Aktuelle Rheumatologie 2022; 47(06): 471-472
DOI: 10.1055/a-1634-1792
Für Sie Notiert

Dauerbrenner Anfängeroperation!

Individuelle Kompetenz ist entscheidend
Isabel Häser
 

Die Überwachung einer Ärztin in Weiterbildung bei der selbstständigen Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung durch einen Oberarzt von einem angrenzenden Monitorraum aus kann ausreichend sein.

Der Fall

Die Patientin (spätere Klägerin) fühlte sich nach sportlichen Betätigungen nicht wohl. Ihr Hausarzt verwies sie nach einem Belastungs-EKG an einen Kardiologen, der ein weiteres Belastungs-EKG und ein Echokardiogramm vornahm. Er empfahl dann die Abklärung durch eine Herzkatheter-Untersuchung im Krankenhaus. Die Überweisung sah eine invasive Diagnostik zum Ausschluss einer stenosierenden koronaren Herzkrankheit bei progredienter Angina-Pectoris und Belastungsdyspnoe der CCS-Klasse III sowie von ergonomisch induzierten ventrikulären Arrhythmien vor.

Die Patientin begab sich daraufhin in das empfohlene Krankenhaus (spätere Beklagten zu 1). Dort führte sie mit einer im vierten (von 6) Weiterbildungsjahr befindlichen Assistenzärztin (spätere Beklagten zu 2) ein Beratungsgespräch über den geplanten Eingriff inklusive Aufklärung (Inhalt umstritten). Die Patientin unterzeichnete an diesem Tag einen Diomed-Aufklärungsbogen, in welchem u. a. auf das Risiko einer Verletzung einer Herzkranzarterie mit nachfolgendem Herzinfarkt und notfallmäßiger Bypass-Operation hingewiesen wurde; auf dem Aufklärungsbogen waren auch handschriftliche Eintragungen, die sich unter anderem auf eine mögliche Perforation, Nachoperationen, Herzrhythmusstörungen oder den Tod bezogen.

Ein paar Tage später fand die Herzkatheter-Untersuchung im Krankenhaus statt. Diese wurde unstreitig durch die Assistenzärztin in eigener Verantwortung durchgeführt. Ob der zuständige Oberarzt und Facharzt für Kardiologie (Zeuge) sich in einem abgetrennten Bereich des Katheterraums (dem sog. Monitorraum) aufhielt oder nur als allgemeiner Hintergrund im Krankenhausbereich, war zwischen den Parteien streitig. Während der Untersuchung kam es zu einer Dissektion eines Herzkranzgefäßes. Daraufhin übernahm der Oberarzt und versuchte, den Riss mit einem Stent zu verschließen. Nachdem ihm dies nicht gelang und sich der Riss erweiterte, wurde die Patientin notfallmäßig in die Herzchirurgie eines Universitätsklinikums verlegt. Dort wurde sie notoperiert. Im Anschluss erfolgte eine Rehabilitationsbehandlung.

Die Patientin verklagte das Krankenhaus und die Assistenzärztin, weil sie der Meinung war, die Operation sei nicht notwendig gewesen, sie sei auch weder richtig aufgeklärt noch korrekt behandelt worden. Insbesondere stützt sie sich darauf, dass es nicht zulässig gewesen sei, der Assistenzärztin die selbstständige Durchführung des Eingriffs zu überlassen, zumal eine ordnungsgemäße Überwachung nicht stattgefunden habe. Nach Auffassung der Patientin habe sich der Oberarzt nicht im Monitorraum befunden, sondern habe erst herbeigerufen werden müssen. Aufgrund der Folgen des Eingriffs könne sie nicht mehr arbeiten. Sie forderte Schmerzensgeld und Schadenersatz.


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Die Entscheidung

Bereits das Gericht in erster Instanz wies die Klage ab. Das OLG Köln (Urteil vom 09.01.2019–5 U 25/18) bestätigte das Urteil und wies die Berufung der Patientin zurück. Es liege weder ein Aufklärungs- noch ein Behandlungsfehler vor.


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Kein Verstoß gegen fachärztlichen Standard

Nach Auffassung des Gerichts (u. a. unter Bezugnahme auf ein erstinstanzliches Sachverständigengutachten) war die Herzkatheteruntersuchung der Patientin indiziert.

Auch die Übertragung der Untersuchung auf die Assistenzärztin und die Durchführung durch sie war nicht fehlerhaft, so die Richter.


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Fachärztlicher Standard setzt nicht zwingend abgeschlossene Facharztausbildung voraus

Die Wahrung fachärztlicher Standards setze nicht zwingend voraus, dass der Eingriff von einem Arzt durchgeführt werde, der die Facharztausbildung vollständig und erfolgreich absolviert habe. Ein Assistenzarzt könne und müsse mit fortschreitender praktischer Erfahrung Behandlungsmaßnahmen vornehmen, und zwar durchaus selbstständig. Dies gelte für Herzkatheter-Untersuchungen ebenso wie für sonstige Eingriffe, insbesondere Anfängeroperationen. Allerdings dürfe dem Patienten, der Anspruch auf eine ärztliche Betreuung habe, die fachärztlichem Standard entspricht, hierdurch kein zusätzliches Risiko entstehen. Soweit dem in Weiterbildung befindlichen Arzt die vom Facharztstandard geforderte Erfahrung fehle, müsse dies durch besondere Maßnahmen der Überwachung und jederzeitigen Eingriffsbereitschaft durch einen erfahrenen Arzt ausgeglichen werden.


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Überwachung heißt nicht „danebenstehen“

Nach Auffassung des Gerichts muss der erfahrene Ausbilder bei der hier in Rede stehenden Katheter-Untersuchung nicht zwingend unmittelbar neben dem in Weiterbildung befindlichen Arzt stehen, um im Falle einer sich ereignenden Komplikation sofort die weitere Behandlung zu übernehmen. Eine Überwachung von einem angrenzenden Monitorraum könne im Hinblick auf die Sicherheit des Patienten als jedenfalls gleichwertig angesehen werden. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen ergäben sich hinsichtlich der sofortigen Eingriffsmöglichkeiten dabei keine Unterschiede zur Situation, dass der Ausbilder direkt neben dem Behandler am Tisch steht. Insoweit sei auch keine andere Handlungsmöglichkeit gegeben und die Rufbereitschaft (als entscheidender Faktor) sichergestellt. Hinzu käme, dass der Aufsichtsführende über die Monitore die Möglichkeit habe, auch die inneren Vorgänge unmittelbar und selbstständig zu verfolgen.

Zur streitigen Frage, ob der Oberarzt während der Untersuchung im angrenzenden Monitorraum gewesen ist, geht das OLG davon aus, dass sich der Oberarzt während des gesamten Zeitraums in diesem Raum etwa 3 Meter von der Assistenzärztin entfernt befunden habe, diese permanent sehen und das Geschehen am Monitor verfolgen konnte.


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Assistenzärztin war erfahren genug

Weiter bestanden nach der Auffassung des Gerichts auch keine Bedenken, der Assistenzärztin nach ihrem Ausbildungsstand die Untersuchung als selbstständige Aufgabe (unter der erforderlichen Aufsicht) zu übertragen. Die Beklagten hätten durch Vorlage entsprechender Unterlagen, durch Zeugenaussagen sowie den Angaben der Assistenzärztin im erstinstanzlichen Verfahren nachgewiesen, dass die Assistenzärztin 100 Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt hatte. Das entspreche zwar bei Weitem noch nicht der Anzahl der nach der Weiterbildungsbildungsordnung über die Weiterbildung zur Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie vorgesehenen 300 Herzkatheter-Untersuchungen, bedeute allerdings schon ein ausreichendes Maß an Erfahrung, das es gerechtfertigt habe, ihr unter Aufsicht die Untersuchung selbstständig zu übertragen.

Die aufgetretene Schädigung (Dissektion der rechten Herzkranzarterie und der in der Folge sich entwickelnde Hinterwandinfarkt), beruhe auch nicht auf der Unerfahrenheit der Assistenzärztin. Hierzu habe der Sachverständige ausgeführt, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehe, dass die Verletzung der Klägerin bei jedem anderen Facharzt in gleicher Weise eingetreten und nicht zu verhindern gewesen wäre. Der Grund liege in der anatomischen Besonderheit des außergewöhnlich steil abgehenden rechten Herzkranzgefäßes, was nicht vorhersehbar gewesen sei und erst in dem Moment habe erkannt werden können, als der Katheter so weit vorgeschoben worden sei, dass die Schädigung bereits eingetreten sei. Insoweit wäre die Schädigung allenfalls durch einen glücklichen Zufall zu verhindern gewesen, aber eben gerade nicht durch eine größere berufliche Erfahrung.


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Individuelle Eintragungen sprechen für ordnungsgemäße Aufklärung

Das OLG bestätigt die Einschätzung des LG auch in dem Punkt, dass kein Aufklärungsfehler vorlag. Die auf dem Aufklärungsbogen vorgenommenen individuellen Eintragungen stellten ein überaus starkes Indiz dafür dar, dass die mündliche Aufklärung insoweit tatsächlich erfolgt sei. Dass die Assistenzärztin möglicherweise versucht hätte, die unstreitig sehr nervöse und ängstliche Klägerin tendenziell eher zu beruhigen, stelle keinen Aufklärungsfehler dar, insbesondere keine unzulässige Verharmlosung.


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Aufklärung nur über medizinisch gleichwertige Behandlungsalternativen

Eine fehlerhafte Aufklärung ließe sich auch nicht im Hinblick auf mögliche Behandlungsalternativen begründen. Die Klägerin verkenne, dass eine solche Aufklärung über Behandlungsalternativen nur geboten sei, wenn es sich bei den Alternativen um Behandlungen handele, die zwar hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken unterschiedlich, aus medizinischer Sicht aber als gleichwertig anzusehen seien. Sei dies nicht der Fall, so stehe es dem Patienten im Rahmen seiner freien Selbstbestimmung natürlich frei, sich für eine geringerwertige Behandlung zu entscheiden, aber eine Aufklärung über solche Möglichkeiten schulde der Behandler nicht.

Soweit die Klägerin ferner meine, es habe ein Hinweis auf alle in der Leitlinie erwähnten denkbaren nichtinvasiven Untersuchungsmethoden erfolgen müssen, führt das Gericht weiter u. a. aus: Keinesfalls bestehe eine Rechtspflicht des Behandlers, alle im weiteren Zusammenhang mit einer Herzkatheter-Untersuchung stehenden nichtinvasiven Möglichkeiten auch dann darzustellen und zu erläutern, wenn sie ersichtlich für den konkret anstehenden Fall nicht von Bedeutung seien.

Fazit

Immer wieder beschäftigt das Thema „Anfängeroperation“ die Gerichte, weil Patienten, wenn sich ein Risiko verwirklicht, meinen, das wäre bei einem „fertigen“ Facharzt nicht passiert. Sowohl das erstinstanzliche Landgericht als auch das Oberlandesgericht haben in diesem Fall die Ärzte gestärkt, indem sie die (auch im Rahmen der Weiterbildung notwendige) Übertragung der Operation aufgrund der individuellen Erfahrung der Assistenzärztin (bei erfolgter Überwachung) nicht beanstandeten. Aus den Urteilsgründen wird sehr deutlich, dass es immer eine Einzelfallentscheidung anhand der individuellen Kompetenz des Assistenzarztes sein muss, die im Fall der Fälle auch nachweisbar sein muss. Deutlich wird auch, dass die Überwachung ausreichend gewährleistet sein muss. Auch auf die Wichtigkeit individueller Eintragungen auf Aufklärungsbögen kann nicht oft genug hingewiesen werden.


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Zitierweise für diesen Artikel

klinikarzt 2020; 49: 400–401


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Autorinnen/Autoren

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Dr. iur. Isabel Häser
Fachanwältin für Medizinrecht
Riedener Weg 1
82319 Starnberg
Deuschland
haeser@kanzlei-haeser.de
Dr. iur. Isabel Häser
Universitätsklinikum Hamburg – Eppendorf
Fachanwältin für Medizinrecht Riedener Weg 1
82319 Starnberg
Gebäude N 30 b
Deuschland

Publication History

Article published online:
01 December 2022

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