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DOI: 10.1055/a-1687-9674
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die gynäkologische und geburtshilfliche Leistungserbringung eines universitären Maximalversorgers in Deutschland
Article in several languages: English | deutsch- Abstract
- Einleitung
- Material und Methoden
- Resultate
- Diskussion
- Schlussfolgerung
- Hinweis
- References/Literatur
Abstract
Introduction The COVID-19 pandemic has been the cause of drastic measures within the national health system. This led us to analyze the clinical and economic performance indicators for gynecology and obstetrics services at the University Hospital of Marburg, which is one of the regional maximum care university hospitals. Therefore, we evaluated the impact of the pandemic on monthly inpatient and outpatient case numbers and the associated ICD and DRG codes, in order to identify any shortcomings in the care provided.
Methods and Materials The study is based on a retrospective analysis of data relating to inpatient and outpatient cases that received treatment from 2016 to 2020. We used QlikView, the hospital’s internal performance monitoring program, to evaluate the data from 9487 cases from the gynecology department and 19597 cases from the obstetrics department.
Results In line with the nationwide dynamics of the pandemic, we observed a 6% drop in the number of inpatient gynecology cases, while the volume of obstetrics cases rose by 11% in 2020. Overall, the impact on outpatient services was less severe. We also observed a location-specific drop in the number of C50 “malignant neoplasm of breast” cases by 7.4%, and a 14% drop in the number of C56 “malignant neoplasm of ovary” cases. A return to the level of service delivered in the previous year was achieved in three months for outpatient services, and in five months for inpatient services.
Conclusion The negative effects of the COVID-19 pandemic primarily affected the gynecology clinic. An increase in obstetrics cases was achieved due to public trust in the safety of the university hospital care, and the service offered of allowing prospective fathers to take part in the birthing process following a rapid test. The return to a pre-pandemic level of service continues to be sluggish, while the outpatient sector, which was less affected in the first place, is showing a more rapid recovery. The location-specific decrease in C50 and C56 diagnoses is concerning, and needs to be assessed from an epidemiological perspective. The impact of the pandemic on case numbers is also reflected in the financial performance indicators.
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Schlüsselwörter
COVID-19 - Pandemie - Versorgungsforschung - Maximalversorger - UniversitätsklinikumEinleitung
Seit dem Beginn der rapide voranschreitenden pandemischen Ausbreitung von COVID-19 im Frühjahr 2020 ist die Gesellschaft weltweit von signifikanten Einschränkungen geprägt. Eine Vielzahl an Maßnahmen wurde politisch durchgesetzt und schränkt das Arbeits- und Sozialleben in einem Gegenspiel aus wiederkehrenden Lockdowns und graduellen Lockerungsversuchen ein. Um die planerische Sicherheit zu garantieren und eine kritische Kapazitätsüberlastung im Gesundheitssystem zu verhindern, wurde starke politische Einflussnahme auf die medizinische Versorgungsstruktur und -organisation genommen, welche einen Regelbetrieb in den deutschen Krankenhäusern phasenweise nahezu unmöglich machte. Entsprechende Einschränkungen des elektiven Operationsprogramms, Prozessanpassungen mit notwendiger prähospitaler Triage oder quarantänebedingter Knappheit an medizinischen Fachpersonal brachten auch eingefahrene Strukturen in der gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgung des Universitätsklinikums Marburg ins Wanken.
Die COVID-19-Pandemie prägte die Bundesrepublik Deutschland in Form von 2 Infektionswellen im Jahr 2020, die mit unterschiedlichen Einschränkungen und Maßnahmen für die medizinische Leistungserbringung einhergingen. Nachdem am 27. Januar der 1. Fall einer Coronaerkrankung im bayerischen Landkreis Starnberg registriert wurde, richtete die Bundesregierung 1 Monat später einen ersten Krisenstab zur gemeinsamen länderübergreifenden Pandemiebekämpfung ein. Als am 10. März letztendlich erstmals alle Bundesländer von Coronafällen betroffen waren, wurden erste Schulen geschlossen und Einreiseverbote an den deutschen Grenzen durchgesetzt, worauf am 22. März erste Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen folgten, die bis zum 20. April aufrechterhalten wurden. Die Gesundheitspolitik reagierte mit der reflexartigen Einschränkung von elektiven Operationsprogrammen zur Freisetzung von möglicherweise benötigten Intensivkapazitäten, weshalb regulärer klinischer Betrieb nahezu vollkommen zum Erliegen kam und die medizinische Versorgung nunmehr auf die Notfallversorgung und unaufschiebbare chirurgische Eingriffe fokussiert wurde. Mit einer erneuten Beschleunigung der Pandemiedynamik zu einer 2. Infektionswelle und entsprechend steigenden COVID-19-Neuerkrankungen im September 2020 beschlossen Bund und Länder erneute Eindämmungsmaßnahmen für das soziale Leben, Gastronomie und Einzelhandel, während abermalige explizite Einschränkungen der Operationskapazitäten unterblieben. Diese Entwicklung mündete in einem erneuten „Lockdown light“ am 02. November 2020 und wurde kurz vor den Weihnachtsfeiertagen am 16. Dezember aufgrund der anhaltenden Pandemieausbreitung weiter verschärft.
Im Speziellen soll in dieser Arbeit dargestellt werden, wie die Auswirkungen der entsprechenden Maßnahmen der beiden Lockdowns im Jahr 2020 auf die Fallzahlen der gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilungen des Universitätsklinikums Marburg als alleiniger regionaler Maximalversorger ausfielen. Hierzu werden neben der Darstellung der chronologischen Entwicklung der Fallzahlvolumina die korrespondierenden Veränderungen in der ICD-Diagnose-Verschlüsselung und Leistungserfassung als DRG im Vorjahresvergleich dargestellt. Schließlich werden die konkreten Einflüsse für die Leistungssektoren der ambulanten und stationären Versorgung getrennt betrachtet, um abzubilden, innerhalb welches Zeitraums eine Rückkehr zum regulären Versorgungsniveau vollzogen werden konnte. Darüber hinaus wird ein Ausblick über den Einfluss der Pandemie auf zentrale ökonomische Leistungskennzahlen gegeben.
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Material und Methoden
Statistische Methoden
Die Analyse basiert auf einer retrospektiven Datenauswertung aller in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Marburg abgeschlossenen stationären und ambulanten Fälle in den Jahren 2016 bis einschließlich 2020 sowie entsprechender Gesamtwerte des Universitätsklinikums Marburg der Jahre 2019 und 2020. Die Auswertung basiert ausschließlich auf Methoden der deskriptiven Statistik. Zur Darstellung der chronologischen Entwicklung zentraler Leistungskennzahlen im genannten Betrachtungszeitraum wurden 4-, 3- und 2-Jahres-Durchschnitte für die präpandemischen Jahre 2016 bis 2019 gebildet und den äquivalenten Werten des Jahres 2020 gegenübergestellt, um relative und absolute statistische Vergleiche anzustellen. Im Fokus der Betrachtung stehen hierbei die monatlichen Fallzahlentwicklungen, die erfassten ICD-Hauptdiagnosen, die entsprechende Leistungserfassung in Form der fallbezogenen DRG und grundlegende ökonomische Kennwerte der Erlös- und Kostenrechnung, Verweildauern sowie des Casemix-Indexes.
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Patientenauswahl
Es wurden die fallbezogenen Behandlungs- und gesundheitsökonomischen Leistungsdaten von 9487 Fällen der Klinik für Gynäkologie und 19597 Fällen der Klinik für Geburtshilfe im genannten Betrachtungszeitraum von 2016 bis 2020 erfasst und ausgewertet. Zum Vergleich der ökonomischen Leistungskennzahlen wurden entsprechende Durchschnitte für die Gesamtheit der 86479 stationären Fälle des Universitätsklinikums Marburg der Jahre 2019 und 2020 gebildet. Ebenso wurden mithilfe der ICD-Nebendiagnose „U07.1 COVID-19, Virus nachgewiesen“ die gesamten 283 COVID-19-Fälle des Universitätsklinikums Marburg des Jahres 2020 erfasst und auf äquivalente Kennzahlen überprüft. Um die Compliance- und Ethik-Richtlinien des Universitätsklinikums Marburg nicht zu verletzen, wurden die Daten anonymisiert und keine patientenbezogenen Fallnummern verwendet.
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Datenanalyse
Die Daten für die vorliegende Analyse und den Vergleich der grundlegenden klinischen und gesundheitsökonomischen Leistungsparameter der gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgung und des Gesamtklinikums wurden retrospektiv für den Zeitraum 2016 bis 2020 aus dem klinikinternen Leistungscontrolling-Programm QlikView des Universitätsklinikums Marburg generiert, welches alle im Krankenhausinformationssystem kodierten medizinischen, pflegerischen und apparativen Leistungen erfasst. Die Software QlikView der Firma QlikTech (Radnor, Vereinigte Staaten von Amerika) bietet als klassische Datenanalysesoftware die Möglichkeit, die klinischen Behandlungsleistungen in Verbindung mit den entsprechenden gesundheitsökonomischen Kennzahlen sowohl in Form von Rohdaten als auch als interaktive Analysen abzubilden. Entsprechende Rohdaten und interaktive Analysen wurden mithilfe von QlikView generiert und anschließend basierend auf Methoden der deskriptiven Statistik mit Excel aufbereitet.
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Resultate
Folgend werden die Resultate der retrospektiven Datenanalyse dargelegt. Zunächst wird auf die relative Entwicklung der monatlichen stationären und ambulanten Fallzahlvolumina getrennt nach Gynäkologie und Geburtshilfe eingegangen. Im Anschluss sind die Top 25 der erfassten ICD-Hauptdiagnosen im Detail ausgewertet. Hierbei wird vor allem auf relative und absolute Unterschiede der Leistungskennzahlen zwischen dem Vorjahresvergleich der Jahre 2020 und 2019 zu den berechneten 4-Jahres-Durchschnitten von 2016 bis 2019 eingegangen. Ein zentraler Aspekt der vorliegenden Analyse ist, auf die Unterschiede zwischen der vorwiegend akutmedizinischen Ausrichtung der geburtshilflichen Versorgung der Klinik für Geburtshilfe und der vorrangig elektiven Orientierung der onkologischen Behandlung und gynäkologischen Tumorchirurgie der Klinik für Gynäkologie einzugehen. Anschließend werden die Erkenntnisse aus der retrospektiven Betrachtung des Leistungszeitraums der Jahre 2016 bis 2019 in den relativen Vergleich zu dem aktuellen und durch die Pandemie geprägten Jahr 2020 gesetzt. Hierdurch wird abgebildet, welche Auswirkungen die Dynamik der Pandemieentwicklung und die damit verbundenen Einschränkungen und Maßnahmen auf die chronologische Entwicklung der klinischen und gesundheitsökonomischen Leistungskennzahlen hatte. Abschließend werden die im Jahr 2020 in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Marburg therapierten COVID-19-Fälle vorgestellt und ein Ausblick auf die Entwicklung zentraler ökonomischer Kennzahlen der Gesamterlöse, -kosten, Verweildauern sowie des Casemix-Indexes gegeben.
Vorjahresvergleich der stationären Fallzahlvolumina
Geburtshilfe
Das Leistungsspektrum der Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin erstreckt sich von der pränatalen Diagnostik und Ultraschall über spezielle operative Eingriffe der Fetalchirurgie bis zur geburtshilflichen Überwachung, akutmedizinischen Versorgung im Kreißsaal und der anschließenden Betreuung auf der Wochenstation. Das chirurgische Spektrum umfasst neben dem Kaiserschnitt und der operativen Versorgung von Geburtsverletzungen ebenso fetalchirurgische Spezialeingriffe.
Im direkten Vorjahresvergleich zum Jahr 2019 lässt sich für das Pandemiejahr 2020 eine Zunahme an geburtshilflichen Fallzahlen festhalten. Die Monate Juni und Dezember, die einen relativen Rückgang der geburtshilflichen Fallzahlen um –4% und –5% im Vergleich zu den entsprechenden Leistungsdaten des Jahres 2019 verzeichneten, bilden die Ausnahmen, während über das Gesamtjahr eine monatliche Zunahme des Leistungsvolumens realisiert wurde. Hierbei liegt die relative Zunahme der Fallzahlen bei +11%. Die prozentual höchste relative monatliche Zunahme lässt sich für März 2020 festhalten und liegt bei +32%.
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Gynäkologie
Während die Klinik für Gynäkologie, gynäkologische Endokrinologie und Onkologie neben der gynäkologischen Grundlagenversorgung alle Facetten der reproduktionsmedizinischen Beratung und Therapie abdeckt, liegt der Fokus vor allem auf der gynäkologischen Tumorchirurgie. Hierbei deckt die chirurgische Expertise alle Bereiche der gynäkologischen Onkologie und Versorgung des Mamma-, Ovarial-, Endometrium-, Zervix- und Vulvakarzinoms ab.
Die Klinik für Gynäkologie verzeichnet eine relative Abnahme des Fallzahlvolumens im direkten Vorjahresvergleich. Die relativen monatlichen Vergleichsdaten weisen für die ersten 5 Monate des Jahres 2020 eine relative Abnahme des Leistungsvolumens von durchschnittlich –11% nach, mit dem Monat April 2020 als Negativmaximum im Vorjahresvergleich basierend auf einer relativen Abnahme des Leistungsvolumens um –23% für das Jahr 2020. Für die 3 Folgemonate Juni, Juli und August stellt sich eine vorübergehende relative Zunahme der Fallzahlen um durchschnittlich +11% im Vorjahresvergleich ein, bevor die Fallzahlen für die Herbst- und Wintermonate wiederum zurückgehen. Hierbei fällt der 2. Einbruch der relativen Vergleichsdaten mit einem mittleren Rückgang der monatlichen Fallzahlen um –11% prozentual vergleichbar hoch aus. Der Rückgang der relativen Fallzahlen setzt sich für den Betrachtungszeitraum durch und liegt für das Gesamtjahr bei –6%. Die Betrachtung der äquivalenten Leistungsindikatoren für den Untersuchungszeitraum von 2017 bis 2019 zeigt, dass die Klinik für Gynäkologie zuvor eine relative Zunahme der OP-Fallzahlen um +6,7% bzw. +8% für die Vergleichsjahre 2017 zu 2018 bzw. 2018 zu 2019 registrierte.
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Vorjahresvergleich der ambulanten Fallzahlvolumina
Aufgrund der unterschiedlichen Leistungserfassung liegen für die ambulante Versorgung durch die universitäre Hochschulambulanz zum jetzigen Zeitpunkt nur die Daten bis einschließlich September 2020 vor. [Abb. 1] zeigt, dass der Rückgang der Fallzahlvolumina niedriger ausfällt als für die stationären Fallzahlen. In der gynäkologischen Ambulanz liegt die relative Fallzahlabnahme für die Monate des 1. Lockdowns (Februar bis April 2020) bei –7% im Vergleich zu den stationären Volumina mit –14%. Der Höhepunkt der relativen Abnahme der ambulanten Fallzahlen liegt im März mit –9%, während maximale Rückgang der stationären monatlichen Fallzahlvolumina mit –23% für den April zu verzeichnen ist. Für die geburtshilfliche Hochschulambulanz lässt sich kein einziger Rückgang der monatlichen ambulanten Fallzahlvolumina festhalten. Somit nahmen die ambulanten geburtshilflichen Fallzahlen um +15% für 2020 im Vergleich zum Vorjahr zu.


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Veränderungen der ICD-Hauptdiagnosen
Neben der Betrachtung der Trends der Fallzahlentwicklung in der stationären und ambulanten Versorgung der Klinik für Frauenheilkunde ist die Erfassung und der Vergleich der häufigsten ICD-Hauptdiagnosen abgebildet, um neben dem reinen Volumeneffekt der Fallzahländerung den realen Einfluss auf die Nachfrage an krankheitsbezogener klinischer Behandlung und Therapie aufzudecken.
Geburtshilfe
Hierzu wurden die Daten von 19597 Fällen der Klinik für Geburtshilfe der vergangenen 5 Jahre verglichen. Die 25 häufigsten ICD-Hauptdiagnosen stehen anteilig für 81,51% aller Fälle bei 4558 im Leistungsjahr 2020 kodierten Hauptdiagnosen. Bezogen auf die Top 25 sind Geburten mit anteilig 56% aller Hauptdiagnosen die größten Leistungsgruppe, gefolgt von geburtshilflichen Komplikationen mit 20%, Geburtsverletzungen mit 9%, Geburtshindernissen mit 5% und sonstige Gestosen mit 1%. Die ICD-Diagnose Z38.0 „Einling, Geburt im Krankenhaus“ ist mit 36,68% aller Hauptdiagnosen die am häufigsten vergebene geburtshilfliche ICD-Kodierung und unterliegt einem Wachstum von +28% im Vergleich der 4 Vorjahre zum Jahr 2020 für das Universitätsklinikum Marburg. Auch im direkten Vorjahresvergleich zwischen den Jahren 2020 und 2019 zeigte sich eine Zunahme der ICD Z38.0 um +13%. [Abb. 2] stellt die Entwicklung der 5 häufigsten ICD-Hauptdiagnosen für die geburtshilfliche Versorgung im Universitätsklinikum Marburg im Detail dar und geht auf die entsprechenden Vorjahresvergleiche der Jahre 2020 zu 2019 und den 4-Jahres-Trends des Zeitraums 2016 bis 2019 ein.


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Gynäkologie
Äquivalent zur Datenauswertung für die Klinik für Geburtshilfe wurden die ICD-Hauptdiagnosen der vergangenen 5 Jahre für die gynäkologische Leistungserbringung ausgewertet. Insgesamt wurden die hierbei 9487 Fälle für den Betrachtungszeitraum erfasst und miteinander verglichen. Die 25 häufigsten ICD-Hauptdiagnosen nehmen im Jahr 2020 bei 1921 behandelten Patienten einen Anteil von 64% aller kodierten Hauptdiagnosen ein. Hierbei stehen bösartige Neubildungen der Mamma mit anteilig 34% mengenmäßig an der Spitze, gefolgt von gutartigen Neubildungen mit 25%, sonstigen Erkrankungen der Geschlechtsorgane mit anteilig 19% und bösartigen Neubildungen des Unterbauchs mit 14%. Die am häufigsten vergebene ICD-Hauptdiagnose C50 „Bösartige Neubildung der Brustdrüse“ mit 411 Fällen im Jahr 2020 zeigt im direkten Vorjahresvergleich zwischen 2020 und 2019 einen deutlichen Rückgang von –7,38%. Die betragsmäßig größte Diskrepanz zwischen dem 4-Jahres-Trend von +77% und dem direkten Vorjahrestrend von +8% stellt sich für die ICD T85.82 „Kapselfibrose der Mamma durch Mammaprothese oder -implantat“ dar. In [Abb. 2] ist die relative Zu- bzw. Abnahme der 5 häufigsten Kodierungen basierend auf der jeweiligen ICD-Hauptdiagnose für die entsprechenden Vergleichsperioden im Detail abgebildet.
Abschließend wurden die 25 häufigsten ICD-Kodierungen der Gynäkologie und Geburtshilfe basierend auf der ersten Stelle der ICD-Ziffer in ätiologische Übergruppen in [Abb. 3] zusammengefasst, um anteilige Verschiebungen im Fallspektrum ersichtlich zu machen.


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Veränderungen der DRG
Zusätzlich wurden für die erfassten Fälle die korrespondierenden DRG-Kodierungen analysiert. Diese geben über die Diagnosedefinierung durch ICD-Kodierung hinaus vor allem Einblick in die führende operative, interventionelle oder medikamentöse Therapie und die abschließende gesundheitsökonomische fallpauschalenbasierte Abrechnung der untersuchten Fälle.
Geburtshilfe
Die 25 häufigsten DRG-Kodierungen sind verantwortlich für 96,88% aller im Rahmen dieser Analyse registrierten Fälle. Hierbei beziehen sich im Jahr 2020 46% der 25 häufigsten DRG auf Neugeborene, 28% auf die vaginale Entbindung und 19% auf die Sectio caesarea. Im Vergleich zu dem Durchschnitt der betrachteten Vergleichsperiode von 2016 bis 2019 hat der relative Anteil der Neugeborenen und vaginalen Entbindung an den Top 25 DRG mit +3% bzw. +10% Wachstum zugenommen, während das relative Gewicht der Sectio um –10% abgenommen hat. Die DRG P67E „Neugeborener Einling, Aufnahmegewicht > 2499 g“ bildet mit anteilig 37,06% die am häufigsten kodierte Fallgruppe ab und unterliegt mit einer Zunahme von +67% im Zeitraum von 2016 bis 2019 und +12% von 2019 zu 2020 einem Wachstumstrend.
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Gynäkologie
Die 25 häufigsten DRG-Fallgruppen der Gynäkologie umfassen 79,44% aller kodierten DRG für die im Rahmen dieser Analyse registrierten Fälle. Hierbei beziehen sich 47% der 25 häufigsten DRG auf Eingriffe an der Mamma und 44% auf Eingriffe im Unterbauch. Im Vergleich zu der betrachteten Vergleichsperiode von 2016 bis 2019 hat das relative Gewicht der Unterbaucheingriffe an den Top 25 DRG zugenommen, während der relative Anteil der Eingriffe an der Mamma abgenommen hat. Dies spiegelt sich in der am häufigsten kodierten DRG wider. Während in 2016 bis 2019 J23Z „Große Eingriffe an der Mamma bei bösartiger Neubildung“ mit anteilig 6,5% noch das am häufigsten kodierte DRG darstellte, steht in 2020 N21A „Hysterektomie außer bei bösartiger Neubildung“ mit anteilig 7,13% an der Spitze.
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Behandelte COVID-19-Fälle
Basierend auf der ICD-Kodierung „U07.1 COVID-19, Virus nachgewiesen“ wurden im Pandemiejahr 2020 im Universitätsklinikum Marburg insgesamt 283 hospitalisierte COVID-19-Fälle behandelt. Bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von 245754 Einwohnern wurden im Landkreis Marburg-Biedenkopf 5181 COVID-19-Fälle im Jahr 2020 erfasst. Darüber hinaus wurden 78,8 % des hospitalisierten COVID-19-Fallvolumens auf einer internistisch geleiteten Station behandelt. In der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Marburg wurden im gesamten Jahr 2020 5 Patientinnen mit einer COVID-19-Infektion hospitalisiert. Hierbei fielen alle Fälle in die geburtshilfliche Versorgung. Grund hierfür war eine perinatale Infektion der Patientinnen mit COVID-19, während in der Klinik für Gynäkologie durch präoperative Triage basierend auf einer nasopharyngealen PCR- oder Antigen-Schnelltestung keine Patienten mit einer aktiven COVID-19-Erkrankung stationär aufgenommen wurden. Sofern es zu einer Infektion und anschließender Hospitalisierung bei primär gynäkologischen Patientinnen, beispielsweise postoperativ im Rahmen einer adjuvanten Radio- und Chemotherapie, kam, wären die Patientinnen auf einer internistisch geleiteten Station behandelt worden. Ein entsprechender Fall ist uns jedoch nicht bekannt.
In [Abb. 4] sind die relativen monatlichen Fallzahlentwicklungen der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Vorjahresvergleich zwischen 2020 und 2019 dargestellt sowie in den Kontext zur chronologischen Entwicklung der nationalen COVID-19-Infektionen gesetzt.


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Auswirkungen auf die ökonomischen Leistungskennzahlen
[Abb. 5] stellt die monatliche Entwicklung der relativen Veränderung der Gesamterlöse und Gesamtkosten für das Pandemiejahr 2020 im Vergleich zu 2019 dar. Hierbei sind anteilige Kosten und Erträge der Klinik für Gynäkologie am unternehmerischen Gesamtergebnis des Universitätsklinikums Marburg, d. h. das anteilige Finanz-, Betriebs- oder Investergebnis und Steuern, nicht in die Betrachtung mit einbezogen, um das reine operative Ergebnis der Gynäkologie als alleinstehende Fachrichtung abzubilden.


Insgesamt kam es im Pandemiejahr 2010 zu einer relativen Zunahme der Gesamterlöse und Gesamtkosten um +10,6% bzw. +7% im Vergleich zum Vorjahr 2019. Abschließend kann eine relative Zunahme des Nettoergebnisses der Klinik für Gynäkologie um 98% im Vorjahresvergleich festgehalten werden. Der gynäkologische Casemix-Index nahm um –2,3% ab, während er für das Gesamtklinikum um +3,4% stieg. Ebenso zeigt sich eine relative Abnahme in Höhe von 25% an Kurzliegern und eine relative Steigerung der Anzahl an Langliegern um 111%.
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Diskussion
Um die Bedeutung der Ergebnisse und die daraus gezogenen Rückschlüsse für den regionalen und überregionalen Versorgungsauftrags des Universitätsklinikums Marburg erfassen zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der regionalen gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgungslage essenziell. Als alleiniger gynäkologischer und geburtshilflicher stationärer Leistungserbringer im Landkreis Marburg-Biedenkopf mit ca. 250000 Einwohnern bildet das Universitätsklinikum Marburg in Kooperation mit über 80 niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sowie ca. 7 stationären Basisversorgern nicht nur ein eng verzahntes regionales Netzwerks, sondern ist ein kritischer Teil der ländlich geprägten gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgungsinfrastruktur auf einer Fläche von über 8660 km2 für ca. 850000 Einwohner der Landkreise Schwalm-Eder-Kreis, Vogelsberg, Waldeck-Frankenberg, Marburg-Biedenkopf und dem Lahn-Dill-Kreis in Nord- und Mittelhessen sowie einem Großteil der ca. 500000 Einwohner der nordrhein-westfälischen Landkreise Siegen-Wittgenstein und Hochsauerlandkreis. Die nächstgelegenen Maximalversorger lassen sich im Norden und Süden mit dem Klinikum Kassel und Universitätsklinikum Gießen in 75 und 35 km Entfernung finden, während in östlicher und westlicher Orientierung mit dem Klinikum Schwalmstadt und Dillenburg als stationäre periphere Basisversorger in jeweils ca. 50 km Entfernung kein umfassendes Leistungsspektrum gewährleistet werden kann, weshalb das Universitätsklinikum Marburg nicht nur in der gynäkologischen onkologischen Diagnostik und Therapie, sondern ebenso in der geburtshilflichen Versorgung als zentrales regionales und überregionales Kompetenzzentrum fungiert. Hierbei bestehen enge Kooperationsstrukturen mit den peripheren Basisversorgern, ambulanten Kolleginnen und Kollegen sowie angrenzenden Maximalversorgern in Kassel und Gießen, um das vollständige gynäkologische Leistungsspektrum im Rahmen von onkologischen Regiozentren sowie geburtshilflichen und pränatalen Spezialdiagnostik und -therapie garantieren zu können. Auf nationalem Level erbringt das Universitätsklinikum Marburg vor allem im Hinblick auf die gynäkologische Onkologie mit Fokus auf die Unterbauchtumoren einen Versorgungsauftrag, welcher die beschriebenen regionalen und überregionalen Grenzen deutlich überragt.
Die erfassten Fallzahlentwicklungen der vorliegenden Untersuchung zeigen eindrucksvoll den Unterschied zwischen einer vorwiegend elektiv orientierten gynäkologischen Tumorchirurgie zur akutmedizinisch aufgestellten Geburtshilfe. Während die geburtshilfliche Leistungserbringung im Hinblick auf die chronologischen monatlichen Fallzahlenvolumina am Universitätsklinikum Marburg nahezu vollkommen unbeeinflusst bleibt und sogar ein deutliches Wachstum von +11% für das Gesamtjahr im stationären Vorjahresvergleich erzielt, folgt die gynäkologische Versorgung der nationalen chronologischen Dynamik der COVID-19-Pandemie und registriert einen Rückgang der stationären Fallzahlvolumina um −6%. Diese divergente Entwicklung der beiden Abteilungen wurzelt in den primären Maßnahmen der Klinikleitung, die im Verlauf durch einen gezielten Maßnahmenplan in enger Abstimmung mit den verschiedenen Fachdisziplinen verfeinert wurden.
COVID-19-Maßnahmen-Plan und Einfluss der Klinikleitung
Die initiale Reaktion der Geschäftsführung auf die pandemische Ausbreitung von COVID-19 lag in der Durchsetzung einer nahezu vollständigen Blockade des elektiven Operationsprogramms, um möglicherweise benötigte Personal- und Beatmungskapazitäten freizuhalten, sowie der Forcierung kompletter Kontaktbeschränkungen für externe Besucher, um die nosokomiale Infektion von Patienten mit COVID-19 zu verhindern. Dazu kam ein abrupter Einbruch der Nutzung des ambulanten Leistungsangebots, welchen wir auf die initiale Befürchtung ambulanter Patienten, sich im klinischen Umfeld einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen, zurückführen, obwohl das ambulante Angebot vonseiten der Klinikleitung nicht explizit eingeschränkt wurde. Im chronologischen Verlauf der Pandemie erfolgte eine zunehmende Verfeinerung des Maßnahmen- und Hygieneplans in Abstimmung mit den verschiedenen medizinischen Fachbereichen, wobei gerade im onkologischen und geburtshilflichen Versorgungsauftrag der Frauenheilkunde ein autarker und situationsadaptierter Führungsstil seitens der Klinikleitung garantiert wurde.
Triage-System etablieren und verfeinern
Für das gesamte Universitätsklinikum erfolgte ein ausgeprägtes Triage-System, welches sich international bereits als eine der Schlüsselmaßnahmen erwiesen hat, um als Gesundheitsdienstleister die volatile Dynamik der Pandemie erfolgreich zu meistern. Zunächst wurde die prähospitale Testung der Patienten mithilfe einer PCR-Testung etabliert, welche im Verlauf auf die kostengünstigere Antigen-Schnelltestung umgestellt wurde. Notfallmäßig hospitalisierte Patienten durchliefen im Notfallbereich einen identischen Prozess und wurden erst nach negativer Testung entisoliert und stationär aufgenommen. Zum aktuellen Zeitpunkt darf weder ein Patient noch ein Besucher ohne aktuellen negativen Antigen-Test oder einer nachgewiesenen doppelten Impfung das Universitätsklinikum betreten.
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Durchsetzung strukturierter Hygienemaßnahmen
Das klinikinterne Hygienekonzept lässt sich aufgrund der kontinuierlichen Verfeinerung im Rahmen des chronologischen Pandemieverlaufs nur in seinen Grundzügen beschreiben. Wie bereits aufgeführt stellt die prähospitale PCR-Testung, welche im Verlauf um die nasopharyngeale Schnelltestung erweitert wurde, den Schlüssel dar. Somit ließen sich nichtnotwendige Klinikaufenthalte von COVID-19-Infizierten, zum Beispiel ein ambulanter Routine-Nachsorgetermin, verhindern und Patienten mit notwendigen Klinikaufenthalte direkt in einen COVID-19-Arbeitsstrom lenken. Dies bedeutete in diesem Zusammenhang ebenso, dass COVID-19-infizierte Schwangere nach Entbindung im Kreißsaal auf einer der COVID-19-Stationen geführt wurden und wie im Rahmen einer Streubelegung extern durch das Team der Gynäkologie und Geburtshilfe betreut wurden. Regelmäßige Wiederholungstestungen im Rahmen des stationären Aufenthalts oder bei Verdachtsfällen schafften darüber hinaus höhere Sicherheit. Für das gesamte Klinikum wurden explizite Besuchsverbote durchgesetzt. In Absprache mit der Klinikleitung wurden hierbei flexible Ausnahmen für onkologische, palliative, intensivmedizinische und geburtshilfliche Patienten geschaffen, die sich entsprechend der aktuellen Inzidenzlage in ihrer Intensität unterschieden und dezentral durch die jeweiligen Fachabteilungen durchgesetzt wurden. Für die Gynäkologie bedeutete dies, dass der Besuch von onkologischen Patienten durch einen Lebenspartner oder Verwandte ersten Grades nach Ermessen der ärztlichen Stationsleitung genehmigt war. In der Klinik für Geburtshilfe war die Begleitung der Geburt durch den Partner nach Negativtestung für den kompletten Geburtsprozess genehmigt. Ebenso gab es regelmäßige Besuchsmöglichkeiten für Partner auf der pränatalen Überwachungsstation. Bei Verlassen des Klinikgeländes mussten die Personen mit einer erneuten Testung rechnen. Insgesamt spiegeln diese Regelungen ein hohes Vertrauen der Klinikleitung in die Hygienebemühungen der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe wider und wurden darüber hinaus kritisch diskutiert. In unserer Auffassung ist eine emotionale Begleitung engster Angehöriger im Rahmen von onkologischen und geburtshilflichen Aufenthalten unerlässlich. Ein komplettes Verbot der Besuchsrechte in diesem Rahmen war für die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Marburg zu keinem Zeitpunkt denkbar. Dass sich hierdurch kein erhöhtes Risiko für die Infektionsverbreitung ergeben hat, zeigt die niedrige Anzahl an COVID-19-Fällen für beide Kliniken. Sofern es zu COVID-19-Erkrankungen von Klinikpersonal kam, fand der primäre Infektionskontakt in jedem Fall im privaten Umfeld statt.
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Getrennter COVID-19-Arbeitsstrom von der regulären Leistungserbringung
Ausgehend von einer erfolgreichen Triage wurden von Beginn an intensive Bemühungen verfolgt, den COVID-19-Arbeitsstrom vollständig von der regulären Leistungserbringung zu trennen, indem ein isolierter Prozess in der Notaufnahme geschaffen wurde, welcher in einer interdisziplinär geführten COVID-19-Einheit mündete. Es hat sich gezeigt, dass die reguläre Leistungserbringung auch in Zeiten einer Pandemie aufrechterhalten werden kann und muss, um die Behandlung anderer Krankheiten nicht zu gefährden und schlechtere medizinische Ergebnisse zu riskieren. COVID-19 kann sicher aus der regulären stationären und ambulanten Leistungserbringung herausgehalten werden, wie es für das Universitätsklinikum Marburg als regionales Krankenhaus der Maximalversorgung am Beispiel der Klinik für Gynäkologie gezeigt werden kann. Entsprechende Sprechstundenschließungen oder Umstrukturierungen zu Videosprechstunden waren dementsprechend am Standort in Marburg nicht notwendig, bereits initiiert oder etabliert, wie beispielsweise im Rahmen der teledermatologischen Videosprechstunden der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Universitätsklinikums Marburg. Durch suffiziente Triage und Trennung der COVID-19-Prozesse von der regulären gynäkologischen Versorgung konnte eine nosokomiale Infektion mit COVID-19 verhindert werden. Ebenso kam es nur zu vereinzelten quarantänebedingten oder krankheitsbedingten Personalausfällen. Eine konsequente Testung von Klinikpersonal durch die Abteilung der Klinikhygiene nach jedem nachgewiesenen Kontakt zu COVID-19-erkrankten Patienten ermöglichte es, den Ausfall von ganzen Abteilungen und Stationen zu verhindern.
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Etablierung einer fundierten Modellierung für die regionale Nutzung von Kapazitäten
Darüber hinaus eröffnete die Triage und Trennung COVID-19-freier Prozesse von der Pandemiebekämpfung eine informierte Modellierung zur Vorhersage der regionalen Kapazitätsauslastung auf der Basis epidemiologischer und versorgungsbezogener Parameter. Als Konsequenz entwickelte das Management ein wichtiges Werkzeug zur Vorhersage und proaktiven Anordnung von Kapazitäten für die Versorgung entsprechend der regionalen Pandemiedynamik. In Anbetracht der immer wiederkehrenden Infektionsspitzen, der Virusmutationen sowie des schleppenden Impffortschritts in Deutschland wird die Möglichkeit, die eigenen Kapazitäten proaktiv zu steuern, der Schlüssel sein, um die Wirtschaftlichkeit zu erhalten und gleichzeitig den Versorgungsauftrag als führender regionaler Gesundheitsdienstleister erfüllen zu können. So besteht am Universitätsklinikum Marburg zu jedem Zeitpunkt bei rapide ansteigenden Inzidenzen die Möglichkeit, wieder COVID-19-Abteilungen und Intensivstationen einzurichten und von dem übrigen Klinikbetrieb zu isolieren, wie es bereits während den ersten beiden Infektionswellen in 2020 der Fall war.
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Regionale Kommunikation und Zusammenarbeit der Leistungserbringer forcieren
Die Möglichkeit, eigene Kapazitäten engmaschig zu kontrollieren, eröffnet schließlich die Option, die regionale Leistungserbringung eigenständig zu steuern und sich nicht auf festgefahrene politische Maßnahmen verlassen zu müssen. Da die Pandemie zunächst das Vertrauen der Patienten in eine sichere hospitale Behandlung erschüttert hat und das Vertrauen in das nationale Krisenmanagement im Gesundheitswesen im Verlauf der Pandemie messbar abnimmt, ist es besonders wichtig, die Kommunikation auf regionaler Basis zu forcieren. Als führender regionaler Gesundheitsdienstleister ist es notwendig, die ergriffenen Maßnahmen und die damit verbundenen Leistungsindikatoren aktiv zu kommunizieren, damit in der Folge eine sichere Behandlung nicht nur für COVID-19, sondern für das gesamte Krankheitsspektrum gewährleistet werden kann. Gerade im Hinblick auf das ambulante Serviceangebot ist die intensivierte Kommunikation der Schlüssel, um das Vertrauen zu erhalten und die Nachfrage nach dem Leistungsangebot in den Klinikambulanzen zu erhalten.
Die Beschreibung des Maßnahmenkonzepts der Klinikleitung des Universitätsklinikums Marburg zeigt, dass die Kombination aus einem strukturierten Hygienekonzept und dem intensiven Austausch der Geschäftsführung und Fachabteilungen bei kontinuierlicher Verfeinerung und Verbesserung der Maßnahmen den Schlüssel zur innerbetrieblichen Infektionsvermeidung darstellt. Hierbei ist ein engmaschiger Austausch zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen, der Geschäftsführung und der Abteilung für Hygiene notwendig. Sofern der COVID-19-Arbeitsstrom von den Regelleistungen getrennt werden kann und die regionale Infektionslage es zulässt, kann der klinische Normalbetrieb ohne Einschränkungen gestaltet werden.
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Diskussion der geburtshilflichen Versorgung
Die positive Entwicklung der geburtshilflichen Fallzahlen muss kritisch vor dem Hintergrund der regionalen Versorgungslage im Jahr 2020 diskutiert werden. Grundsätzlich konnte das Fallzahlvolumen in der Klinik für Geburtshilfe des Universitätsklinikums Marburg in den Vorjahren durch die sukzessive Schließung peripherer geburtshilflicher Einrichtungen, wie der geburtshilflichen Abteilung der Kreiskliniken Biedenkopf und Wehrda, gesteigert werden. Hierdurch lässt sich die Zunahme der am Universitätsklinikum betreuten Geburten um +4,6% zwischen den Jahren 2017 und 2018 und sogar um +15,2% für 2018 und 2019 erklären. Seit 2019 herrscht jedoch eine stabile zentralisierte geburtshilfliche Versorgungslage vor. Somit befinden sich die nächstgelegenen Kreißsäle im Norden, Osten und Westen in den kleineren peripheren Einrichtungen des Kreiskrankenhaus Frankenberg (ca. 35 km), Asklepios Schwalm-Eder-Kliniken Klinikum Schwalmstadt (ca. 50 km) und der Lahn-Dill-Kliniken Dillenburg (ca. 50 km). Jedoch wird in keinem der genannten Kliniken eine durchgehende ärztliche Bereitschaft oder spezialisierte pränatale Diagnostik und Therapie vorgehalten, sodass die entsprechenden Einrichtungen bei Kompetenzüberschreitung auf das universitäre Leistungsangebot des Universitätsklinikums Marburg zurückgreifen. Der nächstgelegene geburtshilfliche Maximalversorger mit einer durchgehenden ärztlichen Betreuung lässt sich im Süden am Universitätsklinikum Gießen (ca. 35 km) finden. Eine Alternative zur natürlichen Entbindung im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist durch das Marburger Geburtshaus gegeben. Während dem Pandemiejahr 2020 kam es nach unserem Wissen zu keiner COVID-19-bedingten Schließung oder Leistungseinschränkung der genannten Einrichtungen, wodurch keine direkten externen Effekte auf das Nutzungsverhalten des geburtshilflichen Versorgungsangebots ersichtlich sind. Jedoch ließen sich deutliche Unterschiede für die angewandten Hygienekonzepte und Kontaktbeschränkungen feststellen. Somit wurde durch konsequente und engmaschige PCR- und Antigen-Schnelltestung eine Teilnahme des Partners am Geburtsverlauf am Universitätsklinikum Marburg durchgehend möglich, während die meisten regionalen Leistungserbringer die peripartale Anteilnahme durch Begleitpersonen massiv einschränkten. Dieses Angebot beschränkte sich im Universitätsklinikum Marburg auf den Partner der jeweiligen Patientin, weitere externe Angehörige waren zur Geburt nicht zugelassen. Darüber hinaus stellte diese Regelung eine absolute Ausnahme für den stationären Aufenthalt dar, während in allen übrigen Abteilungen, wie beispielsweise der intensivmedizinischen Versorgung, nur Ausnahmen im Rahmen der Sterbebegleitung getroffen wurden. Der Einfluss einer COVID-19-Infektion auf den prä-, peri- und postnatalen Verlauf von Schwangerschaften bleibt ein Jahr nach dem pandemischen Ausbruch des neuartigen einzelsträngigen RNA-Virus der Coronavirusfamilie weiterhin undurchsichtig, etwaige Effekte auf eine Zunahme an Schwangerschaftskomplikationen im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung werden diskutiert und bis dato existiert kein einheitliches wissenschaftlich fundiertes Therapieregime für infizierte Gravida [1] [2] [3] [4] [5]. Ursächlich für die Positiventwicklung der geburtshilflichen Abteilung sind dementsprechend aus unserer Sicht 2 Faktoren. Einerseits sorgte das hohe Vertrauen der Patientinnen in die sichere, COVID-19-freie Versorgung im Kreißsaal eines universitären Maximalversorgers für eine erhöhte Nachfrage nach dem geburtshilflichen Versorgungsangebots des Universitätsklinikums Marburg. Zum anderen entschieden sich viele Paare aufgrund des von den übrigen regionalen Leistungserbringern teilweise nicht angebotenen Service, dass der Partner nach nasopharyngealer COVID-19-PCR- oder Antigen-Schnelltest an der Geburt teilnehmen konnte, für die Entbindung in unserem universitären Kreißsaal.
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Diskussion der gynäkologischen Versorgung
Der Rückgang der relativen gynäkologischen Fallzahlvolumina um –6% steht den Wachstumstrends der beiden Vorjahre von +6,7 und +8% entgegen. Dies lässt sich aufgrund der vorliegenden Betrachtung wegweisend auf die massive Einschränkung des elektiven Operationsprogramms, welche sich national als primäre gesundheitspolitische Maßnahme und Reaktion auf eine akzelerierte Pandemiedynamik etablierte, zurückführen. Der Grundsatz, hierdurch sowohl potenzielle Beatmungskapazitäten freizusetzen als auch das Risiko einer intraoperativen Infektionsübertragung zwischen medizinischem Personal und Patienten zu minimieren, bestätigte sich für das Universitätsklinikum Marburg auf regionaler Ebene bisher nicht. Der Rückgang der gynäkologischen Fallzahlen bedeutet basierend auf unserer Auffassung nicht, dass gynäkologische Tumorchirurgie mit suffizientem Schutz der teils immunsupprimierten Patienten nicht möglich ist. Die Betrachtung der universitär behandelten COVID-19-Fälle beweist, dass es durch verlässliche prähospitale Triage mit hoher Sicherheit möglich ist, eine nosokomiale Infektion der Patienten mit COVID-19 zu verhindern. Mit der Zulassung der COVID-19-Antigen-Schnelltests und einer dadurch möglichen effizienten Umstrukturierung der präoperativen Triage im Sinne einer prähospitalen Testung von onkologischen Patienten hat sich mittlerweile die Meinung in der Literatur durchgesetzt, die Therapie der gynäkologischen Tumorerkrankungen entsprechend den allgemein gültigen Behandlungsempfehlungen beizubehalten, sofern hierdurch keine kritischen regionalen Infrastrukturen wie Personal oder Beatmungsgeräte gefährdet werden. Eine Vielzahl an internationalen Studien aus Italien, den USA, Korea, Kroatien oder China weisen darauf hin, dass eine sichere Behandlung im Rahmen der gynäkologischen Tumorchirurgie auch in Zeiten einer globalen Pandemie möglich ist, ohne hierbei eine erhöhte Gefährdung der nosokomialen Infektion oder COVID-19-assoziierte erhöhte Mortalität der Patienten zu provozieren [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15].
Im Hinblick auf den vorgenommenen Vergleich der monatlichen ambulanten und stationären relativen Fallzahlenentwicklung wird deutlich, dass die geburtshilfliche Leistungserbringung weitgehend unbeeinflusst von der COVID-19-Pandemie bleibt. Für die gynäkologische Leistungserbringung des Universitätsklinikums Marburg ist es als positiv zu bewerten, dass der negative Einfluss auf die ambulante Betreuung geringer ausfällt als für die stationäre medizinische Versorgung der Patienten. Darüber hinaus erholt sich die Negativdynamik der gynäkologischen Ambulanz deutlich schneller als im stationären Setting. Während bereits nach 3 Monaten im Mai eine Rückkehr zur ambulanten Regelversorgung erzielt wurde, erreichen die stationären Fallzahlvolumina erst nach 5 Monaten im Juli 2020 das Vorjahresniveau. In unserer Auffassung liegt dies daran, dass die initiale Reserviertheit der Patienten, das ambulante Angebot trotz der Pandemie zu nutzen, auf der Angst basierte, sich im Klinikum mit COVID-19 infizieren zu können. Durch entsprechende Kommunikation konnte dieses Vertrauen in eine sichere Behandlung in der universitären Hochschulambulanz schnell wieder hergestellt werden. Die lang anhaltende Negativdynamik im stationären Setting lässt sich vor allem durch Einschränkungen des elektiven OP-Programms, die bis in den Sommer hinein nur schleppend gelockert wurden, erklären.
Die größten Verlierer im Hinblick auf ihre Fallzahlentwicklung sind die „Kapselfibrose der Mamma durch Mammaprothese oder -implantat“ (T85.82) und der „Hypertrophie der Mamma“ (N62). Da diese ICD-Kodierungen für eine operative Reduktionsplastik oder Wiederaufbau mit Implantaten dienen, ist diese Entwicklung jedoch weniger überraschend und bildet vor allem die gezielte Fokussierung des elektiven Operationsprogramms und der verfügbaren Kapazitäten in Zeiten einer Pandemie auf die Therapie onkologischer Erkrankungen ab, welche eine zeitnahe Versorgung bedürfen. Übergreifend lässt sich bei Betrachtung der ICD-Diagnose-Verschlüsselung jedoch festhalten, dass sich bereits für das erste Pandemiejahr 2020 auf regionaler Ebene ein besorgniserregender Rückgang der Diagnosen C50 „Bösartige Veränderung der Brustdrüse“ und C56 „Bösartige Ovarialtumoren“ um –7,4% bzw. –14% verzeichnen lässt. Unserer Auffassung nach erscheint es logisch, dass die Häufigkeit onkologischer Erkrankungen durch eine weltweite Pandemie einer Infektionskrankheit nicht abnimmt, weshalb die Kombination aus einem Rückgang der gynäkologischen onkologischen Operationen und die Abnahme onkologischer Erstdiagnosen eine kritische Gefahr für die Versorgungsqualität und krankheitsassoziierte Mortalität mit sich bringt.
In Zentren des pandemischen Infektionsgeschehens wie New York City kam es zu kritischen Einschränkungen der Therapie gynäkologischer onkologischer Erkrankungen. Der Klinikverbund NewYork-Presbyterian verzeichnete für 39% aller Patienten gynäkologischer Tumorerkrankungen eine COVID-19 betreffende Behandlungsmodifikation. Mit anteilig 67% war die chirurgische Intervention am häufigsten davon betroffen, während sich die systemische und Radiotherapie in 22% bzw. 19% der Fälle veränderten [16]. Als Reaktion auf entsprechende Empfehlungen, die gynäkologischen Tumoroperationen zu verschieben und teilweise gänzlich durch Radiochemotherapie zu ersetzen, untersuchten Matsuo et al. in einer retrospektiven Untersuchung die Risiken einer entsprechenden Verfahrensänderung für die Therapie von Frühstadien des Zervixkarzinoms. Die Autoren konnten für IB–IIA-Stadien des squamösen, adeno- und adenosquamösen Zervixkarzinoms, die als Goldstandard durch eine laparoskopische oder offene abdominale Hysterektomie therapiert würden, ein signifikant erhöhtes Risiko der parametrialen Streuung des Tumors und einen moderaten Anstieg der Mortalität für die betroffenen Patientenkollektiv feststellen [17]. Wie sich entsprechende zeitliche Verzögerungen auf die gynäkologische Versorgung und potenzielle Verschiebungen von TNM-Stadien bei Erstdiagnose in Zukunft auswirken werden, wird sich erst in den kommenden Jahren durch epidemiologische Verfolgung und Aufarbeitung zeigen und bedarf sorgfältiger wissenschaftlicher Betrachtung.
Der abschließende Vergleich der anteiligen Fallspektren zeigt, dass es zu einer absoluten Abnahme der malignen Erkrankungen der Gynäkologie um 23,5 Fälle kam, wobei der Anteil der malignen Grunderkrankungen an den 25 häufigsten ICD-Kodierungen von 50 auf 47% sank. Darüber hinaus wurden ebenso im Hinblick auf gutartige Neubildungen anteilig 1% weniger bzw. 4,25 weniger Fälle als in den Vorjahren verzeichnet, während die Menge an verzeichneten ICD-Kodierungen von sonstigen Erkrankungen der Geschlechtsorgane fallmäßig um 36,75 zunahm und damit anteilig nun 19% statt 17% des Fallspektrums einnimmt. Basierend auf der Gesamtzahl an 1221 Fällen, welche die Summe der häufigsten 25 ICD-Kodierungen und insgesamt 63,56% der gesamten ICD-Ziffern im Jahr 2020 darstellen, lassen sich somit nur äußerst beschränkte Aussagen über etwaige Verschiebungen des Fallspektrums formulieren. Jedoch weisen die Ergebnisse darauf hin, dass es zu der Abnahme von therapierten tumorösen Erkrankungen im Leistungsspektrum des Universitätsklinikums Marburg kam, das Ausmaß für die malignen Erkrankungen höher ausfällt und im Gegenzug die anteilige Bedeutung von sonstigen Krankheiten der Geschlechtsorgane im Pandemiejahr stieg.
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Ausblick auf die ökonomische Entwicklung
Auf die Abbildung der Entwicklung der ökonomischen Kennzahlen der Klinik für Geburtshilfe des Universitätsklinikums wird aufgrund der positiven Fallzahlentwicklung verzichtet. Den fallbezogenen Leistungsdaten entsprechend zeigen sich ebenso die ökonomischen Kennzahlen weitestgehend unbeeinflusst von dem Pandemiegeschehen, sodass eine detaillierte Darstellung und Diskussion des wirtschaftlichen Gesamtergebnisses im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie keine diskussionswürdigen Erkenntnisse bietet.
Im Gegensatz dazu zeigt die chronologische Entwicklung der relativen Erträge der Klinik für Gynäkologie eine der Pandemie folgende Dynamik über das Leistungsjahr 2020, unterscheidet sich jedoch in der Intensität der Schwankungen von der reinen Fallzahlbetrachtung. Im Rahmen der 1. Welle des Infektionsgeschehens zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Erträge für die Monate März und April von im Mittel –10% im Vergleich zum Leistungsjahr 2019. Im Gegensatz zur relativen Veränderung der Fallzahlen zeigt sich im Mai jedoch bereits eine erneute und damit deutlich schnellere Erholung der Erträge als bei den durch die Einschränkungen stark verminderten operativen Fallvolumina. Hierfür fällt der Negativtrend der 2. Pandemiewelle im September mit einem Rückgang der Gesamterträge um –33% jedoch deutlich stärker aus, als es primär von den Fallzahlentwicklung zu erwarten wäre. Der negative Einfluss der 2. Welle des pandemischen Infektionsgeschehens bildet sich deutlicher in der Ertragsentwicklung ab als die entsprechende Auswirkung der 1. Welle. Dies stellt sich gegen die im Rahmen der Fallzahlbetrachtung beschriebenen deutlichen Auswirkungen der 1. Welle auf die operativen Fallvolumina. Der sprunghafte Anstieg der Gesamterträge im Dezember lässt sich durch die buchhalterische Verrechnung von Zusatzentgelten auf den letzten Jahresmonat erklären.
Die Betrachtung der Kostenentwicklung im relativen Vorjahresvergleich zeigt eine deutliche Kostenintensivierung. Hierbei stellen sich die Sommermonate als die kostenintensivsten Zeiträume heraus. Dies deckt sich mit der deutlichen Zunahme der chirurgischen Fallzahlen im Sommer 2020 als Kompensation der 1. Pandemiewelle, welche logischerweise auch erhöhte Kosten nach sich ziehen. Der Umstand, dass in den zuvor beschriebenen Monaten mit einer relativen Abnahme der Fallvolumina, zum Beispiel März, April, Mai oder September, Oktober und November, die Kosten weiterhin steigen, lässt sich durch die differenzierte Betrachtung der Entwicklung des monatlichen Material- und Personalaufwands erklären. Hier zeigt sich, dass die vorwiegend variablen Kosten des Materialaufwands der monatlichen Dynamik der Fallzahlvolumina folgen und zeitgleich mit den Infektionswellen deutlich einbrechen, während der Personalaufwand im Mittel um +16% für das Jahr 2020 zunahm. Dementsprechend entziehen sich die Fixkosten der Klinik für Gynäkologie, zu denen wir die Personalkosten zählen, der durch die Coronapandemie bedingten monatlichen Dynamik, weshalb für das Gesamtjahr 2020 eine Zunahme des Gesamtkosten der gynäkologischen Versorgung um +7% festgehalten werden kann.
Grundsätzlich sank die Anzahl der Kurzlieger (> untere Grenzweildauer und < mittlere Verweildauer) um –25% im Vergleich zum Vorjahr 2019, und im Gegenzug kam es zu einer Zunahme der Langlieger (> mittlere Verweildauer und < obere Grenzverweildauer) um +111% als Reaktion auf die Abnahme der absoluten Fallzahlen im Pandemiejahr 2020. Somit lässt sich als Reaktion auf den gesunkenen niedrigere Patientenumsatz eine reaktive Verlängerung der Liegedauer nachweisen, welche sich aufgrund von drohenden DRG-basierten Abschlägen bei Grenzverweildauerüberschreitung aus einer rein ökonomischen Perspektive nicht erklären lässt. Interessanterweise zeigt sich für die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe jedoch nur eine minimale Abnahme des durchschnittlichen fallbezogenen Casemix-Indexes (CMI) als Kennzahl der Gesamtkomplexität der behandelten Fälle um –2,3% für die Gynäkologie und einen unveränderten Wert für die Geburtshilfe ab, während sich die Fallkomplexität gemessen am CMI für das Universitätsklinikum Marburg verdichtete und um +3,4% zunahm. Dies lässt sich nach unserer Auffassung zum einen durch die fachbereichsübergreifende reaktive Fokussierung auf komplexe Krankheitsbilder und Vermeidung elektiver Hospitalisierungen im Rahmen der Pandemie zurückführen und zum anderen durch den hohen durchschnittlichen CMI von 2,3 für die 283 behandelten COVID-19-Fälle erklären, welche eine bei notwendiger Hospitalisierung vorwiegend multimorbide Patientenklientel darstellten mit einer durchschnittlich kodierten Anzahl von 16,5 Nebendiagnosen im Vergleich zu 2,9 für die gynäkologische Patientenklientel im Jahr 2020. Die Kombination aus einer deutlichen Zunahme der durchschnittlichen Verweildauer und einer geringen Abnahme der Gesamtkomplexität der behandelten Fälle zeigt, dass die Klinik für Gynäkologie mit einer konservativen Entlassungspolitik auf den niedrigeren Patientenumsatz im Pandemiejahr 2020 reagierte, ohne das eigene Leistungsspektrum aktiv zu verändern. Durch aktive Erlössteuerung und gewährte extrabudgetäre Zusatzentgelte konnte das operative Ergebnis gesteigert und trotz Kostenintensivierung und Fallzahlabnahme eine Positiventwicklung des Nettoerlöses realisiert werden.
Hierbei zeigt sich, dass sich die 2 Wellen an COVID-19-Erkrankungen und -Maßnahmen im ökonomischen Nettoergebnis abbilden. Die relative Zunahme des Nettoergebnisses der Klinik für Gynäkologie um +98% erscheint zunächst sehr deutlich, ist jedoch durch buchhalterische Maßnahmen und Veränderungen der Erlösstruktur wie beispielsweise der Versechsfachung der Zusatzentgelte zu erklären und spiegelt damit nicht das reale operative Ergebnis wider. Einen eindeutigen Indikator für die Auswirkung der Pandemie auf das gesamtwirtschaftliche Ergebnis bilden somit vor allem die Gesamtkostensteigerung um +7% im Vergleich zum Vorjahr und eine Abnahme der DRG-Erlöse um –3% ab. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass sich die fallzahlbezogenen Beobachtungen gesundheitsökonomisch abbilden und eine stabile Entwicklung der ökonomischen Leistung der Klinik für Geburtshilfe realisiert wurde, während die Klinik für Gynäkologie wiederum der Pandemiedynamik folgte und durch buchhalterisch zugerechnete Zusatzentgelte eine Steigerung des Nettoergebnisses erreicht werden konnte.
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Schlussfolgerung
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Bewertung, wie sich die Coronapandemie im Hinblick auf die stationären und ambulanten Fallzahlvolumina eines überregionalen universitären Maximalversorgers ausgewirkt hat, ob sich Effekte auf die Entwicklungstrends des klinischen Behandlungsspektrums und der strukturierteren ökonomischen Leistungserfassung in Form der ICD-Hauptdiagnosen und DRG-Kodierungen abbilden lassen und wie schnell eine Rückkehr zur präpandemischen Leistungsniveaus realisiert werden konnte. Hierdurch sollen etwaige Versorgungsdefizite aufgedeckt werden.
Die Analyse der Falldaten konnte zeigen, dass die geburtshilfliche Versorgung wie auch das Leistungsspektrum sowohl im ambulanten als auch stationären Sektor nahezu unbeeinflusst blieben und dem Wachstumstrend der vergangenen Jahre folgen. Dies liegt basierend auf unserer Einschätzung zum einen an dem Vertrauen der Patientinnen in eine sichere und qualitativ hochwertige universitäre Versorgung und zum anderen an dem Serviceangebot des Universitätsklinikums Marburg, die werdenden Väter nach nasopharyngealer PCR- oder Antigen-Schnelltestung trotz des pandemischen Infektionsgeschehens am kompletten Geburtsprozess teilzunehmen zu lassen.
Für die gynäkologische Leistungserbringung ließ sich hingegen eine deutliche, negative Beeinflussung der Fallzahlvolumina und der stationären Versorgung nachweisen. Die Effekte fallen für die auf elektiver onkologischer Chirurgie basierenden stationären Fallzahlen deutlicher aus als im ambulanten Setting.
Eine Rückkehr zu präpandemischen medizinischen und ökonomischen Leistungsniveaus der Klinik für Gynäkologie wurde in der ambulanten Versorgung bereits nach 3 Monaten realisiert, während die stationäre Leistungserbringung erst nach 5 Monaten zu den Vorjahreswerten zurückkehren konnte.
Das Leistungsspektrum beider Subbereiche basierend auf ICD- und DRG-Kodierung zeigt sich im Vorjahresvergleich zwischen 2020 und 2019 weitestgehend unbeeinflusst. Die standortbezogene relative Abnahme der Diagnosen C50 „Bösartige Neubildungen der Mamma“ und C56 „Bösartige Ovarialtumoren“ um –7,4% bzw. –14% sind jedoch deutlich und besorgniserregend, weshalb sie eine ausführliche epidemiologische Aufarbeitung und wissenschaftliche Nachverfolgung erfordern.
Die Auswirkungen der Pandemie lassen sich an der Entwicklung der ökonomischen Leistungskennzahlen nachvollziehen, unterscheiden sich jedoch in der Intensität von der fallbezogenen Betrachtung.
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Hinweis
Die Autoren sind allein für die in diesem Artikel geäußerten Ansichten verantwortlich und repräsentieren nicht notwendigerweise die Ansichten, Entscheidungen oder Richtlinien der Institutionen, mit denen mit denen sie verbunden sind.
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Conflict of Interest
The authors declare that they have no conflict of interest.
Danksagung
Wir danken Herrn Dipl.-Ök. Sascha Domröse aus der Controlling-Abteilung des Universitätsklinikums Marburg für die Unterstützung und Schulung zur Datenanalyse mithilfe des Leistungscontrollingprogramms QlikView.
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Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 18 May 2021
Accepted after revision: 04 November 2021
Article published online:
05 April 2022
© 2022. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
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