliche Quantifizierung des Krankheitsbildes ist schwierig. Im Rahmen wissenschaftlicher
Untersuchungen und im Zusammenhang mit der Begutachtung stellen evaluierte Scores
und Klassifikationen ein nützliches Werkzeug dar. Ihre Verwendung sollte in der deutschen
Phlebologie gestärkt werden.