In diesem Jahr geht es um Patientenaufklärung und Stärkung der eigenen Gesundheitsvorsorge.
Der Bericht wirft viele Fragen auf und fordert uns als Gesellschaft heraus, aktiv
an der Lösung mitzuarbeiten!
Gesundheitskompetenz: So wichtig wie gesunde Ernährung und Bewegung
Gesundheitskompetenz: So wichtig wie gesunde Ernährung und Bewegung
Rund 2/3 der Deutschen verfügen über eine unzureichende Gesundheitskompetenz. Fakt
ist auch: Google behindert die Auffindbarkeit valider Gesundheitsinformationen. Der
Arzt ist immer noch der wichtigste Ansprechpartner in Gesundheitsfragen.
Berlin, 13. Oktober 2021 – Informationsangebote zu Gesundheitsthemen stehen heute
in einem bisher ungekannten Ausmaß im Netz und auf Social-Media-Kanälen allen zur
Verfügung. Gleichzeitig zeigen Studien, dass immer weniger Menschen sich in diesem
Angebotsdickicht zurechtfinden und valide Informationen von nichtvaliden nicht unterscheiden
können. Das Aktionsbündnis Thrombose hat deswegen zum 8. Welt-Thrombose-Tag – dem
200. Geburtstag Rudolf Virchows – am 13. Oktober 2021 eine Podiumsdiskussion zum Thema:
„Patienten-Empowerment: Patienten stark machen mit validen Informationen!“ veranstaltet.
Ist dies tatsächlich eines unserer vordringlichsten Probleme in unserem Gesundheitssystem?
Ja! Denn mehr Gesundheitskompetenz heißt zugleich auch ein Mehr an Gesundheit für
die Menschen, weniger Notdiensteinsätze, weniger Krankenhausaufenthalte und Arztbesuche
– dies ist nur ein Ergebnis der Expertenrunde.
Prof. Rupert Bauersachs, Wissenschaftlicher Leiter des Aktionsbündnisses Thrombose,
weist in seiner Begrüßung auf die enormen Verbesserungen in der Thrombosetherapie
hin: eine leicht zugängliche Diagnostik, zuverlässige und wirksame Therapieoptionen
sowie wichtige Erkenntnisse zur Thromboseprophylaxe. Dieses Wissen gehöre in die Bevölkerung
vermittelt und könnte Leben retten.
Präventionsthemen werden besonders schlecht verstanden
Präventionsthemen werden besonders schlecht verstanden
Die Gründe, warum diese Erkenntnisse nicht zur Anwendung kommen, liefert Prof. Dr.
Doris Schaeffer, Fakultät Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Aktuelle
Zahlen aus dem 2. Health Literacy Survey Deutschland zeigen: Nahezu 60% der Deutschen
haben demnach Schwierigkeiten, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu
beurteilen und anzuwenden. Besonders betroffen sind Menschen mit niedriger Bildung,
niedrigem Sozialstatus und ab dem Lebensalter 65 plus. Bemerkenswert dabei ist, dass
Informationen zur Gesundheitsförderung und Prävention als am schwierigsten eingeschätzt
werden.
Was braucht es jedoch, um gute Gesundheitsinformationen bereitzustellen? Jens Richter,
Chefredakteur des Patientenportals NetDoktor, betont die Rolle des Wissensvermittlers,
der die Bedürfnisse der Patienten gut kennt, um diese Inhalte in Suchanfragen zu übersetzen,
die dann auch beantwortet werden können. Dabei, so Richter, sind die Grenzen zu evidenzbasierten
Inhalten gegebenenfalls auch zu verlassen. Gerade die Corona-Pandemie habe gezeigt,
dass viele Anfragen nicht auf evidenzbasierte Fragestellungen abheben.
Hannelore Loskill, Bundesvorsitzende der BAG Selbsthilfe, mahnt die Aktualität von
Informationen an. „Nach Informationen suchen, das tun Kranke, und die müssen die richtigen
Informationen bekommen. Es ist eben nicht der gesunde 30-jährige Versicherte, der
nach Informationen sucht.“ Große Probleme habe es beispielsweise zu Beginn der Pandemie
gegeben, leichte Sprache und gebärdensprachliche Informationen in die verschiedenen
digitalen Kanäle zu bekommen. Kernzielgruppe von Gesundheitsinformationen seien nach
wie vor die Betroffenen.
Google entscheidet über die Relevanz von Gesundheitsinformationen
Google entscheidet über die Relevanz von Gesundheitsinformationen
Ein grundsätzliches Problem der Informationsvermittlung sieht Dr. Klaus Koch, Chefredakteur
von gesundheitsinformation.de: „Wir haben einerseits inzwischen eine Menge an Informationen
in der Breite und Tiefe auf gesundheitsinformation.de bereitgestellt; andererseits
stellt sich die Frage, wie der eine Mensch nun gerade die Frage, die er hat, beantwortet
bekommt.“ Alle digitalen Internetangebote befinden sich in der Situation, dass sie
über Google über 90% der User zugewiesen bekommen. „Google entscheidet, was gesehen
wird und was nicht gesehen wird. Google entscheidet, was oben auf der Trefferliste
landet und was unten auf der Trefferliste erscheint. Wir können es Google nicht überlassen,
was gute und was schlechte Gesundheitsinformationen sind. Wie bekommen wir die guten
Informationen an die Menschen vermittelt? Da wende ich mich auch an die Ärzte. Wir
brauchen da eine Arbeitsteilung“, so Koch.
Dr. Robert Eisele bemerkt die Verunsicherung der Patienten durch widersprüchliche
Informationen. „Die Patienten unterscheiden nicht zwischen guten und nicht guten Informationen,
sie registrieren die Widersprüche.“ Jeder vierte Patient in seiner Praxis sei außergewöhnlich
gut informiert. Das Vertrauen der Patienten in die Vermittlungskompetenz des Arztes
sei dabei sehr groß. Was die Qualität von Gesundheitsinformationen angehe, so reiche
es eben nicht, einen medizinischen Lehrbuchtext zu übersetzen und ins Internet zu
stellen. „Die Informationen gehören aufgearbeitet und interpretiert, anhand aktueller
Studienergebnisse auch noch einmal rückversichert. Und komplizierte Sachverhalte muss
man auch so darstellen, abweichende Meinungen gelten lassen und begründen“, so Eisele.
„Es ist gar nicht so leicht für diese Mediengattung, suchmaschinengetriebene Gesundheitsportale,
Präventionsthemen, im Sinne von Awareness-Bildung, zu betreiben“, erklärt Jens Richter.
Die meisten Menschen gingen anlassbezogen auf Gesundheitsportale. „Das Suchverhalten
zum Thema Thrombose ist sehr stark davon getrieben, ob ich eine Thrombose habe“, so
Richter. Vergleiche man die Inzidenz der Thrombose mit dem Suchvolumen zur Thrombose,
so sei das Suchvolumen mehr als 10-mal so hoch. Die Menschen gingen aber auch nicht
aus dem Antrieb heraus ins Internet, um sich zu informieren, wie eine Thrombose verringert
werden könne.
Patienteninformationen sind zu wenig patientenorientiert
Patienteninformationen sind zu wenig patientenorientiert
Prof. Gerd Gigerenzer berichtet von einer internationalen Studie, wonach deutsche
Frauen den Nutzen von Mammografie-Screenings am stärksten überschätzen. Ein Land in
Europa weise signifikant andere Ergebnisse auf: Frauen im europäischen Teil von Russland
schätzten den Nutzen am realistischsten ein, weil ihnen weniger – auch irreführende
– Informationen zur Verfügung stünden. „Wir leben in einer Gesellschaft in Deutschland,
wo man nicht den Mut und auch nicht das Interesse hat, Frauen so zu informieren, dass
sie eine informierte Entscheidung treffen können.“
Die Patienteninformationen zum Mammografie-Screening in Deutschland seien in der Regel
wenig patientenorientiert, kritisiert Gigerenzer. „Zu lang, unverständlich und sie
geben das, was für die Patientinnen wichtig sei, nicht wieder. „Deswegen haben wir
in unserem Harding Center für Risikokompetenz Faktenboxen entwickelt, die über den
Nutzen und Schaden in Zahlen informieren. Das sind Informationen, die kann jeder verstehen.“
Gesundheitsinformationen würden von Experten gemacht, die entscheiden, was Patienten
über bestimmte Krankheiten wissen sollten. Diese Informationen folgten nicht der Perspektive
der Rezipienten, gibt Schaeffer zu Bedenken. Die Nutzer müssten mehr in die Ausgestaltung
der Informationen einbezogen werden. Darüber hinaus sei der Arzt nach wie vor die
prioritäre Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen. Die ärztliche Qualifikation
hinke diesen Ansprüchen jedoch hinterher und sie würde in der reformierten Ärztlichen
Approbationsordnung wieder nicht berücksichtigt. Hannelore Loskill empfiehlt, Patienten
durch Fokusgruppen stärker an der Informationserstellung zu beteiligen.
Prof. Gigerenzer sieht dagegen den Gesetzgeber in der Pflicht, für ehrliche, vollständige
und verständliche Gesundheitsinformationen zu sorgen. Ein nationales Portal mit evidenzbasierten
Gesundheitsinformationen müsse entsprechend beworben werden. Jens Richter widerspricht:
„Gesundheitsinformationen können in den Suchmaschinen nicht einfach regulatorisch
hochgerankt werden. Das entspricht nicht der Funktionsweise des Google-Algorithmus.
Die mittlerweile unaufgeräumten Suchergebnisseiten von Google machen es den Internetnutzern
immer schwerer, die Suchergebnisse zu durchdringen und Werbung zu erkennen.“ Die Qualität
eines Gesundheitsportals sei daran zu bemessen, dass möglichst viele Suchanfragen
beantwortet werden können.
Dr. Jutta Schimmelpfennig,
Ingrid Mühlnikel
Verantwortlich für Mitteilungen der DGP:
Dr. med. Erika Mendoza