Die ärztliche Unterstützung von Suiziden ist seit Jahrtausenden ein bedeutsames medizinethisches
Thema, wie schon ein entsprechendes Verbot im Eid des Hippokrates belegt. Auch und
gerade in Psychiatrie und Psychotherapie sorgt das Thema seit Langem für intensive
Debatten [1]
[2]
[3]. Es mag widersprüchlich erscheinen, dass angesichts der Positionierung des BVerfG
die Deutsche Ärzteschaft beschlossen hat, das berufsrechtliche Verbot der Suizidassistenz
nun aufzugeben und gleichzeitig daran festzuhalten, dass es sich nicht um eine ärztliche
Aufgabe handelt [4]. Hierfür gibt es aber eine Reihe gewichtiger Gründe, die im Folgenden näher ausgeführt
werden.
Zunächst muss klargestellt werden, was tatsächlich und unbestritten ärztliche Aufgaben
beim Umgang mit Menschen sind, die sich mit suizidalen Gedanken tragen. Hierzu gehören
die Thematisierung von Sterbewünschen und von Alternativen dazu im ärztlichen Gespräch,
deren ursächlich-diagnostische Einordnung, die Linderung von Leid durch empathische
Zuwendung und wo immer möglich auch durch spezifische therapeutische Maßnahmen, sei
es z. B. die Gabe von Schmerzmitteln bei einem Tumorpatienten oder die psychotherapeutische
und pharmakologische Behandlung einer Depression. Auch die Einschätzung der Freiverantwortlichkeit
von Suizidwünschen gehört zum ärztlichen Tätigkeitsbereich. Die Beteiligung an einer
Selbsttötung gehört bislang nicht dazu. Und selbst wenn es gute Gründe geben mag,
nicht weiter an einem berufsrechtlichen Verbot der Suizidassistenz festzuhalten, spricht
sehr vieles dafür, die aktive Unterstützung einer suizidalen Handlung (in welcher
Form auch immer) auch weiterhin nicht als ärztliche Aufgabe zu definieren.
Eine zentrale Aufgabe von uns Ärzten ist es Leben zu erhalten [5]. Diese Aufgabe gründet in der Überzeugung, dass jedes einzelne Menschenleben gleichermaßen
wertvoll ist. Der Wert eines Menschenlebens steht aus ärztlicher Sicht bisher zumindest
niemals zur Disposition egal wie krank, eingeschränkt, leidend oder lebensüberdrüssig
ein Mensch auch immer sein mag. Aus dieser von Ärzten selbstgewählten Aufgabe erwächst
die berufsethische Pflicht Leben zu erhalten und alle ärztlichen Handlungen am Wohlergehen
des Patienten zu orientieren. Diese Pflichten finden ihre Grenzen nicht nur am Rande
des medizinisch Möglichen, sondern auch am selbstbestimmten Willen des Patienten,
wenn er eine Behandlung ablehnt. Deshalb dürfen und müssen Ärzte selbstbestimmte Sterbewünsche
und Suizidabsichten respektieren und akzeptieren.
Die Unterstützung von Patienten bei suizidalen Handlungen zur ärztlichen Aufgabe zu
machen, hätte aber eine Reihe problematischer Konsequenzen:
Zunächst setzt zwar die selbstbestimmte Ablehnung einer Behandlung ärztlichem Tun
nach heutiger weit überwiegender medizinethischer Einschätzung eine absolute Grenze.
Umgekehrt ist alleine der Wunsch des Patienten aber keine hinreichende Legitimation
ärztlichen Handelns. Über den Wunsch des Patienten hinaus ist der Arzt verpflichtet,
sich an den Prinzipien des Nichtschadens und des Wohltuns zu orientieren, die – obwohl
eng mit den Wünschen des Patienten verknüpft – nicht mit diesen identisch sind [6]. Deshalb ist Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe prinzipiell nur dann denkbar,
wenn man die Möglichkeit bejaht, dass in bestimmten Situationen der Tod dem Wohlergehen
des Betreffenden zuträglicher ist, als weiterzuleben. Der Suizid müsste also aus der
Wohlergehensperspektive gerechtfertigt erscheinen. Eine Abwägung dieser Art ist natürlich
grundsätzlich denkbar, aber sie ist gleichbedeutend mit einer negativen Bewertung
des individuellen Lebens, die dem ärztlichen Ethos fundamental widerspräche. Sollten
sich Ärzte prinzipiell dazu entschließen, eine solche Bewertung zu treffen, wäre nicht
einzusehen, warum neben dem assistierten Suizid nicht auch die Tötung auf Verlangen
als ärztliche Aufgabe akzeptabel wäre.
Gerade die häufigen und langwierigen, aber meist eben auch fluktuierenden Todeswünsche
von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die im Verlauf sowohl nicht-selbstbestimmt
als auch freiverantwortlich sein können, zeigen, wie problematisch es für Ärzte wäre,
die unbedingte Verpflichtung aufzugeben, jedes Leben gleichermaßen und uneingeschränkt
wertzuschätzen und stattdessen den Wert des Lebens immer wieder zu beurteilen.
Suizidassistenz könnte darüber hinaus nur lege artis als ärztliche Aufgabe durchgeführt werden, wenn entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten
obligatorisch in der medizinischen Aus- und Weiterbildung – beginnend im Studium –
vermittelt würden. Zu den Lerninhalten würde neben der systematischen Bewertung von
Leben(-squalität) auch die Technik und Durchführung assistierter Suizide gehören.
In der klinischen Praxis müssten qualitätssichernde Maßnahmen etabliert werden, einschließlich
der Erarbeitung von einschlägigen Leitlinien.
Ausdrücklich betont das BVerfG [7], dass niemand und damit auch kein Arzt verpflichtet werden kann, Unterstützung zu
einer Selbsttötung zu leisten. Die Suizidassistenz dennoch zu den „üblichen“ ärztlichen
Aufgaben zu rechnen, würde aber eine erhebliche Erwartungshaltung einzelner und der
Gesellschaft erzeugen. Damit würden Ärzte, die diese Aufgabe nicht wahrnehmen wollen,
unter erheblichen moralischen Rechtfertigungsdruck gesetzt werden.
Weiterhin ließe sich Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe nur schwerlich auf Patienten
beschränken, sondern würde konkludent auch von Menschen erwartet werden, die ihrem
Leben in einem nicht-medizinischen Kontext selbstbestimmt ein Ende setzen wollen.
Zusammenfassend würde Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe das Spektrum medizinischen
Handels in ethisch hochproblematischer Weise erweitern. Dies ist umso mehr deshalb
abzulehnen, als die Durchführung selbstbestimmter Suizide der ärztlichen Mitwirkung
nicht bedarf [8]. Im Fall der am weitesten verbreiteten Methode, der Einnahme von Pentobarbital,
kann die Zurverfügungstellung der Substanz ohne ärztliche Verordnung durch eine staatliche
Stelle erfolgen, wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches erst einmal sichergestellt
ist. Abschließend soll betont werden, dass die hier dargestellte Position – dass nämlich
Suizidassistenz keine ärztliche Aufgabe ist und auch nicht werden soll – Ärzte nicht
daran hindert, ihrem Gewissen folgend und jenseits ihres professionellen Handlungsauftrags
im Einzelfall einen freiverantwortlich suizidwilligen Menschen zu unterstützen.