Dr. Kerstin Westphalen
Frau Doktor Westphalen, Umweltschutz und Radiologie: Wie passt das aus Ihrer Sicht
zusammen und warum ist das ein Thema für die Radiologie?
Um den Klimawandel aufzuhalten, ist der Umweltschutz in den nächsten Jahren die größte
Aufgabe unserer Gesellschaft. Jeder muss einen Beitrag dafür leisten, auch wir Mediziner/Medizinerinnen.
Die Radiologie war schon immer ein sehr innovatives, zukunftsgerichtetes Fachgebiet,
das sich neuen Aufgaben und Problemen gestellt hat, und daher gehen wir auch diese
Herausforderungen an.
Ist das Thema Ihrer Ansicht nach bereits im klinischen Alltag angekommen und wenn
ja, wie wird es dort konkret umgesetzt?
Es gibt bereits einige Kliniken, die sich das Ziel „Nullemissionen“ gesetzt haben
und mit wenigen Veränderungen schon viel erreicht haben. Auch im ambulanten Bereich
finden sich Kollegen/Kolleginnen mit nachhaltigen Praxiskonzepten. Leider sind solche
Beispiele aber noch Einzelfälle.
Wenn wir das Thema Umwelt auf den Bereich Nachhaltigkeit ausweiten – was sind für
Sie die wichtigsten Säulen der Nachhaltigkeit in der Radiologie?
Nachhaltigkeit kann in die 3 Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales unterteilt
werden: In der ökologischen Dimension, welche uns allen wohl am ehesten präsent ist,
geht es um einen verantwortungs- und rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt – Stichwort
„Ressourcenschonung“. Die ökonomische Dimension zielt vor allem darauf ab, dass wirtschaftliches
Handeln nicht nur kurzfristig angelegt sein soll, sondern Kontinuität und Stabilität
aufweisen muss. Als letzte, dritte Dimension spricht man von „sozialer Nachhaltigkeit“.
Diese kann man für die Radiologie in Themen wie Ausbildungsmodelle, Wissenstransfer
zwischen den Alters- und Berufsgruppen, Kommunikation mit Patienten/Patientinnen (zum
Beispiel patientenlesbare Befunde) sowie mit radiologischen und nichtradiologischen
Kollegen/Kolleginnen und Angehörigen nichtärztlicher Gesundheitsberufe übersetzen.
Auch sollten wir hier den Punkt der klinischen Effektivität unseres Faches nicht außer
Acht lassen. Dabei gibt es keine Dimension, die wichtiger ist als die anderen. Von
einer nachhaltigen Radiologie kann nur dann gesprochen werden, wenn allen 3 Dimensionen
die gleiche Gewichtung beigemessen wird. Bedeutend ist vor allem, den unauflösbaren
Zusammenhang unter den Nachhaltigkeitsdimensionen zu verstehen.
Worauf müssen beispielsweise Kliniken, die nachhaltiger agieren wollen, achten? Was
ist bei der Umsetzung besonders wichtig?
Oh, das ist eine unendliche Liste und das macht es leider auch so schwierig. Das Wichtigste
hierbei ist, einmal anzufangen, auch wenn es nur kleine Maßnahmen sind. Mit Blick
auf das Thema Klimaschutz sind natürlich Maßnahmen zur Einsparung von Energie und
damit CO2 von besonderer Bedeutung. Aber auch die Vermeidung von Abfall – vor allem
aus Plastik – ist wichtig. Neuen, innovativen Ideen sind dabei keine Grenzen gesetzt,
wie zum Beispiel mit einem Pfandflaschensystem für Kontrastmittel. Letztlich können
diese Ansätze nur erfolgreich sein, wenn wir die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen mitnehmen
– durch Schulungen und eine wertschätzende Arbeitsatmosphäre.
Für Patienten/Patientinnen sicherlich sehr interessant ist das Thema „soziale Nachhaltigkeit“.
Wie könnte eine stärker an Patienten/Patientinnen orientierte Radiologie aussehen?
Auch da gibt es natürlich viele Konzepte. Wir sollten vor allem „sichtbarer“ für unsere
Patienten/Patientinnen werden und zum Beispiel die durch digitale Aufklärungsvideos
und -bögen gewonnene Zeit für das Gespräch mit dem/der Patienten/Patientin nutzen.
Auch die schon erwähnten „patientenlesbaren Befunde“ können zu einem besseren Verständnis
und damit zu einer höheren Bindung beitragen.
Gibt es innerhalb des Gesundheitswesens noch andere Akteure/Akteurinnen, die die Radiologie
„ins Boot holen“ müsste, um nachhaltiger zu werden?
Natürlich können wir all die Dinge nicht allein verändern. Wir brauchen eine Allianz
mit der Politik, der Industrie, den Praxis- und Klinikleitungen sowie mit Medizinphysikexperten/Medizinphysikexpertinnen,
MTRA und weiteren Kollegen/Kolleginnen. Dabei muss die Politik die Rahmenbedingungen
im Sinne einer nachhaltigen Medizin/Gesundheit definieren. Die Industrie muss uns
helfen, Ressourcen, wie zum Beispiel Energie, Verpackungen und andere Rohstoffe, zu
schonen. Ich sage ganz bewusst „muss“, da wir ansonsten bald umwelttechnisch mit dem
Rücken an der Wand stehen werden.
Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutschen Röntgengesellschaft – wie setzt sich die
Deutsche Röntgengesellschaft für Nachhaltigkeit ein?
Die DRG hat in der Vergangenheit schon einiges für die Nachhaltigkeit getan, indem
sie beispielsweise die Digitalisierung aller Mitgliederangelegenheiten vorangetrieben
hat, einen nachhaltigen Wissenstransfer über die Akademie, den digitalen Röntgenkongress
und die digitale Lernplattform conrad sicherstellt und durch feste Gremienbeteiligung
des Forums Junge Radiologie an die nächste Generation denkt. Zukünftig gehen wir innerhalb
der DRG mit dem Thema Nachhaltigkeit noch bewusster um: So haben wir eine Kommission
„Nachhaltigkeit@DRG“ gegründet, mit der wir in Kürze an die Öffentlichkeit treten
werden. Aus dieser Gruppe von engagierten Kollegen/Kolleginnen wurde ein „10-Punkte-Plan
für mehr Nachhaltigkeit@DRG“ erarbeitet, der bereits vom Vorstand verabschiedet wurde.
Hier sind unter anderem CO2-Ausgleichszahlungen für Dienstreisen (mit Auto oder Flugzeug)
als Ziel festgelegt worden. Auch sollen die in der COVID-19-Pandemie erfolgreich erprobten
digitalen Gremiensitzungen weiter genutzt werden. Wir wollen mit der Kommission für
das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren, Informationen bereitstellen und Kollegen/Kolleginnen
begeistern, mitzumachen. Zudem denken wir darüber nach, ein DRG-Gütesiegel für „nachhaltige
Radiologie“ zu entwickeln, um diejenigen auszuzeichnen, die bestimmte nachhaltige
Ziele beziehungsweise Kriterien erreicht haben.
Der nächste Deutsche Röntgenkongress, den die Deutsche Röntgengesellschaft ausrichtet
und dem Sie als Kongresspräsidentin vorstehen werden, steht unter dem Motto „Vielfalt
leben – Zukunft gestalten“ und wird sich schwerpunktmäßig mit den Themen Diversity
und Nachhaltigkeit befassen. Wie wird sich etwa das Thema Nachhaltigkeit im Kongress
widerspiegeln?
Wir planen spannende Highlight-Sessions zu allen Dimensionen von Nachhaltigkeit, und
auch die DRG-Arbeitsgemeinschaften sind dazu angehalten, den Nachhaltigkeitsgedanken
mit ins Fortbildungsprogramm zu tragen. Das Thema Nachhaltigkeit ist übrigens eng
mit der Förderung von Diversity verknüpft: Langfristig werden sowohl die DRG als Fachgesellschaft
als auch die Radiologie insgesamt nur erfolgreich sein können, wenn wir einer modernen
Gesellschaft entsprechend auch die Talente von bisher noch unterrepräsentierten Gruppen
stärker für unser Fach nutzen.
Eine abschließende Frage: Warum haben Sie sich das Thema Nachhaltigkeit als einen
der Schwerpunkte für „Ihren“ Kongress ausgesucht? Warum liegt Ihnen dieses Thema besonders
am Herzen?
Sie merken an meinen Antworten hoffentlich, dass ich mich schon viel mit diesem Thema
auseinandergesetzt habe, da es eine Herzensangelegenheit von mir und meiner Familie
ist: Einer meiner 3 Söhne studiert „nachhaltiges Management“, mein Mann ist Architekt
und wir diskutieren schon lange innerhalb der Familie, was wir dazu beitragen können,
die CO2-Ziele laut Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Frei nach dem Motto: Nicht darüber
reden, warum etwas nicht geht, sondern wie es geht – also ganz innovativ-radiologisch
gedacht!