Das menschliche Mikrobiom
Das menschliche Mikrobiom
Seit Jahren wird im Human (und Vaginal) Microbiome Project die Gesamtheit der Mikroorganismen
des menschlichen Körpers erforscht.
Mit der Möglichkeit, durch Gensequenzierung viel mehr Bakterien-Arten differenzieren
zu können als zuvor durch Kulturen, hat sich das Verständnis von der Keimbesiedlung
dramatisch geändert. Der gesunde Mensch hat mit zurzeit mindestens 2000 identifizierten
Arten und mit etwa 200 g Masse mehr Bakterien als Körperzellen [1]
[2], die bakteriellen Gene des Dickdarms überschreiten das menschliche Genom um den
Faktor 100. Die Mikrobiota des Darms ist für die Modulation von Gesundheit und Krankheit
aller Organsysteme verantwortlich und wird als eigenes Organ im Körper verstanden,
das mit den zahlreichen Bakterien-Arten und ähnlich vielen Virus-Arten und Bakteriophagen
wesentlich unsere Gesundheit beeinflusst. Ohne diese „Mitbewohner“ wäre der Mensch
totkrank.
Moderne molekularbiologische Techniken führen ständig zur Entdeckung zahlreicher Arten
in der Scheide, die bisher mit den üblichen Methoden der Keimanzüchtung auf Nährmedien
nicht bekannt waren. Außerdem wurden Arten differenziert, von denen man bisher glaubte,
es handele sich um Laktobazillen oder Streptokokken, die in Wirklichkeit aber bei
Störungen der Scheide eine Rolle spielen, z. B. Atopobium vaginae.
Die normale vaginale Mikrobiota der gesunden Frau während der Geschlechtsreife
Die normale vaginale Mikrobiota der gesunden Frau während der Geschlechtsreife
Laktobazillen
Milchsäure bildende Bakterien der Gattung Lactobacillus tragen schon beim Säugling
in hohem Maß zur Gesundheit und zur Entwicklung eines gesunden Immunsystems bei.
Zwar kommen einzelne Laktobazillus-Arten in geringen Mengen in jedem Alter in der
Scheide vor, aber erst der Einfluss der Eierstockhormone von der Menarche bis zur
Menopause begünstigt deren Dominanz und Bedeutung.
Unter dem Einfluss von Östrogenen proliferieren Zellen der Vagina vermehrt und speichern
Glykogen. Progesteron, das natürliche Gestagen, das im Eierstock nach dem Eisprung
gebildet wird, fördert die Zytolyse dieser Zellen. So wird Glykogen für Laktobazillen
frei und von ihnen zu Glukose und Maltose gespalten. Dabei entsteht als Stoffwechselprodukt
u. a. Milchsäure (Laktat) und schafft den physiologischen pH-Wert von 3,5–4,5 [3]. Der zervikale periovulatorische Schleim, Sperma und Blut haben einen pH-Wert um
7.
Laktobazillen produzieren neben Laktat auch H2 O2, Biosurfactants und Koaggregationsmoleküle zum Schutz vor Adhäsion fakultativ pathogener
Bakterien [4].
Zurzeit sind 261 Lactobacillus-Spezies bekannt, die im Jahr 2020 teilweise neue Artnamen
erhalten haben [5]. Sie können als grampositive Stäbchen lang oder kurz, aber auch kugelförmig (kokkoid)
oder keulenförmig aussehen.
Dazu zählen die für die Vagina 4 wichtigsten, dominierenden Arten Lactobacillus (L.) crispatus, der auch im Darm/Stuhl und der Mundhöhle vorkommen kann (produziert H2O2 und viel D-, weniger viel L-Laktat) [6], L. gasseri, der auch im Darm/Stuhl und im Mund vorkommen kann (produziert H2O2 und D- und L-Laktat), L. jensenii (produziert H2O2 und D- und L-Laktat) und L. iners (produziert nur L-Laktat), aber auch in geringerer Anzahl L. acidophilus (produziert
H2O2 und D- und L-Laktat). Es können weitere Arten nachgewiesen werden, wie z. B. L. brevis,
L. casei (neu: Lacticaseibacillus casei), L. delbruckii, L. fermentum (neu: Limosilactobacillus
fermentum), L. johnsonii, L. leichmanni, L. minutis, L. plantarum, L. paracasei, L.
reuteri (neu: Limosilactobacillus fermentum), L. rhamnosus (neu: Lacticaseibacillus
rhamnosus) und L. vaginalis.
Laktobazillen sind gegen die häufig verordneten Beta-Laktam-Antibiotika und Clindamycin
empfindlich, weniger stark gegen Doxycyclin oder Metronidazol.
Das moderne Verständnis: viele Bakterien in gesunder Balance
Mittlerweile sind 561 bakterielle Arten (Spezies) in der gesunden Vagina durch „genomic
sequencing“ identifiziert worden [7], die sich normalerweise in einer von Laktobazillen dominierten Balance befinden.
Eine Störung dieser Balance kann durch sexuelle Aktivitäten, rezeptiven Anal- vor
Vaginalverkehr, Sex mit einem nicht beschnittenen Mann, Fehlen von H2O2-produzierenden Laktobazillien, Herpes-simplex-Virus (HSV)-Typ-2-Antikörpern im Serum
und der Ethnie/Rasse beeinflusst werden. Es gibt genetisch beeinflusst unterschiedliche
Gruppen von vaginalen bakteriellen Gemeinschaften („community state types“ [CST],
„vagitypes“), die bisherige Dogmen ins Schwanken bringen, weil es auch gesunde Frauen
ohne Laktobazillen in der Vagina gibt, die von einem einzigen, andere von einem breiten
Spektrum anderer Bakterien dominiert werden und sich gesund fühlen.
Je nach ethnischer Herkunft variieren Arten und Mengen der vaginalen Laktobazillen
und somit der pH-Wert.
Von 396 nordamerikanischen Frauen zwischen 12 und 45 Jahren, die 2011 untersucht wurden,
hatten weiße Frauen, entsprechend ethnisch signifikant verschiedener Zusammensetzung
ihrer Laktobazillen, einen mittleren pH-Wert von 4,2, asiatische von 4,4, schwarze
von 4,7 und hispanische von 5,0! Eine signifikante Gruppe von 108 Frauen hatte gar
keine Laktobazillen in der Vagina („diversity–group“). Von ihnen waren weiß 9,3 %,
asiatisch 17,6 %, schwarz 38,9 % und hispanisch 34,3 %![8]. Das führt zur Frage „Was ist eigentlich normal?“.
Ähnliche Ergebnisse wurden auch in Amsterdam erzielt [9].
Dieses mikrobiotische System ist je nach Individuum im täglichen Wechsel, erlebt kurzfristige
dynamische Variationen der Mikrobiota während des Zyklus und durch das Sexualverhalten
und kann auch bei häufigen und diversen sexuellen Aktivitäten (z. B. Analverkehr)
relativ stabil in einer Balance sein [10].
Es ist anzunehmen, dass zukünftig noch individualisiertere Analysen, die nicht nur
auf „Schubladen“ von CSTs basieren, Einblick in ein tieferes Verständnis der Balance
und Dynamik geben und vielleicht auch nutzbar zu machen sind, wenn es um die Frage
geht, wie und wann eine BV entsteht und welchen Einfluss eine solche Dysbiose zu welchem
Zeitraum vor, bei oder nach der Implantation bzw. im Verlauf einer Schwangerschaft
auf eine spätere Fehl- oder Frühgeburt hat.
Hormonale Verhütungsmittel, wie z. B. Ovulationshemmer, imitieren je nach Hormonmenge
und -art in etwa die natürlichen Hormoneinflüsse, sodass unter ihrem Einfluss in der
Scheide ähnliche Bedingungen wie unter dem natürlichen ovariellen Zyklus vorherrschen.
Während des Menstruationszyklus schwankt der pH-Wert geringfügig innerhalb der physiologischen
Grenzen, weil am Anfang des Zyklus entsprechend den hormonellen Einflüssen (Proliferation
der Epithelzellen mit Glykogenbildung unter Östrogen-, Zytolyse unter Progesteroneinfluss)
weniger und vor der Regel viele Laktobazillen vorhanden sind.
L. iners kommt zwar auch in der gesunden Scheide vor, nimmt aber bei Störungen des
Gleichgewichtes (Dysbiose im Gegensatz zur Eubiose) zu und verdrängt dann L. crispatus
[11]. L. iners bildet ein Stoffwechselprodukt, das dem Vaginolysin von G. vaginalis ähnelt
[12]! Manche Laktobazillus-Arten scheinen also nicht per se „gut“ zu sein!
Bei 181 asymptomatischen, prämenopausalen estnischen Frauen wurde erstmals mit moderner
Technologie auch auf Pilze in der Scheide untersucht. Dabei fand man in ca. 70 % der
Proben Candidaarten (neben im Mittel 7,8 Pilz-Arten), bei denen es sich in knapp 68 %
um Candida albicans handelte [13]. Diese Kolonisation war vom Vorhandensein oder Fehlen von Laktobazillen oder von
Lifestyle-Faktoren unabhängig!
Candida-Arten kommen typisch bei Frauen vor, deren Vagina unter dem Einfluss von Östrogen
steht, weil Candida albicans Östrogenrezeptoren hat und vom Zucker profitiert, der
ohne Östrogene und Laktobazillen kaum gebildet wird. Deshalb bekommen Kinder und Frauen
ohne Hormonsubstitution nach den Wechseljahren keine Vaginalmykosen, selbst wenn sie
(seltener und in geringerem Ausmaß als prämenopausal) vaginal kolonisiert sein sollten.
Hautmykosen im Vulva- oder Leistenbereich sind bei entsprechender Disposition aber
in jedem Alter möglich [14].
Das intestinale und das vaginale Mikrobiom werden langfristig individuell durch die
Genetik (Ethnie, Genpolymorphismen u. a.), Ernährung (z. B. „afrikanisch“-ballaststoffreich:
viel kurzkettige Fettsäuren, „amerikanisch“-ballaststoffarm: wenig kurzkettige Fettsären,
viel tierisches Protein und Fett), die Epigenetik (Sport, Bewegung, Rauchen, Lifestyle),
Hormone, Antibiotika oder sexuelle Aktivitäten, STI u. a. beeinflusst.
Tampons beeinträchtigen die mikrobielle Besiedlung der Vagina nicht signifikant und
begünstigen keine vaginalen Infektionen, obwohl das auch von Gynäkologen gelegentlich
falsch behauptet wird [15].
Staphylococcus aureus kommt transient in 10–30 % der Fälle vaginal vor, lediglich
etwa 1 % der Stämme bilden aber das Superantigen Toxic-shock-syndrome-Toxin-1 (TSST-1).
Die Toxinbildung wird von einem vaginal hohen pH-Wert (also z. B. bei Bakterieller
Vaginose) und von Sauerstoffzufuhr in die eigentlich anaerobe Scheide begünstigt (z. B.
durch zu häufigen Tamponwechsel!). Ein TSS entsteht, wenn noch keine Antikörper gegen
dieses Antigen gebildet worden sind. Etwa 80 % der Teenager haben bis zum 14. Lebensjahr
allerdings bereits TSST-1-Antikörper entwickelt und werden nie ein TSS bekommen, der
Rest kann sie trotz Exposition nicht bilden. Menstruierende Frauen sind aus noch unklaren
Gründen empfindlicher für die Entstehung eines menstruellen TSS (mTSS) als andere
Menschen. Menstruationstassen aus Silikon, besonders solche mit größerem Auffangvolumen,
begünstigen das Wachstum von Staphylococcus aureus-Biofilmen. Sie verblieben in vitro
am Material, wenn die Tasse nur – wie von den meisten Herstellern empfohlen – mit
Wasser abgespült wurde. Eine Liegedauer von 4–8 Stunden pro Tampon und 8, nicht 12
Stunden, pro Menstruationstasse scheint deshalb vernünftig. Zu häufiger Wechsel oder
zu lange Liegedauer von Tampons oder Menstruationstassen und Sauerstoffzufuhr begünstigen
ein mTSS [16].
Gleiche Bakterien in Vagina und Darm
Gleiche Bakterien in Vagina und Darm
Viele dieser Bakterien (und Candida-Arten) einschließlich der Laktobazillen können
gleichzeitig im Mund und im Rektum vorkommen. So fanden z. B. Petricevic et al. [17] bei 30 schwangeren Frauen in 75 % der Fälle mit nicht-kulturellen Methoden Laktobazillen
sowohl in der Scheide als auch im Rektum, die in den meisten Fällen gleichartig waren.
Bei einem Viertel der Frauen wurden solche Laktobazillen gleichzeitig in Mund, Vagina
und Rektum nachgewiesen. Solch eine Konstellation gilt als besonders protektiv gegen
das Entstehen oder Rezidive von BV [18].
In der gesunden Vagina können 10 Phyla (Phylum = Stamm) von Bakterien gefunden werden
[7]:
-
Firmicutes mit 227 Arten (39,4 %): u. a. 39 Laktobazillus-Arten, 29 Streptokokkus-Arten
u. a.
-
Proteobacteriae in 150 Arten (25,8 %), darunter Enterobacteriaceae (18 Arten) und
Pseudomonadaceae (18 Arten)
-
Actinobacterien mit 101 Arten (17,4 %)
-
Bacteroidetes mit 74 Arten (12,7 %), darunter > 50 % Prevotellaceae und Bacteroidaceae
Die häufigsten vaginal vorkommenden Arten sind mit über 95 % Anteil 36 Lactobacillus-Arten,
30 Corynebacterium-Arten, 30 Prevotella-Arten und 28 Streptococcus-Arten mit unterschiedlich
hoher Konzentration zwischen 108–12/ml. Die wichtigsten Gattungen sind Gardnerella, Atopobium, Prevotella, Streptococcus,
Corynebacterium, Gemella, Dialister, Snethia, Megasphera, Mobiluncus, Ureaplasma (U.),
Mycoplasma (M.) u. a. Als Erreger urogenitaler infektionen wird von den Mykoplasmen
und Ureaplasmen einzig M. genitalium als Verursacher einer Infektion angesehen [19], U. urealyticum, U. parvum und M. hominis sind Trittbrettfahrer bei Dysbiose und
erhöhtem pH-Wert.
Inzwischen sind 13 Subspezies von 4 Gardnerella-Arten identifiziert worden [12]: Gardnerella (G.) vaginalis mit 4 Stämmen, von denen nur 2 die für BV typische Sialidase
bilden können, G. piotii, auch Sialidase produzierend, sowie G. leopoldii und G. swidsinskii,
die das nicht können.
Von allen in der Vagina möglichen Bakterien-Arten kann nur ein kleiner Teil mit herkömmlichen
Kulturmethoden nachgewiesen werden. Die Anaerobier dürften in hohem Maß bereits während
des Transportes ins Labor absterben.
Die dominierenden Gattungen im Rektosigmoid sind Bacteroides, Clostridium, Alistipes,
Parabacteroides, im Coecum Escherichia, Enterococcus, Lactobacillus u. a. Das häufigste
Bakterium im Darm ist mit einem Anteil von 5–20 % Faecalibacterium prausnitzeri [20].
In den verschiedenen Abschnitten sind in unterschiedlicher Menge und Verteilung auf
Mund, Pharynx, oberen Ösophagus, Magen, Jejunum und Ileum, Coecum und Rektosigmoid
> 90 % aus den Phyla Firmicutes und Bacteroidetes [20]:
-
Firmicutes: Genera (Gattungen) Clostridium, Eubacterium, Lactobacillus, Faecalibacterium,
Roseburia, Ruminococcus
-
Bacteroidetes: Genera Bacteroides und Prevotella
-
Proteobacteria: Genera Escherichia, Shigella, Helicobacter
-
Actinobacteria: Genera Bifidobacterium, Atopobium, Corynebacterium
-
Verrucomicrobiota: Genus Akkermansia
-
Fusobacteria: Genus Fusobacterium.
Gemeinsam in Darm und Vagina sind folgende Vorkommen üblich [20]:
-
Firmicutes: Gattungen Lactobacillus, Streptococcus, Enterococcus, Megashera u. a.
-
Bacteroidetes: Gattungen Prevotella, Bacteroides u. a.
-
Proteobacteria: Gattungen Escherichia, Haemophilus, Pseudomonas, Helicobacter u. a.
-
Actinobacteria: Gattungen Atopobium, Bifidobacterium, Corynebacterium u. a.
-
Fusobacteria: Gattungen Fusobacterium, Leptotricha, Snethia
Oral zugefügte Laktobazillen sind 1–2 Wochen später auch in der Vagina identifizierbar
und bleiben es noch 1–2 Wochen länger, als sie eingenommen werden [21].
Letztlich bedeutet das alles, dass es bei der Frage, ob eine mikrobielle Störung oder
Erkrankung der Scheide vorliegt, nicht wie bei typischen STI auf den Nachweis eines
Bakteriums oder Virustyps ankommt, sondern auf ein klinisches Bild der Scheide und
ihres Fluors, das mit einer abnormalen Mikrobiota, die nicht von Laktobazillen dominiert
wird, korreliert.
Im Darm bilden Bacteroidetes die kurzkettigen Fettsäuren (short chain fatty acids/SCFAs)
Acetat und Propionat, Firmicutes Butyrat aus unverdaulichen Kohlenhydraten. Wichtig
ist dabei die Firmicutes-Bacteroidetes-Ratio, die von Makrophagen, Lymphozyten, dendritischen
Zellen u. a. beeinflusst wird.
Eine negative Beeinflussung dieses Systems erfolgt durch fettreiche, eine positive
durch pflanzliche Ernährung und Probiotika.
Kurzkettige Fettsäuren sind wichtig für unsere Gesundheit. Sie fördern antimikrobielle
Peptide, Eubiose, Laktobazillen, Toleranz und Homöostase im Darm durch Unterdrückung
des Übergangs von Bakterien und Lipopolysacchariden in die Blutbahn, sie hemmen proinflammatorische
Zytokine und fördern PGE2, IL-10 und spezielle T-Zellen.
Umgekehrt fördern SCFAs in der Vagina Dysbiose und Inflammation, sie hemmen dort Laktobazillen.
Diese Prozesse sind in der Vagina bisher aber kaum erforscht [20]. Mit Sicherheit ist die Interaktion zwischen der vaginalen Mikrobiota und den immunologisch
kompetenten dendritischen Vaginalepithelzellen (Langerhans-Zellen) auch im Zusammenspiel
mit kurzkettigen Fettsäuren komplexer als der naive Gedanke, dass dort „ein Bakterium
zuviel“ eine bestimmte Krankheit hervorrufe.
Bakterielle Vaginose (BV)
Bakterielle Vaginose (BV)
Die BV ist mit Frühgeburt, Zervizitis (Gebärmutterhalsentzündung) und Salpingitis
(Eileiterentzündung, Pelvic Inflammatory Disease/PID) sowie gynäkologischer und geburtshilflicher
postoperativer Infektmorbidität verbunden (z. B. Eileiterentzündung nach Einlegen
eines Intrauterinpessars, Infektion einer Dammrisswunde oder Uterusentzündung im Wochenbett).
Die diagnostischen Kriterien der BV sind („Amsel-Kriterien“ nach Richard Amsel [22]): grau-weißer Fluor, fischiger Geruch, pH > 4,5 und mindestens 20 % „Schlüsselzellen“
im mikroskopischen Nativpräparat. Die BV ist mit einem erhöhten Risiko für die Akquise
sexuell übertragbarer Infektionen (STI) durch Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium,
Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, Herpes-simplex-Virus-Typen 1 oder 2,
HIV und High-risk-Typen humaner Papillomviren verbunden und umgekehrt.
BV – die verlorene Balance
BV – die verlorene Balance
Die Abnahme der Zahl von Laktobazillen und die Zunahme von G. vaginalis, zahlreichen
anaeroben Bakterienarten und von Mykoplasmen sind typisch für die BV. Mit kulturellen
Methoden werden bei BV die Gattungen Gardnerella, Prevotella, Porphyromonas, Bacteroides,
Mobiluncus, Mycoplasma, Ureaplasma und Peptostreptococcus nachgewiesen, die die
gesunde Scheide mit Mengen von 102–105/ml besiedeln, bei BV aber in Mengen von 106–1012/ml vorkommen können. Laktobazillen sind stark reduziert, L. crispatus wird durch
L. iners verdrängt.
Kultur-unabhängige Methoden offenbaren aber viel mehr Arten bei BV. Clostridiales,
Bakterielle Vaginose – assoziierte Bakterien (BVAB)-1, -2 und -3, Atopobium (A.) vaginae,
Megasphera, Leptotrichia, Dialister, Eggerthella, Peptinophilus lacrimalis und andere
Bakterien, aber auch L. iners scheinen eine größere Rolle in der Entstehung der BV
zu spielen als nur Gardnerella, Mobiluncus oder Mycoplasma. Keine BV ist bakteriell
der anderen genau gleich.
Entscheidend zum Verständnis der BV ist: Nicht die Kenntnis verschiedener Bakterien-Arten
ist zur Diagnose wichtig, sondern allein das mikroskopisch sichtbare Fehlen von Laktobazillen
und das typische Schlüsselzell-Phänomen, weil die gleichen Bakterien-Arten auch (in
geringerer Menge) bei Frauen ohne BV zu finden sind [11]
[22]
[23].
Polymikrobielle bakterielle Biofilme bei Bakterieller Vaginose
Polymikrobielle bakterielle Biofilme bei Bakterieller Vaginose
Man weiß erst seit etwa 2000, dass sich Bakterien-Arten beim Menschen ab einer kritischen
Mindestmenge und -zusammensetzung (quorum sensing) zu einem bakteriellen Biofilm organisieren
können. Er haftet Geweben oder auch Fremdkörperimplantaten im Körper oberflächlich
an und ist mit Antibiotika kaum angreifbar. Bei BV treten strukturierte Biofilme an
der Vaginalwand auf, die auch an Epithelzellen im Urin dieser Frauen und ihrer Partner
zu finden sind. Sie werden also sexuell übertragen. Die „clue cells“ (Schlüsselzellen)
haben ihren Ursprung im Biofilm der Vaginalwand [24]. Diese Biofilme bestehen zum größten Teil ihrer Masse aus G. vaginalis und Atopobium
vaginae, aber auch aus Laktobazillen und anderen Bakterien. Kein Biofilm ist dem anderen
in seiner Zusammensetzung genau gleich.
Die Entstehung einer BV wird von genetischen und äußeren Faktoren beeinflusst. Bakterien
in Mund, Rektum und Vagina interagieren je nach genetischer Disposition der Frau.
Rezeptiver Oralsex, digitale vaginale Penetration, rezeptiver Analverkehr vor Vaginalverkehr,
Rauchen und schwarze Hautfarbe sind signifikante Risikofaktoren für BV [18].
Die Biofilme werden mit einer leitliniengerechten Therapie mit z. B. Metronidazol
nicht beseitigt und scheinen so die Ursache für die hohe Quote von Rückfällen von
30 % nach 3 Monaten und 60 % nach 6 Monaten zu sein. Es gibt aber auch Fälle mit spontan
gut erholtem Laktobazillussystem.
Die Beschneidung des Mannes ist mit einem signifikanten Abfall anaerober Bakterien,
besonders Clostridiales und Prevotellaceae verbunden und reduziert das Risiko für
Herpes genitalis, Trichomoniasis und BV. Frauen mit behandelter BV haben ein hohes
Risiko für Rückfälle von BV, wenn sie mit dem gleichen Partner ohne Kondombenutzung
wieder verkehren.
Eine Partnerbehandlung bei BV nutzt der Frau jedoch zurzeit nicht, vermutlich, weil
die Biofilme persistieren [11]
[24].
Bakteriologische Untersuchungen („Abstriche“) zur Fluordiagnostik sind oft irreführend!
Bakteriologische Untersuchungen („Abstriche“) zur Fluordiagnostik sind oft irreführend!
Das alles bedeutet, dass der Nachweis von z. B. Escherichia coli oder Gardnerella
vaginalis in einer Kultur klinisch unbedeutend ist! Das ist aber nicht neu und steht
seit vielen Jahren in den Empfehlungen zur Fluordiagnostik [23]
[25].
Leider werden bei der Abklärung von Fluor häufig kulturelle Untersuchungen im Labor
veranlasst, meist, weil die Untersuchenden nicht in der zur Diagnostik empfohlenen
mikroskopischen Beurteilung des Nativpräparates (international empfohlen: Phasenkontrastmikroskopie
400-fach) während ihrer Weiterbildungszeit fit gemacht worden sind! Solche „Abstriche“
führen aber fast immer zum kulturellen Nachweis von Normalbefunden! Bspw. ist der
Nachweis von „Darmflora“ wie Escherichia (E.) coli oder Enterococcus faecalis unbedeutend
und in der Scheide normal. Der Nachweis hat also nichts mit unhygienischem Verhalten
oder Notwendigkeit der Behandlung mit Antibiotika zu tun! Solche Bakterien wachsen
sehr gut auf den Nährmedien an und werden eben leichter nachgewiesen als die zahlreichen
nicht kultivierbaren anaeroben Bakterien, die neben Laktobazillen die Scheide dominieren.
Dieses diagnostische Fehlverhalten ist nach eigener Auffassung das größte Problem
im Alltag und führt zu unzähligen unnötigen antibiotischen „Therapien“, die erfolglos
sind und somit zur Morbidität der Frauen und zu deren psychischem Stress beitragen,
obendrein werden die Kosten für Medikamente exorbitant vermehrt.
Das mikroskopische Nativpräparat bleibt für die klinische Diagnostik die Methode der
Wahl!
Das mikroskopische Nativpräparat bleibt für die klinische Diagnostik die Methode der
Wahl!
Trotz der verwirrenden Artenmenge und der technologischen Bestimmungsmöglichkeiten
ist die phasenkontrastmikroskopische Betrachtung des Nativpräparates aus vaginalem
Fluor zusammen mit der Bestimmung des pH-Wertes zur klinischen Unterscheidung einer
normalen oder abnormalen vaginalen Mikrobiota die signifikant überlegene Methode [26].
Welche Bakterien im Genitaltrakt verursachen keine Vulvovaginitis/Zervizitis und sollen
deshalb bei kulturellem Nachweis nicht antibiotisch „behandelt“ werden?
Welche Bakterien im Genitaltrakt verursachen keine Vulvovaginitis/Zervizitis und sollen
deshalb bei kulturellem Nachweis nicht antibiotisch „behandelt“ werden?
Das sind alle 13 Gardnerella-Arten und -Subspezies, Streptococcus agalactiae (B-Streptokokken)
(außer nach Leitlinie intrapartal zum Schutz vor der Early-onset-Sepsis des Neugeborenen),
Escherichia coli, Enterococcus faecalis und viele andere „Darmkeime“, Mycoplasma hominis,
Ureaplasma urealyticum/parvum [19] und viele weitere.
Welche Erreger verursachen im Urogenitaltrakt Infektionen?
Welche Erreger verursachen im Urogenitaltrakt Infektionen?
Das sind neben den sexuell übertragbaren Erregern/Infektionen (Neisseria gonorrhoeae/Gonorrhoe,
Treponema pallidum/Lues, Haemophilus ducreyi/Ulcus molle, Chlamydia trachomatis Serotypen
D–K/urogenitale Chlamydieninfektion und Serotypen L1–L3/Lymphogranuloma venereum, Mycoplasma genitalium/urogenitale Mykoplasmeninfektion
und Trichomonas vaginalis/Trichomoniasis) nur die fakultativ pathogenen Erreger Streptococcus
pyogenes/A-Streptokokken-Vulvovaginitis, Puerperalsepsis, streptococcal TSS (und andere)
[27] und Candida albicans (und wenige andere)/Vulvovaginalkandidose [14].
Es sind neue, nicht Kultur-basierte Techniken zur Diagnostik genitaler Infektionen
auf dem Markt, z. B. DNA-gestützte Tests zum Nachweis typischer Konstellationen von
L. crispatus, L. gasseri, L. iners, L. jensenii, G. vaginalis, A. vaginae, Bakterielle
Vaginose-assoziiertes Bakterium (BVAB)-2 und Megashera-Phylotype 1 oder 2 und einigen
Candida-Arten (z. B. BD MAX™ Vaginal Panel, Becton and Dickinson, Franklin Lakes, NJ, USA). Hier kommt es also
auf eine typische Konstellation und nicht den Einzelnachweis an!
Die „Vaginom“-Bestimmung, bei der möglichst viele vaginale Bakterien mit nicht kultureller
Technik nachgewiesen werden, bedarf im Einzelfall einer fachlich versierten Interpretation
und ist nach eigener Auffassung noch nicht praktisch und einfach verwertbar.
Die Kultur-basierte Bestimmung der vaginalen Mikrobiota und der individuellen Stoffwechseleigenschaften
z. B. der Laktobazillen („Vaginalstatus“) kann besser in die gute oder weniger gute
Funktionalität der Vaginalflora schauen, bedarf aber auch der kenntnisreichen Interpretation
[6].