quaranta
               giorni) – nicht zu stoppen: Schiffstaue ans Ufer waren für Ratten
               als Vektoren durchaus gangbar [1]. Die Ursache
               dieser Pandemie blieb für die Zeitgenossen im Dunkeln. Übertragungen
               durch Erreger, zumal vom Tier auf den Menschen, waren der damaligen Medizin
               unbekannt. Die Galenische Lehre legte ein Missverhältnis der
               Körpersäfte nahe, möglicherweise verursacht durch faulige
               Winde aus Asien. Die medizinische Fakultät zu Paris vermutete eine
               ungünstige Konstellation der Planeten Saturn, Jupiter und Mars als
               ursächlich. Den Gedanken einer Übertragung durch Berührung
               (Kontagionstheorie) entwickelte Girolamo Fracastoro erst zwei Jahrhunderte
               später. Der Keimtheorie Louis Pasteurs gelang erst im 19. Jahrhundert der
               Durchbruch. Sie wurde nicht zuletzt gestützt durch die Entdeckung des
               Choleraerregers durch Fillipo Pacini 1854 und die stringente Beweisführung
               der Kausalität von Keimen hinsichtlich übertragbarer Krankheiten mit
               Hilfe der von Jakob Henle, Robert Koch und Friedrich Löffler formulierten
               Postulate. Gewissheit über den Erreger des die weitere Entwicklung Europas
               prägenden Großen Sterbens – vermutet wurde schon Ende des
               19. Jahrhunderts der durch Yersin und Kitasato entdeckte Pesterreger –
               brachten erst die Forschungsergebnisse einer wiederum internationalen Arbeitsgruppe,
               welche 2011Yersinia pestis aus den Skeletten eines Londoner Pestfriedhofs zu
               isolieren vermochte [2]. Die große
               Diskrepanz zwischen der hohen Sterblichkeit im ausgehenden Mittelalter und den
               heutigen Beobachtungen zur Pest-Letalität lassen sich dabei nicht durch
               genetische Unterschiede im Erregergenom erklären. Nach Meinung der Autoren
               sind dafür die Umwelt, Vektor-Dynamiken und die Empfänglichkeit des
               menschlichen Wirtsorganismus näher zu betrachten.
            Um hier einen Bezug zur Gegenwart herzustellen: Ist dies nicht auch ein fruchtbarer
               Denkansatz zum Verständnis der Coronapandemie der Jahre 2020/21? Die
               epidemiologische Triade aus Erreger (Agent), Wirt (Host) und Umwelt (Environment)
               ist ein grundlegendes bevölkerungsmedizinisches Konzept. Es ist dabei nicht
               nur für Infektionskrankheiten hilfreich, auch wenn es in diesem Umfeld
               besonders plastisch ist. Um beim Erreger zu beginnen: SARS-CoV-2 trägt schon
               im Namen einen Hinweis auf eine Differenzierung des Erregers, zunächst zum
               SARS-CoV-1-Erreger des Jahres 2003, ebenfalls einem Beta-Coronavirus. Zu beobachten
               ist zudem, dass Coronaviren unter pandemischen Bedingungen mit Millionen befallener
               Personen ein erhebliches Potential für fortlaufende Veränderungen
               haben. Zunächst finden sich dabei einzelne Mutationen von Interesse (MOI)
               oder auch von potentieller Besorgnis (MOC), die dann zu Varianten von Interesse
               (VOI) bzw. unter Beobachtung (VUI) und darüber hinaus auch zu
               besorgniserregenden Varianten (VOC) und deren weiteren Ausbreitung führen
               können. Exemplifiziert wurde dieser evolutionsbiologisch verstehbare Ablauf
               durch die Verbreitung der neuen VOC B.1.1.7 zum Jahreswechsel 2020/21 auf
               dem europäischen Festland, welche gegenüber der
               Vorgängervariante über eine erhöhte Infektiosität
               verfügt sowie darüber hinaus auch über eine erhöhte
               Virulenz und die klassische Variante nahezu vollständig ersetzt hat [3]. Die Beurteilung der Virulenz nur anhand der
               Krankheitsverläufe nach Hospitalisierung ist im Übrigen
               irreführend, entscheidend kann vielmehr schon ein im Vergleich zur
               klassischen Variante erhöhtes Risiko für eine solche
               Krankenhausaufnahme sein.
            Einfluss auf das Infektionsrisiko und die Verlaufsschwere einer Erkrankung haben
               wiederum eine Vielzahl von Eigenschaften, welche dem Wirt zuzuordnen sind. Oder
               vielleicht besser den Wirten – COVID-19 ist eine Zoonose und besiedelt
               menschliche und tierische Wirte, von der Fledermaus in freier Wildbahn bis zu Tigern
               und Löwen im Zoo. Wirtsfaktoren können die Empfänglichkeit
               für Infektionen betreffen, z.B. eine herabgesetzte Immunabwehr, sie
               können die Schwere des Krankheitsverlaufs z.B. bei Vorliegen bestimmter
               Grunderkrankungen betreffen und sie können auch die Kontagiosität
               betreffen, das heißt das Potential für eine Infektionsweitergabe
               [4]
               [5]. So
               werden bei COVID-19 auch erhebliche Unterschiede in der Anzahl der von einem
               Primärfall infizierten Sekundärfälle beschrieben, eine sog.
               Überdispersion, verursacht von Superemittern in einem für
               Superspreading-Ereignissen geeigneten Kontext [6]
               [7]. Der Status eines Superemitters
               scheint wiederum sehr von der Lautstärke bei Sprache und Gesang
               abzuhängen – nicht umsonst wird von „Bars &
               Bands“ abgeraten [8]
               [9]. Nicht zuletzt verändern verabreichte
               Schutzimpfungen entscheidend die Empfänglichkeit für Infektionen und
               bei Infektion dann auch die Schwere der Krankheitsverläufe.
               Möglicherweise gilt das auch für Kreuzimmunitäten nach
               vorangegangenen Coronaviren-Infektionen. Hinzu kommt die
               bevölkerungsmedizinische Perspektive, z.B. in Hinblick auf genetische und
               kulturelle Besonderheiten oder den demographischen Aufbau einer Population und die
               allein schon dadurch gegebene Vulnerabilität oder Resilienz einer
               Gruppe.
            Am komplexesten ist unter diesen drei zentralen Einflussgrößen der
               Bereich der Umwelt (Environment). Hier ist zunächst festzuhalten, dass unter
               „Umwelt“ sowohl die natürliche als auch die zivilisatorische
               und soziale Umwelt zu verstehen ist. Um bei der natürlichen Umwelt zu
               beginnen: Saisonale Periodizitäten wurden für verschiedene
               Beta-Coronaviren beschrieben und sind auch für SARS-CoV-2 anzunehmen [10]
               [11]. Diese
               saisonalen Schwankungen sind wiederum als Wechselwirkung von natürlichen
               physikalisch-chemischen Einflüssen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und
               UV-Strahlung mit menschlichem Verhalten zu sehen – z.B. den Vorlieben und
               Treffpunkten in der freien Luft und entsprechend geringeren Infektionsrisiken. Die
               zivilisatorische Umwelt interagiert wiederum mit der natürlichen Umwelt:
               durch Bebauungsformen und Siedlungsdruck, durch die Produktionsformen tierischer
               Lebensmittel und ihre Handels- und Lieferketten, durch eine auch sozial und
               ökonomisch bedingte Mobilität und Nähe von Menschen
               untereinander und auch von Mensch und Tier, durch Emmissionen von Feinstaub u.a.m..
               Sogar ein politisches Risiko lässt sich skizzieren: Hervorgebracht durch das
               gesellschaftliche Bedürfnis einer vorbeugenden Forschung mit potentiellen
               Zoonoseerregern mit pandemischem Potential und einem nachgelagerten Risiko
               für Laborunfälle. Last not least sind die bekannten sozial
               vermittelten Risiken und Vulnerabilitäten wirksam: Einkommens- und
               Bildungsarmut, Arbeitsbedingungen mit hohem Infektionsrisiko, Komorbiditäten
               mit sozialen Gradienten u.a.m. [12].
            Drei getrennte Perspektiven? Getrennt nur als Heuristik und zur konzeptionellen
               Klärung: In ihren Auswirkungen und Wirkmechanismen interagieren alle drei
               Perspektiven auf das Intensivste, von der Entstehung von Risikokonstellationen
               über die Krankheitsverläufe bis zu den Spätfolgen.
               Einerseits sind Infektionskrankheiten ungeachtet ihrer Abhängigkeit von
               einem spezifischen Erreger ätiologisch keine Exoten. Viele aus der Umwelt-
               und Sozialepidemiologie bekannten Konstellationen werden hier manifest. Andererseits
               stellen sich auch COVID-19-spezifische Herausforderungen für die
               medizinische Versorgung in Prävention, Therapie und Rehabilitation. Diese
               betreffen die verschiedensten Facetten des Gesundheitswesens. Einen allgemeineren
               Blick auf die Facetten in ihrer sektoralen Vielfalt und in ihren Herausforderungen
               geben die Beiträge in diesem Heft: Zur Einstellung deutscher
               Hausärzte zu rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer
               Tätigkeit, zur Situation der angestellten Ärztinnen und
               Ärzte im ambulanten Sektor in Deutschland, zu Beratungsanlässen in
               Notaufnahmen und Notfallpraxen außerhalb hausärztlicher
               Sprechstundenzeiten, zu Tuchspendersystemen zur Oberflächendesinfektion im
               alltäglichen Klinikbetrieb. Hinzu kommen Beiträge mit Bezug zu
               nicht-übertragbare Krankheiten: Zu Onko-Nexus, einem Projekt zur
               Überwindung der Schnittstelle ambulanter/stationärer Sektor,
               zu Herausforderungen der Prävalenz- und Inzidenzbestimmung in der
               frühen Nutzenbewertung am Beispiel Urothelkarzinom, zum Aufbau einer
               regionalen, krankenkassenübergreifenden GKV-Routinedatenbank als nachhaltige
               Infrastruktur für die Versorgungsforschung. Abschließend finden Sie
               auch Teil 2 des Manuals „Versorgungsnahe Daten zur Evaluation von
               Interventionseffekten“ des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung.
            Um am Ende noch einmal zum Anfang zurückzukehren: Traditionelle
               Maßnahmen und Deutungsmuster wie die Saturn-Jupiter-Mars-Konstellation haben
               im Anschluss an das „Große Sterben“ der Jahre 1347-1351
               zunächst wenig Wandel zum Besseren bewirkt. Eine wirkliche Wende brachte
               erst das systemische Hygieneverständnis und die wissenschaftliche
               gedankliche Durchdringung und Ordnung der Geschehnisse. Diese wurde von Johann Peter
               Franks Beschreibung einer Medizinischen Polizey, Edward Jenners Popularisierung der
               Pockenimpfung, von Max von Pettenkofer im Bereich der Hygiene, von Robert Koch in
               der Mikrobiologie, von Louis Pasteur mit der Keimtheorie und vielen anderen in einem
               weltweiten wissenschaftlichen Netz geleistet. Und sie wird bis heute geleistet: In
               den interdisziplinären Ansätzen von Public Health, One Health und
               Planetary Health, in internationalen Forschungsnetzen und international besetzten
               Forschungsinstitutionen, insbesondere den in Deutschland noch kaum zu findenden
               Schools of Public Health, in konventionellen Fachzeitschriften und innovativen
               Online-Foren, in den gedanklichen Freiräumen bei gleichzeitiger rigoroser
               Denkdisziplin von Wissenschaft und Forschung, in unternehmerischem Mut und einer
               wünschenswerten staatlichen Weitsicht. Bei multiplen Wirten wird es um ein
               fortlaufendes Arrangement im Netzwerk des „planetaren Lebens“ gehen.
               Pandemien als solche werden immerwährend auftreten, menschliche
               Gesellschaften sollten sich darauf vorbereiten und damit in Zukunft resilienter
               werden. Die Akteure von Public Health und One Health tragen hier die
               Hauptverantwortung und sollten dieser Aufgabe entsprechend nachhaltig
               gestärkt werden. Isolierung und Quarantäne, wirtschaftlicher
               Shutdown und gesellschaftlicher Lockdown haben ihren (begrenzten) Wert in der
               Kontrolle von Ausbruchsherden. Für die Bewältigung der auch
               für die Zukunft absehbar kommenden großen Herausforderungen sind
               lebendige wissenschaftliche Netzwerke und intensive Interaktionen, kluge
               Interdisziplinarität und Multiprofessionalität in den
               Gesundheitsämtern und an den Hochschulen, geistige Mobilität und
               unternehmerische Agilität gefordert. Dies als gleichsam zur pandemischen
               gesellschaftlichen Erstarrung paradoxe Intervention der Pandemiebewältigung
               und als bestmögliche und proaktive Vorbereitung: Auf die bekannten und
               teilweise noch unbekannten, aber als solche eben durchaus absehbaren
               zukünftigen Herausforderungen.