Psychiatr Prax 2022; 49(02): 69-70
DOI: 10.1055/a-1727-7994
Debatte: Pro & Kontra

Assistierter Suizid – eine ärztliche Aufgabe? – Kontra

Assisted Suicide – A Duty for Physicians? – Contra
Thomas Pollmächer
1   Zentrums für psychische Gesundheit, Klinikum Ingolstadt
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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig erklärt und festgestellt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch die Freiheit umfasst, sich selbst das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Vorausgesetzt wird dabei, dass der Suizidentschluss freiverantwortlich gefasst wurde. Lebensalter, Lebenssituation, etwaige Erkrankungen und deren Stadium oder die Prognose spielen keine Rolle. Das Gericht hat zudem festgestellt, dass niemand dazu verpflichtet werden kann, Assistenz beim Suizid zu leisten. Aktuell wird intensiv darüber diskutiert, ob und ggf. in welcher Form der Gesetzgeber Regelungen zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben ergreifen soll. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob Suizidassistenz eine ärztliche Aufgabe ist. Der Deutsche Ärztetag hat dies im Mai 2021 verneint, allerdings zugleich das Verbot der ärztlichen Unterstützung von Suiziden aus der Musterberufsordnung gestrichen.


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Die ärztliche Unterstützung von Suiziden ist seit Jahrtausenden ein bedeutsames medizinethisches Thema, wie schon ein entsprechendes Verbot im Eid des Hippokrates belegt. Auch und gerade in Psychiatrie und Psychotherapie sorgt das Thema seit Langem für intensive Debatten [1] [2] [3]. Es mag widersprüchlich erscheinen, dass angesichts der Positionierung des BVerfG die Deutsche Ärzteschaft beschlossen hat, das berufsrechtliche Verbot der Suizidassistenz nun aufzugeben und gleichzeitig daran festzuhalten, dass es sich nicht um eine ärztliche Aufgabe handelt [4]. Hierfür gibt es aber eine Reihe gewichtiger Gründe, die im Folgenden näher ausgeführt werden.

Zunächst muss klargestellt werden, was tatsächlich und unbestritten ärztliche Aufgaben beim Umgang mit Menschen sind, die sich mit suizidalen Gedanken tragen. Hierzu gehören die Thematisierung von Sterbewünschen und von Alternativen dazu im ärztlichen Gespräch, deren ursächlich-diagnostische Einordnung, die Linderung von Leid durch empathische Zuwendung und wo immer möglich auch durch spezifische therapeutische Maßnahmen, sei es z. B. die Gabe von Schmerzmitteln bei einem Tumorpatienten oder die psychotherapeutische und pharmakologische Behandlung einer Depression. Auch die Einschätzung der Freiverantwortlichkeit von Suizidwünschen gehört zum ärztlichen Tätigkeitsbereich. Die Beteiligung an einer Selbsttötung gehört bislang nicht dazu. Und selbst wenn es gute Gründe geben mag, nicht weiter an einem berufsrechtlichen Verbot der Suizidassistenz festzuhalten, spricht sehr vieles dafür, die aktive Unterstützung einer suizidalen Handlung (in welcher Form auch immer) auch weiterhin nicht als ärztliche Aufgabe zu definieren.

Eine zentrale Aufgabe von uns Ärzten ist es Leben zu erhalten [5]. Diese Aufgabe gründet in der Überzeugung, dass jedes einzelne Menschenleben gleichermaßen wertvoll ist. Der Wert eines Menschenlebens steht aus ärztlicher Sicht bisher zumindest niemals zur Disposition egal wie krank, eingeschränkt, leidend oder lebensüberdrüssig ein Mensch auch immer sein mag. Aus dieser von Ärzten selbstgewählten Aufgabe erwächst die berufsethische Pflicht Leben zu erhalten und alle ärztlichen Handlungen am Wohlergehen des Patienten zu orientieren. Diese Pflichten finden ihre Grenzen nicht nur am Rande des medizinisch Möglichen, sondern auch am selbstbestimmten Willen des Patienten, wenn er eine Behandlung ablehnt. Deshalb dürfen und müssen Ärzte selbstbestimmte Sterbewünsche und Suizidabsichten respektieren und akzeptieren.

Die Unterstützung von Patienten bei suizidalen Handlungen zur ärztlichen Aufgabe zu machen, hätte aber eine Reihe problematischer Konsequenzen:

Zunächst setzt zwar die selbstbestimmte Ablehnung einer Behandlung ärztlichem Tun nach heutiger weit überwiegender medizinethischer Einschätzung eine absolute Grenze. Umgekehrt ist alleine der Wunsch des Patienten aber keine hinreichende Legitimation ärztlichen Handelns. Über den Wunsch des Patienten hinaus ist der Arzt verpflichtet, sich an den Prinzipien des Nichtschadens und des Wohltuns zu orientieren, die – obwohl eng mit den Wünschen des Patienten verknüpft – nicht mit diesen identisch sind [6]. Deshalb ist Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe prinzipiell nur dann denkbar, wenn man die Möglichkeit bejaht, dass in bestimmten Situationen der Tod dem Wohlergehen des Betreffenden zuträglicher ist, als weiterzuleben. Der Suizid müsste also aus der Wohlergehensperspektive gerechtfertigt erscheinen. Eine Abwägung dieser Art ist natürlich grundsätzlich denkbar, aber sie ist gleichbedeutend mit einer negativen Bewertung des individuellen Lebens, die dem ärztlichen Ethos fundamental widerspräche. Sollten sich Ärzte prinzipiell dazu entschließen, eine solche Bewertung zu treffen, wäre nicht einzusehen, warum neben dem assistierten Suizid nicht auch die Tötung auf Verlangen als ärztliche Aufgabe akzeptabel wäre.

Gerade die häufigen und langwierigen, aber meist eben auch fluktuierenden Todeswünsche von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die im Verlauf sowohl nicht-selbstbestimmt als auch freiverantwortlich sein können, zeigen, wie problematisch es für Ärzte wäre, die unbedingte Verpflichtung aufzugeben, jedes Leben gleichermaßen und uneingeschränkt wertzuschätzen und stattdessen den Wert des Lebens immer wieder zu beurteilen.

Suizidassistenz könnte darüber hinaus nur lege artis als ärztliche Aufgabe durchgeführt werden, wenn entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten obligatorisch in der medizinischen Aus- und Weiterbildung – beginnend im Studium – vermittelt würden. Zu den Lerninhalten würde neben der systematischen Bewertung von Leben(-squalität) auch die Technik und Durchführung assistierter Suizide gehören. In der klinischen Praxis müssten qualitätssichernde Maßnahmen etabliert werden, einschließlich der Erarbeitung von einschlägigen Leitlinien.

Ausdrücklich betont das BVerfG [7], dass niemand und damit auch kein Arzt verpflichtet werden kann, Unterstützung zu einer Selbsttötung zu leisten. Die Suizidassistenz dennoch zu den „üblichen“ ärztlichen Aufgaben zu rechnen, würde aber eine erhebliche Erwartungshaltung einzelner und der Gesellschaft erzeugen. Damit würden Ärzte, die diese Aufgabe nicht wahrnehmen wollen, unter erheblichen moralischen Rechtfertigungsdruck gesetzt werden.

Weiterhin ließe sich Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe nur schwerlich auf Patienten beschränken, sondern würde konkludent auch von Menschen erwartet werden, die ihrem Leben in einem nicht-medizinischen Kontext selbstbestimmt ein Ende setzen wollen.

Zusammenfassend würde Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe das Spektrum medizinischen Handels in ethisch hochproblematischer Weise erweitern. Dies ist umso mehr deshalb abzulehnen, als die Durchführung selbstbestimmter Suizide der ärztlichen Mitwirkung nicht bedarf [8]. Im Fall der am weitesten verbreiteten Methode, der Einnahme von Pentobarbital, kann die Zurverfügungstellung der Substanz ohne ärztliche Verordnung durch eine staatliche Stelle erfolgen, wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches erst einmal sichergestellt ist. Abschließend soll betont werden, dass die hier dargestellte Position – dass nämlich Suizidassistenz keine ärztliche Aufgabe ist und auch nicht werden soll – Ärzte nicht daran hindert, ihrem Gewissen folgend und jenseits ihres professionellen Handlungsauftrags im Einzelfall einen freiverantwortlich suizidwilligen Menschen zu unterstützen.


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Autorinnen/Autoren

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Thomas Pollmächer

Interessenkonflikt

Der Autor ist langjähriges Mitglied des Vorstandes und aktueller Präsident der DGPPN. Er äußert hier allerdings seine persönliche Meinung und spricht nicht im Namen der Fachgesellschaft.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer
Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit, Klinikum Ingolstadt
Krumenauerstraße 25
85049 Ingolstadt
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
04. März 2022

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