physioscience 2022; 18(01): 38-39
DOI: 10.1055/a-1697-4702
gelesen und kommentiert

Effektivität von Smartphone basierten Interventionen zur Steigerung körperlicher Aktivität bei Kindern und Jugendlichen – Eine systematische Literaturübersicht und Meta-Analyse

Effects of Smartphone-based Interventions on Physical Activity in Children and Adolescents – A Systematic Review and Meta-analysis
He Z, Wu H, Yu F. et al.
JMIR Mhealth Uhealth 2021;
9: e22601
DOI: 10.2196/22601.
 

Zusammenfassung

Hintergrund

Körperliche Aktivität (KA) im Kindes- und Jugendalter fördert nachweislich die motorische und psychische Entwicklung [1]. Sie stärkt kognitive Funktionen und verringert Gesundheitsrisiken, z. B. Übergewicht [1]. Um gesundheitliche Vorteile durch KA zu erzielen, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Kinder und Jugendliche täglich mindestens 60 Minuten bei moderater bis anstrengender Intensität körperlich aktiv sein sollten [2]. Statistische Erhebungen verzeichnen jedoch eine steigende Prävalenz an körperlicher Inaktivität bereits im jungen Alter, etwa 70 % der Kinder und Jugendlichen weltweit erreichen das von der WHO empfohlene Aktivitätsziel nicht [3]. Daher ist es von größter Bedeutung, die KA in dieser Population effektiv und nachhaltig zu fördern.


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Forschende führten bereits verschiedene Interventionsstudien zur Steigerung der KA durch. Diese Studien sind jedoch häufig mit hohen Kosten, geringer Stichprobengröße und mangelnder Nachhaltigkeit verbunden. Dennoch stellt sich die Frage, wie innovative und kosteneffiziente Interventionsstrategien aussehen könnten, um das Aktivitätsniveau von Kindern und Jugendlichen wirksam und nachhaltig zu steigern. Die Digitalisierung und der Einsatz von digitalen Technologien sind längst in den Bereichen Medizin und Prävention angekommen (E-Health). Smartphone-Technologien wie mobile APPs und Textnachrichten per SMS sind Möglichkeiten, große Bevölkerungsgruppen kosteneffizient zu erreichen. Die Wirksamkeit zur Steigerung von KA bei Erwachsenen mithilfe von APPs und SMS konnte bereits gezeigt werden [4]. Das Ziel der Meta-Analyse von He et al. war es, die Wirksamkeit dieser Interventionen für Kinder und Jugendliche zu evaluieren.

Methode

Für die systematische Literaturübersicht und Meta-Analyse wurden 5 elektronische Datenbanken (PubMed, Web of Science, OVID, Scopus, China National Knowledge Infrastructure) nach Studien durchsucht, die bis einschließlich Juni 2020 publiziert worden waren und die Wirkung von Smartphone basierten Interventionen auf die KA von Kindern und Jugendlichen untersuchten. Die Autor*innen berücksichtigten bei der Erstellung der Meta-Analyse die PRISMA-Richtlinien und legten die Einschlusskriterien für potenzielle Studien nach den PICOS-Kriterien fest:

  1. Participants: Kinder und Jugendliche im Alter von 6–18 Jahren

  2. Intervention: Smartphone basierte Intervention in Form einer APP oder Textnachrichten per SMS zur Steigerung körperlicher Aktivität

  3. Control group: Kontrollgruppe ohne Smartphone basierte Intervention

  4. Outcome: Körperliche Aktivität bemessen an täglicher Schrittanzahl oder Aktivitätsminuten

  5. Study design: randomisierte kontrollierte Interventionsstudien

Das Bias-Risiko wurde mithilfe des Cochrane-Collaboration-Tools ermittelt. Für die Meta-Analyse wurde mittels Random-Effekt-Model ein gepoolter Effekt der Intervention auf die KA berechnet. Dabei wurde das Aktivitätsniveau der Baseline-Erhebung mit dem Aktivitätsverhalten nach der Intervention verglichen. Zusätzlich wurden Subgruppenanalysen durchgeführt, um potenzielle Effekte verschiedener Einflussfaktoren, z. B. Interventionsdauer auf den Interventionseffekt, zu analysieren.


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Ergebnisse

Das Forschungsteam konnte 9 Studien mit insgesamt 558 Teilnehmenden mit einem durchschnittlichen Alter von 13,2 Jahren in die Untersuchung einschließen. 4 Studien führten eine Intervention mit mobilen APPs durch, 3 Studien mit Textnachrichten per SMS und 2 Studien mit beiden Interventionen. Die Interventionsdauer betrug 2 Wochen bis 6 Monate. KA wurde in 6 Studien objektiv mittels Akzelerometer gemessen und in 3 Studien subjektiv anhand von Fragebögen erfasst. Das Bias-Risiko der eingeschlossenen Studien bewerteten die Forschenden als gering.

Die Smartphone basierte Intervention führte zu einer signifikanten Steigerung der KA von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur Kontrollgruppe (p = 0,009). Dieses Ergebnis wurde insbesondere für die allgemeine KA (p = 0,004) und tägliche Schrittanzahl (p = 0,008) festgestellt, nicht jedoch für KA bei moderater bis intensiver Intensität (p = 0,19). Die Ergebnisse der Subgruppenanalysen zeigten, dass APP-Interventionen (p = 0,005) effektiver waren als SMS-Interventionen, Kinder ihre Aktivität mehr steigerten als Jugendliche (p = 0,02) und kürzere Intervention mit ≤ 8 Wochen einen größeren Einfluss auf die körperliche Aktivität hatten (p = 0,005) als längere Interventionen.


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Diskussion

Vor allem kurzzeitige Interventionen (≤ 8 Wochen) zeigten einen steigernden Effekt auf die KA. Dieser positive Effekt liegt vermutlich an der Neuheit der Intervention. Eine langfristige Verhaltensänderung hin zu einem nachhaltig körperlich aktiven Lebensstil muss in weiteren Studien evaluiert werden. Bei der Nutzung einer APP oder SMS im Sinne digitaler Medizin werden Kinder meistens von ihren Eltern betreut, was weitere Determinanten einer Verhaltensänderung ansprechen kann. Je mehr Determinanten angesprochen werden, desto wahrscheinlicher ist das Erreichen einer Verhaltensänderung, wodurch die Effekte im Kindesalter zusätzlich verstärkt werden können. Obwohl eine Steigerung der Aktivitätsminuten bei moderater bis anstrengender Intensität durch die Interventionen nicht gezeigt werden konnte, konnte der gesundheitsförderliche Aspekt bei geringer Intensität von KA belegt werden.


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Schlussfolgerung

Die Ergebnisse der Meta-Analyse belegen, dass Smartphone basierte Intervention eine vielversprechende Strategie zur Steigerung der allgemeinen KA sowie der täglichen Schrittanzahl bei Kindern und Jugendlichen darstellt.


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Kommentar

Die Meta-Analyse befasst sich mit der hoch relevanten und aktuellen Thematik, wie durch den Einsatz von innovativen technologischen Interventionen KA im Kindes- und Jugendalter gefördert werden kann. Da Bewegungsgewohnheiten bereits im Kindesalter angelegt und bis ins Erwachsenenalter manifestiert werden, ist die Förderung in der Kindheit besonders wichtig [5].

Meta-Analysen gehören zum Evidenzlevel Ia und damit zur höchsten Evidenzstufe [6]. Zusätzlich wurden während der Analyse ein Bias-Risiko-Assessment durchgeführt und die PRISMA-Guidelines befolgt, weshalb die Ergebnisse von He et al. als methodisch hochwertig eingestuft werden können. Um die Studienqualität der einzelnen Studien sicherzustellen, wäre es jedoch sinnvoll gewesen, wenn die Autor*innen zusätzlich die Studienqualität anhand eines Critical-Appraisal-Tools bewertet hätten.

Verhaltensänderungen hin zu einem gesundheitsbewussten und aktiven Lebensstil stellen einen fundamentalen Teil der Prävention dar und sind in der Physiotherapie von enormer Bedeutung. Die Umsetzung gesundheitsbezogener Verhaltensänderung ist jedoch häufig eine große Herausforderung, vor allem eine nachhaltige Verhaltensänderung ist oft nur schwer zu erreichen. Die wissenschaftliche Evaluation von Interventionen zur Verhaltensänderung ist häufig aufgrund von fehlender Verblindung und vorliegender Bias erschwert [7]. Zusätzlich werden durch Interventionen zur Verhaltensänderung häufig verschiedene Lebensbereiche angesprochen, wodurch Effekte nicht mehr ausschließlich auf eine Ursache zurückzuführen sind [8]. He et al. haben daher neben dem Bias-Risiko-Assessment nur Studien eingeschlossen, die ausschließlich auf KA abzielen.

E-Health-Anwendungen bringen auch im Bereich Prävention enorme Vorteile, vor allem wegen ihrer Erreichbarkeit unabhängig von Ort und Zeit, weshalb ihr Einsatz während der Covid-19-Pandemie stark gestiegen ist [9]. Obwohl die Bildschirmzeit von Kindern und Jugendlichen prinzipiell verringert werden sollte, kann das Device durch die beschriebenen Interventionen für eine gesundheitsförderliche Veränderung genutzt werden [10]. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, den sogenannten Digital Natives, sollten diese Möglichkeiten sowohl präventiv als auch therapeutisch Anwendung finden.


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  • Literatur

  • 1 Li L, Zhang J, Cao M. et al The effects of chronic physical activity interventions on executive functions in children aged 3–7 years: a meta-analysis. J Science Med Sport 2020; 23: 949-954
  • 2 World Health Organization, Hrsg. WHO Guidelines on physical activity and sedentary behaviour 2020. Im Internet (Stand 12.11.2021): www.who.int/publications/i/item/9789240015128
  • 3 Tremblay MS, Gray CE, Akinroye K. et al. Physical activity of children: a global matrix of grades comparing 15 countries. J Phys Act Health 2014; 11: 113-125
  • 4 Gal R, May AM, van Overmeeren EJ. et al. The effect of physical activity interventions comprising wearables and smartphone applications on physical activity: a systematic review and meta-analysis. Sports Med-open 2018; 4: 1-15
  • 5 Telama R, Yang X, Viikari J. et al. Physical activity from childhood to adulthood: a 21-year tracking study. Am J Prevent Med 2005; 28: 267-273
  • 6 Z. ärztl. Fortbild. Qual.sich. (ZaeFQ), Hrsg. Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. 5. Systemische Evidenz-Recherche. ZaeFQ Urban & Fischer 2001; 95 Suppl. Im Internet (Stand: 30.11.2021): www.awmf.org/fileadmin/_migrated/content_uploads/llman-05_01.pdf
  • 7 Samdal GB, Eide GE, Barth T. et al. Effective behaviour change techniques for physical activity and healthy eating in overweight and obese adults; systematic review and meta-regression analyses. Int J Behav Nutri Phys Activity 2017; 14: 1-14
  • 8 Domin A, Spruijt-Metz D, Theisen D. et al. Smartphone-based interventions for physical activity promotion: Scoping review of the evidence over the last 10 years. JMIR mHealth and uHealth 2021; 9: e24308
  • 9 Tebeje TH, Klein J. Applications of e-Health to support person-centered health care at the time of COVID-19 Pandemic. Telemed e-Health 2021; 27: 150-158
  • 10 Chaput JP, Willumsen J, Bull F. et al. WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour for children and adolescents aged 5–17 years: summary of the evidence. Int J Behav Nutr Phys Act 2020; 17: 141

Korrespondenzadresse

Laura Willinger
Sommerstraße 31B
81543 München
Deutschland   

Publication History

Article published online:
25 January 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Li L, Zhang J, Cao M. et al The effects of chronic physical activity interventions on executive functions in children aged 3–7 years: a meta-analysis. J Science Med Sport 2020; 23: 949-954
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  • 5 Telama R, Yang X, Viikari J. et al. Physical activity from childhood to adulthood: a 21-year tracking study. Am J Prevent Med 2005; 28: 267-273
  • 6 Z. ärztl. Fortbild. Qual.sich. (ZaeFQ), Hrsg. Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. 5. Systemische Evidenz-Recherche. ZaeFQ Urban & Fischer 2001; 95 Suppl. Im Internet (Stand: 30.11.2021): www.awmf.org/fileadmin/_migrated/content_uploads/llman-05_01.pdf
  • 7 Samdal GB, Eide GE, Barth T. et al. Effective behaviour change techniques for physical activity and healthy eating in overweight and obese adults; systematic review and meta-regression analyses. Int J Behav Nutri Phys Activity 2017; 14: 1-14
  • 8 Domin A, Spruijt-Metz D, Theisen D. et al. Smartphone-based interventions for physical activity promotion: Scoping review of the evidence over the last 10 years. JMIR mHealth and uHealth 2021; 9: e24308
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  • 10 Chaput JP, Willumsen J, Bull F. et al. WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour for children and adolescents aged 5–17 years: summary of the evidence. Int J Behav Nutr Phys Act 2020; 17: 141