CC BY-NC-ND 4.0 · Aktuelle Kardiologie 2021; 10(06): 510-515
DOI: 10.1055/a-1546-7355
Kurzübersicht

Luftverschmutzung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Air Pollution and Cardiovascular Diseases
1   Abteilung für Atmosphärenchemie, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz, Deutschland
,
2   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland
3   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
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2   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland
3   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
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2   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland
3   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die chronische Belastung durch Luftschadstoffe, insbesondere Feinstaub, ist ein primärer Risikofaktor für die öffentliche Gesundheit. Während sich die Luftqualität in Deutschland in den letzten 3 Jahrzehnten erheblich verbessert hat und die Standards der Europäischen Union die meiste Zeit eingehalten werden, werden die strengeren Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation immer noch überschritten. Feinstaub verursacht chronischen oxidativen Stress in den Atemwegen, in der Lunge und den Gefäßen, der bereits bei relativ geringen Konzentrationen Entzündungsreaktionen unter anderem in der Lunge hervorruft. Dies führt zu einer Übersterblichkeit durch Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Deutschland sind etwa 42000 frühzeitige Todesfälle pro Jahr durch Luftverschmutzung auf ischämische Herzerkrankungen und etwa 6700 Todesfälle pro Jahr auf Schlaganfälle zurückzuführen. Daher könnte die Reduzierung der Luftverschmutzung dazu beitragen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso wirksam zu verhindern wie das Begrenzen des Tabakrauchens.


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Abstract

Chronic exposure to air pollution, especially to fine particulates, is a primary public health risk factor. While in Germany air quality has improved substantially in the past three decades, and the air quality standards of the European Union are met most of the time, the stricter guidelines of the World Health Organization are still exceeded. Fine particulate matter pollution causes chronic oxidative stress in the respiratory and vascular system, which induces inflammatory responses in the lungs and vessels and beyond, even at relatively low concentrations. This leads to excess mortality by respiratory and cardiovascular diseases. In Germany, about 42000 excess deaths per year from air pollution are related to ischemic heart disease and about 6700 per year to strokes. Therefore, the mitigation of air pollution could help prevent cardiovascular diseases as effectively as the banning of tobacco smoking.


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Was ist wichtig?

Luftverschmutzung ist eine bedeutsame Ursache für Krankheiten und vorzeitige Todesfälle. Besonders Feinstaub ist gesundheitlich bedenklich, da er tief in die Atemwege vordringen und sowohl lokal als auch systemisch negativ über oxidativen Stress und entzündliche Prozesse wirken kann. Aktuelle Schätzungen gehen von einer globalen Übersterblichkeit von etwa 5 bis mehr als 10 Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr durch Luftverschmutzung aus, wobei Herz-Kreislauf-Erkrankungen für einen Großteil der Todesfälle verantwortlich sind. Präventive Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit sind zwingend erforderlich.

Glossar

COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung
EU: Europäische Union
GBD: Global Burden of Disease
GEMM: Global Excess Mortality Model
IHK: ischämische Herzerkrankung
IUA: Infektion der unteren Atemwege
LK: Lungenkrebs
SA: Schlaganfall
WHO: World Health Organization


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Einleitung

Luftverschmutzung ist ein vorherrschendes Risiko für die öffentliche Gesundheit, gleich zu bewerten wie die Risiken des Tabakrauchens, Übergewichts und Diabetes, was zu Morbidität und vorzeitiger Letalität führt [1] [2]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat gasförmige Schadstoffe und Feinstaub als signifikante Risikofaktoren für Infektionen der Atemwege, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), Lungenkrebs sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen identifiziert, die zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen. Weltweit verursachen Krankheiten aufgrund von Luftverschmutzung mehr Todesopfer als HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammen und sind jedes Jahr für wirtschaftliche Verluste in Höhe von Billionen Euros verantwortlich [1].

Die letzte Aktualisierung der Luftqualitätsrichtlinien durch die WHO erfolgte im Jahr 2005 und befürwortete obere Schwellenwerte für Feinstaub mit einem Durchmesser von weniger als 10 µm und 2,5 µm (PM10 und PM2,5), Ozon (O3) und Stickstoffdioxid (NO2) und Schwefeldioxid (SO2). Viele Länder haben die Richtlinie für den Jahresmittelwert für NO2 von 40 µg/m3 übernommen, beispielsweise die Europäische Union (EU – einschließlich Deutschland), während nur wenige Länder die Richtlinie für PM2,5 von 10 µg/m3 umgesetzt haben. Viele Länder haben höhere Schwellenwerte definiert oder regeln die Luftqualität überhaupt nicht. In der EU und in Deutschland beträgt der jährliche PM2,5-Luftqualitätsstandard 25 µg/m3, während der „mittlere Belastungsindikator“, basierend auf 3-jährigen Durchschnittskonzentrationen, 20 µg/m3 betragen soll. Dies hat jedoch keinen rechtlichen Status, und die EU empfiehlt die Umsetzung auf nationaler Ebene, was aber nicht stattgefunden hat. Dies ist besorgniserregend, insbesondere weil vor Kurzem durchgeführte Studien deutliche gesundheitliche Auswirkungen unterhalb der aktuellen Luftqualitätsrichtlinien gezeigt haben [3].

In Deutschland sind die Emissionen von Luftschadstoffen seit Jahrzehnten zurückgegangen, insbesondere zwischen 1990 und 2000, während in den letzten 20 Jahren die Emissionsreduktionen fortgesetzt wurden, jedoch langsamer ([Abb. 1]). Erwähnt werden sollte, dass der starke Emissionsrückgang nach 1990 weitgehend auf den Zusammenbruch der Industrie und die Sanierung von Kraftwerken in Ostdeutschland zurückzuführen ist, wo die Luftverschmutzung in der Zeit vor der Wiedervereinigung außerordentlich hoch war. Die starken Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft, einem Gas, das in der Atmosphäre Ammoniumsalzpartikel bildet, sind seit mehr als 25 Jahren weitgehend unverändert geblieben. Derzeit wird die jährliche WHO-Richtlinienkonzentration für PM2,5 (10 µg/m3) immer noch überschritten, obwohl die Anzahl der Überschreitungen im Vergleich zu früheren Jahren zurückgegangen ist [4].

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Abb. 1 Emissionsminderung von Luftschadstoffen in Prozent im Vergleich zu 1990. NMVOC sind flüchtige (nicht-Methan-)organische Verbindungen, die zur Bildung von Ozon und organischen Partikeln beitragen (Daten nach [4]).
Kurzgefasst

Luftverschmutzung ist ein bedeutsamer Risikofaktor für die Gesundheit. In Deutschland sind die Emissionen von Luftschadstoffen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen, wobei die jährliche WHO-Richtlinienkonzentration für PM2,5 von 10 µg/m3 immer noch überschritten wird.


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Die Belastung durch PM2,5

In der Luft suspendierte Feinstaubpartikel bestehen aus einer Mischung von Staub, Ruß, anorganischen Säuren, Salzen und flüchtigen organischen Verbindungen. Direkte Freisetzungen von Partikeln in die Atmosphäre werden als Primäremissionen definiert und können sowohl natürlich (z. B. Wüstensand, Pollen, Vulkanasche oder Partikel aus Wald- und Buschbränden) als auch anthropogen sein. Letztere umfassen Verbrennungsprodukte (z. B. Flugasche, Ruß, primären organischen Kohlenstoff), Brems- und Reifenverschleiß sowie Produkte aus industriellen Öfen. Sekundärpartikel werden in der Atmosphäre chemisch aus Vorläufergasen wie SO2 und NO2 gebildet, die größtenteils mit der Nutzung fossiler Brennstoffe verbunden sind und zu Säuren oxidiert werden, die dann mit Ammoniak (NH3) Salze bilden. Das NH3 wird aus der Landwirtschaft freigesetzt, insbesondere aus der intensiven Tierhaltung und der Verwendung von Düngemitteln.

Organische Gase, die durch Verkehr, häusliche Kleinfeuer, petrochemische Industrie und die Verflüchtigung von Lösungsmitteln freigesetzt werden, können zu Reaktionsprodukten oxidiert werden und die sekundären organischen Partikel bilden. Auch können Primär- und Sekundärpartikel in der Atmosphäre mit toxischen Substanzen wie Schwer- bzw. Übergangsmetallen oder bakteriellen und pilzlichen Entzündungstreibern (z. B. Endotoxine) beladen werden oder die Oberfläche organischer Partikel kann durch die UV-Strahlung sowie Reaktion mit Ozon oder Stickoxiden noch reaktiver werden. Dieser als „Partikel-Alterung“ bezeichnete Prozess könnte nachhaltig zur Toxizität der atmosphärischen Partikel beitragen. Das Gemisch aus primären und sekundären Teilchen stellt Feinstaub dar und ist für die öffentliche Gesundheit besonders relevant, da dieser tief in die Atemwege eindringen und sowohl lokal (Lunge) als auch systemisch (Herz-Kreislauf sowie Gehirn) negativ wirken kann. [Abb. 2] zeigt die jährlichen durchschnittlichen PM2,5-Konzentrationen in Deutschland.

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Abb. 2 Jährliche mittlere PM2,5-Konzentrationen in Deutschland, abgeleitet aus Luftqualitätsstations- und Satellitendaten (Daten nach [5]).
Kurzgefasst

Feinstaubpartikel bestehen aus einer Mischung von Staub, Ruß, anorganischen Säuren, Salzen und flüchtigen organischen Verbindungen, die primär emittiert (unmittelbare Freisetzung an der Quelle) oder sekundär (durch gasförmige Vorläufersubstanzen) in der Atmosphäre gebildet werden. Feinstaub ist gesundheitlich besonders bedenklich, da er tief in die Atemwege vordringen und sowohl lokal als auch systemisch negativ wirken kann.


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Gesundheitsrisiken

Die Exposition mit PM2,5 kann zu einem chronischen Ungleichgewicht von oxidativen und antioxidativen Prozessen (oxidativer Stress) führen, Entzündungsreaktionen begünstigen und somit Einfluss auf die Entstehung von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen [6]. Oxidativer Stress kann entweder direkt durch Inhalation reaktiver Sauerstoffspezies in PM2,5 erfolgen oder indirekt durch deren katalytische Erzeugung in der Epithelflüssigkeit beim Inhalieren toxischer Partikelkomponenten [7]. Bei letzterem Prozess könnte die oben erwähnte Beladung der Partikel mit Schwer- bzw. Übergangsmetallen sowie Endotoxinen und anderen Pyrogenen eine wesentliche Rolle spielen. Die langfristigen Auswirkungen von Entzündungen in den Atemwegen können lokale Konsequenzen haben, z. B. Asthma und Emphyseme, sowie chronisch systemische Folgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen [8]. Darüber hinaus kann auch das Ozon durch oxidativen Stress zu Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, einhergehend mit immunentzündlichen Reaktionen innerhalb der Lunge und darüber hinaus [9].

Die Schädlichkeit von Feinstaub ist nur teilweise durch seine chemische Zusammensetzung bedingt, da größere Teilchen chronische Reizungen der Atemwege auslösen können, während die ultrafeinen Staubteilchen (Partikel kleiner als 0,1 µm) einfacher in die Blutbahn gelangen können und zirkulatorisch andere Organe (sogar des Gehirns) beeinflussen. Biopersistente Partikel, einschließlich Wüstenstaubkörner, die nicht vom Organismus abgebaut werden, tragen zu systemischem pathophysiologischen Stress bei [10]. Infolge chronischer Belastung kann die Lebensfähigkeit von Alveolar-Makrophagen, die für das Identifizieren und die Entfernung von Bakterien und anderen schädliche Organismen verantwortlich sind, erheblich abnehmen [6]. Der physische und oxidative Stress aufgrund der Ablagerung von PM2,5 in der Lunge und die daraus resultierenden Entzündungen verschlimmern insbesondere die Pathogenese und den Schweregrad bereits bestehender Krankheiten. Eine Entzündung der unteren Atemwege setzt Botenstoffe frei, die Entzündungsreaktionen im ganzen Körper hervorrufen können, welche die Elastizität der Blutgefäße verringern sowie zu gestörter Blutgerinnung, Arteriosklerose und Krankheiten beitragen und so zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen [7]. Die Entzündungsreaktionen wurden auch mit Diabetes Typ 2 und neuropsychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht [11] [12].

Kurzgefasst

Die Exposition mit Feinstaub und Ozon kann zu einem erhöhten Risiko für Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen, die über oxidativen Stress und entzündliche Prozesse sowie die begünstigte Ausbildung von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren vermittelt werden.


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Gesundheitseffekte und Übersterblichkeit

Wir berechnen die Belastung der Bevölkerung durch Luftverschmutzung mit einem dateninformierten atmosphärischen Modellierungsansatz [13]. Zu den Datenquellen gehören satelliten- und bodengestützte Fernerkundungsstationen sowie weltweit rund 4500 Standorte zur Überwachung der Luftqualität. Zur Bewertung der Gesundheitseffekte verwenden wir das „Global Excess Mortality Model“ (GEMM), das auf relativen Risikofunktionen basiert, die aus 41 Kohortenstudien in 16 Ländern abgeleitet wurden [14]. Das Modell wurde verwendet, um die altersabhängigen Übersterblichkeitsraten und die verlorenen Lebensjahre aus 5 Krankheitskategorien zu berechnen: Infektionen der unteren Atemwege (IUA), die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), ischämische Herzerkrankungen (IHK), Schlaganfälle (SA), Lungenkrebs (LK) sowie eine Kategorie, die alle nicht übertragbaren Krankheiten plus IUA beschreibt, aus der wir die „sonstigen“ nicht übertragbaren Krankheiten ableiten. Letztere Kategorie kann aufgrund von begrenzten epidemiologischen Informationen nicht spezifiziert werden und umfasst beispielsweise neurologische Störungen, Bluthochdruck und Diabetes.

[Abb. 3] zeigt die Prozentsätze der Übersterblichkeit, die PM2,5 und O3 durch verschiedene Krankheitskategorien 3 unterschiedlichen Ländern zugeschrieben werden. Sie zeigt, dass in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorherrschen (IHK, SA), während in Ländern mit niedrigem Einkommen Infektionen der unteren Atemwege, insbesondere bei Kindern, bedeutsam sind. In Afrika sterben immer noch viele Kinder an einer Lungenentzündung, während dies in Europa eine geringfügige Ursache für die Kindersterblichkeit ist. Weltweit tragen durch Luftverschmutzung verursachte Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu 45–50% zu frühzeitigen Todesfällen bei. Da die Kategorie „Sonstige“ Bluthochdruck und Diabetes Typ 2 umfasst, die ebenso zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen, ist diese Krankheitskategorie die wichtigste gesundheitliche Folge von Luftverunreinigung. Es sollte erwähnt werden, dass das Mitzählen von „sonstigen“ nicht übertragbaren Krankheiten zu höheren Schätzungen der Übersterblichkeit führt als bei manchen anderen Bewertungen, wie beispielsweise bei den Global-Burden-of-Disease-Studien (GBD) [2], die nur bestimmte Krankheiten berücksichtigen.

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Abb. 3 Prozentuale Beiträge von Krankheitskategorien, die zu einer Übersterblichkeit durch Luftverschmutzung beitragen. Die IUA sind die Infektionen der unteren Atemwege, COPD ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, SA steht für Schlaganfälle, IHK sind die ischämischen Herzkrankheiten, LK ist Lungenkrebs, plus sonstige nicht übertragbare Krankheiten (Daten nach [13]).

Unsere Ergebnisse für die EU legen nahe, dass die Luftverschmutzung jährlich etwa 592000 (95%-Konfidenzintervall 483000–701000) Todesfälle verursacht. Etwa 247000 (206000–285000) pro Jahr werden auf ischämische Herzkrankheiten und Schlaganfälle zurückgeführt. In Deutschland gibt es 123000 (102000–146000) frühzeitige Todesfälle pro Jahr, von denen etwa 42200 auf ischämische Herzerkrankungen, 6700 auf Schlaganfälle und 47000 auf andere nicht übertragbare Krankheiten zurückzuführen sind. Von den frühzeitigen Todesfällen könnten potenziell bis zu 115000 (94000–136000) pro Jahr, das heißt 93%, durch Maßnahmen zur Verringerung der Luftverunreinigung vermieden werden, davon 76000 (63000–89000) pro Jahr (62%) durch die Umstellung von der Nutzung fossiler Brennstoffe auf erneuerbare Energiequellen. Dies zeigt die großen Vorteile für die öffentliche Gesundheit, wenn Deutschland sich ambitionierte Ziele für die Energiewende setzen würde.

Kurzgefasst

Zur Bewertung der Gesundheitseffekte von Luftverschmutzung stehen neue Risikoschätzfunktionen (GEMM) zur Verfügung, die zeigen, dass Luftverschmutzung jährlich etwa 592000 Todesfälle in der EU verursacht, wobei ischämische Herzerkrankungen und Schlaganfälle für einen Großteil dieser Todesfälle sorgen.


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Diskussion

Basierend auf fast 5 Jahrzehnten epidemiologischer und biomedizinischer Forschung wurde überzeugend gezeigt, dass Luftverunreinigung ein wichtiger Risikofaktor für die öffentliche Gesundheit ist. Die WHO hat Richtlinienkonzentrationen für ihre Mitgliedstaaten formuliert, die jedoch von den meisten Ländern, einschließlich Deutschland, unterboten werden. Darüber hinaus werden die Empfehlungen der WHO derzeit geprüft, da gezeigt wurde, dass gesundheitliche Auswirkungen bei PM2,5-Werten auftreten, die unter den aktuellen Richtlinienkonzentration liegen, was in Ländern wie Australien und Kanada bereits zu Verschärfungen unter 10 µg/m3 geführt hat. Die Gesundheitsfolgen sind für eine große (und wachsende) Anzahl von Krankheitskategorien gut dokumentiert, einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Deutschland sind mindestens 39% der durch Luftverunreinigung verursachten Übersterblichkeit auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Dies ist eine Untergrenze, da ein großer Teil der sonstigen nicht übertragbaren Krankheiten durch Luftverschmutzung ebenfalls zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt.

Unsere Schätzung der globalen Übersterblichkeit aufgrund von Luftverunreinigung beträgt 8,8 (7,11–10,3) Millionen pro Jahr, was gut mit der Studie von Burnett u. Mitarb. [14] übereinstimmt, jedoch deutlich höher ist als die Schätzung der GBD [2], die nur bestimmte Krankheitskategorien und nicht die „sonstigen“ nicht übertragbaren Krankheiten berücksichtigt. Unsere Schätzung ist jedoch niedriger als die neue globale Schätzung von Vohra u. Mitarb. [15], die von einer Übersterblichkeit von mehr als 10 Millionen pro Jahr nur für PM2,5 aus der fossilen Energienutzung ausgeht. In der neuesten Literatur reichen die globalen Schätzungen von etwa 5 bis mehr als 10 Millionen pro Jahr, abhängig von den Schadstoffverbindungen, Krankheitskategorien und Expositionsbelastungsfunktionen, die berücksichtigt werden.

Schließlich haben wir den Verlust der Lebenserwartung durch Luftverschmutzung bewertet und mit anderen Gesundheitsrisikofaktoren verglichen [13]. Die globale Schätzung für Luftverschmutzung ist 2,9 Jahre und für das Tabakrauchen 2,2 Jahre. Da ungefähr zwei Drittel der weltweiten Luftverschmutzung anthropogen sind und verhindert werden könnten, ist der globale mittlere Verlust der Lebenserwartung durch Rauchen und die vermeidbare Luftverschmutzung etwa gleich. Der Verlust der Lebenserwartung durch alle Arten von Gewalt ist etwa 0,3 Jahre, was eine Größenordnung geringer ist als durch Luftverschmutzung. In Europa beträgt der Verlust der Lebenserwartung aufgrund von Luftverunreinigung etwa 2,2 Jahre, von denen 1,7 Jahre durch die Senkung der Schadstoffemissionen als vermeidbar gelten.

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Regulierung der Luftschadstoffe eine wirksame Maßnahme zur Gesundheitsförderung darstellt, ähnlich wie das Beschränken von Rauchen, und einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen leisten kann.

Fazit

Luftverschmutzung stellt eine bedeutsame globale Ursache für Krankheiten und vorzeitige Todesfälle dar. Aktuelle Schätzungen gehen von einer globalen Übersterblichkeit von etwa 5 bis mehr als 10 Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr aus. Präventive Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, wie die Regulierung von Luftschadstoffen, sind zwingend notwendig.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Jos Lelieveld
Max-Planck-Institut für Chemie, Abteilung für Atmosphärenchemie
Hahn-Meitner-Weg 1
55128 Mainz
Deutschland   

Publication History

Article published online:
02 December 2021

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Abb. 1 Emissionsminderung von Luftschadstoffen in Prozent im Vergleich zu 1990. NMVOC sind flüchtige (nicht-Methan-)organische Verbindungen, die zur Bildung von Ozon und organischen Partikeln beitragen (Daten nach [4]).
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Abb. 2 Jährliche mittlere PM2,5-Konzentrationen in Deutschland, abgeleitet aus Luftqualitätsstations- und Satellitendaten (Daten nach [5]).
Zoom Image
Abb. 3 Prozentuale Beiträge von Krankheitskategorien, die zu einer Übersterblichkeit durch Luftverschmutzung beitragen. Die IUA sind die Infektionen der unteren Atemwege, COPD ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, SA steht für Schlaganfälle, IHK sind die ischämischen Herzkrankheiten, LK ist Lungenkrebs, plus sonstige nicht übertragbare Krankheiten (Daten nach [13]).