Diabetes aktuell 2021; 19(02): 43-44
DOI: 10.1055/a-1477-7062
Editorial

Wir sollten für unsere Diabetes-Patienten unsere Stimme erheben

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Vor einigen Tagen konnten wir in dem renommierten Magazin Nature Metabolism einen Artikel zur derzeitigen Situation für Diabetes-Patienten weltweit in der Corona-Pandemie veröffentlichen [1]. Zusammen mit fast 30 weltweit führenden Diabetologen kommen wir zu dem Schluss, dass es notwendig ist, neben der ganzen wichtigen Diskussion um die Bewältigung der Corona-Pandemie aber auch darüber zu diskutieren, was danach geschieht.

Was passiert momentan mit der Versorgung unserer Diabetes-Patienten während der Pandemie und welche Bedeutung hat das für den Zeitraum danach? Die Situation ist in vielen Ländern ganz unterschiedlich. Wir erleben in Deutschland, dass durch die Konzentration auf die Behandlung von Patienten mit COVID-19 viele Stationen geschlossen werden, um Platz zu schaffen für die Corona-Patienten. Das ist richtig und wichtig. In sehr vielen Kliniken hat das Diabetes-Stationen betroffen und insbesondere auch Stationen, die sich auf die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms konzentrieren. Schauen wir jetzt nach vorne, steht die Frage im Raum, ob auch alle diese Stationen wieder geöffnet werden. Man könnte spekulieren, dass die Pandemie-Reaktion genutzt wird, um Stationen, die keinen positiven wirtschaftlichen Ertrag bringen, klammheimlich zu schließen.

Was könnte das für unsere Diabetes-Patienten bedeuten? Wir sehen viele Facetten, dass durch Corona die Prävalenz des Diabetes ansteigt. Einerseits gibt es viele Berichte von niedergelassenen Kollegen, die eine 10–20 %ig höhere Prävalenz von Typ-2-Diabetes in ihrem Umfeld sehen. Der Lockdown Anfang 2020, aber auch der verlängerte Lockdown und Corona-Angst haben Arztkontakte deutlich reduziert, sodass für manche Patienten ein Diabetes später diagnostiziert wird. Es kann natürlich auch sein, dass durch den Lockdown, zusätzlichen Bewegungsmangel und ein verändertes Verhalten die klassische Pathophysiologie der Entstehung eines Typ-2-Diabetes schneller abläuft. Wir dürfen aber nicht unterschätzen, dass viele Corona-Patienten von uns mit hoch dosiertem Dexamethason behandelt werden und viele dieser stationär behandelten Corona-Patienten metabolische Risikopersonen sind. Es besteht ein substanzielles Risiko, dass wir uns hiermit eine zusätzliche Anzahl zukünftiger Diabetiker „züchten“, durch Schädigung der Betazelle oder auch eine Progression der Insulinresistenz.

Sehr interessant war zu sehen, wie andere Länder mit der Situation umgehen. Dramatisch zeigt sich die Entwicklung in vorwiegend afrikanischen oder auch anderen armen Ländern. Diese Länder, die ebenso von einem Lockdown betroffen sind, haben viele Menschen, die täglich von der Hand in den Mund leben. Der Wegfall von Gelegenheitsjobs bedeutet dann sehr schnell den Wegfall jeglicher Einnahmen, und für Diabetes-Patienten damit auch den Wegfall der Chance, Medikamente bezahlen zu können. Manche Patienten strecken ihr Insulin für eine Woche dann für einen Monat, oder haben gar keine Medikamente mehr. Dem gegenüber stehen Länder wie Singapur oder andere reiche asiatische Länder, die sehr proaktiv mit dem Behandlungsmanagement für Diabetes-Patienten umgegangen sind. In Singapur wurde eine Priorisierungsmatrix eingeführt, die Diabetes-Patienten mithilfe von telemedizinischen Tools hinsichtlich des Behandlungsbedarfs einschätzt und dann in 3 Stufen telemedizinisch und in einer vierten Stufe ambulant/stationär behandelt hat. Letztendlich kommt man aber immer wieder zu dem Schluss, dass es unbedingt notwendig ist, zu impfen und auch bei den Diabetes-Patienten die Impfwilligkeit zu unterstützen. Aus Corona-Sicht bedeutet die Pandemie, dass nach der Pandemie mehr Diabetes-Patienten zu behandeln sind als vorher. Und für diese Patienten, aber auch jeden anderen Patient mit Risikofaktoren – auch junge Menschen – ist die Impfung der schnellste und am besten verfügbare Schutz vor einer zusätzlichen Progression der chronischen Erkrankung. Es ist sehr schade, dass so viel Unverständnis und Zurückhaltung im Hinblick auf die Impfung existiert und auch das ist etwas, wo wir als ärztliche Kollegen proaktiv unsere Patienten motivieren sollten.

Corona hat einen starken Impact auf unsere Möglichkeiten, unsere Diabetes-Patienten zu behandeln. Wer denkt, dass nach Corona alles wieder so sein wird wie vorher, wird sich mit veränderten Bedürfnissen und Ansprüchen, veränderten Möglichkeiten, aber auch einer veränderten Anzahl Patienten in einem Umfeld mit veränderten Versorgungsprozessen und Strukturen wiederfinden. Es ist wichtig, dass wir unsere Stimme erheben, um für unsere Diabetes-Patienten eine evidenzbasierte innovative Diabetes-Versorgung sicherstellen.



Publication History

Article published online:
29 April 2021

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