Psychiatr Prax 2022; 49(04): 178-179
DOI: 10.1055/a-1589-8396
Debatte: Pro & Kontra

Peer Review behindert den wissenschaftlichen Fortschritt – Kontra

Peer Reviews Hamper Scientific Progress – Contra
Peter Falkai
 

Der Peer Review existiert, seit es wissenschaftliche Beiträge bzw. Abhandlungen gibt [1]. Zwischen 1890 und ca. 1940 gab es in England eine Phase, in welcher wissenschaftliche Gesellschaften den Peer Review diskutiert und auch abgeschafft hatten. Aus heutiger Sicht „erlaubt er Autoren ein konstruktives Feedback, gibt den Herausgebern die Möglichkeit, Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln zu verstehen und vermittelt Lesern eine Glaubwürdigkeit von Forschung“ [2].

Was ist ein Peer Review?

Der Peer Review von wissenschaftlichen Artikeln dient dem strukturierten Prozess der Qualitätssicherung, indem Experten wissenschaftliche Artikel auf dem Hintergrund ihres eigenen fachlichen Wissens bewerten und ihr Urteil schriftlich zusammenfassen. Diese Bewertung führt dann zu einer Akzeptanz (in der Regel mit Modifikationen verbunden) oder zu einer Ablehnung des Artikels. Gründe für eine Ablehnung können zum einen inhaltliche oder methodische Mängel sein, die mit einer Überarbeitung nicht behoben werden können oder der Artikel liegt thematisch außerhalb der Themenschwerpunkte des Journals.

Welche Rolle spielt der Peer Review für die Wissenschaft?

Technische Fortschritte wie Papierdruck, Kopierer oder das Internet haben zu einer Flut von Texten geführt, die in einer Vielzahl von Fachzeitschriften veröffentlicht werden. So versuchen z. B. Reviews, Metareviews, Metaanalysen und Cochrane-Analysen die Publikationsflut zu sichten, auszuwerten und auf ihre Relevanz für den Fortschritt zu evaluieren. Die Notwendigkeit, bereits ab einem frühen Zeitpunkt eine Qualitätskontrolle von Artikeln einzuführen, die zur Publikation eingereicht werden, besteht demnach heute mehr denn je. Ohne Peer Review würde eine Vielzahl von inhaltlich und strukturell fragwürdigen Artikeln publiziert, und der Leser müsste selber einen Review durchführen, um die Qualität und somit die Relevanz eines Artikels zu beurteilen. Hier würde dieser jedoch sehr schnell an die Grenzen seines Wissens stoßen.

Wodurch entsteht wissenschaftlicher Fortschritt?

Wissenschaftlicher Fortschritt ist eine (Weiter-)Entwicklung eines bestimmten Themengebiets in eine (positive) Richtung. So haben wir z. B. gelernt, dass der Abbau von Amyloid durch Antikörper zu einer kausalen Behandlung der Alzheimerʼschen Erkrankung und somit zu einem Fortschritt in der Medizin führen könnte, wenn sich z. B. die Einführung von Aducanumab in den USA in der Praxis bewährt. Dem vorausgegangen war die Entdeckung des Amyloids als charakteristische Ablagerung im Gehirn von Erkrankten, seine biochemische Charakterisierung sowie die Aufklärung des Stoffwechselwegs bei seiner Entstehung. Um diese Kaskade zu ermöglichen, bedarf es eines „wissenschaftlichen Fortschritts“ auf vielen Gebieten, wie beispielsweise der Entwicklung von entsprechenden Untersuchungsinstrumenten für die Molekularbiologie oder aber auch der Ausbildung geeigneter Wissenschaftler*innen, um die hierfür relevanten Experimente durchführen zu können. Dieser Fortschritt entsteht auf der Basis eines wissenschaftlichen Diskurses der beteiligten Wissenschaftler*innen, welcher u. a. auf Kongressen ausgetragen und in Fachzeitschriftenartikeln niedergelegt wird. Hierbei geschieht es allerdings immer wieder, dass wissenschaftliche Ergebnisse unvollständig oder geschönt zur Publikation eingereicht werden. An diesem Punkt ist ein guter Peer-Review-Prozess ausschlaggebend, um die relevanten wissenschaftlichen Ergebnisse zu identifizieren und adäquat zu publizieren.

Behindert Peer Review den Fortschritt in der Wissenschaft?

Wissenschaftlicher Fortschritt erfordert Investitionen wie beispielsweise eine Laborausstattung und die Finanzierung von Stellen für Wissenschaftler*innen. Diese Laborausstattung wird als Grundausstattung von Steuerzahler*innen oder durch die Einwerbung von Forschungsdrittmitteln finanziert. Die Währung, welche diesen Fortschritt bezahlt, sind Publikationen in renommierten Fachjournalen mit hohem Impactfaktor, was zu einer guten Sichtbarkeit und Zitierbarkeit der Ergebnisse führt. Ein hoher Impactfaktor ist das Produkt aus der Qualität der publizierten Artikel in Kombination mit ihrer Zitationshäufigkeit.

Um abzuschätzen, ob ein Artikel gut publiziert wird, gibt es Qualitätsmerkmale, die im Rahmen eines Peer-Review-Prozesses evaluiert werden. Zu diesen gehören u. a. das Vorhandensein von publizierten Vorergebnissen, der Einsatz adäquater Untersuchungsmethodik, ein hoher Innovationsgrad der Ergebnisse und deren ausgewogene Diskussion. Je höher die Qualität des Journals, desto mehr Reviews werden angefordert, welche im Rahmen eines strukturierten Prozesses mit klaren Vorgaben durchgeführt werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass ein wissenschaftlicher Artikel von verschiedenen Personen mit unterschiedlicher Expertise beurteilt wird, was eine adäquatere Gesamtsicht erlaubt als wenn kein oder nur ein Review vorläge. Dass viele Datenpunkte ein reliableres Ergebnis ergeben als wenige oder nur einer, ist hinreichend belegt.

Gibt es wissenschaftlichen Fortschritt ohne Peer Review?

„Science und JAMA haben bis in die 40er-Jahre keinen externen Review in Anspruch genommen. Bis in die 70er-Jahre hinein haben Lancet und Nature nicht regelmäßig externe Reviewer eingeladen“ [1] und somit die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der eingereichten Artikel in die Hand der Herausgeber gelegt. Die Zahl der Datenpunkte war entsprechend gering und die Fehlerwahrscheinlichkeit entsprechend groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass fachlich gute Artikel aufgrund fehlender Expertise des zuständigen Herausgebers abgelehnt wurden oder umgekehrt Artikel von fraglicher Qualität akzeptiert bzw. durch die Expertise des Herausgebers wohlwollend bewertet wurden, ist Teil eines solchen herausgeberbasierten Review-Prozesses.

Betrachtet man kritische Kommentare zum Peer Review (z. B. [2]), so besteht Konsens darüber, dass es einen solchen Prozess geben muss, um die Qualität publizierter Artikel abzusichern. Es ist aber eine interessante Diskussion im Gange, wie dieser Prozess zu gestalten ist: Hier scheint es zunehmende Einigkeit darüber zu geben, dass Reviews und auch die späteren Antworten bzw. Widerlegungen (sog. Rebuttal-Letters) der Autoren veröffentlicht werden sollten. Kritisch diskutiert hingegen wird, ob die Reviewer hierbei auch namentlich genannt werden sollten.

Peer Reviews stellen aus meiner Sicht eine notwendige Qualitätskontrolle für wissenschaftliche Publikationen dar. Er gibt den Autor*innen die Möglichkeit für ein kritisches Feedback, den Herausgebern die Chance, die Artikel aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und dem Leser das Gefühl, dass man in Forschung Vertrauen setzen kann [2].


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Autorinnen/Autoren

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Peter Falkai

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Peter Falkai
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Nußbaumstraße 7
80336 München
Deutschland   

Publication History

Article published online:
06 May 2022

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