Aktuelle Kardiologie 2022; 11(03): 189-191
DOI: 10.1055/a-1732-5168
Editorial

Neue ESC-Leitlinie zu Herzschrittmachern

Bernd Nowak
,
Christian Perings

Liebe Leserinnen, lieber Leser,

im August 2021 wurde die neue Leitlinie der European Society of Cardiology zur Herzschrittmacher- und kardialen Resynchronisationstherapie publiziert. Sie löst die alte Leitlinie ab, welche bereits aus dem Jahr 2013 stammt. Wir freuen uns, Ihnen in diesem Heft einen aktuellen Überblick über die wichtigsten Themen geben zu können.

Die aktuelle Leitlinie bietet eine breitere klinische Orientierung für Diagnostik und Therapie. Die 2013 erstmals vorgenommene, etwas sperrige, strikte Unterteilung in persistierende und intermittierende Bradykardien wurde wieder verlassen. Neu hinzugekommen sind Empfehlungen zur Diagnostik bei Patientinnen und Patienten mit Bradykardien sowie Empfehlungen zur Implantation und dem perioperativen Management. Erfreulicherweise wird hier jetzt der venöse Zugang über die V. cephalica oder V. axillaris klar präferiert. Ebenso werden jetzt Themen wie die Nachsorge, sportliche Aktivitäten mit Aggregat und MRT-Untersuchungen nach Aggregatimplantation adressiert.

Die Indikationen zur CRT-Therapie wurden aktualisiert. Erstmalig werden jetzt die neueren Stimulationsformen der sondenlosen Schrittmacher und der Stimulation des spezifischen Reizleitungssystems mithilfe direkter His- oder Linksschenkelstimulation aufgenommen. Hier erfolgen teilweise noch eher zurückhaltende Empfehlungen. Neu und wichtig sind auch die Empfehlungen zur Schrittmachertherapie im Rahmen des Transkatheter-Aortenklappenersatzes (TAVI) und bei Erkrankungen der Trikuspidalklappe. So wird klargestellt, dass eine prophylaktische Schrittmacherimplantation vor TAVI nicht indiziert ist. Der wichtigen diagnostischen Bedeutung des implantierbaren Ereignisrekorders, die in den Leitlinien betont wird, steht die meist nicht gegebene Finanzierung durch die Kostenträger in Deutschland gegenüber.

In dieser Ausgabe werden wichtige Aspekte der neuen Leitlinie dargestellt und kommentiert. Frau Vogler befasst sich mit den neuen Empfehlungen sowohl zur standardisierten Diagnostik bei vermuteter oder dokumentierter Bradykardie als auch zur Implantation und zum perioperativen Management (S. 213).

Herr Wiegand kommentiert die weitgehend unveränderten Empfehlungen bei Sinusknotenerkrankung sowie das aktuelle Vorgehen bei Reflexsynkopen und unklaren Sturzereignissen und befasst sich ausführlich mit selteneren Schrittmacherindikationen (S. 219).

Das Thema AV-Blockierung und Schenkelblock wird von Herrn Israel diskutiert, der auch an der Erarbeitung der neuen Leitlinie beteiligt war (S. 227). So wird neu hervorgehoben, dass die Empfehlungen auch für Vorhofflimmern/-flattern mit AV-Block und für intermittierende und permanente bzw. symptomatische und asymptomatische infranodale AV-Blockierungen gleichermaßen gelten. Bei Synkopen im Kontext mit Schenkelblockierungen werden die Bedeutung der elektrophysiologischen Untersuchung und des prolongierten kontinuierlichen EKG-Monitorings unterstrichen. Bei AV-Block nach Myokardinfarkt und Herzoperation sollte 5 Tage auf die Erholung der AV-Leitung gewartet werden, wenn die Klinik des Patienten es erlaubt. Neuromuskuläre Erkrankungen erfordern aufgrund des erhöhten Risikos für eine rasche Progression eine Schrittmacherimplantation oft bereits bei gering ausgeprägten Überleitungsstörungen.

Das Thema Systemwahl aus den neuen ESC-Leitlinien wird von Herrn Lemke dargestellt (S. 236). Hier hat sich die Systematik teilweise verändert, wobei die eigentliche Systemwahl weitgehend unverändert bleibt. Bei den erweiterten Indikationen im Bereich der AV-Blockierungen und Reizleitungsstörungen entsteht dagegen durch die stärkere Berücksichtigung der kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) und der Neuaufnahme der His-Bündel-Stimulation (HBP) ein sehr viel komplexeres Bild der Therapiemöglichkeiten.

Die aktuellen Empfehlungen zur kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) werden von Herrn Butter kommentiert (S. 244). Die Bedeutung der CRT als primäre interventionelle Herzinsuffizienz-Therapie, insbesondere bei Sinusrhythmus, einer LVEF ≤ 35% und typischem Linksschenkelblock ≥ 150 ms, wird unterstrichen. Bei gleichzeitig bestehendem unkontrollierbarem Vorhofflimmern gewinnt die AV-Knoten-Ablation an Bedeutung. Für den nicht zu vernachlässigenden Anteil von Herzinsuffizienzpatienten ohne klare CRT-Indikation oder mit unzureichender CRT-Response kann eine multimodale Bildgebung zusätzliche Informationen liefern. Die Frage eines zusätzlichen Defibrillators bleibt auch nach der aktuellen Studienlage eine schwierige individuelle Entscheidung.

Der aktuelle Stand zum Thema „Leadless Pacing“ unter anderem mit der Option der AV-synchronen Stimulation wird von Frau Sultan dargestellt (S. 252). Die aktuellen Leitlinien haben hier für die Implantation eines kabellosen Schrittmachers eine Klasse-IIa-Empfehlung, Level B, lediglich für bestimmte Patientengruppen ausgesprochen.

Das neue Gebiet des „Conduction System Pacing“ wird von der aktuellen Leitlinie eher zurückhaltend bewertet. Herr Richter setzt sich hiermit kritisch auseinander, betont die Daten, die Sicherheit, Effektivität, und auch klinische Überlegenheit gegenüber einer RV- oder biventrikulären Stimulation gezeigt haben. Diese Stimulationsformen sollten jedoch primär in Zentren mit großer Erfahrung in der physiologischen Stimulation und hohen Fallzahlen zum Einsatz kommen (S. 257).

Der wichtige Punkt der Aggregatnachsorge und der MRT-Untersuchungen bei implantierten Aggregaten wird von Herrn Bosch behandelt (S. 262). Für die Nachsorge heben die Leitlinien insbesondere die Bedeutung der Telemetrie hervor. Eine telemetrische Überwachung sollte daher bei allen Patienten mit implantierten Aggregaten erwogen werden. Die Leitlinien beschreiben detailliert die Möglichkeiten und Einschränkungen von MRT-Untersuchungen bei Patienten mit Aggregaten. Unter Einhaltung entsprechender Sicherheitsstandards kann ein MRT auch ohne größeres Risiko bei Patienten mit nicht MRT-kompatiblen Systemen erfolgen.

Den Autorinnen und Autoren dieses Heftes ist es gelungen, Neues und Bewährtes der neuen Leitlinien zur Herzschrittmacher- und kardialen Resynchronisationstherapie umfassend darzustellen und damit den Leserinnen und Lesern einen aktuellen Überblick über dieses komplexe Thema zu ermöglich. Dafür unser ausdrücklicher Dank!

Bernd Nowak und Christian Perings



Publication History

Article published online:
09 June 2022

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