Schlüsselwörter
Ulcus cruris - chronische Wunde - Kalziphylaxie - Livedovaskulopathie
Keywords
leg ulcer - chronic wound - calciphylaxis - livedo vasculopathy
Einleitung
Als Grenzorgan zur Umwelt dient die Haut dem Schutz des Organismus vor exogenen Einwirkungen.
Die Funktion der Haut als neuroendokrines Organ wird bei Verwundung und anschließender
komplexer Regeneration des zerstörten Gewebes umso deutlicher. Bei der Wundheilung
handelt es sich um einen dynamischen interaktiven Prozess, der aus 3 Phasen besteht,
die sich zeitlich überlappen: Inflammationsphase, Regenerations- und Remodellierungsphase
[1]. Von einer chronischen Wunde spricht man bei einem über 8 Wochen persistierenden
nicht heilenden Defekts der Haut und ihrer Anhangsgebilde. Es wird angenommen, dass
in Deutschland ca. 2–4 Millionen Menschen an chronischen Wunden unterschiedlicher
Genese leiden. Die Gefäßerkrankungen als Ursache des Ulcus cruris nehmen den größten
Anteil mit einer Inzidenz von ca. 75% ein. Die restlichen 15% gehen auf Erkrankungen
wie Vaskulitiden, posttraumatische Ulzerationen, Pyoderma gangraenosum, Lymphödeme,
Neoplasien oder letztlich unklare Ursachen zurück [2].
Durch die Erhebung einer ausführlichen Anamnese (Dauer, Schmerzen, Medikamente, Erkrankungen
etc.), körperliche Untersuchung (Wundcharakter, Wundumgebung, Lymphknoten, Pulse),
apparative Diagnostik (Doppler, Knöchel-Arm-Index), Laboruntersuchung (Blutbild, Urinstatus,
Nüchterblutzucker, Wundabstrich) lässt sich basisdiagnostisch eine Verdachtsdiagnose
hinsichtlich der Genese des Ulcus stellen [3]. Eine Übersicht der verschiedenen Differenzialdiagnosen des Ulcus cruris findet
sich in [Tab. 1]. Bei nicht heilenden und/oder stark schmerzenden Wunden trotz suffizienter Wundtherapie
sollte die Diagnose erneut überdacht und eine erweiterte befundabhängige Diagnostik
eingeleitet werden. Die Kenntnis der Differenzialdiagnosen ist essenziell, um eine
Abheilung der Ulzerationen zu gewährleisten. Dieser Artikel soll eine Übersicht über
einige ausgewählte Diagnosen und die spezifischen Therapien des Ulcus cruris geben.
Tab. 1 Ursachen eines Ulcus cruris [4].
Chronische venöse Insuffizienz
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primäre, sekundäre, kongenitale Veneninsuffizienz, postthrombotisches Syndrom
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Lymphabflussstörungen
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Lymphödem, Dysplasie
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Arterielle Erkrankungen
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Atherosklerose, Thrombangiitis obliterans, Diabetische Angiopathie, Arteriovenöse
Anastomosen, Aneurysmen, Embolien (arteriell, Cholesterin), Hypertonie (Martorell-Ulkus)
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Vaskulitiden
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Polyarteriitis nodosa, ANCA-assoziierte Vaskulitis (Granulomatose mit Polyangiitis,
Eosinophilie, Granulomatose mit Polyangiitis, Mikroskopische Polyangiitis), Kleingefäßvaskulitiden
(IgA-Vaskulitis, Non-IgA-Vaskulitis, Kryoglobulinämische Vaskulitis Typ II und III)
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Hämopathien
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Livedovaskulopathie, Kryoglobulinämie Typ I, Thrombophilien, Hämolytische Anämien
(Sichelzellanämie), Myeloproliferative Syndrome
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Neurologische Erkrankungen
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Querschnittslähmung, Poliomyelitisfolgen, Amyloidose, periphere Nervenläsionen (Trauma,
Diabetes)
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Infektionen
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Ekthyma, Osteomyelitis, Buruli-Ulkus, Mykobakteriosen, Parasitosen
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Traumata
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Bisswunden, Artefakte, posttraumatische Narben
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Autoimmunologisch
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Pyoderma gangraenosum, Necrobiosis lipoidica, GvHD, Sklerodermie, Sarkoidose, Lupus
erythematodes profundus, bullöse Dermatosen
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Neoplasien
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Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom (Marjolin-Ulkus), Papillomatosis cutis carcinoides,
Melanom, Kaposi-Sarkom, (Angio-)Sarkome, maligne Lymphome
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Metabolisch
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Diabetes mellitus, Gicht, Amyloidose, Kalziphylaxie, Porphyrien, Hyperhomocysteinämie
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Medikamente
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Hydroxycarbamid, Leflunomid, Phenprocoumon, Ergotamin
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Genetische Defekte
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Klinefelter-Syndrom, Werner-Syndrom, Felty-Syndrom, Faktor-V-Mutation
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Ulcus cruris venosum
Die chronische venöse Insuffizienz (CVI) ist die häufigste Ursache eines Ulcus cruris.
Die CVI ist meist Folge eines postthrombotischen Syndroms, einer Varikosis mit Stammveneninsuffizienz
oder einer Gefäßmalformation wie des Klippel-Trenaunay-Syndroms. Klinisch imponieren
sichtbare Hautveränderungen (Corona phlebectatica, Atrophie blanche, Dermatoliposklerose,
Purpura jean d’ocre und/oder Stauungsdermatitis, Unterschenkelödeme) an den Beinen,
die sich aus der Dilatation der Venen, ihren Klappeninsuffizienzen und der daraus
resultierenden venösen Hypertension ergeben [5].
Die Risikofaktoren sind eine erbliche Prädisposition, ein zunehmendes Lebensalter,
Schwangerschaft, Bewegungsmangel, stehende/sitzende Tätigkeiten und Adipositas. Ca.
1–2% der Patienten mit einer CVI entwickeln im Lauf ihres Lebens ein Ulcus cruris
venosum [4]. Die typische Lokalisation eines Ulcus cruris venosum befindet sich am distalen
medialen Unterschenkel ([Abb. 1]). In der Wundumgebung kommt es durch die Wundsekrete häufig zu einer Ekzematisierung,
die sich rasch ausbreiten und ebenfalls ulzerieren kann. Eine allergische Kontaktdermatitis
sollte als möglicher Auslöser in Betracht gezogen werden und verlangt gegebenenfalls
eine allergologische Abklärung.
Abb. 1 Ulcus cruris venosum am medialen distalen Unterschenkel.
Das therapeutische Ziel bei venösen Ulzera besteht in einer Verbesserung des gestörten
venösen Rückflusses und somit der venösen Hypertonie. Dazu können die Venenabschnittte
mit Klappeninsuffizienzen entweder operativ („Venenstripping“) oder mittels endoluminaler
Verfahren hämodynamisch ausgeschaltet werden [5]. Eine Schaumsklerosierung insuffizienter Venen im Bereich der Ulzeration hat sich
ebenfalls bewährt, insbesondere bei OP-Kontraindikationen [6]. Konservative Therapien umfassen die konsequente Kompressionstherapie, manuelle
Lymphdrainage und die phasengerechte Lokaltherapie des Ulcus [7]. Zudem sollten Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, chronische
Niereninsuffizienz, arterielle Hypertonie) behandelt werden, um begleitende, nicht
lymphatisch bedingte Ödeme zu reduzieren.
Livedovaskulopathie
Abzugrenzen von den primär und sekundär entzündlichen Vaskulitiden sind die nicht
entzündlichen Vaskulopathien/Koagulopathien mit partieller oder vollständiger Okklusion
des Gefäßlumens etwa bei Livedovaskulopathie, Livedo racemosa und Kalziphylaxie [8]. Die typische Klinik der Livedovaskulopathie besteht aus der Trias Livedo racemosa,
schmerzhafte Ulzerationen im Knöchelbereich und der nachfolgenden porzellanweißen
Narbe (Atrophie blanche) ([Abb. 2]).
Abb. 2 Livedovaskulopathie mit Livedo racemosa, Atrophie blanche und abheilender Ulzeration.
Frauen sind häufiger betroffen als Männer [9]. Die Ulzerationen treten gehäuft in den Sommermonaten auf. Die ursächliche überschießende
Gerinnungsneigung führt zu einer Gefäßokklusion der postkapillären Venolen mit Minderperfusion
der oberen und mittleren Dermis. Die Therapie besteht aus der Antikoagulation mit
niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosis, z.B. mit Tinzaparin 175 IU/kg
Körpergewicht 1 × täglich oder Enoxaparin 1 mg/kg Körpergewicht 2 × täglich. Im Verlauf
ist eine Umstellung auf Rivaroxaban 10 mg 1 × täglich möglich. Bei fehlendem Ansprechen
ist eine regelmäßige Infusionstherapie mit Prostazyklin-Analogon (Iloprost) 20 µg/Tag
über 4–5 Tage ratsam. Als 3. Eskalationsstufe können intravenöse Immunglobuline eingesetzt
werden [10]
[11]
[12]
[13].
Pyoderma gangraenosum
Das Pyoderma gangraenosum (PG) ist eine seltene Erkrankung mit einer Prävalenz von
0,3–1/100.000 mit möglichem Auftreten in jedem Lebensalter und enger Assoziation zu
rheumatischen Grunderkrankungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und hämatoonkologischen
Erkrankungen [14]. Pathogenetisch wird eine fehlgeleitete Aktivierung entzündlicher und gewebedestruierender
Signalkaskaden diskutiert. Eine wichtige Rolle scheint die Überexpression von Interleukinen
(IL), insbesondere IL-36 und IL-8, zu spielen. Des Weiteren führt die Gain-of-Function-Mutation
im Prolin-Serin-Threonin-Phosphatase-interagierenden Protein-1(PSTPIP1, früher CD2-bindendes
Protein 1 genannt)-Gen auf Chromosom 15 zur Ausschüttung von proinflammatorischem
Interleukin IL-1β [15]. In läsionalen Proben von PG und auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
konnte immunhistochemisch eine erhöhte Expression von Tumornekrosefaktor TNF-α und
NFkB nachgewiesen werden [16].
Klinisch zeigt sich eine druckschmerzhafte, schnell wachsende nekrotische Ulzeration
der Haut, die aus einzelnen, sterilen, oft auch follikulären Pusteln hervorgeht. Charakteristisch
ist die Entstehung nach Bagatelltraumen oder Operationen (Pathergie-Phänomen, siehe
[Abb. 3]). Die lividen Wundränder sind meist ödematös aufgeworfen und/oder unterminiert mit
umgebendem lividroten Erythem [17]. Die Lokalisation an den Beinen beträgt ca. 70%; das PG kann aber auch an anderen
Körperregionen auftreten.
Abb. 3 Pyoderma gangraenosum am Abdomen/Flanke rechts nach OP (siehe Narbe).
Diagnostisch ist der Paracelsus-Score hilfreich. Er umfasst das klinische Bild, den
Krankheitsverlauf, die Histopathologie, die Assoziation der Systemerkrankungen sowie
den Ausschluss von relevanten Differenzialdiagnosen [18].
Die Empfehlungen zur Behandlung des Pyoderma gangraenosum sind in der [Abb. 4] dargestellt.
Abb. 4 Therapiealgorithmus zur Behandlung eines PG. [14] GKS: Glukokortikoide; CSA: Ciclosporin; AZA: Azathioprin; MTX: Methotrexat; MMF:
Mycophenolatmofetil; CED: Chronisch entzündliche Darmerkrankung; TCI: Topische Calcineurininhibitoren;
RA: Rheumatoide Arthritis.
Ulcus cruris bei Sichelzellanämie
Ulcus cruris bei Sichelzellanämie
Das Ulcus cruris haematopathogenicum entsteht im Rahmen von hämotologischen Erkrankungen,
bei denen meist eine Störung der Mikrozirkulation vorliegt. Bei der autosomal rezessiv
vererbten Sichelzellanämie kommt es durch einen genetischen Defekt zur Bildung von
irregulärem Hämoglobin, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin (Hämoglobin S, HbS) [19]. Bei ca. 15% der meist männlichen Patienten mit einer Sichelzellanämie (zwischen
dem 10. und 50. Lebensjahr) entwickeln sich schmerzhafte Ulzerationen am Unterschenkel,
typischerweise über dem medialen oder lateralen Knöchel ([Abb. 5]), gelegentlich auch im Bereich der Tibia oder des Fußrückens [20]. Im Verlauf besteht ein Verlust von Unterhautfettgewebe und Haarfollikeln. Risikofaktoren
für Ulzerationen sind Trauma, Infektion, ausgeprägte Anämie und hohe Umgebungstemperaturen.
Abb. 5 Ulcus cruris rechter medialer Unterschenkel.
Einen Therapieleitfaden für die Behandlung der Ulzera bei Sichelzellpatienten gibt
es nicht, aber neben einer wundadaptierten Lokaltherapie kommen Zink, Antikoagulation
(niedermolekulare Heparine, NMH), Hydroxyurea, Bosentan, Prostazyklin-Analoga und
Pentoxifyllin zum Einsatz [20]
[21].
Kalziphylaxie
Die Kalziphylaxie ist eine seltene, mit hoher Morbidität und Mortalität assoziierte
Erkrankung, die durch schmerzhafte, ischämiebedingte, teils nekrotische Ulzerationen
der Haut gekennzeichnet ist. Pathogenetisch besteht eine Störung im Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel,
in deren Folge es zu Verkalkungen der Media kutaner Arteriolen und des umgebenden
Fettgewebes kommt. Die thrombotischen Gefäßverschlüsse führen zu den ischämischen
Nekrosen. Betroffen sind bevorzugt Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz,
seltener Patienten mit normaler Nierenfunktion und Vorliegen eines primären Hyperparathyreoidismus,
Malignomen, alkoholbedingten Lebererkrankungen oder Autoimmunerkrankungen. Initial
zeigen sich klinisch livide blitzfigurenartige Erytheme oder subkutane Knoten, die
sich rasch zu schmerzhaften Ulzerationen mit festhaftenden schwarzen Nekrosen vor
allem im Bereich der Unterschenkel ([Abb. 6]a), aber auch weiter proximal an Gesäß, Flanke und Bauchwand manifestieren. Therapeutisch
stehen die Behandlung der assoziierten Grunderkrankung und die Schmerztherapie im
Vordergrund sowie das Absetzen einer Therapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten und
Umstellung auf ein NMH oder DOAK. Weitere Maßnahmen sind Optimierung der Elektrolytspiegel,
intensivierte Dialyseprotokolle, Phosphatbinder und Behandlung eines Hyperparathyreoidismus.
Ein zentraler Therapiebaustein ist die intravenöse Gabe von Natrium-Thiosulfat-Infusionen
([Abb. 6]b). Natrium-Thiosulfat wirkt vasodilatatorisch, antioxidativ und hemmt die Kalzifizierung
der Gefäßwand [22]. Neben dem klassischen Wundmanagement sollten die Nekrosen großzügig chirurgisch
debridiert werden [23].
Abb. 6 Kalziphylaxie (nicht nephrogen bedingt) a) Ulcus cruris Unterschenkel links lateral
b) selber Patient nach einer Therapie mit Natrium-Thiosulfat.
Ulzerationen anderer Genese
Ulzerationen anderer Genese
Weitere wichtige Differenzialdiagnosen sind das Ulcus hypertonicum (Martorell), vaskulitische
Ulzerationen, die Necrobiosis lipoidica sowie neoplastische Ulzerationen. Das Ulcus
cruris hypertonicum besteht aus sehr schmerzhaften symmetrischen Ulzerationen im Bereich
der distalen laterodorsalen Unterschenkel sowie über den Achillessehnen und dem Vorliegen
einer manifesten arteriellen Hypertonie und zeigt große Ähnlichkeit zur Kalziphylaxie
[24]. Eine vaskulitische Ulzeration entsteht meist aus einer kutan begrenzten Variante
einer systemischen Vaskulitis oder einer Einzelorganvaskulitis, die auf die Haut beschränkt
ist [25]. Die häufigste Kleingefäßvaskulitis ist die IgG-/IgM-Immunkomplexvaskulitis oder
auch IgA-negative Vaskulitis (entspricht einer kutanen leukozytoklastischen Vaskulitis)
mit der typischen Klinik einer palpablen Purpura, erythematösen Makulae und hämorrhagischen
Blasen, die im Verlauf ulzerieren können, beginnend an der distalen Extremität. Die
Necrobiosis lipoidica ist eine granulomatöse Erkrankung, die sich klinisch als gelb-braune
Makulae/Papeln/Plaques mit atrophem Zentrum an den Beinen, meist prätibial (ca. 85%),
darstellt. Im Verlauf können zu ca. 30% schmerzarme Ulzerationen auftreten, wobei
eine begleitende Periostitis sehr schmerzhaft sein kann. Neoplastische Ulzerationen
können auf dem Boden einer chronischen Wunde entstehen, etwa das sogenannte Marjolin-Ulkus.
Dabei handelt es sich meist um ein Plattenepithelkarzinom, seltener um Basalzellkarzinome.
Dies verlangt eine besondere Aufmerksamkeit, da der neoplastische Prozess auf einem
lange bestehenden Ulkus leicht übersehen oder fehlinterpretiert werden kann. Aber
natürlich können auch primäre Neoplasien der Haut die Ursache einer chronischen Wunde
sein, etwa bei einem Angiosarkom, Lymphom, Melanom, Plattenepithelkarzinom, Basalzellkarzinom
u.v.m.
Fazit
Zur Diagnosestellung eines Ulcus cruris sind die umfassende Anamnese, die Klinik,
die Diagnostik und die Kenntnis der Differenzialdiagnosen erforderlich. Die selteneren
Diagnosen sollten in speziellen Zentren mit Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit
mit anderen Fachabteilungen behandelt werden.