Kapitel 1: Einleitung und Methodik
Kapitel 1: Einleitung und Methodik
1.1. Hintergrund
Die Divertikulose und die Divertikelkrankheit gehören zu den häufigsten gastroenterolgischen
Erscheinungen und Krankheitsbildern. Jeder dritte bis zweite Deutsche muss damit rechnen
im Laufe seines Lebens Divertikel zu entwickeln. Außerdem sind zunehmend komplikative
Krankheitsverläufe zu beobachten. So konnte eine bedeutende Zunahme der Krankenhausaufenthalte
in Deutschland in den letzten Jahren beobachtet werden [1]. Die erste deutsche Leitlinie aus dem Jahr 2014 war bereits, alleine durch die immense
Menge der Betroffenen und der Vielfalt und Komplexität der damit einhergehenden diagnostischen
und therapeutischen Entscheidungen, vielbeachtet und wegweisend für das Management
der Divertikelkrankheit. Auch wenn die erste Leitlinie bereits in hohem Maß evidenzbasiert
war, lag ein Schwerpunkt der aktuellen Leitlinie in der erweiterten Evidenzprüfung
und der Befolgung der formellen Richtlinien einer S3 Leitlinie.
Seit der Erstellung der ersten Leitlinie hat es eine erhebliche Mehranstrengung der
internationalen Forschergemeinde gegeben. Es sind mehrere Zulassungsstudien durchgeführt
worden. Des Weiteren gibt es etliche prospektive Studien zum Thema der Operationsindikationen
und Komplikationen. Dennoch bleibt die Leitlinie in sich stringent und stellt keinen
grundsätzlichen Bruch mit den bisherigen Empfehlungen dar. So bleibt die 2014 etablierte
Klassifikation bis auf ein Detail zur Größe des Mikroabszesses unangetastet, ebenso
bleiben die Empfehlungen in der Antibiotikatherapie bei der unkomplizierten Divertikulitis
zurückhaltend, verbessert allerdings durch neue Risikoindikatoren, bei denen eine
Antibiotikatherapie auch bei der unkomplizierten Divertikulitis zu wählen ist. Die
Prophylaxe der Divertikelkrankheit wird ausführlich behandelt mit konkreten Ernährungsempfehlungen
sowie Vorschlägen zur Modifikation des Lebensstils Betroffener, die sich aus großen
Kohortenstudien ableiten, aber auch aus Erkenntnissen zur Pathogenese der Erkrankung.
Des Weiteren finden sich klare Empfehlungen zur Abwägung von Operationsindikationen,
nun auch explizit unter Beachtung der Lebensqualität als relative Indikation für elektive
Eingriffe bei der chronisch rezidivierenden Divertikulitis. Ein weiterer Schwerpunkt
und Gegenstand intensiver Diskussionen ist die symptomatisch unkomplizierte Divertikelkrankheit
(SUDD), die durch Schmerzen mit Bezug zum divertikeltragenden Darmabschnitt gekennzeichnet
ist ohne bildmorphologischen oder laborchemischen Nachweis einer Divertikulitis.
Zusammenfassend war es von großer Bedeutung die Leitlinie auf das höchste Evidenzniveau
zu heben und das aktuelle Wissen zur Divertikelkrankheit/Divertikulitis interdisziplinär
zu erarbeiten und zu bewerten.
1.2. Ziele der Leitlinie und Gültigkeitsdauer
Ziel der Leitlinie ist eine Zusammenfassung und Bewertung des aktuellen Erkenntnisstands
zur Divertikelkrankheit, mit der Erarbeitung von Statements zur Diagnostik und Therapie
der Erkrankung. Die Empfehlungen der Leitlinie richten sich dabei an alle an der Diagnostik
und Therapie beteiligten Ärzte von Patienten mit einer Divertikelkrankheit, sowohl
im ambulanten als auch im stationären Bereich und soll eine einfache Anwendung ermöglichen.
Darüber hinaus soll sie dem Betroffenen die Möglichkeit geben sich über die Erkrankung
zu informieren. Der behandelnde Arzt kann im individuellen Einzelfall von den Empfehlungen
abweichen. Sie hat eine Gültigkeitsdauer von 5 Jahren.
1.3. Organisatorischer Ablauf des Konsensusprozesses
1.3.1. Zusammensetzung der Leitliniengruppe und Beteiligung der Fachgesellschaften
Die Leitlinie wurde federführend durch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie,
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft
für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) aktualisiert, die als Koordinierende Herrn
Univ. Prof. Christoph-Thomas Germer (DGAV), Würzburg, Herrn Prof. Wolfgang Kruis (DGVS),
Pulheim, und Prof. Ludger Leifeld (DGVS), Hildesheim, beauftragten. Methodisch verantwortlich
waren Frau PD Dr. Petra Lynen Jansen und Frau Pia Lorenz, DGVS Geschäftsstelle, Berlin.
Frau Dr. Susanne Blödt und Frau Dr. Monika Nothacker, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Berlin, standen zur methodischen Beratung
zur Seite. Die Literaturarbeit wurde bibliothekarisch unterstützt von Frau Elisabeth
Friedrich-Würstlein. Frau Dr. Nadine Steubesand führte die systematische Recherche
durch und betreute die Leitliniengruppe bei methodischen Fragestellungen. Herr Torsten
Karge stand für das Leitlinienportal zur Verfügung.
Das Leitlinienvorhaben wurde in der Zeitschrift für Gastroenterologie ausgeschrieben
und auf der Webseite der AWMF veröffentlicht, so dass weitere Fachgesellschaften/Vertreter*innen
sich zur Mitarbeit melden konnten. Die für das Fachgebiet relevanten Fachgesellschaften
und Patientengruppen wurden angeschrieben und um die Nennung von Mandatsträger*innen
gebeten.
Insgesamt wurden sieben Arbeitsgruppen (AGs) gebildet, die jeweils von ein bis drei
Leiter*innen geleitet wurden ([Tab. 1]). In den AGs haben universitäre und nichtuniversitäre Ärzt*innen, Klinikärzt*innen
und niedergelassene Ärzt*innen Gastroenterolog*innen, Internist*innen, Chirurg*innen,
Neurogastroenterolog*innen, Proktolog*innen, Patholog*innen, Radiolog*innen und Ernährungsmediziner*innen
mitgearbeitet.
Tab. 1
Mitglieder der Leitliniengruppe.
AG 1: Anatomie, Pathologie, Pathogenese, Risikofaktoren, Komorbidität, Medikation
|
AG-Leitung
|
W. Kruis, Pulheim (DGVS)
|
AG-Mitglieder
|
H. Allescher, Garmisch-Partenkirchen (DGNM)
J. Hampe, Dresden (DGVS)
J. Keller, Hamburg (DGVS)
J. Langhorst, Bamberg (DGNM)
J. Neumann, München (DGP/BDP)
B. Siegmund, Berlin (DGVS)
|
AG 2: Klinisches Erscheinungsbild (Definitionen), natürlicher Verlauf, Komplikationen,
Epidemiologie
|
AG-Leitung
|
F. Dumoulin, Bonn (DGVS)
T. Frieling, Krefeld (DGVS)
|
AG-Mitglieder
|
U. Helwig, Oldenburg (DGVS)
J. Hoffmann, Ludwigshafen (DGVS)
|
AG 3: Diagnostik und Stadieneinteilung
|
AG-Leitung
|
B. Lembcke, Frankfurt (DEGUM)
A. Schreyer, Brandenburg an der Havel (DRG)
|
AG-Mitglieder
|
J. Lauscher, Berlin (DGAV)
A. Meining, Würzburg (DGVS)
A. Schäfer, Leipzig (DRG)
W. Schwenk, Solingen (DGAV)
|
AG 4: Konservative Behandlung, Medikamente, Ernährung, Life-style
|
AG-Leitung
|
S. Böhm, Bülach (DGVS)
W. Kruis, Pulheim (DGVS)
L. Leifeld, Hildesheim (DGVS)
|
AG-Mitglieder
|
A. Madisch, Hannover (DGVS)
D. Rubin, Berlin (DGEM)
C. Sander, Berlin (DCCV)
M. Reinshagen, Braunschweig (DGVS)
|
AG 5: Indikationen zur chirurgischen Therapie
|
AG-Leitung
|
C. Germer, Würzburg (DGAV)
J. Labenz, Siegen (DGVS)
|
AG-Mitglieder
|
F. Hartmann, Frankfurt (DGVS)
J. Lock, Würzburg (DGAV)
J. Pelz, Hildesheim (DGAV)
C. Reißfelder, Mannheim (DGAV)
U. Tappe, Hamm (DGVS)
S. Willis, Ludwigshafen am Rhein (DGAV)
|
AG 6: Operationsverfahren
|
AG-Leitung
|
M. Kreis, Berlin (DGAV, DG Koloproktologie)
J. Ritz, Schwerin (DGAV)
|
AG-Mitglieder
|
F. Aigner, Berlin (DGAV)
C. Eckmann, Hann. Münden (DGAV)
T. Schiedeck, Ludwigsburg (DGAV)
W. Schwenk, Solingen (DGAV)
|
AG Qualitätsindikatoren
|
AG Leitung
|
L. Leifeld, Hildesheim (DGVS)
J. Ritz, Schwerin (DGAV)
|
|
AG Mitglieder
|
F. Aigner, Berlin (DGAV)
F. Dumoulin, Bonn (DGVS)
T. Frieling, Krefeld (DGVS)
U. Helwig (DGVS)
A. Madisch, Hannover (DGVS)
C. Reißfelder, Mannheim (DGAV)
U. Tappe, Hamm (DGVS)
|
Methodik
|
|
P. Lynen Jansen
P. Lorenz
N. Steubesand
T. Karge
E. Friedrich Würstlein
|
Koordinierende
|
|
C. Germer, Würzburg (DGAV)
W. Kruis, Pulheim (DGVS)
L. Leifeld, Hildesheim (DGVS)
|
Repräsentativität der Leitliniengruppe: Beteiligte Fachgesellschaften
-
Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM)
B. Lembcke (Frankfurt)
-
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM)
D. Rubin (Berlin)
-
Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie e. V. (DGK)
M. Kreis (Berlin)
-
Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)
H. Allescher (Garmisch-Partenkirchen), J. Langhorst (Bamberg)
-
Deutsche Gesellschaft für Pathologie e. V. (DGP)/Bundesverband Deutscher Pathologen
e. V. (BDP)
J. Neumann (München)
-
Deutsche Röntgengesellschaft e. V. (DRG)
A. Schäfer (Leipzig), A. Schreyer (Brandenburg an der Havel)
Repräsentativität der Leitliniengruppe: Beteiligung von Patient*innen
Direkte Mitarbeit von einer Vertreterin (C. Sander) der Deutschen Morbus Crohn/Colitis
ulcerosa Vereinigung (DCCV) e. V.
Beteiligte Fachgesellschaften konnten jeweils mindestens einen Fachvertreter*in benennen.
Außerdem ermöglichte die DGVS ihren Mitgliedern sich um die Beteiligung an der Leitlinie
zu bewerben. Es wurde ein ausgewogenes Verhältnis der einzelnen Fachvertreter*innen
hergestellt und sowohl Niedergelassene als auch Ärzt*innen von Kliniken aller Versorgungsstufen
beteiligt.
1.3.2. Literatursuche
Durchführung der Recherche
Die systematische Literaturrecherche wurde in der Medline Datenbank über die PubMed
Suchoberfläche https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/, sowie in der Cochrane Library https://www.cochranelibrary.com/ durchgeführt. Der Recherchezeitraum der PubMed Suche schließt an den der vorhergehenden
Version der Leitlinie an (siehe Publikation Version 2014) und umfasst somit den Bereich
vom 01.01.2012 bis 26.04.2019. Da in der Recherche 2013 die Cochrane Library nicht
mit gesucht wurde, wird in der aktuellen Recherche der Suchzeitraum für die Cochrane
Recherche auf 10 Jahre erweitert, und erstreckt sich somit auf den Zeitraum April
2009 bis 24.04.2019.
Bei der ersten S2k Leitlinie von 2014 wurden die Ergebnisse der PubMed Recherche in
einem ersten Screening Schritt gesichtet ohne eine formelle Bewertung der Literatur
vorzunehmen. Daher wird die damals gefundene Literatur und hinzugekommene Literatur
nach dem ersten Screening-Schritt vereinigt und gemeinsam weiterbearbeitet und bewertet.
Weitere Details der Literaturrecherche sind dem Leilinienreport zu entnehmen
Screening sowie Handsuche
Die Auswahl der Evidenz erfolgte durch ein mehrstufiges Screening. Im Titel-Abstract
Screening wurden die Suchtreffer durch Prof. L. Leifeld anhand der Ein- und Ausschlussgründe
auf potenzielle Relevanz gesichtet. Von den 1163 Suchtreffern wurden 493 als potenziell
relevant eingeordnet. Diese wurden mit den 489 Studien der PubMed Recherche 2013 vereinigt
und, nach Relevanz, den einzelnen AGs zugeordnet. Im zweiten Schritt des Screenings
wurden die Volltexte der ausgewählten Publikationen auf die Erfüllung der o. g. Ausschlussgründe
durch die einzelnen Arbeitsgruppen überprüft. Weitere Details zu dem Vorgehen sind
dem Leitlinienreport zu entnehmen.
Zu jedem Zeitpunkt der Recherche und bis zum abgeschlossenen Volltext Screening durch
die Expert*innen, konnten die recherchierten Sammlungen durch die AG-Mitglieder auf
Vollständigkeit geprüft und zusätzliche themenbezogene Studien nominiert werden.
Diese wurden direkt in die jeweilig zugehörigen Sammlungen eingefügt und der Evidenzbewertung
zugeführt.
1.3.3. Auswahl der Evidenz
Die Literaturarbeit wurde über das Leitlinienportal der CGS Clinical Guideline Services
GmbH (CGS) durchgeführt. Die in den Suchen identifizierten Literaturstellen wurden
nach dem Deduplizieren als Literatursammlung im Leitlinienportal (https://www.guideline-service.de)
hinterlegt.
Ein und Ausschlussgründe
Folgende Ein- und Ausschlussgründe wurden für die Recherche und Auswahl der Evidenz
festgelegt:
-
Deutsche und englische Veröffentlichungen
-
Probandenstudien (keine Tierversuche)
-
Publikation ist im Volltext verfügbar
-
Veröffentlichung ab April 2009 bis zum letzten Zeitpunkt der Recherchen (26.04.2019).
-
Case reports, Case series, in vitro Studien
Generelle Ausschlussgründe wurden ebenfalls zur Auswahl herangezogen:
-
Vorliegen einer Doppelpublikation
-
Verfügbarkeit einer aktuelleren Version (Folgepublikation, Update)
-
Primärstudie ist bereits in einer Übersichtsarbeit enthalten
-
Narrative Arbeiten ohne Beschreibung der Methodik
-
Nur Studiendesignbeschreibung oder -protokoll (aber keine Ergebnisse)
Bewertung der Evidenz
Die Literaturbewertung wurde nach der Evidenzklassifizierung des Oxford Centre for Evidence-Based Medicine 2011 für Interventions- diagnostische und prognostische Studien [2] durchgeführt. Die methodische Qualität der Literaturstelle wurde von den Fachexperten
der jeweiligen Arbeitsgruppen mit Hilfe von Checklisten überprüft. Es wurden die Checklisten
‘Critical Appraisal tools des Oxford Centre for Evidence-Based Medicine’ [3], bzw. die Newcastle-Ottawa Scale
[4] für nicht-randomisierte Studien (Cohort and Case-control) herangezogen.
Der Evidenzlevel der Studien wurde ggf. auf Grund der Studienqualität, mangelnder
Präzision, Indirektheit und/oder bedeutsamer Heterogenität um eine Note abgewertet.
Bei Studien mit großem Effekt wurde der Evidenzlevel der Studie von den Experten ggf.
um eine Stufe angehoben.
Nach der Bewertung der Literaturstellen wurden die Literaturstellen der jeweils passenden
Schlüsselfrage zugeordnet.
Die im Volltext Screening ausgewählten Literaturstellen und von den Arbeitsgruppen
zusätzlichen Literaturstellen aus Handsuchen wurden entsprechend dieser Systematik
bewertet. Aus allen eingeschlossenen Literaturstellen wurden im nächsten Schritt Daten
extrahiert und in Form von Evidenztabellen zusammengefasst [5]
[6]
[7].
Erstellung von Evidenztabellen
Aus allen eingeschlossenen Literaturstellen wurden nach der positiven Bewertung die
wichtigsten Daten extrahiert. Diese Daten sind in Form von Evidenztabellen geordnet
nach Studientyp im Leitlinienportal zusammengefasst. Details zu den Evidenztabellen
sind dem Leitlinienreport zu entnehmen.
1.3.4. Formulierung der Empfehlungen und strukturierte Konsensfindung
Auf Grundlage der Evidenz wurden die Empfehlungen und Hintergrundtexte durch die AG-Leiter*innen
erarbeitet und zunächst im E-Mail-Umlaufverfahren innerhalb der einzelnen AGs abgestimmt.
Die Graduierung der Empfehlungen erfolgte über die Formulierung soll, sollte, kann
(s. [Tab. 2]).
Tab. 2
Schema zur Graduierung von Empfehlungen.
Empfehlungsgrad (nur S3)[1]
|
Beschreibung
|
Syntax
|
A
|
starke Empfehlung
|
soll
|
B
|
Empfehlung
|
sollte
|
0
|
Offen
|
kann
|
1 Der Empfehlungsgrad sowie der Evidenzgrad werden nur bei evidenzbasierten Empfehlungen
angegeben. Bei Expertenkonsensbasierten Empfehlungen erfolgt die Graduierung über
soll/sollte/kann und über die in der Tabelle angegeben Beschreibung.
Anschließend wurden alle Empfehlungen, auch die Empfehlungen, die unverändert aus
der Leitlinie von 2014 übernommen wurden, in einem Delphiverfahren von allen Leitlinienmitarbeitern
mithilfe einer 3-stufigen Entscheidungsskala abgestimmt (ja, Enthaltung, nein). Zu
Empfehlungen, die nicht mit „ja“ abgestimmt wurden, musste ein begründender Kommentar
hinterlegt werden. Empfehlungen, die zu über 95 % mit „ja“ abgestimmt wurden, konnten
bereits zu diesem Zeitpunkt verabschiedet werden.
Die Kommentare und Änderungsvorschläge der Delphirunde wurden von den Arbeitsgruppen
und den Koordinierenden gesichtet und die Empfehlungen überarbeitet. Anschließend
wurden alle überarbeiteten Empfehlungen in einer zweiten Delphi-Abstimmung mithilfe
der 3-stufigen Entscheidungsskala erneut abgestimmt. Bei der zweiten Delphi-Abstimmung
erhielten 9 Empfehlungen nicht die 95 % Zustimmung, wiesen aber dennoch allesamt mit
über 90 % eine große Einigkeit auf. Mit Rücksprache der AWMF wurde auf eine Konsensuskonferenz
verzichtet.
Die Konsensusstärke wurde gemäß [Tab. 3] festgelegt. Im Anschluss an die zweite Delphi-Abstimmung erfolgte die finale Überarbeitung
der Kommentare durch die Arbeitsgruppen und die redaktionelle Zusammenstellung der
Leitlinie durch die Koordinierenden.
Tab. 3
Einteilung der Konsensstärke.
Konsens
|
% Zustimmung
|
Starker Konsens
|
> 95
|
Konsens
|
> 75–95
|
Mehrheitliche Zustimmung
|
> 50–75
|
Kein Konsens
|
≤ 50
|
Empfehlungen, die unverändert aus der letzten Leitlinie übernommen wurden, wurden
mit „geprüft 2021“ gekennzeichnet. Die mit „modifiziert 2021“ gekennzeichneten Empfehlungen
wurden im Vergleich zur vorherigen Version von 2014 modifiziert.
Statements
Als Statements werden Darlegungen oder Erläuterungen von spezifischen Sachverhalten
oder Fragestellungen ohne unmittelbare Handlungsaufforderung bezeichnet. Sie werden
entsprechend der Vorgehensweise bei den Empfehlungen im Rahmen eines formalen Konsensusverfahrens
verabschiedet und können entweder auf Studienergebnissen oder auf Expertenmeinungen
beruhen.
Expertenkonsens
Als Expertenkonsens werden Empfehlungen bezeichnet, zu denen keine systematische Recherche
nach Literatur durchgeführt wurde oder bei einer entsprechenden Recherche keine passende
Literatur zu finden war. Die Graduierung der Empfehlung ergibt sich ausschließlich
aus der verwendeten Formulierung (soll/sollte/kann) entsprechend der Abstufung in
[Tab. 2].
Klug Entscheiden
Empfehlungen, die mit „Klug entscheiden“ gekennzeichnet sind, wurden für die „Klug
entscheiden“-Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ausgewählt.
Diese Empfehlungen sollen als konkrete Hilfestellung bei der Indikationsstellung zu
diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen dienen, um eine Unter- bzw. Überversorgung
zu vermeiden. Weitere Informationen finden Sie unter https://www.klug-entscheiden.com/.
1.3.5. Zeitplan
August 2018
|
Anmeldung bei der AWMF
|
Oktober 2018
|
Beauftragung der Koordinatoren durch die DGVS
|
April 2019
|
Einladung der zu beteiligenden Fachgesellschaften und Expert*innen
|
April 2019 bis Oktober 2020
|
Überarbeitung der Empfehlungen und Hintergrundtexte
|
November 2020 bis Dezember 2020
|
1. Delphi-Abstimmung
|
Bis Ende Februar 2021
|
Überarbeitung der Empfehlungen
|
März 2021
|
2. Delphi-Abstimmung
|
April 2021 bis Oktober 2021
|
Erstellung Gesamtmanuskript
|
Oktober bis November 2021
|
Freigabeverfahren
|
1.4. Externe Begutachtung und Verabschiedung
1.4.1. Verabschiedung durch die Vorstände der herausgebenden Fachgesellschaften/ Organisationen
Die vollständige Leitlinie wurde von allen beteiligten Fachgesellschaften innerhalb
von 3,5 Wochen (21. Oktober 2021 bis 15. November 2021) begutachtet und konsentiert
und stand zur selben Zeit als Konsultationsfassung für die Fachöffentlichkeit zur
Kommentierung auf der DGVS und AWMF Website zur Verfügung. Über den DGVS Newsletter
wurde um Kommentierung gebeten. Es gab keine Änderungsvorschläge.
1.4.2. Redaktionelle Unabhängigkeit und Finanzierung der Leitlinie
Die Erstellung der Leitlinie erfolgte redaktionell unabhängig. Die DGVS finanzierte
die Nutzung des Leitlinienportals sowie die systematische Recherche und Evidenzbewertung.
Die DGAV finanzierte die bibliothekarische Arbeit. Eine finanzielle Beteiligung Dritter
erfolgte nicht. Mandatsträger*innen und Expert*innen arbeiteten ausschließlich ehrenamtlich.
1.4.3. Darlegung von und Umgang mit Interessenkonflikten
Im Einklang mit dem AWMF-Regelwerk zum Umgang mit Interessenskonflikten gaben alle
Teilnehmenden ihre Erklärungen auf dem entsprechenden AWMF-Formular (Formblatt 2018)
ab. Die Interessenkonflikte wurden von den Koordinierenden der Leitlinie gesichtet,
gemäß den AWMF-Kriterien als gering, moderat oder hoch bezüglich der individuellen
Empfehlung kategorisiert und bewertet.
Hohe Interessenkonflikte mit Bezug zur Leitlinie bestanden bei keinem der Teilnehmenden.
Als moderat, wurden nachfolgende Interessenkonflikte eingestuft:
-
Berater- bzw. Gutachtertätigkeit oder bezahlte Mitarbeit in einem wissenschaftlichen
Beirat eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft (z. B. Arzneimittelindustrie,
Medizinproduktindustrie), eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer
Versicherung
-
Mitarbeit in einem Wissenschaftlichen Beirat (advisory board)
-
Forschungsvorhaben/ Durchführung klinischer Studien: finanzielle Zuwendungen (Drittmittel)
für Forschungsvorhaben oder direkte Finanzierung von Mitarbeitern der Einrichtung
vonseiten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten
Auftragsinstituts oder einer Versicherung
-
Eigentümerinteressen (Patent, Urheberrecht, Aktienbesitz): Besitz von Geschäftsanteilen,
Aktien, Fonds mit Beteiligung von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft
Bezahlte Vortrags-/oder Schulungstätigkeit und bezahlte Autoren-/oder Co-Autorenschaft
wurden als geringe Interessenkonflikte gewertet.
Die Beeinflussung durch Interessenkonflikte wurde weiter auch durch die Erstellung
der interdisziplinären Arbeitsgruppen reduziert.
Die Interessenerklärungen aller Expert*innen sind im Supplementary Material des Leitlinienreports
dargestellt.
1.5. Verbreitung und Implementierung
1.5.1. Konzept zur Verbreitung und Implementierung
Die Leitlinie wird neben der Zeitschrift für Gastroenterologie bei AMBOSS und auf
den Homepages der DGVS (www.dgvs.de) und der AWMF (www.awmf.de) veröffentlicht.
1.5.2. Gültigkeitsdauer und Aktualisierungsverfahren
Die Gültigkeit beträgt etwa fünf Jahre (15. Oktober 2026). Die Überarbeitung wird
durch den Leitlinienbeauftragten der DGVS initiiert werden. Die Steuergruppe der Leitlinie
wird jährlich den Aktualisierungsbedarf der Leitlinie prüfen. Als Ansprechpartner
steht Ihnen Frau Lorenz (leitlinien@dgvs.de) von der DGVS Geschäftsstelle zur Verfügung.
Redaktioneller Hinweis
Geschlechtsneutrale Formulierung
Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird auf die geschlechtsspezifische
Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen in diesem Dokument sind
somit geschlechtsneutral zu verstehen.
Partizipative Entscheidungsfindung
Alle Empfehlungen der Leitlinie sind als Empfehlungen zu verstehen, die im Sinne einer
partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient und ggf. den Angehörigen
getroffen werden und umzusetzen sind.
Besonderer Hinweis
Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben,
ins-besondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand
zur Zeit der Drucklegung der Leitlinie entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen
Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die
größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die
Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und
im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Unstimmigkeiten sollen bitte im
allgemeinen Interesse der DGVS mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich
für jede diagnostische und therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung. In
dieser Leitlinie sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders
kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht
geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk ist
in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Bestimmung
des Urhebergesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der DGVS unzulässig und strafbar.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung reproduziert
werden. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung, Nutzung und Verwertung in elektronischen Systemen, Intranets
und dem Internet.
Kapitel 2: Anatomie, Pathologie, Pathogenese, Risikofaktoren, Komorbidität, Medikation
Kapitel 2: Anatomie, Pathologie, Pathogenese, Risikofaktoren, Komorbidität, Medikation
Anatomie, Pathologie, Pathogenese
Anatomie
Statement 2.1 (geprüft 2021)
Kolondivertikel sind erworbene Ausstülpungen der Mukosa und Submukosa durch muskelschwache
Lücken der Kolonwand.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Die Herniation der Mukosa mit Anteilen der Submukosa erfolgt durch präformierte Schwachstellen
(„Loci minoris resistentiae“) entlang intramuraler Blutgefäße (Vasa recta) [8]
[9]
[10]
[11]. Reichen die sog. Pseudodivertikel bis in die Muskelschicht hinein, so handelt es
sich um inkomplette, intramurale Kolondivertikel [12]. Werden alle Wandschichten bis zur serosalen Darmoberfläche durchwandert, so spricht
man von kompletten, extramuralen Kolondivertikel. In westlichen Ländern entstehen
Kolondivertikel überwiegend im linksseitigen Kolon, während bei der asiatischen Bevölkerung
vorzugsweise das rechtsseitige Kolon betroffen ist [13]
[14]
[15]. Das gehäufte Auftreten von Kolondivertikeln im Sigma wird darauf zurückgeführt,
dass in diesem Darmabschnitt zahlreiche Vasa recta zu finden sind, hohe intraluminale
Drücke vorliegen und sich die peristaltischen Wellen prellbockartig vor dem Rektum
brechen.
Pathologie
Statement 2.2 (geprüft 2021)
Pathologisch ist die Divertikulitis durch einen Entzündungsprozess gekennzeichnet,
der von Kolondivertikeln (Peridivertikulitis) ausgeht und der auf die Darmwand übergreifen
(fokale Perikolitis) und schwere Komplikationen (Abszess- und/oder Fistelbildung,
gedeckte Perforation, offene Perforation mit Peritonitis, Stenosierung, divertikulitischer
Tumor) zur Folge haben kann. Weitere Komplikationen der Divertikelkrankheit sind Kolondivertikelblutungen.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Kolondivertikel sind besonders anfällig für entzündliche Veränderungen, da die durch
die Herniation mitgeführten Blutgefäße komprimiert werden und die prolabierte Schleimhaut
lokal minderversorgt ist [16]. Zusätzlich kann ein verengter Divertikelhals zur längeren Retention von keimbelasteten
Stuhl im Divertikellumen sowie zur Bildung von Kotsteinen führen, die über eine mechanische
Irritation des Divertikelrandes Druckulzerationen hervorrufen können [17]. Histopathologisch zeigen sich prominente Schleimhautaufwerfungen mit gestörter
Kryptenarchitektur und Kryptitis, Ulzerationen mit lymphozytären und neutrophilen
Infiltraten, Fibrosierung der Lamina propria mucosae sowie eine Hyperplasie und Aufsplitterung
der Lamina muscularis mucosae [18]. Rezidivierende Entzündungsschübe können langfristig zur lokalen Fibrosierung, Wandverdickung
und Stenosierung führen, ggf. mit Bildung eines sog. divertikulitischen Tumors [19]. Klinisch kann es dabei zur Subileus-Symptomatik oder einem kompletten Dickdarmverschluss
kommen. Gedeckte Perforationen entstehen im Gefolge lokaler Entzündungsprozesse und
bilden den Ausgang für Abszedierungen und Fistelbildungen in benachbarte Organe. Eine
offene Divertikelruptur in die freie Bauchhöhle kann auch ohne entzündliche Veränderungen
erfolgen und ist zumeist durch eine Schwächung der dünnwandigen Divertikelkuppe bedingt
[19].
Die unter Spannung stehenden Blutgefäße am Divertikelhals und an der Divertikelkuppe
sind besonders anfällig für mechanisch bedingte Rupturen bzw. Arrosionen, die die
hohe Blutungsneigung bei der Divertikelkrankheit erklären und zumeist ohne entzündliche
Begleitveränderungen auftreten [20].
In einigen Fällen lassen sich Überlappungen mit histopathologischen Befunden beobachten,
wie sie typischerweise bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vorliegen (z. B.
Granulome, transmurale entzündliche Infiltrate, lymphoide Aggregate, Panethzell-Metaplasie)
[21]. Weitere Differenzialdiagnosen sind verschiedenen Formen der Colitis (lymphozytäre,
kollagene, ischämische oder infektiöse Colitits) sowie die selten assoziiert mit der
Divertikelkrankheit auftretende Sigmoiditis (Segmentale Colitis assoziiert mit Divertikulose
„SCAD“). Die SCAD ist dadurch charakterisiert, dass die Entzündung die interdivertikuläre
Schleimhaut betrifft, während die peridivertikuläre Schleimhaut, abgesehen von Fällen
mit schwerer Entzündung, ausgespart bleibt [22].
Pathogenese
Die Mechanismen der Pathogenese der Divertikelbildung und der Divertikelkrankheit
sind komplex und in vielen Teilen nur unzureichend untersucht. Im Folgenden werden
Faktoren besprochen, die in der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion eine bedeutsame
Rolle spielen.
Strukturveränderungen der Kolonwand
Statement 2.3 (modifiziert 2021)
Bei der Divertikulose und der Divertikelkrankheit liegt häufig eine Verdickung der
Darmwandmuskulatur vor.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Die Verdickung der Tunica muscularis betrifft sowohl die Ring- als auch die Längsmuskelschicht
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]
[28]. Die Muskelverdickung wurde als häufiger Befund im divertikeltragenden Kolonsegment
beschrieben und kann auch bei reizloser Divertikulose auftreten [23]
[28]. Die Muskelverdickung korreliert zwar mit dem Ausmaß des Divertikelbefalls, nicht
jedoch mit dem Schweregrad der klinischen Symptomatik [23]. Histopathologisch wurden mehrheitlich bandartige und weniger häufig zirkumferentielle
Muskelverdickungen beobachtet [23]
[28]. Es ließen sich fischgrätenartige und aberrant verlaufende Muskelzüge beobachten
[26]. Die als myostatisch gedeutete Muskelverdickung („Myochosis coli“) wird wahrscheinlich
weniger durch eine Hyperplasie, sondern eher durch eine Hypertrophie der kontrakten
Myozyten hervorgerufen [24]
[27]
[28]. Aufgrund des Nachweises einer vermehrten Elastineinlagerung in der Längsmuskulatur
[25]
[26]
[29] wird angenommen, dass es dadurch zu einer Kontraktion der Taenien mit Verkürzung
des Darmrohres („Concertina-Kolon“) [26]
[27]
[28] kommt und die überschüssigen Schleimhautaufwerfungen als Pseudodivertikel durch
die Darmwand nach außen gedrückt werden.
Statement 2.4 (modifiziert 2021)
Es gibt Hinweise darauf, dass bei der Divertikulose und der Divertikelkrankheit Veränderungen
des Gehalts, der Zusammensetzung und Verknüpfung von Bindegewebsfasern sowie ein gestörter
Metabolismus der bindegewebigen Matrix vorliegen.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Aufgrund einer altersbedingten, generellen Erschlaffung des Bindegewebes und Abnahme
des Gewebeturgors können sich die von Bindegewebe flankierten Blutgefäßdurchtritte
erweitern und damit einer Divertikelausbildung mit zunehmendem Alter Vorschub leisten.
Belege für eine pathogenetische Bedeutung von Bindegewebsveränderungen sind das gehäufte
Auftreten von Kolondivertikeln bei Patienten mit systemischen Bindegewebserkrankungen
aufgrund genetischer Defekte (z. B. Marfan- und Ehlers-Danlos-Syndrom) [30]
[31]. In einzelnen Untersuchungen wurde gezeigt, dass der Gesamtkollagengehalt [25]
[29] sowie die Verknüpfung (cross-linking) der Kollagenfasern bei der Divertikelkrankheit
erhöht ist [32]. Es wird vermutet, dass dadurch die Anpassungsfähigkeit des Darmrohres an die wechselnden
intraluminalen Drücke herabgesetzt ist. Darüber hinaus wurde eine Verschiebung des
Kollagen-Typ I zugunsten des weniger stabilen Kollagen-Typ III beschrieben [33]
[34], die zu einer lokalen mechanischen Schwächung der Darmwand führen könnte. Zwei Untersuchungen
wiesen darauf hin, dass die für den Bindegewebsabbau maßgeblich verantwortlichen Enzyme
bei der Divertikelkrankheit verändert sind (erniedrigte Matrix-Metalloproteinase 1,
erhöhte Gewebeinhibitoren 1 und 2 der Matrix-Metalloproteinasen) [35]
[36]. Ältere Untersuchungen zeigten einen erhöhten Gehalt an Elastinfasern innerhalb
der Tänienmuskulatur auf (Elastosis coli), die zur Längskontraktur des Darmrohres
und damit zum Schleimhautüberschuss führen kann [25]
[26]
[29].
Enterisches Nervensystem und Motilität
Statement 2.5 (modifiziert 2021)
Es gibt Hinweise darauf, dass bei der Divertikulose und der Divertikelkrankheit eine
enterische Neuropathie vorliegt, die durch strukturelle Veränderungen des enterischen
Nervensystems und Störungen im enterischen Neurotransmittersystem gekennzeichnet ist.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
In mehreren Untersuchungen wurde gezeigt, dass bei der Divertikelkrankheit die intramuralen
Ganglien verkleinert sind und einen erniedrigten Nervenzellgehalt aufweisen (oligoneuronale
Hypoganglionose) [37]
[38]
[39]
[40]
[41]. In einer Studie fanden sich histopathologische Korrelate einer sog. intestinalen
neuronalen Dysplasie [42]. Darüber hinaus wurden Veränderungen sowohl von exzitatorischen (Acetylcholin, Substanz
P) und inhibitorischen (Stickoxyd, vasoaktives intestinales Polypeptid) Neurotransmittern
als auch von Neurotransmitter-Rezeptoren (Serotonin-Rezeptor 4, Muskarin-Rezeptor
3) beschrieben [43]
[44]
[45]
[46]
[47]
[48]. Bassotti et al. beschreiben zudem eine deutliche Verminderung assoziierter Zellsysteme,
die ebenfalls für die Regulation der Reizentstehung und -weiterleitung innerhalb der
Darmwand relevant sind, nämlich der interstitiellen Zellen von Cajal (ICC) sowie der
Gliazellen [38]. Neuere Untersuchungen belegen Störungen im glial cell line-derived neurotrophic
factor (GDNF)-System nicht nur bei Patienten mit Divertikelkrankheit, sondern bereits
in den frühen Stadien der Divertikelbildung, in denen noch keine morphometrischen
myenterischen Veränderungen zu finden sind [49].
Statement 2.6 (modifiziert 2021)
Passend zu den neuropathischen und myopathischen Veränderungen der Darmwand finden
sich zumindest bei einem Teil der Patienten mit Divertikulose und Divertikelkrankheit
Störungen der Motilität und Sensitivität des Kolons.
Expertenkonsens, Konsens
Kommentar:
Es besteht die Hypothese, dass die neuro- und myopathischen Veränderungen zu intestinalen
Motilitätsstörungen führen, die die Entwicklung einer Divertikulose fördern. Die Evidenz
dieser Hypothese bisher nur in einzelnen Studien bei Patienten mit reizloser Divertikulose
vor Auftreten einer Divertikulitis geprüft, wobei sich auch in diesem Kollektiv bereits
ein Ganglienzellverlust bzw. eine Veränderung regulatorischer Mediatoren beobachten
ließen [39]
[49]. Auch eine gesteigerte Antwort der isolierten Darmmuskulatur auf exzitatorische
Mediatoren wurde bereits bei Patienten mit reizloser Divertikulose beschrieben [50].
Während der ursächliche Zusammenhang zwischen enterischer Neuromyopathie und Motilitätsstörungen
bei Divertikelkrankheit noch nicht eindeutig belegt ist, gibt es zahlreiche Studien,
die eine veränderte Darmmotilität vor allem im Rektosigmoidalbereich zeigen: Eine
Reihe von älteren Studien beschreiben eine gesteigerte kontraktile Aktivität sowohl
in Ruhe als auch in Antwort auf eine Mahlzeitgabe [51]
[52]
[53]
[54]
[55]. Vergleichbare Veränderungen finden sich auch bei rechtsseitiger Divertikelkrankheit
des Kolons [56]. Die resultierende Erhöhung des intraluminalen Drucks kann die Entstehung von Divertikeln
fördern. Es gab jedoch auch Studien, in denen solche Veränderungen nicht nachgewiesen
wurden, so dass dieses Phänomen möglicherweise nur bei einem Teil der Divertikelpatienten
relevant ist [57]
[58]. Auch neuere Untersuchungen mittels 24-Stunden-Manometrie des gesamten Kolons deuten
auf Motilitätsveränderungen bei Divertikelpatienten hin. Hierzu zählen z. B. eine
gesteigerte kontraktile Aktivität in divertikeltragenden Darmsegmenten, eine gesteigerte
spastische Tonussteigerung nach Mahlzeitgabe und eine erhöhte Anzahl von hochamplitudigen,
propagierten Kontraktionen (HAPC), die für das manometrische Korrelat der Massenbewegungen
im Darm gehalten werden [59]
[60]. Diese HAPCs sind dabei gehäuft retrograd propagiert, was entweder als Zeichen einer
gestörten motorischen Koordination oder gar als Antwort auf eine distal gelegene (spastische?)
Engstelle gedeutet werden könnte [59]
[60]
[61].
Darüber hinaus werden Störungen der Darminnervation verantwortlich gemacht für die
insbesondere bei chronischen Verläufen der Divertikelkrankheit zu beobachtende Schmerzsymptomatik.
In diesen Fällen wurden eine wahrscheinlich postinflammatorisch bedingte Erhöhung
von schmerzvermittelnden Neurotransmittern (Galanin, Neuropeptid K) sowie eine Proliferation
von schmerzleitenden Nervenfasern beobachtet, die auf eine viszerale Hypersensitivität
bei chronifizierter Divertikelkrankheit schließen lassen – ähnlich wie beim postinfektiösen
Reizdarmsyndrom [62]
[63].
Auf genetischer Ebene ist die pathogenetische Verbindung der intestinalen Nervenfunktion
von Bindegewebe und Divertikelerkrankung durch dieAssoziation von Varianten unter
anderem in S100A10 (S100 calcium binding protein A10 – Regulator des Umbaus der extrazellulären
Matrix), BMPR1B (bone morphogenetic proteinreceptor type1B), ELN (Elastin) und EFEMP1
(Epidermal growth factor containing fibulin-like extracellular matrix protein 1) unterstützt
[64]
[65].
Passend hierzu konnte eine sensomotorische Untersuchung des Rektums und des sigmoidalen
Kolons mittels Barostat-Technik gegenüber Gesunden bei symptomatischen Divertikelträgern
eine erhöhte sensorische Empfindlichkeit gegenüber Ballondistension bei unveränderter
Compliance zeigen [66]. Diese Hypersensitivität fand sich dabei nicht nur im divertikeltragenden Sigma,
sondern auch im unbetroffenen Rektum [66].
Fäkale Stase und Impaktion
Letztlich auch Motilitätsstörungen könnte die seit langem diskutierte Hypothese der
fäkalen Stase mit Impaktion des Faezes und Bildung sogenannter Faekalolithen erklären.
Als Folge solcher koloskopisch häufig zu beobachtenden Faekalolithen und der Obstruktion
von Divertikeln könnten bakterielle Stase, mukosale Traumatisierung, lokale Ischämie
und Entzündung auftreten. Ein Hinweis für diese Hypothese könnten intraoperativ nachgewiesene
Faekalolithen bei akuter Divertikulitis sein [67]. Ein ähnlicher Pathomehanismus ist bei der akuten Appendizitis zu bemerken. Weitere
Evidenz gibt es für diese Hypothese nicht.
Altersabhängigkeit
Die Prävalenz der Divertikulose bzw. der Divertikelkrankheit nimmt mit dem Alter stark
zu, bei aktuell stärkerer Zunahme der Inzidenz in jüngeren Altersgruppen.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Die Prävalenz der Divertikulose ist schwierig zu erfassen, nachdem die Präsenz von
Divertikeln nicht notwendigerweise Beschwerden verursacht. Auf dem Boden von Kolonkontrastuntersuchungen
und Obduktionen, die beide die Prävalenz überschätzen könnten, werden für westliche
Industrienationen folgende Prävalenzen angegeben: ca. 13 % für Personen unter 50 Jahren,
ca. 30 % für Personen zwischen 50 und 70 Jahren, ca. 50 % für Personen zwischen 70
und 85 Jahren sowie ca. 66 % für Personen älter als 85 Jahre [68]
[69]
[70]
[71].
Auch die Inzidenz der Divertikelkrankheit zeigt eine klare Altersabhängigkeit, obgleich
sich in Daten aus dem letzten Jahrzehnt ein Trend zur Zunahme bei jüngeren Patienten
abzeichnet [72]. In einer US-amerikanischen Studie gestützt auf das landesweite Register aller stationär
behandelten Patienten stiegen die stationären Behandlungen der Divertikelkrankheit
in dem Zeitraum von 1998 bis 2005 um 26 %. Das Durchschnittsalter der Betroffenen
sank in diesem Zeitraum von 64,6 auf 61,8 Jahre. Die Inzidenz lag 1998 am höchsten
mit 2447/1000 000 (Mio.) für die über 75-jährigen, gefolgt von 1360/Mio. für die 65–74-jährigen,
659/Mio. für die 45–64-jährigen und 151/Mio. für die 18–44-jährigen[73]. Die Inzidenz stieg in dem Zeitraum jedoch am stärksten in der Gruppe der 18–44-jährigen
(auf 251/Mio.), gefolgt von der Gruppe der 45–64-jährigen (auf 777/Mio.) während die
Inzidenz in der Gruppe der 65–74-jährigen stabil blieb und in der Gruppe der über
75-jährigen fiel [73]. In einer ähnlichen Analyse, die den Zeitraum von 2002 bis 2007 umfasste, waren
29,6 % der wegen Divertikulitis aufgenommenen Patienten jünger als 50 Jahre, 40,2 %
waren zwischen 50 und 70 Jahren und 30,2 % älter als 70 Jahre. Auch in diesem Zeitraum
nahmen die Aufnahmen in der Gruppe der über 75-jährigen um 4,8 % ab, während sie in
der Gruppe der unter 50-jährigen um 1,3 % und in der Gruppe der 50–70-jährigen um
3,5 % zunahm [74]. In einer neuen Arbeit wurden 2127 Personen, bei denen im Rahmen einer Koloskopie
eine Divertikulose festgestellt wurde, über im Median fast 7 Jahre beobachtet. Die
kumulative Wahrscheinlichkeit über 10,8 Jahre eine Divertikulitis zu entwickeln betrug
4,3 %, sie lag für 40-jährige mit 11 % am höchsten und nahm mit steigendem Lebensalter
mit jeder zusätzlichen Dekade um 24 % ab [75]. Der von einigen Autoren beschriebene aggressivere Verlauf der Divertikelkrankheit
bei jüngeren Patienten[76]
[77] scheint sich in neueren Arbeiten nicht zu bestätigen [78]
[79]
[80]. Die Daten zu einer Geschlechterpräferenz bei der Divertikulose sind inhomogen [69]
[71]. Während frühe Studien ein Männer-Übergewicht bei Patienten mit Divertikelkrankheit
berichteten[72], fanden die US-Studien 1998/1999 einen Anteil von 60,7 % Frauen bei den Divertikelkrankheit-bedingten
Krankenhausaufnahmen, der bis 2007 auf 57,8 % zurückging [72]
[74].
Genetik
Statement 2.8 (modifiziert 2021)
Neben Umweltfaktoren spielt auch eine genetische Prädisposition eine wichtige Rolle
in der Entstehung der Divertikulose und der Divertikulitis.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Einige seltene genetische Syndrome weisen eine starke Prädisposition zur Ausbildung
von Divertikeln des Kolons auf. Hierzu zählen das Marfan-Syndrom, das Ehlers-Danlos-Syndrom,
das Williams-Beuren-Syndrom, das Coffin-Lowry-Syndrom sowie die polyzystische Nierenerkrankung
[71]
[81]
[82]
[83]. Die Betroffenen entwickeln die Kolondivertikel bereits in einem jungen Lebensalter
[69]
[84]
[85]. Gemeinsam sind diesen Syndromen Defekte einer Komponente der extrazellulären Matrix
bzw. Bindegewebsfasern, dies legt eine Rolle dieser Strukturen auch in der Pathogenese
der spontanen Divertikulose nahe (siehe Kommentar zu Statement 2.4).
Klinische Fallberichte wiesen bereits bislang auf familiäre Risikofaktoren für die
Entwicklung der Divertikulose/Divertikelkrankheit in der allgemeinen Bevölkerung hin
[71]. Eine Studie an 104 552 Zwillingen zeigt für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit
ein klares genetisches Risiko mit einer Odds Ratio (OR) von 7,15 für den monozygoten
Ko-Zwilling und von 3,20 für den gleichgeschlechtlichen-dizygoten Ko-Zwilling. Der
Einfluss der genetischen Faktoren für die Entstehung der Divertikelkrankheit wurde
auf 40 % gegenüber 60 % für Umweltfaktoren geschätzt [82]. Aus den genannten epidemiologischen Befunden wird klar, dass die Divertikulose
eine polygene Erkrankung ist, die aus der Interaktion von erblichen Risikoanlagen
und Umweltfaktoren resultiert.
Zwischen 2017 und 2019 konnte durch drei genomweite Assoziationsstudien ein Überblick
über das genetische Risikoprofil der nicht-syndromatischen Divertikulose erhoben werden
[64]
[65]
[86]. Insgesamt ergibt sich ein zwischen den genomweiten Assoziationsstudien und den
Replikationsstudien [87] konsistentes Bild. Es konnten bis zu 48 Risikogene mit genomweiter Signifikanz identifiziert
werden [65], von denen mindestens 35 auch in mindestens einer unabhängigen Kohorte repliziert
werden konnten. Die Ergebnisse dieser Studien vertiefen die bisherigen pathophysiologischen
Konzepte und identifizieren spezifische molekulare Signalwege. Die identifizierten
Gene lassen überraschend weitgehend in molekulare Mechanismen einordnen und zeigen
eine interessante Überlappung mit den monogenen und syndromatischen Divertikuloseformen
[65]
[87]: Eine Reihe von Loci wie COLQ, COL6A1, GDNF und GPR158 deuten auf neuromuskuläre
Dysfunktion. Drei Loci zeigen pathophysiologische Verbindungen zum Kalzium-Signalweg
in den glatten Muskelzellen des Dünndarms (CPI-17, CECNB2, ANO1). Der Homeobox Transkriptionsfaktor
HLX hat eine wichtige Rolle in der neuromuskulären Entwicklung. Eine weitere Gruppe
von gesicherten Risikoloci betrifft Gene der Bindegewebsfunktion und Morphogenese
wie ELN, BMPR1B, EFEMP1, CRISPLD2 und S100A10. Die mesenteriale vaskuläre Funktion
wird von CALCB und PPP1R16B beeinflusst.
Nur vier der bisher identifizierten Gene (PHGR1, FAM155A, CALCB, S100A10) zeigten
eine Assoziation mit dem Risiko einer Divertikulitis. PHGR1 – ein Risikogen sowohl
für die Divertikulose als auch die Divertikulitis – ist dabei interessanterweise das
einzige Gen, das klar mit der intestinalen Epithelfunktion funktional verbunden ist.
Interessanterweise gibt es keine Überlappung mit den Risikogenen für die chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen und auch insgesamt keine genetische Immunsignatur für die Divertikulitis
[64]
[65]
[86]. Die vollständige Aufklärung der zugrundeliegenden Pathomechanismen wird weitere
mechanistische Studien erfordern.
Viszerales Fett
Neue Erkenntnisse deuten auf eine Rolle des viszeralen Fettgewebes als immun- und
endokrin aktives Organ hin. In der Tat wurde in CT- Studien bei Divertikulose und
bei Divertikulitis signifikant mehr viszerales Fett beschrieben als bei Kontrollen.
Interessanterweise bestand bei den Patienten im Unterschied zu den Kontrollen keine
Assoziation zwischen viszeralem und allgemeinem subkutanem Fettgehalt. Nur bei Divertikulose
wurde eine Verfettung der Muskelschichten festgestellt [88]. Eine andere Studie konnte zwar diese Unterschiede im Fettgehalt nicht bestätigen
fand aber negative und positive Korrelationen zwischen Serumspiegeln von Adiponectin
und Leptin bei Divertikulose und Divertikelkrankheit. Calprotectin im Stuhl war erhöht,
so dass diese Befunde als proinflammatorischer Status interpretiert wurden [89].
Klinisch stellt Adipositas und Übergewicht ein Risiko für den Verlauf einer Divertikelkrankheit
dar (siehe Kapitel 5), was ebenfalls auf eine pathogenetische Rolle des viszeralen
Fetts hindeuten könnte. Insgesamt gibt es jedoch derzeit zu wenige wissenschaftliche
Erkenntnisse zu den Grundlagen, um die pathogenetische Rolle des viszeralen Fetts
zu definieren.
Intestinales Mikrobiom
Das intestinale Mikrobiom scheint für die Entstehung von Divertikeln keine Rolle zu
spielen, jedoch könnte es für die Progression zur Divertikelkrankheit einen pathogenen
Kofaktor darstellen.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Die intestinale Mikrobiota steht heute im Zentrum wissenschaftlicher Forschung. In
diesem Kontext finden klinische Zusammenhänge zunehmend Interesse, so auch bei Divertikulose,
Divertikelkrankheit und Divertikulitis. Eine neue Übersicht hat den Stand der Kenntnisse
sehr zutreffend zusammengefasst [90]. Zahlreiche Untersuchungen der fäkalen Mikrobiota habe eine Reihe von Auffälligkeiten
zeigen können. Die Ergebnisse sind jedoch inkonsistent und überwiegend nicht bestätigt.
Ähnliches gilt auch für die mikrobiologischen Befunde, die bei Biopsien aus der Darmmukosa
gewonnen wurden.
Eine Zusammenfassung dieser zahllosen Beschreibungen von Veränderungen im Mikrobiom
von Patienten mit Divertikeln des Kolons, kommt zu dem Schluss, dass Mikrobiota in
der Entstehung von Divertikeln keine entscheidende Rolle spielen. Im Gegensatz dazu,
scheint aber die Progression zu einer Divertikelkrankheit mit einer Dysbiose verknüpft
zu sein [91]. Dabei ist davon auszugehen, dass die Veränderungen des Mikrobioms nicht monokausal
sind, sondern dass es über Ko-ereignisse zu pathogenen Veränderungen der Mikrobiota
kommt. Solche Ko-ereignisse können z. B. spezielle Nahrungsgewohnheiten und Nahrungszusätze
oder Medikamente (z. B. Antibiotika) sein. Von besonderem Interesse sind in diesem
Kontext die Auswirkungen körperlicher Aktivität auf das intestinale Mikrobiom.
Die Erkenntnisse über Veränderungen des Mikrobioms bei der Divertikelkrankheit haben
zu Versuchen geführt, die Mikrobiota aus therapeutischen Gründen zu verändern, um
ein „günstiges“ Mikrobiom herzustellen. Diese Studien werden in erster Linie mit schwer
resorbierbaren Antibiotika und Probiotika durchgeführt (dazu weitere Ausführungen
im Kapitel 5).
Entzündung (chronische Entzündung, low grade inflammation)
Statement 2.10 (neu 2021)
Derzeit ist unbekannt, ob eine mukosale/subklinische Entzündung (low grade inflammation)
eine pathogene Rolle bei der Divertikulose spielt bzw. ob sie sich zur Divertikulitis
weiterentwicklen kann.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Die Frage nach der Rolle einer Entzündung der Mukosa in den divertikeldominanten Segmenten
des Kolons ist seit Jahren wissenschaftlich heftig diskutiert. Adipositas und körperliche
Inaktivität sowie das Mikrobiom und Ernährungsspezifika sind präjudizierende Faktoren
für ein unterschwellig entzündungsförderndes intestinales Milieu. Genetische Erkenntnisse
sprechen dagegen. Aus methodischen Gründen führen histologische Befunde nicht wirklich
weiter. Untersuchungen zur Immunreaktion der Darmwand zeigen sehr kontroverse Befunde.
Tendenziell richtet sich das Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen auf die Rolle
einer „chronischen“ Entzündung in der Progression der Erkrankung. Die wenigen Ansätze
durch die Wirkungen einer direkten antientzündlichen Therapie weitere Erkenntnisse
zu erhalten sind bisher gescheitert [91]
[92]
[93].
Risikofaktoren für die Progression der Erkrankung, Komplikationen, Prognose
Angaben über die Häufigkeit der Entwicklung einer Divertikelkrankheit/Divertikulitis
bei bestehenden Divertikeln sind kritisch zu sehen. Definitionen und diagnostische
Methoden haben sich über die Zeit geändert und prospektive Verlaufsbeobachtungen sind
selten. Aus älteren Daten wird (immer wieder unkritisch tradiert) eine lebenslange
Prävalenz einer Divertikulose von bis zu 25 % der Bevölkerung angenommen, d. h. etwa
75 % der Divertikelträger haben nie Symptome, die zum Arzt führen [94].
Eine neuere Studie beschrieb in einer Nachverfolgung von 2222 Patienten mit gesicherter
Divertikulose 23–95 Patienten (1 %–4,3 %, je nach Strenge der Definition) eine akute
Divertikulitis. Insgesamt war ein Progress mit einer Inzidenz von 1,5 Patienten pro
1000 Patienten Jahren aufgetreten. Die Entwicklung einer akuten Divertikulitis trat
nach einer medianen Zeit von 7,1 Jahren auf [95].
Etwa 15 % der Patienten mit unkomplizierter akuter Divertikulitis entwickeln Komplikationen
in Form von Abszessen [96]. Die Mortalität bei komplizierter Divertikulitis war in einer populationsgestützten
Untersuchung in England 20 % im ersten Jahr im Vergleich zu 4 % bei Kontrollen [97].
Eine kleine Gruppe von Patienten mit akuter Divertikulitis zeigt anhaltende Beschwerden
(Schmerzen, mitunter Entzündungszeichen im Labor und in bildgebenden Verfahren), im
englischen Sprachgebrauch als smoldering diverticulitis bezeichnet [98]. Nach der ersten Episode einer akuten unkomplizierten Divertikulitis erleiden etwa
15 %–30 % ein Rezidiv [93]. Interessanterweise berichtete kürzlich eine populationsbezogene Studie über nur
11,2 % Patienten mit rekurrierender Divertikulitis, allerdings nur bei Patienten,
die wegen des Rezidivs hospitalisiert worden waren [99]. Dies ist gut damit zu vereinbaren, dass die erste Episode die schwerste ist und
nachfolgende Episoden klinisch schwächer ausfallen.
Statement: 2.11 (neu 2021)
Die Entstehung von Divertikeln und der Verlauf der Divertikelkrankheit wird durch
nicht beeinflussbare pathogenetische Faktoren und durch beeinflussbare Risikofaktoren
bestimmt.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Abgesehen von den (Risiko-) Faktoren, die in der Pathogenese der Divertikelkrankheit/Divertikulitis
bereits erwähnt wurden, werden eine Reihe von weiteren Faktoren als Risiken für den
Verlauf und die Schwere der Erkrankung diskutiert ([Tab. 4]).
Tab. 4
Beeinflussbare Risikofaktoren
Günstige Ernährung
Ungünstige Genussmittel
Günstiger Lebensstil
Ungünstiger Ernährungsstatus
|
Die beinflussbaren Risikofaktoren ergeben Behandlungsempfehlungen, deren Grundlagen
und Einzelheiten im Kapitel 5 besprochen werden.
Eine Sonderrolle spielt die Komorbidität, die nur eingeschränkt beeinflusst werden
kann und hier als besonderer Risikofaktor für den Verlauf einer Divertikelkrankheit
besprochen wird.
Risikofaktor Komorbidität
Die Diskussion über die Bedeutung von Komorbidität bei der Divetikelkrankheit muss
mehrere Blickwinkel berücksichtigen. Komorbidität kann die Bildung von Divertikel
(Divertikulose) beeinflussen, aber auch im Sinne einer Multimorbidität die Schwere
des Krankheitsbildes bestimmen („Risikoindikator“), und eine Divertikelkrankheit kann
zu Komorbidität führen. Auf Grund mangelhafter Datenlage und auch Überschneidungen,
wird im Folgenden über Assoziationen zwischen Divertikelkrankheit und anderen Erkrankungen
gesprochen.
Empfehlung 2.12 (neu 2021)
Komorbiditäten sollen auf Grund des Risikos für eine Divertikulose und die Divertikelkrankheit/Divertikulitis
diagnostisch und therapeutisch berücksichtigt werden
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar:
Komorbidität und Divertikulose:
Folgende Assoziationen sind genauer beschrieben worden:
Hypothyreose
In einer israelischen retrospektiven Fall-Kontroll-Studie mit 3175 Patienten wurde
für die Diagnose einer Hypothyreose in der Anamnese ein 2,4-faches Risiko für das
Bestehen einer Divertikulose beschrieben [100]. In USA wurde in einer sehr großen Kohorte eine Assoziation von Hypothyreose und
Divertikulitis beschrieben [101].
Diabetes mellitus
Diabetes mellitus wurde als protektiver Faktor für das Bestehen einer Divertikulose
mit einer OR von 0,49 beschrieben [100]. In einer japanischen Querschnittsstudie mit 954 Patienten war die Prävalenz des
Diabetes mellitus Typ II dagegen bei den Divertikelträgern (mehrheitlich rechtsseitig)
mit 21,6 versus 14,0 % bei den divertikelfreien Personen statistisch signifikant erhöht
[102]. (siehe auch unten unter „Immunsuppression“)
Arterielle Hypertonie
In der japanischen Arbeit fand sich die Prävalenz für die arterielle Hypertonie bei
den Divertikelträgern mit 30,9 vs. 19,8 % bei den divertikelfreien Personen statistisch
signifikant erhöht [102]. Die israelische Arbeit fand dagegen keinen Zusammenhang zwischen arterieller Hypertonie
und dem Bestehen einer Divertikulose [100].
Polyzystische Nierenerkrankungen
Von sechs Fallserien mit insgesamt 186 Patienten mit polyzystischer Nierenerkrankung
(PKD) [103]
[104]
[105]
[106]
[107]
[108] machen drei Angaben zur Prävalenz der Divertikulose. Scheff et al. [103] fanden eine Prävalenz von 10/12 (83 %), Dominguez Fernandez et al. [105] 15/28 (53,5 %) und Sharp et al. [106] 28/59 (47 %). Scheff et al. fanden in einer Vergleichsgruppe mit Nierenversagen
ohne PKD eine Divertikel-Prävalenz von 10/31 (32 %) und in einer alters-gematchten
Vergleichsgruppe ohne Nierenversagen eine vergleichbare Divertikel-Prävalenz mit 45/120
(38 %). Sharp et al. [106] dagegen berichteten über eine Divertikel-Prävalenz von 35/59 (59 %) in ihrer Kontrollgruppe
ohne PKD und ohne Nierenversagen und kamen damit zu dem Ergebnis, dass Patienten mit
PKD kein höheres Risiko für eine Divertikulose bzw. Divertikelkrankheit aufweisen
als die generelle Bevölkerung.
Komorbidität und akute unkomplizierte und komplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis
Arterielle Hypertonie
Eine schwedische, prospektive Kohortenstudie an 7500 Männern fand in der univariaten
Analyse ein je 1,8-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten einer komplizierten Divertikelkrankheit
bei Männern mit einem systolischen Blutdruck (RR) von 146–162 mmHg bzw. > 162 mmHg
gegenüber Männern mit einem systolischen RR < 133 mmHg. Ein erhöhter diastolischer
RR > 102 mmHg war in der univariaten Analyse mit einem 2,2-fach erhöhten Risiko gegenüber
Patienten mit einem diastolischen RR < 88 mmHg vergesellschaftet. In der multivariaten
Analyse wurde nur der diastolische RR ein signifikanter Risikofaktor mit einer Hazard
Ratio von 1,02 für jeden mmHg ermittelt [109]. In dieser Arbeit sind Blutungen mitberücksichtigt, aber nicht extra ausgewiesen.
Nierenerkrankungen
Eine Studie aus dem Vereinigten Königreich erfasste retrospektiv 202 Patienten mit
perforierter Divertikelkrankheit. Die Mortalität lag bei 24,3 %. Ein Risikofaktor
für den Tod war eine präexistente Nierenerkrankung mit einer OR von 18,7 [110]. Von sechs Fallserien mit insgesamt 186 Patienten mit Polyzystischen Nierenerkrankung
(PKD) [103]
[104]
[105]
[106]
[107]
[108] machen vier Angaben zur Inzidenz der Divertikelkrankheit. Scheff et al. [103], Lederman et al. [107] und Pourfarziani et al. [108] berichten mit 4/12 (33 %), 12/59 (20 %) bzw. 3/18 (17 %) hohe Inzidenzen insbesondere
für schwere Verläufe der Divertikelkrankheit. Nur in der Arbeit von Lederman et al.
wird die Inzidenz für die Divertikelkrankheit in einer Vergleichsgruppe mit Nierenversagen
ohne PKD mit 4/125 (3 %) beziffert. Dominguez Fernandez et al. fanden mit 1/28 (4 %)
selbst bei Patienten mit PKD keine erhöhte Inzidenz für das Auftreten einer Divertikelkrankheit
[105]. Für Patienten mit PKD wird kein von der Normalbevölkerung abweichendes Management
der Divertikelkrankheit empfohlen [111].
Patienten mit verschiedenen Nierenerkrankungen im Endstadium unter Dialysebehandlung
(n = 32 000) hatten eine eindrucksvoll höhere kumulative Inzidenz für eine akute Divertikulitis
als gematschte Kontrollen. Das Risiko war nach Adaptation an alle möglichen Risikofaktoren
um den Faktor 11,2 größer [112].
Immunsuppression
Verschiedene Arbeiten weisen auf einen schwereren Verlauf der Divertikelkrankheit
bei Patienten unter Immunssuppression hin [108]
[113]
[114]
[115]
[116].
In der Arbeit von Hwang et al. wurden im Rahmen einer Literatursuche 25 Studien zu
Divertikulitis bei immunsupprimierten Patienten identifiziert. Es handelt sich dabei
ausschließlich um retrospektive Kohortenstudien. 21 Studien betrafen Organtransplantierte,
davon 13 Nierentransplantationen und die übrigen 8 Herz-, Lungen oder kombinierte
Herz-Lungen-Transplantationen. 4 Studien betrafen Patienten mit chronischer Corticosteroidtherapie.
Insgesamt wurden in die Studien 12 729 Patienten eingeschlossen [117]. Die Inzidenz der akuten Divertikulitis lag bei den immunsupprimierten Patienten
mit 1 % bei variablem Follow-up zwischen 1 Monat und 17,3 Jahren und damit höher als
in der allgemeinen Bevölkerung. Einen klinisch interessanten Beitrag zur immunsuppressiven
Problematik liefert eine Arbeit, die über fatale Komplikationen einer Divertikelkrankheit
bei M. Cushing berichtet [118].
Einen direkten Vergleich der Inzidenzen zwischen Immunsupprimierten und genereller
Bevölkerung gab nur eine Arbeit mit 0,94 vs. 0,02 % an [119]. Bei Betrachtung ausschließlich der Patienten, bei denen eine Divertikulose vor
Einleitung der Immunsuppression bekannt war, betrug die Inzidenz für eine Divertikulitis
15,1 % bei variablem Follow-up [117]. Die Mortalität aller konservativ oder chirurgisch behandelten Patienten mit Divertikulitis
lag bei 25 %, für operativ behandelte Patienten lag diese Zahl bei 23 % und damit
erheblich höher als die für die generelle Bevölkerung berichteten 1–5 % [73]
[120].
Zu nicht-transplantierten Patienten unter Immunsuppression liegen nur sehr spärliche
Daten vor [117], die Aussagen zu Auswirkungen unterschiedlicher immunsuppressiver Regime nicht erlauben.
Auch zu Patienten unter Chemotherapie oder mit HIV/AIDS wurden keine Studien gefunden
[117]. Sachar fasst 15 Arbeiten zur abdominellen Notfallchirurgie bei HIV-positiven Patienten
zusammen. Er folgert, dass die Divertikelkrankheit bei HIV/AIDS-Patienten nicht gehäuft
vorkommt und keinen von der generellen Population unterschiedlichen Verlauf nimmt,
solange die CD4-Zellen nicht 50–200/ul unterschreiten oder die Viruslast nicht 10 000–30 000Kopien/ml
überschreitet [121].
Als Konsequenz aus erhöhter Inzidenz und Mortalität der Divertikelkrankheit bei Immunsupprimierten
wurde diskutiert, vor Beginn der Immunsuppression ein Screening auf Divertikulose
durchzuführen [117]. McCune berichtete hingegen, dass ein koloskopisches Screening von über 50-jährigen
Patienten bezüglich post-transplant Kolonkomplikationen nicht effektiv ist [104]. Ein Screening oder gar eine prophylaktische Sigma- oder Kolonresektion werden nicht
empfohlen [111]
[117].Diabetes mellitus (DM) ist mit Immunsuppression assoziiert. In einer Studie aus
Australien wurden 349 Patienten mit DM und mindestens einer bekannten Divertikulose
retrospektiv analysiert. Patienten mit Divertikulose waren häufiger antidiabetisch
behandelt als die mit Divertikulitis. Auffallend war eine signifikante Reduktion der
Inzidenz von Divertikulitis in der Gruppe unter Metformin [122]. Ein systematisches Review fand in prospektiven Studien eine 1,2fach höhere Morbidität
(95 % CI, 1135–1270) bei Divertikelkrankheit und DM. Das Risiko einer Divertikelblutung
war um 53 % erhöht [123]. In einer Studie aus Taiwan wurde über ein signifikantes Risiko für Diabetiker berichtet,
eine Notfalloperation bei Divertikulitis zu erleben [124]. Derartige Berichte unterstreichen DM als Risikoindikator bei Divertikelkrankheit.
Allergische Prädisposition
Eine Arbeitsgruppe operierte 101 konsekutive Patienten entweder wegen komplizierter
(gedeckte Perforation, freie Perforation, phlegmonöse Divertikulitis; n = 57) oder
nicht komplizierter (chronisch rekurrierende Divertikulitis, elektiv wegen Komorbiditäten;
n = 44) Divertikelkrankheit. Sie berichtete, dass 39 % der Patienten eine anamnestisch
erhobene allergische Prädisposition gegen Gräser, Pollen, Nahrungsmittel, Medikamente,
Haustiere und anderes aufwiesen. Patienten mit allergischer Prädisposition zeigten
eine OR von 3,2 für eine Operation wegen einer komplizierten Divertikulitis [125].
Weitere Komorbiditäten
Zusammenfassend gibt es in der Literatur zahlreiche Angaben zu verschiedensten Erkrankungen
mit einer Assoziation zur Divertikelkrankheit, z. B. bei Lebererkrankungen (Zirrhose)
[126], dem Cardio-vaskulären System zugehörig [127] chronisch obstruktive Lungenerkrankung [128], rheumatische Erkrankungen (Polymyalgia rheumatica) [129], Demenz [130] und manchen anderen. Mitunter sind die Angaben inkonsistent, die Definitionen nicht
nachvollziehbar oder die Risiken sind grenzwertig. In vielen Fällen wäre eine Bestätigungsstudie
wünschenswert.
Multimorbidität
Multimorbidität ist als ein gesonderter Risikofaktor von erheblicher Bedeutung zu
werten. Arbeiten über den Charlson Komorbiditäts Index (> 3) als Risikoindikator bei
der Divertikelkrankheit geben davon Zeugnis [112]. Eine weitere Publikation bestätigt nicht nur den prädiktiven Wert des Charlson
Index für die Schwere einer Divertikulitis sondern auch die des American Society of
Anesthesiologists (ASA) Physical Status Classification Scores (ASA) [131]. Komorbidität ist ein bestimmender Faktor für die Mortalität bei der Divertikelkrankheit
[132].
Divertikelblutung
Divertikel sind die häufigste Quelle für Blutungen aus dem Kolon. In über 90 % sistieren
Divertikelblutungen spontan [133]. Die restlichen 10 % können lebensbedrohlich sein und müssen interventionell oder
operativ behandelt werden. Es besteht eine Quote für Rezidivblutungen, die je nach
klinischer Ausgangssituation und Art der Behandlung der Primärblutung von niedrig
bis deutlich über 50 % reicht [134]
[135].
Die Divertikelblutung ist meist schmerzlos. Blutungsquelle sind arterielle Gefäße
im Bereich des Divertikelhalses, die auf Grund mechanischer Einwirkungen rupturieren.
Dieser Vorgang geht in der Regel ohne vorausgehende Entzündung einher, also in der
Situation der Divertikulose [136].
Für die Divertikelblutung gibt es zahlreiche Risikofaktoren, die in [Tab. 5] zusammengefasst sind. Besonders hingewiesen sei auf eine neuere Fall-Kontrollstudie
aus den USA, die eine Reihe von Risikofaktoren für Primär- und Rezidivblutungen identifizieren
konnte [137].
Tab. 5
Komorbidität.
Divertikulose
|
Divertikelkrankheit
|
Divertikelblutung
|
|
|
|
|
|
Risiko
|
Studienbasis
|
Risiko
|
Studienbasis
|
Risiko
|
Studienbasis
|
Hypothyreose
|
+
|
FK
|
+
|
K
|
k.A.
|
|
Diabetes mellitus
|
+/–
|
FK
|
+
|
|
+
|
FK
|
arterielle Hypertonie
|
+/o
|
FK
|
+
|
K
|
+/o
|
FK
|
polyzystische und andere Nierenerkrankung
|
+/o
|
FS
|
+
|
FS
|
+
|
FK
|
Immunsuppression
|
k.A.
|
|
+
|
FK-SR
|
k.A.
|
|
allergische Prädisposition
|
k.A.
|
|
+
|
FS
|
k.A.
|
|
Hyperlipidämie
|
k.A.
|
|
k.A.
|
|
+
|
FK
|
Hyperurikämie
|
k.A.
|
|
k.A.
|
|
+
|
FS
|
koronare Herzkrankheit
|
k.A.
|
|
k.A.
|
|
+
|
FK
|
+ bedeutet das Risiko für die entsprechende Kondition wird durch den Einflussparameter
gesteigert; o bedeutet das Risiko für die entsprechende Kondition wird durch den Einflussparameter
nicht verändert; – bedeutet das Risiko für die entsprechende Kondition wird durch
den Einflussparameter reduziert; eine Kombination von Zeichen bedeutet, dass Studien
mit widersprüchlichen Aussagen vorliegen. Für die zu Grunde liegende Studienbasis
wurden folgende Abkürzungen gewählt: K = Kohortenstudie(n); FK-SR = systematischer
Review von mehreren Fallkontrollstudien; FK = Fallkontrollstudie(n); FS = Fallserie(n);
k.A. = keine Angabe.
Arterielle Hypertonie und Divertikelblutung
Vier Arbeiten beschäftigen sich mit der Rolle der arteriellen Hypertonie für die Divertikelblutung.
Yamada et al fanden im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie bei 44 von 1753 Patienten
mit Divertikulose eine Divertikelblutung. Die OR für eine Divertikelblutung lag bei
Patienten mit arterieller Hypertonie bei 6,6 [138]. In einer weiteren japanischen Fall-Kontroll-Studie fand sich von 254 Patienten
mit einer Divertikulose bei 45 Patienten eine Divertikelblutung. Die OR für die Divertikelblutung
lag für Patienten mit arterieller Hypertonie bei 2,2 [139]. Eine dritte japanische Fall-Kontroll-Studie analysierte 51 divertikel-bedingte
untere gastrointestinale Blutungen und fand ein signifikantes Risiko für Patienten
< 65 Jahre mit arterieller Hypertonie [140]. In der Arbeit von Jansen et al. wurden in einer retrospektiven Fallserie 30 Patienten
mit einer Divertikelblutung von 140 Patienten mit einer Divertikelkrankheit identifiziert.
In dieser Analyse war die arterielle Hypertonie kein unabhängiger Risikofaktor für
eine Blutung, allerdings eine Medikation mit Calcium-Antagonisten, die auf die Therapie
der arteriellen Hypertonie abzielen könnte [141].
Hyperlipidämie
Die japanische Fall-Kontroll-Studie von Tsuruoka et al. fand eine OR von 2,2 für eine
Divertikelblutung bei Patienten mit Hyperlipidämie [140].
Koronare Herzkrankheit
Die japanischen Fall-Kontroll-Studie von Tsuruoka et al. und Niikura et al. fanden
eine OR von 1,9 bzw. 2,4 für eine Divertikelblutung bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit
[139]
[140].
Chronisches Nierenversagen
In einer japanischen Fall-Kontroll-Studie von Niikura et al. Fand sich eine OR von
6,4 für eine Divertikelblutung bei Patienten mit chronischem Nierenversagen [139].
Hyperurikämie
In der Arbeit von Jansen et al. wurde ein erhöhtes Risiko für eine Divertikelblutung
bei Patienten mit Urikämie beschrieben. 6 der 30 Patienten mit Divertikelblutung (20 %)
litten unter einer Hyperurikämie bzw. nahmen Allopurinol ein. Von den 110 Patienten,
die keine Blutung erlitten, wurde eine Hyperurikämie oder eine harnsäuresenkende Medikation
nur bei 8 Patienten (7,3 %) dokumentiert [141].
Risikofaktor Medikamente für die Divertikelblutung
Medikamente und Divertikelblutung
NSAIDS und Aspirin
Seit dem Bericht von Langman über die mögliche Rolle von NSAIDS als Risikofaktor für
das Auftreten einer Divertikelblutung [142] berichteten zwei japanische Fall-Kontroll-Studien über ein 7,5 bis 15,6-fach erhöhtes
Risiko für eine Divertikelblutung [138]
[140]. Die erste Auswertung der großen HPFS-Kohorte durch Aldoori fand ein 4,64-fach erhöhtes
Risiko für NSAID-Konsumenten [143]. In dem Update der prospektiven Kohortenstudie durch Strate et al war das Risiko
für eine Divertikelblutung für den regelmäßigen Konsum von NSAIDS allein 1,74-fach,
für Aspirin allein 1,70-fach und für die Kombination von NSAIDS und Aspirin 2,02-fach
erhöht [144]. Es zeigt sich für Aspirin eine erstaunlicherweise fehlende lineare Dosis-Wirkungsbeziehung
mit dem höchsten Risiko für die Einnahme von 2–5,9 325 mg Tabletten pro Woche (HR
2,32), die Einnahme von 0,1–1,9 bzw. ≥ 6 325 mg Tabletten weisen mit einer HR von
1,58 bzw. 1,65 ein niedrigeres Risiko in ähnlicher Größenordnung auf. Bezogen auf
die Frequenz der Einnahme von Aspirin hatte eine 4–6 mal wöchentliche Einnahme (HR
3,13) ein wesentlich höheres Risiko für das Auftreten einer Blutung als die tägliche
(HR 1,57) oder 2–3,9 mal wöchentliche Einnahme (HR 1,21) [137]
[144].
Acetaminophen
Aldoori et al. berichteten in der ersten Auswertung der HPFS-Kohorte ein 13,63-fach
erhöhtes Risiko für eine Divertikelblutung unter der Einnahme von Acetaminophen [143].
Aspirin (low-dose) und andere Antikoagulantien
Eine einzige Studie hat das Risiko für eine Divertikelblutung unter der heute weitestgehend
üblichen 100 mg Dosierung von Aspirin untersucht. Yamada et al. berichten in der krankenhaus-basierten
Fall-Kontroll-Studie über eine OR von 3,7 in der univariaten Analyse [138]. Andere Thrombozytenaggregationshemmer wie Cilostazol, Sarpogelat und Dipyridamol
erreichen in der univariaten Analyse eine OR von 2,3. In der multivariaten Analyse
wurden ASS 100 und andere Thrombozytenaggregationshemmer zusammengefasst und erzielen
eine OR von 3,0 [120]. Eine spanische, populations-basierte Untersuchung identifizierte 2130 Divertikelblutungen.
Von 189 Fällen wurde die Begleitmedikation erhoben. Die Studie zeigt, dass „low-dose“
Aspirin mit 21,7 % die häufigste Begleitmedikation ist, etwa gleichauf liegen NSAIDS
und Antikoagulantien mit 14,8 und 14,3 % [137]
[145].
Corticosteroide
In der krankenhaus-basierten Fall-Kontroll-Studie von Jansen et al. wurden von 140
Patienten mit einer Divertikelkrankheit 30 mit einer Divertikelblutung identifiziert.
4/30 (13,3 %) Patienten mit Divertikelblutung nahmen Steroide ein gegenüber 4/110
(2,7 %) aus der Gruppe ohne Blutung. In einer Multivariatanalyse erwies sich die Steroideinnahme
als ein unabhängiger Risikofaktor für die Divertikelblutung [141].
Calciumantagonisten
In der Arbeit von Jansen nahmen 10/30 (33,3 %) der Patienten mit Divertikelblutung
Calciumantagonisten gegenüber 23/110 (20,9 %) aus der Gruppe ohne Blutung ein. In
einer Multivariatanalyse erwies sich die Einnahme von Calciumantagonisten als ein
unabhängiger Risikofaktor für die Divertikelblutung [137]
[141].
Kapitel 3: Klinisches Erscheinungsbild (Definitionen), natürlicher Verlauf, Komplikationen,
Epidemiologie
Kapitel 3: Klinisches Erscheinungsbild (Definitionen), natürlicher Verlauf, Komplikationen,
Epidemiologie
3.1. Definitionen
Statement 3.1.1. (modifiziert 2021)
Eine „Divertikelkrankheit“ des Kolons liegt vor, wenn es bei bestehender Divertikulose
zu Symptomen, einer Entzündung und/oder Komplikationen kommt.
Evidenzlevel 1, Konsens
Kommentar:
Dieses Statement wurde intensiv diskutiert. Grundkontroverse war der Zusammenhang
von klinischer Symptomatik und Divertikulose ohne vorherigen Schub einer akuten Divertikulitis.
Da sowohl abdominelle Symptome als auch eine Divertikulose sehr verbreitet sind ist
die Unterscheidung von Koinzidenz und Kausalzusammenhang schwierig.
Aktuell gibt es keine allgemeingültige Definition der Divertikelkrankheit (siehe 2.2.1.
Hintergrund). Es gibt große Unterschiede zwischen den nationalen und internationalen
Leitlinien. Hierbei zeigen viele Empfehlungen nur eine moderate oder geringe Evidenz
[146]
[147]
[148]
[149]
[150]
[151]
[152]
[153]. Der Begriff der Divertikelkrankheit wird in der Literatur mit einem Spektrum von
Krankheitserscheinungen in Verbindung gebracht, die als Grundbedingung eine Beziehung
zur einer vorbestehenden Kolondivertikulose aufweisen. In einigen Arbeiten wird zwischen
Divertikelkrankheit und Divertikulitis als eigener Entität differenziert, während
in anderen Arbeiten unter dem Begriff der Divertikelkrankheit die Divertikulitis und
die Divertikelblutung subsumiert werden [98]. Von einigen Autoren wird zwischen einer asymptomatischen oder unkomplizierten bzw.
einer symptomatischen oder komplizierten Kolondivertikulose differenziert. Dabei werden
Patienten mit (chronisch) persistierenden Schmerzen, die akute Kolondivertikulitis
und Divertikelblutung unter der Diagnose komplizierte oder symptomatische Kolondivertikulose
zusammengefasst [154].
Statement 3.1.2. (modifiziert 2021)
Die Divertikulitis ist die Entzündung von Divertikeln. Zur akuten „Divertikulitis“
kommt es bei Entzündung der Pseudodivertikel und angrenzender Strukturen. Eine akute,
komplizierte Divertikulitis liegt bei Perforation, Fistel und/oder Abszess vor.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Die Divertikulitis ist die Entzündung von Divertikeln, am ehesten bedingt durch eine
fäkale Impaktierung am Divertikelhals. Hierdurch kann es zur Störung der lokalen Mikrozirkulation
[147]
[155] kommen; eine längere Retention von keimbelasteten Stuhl mit Ausbildung von Kotsteinen
kann auch Druckulzerationen hervorrufen [17]. Der Entzündungsprozess geht von Kolondivertikeln aus und greift auf benachbarte
Strukturen über. Histopathologisch zeigen sich prominente Schleimhautaufwerfungen
mit gestörter Kryptenarchitektur und Kryptitis, Ulzerationen mit lymphozytären und
neutrophilen Infiltraten, Fibrosierung der Lamina propria mucosae sowie eine Hyperplasie
und Aufsplitterung der Lamina muscularis mucosae [18]. Komplikationen können gedeckte Perforation, Abszess, Fistel, Stenose, divertikulitischer
Pseudotumor, aber auch eine freie Perforation mit Peritonitis sein. Hiervon abzugrenzen
ist die mit Divertikulose assoziierte segmentale Kolitis (SCAD: „segmental colitis
associated with diverticulosis“), mit streng auf den divertikeltragenden Darmabschnitt
begrenzter Inflammation [22].
Die akute Divertikulitis wird in eine unkomplizierte (nicht perforierte) und eine
komplizierte (gedeckt oder frei perforierte) Divertikulitis differenziert [146]
[154]. Gedeckte Perforationen entstehen im Gefolge lokaler Entzündungsprozesse und können
Ausgang für Abszedierungen und Fistelbildungen sein. Eine freie Perforation in die
Bauchhöhle ist zumeist durch eine Schwächung der dünnwandigen Divertikelkuppe bedingt
[155]. Rezidivierende Entzündungsschübe können zu Fibrose, Wandverdickung und Stenose
führen; dies kann zur Passagestörung bis hin zum Ileus führen. In einigen Fällen lassen
sich Überlappungen mit histopathologischen Befunden beobachten, wie sie typischerweise
bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vorliegen (z. B. Granulome, transmurale
entzündliche Infiltrate, lymphoide Aggregate, Panethzell-Metaplasie) [21]. Bzgl. der deutschen Klassifikation sei auf das entsprechende Kapitel dieser Leitlinie
verwiesen.
Statement 3.1.3. (geprüft 2021)
Die chronische Divertikulitis ist gekennzeichnet durch rezidivierende oder persistierende
Entzündungsschübe, die zu Komplikationen (Stenose, Fisteln) führen können.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Der Terminus chronische Divertikulitis mit Stenose- bzw. Fistelbildung ist in der
Literatur und in einigen Klassifikationen, z. B. der von Hinchey oder Ambrosetti [156]
[157], nicht einheitlich vertreten (siehe 2.2.1). In der aktuellen Leitlinie wird diese
Situation als CCD Typ 3a–c klassifiziert. Bei der Divertikulitis CDD Typ 3a (SUDD)
existieren Überlappungen zu funktionellen Krankheitsbildern [150]. Andere Patienten entwickeln eine rezidivierende oder ‘schwelende’ (‘smouldering’)
Divertikulitis, der teilweise relevante organische Komplikationen wie Stenose, Striktur
oder Fistel zugrunde liegen. In einer großen prospektiven Studie zur Antibiotikatherapie
einer unkomplizierten Divertikulitis hatten 40 % der Patienten innerhalb des nachfolgenden
Jahres milde Schmerzen und/oder eine Änderung des Stuhlverhaltens [158]. Außerdem ist das Risiko für ein Reizdarmsyndrom nach stattgehabter akuter Divertikulitis
deutlich erhöht [159]. Allerdings konnte in einer aktuellen Studie keine Korrelation von bioptisch nachweisbarer
mukosaler Entzündung im Divertikel-tragenden Kolonsegment und gastrointestinalen Beschwerden
nachgewiesen werden [160].
Statement 3.1.4. (modifiziert 2021)
Eine symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) ist durch Schmerzen
gekennzeichnet, die einen Bezug auf das divertikeltragende Segment haben.
Evidenzlevel 1, Konsens
Kommentar:
Dieses Statement wurde wie das zur Definition der „Divertikelkrankheit“ kontrovers
diskutiert. Die SUDD wurde in der Deutschen Leitlinie von 2014 als Divertikelkrankheit
CDD Typ 3a klassifiziert [134]. Die SUDD kann letztlich nicht sicher von funktionellen Erkrankungen wie etwa dem
Reizdarmsyndrom differenziert werden [161]. Es fehlen kontrollierte Studien und eine klare Trennung zwischen persistierende
Symptomatik nach akuter unkomplizierter Divertikelkrankheit und SUDD ohne vorherige
Divertikulitis [149]
[162]
[163]
[164].
Während die Begriffe Divertikulitis und asymptomatische Divertikulose grundsätzlich
in ihrer Bedeutung seit Jahrzehnten etabliert sind, hat sich in jüngerer Zeit die
Erkenntnis ergeben, dass es im Zusammenhang zu bestehender Divertikulose Symptome
gibt, die trotz intensiver wissenschaftlicher Bemühungen und zunehmender Teilerkenntnisse
[165]
[166] nicht durch eindeutige Merkmale eingeordnet werden können. Es finden sich Begriffe
wie symptomatische Divertikulose oder – mehrheitlich – (symptomatische) unkomplizierte
Divertikelkrankheit (SUDD). Die kontroverse Diskussion dreht sich um die Frage, ob
es sich hier um ein symptomatisches Geschehen im Rahmen eines Reizdarmsyndroms bei
koinzidentell bestehenden Divertikeln handelt, oder um Reizdarm-ähnliche Symptome
bei einem eigenständigen Krankheitsbild im Rahmen der bestehenden Divertikelbildung.
SUDD wird als Syndrom mit wiederkehrenden Bauchschmerzen ohne Vorhandensein von Schleimhautveränderungen
und anderweitigen Erklärungen für die Beschwerden bei Patienten mit Divertikeln charakterisiert
[149]
[162]. Der Symptomenkomplex SUDD beinhaltet Bauchschmerzen bzw. Bauchbeschwerden („Discomfort“),
Blähungen, Stuhlgangveränderungen, Durchfall und Verstopfung. Die Symptome können
gemeinsam und einzeln auftreten. Die Patienten umfassen eine große Patientengruppe,
nämlich etwa 20 % der Patienten mit Divertikulose [167]. SUDD führt zu einer reduzierten Lebensqualität [168].
Die Pathophysiologie von SUDD ist unklar [98]
[169]. Es werden u. a. eine viszerale Hypersensitivität mit Hyperalgesie im divertikeltragenden
Sigma, eine Reduktion von interstitiellen Zellen von Cajal (ICC) bzw. Gliazellen im
Kolon ohne Nachweis von neuronalen Auffälligkeiten und eine Erniedrigung der elektrischen
slow wave Aktivität mit resultierendem verlangsamtem Transit beschrieben. Auch eine
Vermehrung von Nervenfasern im enterischen Nervensystem konnte nachgewiesen werden
[170]
[171].
Die Abgrenzung zu funktionellen Magendarmerkrankungen (z. B. Reizdarmsyndrom) ist
schwierig [75]
[98]
[147]
[148]
[162]
[172]
[173]
[174]. So entwickeln einige Patienten eine chronische Manifestation ihrer Divertikulitis
außerhalb von rezidivierenden oder schwelenden („smoldering“) Entzündungen, Strikturen
bzw. Fisteln. In einer randomisierten Studie mit oder ohne Antibiotikatherapie einer
initialen CT-geprüften unkomplizierten Divertikulitis hatten 40 % der Patienten innerhalb
des folgenden Jahres milde bis moderate Schmerzen und/oder Änderungen ihres Stuhlverhaltens
[158]. In einer großen retrospektiven Analyse an US Veteranen war das Risiko eines Reizdarmsyndroms
nach Divertikulitis bzw. funktionellen Darmbeschwerden 5- bzw. 2,5-fach höher im Vergleich
zu Patienten ohne Divertikulitis [159]. In einer anderen großen prospektiven Studie konnte keine Assoziation zwischen Reizdarmsyndrom
und Divertikulose nachgewiesen werden [175].
Unklar bleibt, ob die Beschwerdesymptomatik in Zusammenhang mit einer stattgehabten
Entzündungsreaktion analog zum postinfektiösen Reizdarm zu sehen ist. Dies wird auch
bei den retrospektiven Auswertungen nicht deutlich. Die Abgrenzung zum Reizdarm gelingt
durch definierte lokale auf ein Divertikel tragendes Kolonsegment projezierbaren Druckschmerz
im Gegensatz zur nicht klar lokalisierten Symptomatik beim Reizdarm. Weiterhin ist
das Altersspektrum bei SUDD und Reizdarm unterschiedlich, wobei die Reizdarmsymptomatik
eher bei jüngeren Patienten (20 bis 30 Jahren) auftritt ist diese bei der SUDD häufig
jenseits des 60. LJ aufzufinden. Weiterhin können bei Patienten mit einer SUDD minimal
erhöhte Entzündungsmarker (Calprotectin) im Stuhl detektiert werden, dies lässt sich
weiterhin vom Reizdarm abgrenzen [176]. Daten zur zwingend vorher stattgehabten Entzündungsreaktion bei der Entstehung
der SUDD sind nicht einheitlich.
In einem sehr abgewogenen, besonders instruktiven Review kommen die Autoren zu folgenden
Schlüssen: Der Zusammenhang von Reizdarm und Divertikeln ist komplex. Bei manchen
symptomatischen Patienten handelt es sich möglicherweise um das koinzidente Auftreten
zweier Krankheitsbilder. Andererseits ergeben sich zunehmend Befunde, die für eine
eigenständige Krankheitsentität der SUDD auf dem Boden einer besonderen Pathophysiologie
sprechen [174].
3.2. Epidemiologie (geprüft 2021)
Die Prävalenz der Divertikulose in der Gesamtbevölkerung der westlichen Industrienationen
ist hoch, besonders bei älteren Menschen.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Die Prävalenz der Divertikulose wird mit 28 % für Screening Koloskopien [68]
[177], 45 % für Barium Kontrasteinlauf [178]
[179]
[180]
[181] bzw. mit 60 % für über 70-Jährige in Autopsiestudien [23] angegeben.
Die Prävalenz nimmt mit dem Lebensalter zu: z. B. von 0,17 auf 5,74 pro 1000 in den
Altersgruppen bis 15–44 Jahre versus > 75 Jahre [68]
[172] bzw. von 5 % bei 30–39-jährigen versus 60 % bei über 80-jährigen [182]. Eine große japanischen Studie analysierte 62 503 „check-up“ Koloskopien, die innerhalb
von 20 Jahren durchgeführt worden waren. Eine Divertikulose fand sich bei 11 771 Personen
(18,8 %). Die Prävalenz nahm mit dem Lebensalter zu. Auch die Häufigkeit der Divertikulose
stieg im Beobachtungszeitraum von 13 % (zwischen 1990–2000) auf 23,9 % (zwischen 2001–2010).
Während eine rechtsseitige Lokalisation bei jüngeren Patienten (< 60 J.) häufiger
beobachtet wurde, überwog bei älteren Patienten die linksseitige Divertikulose. In
dieser Studie fand sich eine deutlich höhere Prävalenz der Divertikulose bei Männern
als bei Frauen, was möglicherweise auf die untersuchte Kohorte („check-up“ Koloskopie)
zurückzuführen ist [183].
Statement 3.2.2. (modifiziert 2021)
Die Hospitalisierungsrate aufgrund einer Divertikelkrankheit (Divertikulitis, Blutungen)
nimmt mit dem Lebensalter zu. In den westlichen Industrienationen ist eine Zunahme
der Hospitalisierungsrate in den letzten Jahrzehnten zu beobachten.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Zahlreiche populationsbasierte retrospektive und prospektive Kohortenstudien bzw.
Metaanalysen zeigen anhand von Registerdaten in Europa und in den USA steigende Hospitalisierungsraten
für die akute Divertikulitis [73]
[173]
[184]
[185]
[186]
[187]
[188]
[189]. Hierbei ist der relative Anstieg am höchsten bei jüngeren Patienten zwischen 40
bis 49 Jahren [188]. Bis zum 60. Lebensjahr ist die akute Divertikulitis häufiger bei Männern[188]
[190]. Die Hospitalisierungsrate ist am höchsten bei weißen Amerikanern und hierbei vergleichbar
mit Amerikanern afrikanischer bzw. spanischer Herkunft. Am niedrigsten ist sie bei
Asiaten[189]. Die Divertikulitisrate ist höher bei Städtern als auf dem Land lebenden Menschen
[191]. Sie ist ebenfalls mit niedrigerem Einkommen und Bildungsniveau verbunden [128] und häufiger in entwickelten Ländern [179].
Das schottische Gesundheitssystem (National Health System) dokumentierte von 2000
bis 2010 Krankenhauszuweisungen wegen divertikelbezogener Beschwerden inklusive Divertikelblutungen
von 90 990 Patienten. Hierbei nahm im Untersuchungszeitraum von 10 Jahren die jährliche
Rate an Zuweisungen um 4,5 % zu (6591 Fälle im Jahr 2000 auf 10 228 Fälle im Jahr
2010). Dieser Anstieg war u. a. wesentlich durch Eintagesfälle (3618 Fälle im Jahr
2000 auf 6925 Fälle im Jahr 2010) bedingt. Auch mehrtägige stationäre Aufnahmen nahmen
um 11 % zu (2973–3303). 60 % dieser Patienten waren Frauen. Der Anstieg der Zuweisungen
jüngerer Patienten stieg proportional an und es fand sich keine Assoziation zu körperlichen
Beeinträchtigungen. Obwohl die Rate an komplizierter Divertikelkrankheit von 22,9 %
im Jahr 2000 auf 27,1 % im Jahr 2010 anstieg und in 16,8 % notfallmäßige Aufnahmen
stattfanden, nahm die Rate der Operationen im Beobachtungzeitraum ab [192].
Auch in England werden zunehmende Hospitalisierungsraten wegen akuter Divertikulitis
beschrieben, auch wenn in einigen Arbeiten die Aussagen durch Unklarheiten bei der
Kodierung limitiert sind [186]
[187]. Eine große populationsbasierte prospektive Studie in England schätzt aber eine
von 1996 bis 2006 zunehmende Inzidenz der Krankenhausaufnahmen und Eintagesfällen
wegen Divertikelkrankheit von 0,56 auf 1,2/100 000 Einwohner [192]. In 2 großen prospektiven Kohortenstudien aus England und den USA mit einer Nachbeobachtungszeit
von 18 bzw. 11,6 Jahren fand sich eine Divertikulitisinzidenz zwischen 1–2 % [193]
[194]. In einer weiteren großen italienischen prospektiven Studie [197] wurden zwischen 2008 und 2015 insgesamt 174 436 Patienten, die wegen einer akuten
Divertikulitis aufgenommen wurden, untersucht. Hierbei wurden Frauen häufiger aufgenommen
(54,9 %). Das mittlere Alter war 70 Jahre. Während des Untersuchungszeitraums war
ein signifikanter Anstieg von 30 % (von 18 797 auf 24 342) (p < 0,001) zu verzeichnen,
während die Rate der Aufnahme wegen anderer Erkrankungen signifikant um 25 % abnahm
(von 9890 961 auf 7827 402) (p < 0,001). Insgesamt war die Krankenhausaufnahme wegen
akuter Divertikulitis von 39/100 000 Einwohner im Jahr 2008 auf 48/100 000 im Jahr
2015 um 3 % signifikant (p < 0,001) steigend. Die Rate pro Krankenhausaufenthalte
stieg um 7,5 % von 248/100 000 im Jahr 2008 auf 310/100 000 im Jahr 2015 (p < 0,001).
Frauen hatten eine höhere Rate an stationären Aufnahmen als Männer (p < 0,001), wobei
die steigende Aufnahme (p < 0,001) für beide Geschlechter, aber vermehrt für Männer
(3,9 % vs. 2,1 %) relevant war. Die Aufnahmerate war für ältere Patienten über 80
Jahre (mittlere Anzahl an Aufnahmen 152,94 ± SD 2,87/100 000 Einwohner) und im Alter
zwischen70–79 Jahren (99,23 ± SD 1,49/100 000) erhöht. Diese Zahlen waren im Untersuchungszeitraum
von 2008–2015 mit einem nicht signifikanten Anstieg von 0,2 %/Jahr für diese Altergruppen
stabil. Die niedrigste Zahl an Hospitalisierungen zeigten Patienten zwischen 18–39
Jahren (6,32 ± SD 0,93/100 000 Einwohner). Diese Altersgruppe zeigte aber einen signifikanten
(p < 0,001) Anstieg von 6,6 %/Jahr. Signifikante Anstiege pro Jahr zeigten auch die
Altersgruppen 60–69 Jahre (mittlerer Anstieg von 2,7 %/Jahr), 50–59 Jahre (5,1 %/Jahr)
und am höchsten bei Patienten zwischen 40–49 Jahren (7,1 %/Jahr). Bezüglich des Geschlechterverhältnis
waren in der Patientengruppe unter 60 Jahren überwiegenden Männer (Männer zu Frauen
Ratio 4,32 (95 % CI 4,09–4,58), 2,44 (95 % CI 2,36–2,52) und 1,24 (95 % CI 1,21–1,27)
für Patienten der Altersgruppen 18–39, 40–49 und 50–59 Jahre. Im Gegensatz hierzu
dominierten Frauen in den Altersgruppen 60 bis > 80 Jahre (60–69 Jahre: Männer zu
Frauen Ratio 0,87 (95 % CI 0,85–0,89), 0,78 (95 % CI 0,77–0,80), 0,80 (95 % CI 0,78–0,81),
70 bis 79 und ≥ 80 Jahre. In den USA wird die jährliche altersadjustierte Zunahme
der Krankenhausaufnahme wege einer akuten Divertikulitis (akute Entzündung, Bauchschmerzen,
Systemreaktion) von 1998 bis 2005 auf 26 % geschätzt [73]
[186]. Eine weitere Studie aus den USA zeigte von 2002 bis 2007 einen Anstieg der Hospitalisierung
wegen akuter Divertikulitis von 9,5 % mit 85 % Notfallaufnahmen, die medikamentöse
behandelt wurden [74]. Auch wurden in den USA in einer Studie geographische Unterschiede bezüglich der
Krankenhausaufnahme wegen Divertikulitis beschrieben [173]. Hierbei war die altersadjustierte Hospitalisierung wegen Divertikulitis im Westen
geringer (50,4/100 000), im Vergleich zum Nordosten (77,7/100 000), Süden (73,9/100 000)
und Mittelwesten (71,0/100 000) der USA.
Viele Studien zeigen eine Zunahme der Divertikulitis insbesondere bei Jüngeren. So
war das Risiko für eine Divertikulitis für Patienten im höheren Lebensalter geringer
als bei Jüngeren [75]. Die „relative“ Zunahme der Hospitalisierungsrate wegen akuter Divertikulitis betraf
in einer weiteren Studie vor allem jüngere Patienten, wobei jährlich 44 bis 120 Patienten/100 000
Einwohner wegen Divertikulitis stationär behandelt wurden [196]. Andere Untersuchungen zeigen, dass in der letzten Dekade v. a. bei Patienten unter
45 Jahren eine deutliche Zunahme der Divertikulitis zu beobachten ist [73]
[173]
[185]
[197].
Bei der Divertikulitis jüngerer Patienten Jahren dominieren die Männer, während bei
Patienten > 50 Jahren das weibliche Geschlecht dominiert [154]
[195]. Während einige Studien einen schwereren Verlauf im jungen Alter zeigen [198]
[199], finden andere Untersuchungen keine Korrelation mit dem Alter [78]
[196]
[200]
[201]
[202]
[203]
[204]. Daten zur Häufigkeit der komplizierten (Phlegmone, Abszess, Peritonitis, Obstruktion,
Fistel, Perforation) Divertikulitis liegen populationsbezogen aus verschiedenen Ländern
vor [110]
[184]
[205]
[206]. Hierbei ist in etwa 12 % mit Komplikationen zu rechnen, wobei 70 % der Patienten
Phlegmonen bzw. Abszesse entwicklen [97]
[188]. Hierbei war die Mortalität innerhalb eines Jahres nach Divertikelperforation mit
19,2 % höher im Vergleich zur Sterblichkeit der alters- und geschlechtsvergleichbaren
Allgemeinbevölkerung (4 %). Die höchste Mortalität mit 13,7 % war im Zeitraum von
3 Monaten nach Divertikelperforation zu beobachten [97]. Eine Divertikulitis unter immunsuppressiver Therapie [207] bzw. nach Organtransplantation hat einen schwereren Verlauf. Ein systematisches
Review zu dieser Thematik gibt – bei unterschiedlichen Nachbeobachtungszeiten – die
Inzidenz einer akuten Divertikulitis mit 1 % an (sofern Divertikel vorbekannt sind
sogar 8 %); die Letalität der Divertikulitis lag in dieser Patientengruppe bei bis
zu 25 % [117].
Statement 3.2.3. (neu 2021)
Die rechtsseitige Divertikulose unterscheidet sich von der linksseitigen Divertikulose
durch geographische Verteilung, klinische Symptomatik und Verlauf.
Evidenzlevel 4, Starker Konsens
Kommentar:
In Japan besteht eine höhere Prävalenz rechtsseitiger versus linksseitiger Divertikel
[208], deren Ätiologie aber ähnlich zu sein scheint [15]. Eine Studie an 207 Vietnamesen zeigte im Vergleich zu 299 Kaukasiern deutlich häufiger
rechtsseitige Divertikulose (30 versus 3 %) [209]. In einer anderen Fallkontrollstudie mit 30 vs. 70 Kaukasiern mit rechtsseitiger
vs. linksseitiger Divertikulose waren Patienten mit rechtsseitiger Divertikulose jünger,
weniger adipös, hatten häufiger nur fokale Inflammation und seltener Komplikationen
[210].
Statement 3.2.3. (modifiziert 2021)
Nach einer akuten Divertikulitis kann die Lebensqualität eingeschränkt sein
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Eine kleinere Studie mit strukturierten Interviews an 50 Patienten mit symptomatischer
Divertikelkrankheit hatte Hinweise auf eine im Vergleich zu Gesunden deutlich reduzierte
Lebensqualität ergeben [168]. In einer Metaanalyse von 21 Studien mit 1858 Patienten fanden sich bei 36 % der
Patienten nach konservativ therapierter Divertikulitis gastrointestinale Beschwerden
[211]. Auch die Nachuntersuchung der prospektiv randomisierten DIABOLO Studie, erbrachte
bei einem Drittel der 528 Patienten eine relevante Einschränkung der Lebensqualität
– unabhängig davon ob mit Antibiotika therapiert oder observiert worden war [212]. Mögliche Korrelate ergaben sich in erhöhten Neuropeptidspiegel, die sich in Kolonbiopsien
von Patienten mit symptomatischer Divertikelkrankheit nachweisen ließen [62] oder eine erhöhte antizipierte Schmerzwahrnehmung, die in der funktioneller Magnetresonanztomographie
nachweisbar war [213].
3.3. Verlauf/Rezidivrisiko/Mortalität
Statement 3.3.1. (modifiziert 2021)
Die Mehrheit der Divertikulitisrezidive verlaufen mild und können konservativ und
ambulant behandelt werden. Die Rezidivrate nach akuter Divertikulitis hängt vom Schweregrad
der initialen Divertikulitis ab und verläuft nicht schwerer als die initiale Divertikulitis.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Bei etwa 4–10 % der Patienten entwickelt sich trotz Antibiotikatherapie eine schwelende
(„smoldering“) Entzündung mit Schmerzen, Leukozytose, Entzündungszeichen, Fieber bzw.
Entzündungszeichen im Computertomogramm), [214]
[215]. Die Literaturlage bezüglich der Rezidivrate einer akuten Divertikulitis ist aber
uneinheitlich. So ist die Einschätzung der Rezidivraten in der Literatur durch die
unzureichenden Register über den natürlichen Verlauf der Erkrankung und die Operationsfrequenz
nach 2 Episoden einer akuten Divertikulitis eingeschränkt. Rezidivraten nach medikamentös
behandelter Divertikulitis werden in Abhängigkeit der untersuchten Population und
Untersuchungsdauer zwischen 13,3 % und 36 % beschrieben [216]. Diese Zahlen mögen unterrepräsentiert sein, da Divertikulitis Rezidivfälle, die
nicht stationär versorgt werden, nicht erfasst wurden [216]. Zusätzlich fehlen häufig stringente Bildgebungen und Referenzstests. Die Mehrheit
der Divertikulitisrezidive verlaufen aber mild und können konservativ und ambulant
behandelt werden [198]
[200]
[217]
[218]
[219]
[220]
[221]
[222]. Auch treten die meisten Perforationen bei der ersten Divertikulitis und nicht während
der Rezidive auf und multiple Rezidive sind nicht mit einer höheren Komplikationsrate
assoziiert [154]
[205]
[223]
[224]
[225]
[226]
[227]
[228]
[229]. Die in der Literatur angegebenen Rezidivraten bewegen sich in den o. a. zwischen
9 und 47 %. Rezidivraten nach akuter medikamentös behandelter Divertikulitis werden
hierbei zwischen 18,8 % (60/320), mediane Kontrollperiode 101 Monate [230], 20,8 % (46/221), [78] bzw. 26 % (78/297) mit einer 46 % Rezidivrate (36/78) im ersten Jahr angegeben [221]. Neuere Untersuchungen zeigen Rezidivraten von etwa 8 % im ersten und von 20 % innerhalb
von 10 Jahren nach initialer Divertikulitis [98]. Zwei Studien mit adäquater Referenztestung beschreiben eine Rezdivrate von 9 %
[222] und 23 % [200]. Das höchste Risiko besteht mit 10 % im ersten Jahr und sinkt dann auf 3 % [219]. In einer neueren retrospektiven Studie an 672 Patienten wurde eine 5-Jahresrezivrate
von 36 % (95 % CI, 31,4 40,6 %) erhoben [231] und in einer prospektiven Untersuchung bei 280 Patienten mit geprüfter unkomplizierter
Divertikulitis während eines Beobachtungszeitraum von 24 Monaten eine Rezdivrate von
16,4 % (n = 280) beobachtet [232]. Eine aktuelle Literaturanalyse zeigte eine Rezidivrate nach akuter Divertikulitis
von 25–35 % mit einem niedrigen Risiko für schwere Komplikationen (z. B. Perforationen),
der Notwendigkeit einer Notfalloperation von 2–14 % und dem Risiko einer Stomaanlage
bzw. Versterben von 0–2,7 % innerhalb eines Beobachtungszeitraum von 5 Jahren [195]. In einer prospektiven Untersuchung an 320 Patienten waren nach initialer akuter
Divertikulitis 61 % im Verlauf asymptomatisch und 22 % klagten über chronische Beschwerden.
Das Rezidivrisiko innerhalb eines Beobachtungszeitraum von 12 Jahren war für ein Rezidiv
21,2 %, für eine Notfalloperation 8,3 %, für eine Stomaanlage 1 % und für das Versterben
0 % [195].
Statement 3.3.2. (neu 2021)
Erhöhte Komplikationsraten bei Rezidiven nach einer initialen akuten Divertikulitis
sind mit einem jüngeren Alter, einer Multimorbidität, einer Immunsuppression oder
einer komplizierten initialen Divertikulitis, speziell einer Abszessbildung assoziiert.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Frühere Untersuchungen ließen vermuten, dass die Divertikulitis eine progressive Erkrankung
mit zunehmendem Komplikationsrisiko sei. Demgegenüber zeigen aber neuere Untersuchungen,
dass die Komplikationen mit Ausnahme von Fisteln überwiegend während der ersten Divertikulitismanifestation
auftreten. So konnte z. B. in einer prospektiven Studie an 900 Patienten gezeigt werden,
dass das Perforationsrisiko bei der ersten Divertikulitis 25 % war und auf 0 % bis
zum dritten Rezidiv abnahm [97]
[233]. Ebenfalls zeigen populationsbasierte Studien, dass das Risiko eines Rezidivs nach
einer medikamentös behandelten initialen Divertikulitis nicht höher als nach einer
unkomplizierten Divertikulitis war und dass die Morbidität und Mortalität einer rezidivierenden
Divertikulitis nicht mit der Zahl der vorherigen Divertikulitisepisoden korrelierte
[188]
[199]
[223]. Auch in einer linearen logistischen Regressionsanalyse im Rahmen einer retrospektiven
Kohortenstudie war die initiale unkomplizierte Divertikulitis nicht mit einem erhöhten
Komplikationsrisiko während des Rezidivs (OR 1,58; CI 0,52–4,81) assoziiert. Ebenfalls
waren multiple Rezidive nach einer unkomplizierten Divertikulitis nicht mit einem
erhöhten Risiko einer komplizierten Divertikulitis (Level 3) verbunden [158]. Ähnliche Ergebnisse finden sich in einer aktuellen großen retrospektiven Literaturanalyse
[234]. So wurden von 1985 bis 2006 die Entlassungsberichte von stationären Patienten in
New York systematisch untersucht, die durch die New York Statewide Planning and Research
Cooperative System (SPARCS) Datenbasis erhoben wurden. SPARCS ist ein robustes Register,
das Patienten bezüglich ihrer Demographie, Patientencharakteristika, Diagnosen und
Behandlungen für jeden Krankenhausaufenthalt im Staat New York erfasst und die internationale
DRG International Classification of DiseasesV9th Rev. (ICD-9) zur Kodierung benutzt
[234]. In dieser Analyse hatten die meisten Patienten (91,3 %) nach einer initialen stationären
Aufnahme wegen akuter unkomplizierter Divertikulitis keine weiteren diesbezüglichen
Aufnahmen. In einer anderen populationsbasierten Studie konnte allerdings gezeigt
werden, dass Patienten mit Rezidivdivertikulitis ein erhöhtes Risiko für weitere Divertikulitiden
haben. So lag das Risiko für eine weitere Divertikulitis bei 18 % im ersten Jahr,
bei 55 % innerhalb von 10 Jahren und nach einem dritten Schub bei 40 % innerhalb von
3 Jahren [188].
Jüngeres Lebensalter
Bei der Bedeutung einer Altersabhängigkeit für ein Divertikulitisrezidiv ist zu berücksichtigen,
dass die in der Literatur berichtete höhere Rezidivrate bei jungen Patienten durch
die höhere Lebenserwartung mit höherem akkumuliertem Risiko [154]
[195]
[216] bedingt sein kann. So zeigte sich in einer populationsbasierten Studie an 314 konservativ
behandelten Patienten eine Rezidivrate von 13,3 % während einer Beobachtungszeit von
8,9 Jahren, wobei Patienten > 50 Jahren eine niedrigere und Patienten Komorbidität
eine höhere Rezidivrate aufwiesen [198]
[235]. Eine Metaanalyse von 23 078 Patienten aus acht Studien zeigte ebenfalls eine höhere
Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs bei Patienten unter 50 Jahren (RR 1,73; 95 % CI
1,40–2,13) im Vergleich zu Patienten über 50 Jahren.
Weitere Literaturdaten weisen ebenfalls auf einen hohen Einfluss des jüngeren Alters
bei der rezidivierenden Divertikulitis hin [199]
[236]
[237]. So finden sich 22 Studien mit 387 027 Patienten, die die Assoziation zwischen Alter
und Rezidiv analysierten. Drei prospektive Untersuchungen [202]
[232]
[238] eine Studie mit pro- und retrospektiven Daten [239] und 18 retrospektiven Untersuchungen [78]
[80]
[188]
[198]
[204]
[218]
[234]
[240]
[241]
[242]
[243]
[244]
[245]
[246]
[247]
[248]
[249]
[250]. Die drei prospektiven Studien fanden keinen signifikanten Zusammenhang [202]
[238]
[251] und die retrospektive Studie [239] ein höheres Risiko für jüngere Patienten < 40 Jahre (multivariate HR 5,01, 95 %
CI 1,25–20,08). Zehn der weiteren retrospektiven Studien ergaben eine Relation zwischen
Alter und Rezidivrisiko [80]
[188]
[198]
[218]
[234]
[241]
[242]
[244]
[246]
[247]. Hierbei war das Alter < 50 Jahre signifikant mit einem höheren Risiko (multivariate
HR 1,24, 95 % CI 1,09–1,41 [244]; multivariate OR 1,20, 95 % CI 1,15–1,26) [234] und mit einem niedrigeren Risiko bei einem Alter > 50 Jahren (multivariate HR 0,68,
95 % CI 0,53–0,87 [198]; multivariate HR 0,69 pro steigender Dekade, 95 % CI 0,59–0,66 [188]; multivariate HR 0,83 für Alter 50–64 years, 95 % CI 0,80–0,87) [246] verbunden. Die weiteren Studien ergaben eine höhere Rezidivrate bei jüngeren Patienten
(Alter < 50, 40 %, 50–70, 17 %, Alter > 70, 19 % [218]; Alter ≤ 50, 26 %, Alter > 50, 11 %) [80] und beschrieben das Alter als unabhängigen Risikofakto [80]. In einer weiteren Studie war das Alter von Patienten mit rekurrenter Divertikulitis
jünger, als bei Patienten mit nur einer Divertikulitisepisode (59 vs. 66 Jahre) [247], während in einer anderen Studie ein Alter von > 80 Jahren als protektiver Effekt
für ein Divertikulitisrezidiv beschrieben wurde (multivariate HR 0,47, 95 % CI 0,37–0,60)
[242]. In weiteren neun nicht-adjustierten Studien konnte kein siginifikanter Effekt beobachtet
werden [78]
[204]
[240]
[241]
[243]
[245]
[248]
[249]
[250]. Ebenfalls wurde in zwei retrospektiven Studien an 1441 bzw. 636 Patienten kein
Unterschied bezüglich der Schwere und der Rezidivrate einer akuten Divertikulitis
zwischen Patienten < 50 und älter als 50 Jahren gefunden [196]
[204].
Adipositas
Die Literaturdaten bezüglich BMI und Rezidivdivertikulitis sind uneinheitlich. So
zeigen Studien, dass der BMI keinen signifikanten Einfluss auf die Rezidivrate nach
Divertikulitis hat [236]. So konnte in drei retrospektiven Studien an insgesamt 898 Patienten kein Einfluss
gefunden werden [228]
[238]
[243]. Auch eine weitere retrospektive [228] und eine prospektive Studie konnten keinen Zusammenhang nachweisen (multivariate
HR 0,97, 95 % CI 0,91–1,03) [232]. Demgegenüber zeigte eine andere retrospektive Untersuchung eine erhöhte Rezidivrate
bei einem BMI > 30 (univariate OR 1,69, 95 % CI 1,08–2,64) [243]. Auch in einer kleinen retrospektiven Fallkontrollstudie mit 61 Patienten inkl.
11 Patienten mit rezidivierender Divertikulitis und 18 Gesunden konnte gezeigt werden,
dass eine Rezidivdivertikulitis signifikant mit einem höheren BMI (p = 0,002) assoziiert
war. In einer weiteren retrospektiven Analyse von ethnisch unterschiedlichen 347 Patienten
in New York, USA hatten übergewichtige Patienten mit einem BMI > 30 ein höheres Risiko
für eine Rezidivdivertikulitis als Nichtadipöse (OR, 1,69; 95 % CI, 1,08–2,64; p = 0,02)
[208]. Eine andere Studie aus New York analysierte 265 724 Patienten mit Divertikulitis
nach Risikofaktoren für rezidivierende Divertikulitiden. Hiernach war das Übergewicht
mit einem 11 % erhöhten Risiko für mindestens zwei stationäre Aufnahmen wegen Divertikulitiden
assoziiert (p < 0,0001) [15]. Eine ähnliche retrospektive Analyse aus Birmingham, UK konnte bei 65 162 Patienten
mit initialer Divertikulitis eine Rate von 11,2 % für nachfolgende stationäre Aufnahmen
wegen rezidivierender Divertikulitis nachweisen. Eine logistische Regressionsanalyse
konnte hierbei das Übergewicht als Risikofaktor für eine Rezidivdivertikulitis nachweisen
(OR 1,38 (95 % CI 1,26–1,52)) [209]. Schließlich konnte eine Analyse der Nurses Health Study an 1048 Patienten ebenfalls
eine Assoziation zwischen Übergewicht und rezidivierenden Divertikulitiden nachweisen.
Hierbei hatten Frauen mit einem BMI ≥ 30,0 kg/m2 ein höheres Risiko für eine Rezidivdivertikulitis (HR 1,66), (95 % CI, 1,09–2,51;
p = 0,002) im Vergleich zu Frauen mit einem BMI < 22,5 kg/m2, HR 1,44 (95 % CI, 1,16–1,79; p = < 0,001), [167]
[252].
Risikofaktor Multimorbidität
In der Primärversorgung beim Hausarzt findet sich die höchste Prävalenz der Divertikelkrankheit
bei alten und multimorbiden Patienten und mit einer hohen Zahl von Medikamenteneinnahmen
[253]. In einer aktuellen Literaturübersicht konnte gezeigt werden, dass Prädiktoren für
eine schwere komplizierte Divertikulitis neben einer Erstmanifestation der Divertikulitis,
die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika bzw. Kortison, ein hohes CRP und
deutlichen Veränderungen in der radiologischen Bildgebung auch eine Multimorbidität
mit einem Charlson Score > 3 ist [131]. In einer weiteren Arbeit über 65 162 Patienten und einer Divertikulitis-Rezidivrate
von 11,2 % konnten als Risikofaktoren für rekurrente Divertikulitiden neben jüngerem
Alter, weiblichem Geschlecht, Rauchen, Übergewicht, einer Dyslipidämie bzw. einer
initialen komplizierten Divertikulitis ebenfalls eine erhöhte Komorbidität mit einem
Charlson Komorbiditäts-Index > 20 charakterisiert werden [99]. Die Rezidivrate ist bei älteren Patienten aber grundsätzlich nicht erhöht [242], sondern wird wahrscheinlich die mit einem höheren Alter verbundenen Komorbiditäten
bedingt. So konnte nachgewiesen werden, dass zwischen Alter und Komorbidität mit COPD
bzw. Herzinsuffizienz eine signifikante Beziehung besteht [254].
Die Mortalität, Morbidität und das Risiko einer Komplikation sind bei einer Multimorbidität
auch bei einer elektiven Divertikeloperation erhöht. So konnte in einer retrospektiven
Kohortenstudie an 22 752 Patienten bei der Analyse von 3907 (17,2 %) multimorbiden
Patienten (17,2 % COPD, 5,8 % Herzinsuffizienz, 1,9 % COPD und Herzinsuffizienz) gezeigt
werden, dass die Anus praeter Anlage, Wundinfektionen, Lungen- bzw. postoperative
Komplikationen häufiger bzw. der Krankenhausaufenthalt im Vergleich zu den nicht-komorbiden
Patienten verlängert waren. Die Patienten waren ebenfalls älter und hatten einen höheren
Charlson Index und verursachten höhere Krankenhauskosten [254]. In einer multivariaten Analyse konnten die Autoren zeigen, dass die COPD mit erhöhten
Wundinfektionen (OR 1,4, 95 % CI 1,19–1,67) bzw. Lungenkomplikationen (OR 2,2, 95 %
CI 1,94–2,52) und Patienten mit Herzinsuffizienz eine dreifach erhöhte Krankenhaussterblichkeit
(OR 3,5, 95 % CI 2,59–4,63), eine fast zweifach erhöhte Rate einer Stomaanlage (OR
1,9, 95 % CI 1,68–2,27) und eine erhöhte Rate an postoperativen Komplikationen aufwiesen.
Insgesamt waren ein höheres Alter, speziell über 75 Jahren, eine COPD und eine Herzinsuffizienz
signifikant mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert.
In weiteren Studien konnte ebenfalls gezeigt werden, dass die Mortalität, das Risiko
einer Stomaanlage bzw. Wiederaufnahme nach einer elektiven Operation bzw. Notfalloperation
bei Älteren erhöht [255]
[256]
[257]. In einer großen Übersicht konnte bei der Rezidiv-Divertikulitis nachweisen, dass
die in 10–20 % auftretenden Wundinfektionen die höchste Morbidität (Mortalität < 5 %)
nach chirurgischer Therapie darstellen und dass die Komorbidität der Patienten und
die Notwendigkeit einer Notfalloperation die Hauptursachen für eine Sterblichkeit
sind [258].
Mortalität und Risikofaktor Immunsuppression
In einer populationsbasierten retrospektiven Analyse waren erhöhte Komplikationsraten
bei Rezidiven neben einem jüngeren Alter (OR 1,04; CI 1,00–1,08) auch bei einer immunsuppressiven
Therapie (OR 4,71; CI 1,21–18,28) assoziiert [259]. In einer großen Metaanalyse mit Medline, EMBASE, CENTRAL [260] konnten 11 Studien mit 2977 immunsupprimierten Patienten und Divertikulitis im Vergleich
zu 780 630 immunkompetenten Patienten analysiert werden. Hierbei war die Mortalität
der immunsupprimierten Patienten bei den Notfalloperationen, aber nicht bei der elektiven
Operation erhöht. Die Morbidität nach elektiver Operation war bei den immunsupprimierten
Patienten höher (RR 2,18) als bei den Immunkompetenten (RR 1,40). Eine weitere große
Metaanalyse mit Medline, EMBASE, CINAHL und Cochrane data base [261] konnte an 11 966 transplantierten Patienten eine Divertikulitisrate von 0,1 bis
3,5 % nachgewiesen werden. In 10 Studien mit komplizierter Divertikulitis war die
gepoolte Inzidenz einer akuten unkomplizierten Divertikulitis bei 1,7 % (95 % CI 1,0
to 2,7 %) und die einer komplizierten Divertikulitis bei 40,1 % (95 % CI 32,2 to 49,7 %).
Insgesamt zeigte etwa 1 Patient von 100 Transplantierten eine komplizierte Divertikulitis.
Eine weitere Literaturanalyse von 25 Studien [117] bei Transplantierten bzw. Patienten mit Kortisontherapie konnte eine Inzidenz von
8 % für die Divertikulitis mit einer Mortalität von 23 % bei chirurgischer Therapie
und von 56 % bei konservativer Therapie nachweisen. Die Gesamtmortalität war 25 %.
Die Autoren schlussfolgern, dass transplantierte bzw. mit Kortison therapierte Patienten
höhere Raten an akuten Divertikulitiden und Mortalität als die Allgemeinbevölkerung
haben.
Risikofaktor komplizierte initiale Divertikulitis, speziell Abszessbildung
Viele Studien zeigen, dass die Schwere der initialen Divertikulitis für das Risiko
eines Rezidivs bzw. dessen Verlauf relevant ist. So zeigten Patienten mit initialer
komplizierter Divertikulitis, speziell Abszessen ein höheres Rezidivrisiko und einen
schlechteren Verlauf (Outcome), [234]. In dieser Studie (s. o.) waren die Daten für das Jahr der Erkrankung, für die Krankenhausgröße,
die Rasse, die Versicherung und für das Einkommen erhoben und für diese Parameter
adjustierte Risikofaktoren (OR 95 % CI) für Rezidiv und Verlauf (Outcome) erstellt
worden. Hiernach lagen die Rezidiv-Risikoraten (OR) für die Faktoren Alter < 50 vs.
> 50 Jahre bei 1,18 (1,13–1,24) bzw. für einen schweren Verlauf der Erkrankung bei
1,13 (1,04–1,23), für die nicht altersbezogene unkomplizierte vs. die komplizierte
Divertikulitis bei 1,24 (1,16–1,32) bzw. 2,51 (2,30–2,74), für die komplizierte Divertikulitis
< 50 Jahre vs. > 50 Jahre bei 1,63 (1,40–1,89) bzw. 2,95 (2,43–3,58), für die altersunabhängige
Abszessdrainage vs. keine Abszessdrainage bei 1,84 (1,60–2,11) bzw. 4,89 (4,15–5,76)
und für die Abszessdrainage < 50 Jahre vs. Abszessdrainagen > 50 Jahre bei 2,27 (1,74–2,95)
bzw. 5,58 (4,14–7,53). Die Autoren empfehlen aus ihren Daten, dass Patienten mit einer
komplizierten initialen Divertikulitis, speziell bei Abszessbildung und jüngeren Patienten
(< 50 Jahre) nach zwei stationären Aufnahmen wegen Divertikulitis eine elektive Operation
angeboten werden soll [234].
Die Bedeutung der Schwere der initialen Divertikulitis, speziell einer Abszessbildung,
für den weiteren Verlauf und einer Rezidivdivertikulitis wird auch in anderen Untersuchungen
betont [231]
[262]
[263]
[264]
[265]. In einer retrospektiven Kohortenstudie wiesen 3148 Patienten mit einem mittleren
Alter von 65,1 Jahren, einer früheren Divertikulitis bei 25,6 % und einer Multimorbidität
bei 48,1 % innerhalb von 30 Tagen nach Einweisung eine stationäre Sterblichkeit von
8,7 %, eine Sterblichkeit nach Entlassung von 2,5 % und eine Wiederaufnahme von 23,8 %
innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung auf [264]. Eine Literaturanalyse zeigte, dass der Verlauf einer Divertikulitis bei Jüngeren
nicht schwerer als bei Älteren war, aber die Erkrankung tendenziell bei Jüngeren häufiger
erneut auftrat [262]. In einer weiteren Literaturanalyse wurde die Bedeutung der Schwere der initialen
Divertikulitis auf den weiteren Verlauf evaluiert [236]. Hierbei wurde an 14 Studien und 368 452 Patienten die Bedeutung der Abszessbildung
während der initialen Divertikulitis auf den weiteren Verlauf analysiert. Vier retrospektive
Studien zeigten ein erhöhtes Rezidivrisiko (Hinchey Ib und II; multivariate HR 2,6,
95 % CI 1,51–4,33 multivariate OR 1,67, 95 %CI 1,45–1,94; Hinchey Ib, OR 2,04, 95 %
CI 1,13–3,67, Hinchey II, OR 6,05, 95 % CI 2,62–13,99; multivariate HR 2,02, 95 %
CI 1,92–2,13). Eine retrospektive Studie berichtete über ein erhöhtes Risiko bei mehr
als einem Abszess (abscess ≥ 1, multivariate HR 5,29, 95 % CI 2,11–13,3) [241].
Darüber hinaus wurde ein erhöhtes Rezidivrisiko nach konservativ behandelter perforierter
Divertikulitis mit freier Luft im CT (Hinchey III) beschrieben [204]. Ebenfalls verminderte eine initiale Divertikulitis ohne Abszess das Risiko für
ein Rezidiv (univariate HR 23,2, 95 % CI 7,57–71,28 [240]; multivariate HR 6,2, 95 % CI 2,5–15,7) bzw. ein kompliziertes Rezidiv (univariate
HR 0,15, 95 % CI 0,06–0,4) [245]. Eine signifikante Korrelation wurde auch nach initialer Divertikulitis mit retroperitonealen
Abszess und Rezidivrate beschrieben (multivariate HR 4,5, 95 % CI 1,1–18,4) [231]. Auch die Größe des initialen Abszesses bei einer Größe von > 5 cm korrelierte mit
der Rezidivrate [266]
[267]. Demgegenüber konnte eine weitere Untersuchung keinen Zusammenhang nachweisen [268]. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiederaufnahme war allerdings mit einer Abszessdrainage
korreliert (multivariate HR 4,01, 95 % CI 2,72–5,90) und mehr als verdoppelt bei Patienten
ohne Abszessdrainage (multivariate HR 2,38, 95 % CI 1,93–2,95) [244]. Ebenso war eine schwere Divertikulitis (Hinchey Ib–IV) im ersten Jahr der Remission
signifikant häufiger mit einem Rezidiv im Vergleich zu einer initialen unkomplizierten
Divertikulitis assoziiert [241]. In dieser Studie zeigten 54,5 % der Patienten mit einer initial schweren Divertikulitis
auch eine schwere Rezidivdivertikulitis, während 88,5 % der Patienten mit milder initialer
Divertikulitis auch ein mildes Rezidiv hatten. Nach 5 Jahren war die Wiederaufnahmerate
unabhängig von der initialen Abszesstherapie (Drainage—multivariate HR 1,56, 95 %,
CI 1,08–2,26; keine Drainage—multivariate HR 1,42, 95 % CI 1,21–1,65). Das Risiko
einer Notfalloperation während eines Rezidivs korrelierte mit einem Abszess während
der initialen Divertikulitis (Drainage—multivariate HR 8,47, 95 % CI, 4,55–15,77;
keine Drainage-multivariate HR 4,03, 95 % C 2,73–5,93) [244]. Zusätzlich war die Schwere der initialen und der Rezidiv- Divertikulits nach den
Hinchey Klassifikationen vergleichbar [238]
[269].
Statement 3.3.3 (geprüft 2021)
Die komplizierte akute Divertikulitis hat eine relevante Letalität. Ein besonderes
Risiko besteht für Patienten unter immunsuppressiver Therapie.
Evidenzlevel 3, Starker Konsens
Statement 3.3.4 (modifiziert 2021)
Die Letalität der akuten Divertikelblutung ist vor allem abhängig von der Komorbidität.
Die Blutung ist meist nicht die Todesursache.
Evidenzlevel 3, Starker Konsens
Kommentar zu beiden Statements:
Die Daten zur Mortalität der Divertikulitis sind sehr heterogen und von relativ geringer
Qualität. Vor allem die komplizierte Divertikulitis hat aber eine relevante Mortalität.
Diese steigt mit dem Lebensalter und dem Ausmaß der Komorbidität [270]
[271]. Auch das Vorliegen von Aszites bei Patienten mit Leberzirrhose hat eine erhöhte
perioperative Mortilität [272]. Eine besondere Situation stellt eine Immunsuppression dar, wobei vor allen eine
Steroidtherapie die Rate postoperativer Komplikationen erhöht [273]
[274]
[275]
[276]. Auch bei der Divertikelblutung hängt die Mortalität ganz wesentlich von der Komorbidität
ab. Todesursache ist in den meisten Fällen nicht die Blutung per se [277]
[278]
[279]
[280]
[281]
[282].
3.4. Assoziierte Erkrankungen
Statement 3.4.1 (modifiziert 2021)
Die Wahrscheinlichkeit bei einer Koloskopie nach stattgehabter Divertikulitis ein
Adenom oder Karzinoms zu diagnostizieren ist signifikant erhöht. Ein erhöhtes Risiko
für ein kolorektales Karzinom bei Divertikulose lässt sich hingegen nicht belegen.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Zu dieser Fragestellung liegen u. a. drei größere Registerstudien (Schweden, Taiwan,
Dänemark) und eine Metaanalyse vor, die übereinstimmend zeigen, dass eine Divertikulitis
mit einem erhöhten Risiko für die Diagnose eines kolorektalen Karzinoms assoziiert
ist [283]
[284]
[285]
[286]. Zwei weitere Metaanalysen belegen überdies, dass das Risiko vor allem für die Subgruppe
der Patienten mit stattgehabter komplizierter Divertikulitis erhöht ist [287]
[288]. Da die Assoziation jedoch nur für die ersten 12–18 Monate nach Diagnose einer Divertikulitis
besteht [283]
[284] dürfte die Divertikulitis eher Symptom eines Karzinoms als Risikofaktor für dessen
Entstehung sein.
Statement 3.4.2 (geprüft 2021)
Eine Assoziation der Divertikulose mit dem Auftreten chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen
kann nicht belegt werden.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Der retrospektive Vergleich von je 100 Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung
ohne und mit gleichzeitig vorliegender Divertikulose zeigte für die Gruppe mit chronisch
entzündlicher Darmerkrankung und Divertikulose ein höheres mittleres Lebensalter und
mehr entzündliche Veränderungen im Sigma/Rektum [289]. In einer weiteren Studie wurden 314 Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung
mit 1023 gematchten Kontrollen verglichen und es fanden sich bei CED deutlich seltener
Divertikel (3 vs. 15 %) [290]. Auch bei C. ulcerosa finden sich seltener Divertikel als bei gematchten Kontrollen
(11 vs. 28 %) [291].
Statement 3.4.3 (modifiziert 2021)
Eine Divertikulose kann mit einer segmentalen Kolitis assoziiert sein.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Als segmentale Colitis assoziiert mit Divertikulose (SCAD) werden selten vorkommende,
endoskopisch sichtbare inflammatorische Schleimhautläsionen bei Divertikulose bezeichnet,
die histologisch wie Veränderungen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen imponieren
können [292]
[293]
[294]. Eine Zusammenfassung von 486 publizierten Fällen erbrachte eine Prävalenz um 1 %.
Die SCAD kann asymptomatisch sein oder mit Hämatochezie, Diarrhoe oder abdominelle
Schmerzen einhergehen [294]
[295]
[296]. In zwei Beobachtungsstudien wurden 15 Patienten über sieben Jahren und 37 Patienten
über 5 Jahre nachverfolgt [296]
[297]. Bei 5/15 Patienten bestand eine Symptomatik bei zweien wurde im Verlauf ein M.
Crohn diagnostiziert. Einige Patienten hatten einen rezidivierenden Verlauf und benötigten
eine immunsuppressive Therapie [297]. Der endoskopische Befund korrelierte mit dem Schweregrad der Histologie [295]
[297].
Statement 3.4.4 (neu 2021)
Eine Assoziation mukosaler Entzündungsmarker bei Divertikulose mit einer klinischen
Symptomatik lässt sich nicht belegen.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
In zwei aktuellen prospektiven Studien ergab sich keine Assoziation einer Divertikulose
mit mukosaler Inflammation: Peery et al. analysierten Mukosabiopsien, die anlässlich
einer Vorsorgekoloskopie bei 619 Patienten (255 mit Divertikeln) entnommen worden
waren [160]. Es ergab sich keinerlei Assoziation mukosaler Entzündungsmarker mit dem Vorhandensein
einer Divertikulose oder einer klinischen Symptomatik. Ähnliche Daten wurden in einer
weiteren Fallkontrollstudie mit 254 Teilnehmern einer Vorsorge Koloskopie erhoben.
Hier fanden sich in der Divertikelgruppe zwar etwas häufiger abdominelle Beschwerden
oder weiche Stühle; die Symptomatik korrelierte jedoch wiederum nicht mit mukosaler
oder serologischer Entzündung [298].
Kapitel 4: Diagnostik und Stadieneinteilung
Kapitel 4: Diagnostik und Stadieneinteilung
Vorbemerkung
Eine exakte Diagnose der Divertikelkrankheit ist Grundlage angemessener Therapie und
gleichzeitig Voraussetzung, um unzureichende oder überschießende therapeutische Optionen
zu vermeiden. Dies erscheint trivial, ist aber durchaus aktuell und praktisch bedeutsam
[299]
[300].
So wurden in einer älteren Untersuchung an 100 konsekutiven Resektaten bei elektiven
Divertikulitisoperation in 24 % histologisch keine Entzündungszeichen nachgewiesen
[301], andererseits besteht trotz unauffälliger Histologie in Biopsaten bei Patienten
mit symptomatischer Divertikulose bereits eine signifikant veränderte Expressionen
von Neuropeptiden des intestinalen Nervensystems [62] und schließlich weist die histologische Beurteilung bei Resektaten einer (im CT)
„phlegmonösen“ Divertikulitis nach antibiotischer Therapie regelhaft einen Heilungserfolg
auf, während nach antibiotischer Therapie bei gedeckter Perforation gravierende histologische
Strukturanomalien verbleiben [302].
Diagnostisch bedeutsam sind dabei nicht nur die exakte diagnostische Erfassung der
jeweils relevanten Situation im Spektrum der Divertikulitis und die differentialdiagnostische
Abgrenzung divertikulärer Symptome (Schmerz, Entzündung, Blutung) gegenüber einer
Vielzahl anderer (extra)intestinaler Ursachen sondern -vor dem Hintergrund der Häufigkeit
einer Divertikulose- auch die Berücksichtigung einer Koinzidenz mit anderen definierten
Entitäten (z. B. mikrobielle Enteritis, kolorektales Karzinom, CED, Reizdarm).
4.1.–4.6 Anamnese, Basisdiagnostik, Differentialdiagnose
Anamnese und klinische Untersuchung
Empfehlung 4.1 (modifiziert 2021)
Die Anamnese trägt grundlegend zur Einschätzung des potentiellen Krankheitswertes
einer Divertikulose bei und soll daher immer erhoben werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.1:
Definitionsgemäß weist die asymptomatische Divertikulose (CDD Typ 0) keine Beschwerden
auf; ihr kommt daher primär kein eigenständiger Krankheitswert zu. In seltenen Fällen
kann auch ein entzündlich verändertes Divertikel symptomfrei sein. In der früheren
Klassifikation nach Hansen und Stock stellt die asymptomatische Divertikulose das
Stadium 0 dar [303].
Prognostische Bedeutung erhält die Divertikulose aufgrund eines erhöhten Perforationsrisikos
unter NSAR, Corticosteroiden und Opiaten [207] sowie eines erhöhten Blutungsrisikos unter ASS/ NSAR DOACs und Vitamin-K-Antagonisten
[144].
Raucher weisen ein erhöhtes Risiko für eine Divertikelperforation auf [304]. Der anamnestische Befund einer stattgehabten Divertikulitis kann für Komplikationen
(Perforation) unter Immunsuppression (Transplantation, CED, Autoimmunerkrankungen)
bedeutsam sein [132]. Blutungen aus Divertikeln/divertikulären Gefäßen sind i. d. R. schmerzlose, arterielle
Blutungen, die spontan auftreten.
Die Anamnese soll klären, a) ob Beschwerden durch Divertikel vorliegen und b) ob Komplikationen
durch die Divertikulose zu erwarten sind. Dies ist allerdings nur in nuancierenden
Hinweisen und ohne Anspruch auf diagnostische Zuverlässigkeit möglich.
In der Anamnese soll nach Medikamenten mit schädigendem Potential (u. a. NSAR, Immunsuppressiva)
und Tabakkonsum gefragt werden.
Differentialdiagnose
Die symptomatische Divertikulose ist klinisch nicht sicher vom Reizdarmsyndrom abzugrenzen.
Beides sind Erkrankungen, keine Befindlichkeitsstörungen [305]. Die Patienten weisen Beschwerden auf, Labor (CRP, Leukocyten), Endoskopie und Schnittbildverfahren
sind dabei unauffällig, wohingegen subtile mikromorphologische und inflammatorische
Veränderungen nachweisbar sind. Die Endoskopie und Schnittbildverfahren sind dabei
unauffällig, wohingegen subtile mikromorphologische und inflammatorische Veränderungen
nachweisbar sind [306]. Laborchemisch fassbares Korrelat einer symptomatischen Divertikulose sind diskret
erhöhte Calprotectin-Konzentrationen im Stuhl [307]. Der Parameter ist jedoch unspezifisch (pathologische Befunde u. a. bei CED, NSAR-Einnahme,
Kolonkarzinomen und -Adenomen) und diagnostisch als Nachweis einer SUDD oder Divertikulitis
nicht hinreichend diskriminierend. Eine sinnvolle Anwendung kann jedoch bei der Differentialdiagnose
entzündlicher Erkrankungen (Divertikulitis, Infektionen, CED) gegenüber dem Reizdarm
gesehen werden.
Empfehlung 4.2 (modifiziert 2021)
Calprotectin kann zur Differentialdiagnose eingesetzt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.2:
Patienten mit symptomatischer Divertikulose äußern überwiegend Schmerzen im linken
unteren Quadranten, teils schneidend, mitunter rezidivierend, gelegentlich anhaltend,
oft im Zusammenhang mit Meteorismus und Änderungen ihres Stuhlverhaltens. Die Lokalisation
im linken Unterbauch erfährt jedoch durch die variable Lage des Sigmas und das Vorkommen
von Divertikulitiden im rechten Kolon (14 % der Divertikulitiden) eine erhebliche
Relativierung, worauf bereits frühe klinische Darstellungen hingewiesen haben [308]
[309]. Die symptomatische Divertikulose wird als Divertikelkrankheit gewertet.
Flatulenz und/oder Stuhlentleerungen führen zu einer Erleichterung. Bei der Palpation
ist das Sigma auf Druck empfindlich, gelegentlich aufgetrieben und bei der Perkussion
tympanitisch. Eine derbe Walze als palpable Resistenz findet sich ebensowenig wie
objektive Hinweise auf eine Entzündung.
Reizdarmpatienten sind eher jünger, Patienten mit Divertikulose-assoziierten Beschwerden
eher älter; im Einzelfall ist dies jedoch nicht hilfreich. Überdies sind auch beim
postinfektiösen RDS Veränderungen der enterochromaffinen Zellen und neurohumoraler
Transmittersubstanzen beschrieben [310], so dass eine mikrobiell getriggerte viszerale Hypersensitivität als gemeinsamer
Nenner angesehen werden kann.
Eine chirurgische stationäre Wiederaufnahme nach notfallmäßiger Sigmaresektion wird
im Mittel mit 6,1 % (n = 19/317; R = 0–48 %) beschrieben, nach primär konservativer
Therapie hingegen in 26,4 % (n = 141/534; R = 0–55 %). [182]. Diese in einer Subgruppe einer großen Patientenzahl erhobenen Daten (21 Studien
mit n = 31 366 Patienten) beleuchten summarisch unterschiedliche Aspekte: residuale
oder rekurrierende Befunde einerseits, die Notwendigkeit einer elektiven oder aufgeschobenen
Operation für einen Teil der konservativ behandelten Patienten andererseits. Zur Frage
z. B. der Differentialdiagnose eines Reizdarms kann sie wenig beitragen, da diese
Patienten i. A. nicht wieder chirurgisch stationär vorstellig werden.
Eine Persistenz des Beschwerdebildes nach Sigmaresektion unter der Indikation einer
Divertikelerkrankung wird in etwa 22–25 % beschrieben [227]
[311]. Neben einer rekurrierenden Divertikelentwicklung mit Symptomen und Verwachsungsbeschwerden
als Operationsfolge kommt hierfür insbesondere das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms
infrage, dessen Symptomatik die Operationsindikation begünstigt hat. Ein gelegentlich
hilfreiches Indiz, das gegen eine entzündliche Erkrankung/Divertikulitis spricht und
als ein Hinweis auf funktionelle bzw. psychosomatische Beschwerden gewertet werden
kann, ist das Schließen der Augen bei der abdominellen Palpation (closed eye sign)
[312].
Entsprechend der deutschen Leitlinie zum Reizdarm beinhaltet die Diagnose eines Reizdarms
abdominelle Beschwerden (Schmerz, Blähungen), die von Arzt und Patient auf den Darm
bezogen werden, die länger als 3 Monate bestehen, die die Lebensqualität beeinträchtigen
und damit die ärztliche Untersuchung veranlasst haben und die nicht durch andere Befunde
bei Symptom-geleiteter Diagnostik erklärt sind [313].
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Rom-II-Kriterien eines Reizdarmsyndroms
gehäuft (OR 1,8; im Alter > 65 Jahre: OR 9,4) bei Patienten mit einer Divertikulose
(Frauen 17 %; Männer 9 %), nicht aber mit einer Divertikulitis gefunden werden [314]. Entsprechend sollte nicht von einer Divertikulitis gesprochen werden, wenn nicht
durch bildgebende Verfahren entzündliche Veränderungen der Divertikel belegt sind
[315].
Basis-Diagnostik
Empfehlung 4.3 (modifiziert 2021)
Bei Verdacht auf eine Divertikulitis sollen eine körperliche Untersuchung sowie eine
Laboruntersuchung einschließlich der Bestimmung von Leukozyten, CRP und Urinstatus
erfolgen.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.3:
Akut einsetzende, lokalisierte, zunehmende Schmerzen im linken Unterbauch in Verbindung
mit pathologischen Entzündungsparametern (Temperaturerhöhung > 37,6–38 °C, CRP > 5 mg/100 ml,
Leukozytose > 10–12 000/µl) sind typische Symptome der Divertikulitis [316]. Dabei entwickeln sich die Entzündungsparameter i. d. R. erst über 1–2 Tage. Diese
sind bedingt auch ein Diskriminierungsmerkmal eines abszedierenden/komplizierten Verlaufs,
so dass die „48 Std.-Regel“ mit klinischer Beobachtung des Patienten (Palpationsbefund,
Temperatur) und Laborkontrollen (CRP) über diesen Zeitraum der diagnostischen Sicherheit
im Interesse des Patienten dient [317]. Dabei ist auch eine Kontrolle nach 24 Std. ratsam.
Die ambulante Diagnose ist an die gleichen Kriterien gebunden. Dass die Erfassung
der notwendigen Daten einer kritischen Evaluation dabei u. U. nicht standhält, zeigt
eine Untersuchung, in der bei > 50 % der Patienten die Temperaturmessung (52,4 %)
oder Leukocyten (65,5 %) nicht erfasst wurden. Bei > 75 % der ambulant als „Divertikulitis“
apostrophierten Befunde fehlte mindestens eines der 3 Kriterien (Schmerzen LUQ, Fieber,
Leukocytose) [300].
Das klinische Erscheinungsbild wird aufgrund der Symptomatologie gelegentlich als
„linksseitige Appendizitis“ bezeichnet. Rektaler Luftabgang, eine spontane Stuhlentleerung,
Übelkeit, Obstipation oder Diarrhoe können die Symptomatik ergänzen. Eine Pollakis-,
Dys-, Pneumat- oder sogar Hämaturie sowie Schmerzen im Genitalbereich/Dyspareunie
deuten auf lokale Komplikationen hin (Fistelung, Perforation in die Blase, Irritation
des Plexus sacralis). Erbrechen kommt im Vergleich mit unspezifischen Beschwerden
(z. B. Gastroenteritis) bei der Divertikulitis seltener vor [318]
[319], ist aber als vegetative Symptomatik sehr wohl auch Teil der Symptomatik bei der
komplizierten Divertikulitis. Bewegungsabhängigkeit des Schmerzes spricht eher für
eine Sigmadivertikulitis. Die Gewichtung der anamnestischen und klinischen Befunde
(i. e. Alter > 50 Jahre [OR 2,15], vorausgehende Episoden [OR 5,67], Druckschmerz
LUQ [OR 2,96], Verstärkung des Schmerzes bei Bewegung [OR 3,28], CRP > 50 mg/l [OR
5,18], Lokalisation der Schmerzen im li Unterbauch [OR 1,73] und das Fehlen von Erbrechen
[OR 1 vs 0,38]) zeigt die typische Befundkonstellation der Divertikulitis auf und
ermöglichte durch multivariate Regression die Erstellung eines Nomogramms, das für
die klinische Diagnose eine accuracy von 86 % erreicht. Die Anwendung dieses Scoresystems
kann die Rate falsch negativer klinischer Befunde möglicherweise künftig reduzieren
[319].
Eine Leukocytose > 10–12 000/µl, eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) > 5 mg/100 ml
(0,8 mg/100 ml) und eine beschleunigte BSG > 15 mm/Std. reflektieren das Vorliegen
einer Entzündung ebenso wie ein erhöhtes Calprotectin im Stuhl. Für die Akutdiagnostik
in einer Aufnahmeeinheit ist die Bestimmung von Calprotektin im Stuhl nicht sinnvoll;
gleiches gilt für andere Entzündungsindikatoren wie Fibrinogen, saures alpha1-Glykoprotein
oder Interleukin-6 und LPS (Lipopolysaccharid-bindendes Protein). LPS findet sich
zwar früh bei einer stenosierenden Divertikulitis erhöht, dies ist aber auch für bakterielle
Gastroenteritiden der Fall [320]
[321].
Am verlässlichsten erscheint das CRP geeignet, im klinischen Kontext eine Divertikulitis
zu objektivieren. Die Höhe des CRP korreliert dabei tendenziell mit komplizierten/perforierten
Verläufen.
Dabei spiegeln Werte > 5 mg/100 ml eine Divertikulitis wider, während ein CRP > 20 mg/100 ml
den Verdacht auf eine Perforation erweckt (PPV 69 %). CRP-Konzentrationen < 5 mg/100 ml
beinhalten einen negativen prädiktiven Wert (NPV) für eine Perforation von 79 % [322]. Die Angabe derartiger cut-off-Konzentrationen bedarf jedoch der Relativierung unter
Bezug auf die methodenbedingten jeweiligen Normalwerte.
Eine Fixierung auf den CRP-Wert als Nachweis/Ausschlusskriterium einer Divertikulitis
ist hingegen nicht statthaft; seine Sensitivität liegt bei etwa 0,85 und die diagnostische
Accuracy übersteigt 0,93 nicht. Darüber hinaus können Alter, NSAR oder Statine die
CRP-Konzentration beeinflussen [323].
Procalcitonin ist bei singulärer Messung weniger aussagefähig als im Verlauf; dabei
kann PCT als Indikator eines komplizierten Verlaufs der Divertikulitis eingesetzt
werden (s. u.). [324].
Leukozyten und Temperatur differenzieren demgegenüber perforierende Verläufe nicht
von einer nicht-perforierten Divertikulitis [325].
Angaben zur Häufigkeit eines positiven CRP-Befundes variieren beträchtlich; während
eine italienische Arbeitsgruppe [326] ein erhöhtes CRP in 62 % der Divertikulitispatienten findet (BSG 57 %; Leukocytose
21 %), weisen in der Publikation von Toorenvliet aus den Niederlanden 56/57 Patienten
mit der Diagnose Divertikulitis mindestens einen Infektionsbefund (Leuko > 12 000/µl,
CRP > 0,8 mg/100 ml, BSG > 15 mm/1.Std. oder Temp. > 38 °C) auf. Wie viele Patienten
die einzelnen genannten Parameter aufwiesen, ist hierbei jedoch nicht bekannt.
In der Untersuchung von Laurell et al. [325] wurde bei 16 % der Patienten mit der Entlassungsdiagnose Divertikulitis ein normaler
CRP-Wert erhoben; bei 25 % waren die Leukocyten normal, bei 29 % die Körpertemperatur.
Auffallend und als Einschränkung zu werten ist, dass in dieser Untersuchung bildgebende
Verfahren praktisch keine Rolle spielten: bei unkomplizierter Divertikulitis wurde
ein CT in nur 4 % durchgeführt, bei komplizierter Divertikulitis (Perforation) in
36 %. Da die Autoren mit der Ultraschalldiagnostik nicht vertraut sind, bleibt offen,
wie korrekt die Einstufung „Entlassungsdiagnose Divertikulitis“ als Goldstandard tatsächlich
ist.
Als Indikator einer komplizierten Divertikulitis kommt dem CRP mit 84 % in einer Serie
von 101 operierten Patienten (95 % CI 71,7–92,4) die höchste Sensitivität zu (Leukocyten
79 % (66,1–88,6), Temperatur > 37,5 °C 38,6 % Sensitivität (95 % CI 26,0–52,4 %);
[327]. Procalcitonin kommt eine Rolle als Indikator der komplizierten Divertikulitis zu,
wenn die höchsten Werte konsekutiver Messungen (Aufnahme, nach 24 und 48 Std.) herangezogen
werden (Sens. 81 %, Spez. 91 %), [324]. Aufgrund der reiterativen, kostenintensiven Messungen steht der Wert aber klar
hinter dem der CRP-Bestimmung zurück.
Die Durchführung eines Urinstatus ist erforderlich, um Differentialdiagnosen seitens
des Harnwegssystems (z. B. Cystitis, Ureterolithiasis) oder Komplikationen einer Divertikulitis
(Sigma-Blasenfistel, Begleitcystitis) zu erfassen.
Empfehlung 4.4 (geprüft 2021)
Die Divertikulitis sollte als Differentialdiagnose akuter Bauchschmerzen auch bei
jüngeren Patienten (< 40 Jahre) erwogen werden.
Evidenzstärke 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.4.:
Patienten mit dem Bild einer Divertikulitis sind überwiegend > 40 Jahre alt [325], das Problem der Divertikulitis bei jüngeren Patienten (18–44 Jahre) hat jedoch
erheblich zugenommen [73]. Bei Frauen soll durch eine gynäkologische Anamnese die Differentialdiagnose von
Erkrankungen des inneren Genitales (z. B. Mittelschmerz, Adnexitis/Salpingitis, Endometriose,
Ovarialcyste +/– Einblutung, Eileiterschwangerschaft) in Betracht gezogen und ggfs.
durch bildgebende Verfahren (US) und fachärztlich-gynäkologische Untersuchung weiter
erhellt werden.
Die Palpation deckt im Allgemeinen regelhaft eine (linksseitige) primär umschrieben
lokalisierte Druckschmerzhaftigkeit, bei peritonealer Reizung auch eine Abwehrspannung
und Loslaßschmerz im Unterbauch auf (fehlt z. B. bei dorsaler, retrovesikaler Lage
des entzündeten Divertikels). Das Vorliegen eines Leistenbruchs wird durch Untersuchung
der Bruchpforten differentialdiagnostisch ausgeschlossen. Die rektale Untersuchung
löst bei tiefem Sitz der Divertikulitis ggfs. Schmerzen aus. Das Schließen der Augen
bei der Palpation (closed eye sign) gilt als Hinweis auf funktionelle bzw. psychosomatische
Beschwerden [312]. Eine Tympanie ist nicht selten, aber unspezifisch. Auf Zeichen eines bereits bestehenden
Ileus (Paralyse bei freier Perforation) ist insbesondere beim schwer kranken Patienten
zu achten; zur Verlaufsbeurteilung sollte der Auskultationsbefund aber immer erfasst
werden. Bei einer diffusen Peritonitis durch eine Perforation in die freie Bauchhöhle
besteht ein akutes Abdomen.
Empfehlung 4.5. (geprüft 2021)
Die Divertikulitis soll als Differentialdiagnose akuter Bauchschmerzen auch bei rechtsseitiger
oder suprapubischer Schmerzlokalisation erwogen werden.
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.5.:
Nicht nur eine rechtsseitige Divertikulitis (Divertikulitis im rechten Hemicolon),
auch eine weit nach rechts ausladende Sigmaschleife kann eine rechtsseitige Symptomatik
verursachen, zudem ist eine suprapubische Lokalisation nicht selten [308].
4.6. Bildgebung/Schnittbildverfahren
Empfehlung 4.6 (geprüft 2021)
Zur Diagnosesicherung einer Divertikulitis soll ein Schnittbildverfahren durchgeführt
werden.
Evidenzstärke 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.6:
Die klinische Diagnose einer Divertikulitis (ohne bildgebende Untersuchungen) weist
in verschiedenen Untersuchungen einheitlich eine substantielle Fehlerrate auf. Die
Untersuchungen von Toorenvliet et al. [316] sowie Laméris et al. [318] dokumentieren eine Sensitivität von 68 % und einen positiven prädiktiven Wert von
65 % bzw. eine Sensitivität von 71 %. Laurell et al. [325] finden hier trotz der genannten Einschränkungen eine ähnliche Sensitivität (64 %).
Schwerk et al. [328] beschreiben eine falsch positive rein klinische Einschätzung (highly suspected diverticulitis)
in 9/28 Fällen und 44/68 Fällen mit weniger deutlichem klinischem Verdacht (possible
but equivocal diverticulitis) sowie eine falsch negative Einschätzung in 9/34 Fällen
(„diverticulitis very unlikely“).
Empfehlung 4.7 (modifiziert 2021)
Ultraschall oder Computertomographie (CT) sollen als diagnostische Verfahren bei V. a.
Divertikulitis eingesetzt werden.
Evidenzstärke 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.7:
Beide Schnittbildverfahren (US, CT) ermöglichen durch die Darstellung der extraluminalen
Strukturen eine umfassende differentialdiagnostische Beurteilung einer Divertikulitis
bzw. ihrer Komplikationen.
Der Kolonkontrast-Einlauf soll nicht mehr zur Diagnose der Divertikulitis eingesetzt
werden.
Besondere technische Vorbereitungen sind zur Sonographie bei der Divertikulitis nicht
erforderlich; die akute Divertikulitis ist überdies die am einfachsten zu erlernende
Ultraschalldiagnose am Intestinaltrakt.
Die Verwendung eines hochauflösenden Schallkopfes (>/ = 5 MHz) bietet eine optimale
Auflösung bei i. d. R. ausreichender Schallbarkeit unter dosierter Kompression. Vorteil
der Sonographie ist die unmittelbare und gezielte Erfassung des maximalen Schmerzpunkts
anhand der Patientenschilderung und des Palpationsbefundes, die den Ort der Divertikulitis
und ggfs. ihrer Komplikation vorgibt. Der charakteristische Befund findet sich regelhaft
an dieser Stelle; er beinhaltet neben dem exakt lokalisierbaren Druckschmerz
-
die (in Abhängigkeit von der Extrusion des ursächlichen Fäkolithen [329]) variabel (d. h. +/– halbmondförmigem Gasreflex im entzündeten Divertikel) echoarme
Darstellung des entzündeten Divertikels, umgeben von
-
einer echogenen Netzkappe (perikolische, entzündliche Fettgewebsreaktion) und
-
eine echoarme, zunächst asymmetrische Wandverdickung (> 5 mm) mit Aufhebung der Wandschichtung,
geringer Verformbarkeit unter Druck und einer Einengung des Lumens,
-
gelegentlich echoarmen Entzündungsstraßen [329]
[330]
[331].
Die hypoechogene Divertikelprotrusion mit echogenem Zentrum wurde (bei Patienten mit
rechtsseitiger Divertikulitis) auch als Dom-Zeichen bezeichnet [332].
Als sonographische Kriterien eines Abszesses gelten die echoarme bzw. echofreie paracolische
oder intramurale Herdbildung mit echogenen, Reverberationsechos bzw. Kometenschweifartefakte
hervorrufenden Gasreflexen, während Gasreflexe innerhalb echoarmer bandförmiger Strukturen
Charakteristika von Fisteln sind. Leitstrukturen einer freien Perforation sind der
Nachweis freier Luft sowie freier, gemischt echogen reflektierender Flüssigkeit.
Mit hochauflösenden Schallfrequenzen (>/ = 7,5 MHz) können die Darmwandschichten zuverlässig
dargestellt werden, was für die differentialdiagnostische Beurteilung bei der Divertikulitis
hilfreich sein kann. Die Muskelhypertrophie und Elastosis sowie die dadurch senkrecht
durch die Sigmawand verlaufenden nutritiven Gefäße sind ein regelhafter Befund, der
prärequisitär für die (linksseitige) Divertikelbildung ist. Etwa 85 % der endoskopisch
verifizierten Divertikulose-Patienten (ohne fokussierende Schmerzangabe) können sonographisch
richtig erkannt werden, wobei die Zahl der entdeckten Divertikel im US stets geringer
ist als bei der Koloskopie [333].
Bei der akuten Divertikulitis betragen die Sensitivität und Spezifität für die abdominelle
Sonographie bei gerichteter Fragestellung und prospektiver Evaluation in der Hand
des Erfahrenen jeweils 98 % [328]. Die direkte Darstellung des entzündeten Divertikels ist bei unkomplizierter akuter
Divertikulitis mit einer Sensitivität von 96 % möglich, bei kompliziertem Befund aber
erkennbar schwieriger (Sensitivität insgesamt 77 %, Spezifität 99 %) [331]. Während sich der Ultraschall zumeist direkt am (schmerzhaften) entzündeten Divertikel
orientiert, kommt dem Nachweis des entzündeten Divertikels als einzelnes Kriterium
der CT-Diagnostik nur eine Sensitivität von 43 % zu [309].
Eine frühe systematische prospektive Vergleichsuntersuchung aus Frankreich weist für
Sonographie und CT eine accuracy von jeweils 84 % aus; die Sensitivität lag bei 85
vs 91 %, die Spezifität bei 84 und 77 %, der PPV bei 85 vs 81 %, NPV 84 vs 88 %. Hinsichtlich
anderer, alternativer Diagnosen lag die Sensitivität für das CT mit 50 % vs 33 % (US)
ebenso höher wie für die Detektionsrate perikolischer Abszesse [334]. Eine retrospektive Analyse aus Spanien zeigt eine Sensitivität von 86 % bei operierten
Patienten mit einer akuten Divertikulitis, aber 94 % Sensitivität in der Gesamtgruppe
aller Patienten mit akuter Divertikulitis. Die Differenz lässt erkennen, dass insbesondere
die unkomplizierte akute Divertikulitis eine Domäne der Sonographie ist; in dieser
älteren Untersuchung zeigte sich jedoch auch, dass 10 von 34 notfallmäßig operierten
Patienten falsch negative US-Befunde aufwiesen (Sensitivität 70 %) [335].
Beide Untersuchungen können aber aufgrund der Entwicklung des apparativ-technischen
und thematischen know-how-Standards nicht mehr als repräsentativ betrachtet werden.
In einer vergleichenden prospektiven Studie aus Deutschland mit 4 erfahrenen Ultraschall-Untersuchern
und den CT-Möglichkeiten einer Universitätsklinik wies die Sonographie eine Sensitivität
von 100 % (CT 98 %) auf, die Spezifität betrug für beide Verfahren 97 %. Hinsichtlich
einer ausgedehnten Peridivertikulitis und gedeckter Perforationen zeigte die CT eine
deutliche Tendenz zum Überstaging, die Sonographie dagegen eine etwas weniger ausgeprägte
Tendenz zum Understaging. Freie Perforationen oder Abszesse wurden mit keinem der
beiden Verfahren übersehen [336].
Wie die Sonographie ist die CT-Untersuchung bei V. a. akute Divertikulitis eine praktikable
und wertvolle Untersuchung. Beide sind geeignet, die Diagnose und den Schweregrad
einer Divertikulitis abzubilden, wichtige Differentialdiagnosen zu erkennen und das
chirurgische Vorgehen stratifiziert zu lenken.
Diagnostische Kriterien für eine Divertikulitis sind der direkte Nachweis von entzündeten
Divertikeln, eine Darmwandverdickung auf über 3(5)mm und eine vermehrte Kontrastmittelaufnahme
in der CT und MRT (ggf. auch Kontrastmittelschall/CEUS (contrast enhanced ultrasound)).
Indirekte Zeichen sind die perifokale mesenteriale Injektion sowie freie abdominelle
Flüssigkeit als Ausdruck einer Entzündung. Gedeckte oder freie Perforationen sowie
der Nachweis von Abszessen sind in allen bildgebenden Verfahren Zeichen einer komplizierten
Divertikulitis.
Für die Computertomographie haben bereits ältere Studien mit noch einzeiliger Detektorkonfiguration
Sensitivitäten und Spezifitäten zwischen 87 % und 100 % bzw. 90 % bis 100 % ausgewiesen
[309]
[337]
[338]
[339]. Dabei zeigte sich die Methode sehr gut geeignet, den Schweregrad der Erkrankung
zu bestimmen und ggf. weitere chirurgische Konsequenzen zu veranlassen [222]
[340]. Der Schweregrad der Veränderungen im CT gibt bei initial konservativ behandelten
Patienten Hinweise auf die Operationsindikation im weiteren Verlauf, allerdings ist
auch bei schwerwiegenden CT-Befunden (pericolische Luft, Abszess) bei der überwiegenden
Mehrzahl der Patienten im Verlauf keine OP-Indikation gegeben gewesen [222]. Die Beurteilung von Komplikationen wie Abszessen und gedeckten oder freien Perforationen
ist in der CT mit hoher Sicherheit möglich [341]. Hier hat sich in frühen Studien gezeigt, dass die CT der Sonographie überlegen
ist [335]. Eine CT-gesteuerte, interventionelle Abszessentlastung kann das Outcome der Patienten
vor einem chirurgischen Eingriff verbessern [342]
[343]
[344].
Empfehlung 4.8 (modifiziert 2021)
Die technische Durchführung der CT kann in Abhängigkeit von der klinischen Situation
modifiziert werden. Dabei soll eine geeignete Methodik gewählt und konsequent auf
die Verminderung der Strahlenexposition hingewirkt werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.8:
Die Computertomographie wird gegenwärtig in Deutschland in den meisten Kliniken als
Untersuchung mit intravenöser und oraler positiver Kontrastierung mit verdünnten jodhaltigen
Kontrastmitteln durchgeführt. Zusätzlich wird eine rektale Kontrastierung mit einem
Einlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel zur besseren Beurteilung des Rektums und
des Sigmas empfohlen. Die Untersuchung wird als reguläres Abdomen-CT in der portalvenösen
Phase mit einer Röhrenspannung von 100–120 kVp und einem Röhrenstrom von etwa 120 mAs
durchgeführt.
Die angegebenen Untersuchungsparameter sind eine Beschreibung des Ist-Zustandes. In
den letzten Jahren wurden Studien durchgeführt, die sowohl auf die intravenöse wie
auch die orale bzw. rektale Kontrastierung verzichten; zusätzlich vermag die Verwendung
moderner Mehrzeilen-CTs, die eine Low-Dose Technik mit 30 mAs einsetzen, die gleichen
diagnostischen Ergebnisse wie die reguläre CT zu erzielen [345]. Dies könnte theoretisch die Strahlenexposition von durchschnittlich 10 mSv auf
etwa 3 mSv reduzieren, was die Anwendbarkeit der Untersuchung erweitern würde. Ein
Vergleich zwischen der Einzeilen- und der Mehrzeilentechnologie bei der CT existiert
nicht. Da bereits in den Studien mit Einzeilentechnik Sensitivitäten und Spezifitäten
von nahezu 100 % erreicht wurden, ist kein relevanter Benefit von der Mehrzeilendiagnostik
zu erwarten. Andererseits kommen aktuell nur mehr Mehrzeilengeräte auf den Markt,
so dass eine medizinische Diskussion hier überflüssig erscheint.
Somit kann für die CT bezüglich der Gerätetechnik konstatiert werden, dass alle modernen
CTs für die Diagnose ausreichend und geeignet erscheinen. Bezüglich der intravenösen
sowie der oralen und rektalen Kontrastierung gibt es vereinzelte Publikationen, die
den Verzicht auf jede Kontrastierung möglich erscheinen lassen [345]. Der Evidenzgrad dieser einzelnen Studien scheint für eine allgemeine Anwendung
noch nicht ausreichend zu sein, so dass gegenwärtig weiter die oben beschriebene Technik
bei fehlenden Kontraindikationen angewandt werden sollte. Hier wird die Literatur
der nächsten Jahre bezüglich einer evidenzbasierten Anwendung jedoch kritisch re-evaluiert
werden müssen.
Der Einsatz des CT ist in der älteren chirurgisch dominierten Divertikulitis-Literatur
oft das einzige und in variablem Umfang eingesetzte Schnittbildverfahren. Anlass zu
einer kritischen Betrachtung gibt in diesem Zusammenhang eine Studie aus den Niederlanden,
die die Validität der präoperativen CT-Untersuchung bei allen (n = 75) Patienten untersucht
hat, die wegen einer perforierten Divertikulitis in zwei großen Kliniken notfallmäßig
operiert wurden und innerhalb von 24 Std. zuvor ein CT erhielten. Die Beurteilung
erfolgte retrospektiv anhand der CT-Datensätze durch zwei unabhängige Radiologen ohne
Berücksichtigung der Klinik. Dabei stellte sich unerwartet die accuracy des CT mit
71–92 % für unterschiedliche Stadien der Perforation deutlich geringer dar (PPV 45–89 %),
als allgemein angenommen. Bei 42 % der Patienten im Stadium Hinchey 3 wies das CT
ein Understaging (Hinchey Stadium 1 oder 2) aus (wodurch der PPV des CT für Hinchey
Stadium 1 und 2 bei nur 61 % liegt) [346].
In einer vergleichbaren Untersuchung aus Deutschland wurde das präoperative CT mit
dem intraoperativen Befund und der Histologie bei 204 Patienten verglichen. Dabei
zeigte sich im Stadium Hansen & Stock (HS) IIa (Phlegmone) eine korrekte Detektion
bei 52 % (OP-Befund) bzw. 56 % (Histologie). Ein Understaging bestand in 12 bzw. 11 %,
ein Overstaging in 36 (33)%. Die Treffsicherheit bei den abszedierenden Stadien (HS
IIb, Hinchey 1/2I) lag bei 92 % (OP-Befund) bzw 90 % (Histologie) mit einem Understaging
von 3 % bzw. 0 % und einem Overstaging in 5 (10) %. Die freie Perforation (HS IIc,
Hinchey 3/4) wurde in 100 % korrekt erfasst, so dass der PPV der Computertomographie
für HS IIa, HS IIb und HS IIc bei 52 (56)%, 92 (90)% und 100 (100)% lag [347]. Die Wertigkeit der radiologischen Beurteilung erscheint somit im (wichtigen) Stadium
HS IIa/IIb deutlich Untersucher-abhängig (Understaging in den Niederlanden, Overstaging
in Deutschland). Zur präoperativen Differentialdiagnose der phlegmonösen Divertikulitis
(HS IIa) gegenüber perforierten Verläufen (HS IIb/IIc) ist das CT nicht einheitlich
als Goldstandard zu bewerten.
Empfehlung 4.9 (modifiziert 2021)
MRT-Untersuchungen können im Einzelfall, sollten aber eher nicht zur routinemäßigen
Diagnostik der Divertikulitis durchgeführt werden
Expertenkonsens, Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.9:
Die MRT zur Beurteilung der Divertikulitis des Kolons hat bisher in der Praxis und
in Studien noch keine breite Basis gefunden. Für die praktische Durchführung finden
sich mehrere Probleme: Häufig ergeben sich durch die starken abdominellen Schmerzen
bei der lang-andauernden Datenakquisition Bewegungsartefakte. Klaustrophobie verhindert
gelegentlich eine adäquate Durchführung der Untersuchung. Zusätzlich ist eine MRT
an vielen Kliniken nicht 24 Stunden für den Notfallbetrieb verfügbar und mit höheren
Kosten im Vergleich zur CT verbunden. Gerade die klinisch und therapeutisch sehr wichtige
Frage nach kleinen Luftmengen um das Kolon bei der Frage nach freier oder gedeckter
Perforation ist mit der MRT nur schwierig zu beurteilen, was die Methode bei der komplizierten
Divertikulitis sehr einschränkt. Hier gibt es keine Literatur, die systematisch die
Nachweisbarkeitsgrenze kleiner Luftmengen abdominell evaluiert hat. Die Technik wurde
nur an kleinen, meist selektionierten Patientenkollektiven evaluiert [348]
[349]
[350]
[351]. Die Ergebnisse der Studien lassen lediglich den Schluss zu, dass die MRT mit oraler
oder rektaler Kontrastierung und der intravenösen Kontrastmittelgabe ähnliche Ergebnisse
wie die CT zulässt. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass bezüglich der komplizierten
Divertikulitis und hinsichtlich geringer Mengen freier Luft bei gedeckter Perforation
keine dedizierten Studien vorliegen.
Bei fehlender Studienlage kann keine definitive Empfehlung der technischen Durchführung
der MRT Untersuchung bei Divertikulitis gegeben werden. Analog zur CT-Bildgebung sollte
gegenwärtig eine kontrastmittelgestützte MRT mit intravenöser, oraler und rektaler
Kontrastierung erfolgen. Hochauflösende T1 gewichtete 3D-Gradientenechosequenzen sowie
T2 Sequenzen zur Beurteilung von akuten entzündlichen Situationen sollten im Protokoll
enthalten sein. Die Frage der intraluminalen Kontrastierung bezüglich Dark Lumen-Technik
[350] oder der T1 positiven Kontrastierung zur besseren differentialdiagnostischen Abklärung
von Abszessen [349] ist in der Literatur noch nicht beantwortet.
Die MRT des Kolons zur Divertikulitisdiagnostik sollte daher weiter lediglich in Zentren
mit kontrollierten Studien sowie in Einzelfällen (Untersuchungen bei Schwangeren oder
pädiatrische Patienten aus Gründen der Strahlenreduktion) durchgeführt werden.
4.10.–4.16. Endoskopie
Koloskopie in der Akutphase der Divertikulitis
Empfehlung 4.10. (geprüft 2021)
Zur Diagnose einer akuten Divertikulitis sollte keine Koloskopie erfolgen.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.10.:
Die Durchführung einer Coloskopie ermöglicht die Abklärung abdomineller Beschwerden
und ist Methode der Wahl bei unterer GI-Blutung sowie zum Tumorausschluss. Sie ist
geeignet zum Nachweis von Divertikeln und trägt entscheidend zur Differentialdiagnostik
mukosal-entzündlicher bzw. polypoider Befunde gegenüber der Divertikulitis bei untypischem
Verlauf bzw. einer symptomatischen Divertikulose bei [295].
Für den Nachweis einer akuten Divertikulitis ist die Koloskopie nicht erforderlich
[352]; eine verstärkte Perforationsgefährdung ist nicht belegt, aber nicht auszuschließen.
Entzündliche Veränderungen am Hals von Divertikeln bei der Endoskopie kommen bei etwa
0,8 % der Koloskopien vor, ohne dass eine akute Divertikulitis vorliegt [353].
Luminale Veränderungen sind in der Pathogenese der Divertikulitis sekundär, da die
Erkrankung als bakterielle Penetration in der Tiefe eines Divertikels beginnt und
entscheidende Komplikationen (Phlegmone, Mikroperforation, Fistel, Abszess) transmural
liegen. Bei einer Darmwandverdickung auf > 11 mm in der Sonographie zeigt die Koloskopie
eine spontane Eiterentleerung aus entzündeten Divertikeln [354].
Empfehlung 4.11 (modifiziert 2021)
Bei ausgewählten Indikationen (z. B. uncharakteristischem klinischem Bild oder Verlauf)
kann eine Koloskopie (mit wahrscheinlich gering erhöhtem Risiko für eine Perforation)
bei akuter Divertikulitis erfolgen, wenn eine gedeckte Perforation und Abszedierung
ausgeschlossen sind.
Evidenzlevel 4, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.11:
Die Sicherheit und Bedeutung einer Koloskopie wird aufgrund unzureichender Datenlage
unterschiedlich beurteilt.
In einer Serie bei 54 Divertikulitispatienten kam es zu einer Perforation durch die
Koloskopie (1,9 %), bei weiteren 39 Patienten, bei denen mittels CT eine gedeckte
Perforation oder ein Abszess ausgeschlossen worden waren, wurde hingegen keine Perforation
beobachtet. Insgesamt konnten 2 CT-negative Adenokarzinome und ein Knochenfragment
im entzündeten Divertikel als relevante Befunde festgestellt werden [355]. Die Koloskopien erfolgten 4–12 Tage nach stationärer Aufnahme (Median 5,8 Tage).
Die Rate kompletter Koloskopien (Erreichen des Coecum oder einer Tumorstenose in 81,7 %
der Fälle) war geringer als in einer elektiven Situation.
Aus der gleichen Klinik stammt eine Untersuchung zur frühen (im stat. Aufenthalt)
vs. aufgeschobenen (nach 6 Wochen) Koloskopie bei CT-gesicherter Divertikulitis. Dabei
ergaben sich weder Perforationen noch ein diagnostischer Zugewinn [352]. Einen solchen Nutzen erkennen die Autoren jedoch für atypische Verläufe mit persistierenden
Beschwerden nach einwöchiger Antibiotikatherapie respektive einem Rezidiv binnen 2
Monaten. In dieser Situation (23/224 Patienten) fand sich in 4/23 Fällen (17 %) eine
therapeutisch relevante Diagnose durch die Koloskopie: in 3 Fällen ein Adenokarzinom
und in einem Fall ein Hühnerknochen in einem Divertikel, der endoskopisch entfernt
werden konnte [356].
Statement 4.12 (modifiziert 2021)
Nach Ausheilung einer konservativ behandelten Divertikulitis (i. d. R. nach 6–8 Wochen)
sollte die Indikation zur Koloskopie in Abhängigkeit von klinisch-anamnestischen Faktoren
(protrahierter Verlauf, persistierende Beschwerden, Alter des Patienten, Bildgebung)
gestellt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.12:
Eine Koloskopie wurde bisher häufig a) grundsätzlich nach einer konservativ behandelten
akuten Divertikulitis und b) vor einer Sigmaresektion empfohlen. Hintergrund ist einerseits
die Differentialdiagnose anderer Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik, andererseits
die Koinzidenz eines synchronen Karzinom- oder Adenombefundes bei überwiegend älteren
Patienten.
Die Bedeutung und Notwendigkeit einer Koloskopie wird jedoch vielfach mit dem Hinweis
auf die Qualität bei konsequenter CT-Diagnostik der Divertikulitis (und sicher auch
vor dem Hintergrund gesundheitsökonomischer Erwägungen) durch einige Untersuchungen
in anders gelagerten Gesundheitssystemen infrage gestellt.
In einer retrospektiven Longitudinalstudie an 205 Patienten mit CT-gestützter Diagnose
einer akuten unkomplizierten Divertikulitis erbrachte die Koloskopie bei 9,3 % der
Patienten Adenome, darunter 5,4 % fortgeschrittene Neoplasien [357]. Bei je einem Patientem wurde ein Sigmakarzinom und eine chronisch-entzündliche
Darmerkrankung diagnostiziert (diese beiden Patienten berichteten jedoch Symptome,
die ohnehin eine Koloskopie zur Folge gehabt hätten). Diese Rate an Adenomen und Karzinomen
liegt eher niedriger, als aufgrund der Auswertung von Daten von Vorsorgekoloskopien
statistisch zu erwarten gewesen wäre.
Die Koloskopien bei 100 Patienten 4–6 Wochen nach Krankenhausbehandlung wegen einer
akuten Divertikulitits (CT-gestützte Diagnose) erbrachte in 32 % mindestens einen
Polypen, nur in einem Fall ein fortgeschrittenes Adenom und bei keinem Patienten ein
Malignom, somit bei kleiner Fallzahl nur eine geringe Anzahl (unmittelbar) relevanter
Befunde [358].
Abgesehen davon, dass auch nicht fortgeschrittene Adenombefunde grundsätzlich prognostisch
als relevante Pathologie des Colons gewertet werden sollten, lassen andere Untersuchungen
in bedeutsamerem Umfang eine Koinzidenz mit dem Colonkarzinom erkennen. Oft zitiert
wird eine retrospektive Studie aus den USA, dass 5 von 73 (7 %) der Patienten, die
im Zeitraum 1992–2001 im Universitätskrankenhaus von St. Louis an einer akuten Divertikulitis
operiert wurden, ein zuvor nicht bekanntes Kolonkarzinom aufwiesen [359].
Eine Datenbankanalyse aus Australien [360] fand ebenfalls eine mit 2,1 % gering erhöhte Kolonkarzinomrate binnen eines Jahres
nach der CT-gestützten Diagnose einer linksseitigen Divertikulitis (Auswertung von
1088 Patienten, Abgleich mit dem nationalem Krebsregister). Bei 319 Patienten war
innerhalb eines Jahres nach der Divertikulitis-Diagnose eine Koloskopie durchgeführt
worden: Bei 9 dieser Patienten (2,8 %) wurde ein Kolonkarzinom festgestellt.
Eine systematische Literaturrecherche zum Nutzen der Koloskopie unter dem Aspekt des
Kolonkarzinom-Nachweises bis 24 Wochen nach CT-Diagnose einer Divertikulitis identifizierte
nur 10 Studien mit 771 dokumentierten Patienten [361]. Dabei lag die Rate an kolorektalen Karzinomen bei 2,1 % (95 % CI 1,2–3,2 %), mithin
deutlich über der erwarteten Prävalenz (0,68 %) bei US-Bürgern im Alter > 55 Jahre.
In einer anderen Meta-Analyse [362], in der 1796 Patienten nach Abklingen der Divertikulitis eingeschlossen wurden,
lag die Prevalenz eines Karzinoms bei 1,6 %, die Rate an detektierten Polypen lag
bei 20,2 %. Nahezu identische Resultate zeigte ein systematisches Review von Meyer
et al [287] mit einer Prävalenz kolorektaler Karzinome von 1,9 % (Polypen 22,7 %, fortgeschrittene
Adenome 4,4 %, Adenome 14,2 %). Diese Arbeit zeigt überdies, dass Patienten mit komplizierter
Divertikulitis signifikant häufiger ein CRC aufwiesen, als Patienten mit unkomplizierter
Divertikulitis (7,9 % vs 1,3 %).
In einer prospektiven, multizentrischen Studie [363] waren keine Unterschiede in der Prävalenz von Karzinomen und Adenomen bei Patienten
nach Divertikulitis im Vergleich zu einen Routinevorsorgekollektiv festzustellen.
Somit entspricht die Empfehlung zur vollständigen Koloskopie beim klinisch durch eine
Divertikelerkrankung auffälligen Patienten > 50 Jahre und ohne eine < 5 Jahre zurückliegende
Koloskopie einer besonderen Situation einer Vorsorgekoloskopie, d. h. die Koloskopie
ist sinnvoll, wenngleich diskrepante Auffassungen aus anderen Gesundheitssystemen
mitgeteilt werden.
Mit dieser Empfehlung ist auch einer subjektiven Sicht von Patienten entgegenzutreten,
die im Rahmen der Divertikulitis erfolgte Ultraschall- oder CT-Untersuchung wäre ggfs.
ausreichend, ein Malignom oder eine Vorstufe hierzu auszuschließen.
Dass die Koloskopie zur weiteren diagnostischen Klärung einer im CT nachgewiesenen
Verdickung der Colonwand essentiell beiträgt, ist unstrittig [304]
[364]. Ebenso sollte grundsätzlich im Falle einer Darmstenose, d. h. auch bei rezidivierender
Divertikulitis mit OP-Indikation, eine Koloskopie zur Sicherung der Dignität der Stenose
durchgeführt werden. Gelegentlich maskiert eine Divertikulitis auch eine chronisch-entzündlich
Darmerkrankung, d. h. bei persistierenden Schmerzen, blutig-schleimigen Stühlen und
Entzündungszeichen, erscheint die Koloskopie zur Sicherung der Diagnose altersunabhängig
sinnvoll [294].
Besondere Situationen: Divertikelblutung, rezidivierende Divertikulitis, Fisteln
Anamnese und Befund
Empfehlung 4.13 (modifiziert 2021)
Die Anamnese bei V. a. Divertikelblutung soll den Schweregrad der Blutung, Risikofaktoren
für prolongierte Blutungen sowie für Rezidivblutungen erfragen.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Empfehlung 4.14 (geprüft 2021)
Die Untersuchung soll neben der Beurteilung des Schockindex Anämiezeichen, kardiovaskuläre
Risikofaktoren und andere Komorbiditäten erfassen sowie die Palpation des Abdomens
und eine rektale Untersuchung beinhalten.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.13 und Statment 4.14:
Die schmerzlose untere GI-Blutung ist überwiegend auf arterielle Divertikelblutungen
(35 %) und Angiodysplasien (21 %) zurückzuführen [365], beim älteren Patienten mit Divertikeln ist die Divertikelblutung in bis zu 50 %
Ursache einer unteren GI-Blutung [366]
[367]. Die Divertikelblutung ist dabei i. d. R. eine Komplikation der Divertikulose, nicht
der Divertikulitis.
Diagnostik und Therapie der arteriellen Divertikelblutung haben zum Ziel, die Blutungsquelle
eindeutig zu lokalisieren, den Schweregrad und die Rezidivwahrscheinlichkeit abzuschätzen
und die Blutung zu stillen, nach Möglichkeit als definitive Therapie, d. h. auch unter
dem Aspekt späterer Rezidivblutungen.
Anamnestische Angaben zur Schwere der Blutung ergeben sich aus der (bedingt zuverlässigen)
Schilderung der Blutmenge. Blutdruck- und Pulsverhalten (Schockindex) zeigen die Kreislaufwirksamkeit
der Blutung an [366]. Validierte Scores wie bei der oberen GI-Blutung (Rockall, Glasgow Blatchford) sind
nicht beschrieben. Spontane Angaben zur Farbe der unteren GI-Blutung sind oft fragwürdig,
während eine Farbvergleichstafel hilfreich sein kann [368].
Rezidivblutungen werden vermehrt bei aktiver Blutung unter der Endoskopie, Nachweis
eines Gefäßstumpfes und koagelbedeckter Blutungsstelle gefunden sowie bei arterieller
Hypertonie (RR 4,2), Thrombocytenaggregationshemmung (RR 2,4) und NSAR (RR 2,6) [369].
Antikoagulatorisch wirksame Medikamente stellen ebenfalls ein Risiko für einen schwereren
Blutungsverlauf/Blutungsrezidive dar [370].
In Übereinstimmung mit der S2k-Leitlinie „Gastrointestinale Blutung“ [371] sollte grundsätzlich auch bei V. a. eine Divertikelblutung eine frühzeitige Gastroskopie
zum Ausschluss einer schweren oberen GI-Blutung als Hämatochezie-Ursache durchgeführt
werden [366].
Empfehlung 4.15a (neu 2021)
Bei unterer gastrointestinaler Blutung mit hämodynamischer Instabilität sollte begleitend
zur Stabilisierung des Kreislaufs nach Ausschluss einer anorektalen und gastralen
Blutungsquelle (Prokto-Rektoskopie, Gastroskopie) eine Koloskopie innerhalb von 12
Stunden nach Aufnahme erfolgen. Dabei sollte eine verkürzte und intensivierte Darmvorbereitung
durchgeführt werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Empfehlung 4.15b (neu 2021)
Bei hämodynamisch stabilen Patienten soll eine Koloskopie innerhalb von 12–24 Stunden
erfolgen.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.15:
Bei akuter peranaler Blutung muss differentialdiagnostisch eine obere GI-Blutung berücksichtigt
werden, daher soll eine möglichst frühzeitige Gastroskopie erfolgen. Liefert die Gastroskopie
keinen erklärenden Befund, soll eine Rektosigmoidoskopie zum Ausschluss einer anorektalen
Blutungsuelle erfolgen.
Der Verdacht auf eine Blutungsquelle im unteren GI-Trakt ist bei einer Hämatochezie
mit frischem Blut hoch. Allerdings kann sich auch eine obere GI-Blutung bei starker
Blutung und rascher Passagezeit mit peranalem Abgang von frischem Blut manifestieren.
Eine Divertikelblutung ist klinisch nicht von einer schweren Blutung anderer Genese
aus dem Kolon zu unterscheiden; es besteht daher à priori die Situation einer unteren
(d. h. dem Colon entstammende) GI-Blutung. Es bedarf in diesem Zusammenhang der Erwähnung,
dass unter einer oberen und mittleren gastrointestinalen Blutung nicht nur das gastroskopisch
einsehbare Segment, sondern auch eine Blutung aus dem gesamten Dünndarmbereich zu
verstehen ist. Schwere Blutungen aus dem oberen und mittleren GI-Trakt können dabei
eine untere GI-Blutung mit Abgang helleren Blutes vortäuschen. Daher ist neben der
Koloskopie auch die Ösophagogastroduodenoskopie Teil des diagnostischen Konzepts und
bei fehlendem Nachweis einer wahrscheinlichen Blutungsquelle darüberhinaus nachgeschaltet
(bei hämodynamisch stabilem Patienten) die (Kapsel)Endoskopie des Dünndarms oder (bei
instabilem Patienten) die Angiographie.
Da eine Divertikelblutung in 90 % spontan sistiert, ist zur exakten Identifikation
der Blutungsquelle grundsätzlich die Durchführung einer zügigen Koloskopie empfehlenswert.
Die frühe Koloskopie (hier: < 24 Std.; OR 8,4), der erfahrene Endoskopiker (hier:
> 1000 Koloskopien; OR 3,0), der Einsatz einer Endo-Cap (OR 3,4) und der Einsatz einer
Wasser-Jetspülung (OR 5,8) haben sich dabei als prognostisch günstige Faktoren für
die untere GI-Blutung erwiesen [372]. Die verlässliche Identifikation der Blutungsquelle ist bei der frühelektiven Koloskopie
in 22 % möglich, das ist 7,5mal häufiger als nach 24 Stunden (p < 0,01) und 22mal
häufiger als nach 48 Stunden (p < 0,01). Neben der Detektion und Lokalisation der
Blutungsquelle, sollte jedoch primär auch eine endoskopische Therapie angestrebt werden
[373]. Bei aktiver Hämatochezie und Divertikeln ist bei früher Koloskopie (< 12 Std.)
nach antegrader Spülung in mindestens 20 % eine Divertikelblutung identifizierbar
und eine interventionelle Behandlung möglich [374]. Es erscheint daher bei hämodynamisch instabilen Patienten notwendig, die Koloskopie
nach Ausschluss einer oberen GI-Blutung und anorektalen Blutung nach verkürzter Darmvorbereitung
(4–6 l Polyethylenglykollösung, ggf. über Magensonde innerhalb von 12 Stunden) sowie
ggf. zusätzlicher Reinigung durch Einläufe und Einsatz eines Endo-washers durchzuführen.
Bei stabilen Patienten reicht die konventionelle Vorbereitung (split dosage) und Durchführung
der Untersuchung innerhalb 12–24 Stunden aus. Die Detektion einer sicheren oder wahrscheinlichen
Blutungsquelle nimmt dabei zeitabhängig ab.
Indikation und Technik der endoskopischen Blutstillung bei der Divertikelblutung
Statement 4.16 (neu 2021)
Eine identifizierbare (definitive) Divertikelblutung bei der Koloskopie stellt eine
Indikation zur endoskopischen Blutstillung dar.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.16:
Als Stigmata einer definitiven Divertikelblutung gelten
-
die endoskopisch sichtbare, aktive Blutung aus dem Divertikel,
-
ein dem Divertikel adhärentes Blutkoagel sowie
-
ein sichtbarer Gefäßstumpf [365]
[374],
während eine Divertikelblutung als wahrscheinlich („presumptive“) betrachtet wird,
wenn
-
frisches Blut segmentär in der Nähe von Divertikeln bei vollständiger Koloskopie gefunden
wird oder
-
eine Koloskopie bei heller unterer GI-Blutung als ausschließliche Blutungsquelle Divertikel
im Colon nachweist und eine obere GI-Blutung (inklusive Kapselendoskopie) ausgeschlossen
werden konnte oder
-
in der Multidetektor-CT ein Kontrastmittelaustritt einem Divertikel zugeordnet werden
kann [365]
[374]
[375].
Poncet et al. [133] konnten in einer Sammlung von 133 Patienten über einen Zeitraum von 8 1/2 Jahren
mit den Kriterien einer definitiven oder wahrscheinlichen Divertikelblutung (unter
1145 wegen unterer GI-Blutung koloskopierten Patienten) bei 92,4 % ein spontanes Sistieren
der Blutung aufzeigen. Eine Intervention war darunter nur bei 10/133 Patienten erforderlich,
3mal endoskopisch, 4mal radiologisch, 3mal unmittelbar chirurgisch, zudem aber auch
bei 4 der 7 Patienten mit initial endoskopischer/radiologischer Intervention als Sekundärmaßnahme.
Die dergestalt prognostisch günstig erscheinende Divertikelblutung darf jedoch nicht
verharmlost werden, da eine erhebliche Rezidivneigung besteht, Risikofaktoren der
Rezidivblutung (u. a. Alter, Hypertonie, low-dose ASS, NSAR) weit verbreitet sind
und eine ggfs. erforderliche Notfall-Operation ohne exakte Blutungslokalisation eine
relevante Morbidität und Mortalität aufweist.
Die aktuelle Literatur, vorwiegend aus Asien, zeigt, dass die endoskopische Bandligatur
(EBL) gegenüber dem endoskopischen Clipping hinsichtlich der Rezidivblutungsrate überlegen
ist (6 % vs 33 %; p = 0,018), während beide Verfahren eine inititiale Blutstillungsrate
von 100 % ohne Komplikationen durch die jeweilige Technik aufweisen [376]. In einer anderen japanischen Multicenterstudie lag die Rezidivblutungsrate unter
EBL bei 10 %, nach endoskopischem Clipping bei 31 % (p < 0,01; [377]. Dabei zeigte sich, dass die frühen Rezidivblutungen überwiegend aus dem initial
blutenden Divertikel stammten. Hauptrisikofaktor für das frühere Rezidiv war dabei
die Lokalisation der Divertikelblutung im rechten Colon, eine Besonderheit in Asien,
die die Übertragbarkeit auf die in Westeuropa dominierende Form der Pseudodivertikel
im Sigma ungeklärt lässt.
Als Alternative zur Gummibandligatur mag die Applikation eines sogenannten „over-the-scope-clips“
(OTSC) in Betracht gezogen werden. In einigen Fallserien scheint sich dieses Vorgehen
ebenfalls auf den weiteren Verlauf günstig auszuwirken [378]
[379].
Wenngleich mit vielen Unsicherheiten behaftet, deutet auch die retrospektive und auf
einer Fragebogenaktion beruhende Studie von [380] zumindest darauf hin, dass linksseitige Divertikel seltener Blutungsrezidive aufweisen
als rechts- oder beidseitige. Der Befund dieser Studie, dass nicht interventionell
behandelte Patienten weniger Blutungsrezidive (38,7 % vs 61,5 %, p < 0,05) aufwiesen
als die im Arm mit endoskopischer Intervention (Clipping oder Adrenalin-Injektion
am Divertikelhals) ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die Intervention das Blutungsrisiko
erhöht, vielmehr Ausdruck der Limitationen einer derartigen Untersuchung. Der Nachweis
definitiver Blutungsstigmata war hier mit der therapeutischen Intervention verknüpft,
das Fehlen einer eindeutigen Blutungsquelle dagegen mit konservativem Vorgehen. Darüber
hinaus wurde keine Aussage zur Schwere der Blutung (Schockindex, Transfusionen, Hämatokrit)
getroffen, so dass die Gruppen trotz vergleichbarer epidemiologischer Daten keineswegs
vergleichbar erscheinen.
Beidseitige Divertikel erhöhen in Asien das Risiko einer akuten Divertikelblutung
(p = 0,0021) wie auch Adipositas, arterielle Hypertonie, die Coronarsklerose und low-dose
ASS [381].
Indikation zur radiologischen oder operativen Therapie
Empfehlung 4.17 (neu 2021)
Bei Patienten mit anhaltender Blutung oder bei klinisch relevantem Blutungsrezidiv
nach initialer endoskopisch erreichter Hämostase soll eine endoskopische, eine operative
oder eine radiologisch-interventionelle Therapie erfolgen.
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar:
Grundsätzlich ist heute akzeptiert, dass beim therapeutischen Management der gastrointestinalen
Blutung zunächst die Möglichkeiten der endoskopischen Diagnostik und Therapie ausgeschöpft
werden [374]
[382]
[383]
[384]
[385]. Bei wiederholter oder anhaltender Blutung ohne endoskopisch eindeutig zu identifizierende
Quelle sollte eine CT-Angiographie (ggf. Angiographie) zur Lokalisationsdiagnostik
zum Zeitpunkt der vermuteten aktiven Blutung durchgeführt werden.
CT-Angiogaphie und die konventionelle Angiographie (+/– DSA) sind bei aktiver Blutung
valide Optionen zur Lokalisation einer Divertikelblutung. Ihr Einsatz ist in praxi
jedoch selten erforderlich.
Die CT-Angiographie ermöglicht eine sichere Blutungslokalisation, wenn die Blutung
zum Zeitpunkt der Untersuchung noch ausreichend aktiv ist [386]. Das gleiche gilt für die konventionelle Angiographie, die den zusätzlichen Vorteil
einer möglichen Intervention (Blutstillung durch arterielle Embolisation: transcatheter
arterial embolization, TAE) bietet.
In einer retrospektiven Studie wurde bei 52 Patienten eine transarterielle Embolisation
bei unterer GI-Blutung durchgeführt. Dabei konnte nur in 32/52 Fällen die Blutungsquelle
eindeutig lokalisiert werden. Technischer Erfolg wurde in 100 % berichtet, allerdings
lag die 30-Tage Nachblutungsrate bei 27 % und die 30 Tage Mortalität bei 29 %. Bei
zwei Patienten kam es zu postinterventionellen Darmischämien [387].
Die Verfügbarkeit der technischen Ausstattung und personellen Expertise sind entsprechend
in der Akutsituation der schweren Blutung von größerer Bedeutung als im weniger schweren
Fall; dies ist insbesondere bei der Frage eines Transportes zu berücksichtigen, wenn
entsprechende Ausstattung/Expertise nicht gegebenist. In dieser Situation ist -ohne
dass dies durch Studien belegbar wäre- bei unzureichender endoskopischer Therapie
der notfallmäßigen Operation erfahrungsgemäß als einer zuverlässigen und bewährten
Option der Vorzug zu geben.
Die Mortalität der notfallmäßigen Kolektomie bei Divertikelblutung wird in einer retrospektiven
Studie mit 17 %, die Rate nicht tödlicher Komplikationen mit 20 % angegeben [388].
Empfehlung 4.18 (neu 2021)
Bei Patienten mit rezidivierender, hämodynamisch wirksamer Divertikelblutung und der
Notwendigkeit der lebenslangen Antikoagulation kann es indiziert sein, im Intervall
elektiv eine partielle Kolektomie durchzuführen.
Expertenkonsens, Empfehlung offen, Konsens
Kommentar:
Zu diesem Szenario liegen keine Daten aus klinischen Studien vor. Der behandelnde
Arzt muss diese individuelle Entscheidung nach ausführlichem Gespräch mit dem Patienten
treffen und dabei das perioperative Risiko im elektiven Setting gegenüber dem perioperativen
Risiko in der Notfallsituation bei einer etwaigen endoskopisch nicht stillbaren Divertikelblutung
einschätzen.
Verfahrenswahl bei Divertikelblutung ohne bzw. mit vorherigen Blutungslokalisation
Statement 4.19 (neu 2021)
In der besonderen und bedrohlichen Situation, dass bei schwerer aktiver Blutung weder
endoskopisch noch angiographisch eine Blutungslokalisation gelingt, ist eine chirurgische
Exploration, ggfs. mit Kolektomie (Absetzung am terminalen Ileum und im oberen Rektumdrittel)
gerechtfertigt.
Expertenkonsens, Starker Konsens
Kommentar:
Zum operativ geeignetsten Vorgehen liegen keine klinischen Daten vor.
Bei endoskopisch und interventionell nicht lokalisierter und nicht beherrschter Blutung
erfolgt die dringliche operative Therapie aus vitaler Indikation. Auf Grund der kritisch
erkrankten und oftmals multimorbiden Patienten sollte die Kolektomie nach Laparotomie
als schnellstes Verfahren erfolgen. Ob eine Anastomosierung mittels Ileorektostomie
erfolgt oder eine Diskontinuitätsresektion mit Rektumblindverschluss und Anlage eines
terminalen Ileostomas, ist eine individuelle Entscheidung, bei der die Blutungsaktivität,
-Intensität (bereits erfolgte Transfusionen) und die Komorbidität des Patienten zu
berücksichtigen sind. Angesichts der überwiegend kritisch kranken Patienten in der
Notfallsituation ist meist der Diskontinuitätsresektion der Vorzug zu geben. So war
in der Studie von Plummer et al. die Anastomoseninsuffizienz die häufigste Ursache
für postoperative Mortalität [388].
In sehr seltenen Fällen mit rezidivierenden und immer wieder transfusionspflichtigen
Blutungen ohne Blutungslokalisation kann ebenfalls die Indikation zur subtotalen Resektion
gestellt werden. Sollte dieser Eingriff elektiv erfolgen, so sollte die Verfahrenswahl
individuell aufgrund der Patienten-charakteristika und der Erfahrung des Operateurs
erfolgen. Vergleichende Studien zur laparoskopischen oder konventionellen Resektion
liegen in dieser Situation nicht vor [389]
[390].
Empfehlung 4.20 (neu 2021)
Bei einer eindeutig lokalisierbaren, rezidivierenden oder unstillbaren Divertikelblutung
kann eine segmentale Resektion durchgeführt werden.
Expertenkonsens, Empfehlung offen, Starker Konsens
Kommentar:
Zum chirurgischen Resektionsausmaß im Falle der lokalisierbaren Divertikelblutung
liegen klinische Daten nur vereinzelt vor. In einer retrospektiven Studie mit 42 konsekutiven
Patienten mit Divertikelblutung in den Jahren 1993–2000 gelang bei 6 Patienten die
Blutungslokalistion durch Koloskopie (n = 2) oder Angiographie (n = 4). 10 Patienten
wurden mit einer segmentalen Resektion und 32 Patienten mit einer Kolektomie therapiert.
Bei 5 der 10 Patienten mit segmentaler Kolonresektion war die Lokalisation der Blutung
durch Koloskopie möglich gewesen, während dies nur bei einem der 32 subtotal kolektomierten
Patienten gelang. Segmental resezierte Patienten waren 10 Jahre jünger (65 +/–13 vs
75 +/–12 Jahre; p = 0,03), während sich die OP-Dauer nicht unterschied (208 +/–77
vs 212 +/–58 min). Der intraoperative Blutverlust war mit 578 +/–347 ml bei subtotaler
Resektion höher als bei segmentalen Resektionen (305 +/–146 ml; p = 0,02). Die Krankenhaus-Morbidität
(20 vs 19 %), Mortalität (10 vs 3 %), Rezidivblutung (12,5 vs 0 %), Stuhlfrequenz
(2,4 +/–1 vs 3,5 +/– 2), der Cleveland Clinic-Inkontinenzscore (0,6 +/–1 vs 2 +/–3,6)
und die Patientenzufriedenheit waren im mittleren Follow-up von 4,1 (0,5–7,4) Jahren
nicht verschieden (p jeweils > 0,05) [389]. Ältere Untersuchungen bestätigen diese Ergebnisse im Wesentlichen [390]. Vor diesem Hintergrund sind segmentale und totale Kolektomie als individuelles
Vorgehen vertretbar.
Ist die Lokalisation der Blutung eindeutig, wird in der chirurgischen Praxis häufiger
die segmentale Kolektomie durchgeführt.
Diagnostik bei V. a. Sigma-Blasenfistel bzw. colovaginale Fistel
Empfehlung 4.21 (geprüft 2021)
Zur Diagnostik einer Sigma-Blasenfistel sollte ein Mohnsamentest durchgeführt werden,
wenn der klinische Verdacht besteht und die Fistel nicht bereits morphologisch (US,
CT, MRT, Koloskopie) vorbeschrieben ist.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar zu Statement 4.21:
Fisteln zur Harnblase oder Vagina stellen eine relevante Komplikation der Divertikulitis
dar. Etwa 90 % der Fisteln bei Divertikulitis betreffen diese beiden Entitäten während
Fisteln zum Dünndarm, zur Haut, in Uterus oder Ovarien, die Psoasmuskulatur oder in
die Hüftgelenke seltenere Befunde darstellen [391]. Die ganz überwiegende Zahl der Patienten (ca. 85 %) mit Sigma-Blasenfistel ist
männlich.
Sonographisch bzw. im CT besteht bei der Sigma-Blasenfistel oft eine fokale Wandverdickung
der (gefüllten) Harnblase; der Nachweis von Luft in der Blase belegt in dieser Situation
die Fistel. Betroffene Patienten berichten oft erst auf Befragen, dass Luftblasen
im Urin nachweisbar sind („Champagnerurin“); rezidivierende bzw. therapierefraktäre
Harnwegsinfekte und Dysurie sind dagegen charakteristisch und weisen den diagnostischen
Weg. Der direkte Nachweis der Fistel gelingt mit beiden Schnittbildverfahren nur in
einem Teil der Fälle. Bei eindeutiger Klinik (Pneumaturie, rezidivierende Harnwegsinfekte)
genügt der Verdacht auf eine enterovesikale Fistel in der Schnittbildgebung, um die
Indikation zur Sigmaresektion zu stellen.
Während die Koloskopie residuale entzündliche Aktivität, einen M. Crohn als wichtige
Differentialdiagnose und eine Stenosierung diagnostisch erfassen kann, gelingt die
endoskopische Diagnose einer Fistel nur selten (< 10 %; [391]). In gleicher Weise sind die Detektionsraten bei der Cystoskopie (10 %), Cystographie
(17 %), Kolonkontrastdarstellung mit Barium (36 %), MRT (60 %) und CT (61 %) enttäuschend.
Der qualitative Fistelnachweis wird am besten (Sensitivität 95 %) durch den sog. Mohnsamentest
geführt, bei dem 250 g natürliche Mohnsamen abends eingenommen werden und der Urin
während der nachfolgenden 48 Std. auf das Erscheinen von Mohnsamen kontrolliert wird
[392]
[393].
Inwieweit eine urologische Diagnostik vor einer Sigmaresektion und Fistelexzision
sinnvoll bzw. erforderlich ist, muss daher in Einzelfall entschieden werden und wird
dementsprechend häufiger von lokalen Faktoren geleitet werden.
In einer anderen Modifikation wurden 35 g Mohnsamen in 160 g Yoghurt oder mit 340 ml
Flüssigkeit konsumiert; auch hier war der Mohnsamentest mit 100 % Sensitivität der
CT-Untersuchung (70 % Sensitivität) signifikant (p = 0,03) überlegen, – bei 8,2 %o
der Kosten [394].
Grundsätzlich eignet sich der Mohnsamentest auch zur Erfassung einer Colo-vaginalen
Fistel; hierbei empfiehlt sich die Einlage eines Tampons oder Wattebausches zur Detektion
nach Einnahme der Testsubstanz. Kolposkopie und vaginale resp. transrektale Endosonographie
sind im Einzelfall ergänzende Methoden zu Sonographie und CT; allgemeingültige bzw.
vergleichbare Angaben zu den jeweiligen Detektionsraten sind nicht verfügbar.
4.22. Klassifikation
Die Klassifikation der Divertikelkrankheit erlaubt es, unterschiedliche Schweregrade
und Situationen abzubilden. Dies ist dann sinnvoll, wenn hiermit unterschiedliche
diagnostische und/oder therapeutische Pfade und Empfehlungen verknüpft sind, die Vorhaltung
und Inanspruchnahme unterschiedlicher Maßnahmen verknüpft werden kann und die Sicherheit
für Patient und Arzt verbessert werden kann.
Grundsätzlich soll eine Klassifikation daher alle Facetten der Divertikelerkrankung
abdecken, ohne praxisuntauglich durch übermäßige Detaillierung zu werden und seltene
Situationen formal zu betonen. Sie sollte überdies den Krankheitsverlauf ohne größeren
Aufwand situativ sachgerecht abbilden können.
Die DGVS und die DGAV haben sich daher 2014 auf die CDD als eine neue Klassifikation
geeinigt, die seither Eingang in die deutschsprachige Literatur, Klinik und Praxis
gefunden hat [134].
Ausweislich vielfältiger, meist nationalen Gegebenheiten Rechnung tragender Klassifikationen,
die neue Aspekte der Ätiologie, Pathogenese, des nosologischen Krankheitsverständnisses
sowie von Diagnostik und Therapie berücksichtigen, lässt sich retrospektiv feststellen,
dass die Klassifikationen von Hinchey (einschließlich der Modifikationen von Sher
und Wasvary), von Ambrosetti und Hansen/Stock (wie auch deren Modifikationen durch
Köhler und Siewert) als situativ und/oder inhaltlich überholt gelten können.
Das jeweilige Spektrum der durch die neueren (seit 2011) Leitlinien und Klassifikationen
abgedeckten und gewichteten Inhalte ist in der sorgfältigen Übersicht von Galetin
et al (2018) [152] dargestellt, in der auch die vorausgehende S2k-LL der DGVS/DGAV (2014) vergleichend
dargestellt wird.
Zahlreiche Klassifikationen und Modifikationen beschreiben die verschiedenen Stadien
der Divertikelerkrankung. Kritische aktuelle Übersichten finden sich bei [167]
[395] und [152].
Während die Klassifikation von Hinchey primär lediglich eine Stratifizierung der Operationsverfahren
beim Vorliegen unterschiedlicher Ausprägungen einer makroskopisch perforierten Divertikulitis
mit Abszess oder freier Perforation zum Ziel hatte und in der Folgezeit verschiedene
Modifikationen erfahren hat, muss heute das Ziel einer viszeralmedizinisch anwendbaren
Klassifikation der Divertikelkrankheit und Divertikulitis darin bestehen,
-
die unterschiedlichen Verlaufsformen der Divertikelkrankheit unabhängig von einer
Operation zu erfassen und
-
eine Stratifizierung für unterschiedliche Prognosen und Therapieformen (ambulant/stationär;
Notwendigkeit antibiotische Therapie; konservativ/interventionell/operativ) bei der
Erstdiagnose sowie rekurrierenden Verläufen zu ermöglichen. Dies wird auch Grundlage
einer adäquaten Abbildung bei der diagnosebezogenen Vergütung sein müssen.
Den genannten Zielen entsprechen in erster Linie die Klassifikation von Hinchey in
der Modifikation von Wasvary [156]
[396] sowie die Klassifikation von Hansen und Stock [397]. Erstere umfasst allerdings nur die unterschiedlichen Ausprägungen der Divertikulitis
mit einer (für die ambulante Behandlungsoption relevanten) Kategorie der mild clinical
diverticulitis, während die Klassifikation von Hansen und Stock (HS) die perforierten
Verläufe (Mikro-/Makroperforation, Abszessgröße und -Lokalisation) nicht weiter differenziert.
Ein Vorteil der HS-Klassifikation war die Einbeziehung des chronisch-rezidivierenden
(rekurrierenden) Verlaufs. Allerdings differenziert sie nicht zwischen dem chronisch-rezidivierenden
Verlauf ohne Komplikation (individuelle Indikation zur elektiven Operation) und dem
chronisch-rezidivierenden Verlauf mit Komplikation (obligate Indikation zur operativen
Therapie). Die akute Divertikulitis mit Begleitphlegmone wird nach Hansen-Stock als
komplizierte Divertikulitis klassifiziert.
Die CDD-Klassifikation klassifiziert diesen Typ korrekterweise als unkompliziert mit
guter Prognose unter konservativer Therapie. Insbesondere der sonographische Befund
einer echoreichen Netzkappe als Korrelat peridivertikulitischer Veränderungen findet
sich sowohl im Stadium HS I wie auch IIa (ohne dass es sich dabei um eine komplizierte
Divertikulitis handelt). Die Grenze zwischen HS I und HS IIa ist im CT (wie in der
Sonographie) schwer darstellbar und eine wünschenswerte Differenzierung Mikroperforation/Makroperforation
fehlt.
Empfehlung 4.22a (geprüft 2021)
Die Diagnose einer Divertikelkrankheit soll eine Klassifikation beinhalten.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Konsens
Statement 4.22b (modifiziert 2021)
Die Leitlinienkonferenz empfiehlt weiterhin die Verwendung der CDD ([Tab. 6]), die in dieser Neufassung sowohl den Erörterungen zur SUDD sowie den praktischen
Gegebenheiten der Diagnostik bei der Divertikulitis Rechnung trägt.
Evidenzlevel 2, Konsens
Tab. 6
Klassifikation der Divertikelkrankheit (Classification of diverticular disease) (CDD).
Classification of Diverticular Disease (CDD)
|
Typ. 0
|
Asymptomatische Divertikulose
|
Zufallsbefund; asymptomatisch
|
Keine Krankheit
|
Typ 1
|
Unkomplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis
|
Typ. 1a
|
Divertikulitis/Divertikelkrankheit ohne phlegmonöse Umgebungsreaktion
|
Auf die Divertikel beziehbare Symptome
|
Entzündungszeichen und/oder
|
Entzündungsbefunde in der Bildgebung (Wandverbreiterung, entzündetes Divertikel)
|
Typ. 1b
|
Divertikulitis mit phlegmonöser Umgebungsreaktion
|
Entzündungszeichen; phlegmonöse Divertikulitis (Kolonwand, Mesenterium)
|
in der Bildgebung;
|
ggfs. mit Flüssigkeitsstraßen (ohne Luft)
|
Typ. 2
|
Komplizierte Divertikulitis
|
Typ. 2a
|
Mikroabszess
|
Gedeckte Perforation, kleiner Abszess (≤ 3 cm); minimale parakolische Luft
|
Typ. 2b
|
Makroabszess
|
Parakolischer oder mesokolischer Abszess (> 3 cm)
|
Typ. 2c
|
Freie Perforation
|
Freie Perforation, freie Luft/Flüssigkeit, generalisierte Peritonitis
|
Typ 2c1
|
Eitrige Peritonitis
|
Typ 2c2
|
Fäkale Peritonitis
|
Typ. 3
|
Chronische Divertikelkrankheit
|
Typ. 3a
|
Persistierende/rezidivierende Symptome, die auf eine Divertikulose bezogen werden
(SUDD)
|
Typ 3b
|
Rezidivierende Divertikulitis ohne Komplikationen
|
Typ.3c
|
Rezidivierende Divertikulitis mit Komplikationen
(Stenose, Fistel, Konglomerat)
|
Typ 4
|
Divertikelblutung
|
Nachweis der Blutungsquelle
|
Kapitel 5: Prophylaxe und konservative Behandlung: Medikamente, Ernährung, Lifestyle
Kapitel 5: Prophylaxe und konservative Behandlung: Medikamente, Ernährung, Lifestyle
Ernährung und Genussmittel: Ballaststoffe
Empfehlung 5.1 (neu 2021)
Eine ballaststoffreiche Kost (≥ 30 g/Tag) reich an Obst, Gemüse und Cerealien soll
für Männer und Frauen unabhängig vom Lebensalter zur Primärprophylaxe der Divertikelkrankheit
und in Übereinstimmung mit allgemeinen Ernährungsempfehlungen empfohlen werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Zu der Frage, ob die Menge und Art der konsumierten Ballaststoffe das Risiko für das
Auftreten der Divertikelkrankheit beeinflusst, liegt mittlerweile eine Metaanalyse
vor, die fünf prospektive Kohortenstudien mit 19 282 Betroffenen und 865 829 Teilnehmern
berücksichtigt [398]. Bei den einbezogenen Studien bzw. Kohorten handelt es sich um die Health Professionals
Follow-up Study (HPFS) mit 47 888 Männern [399], die EPIC-Oxford Studie mit 47 033 Männern und Frauen [193], die Million Women’s Study mit 690 075 Frauen [400], die Swedish Mammograph Cohort mit 36 110 Frauen [401] und die Cohort of Swedish Men mit 44 723 Männern [401].
Insgesamt fand sich ein relatives Risiko (RR) von 0,74 (95 % CI 0,71–0,78) pro 10 g
Ballaststoffaufnahme pro Tag. Gegenüber einem Konsum von 7,5 g Ballaststoffen/Tag
führte die Aufnahme von 20, 30 bzw. 40 g/Tag zu einem RR von 0,77 (95 % CI 0,74–0,79),
0,59 (95 % CI 0,55–0,64) und 0,42 (95 % CI 0,35–0,51).
Bezüglich der Ballaststoffquellen fand sich ein RR pro 10 g Zufuhr/Tag von 0,74 (95 %
CI 0,67–0,81) für Cerealien, von 0,56 (95 % CI 0,37–0,84) für Früchte und von 0,80
(95 % CI 0,45–1,44) für Gemüse.
Weitere prospektive Kohortenstudien untersuchten den Zusammenhang des Ballaststoffkonsums
mit dem Risiko für das Auftreten einer Divertikulitis. Die HPFS mit 45 203 Männern
fand ein RR von 0,77 (95 % CI 0,60–0,98) für den Ballaststoffverzehr in der höchsten
Quintile (≥ 23 g/Tag) gegenüber der niedrigsten Quintile [402]. Mit einem RR von 0,86 (95 % CI 0,78–0,95) demonstrierte die Nurses Health Study
an 50 019 Frauen einen geringeren Effekt für den Ballaststoffverzehr in der höchsten
Quintile (im Mittel 28,5 g/Tag) versus der niedrigsten Quintile (Q) (im Mittel 12,5 g/Tag)
[402]. Protektiv wirken gemäß dieser Untersuchung Ballaststoffe aus Cerealien, Früchten
und hier besonders ganzen Äpfeln, Birnen und Pflaumen jedoch nicht aus Gemüse. Einen
günstigen Effekt insbesondere unlöslicher Ballaststoffe hatte auch die 1998 publizierte
Auswertung der HPFS-Kohorte ergeben, allerdings bezüglich des Endpunktes Divertikelkrankheit
[403].
Der gesundheitliche Wert einer ballaststoffreichen Ernährung deutlich über die Divertikelkrankheit
hinaus wird durch systematische Reviews und Metaanalysen belegt [404]
[405]
[406]. Diese Evidenz findet ihren Niederschlag in den Empfehlungen der Deutschen, österreichischen
und schweizerischen Gesellschaften für Ernährung [407].
Ernährung und Genussmittel: Nüsse, Körner, Mais und Popcorn
Empfehlung 5.2. (neu 2021)
Eine Empfehlung zum Meiden von Nüssen, Körnern, Mais und Popcorn sollte zur Primärprophylaxe
der Divertikelkrankheit nicht ausgesprochen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Entgegen der früher häufig geäußerten Vorstellung, dass unverdaute Rückstände von
Nüssen, Mais und Popcorn in Divertikelhälsen stecken bleiben und zu gehäuften Komplikationen
führen können, zeigte die Analyse der HPFS-Kohorte, dass diese Nahrungsmittel bei
regelmäßigem Verzehr das Risiko für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit sogar
reduzieren. Männer mit dem höchsten Konsum (mindestens 2x/ Woche) hatten gegenüber
denjenigen mit dem niedrigsten (weniger als 1x/Monat) ein RR von 0,80 (95 % CI 0,63–1,01)
für Nüsse und 0,72 ((95 % CI 0,56–0,92) für Popcorn [194].
Ernährung und Genussmittel: Rotes Fleisch
Empfehlung 5.3 (neu 2021)
Der Verzehr von rotem Fleisch sollte zur Primärprophylaxe der Divertikelkrankheit
eingeschränkt werden. Bei einem Verzehr von mehr als 105–135 g/Woche steigt das Risiko
linear bis zu einem Plateau bei ca. 540 g/Woche um ca. 50 % an.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Evidenz, dass der Verzehr von rotem Fleisch einen Risikofaktor für die Entwicklung
einer Divertikelkrankheit, einer Divertikulitis oder einer deswegen notwendigen stationären
Behandlung darstellt, hat sich durch die Publikation zweier neuerer, prospektiver
Kohortenstudien gefestigt [402]
[408].
In der 1994 publizierten Analyse der HPFS-Kohorte führte der gehäufte Verzehr von
rotem Fleisch zu einem 1,5-fach erhöhten Risiko für das Auftreten einer Divertikelkrankheit,
allerdings konnte kein Dosiseffekt belegt werden. Der Verzehr von 39,4, 65,9, 97,4
oder 144,4 g rotem Fleisch/Tag resultierte gegenüber dem Verzehr von 16,0 g/Tag zu
dem gleichen Risiko. Wurde hingegen mindestens täglich ein Fleischgericht als Hauptmahlzeit
verzehrt (113–170 g Rind, Schwein, Lamm) ergab sich gegenüber einer Personengruppe
mit einer Fleischhauptmahlzeit weniger als 1x/Monat ein 3,23-fach erhöhtes Risiko
für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit [399]. In der 2011 veröffentlichten Auswertung der EPIC-Kohorte betrug das RR für eine
Divertikelkrankheit für Vegetarier gegenüber Fleischkonsumenten 0,69 (95 % CI 0,55–0,86).
Die kumulative Wahrscheinlichkeit für 50 bis 70-jährige Fleischkonsumenten für Divertikelkrankheit-assoziierten
Krankenhausaufenthalt oder Tod betrug 4,4 vs. 3,0 % für Vegetarier [193].
In der 2017 publizierten Analyse der HPFS-Kohorte fand sich für Männer in der höchsten
Quintile für den Verzehr von rotem Fleisch (14 Portionen/Woche; 150 g/Tag) ein RR
von 1,43 (95 % CI 1,10–1,85) gegenüber denjenigen in der niedrigsten Quintile (1,2
Portionen/Woche; 15 g/Tag) für das Auftreten einer Divertikulitis [402].
Eine 2018 veröffentlichte Arbeit griff ebenfalls auf die HPFS-Kohorte zurück und fand
ein RR von 1,58 (95 % CI 1,19–2,11) für die Entwicklung einer Divertikulitis bei Männern
in der höchsten Quintile bzgl. des Konsums von rotem Fleisch (12,4 Portionen/Woche)
gegenüber denjenigen in der niedrigsten Quintile (1,5 Portionen/Woche) [408]. Wie in der Untersuchung von 1994 war die Risikozunahme nicht linear, sondern zeigte
ein Plateau nach 6 Portionen/Woche. Die Assoziation war stärker für unprozessiertes
rotes Fleisch (RR für Q5 vs. Q1: 1,51 95 % (1,12–2,03)) als für verarbeitetes rotes
Fleisch (RR für Q5 vs. Q1: 1,03 (95 % CI 0,78–1,35)). Der vermehrte Verzehr von Geflügel
oder Fisch war nicht mit einem Risiko für eine Divertikulitis assoziiert, der Austausch
einer Portion unprozessierten roten Fleischs durch eine Geflügel- oder Fischportion
pro Tag resultierte jedoch in einem reduzierten Risiko für die Entwicklung einer Divertikulitis
mit einem RR von 0,80 (95 % CI 0,63–0,99) [408].
Wie kann man auf der Grundlage dieser Daten nun zu Ernährungsempfehlungen gelangen?
Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE, https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/) empfehlen ohne Differenzierung in rotes oder weißes Fleisch für Menschen mit niedrigem
Kalorienbedarf ca. 300 g Fleisch und Wurst/Woche und für Menschen mit hohem Kalorienbedarf
ca. 600 g Fleisch und Wurst/Woche [402].
Aus den vorstehenden Kohortenstudien resultieren jedoch deutlich restriktivere Mengenangaben
für den Verzehr von rotem Fleisch zur Reduktion des Risikos für die Entwicklung einer
Divertikelkrankheit. Maximal protektive Effekte wurden für 7 × 16 g = 112 g/Woche
(64), 7 × 15 g = 105 g [402] sowie bei einer mittleren Portionsgrösse von 90 g für 1,5 × 90 g = 135 g/Woche [408] berichtet. Zwei Arbeiten berichteten, dass das Risiko für die Entwicklung einer
Divertikelkrankheit bei einer bestimmten Menge roten Fleisches ein Plateau erreichte,
ein Verzehr von noch höheren Mengen führte nicht zu einer weiteren Risikoerhöhung.
Dieses Plateau wurde in einer Arbeit bei 7 × 39,4 = 275,8 g/Woche [64] und in der anderen bei 6 × 90 g = 540 g /Woche [408] gefunden. Die beschriebenen protektiven Effekte sind mit 50 % [399], 43 % [402] und 58 % beziffert.
Neben der Vermeidung von rotem Fleisch und dem Verzehr von reichlich Ballaststoffen
besteht aktuell unzureichende Evidenz für weitere spezifische Ernährungsempfehlungen.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
In einer weiteren Analyse der HPFS-Kohorte wurde der Effekt von komplexeren Ernährungsmustern
statt einzelner Nahrungsbestandteile auf das Risiko für die Entwicklung einer Divertikulitis
untersucht [410]. Die sog. westliche Diät enthält in der Definition dieser Studie hohe Anteile von
rotem und verarbeitetem Fleisch, raffiniertem Mehl, Süßigkeiten, Pommes frites und
fettreichen Molkereiprodukten, die empfehlenswerte Diät reichlich Früchte, Gemüse,
Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Geflügel und Fisch. Männer in der höchsten Quintile
für die westliche Diät hatten eine multivariate Hazard Ratio (HR) von 1,55 (95 % CI
1,20–1,99) für das Auftreten einer Divertikulitis gegenüber denjenigen in der niedrigsten
Quintile für westliche Diät. Männer in der höchsten Quintile für die empfehlenswerte
Diät hatten gegenüber denjenigen in der niedrigsten Quintile ein reduziertes Risiko
für eine Divertikulitis (multivariate HR 0,74 (95 % CI 0,60–0,91). Der Effekt der
Diätmuster war in erster Linie auf den Gehalt an Ballaststoffen und rotem Fleisch
zurückzuführen. Der Gesamtfettgehalt und gesättigte Fette hatten keinen Einfluss auf
das Risiko. Ferner weisen die Daten darauf hin, dass insbesondere im Fall der westlichen
Diät der Konsum in der jüngeren Vergangenheit (1–4 Jahre) das Risiko für das Auftreten
einer Divertikulitis erhöht [410].
Das westliche ist gegenüber dem empfehlenswerten Diätmuster mit höheren Konzentrationen
von Entzündungsmarkern wie CRP, IL-6, TNFαR2 oder Adiponectin im Plasma vergesellschaftet.
Ein chronischer Entzündungsstatus spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung chronischer
Erkrankungen u. a. kardiovaskulärer Erkrankungen, Typ 2 Diabetes mellitus oder Karzinomen.
In der HPFS-Kohorte hatten Männer in der höchsten Quintile des westlichen Ernährungsmusters
gegenüber denjenigen in der niedrigsten Quintile eine multivariate HR von 1,31 (95 %
CI 1,07–1,60) für die Entwicklung einer Divertikulitis. Plasmaproben zur Bestimmung
von CRP und IL-6 waren im Median 7,9 Jahre vor der Diagnose der Divertikulitis abgenommen
werden. Männer mit den höchsten CRP-Konzentrationen hatten gegenüber denjenigen mit
der niedrigsten Konzentration ein RR von 1,85 (95 % CI 1,04–3,30) für die Entwicklung
einer Divertikulitis. Das entsprechende RR für IL-6 betrug 2,04 (95 % CI 1,09–3,84)
[411].
Ernährung und Genussmittel: Rauchen
Empfehlung 5.5. (neu 2021)
Zur Primärprophylaxe der Divertikelkrankheit soll Nikotinabstinenz empfohlen werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenrauchen und der Entwicklung einer Divertikulitis
bzw. Komplikationen einer Divertikulitis wurden in einer Metaanalyse aufgearbeitet
[412]. In die Analyse bezüglich aktuellen Rauchens und der Entwicklung einer Divertikelkrankheit
wurden vier prospektive Kohortenstudien mit 363 205 Teilnehmern und 5964 Fällen einbezogen.
Es ergab sich ein RR von 1,36 (95 % CI 1,15–1,61). Dieselben Daten wurden für die
Auswertung bzgl. des Rauchens in der Vergangenheit herangezogen. Das RR für die Entwicklung
einer Divertikelkrankheit betrug 1,17 (95 % 1,05–1,31). Für die Analyse des Zusammenhangs
zwischen „jemals geraucht“ und einer Divertikelkrankheit standen fünf Kohortenstudien
mit 370 699 und 6076 Fällen zur Verfügung. Es resultierte ein RR von 1,33 (95 % CI
1,21–1,47). Für die Untersuchung der Dosis-Wirkungs-Beziehung standen wiederum vier
Kohortenstudien zur Verfügung. Das RR betrug 1,11 (95 % CI 0,99–1,25) pro 10 Zigaretten/Tag.
Das Risiko stieg bis zu den ersten fünf Zigaretten steiler an um dann einen linearen
Verlauf zu nehmen.
Für die Analyse des Risikos für Komplikationen wie Perforation oder Abszess standen
für aktuelles Rauchen und Rauchen in der Vergangenheit zwei, für „jemals geraucht“
drei Kohortenstudien zur Verfügung. Das RR für aktuelles Rauchen, Rauchen in der Vergangenheit
und „jemals geraucht“ betrug 2,54 (95 % CI 1,49–4,33), 1,26 (95 % CI 0,81–1,95) sowie
1,83 (95 % CI 1,25–2,67) [412].
Die Analyse der schwedischen Bauarbeiter Kohorte zu dem Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen
und der Hospitalisation wegen einer Divertikelkrankheit ist nicht in die Metaanalyse
eingegangen. Die Kohorte umfasst 232 685 Männer und 14 592 Frauen [413]. Männer, die 15 oder mehr Zigaretten pro Tag rauchten, weisen gegenüber Nichtrauchern
ein RR von 1,56 (95 % CI 1,42–1,72) für die Entwicklung einer stationär zu behandelnden
Divertikelkrankheit auf. Das RR für moderate Raucher und Ex-Raucher betrug 1,39 (95 %
CI 1,27–1,52) bzw. 1,14 (95 % CI 1,04–1,27) im Vergleich zu Nichtrauchern. Die Verhältnisse
stellten sich für Frauen ähnlich dar, waren aber wegen der geringeren Fallzahlen weniger
präzise. Männer, die jemals geraucht haben, hatten ein RR von 2,73 (95 % CI 1,69–4,41)
eine komplizierte Divertikelkrankheit mit Perforation oder Abszess auszubilden. Die
verfügbaren Daten erlaubten nicht Confounder wie Lifestyle, Medikation oder Komorbiditäten
in der Analyse zu berücksichtigen [413].
Die Auswertung der HPFS-Kohorte aus 2017 fand bei Männern mit einer Raucheranamnese
von ≥ 40 pack-years ein multivariates RR von 1,27 (95 % CI 1,01–1,58) gegenüber Männern,
die nie geraucht haben für das Auftreten einer Divertikulitis [402].
Eine Fallkontrollstudie an 176 Patienten, die wegen einer Divertikulitis notfallmäßig
stationär aufgenommen werden mussten fand ein deutlich erhöhtes Risiko für die Notwendigkeit
einer chirurgischen Therapie in Form einer partiellen Kolektomie bei Rauchern und
Ex-Rauchern [414].
Ernährung und Genussmittel: Alkohol
Statement 5.6. (neu 2021)
Ein erhöhtes Risiko für eine Divertikelkrankheit ist belegt für die akute Alkoholintoxikation,
für den schädlichen Alkoholgebrauch oder für das Alkoholabhängigkeitssyndrom.
Es liegen aktuell keine Daten vor, dass risikoarmer oder auch riskanter Alkoholkonsum
zu einem erhöhten Risiko bzgl. des Auftretens einer Divertikelkrankheit führt.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Ein risikoarmer Alkoholkonsum liegt bei ≤ 24 g Alkohol/Tag beim Mann und ≤ 12 g Alkohol/Tag
bei der Frau mit mindestens 2 alkoholfreien Tagen/Woche, ein riskanter Alkoholkonsum
bei > 24 g/Tag beim Mann und > 12 g/Tag bei der Frau. Der schädlichen Alkoholgebrauch
liegt vor bei nachweislichen Folgeschädigung der psychischen oder physischen Gesundheit.
Allgemeinen Ernährungsempfehlungen entsprechend sollen auf Grund der allgemeinen gesundheitlichen
Risiken des Alkoholkonsums entweder die Grenzwerte für den risikoarmen Alkoholkonsum
entsprechend der deutschen S3-Leitlinie [415] oder der DGE (≤ 20 g/Tag beim Mann und ≤ 10 g/Tag bei der Frau) empfohlen werden
(10 Regeln der DGE).
In der 1995 publizierten Analyse der HPFS-Kohorte fand sich für Männer mit einem Alkoholkonsum
> 30 g/Tag gegenüber Alkoholabstinenten ein statistisch nicht signifikantes RR von
1,36 (95 % CI 0,94–1,97; p für Trend = 0,37) für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit
[409]. In der Subgruppenanalyse konnte für Bier und Wein kein Zusammenhang mit der Entwicklung
einer Divertikelkrankheit gezeigt werden. Der Konsum von 1–3 Schnäpsen/Monat resultierte
in einem um 50 % erhöhten Risiko für eine Divertikelkrankheit, die Dosis-Wirkungsbeziehung
zeigte sich mit einem um 65 % erhöhten Risiko beim Konsum von 2–3 Schnäpsen/Tag schwach
ausgeprägt [409].
In der EPIC-Kohorte fand sich kein Effekt des Alkoholkonsums auf die Notwendigkeit
einer stationären Behandlung wegen einer Divertikelkrankheit [193].
Eine dänische Arbeitsgruppe untersuchte eine Kohorte von 21 094 Männern und 7723 Frauen,
die wegen der Diagnosen Alkoholismus oder alkohol-induzierte Psychose aus der stationären
Therapie entlassen worden waren auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung
wegen einer Divertikulitis im Verlauf [416]. Als Kontrolle diente die nationale stationäre Aufnahmefrequenz wegen Divertikulitis.
Für die alkoholkranken Männer fand sich ein RR von 2,0, für Frauen von 2,9. Das Risiko
nahm über die Zeit nur sehr gering ab und betrug 5 Jahre nach Diagnose des Alkoholabusus
noch immer 1,9 für Männer und 2,5 für Frauen.
Eine Kohorte die mit einer Alkoholintoxikation diagnostiziert worden waren untersuchte
eine Taiwanesische Arbeitsgruppe. Sie matchte 51 866 Patienten mit Alkoholintoxikation
1:4 mit 207 464 Personen ohne Alkoholintoxikations-Anamnese gemäß Alter und Geschlecht
[417]. Die multivariate HR für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit im Verlauf wurde
mit 3,21 (95 % CI 2,76–3,74) berechnet. Der Wert lag mit 3,44 für Frauen etwas höher
als für Männer mit 3,19. Der Effekt war für Patienten < 45 Jahre ausgeprägter mit
einer HR von 4,95 (95 % CI 3,91–6,27) als für diejenigen ≥ 45 Jahre mit 2,34 (95 %
CI 1,89–2,88). Wurde die Schwere der Intoxikation in Tertile eingeteilt, ergab sich
für die Gruppe mit einer milden Intoxikation eine HR von 1,98 (95 % CI 1,64–2,39),
für die moderate Intoxikation von 4,73 (95 % CI 3,86–5,79) und für die schwere Intoxikation
eine HR von 10,3 (95 % CI 8,27–12,7) [417].
Ernährung und Genussmittel: Kaffee
Empfehlung 5.7. (neu 2021)
Es liegen keine Daten zu einer Assoziation des Kaffeekonsums mit dem Auftreten einer
Divertikelkrankheit vor. Eine diesbezügliche Empfehlung zum Kaffeekonsum sollte daher
nicht gemacht werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
In der Analyse der HPFS-Kohorte von 1995 fand sich kein Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum
und dem Auftreten einer Divertikelkrankheit [403].
Körpergewicht, körperliche Aktivität, gesunder Lebensstil
Übergewicht
Empfehlung 5.8. (neu 2021)
Der Erhalt des Normgewichts soll zur Prophylaxe einer Divertikelkrankheit empfohlen
werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Die verfügbaren Daten weisen auf ein maximal reduziertes Risiko für die Entwicklung
einer Divertikelkrankheit oder Divertikulitis bei einem BMI von 20,0–22,5 kg/m2 und einen linearen Zusammenhang zwischen steigendem BMI und Risiko hin.
Der BMI ist ein nicht in allen Aspekten perfektes Maß für gesundheitsschädliches Übergewicht,
u. a. nachdem er den wichtigen Aspekt der Fettverteilung und der Muskelmasse nicht
einbezieht und die Kategorien der Normal- und Übergewichtigkeit sowie die Altersentwicklung
nicht berücksichtigten [418]
[419]. Ferner bestehen widersprüchliche Daten bzgl. des Mortalitätsrisikos für die Kategorie
„übergewichtig“ (25 – < 30 kg/m2) [420].
In Übereinstimmung mit der S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas [421] sollen adipöse (BMI ≥ 30 kg/m2) oder übergewichtige Menschen (25 – < 30 kg/m2) mit übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen (z. B. art. Hypertonie, Typ 2 Diabetes
mellitus) oder einer abdominalen Adipositas oder von Erkrankungen, die durch Übergewicht
verschlimmert werden oder mit hohem psychosozialem Leidensdruck, anstreben > 5 % des
Ausgangsgewichtes innerhalb von 6–12 Monaten abzunehmen.
Der Zusammenhang zwischen BMI und Divertikelkrankheit, Divertikulitis sowie Komplikationen
wie Perforation, Abszess bzw. Blutung wurde in einer Metaanalyse beleuchtet [422]. Für die Analyse des Zusammenhangs zwischen BMI und Divertikelkrankheit standen
sechs Kohortenstudien mit 1636 777 Teilnehmern und 28 915 Fällen zur Verfügung. Das
RR für den höchsten vs. dem niedrigsten BMI liegt bei 1,78 (95 % CI 1,48–2,14). Es
fand sich eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung sogar im normalen BMI-Bereich mit
einem RR von 1,28 (95 % CI 1,18–1,40) für einen BMI-Anstieg von 5 kg/m2.
Für die Analyse des Zusammenhangs zwischen BMI und Divertikulitis konnten 2 Kohortenstudien
mit 89 798 Teilnehmern und 1159 Fällen einbezogen werden. Das RR für die höchste vs.
der niedrigsten BMI-Kategorie war 2,09 (95 % CI 1,63–2,68). In der Dosis-Wirkungs-Analyse
fand sich ein linearer Zusammenhang ohne Schwellenwert mit einem RR von 1,31 (95 %
CI 1,09–1,56) für einen BMI-Anstieg von 5 kg/m2.
Drei Studien mit 93 699 Teilnehmern und 2326 Fällen wurden in die Analyse des Zusammenhangs
zwischen BMI und Komplikationen der Divertikelkrankheit wie Perforation, Abszess und
Blutung einbezogen. Das RR für einen BMI-Anstieg von 5 kg/m2 lag bei 1,20 (95 % CI 1,04–1,40). Der Dosis-Wirkungs-Zusammenhang wies Anzeichen
der Nonlinearität auf, das geringste Risiko fand sich bei einem BMI von 22 kg/m2
[422].
Nachdem nur eine Studie [423] Angaben zu Taillen-Umfang und Taillen-Hüft-Verhältnis machte, konnte diesbezüglich
keine Metaanalyse durchgeführt werden [422]. In der Analyse der HPFS-Kohorte mit 47 228 Teilnehmern, zeigte sich, dass Männer
in der höchsten Quintile bzgl. des Taillenumfangs gegenüber denjenigen in der niedrigsten
Quintile ein multivariables RR von 1,56 (95 % CI 1,18–2,07) für das Auftreten einer
Divertikulitis aufwiesen [423]. Nach Korrektur für den BMI blieb die waist-to-hip Ratio (Taillen-Hüft-Verhältnis)
ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von Komplikationen. Pathogenetisch
könnte die zentrale Fettleibigkeit durch die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine
aus dem viszeralen Fett eine Rolle für Divertikelkrankheit spielen [423].
Eine 2018 erschienene Analyse der Nurses Health Study Kohorte mit 46 079 Teilnehmerinnen
und 1084 Divertikulitis-Fällen war nicht Teil der Metaanalyse [424]. In der multivariaten Analyse hatten Frauen mit einem BMI ≥ 35,0 kg/m2 gegenüber denjenigen mit einem BMI < 22,5 kg/m2 eine HR von 1,42 (95 % CI 1,08–1,85) für die Entwicklung einer Divertikulitis. Frauen
in der höchsten vs. der niedrigsten Quintile bzgl. des Taillenumfangs bzw. der waist-to-hip
Ratio wiesen ein RR von 1,35 (95 % CI 1,02–1,78) bzw. 1,40 (95 % CI 1,07–1,84) für
die Entwicklung einer Divertikulitis auf. Wurde der BMI in diese Berechnungen als
Variable mit einbezogen verringerte sich diese Assoziation. Verglichen mit Frauen,
die das Gewicht vom 18. Lebensjahr bis zum Zeitpunkt der Analyse konstant halten konnten
wiesen Frauen mit einer Gewichtszunahme von ≥ 20 kg ein RR von 1,73 (95 % CI 1,27–2,36)
für die Entwicklung einer Divertikulitis auf.
Empfehlung 5.9 (neu 2021)
Körperliche Aktivität kann die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Divertikelkrankheit
bzw. Divertikulitis vermindern. Am günstigsten sind über 50 MET-h (metabolisches Äquivalent)
/Woche entsprechend ca 12 h Walking mit 5 km/h, 6 h Fahrradfahren mit 24 km/h oder
4,5 h Joggen mit 11 km/h. Zumindest sollen jedoch in Übereinstimmung mit der DGE 30
bis 60 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Tag empfohlen werden (10 Regeln
der DGE).
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Der Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Divertikelkrankheit bzw. Divertikulitis
wurde ebenfalls mittels einer Metaanalyse untersucht [422]. Fünf Kohortenstudien mit 147 869 Teilnehmern und 2080 Fällen standen für die Untersuchung
der Assoziation zwischen körperlicher Aktivität und Auftreten einer Divertikelkrankheit
zur Verfügung. Das RR für hohe vs. niedrige körperliche Aktivität lag bei 0,76 (95 %
CI 0,63–0,93). Wegen der von Studie zu Studie unterschiedlichen Angaben zur Bemessung
der körperlichen Aktivität konnte keine Dosis-Wirkungs-Analyse durchgeführt werden
[422]. Generell ergibt sich jedoch aus den Studien, dass kräftige körperliche Aktivität
zu stärkeren Effekten führt als geringere und dass für den maximalen Effekt zumeist
> 50 MET-h/Woche erbracht wurden [422]
[425].
Zwei Kohortenstudien mit 89 798 Teilnehmern und 1158 Fällen berichteten Daten zu starker
körperlicher Aktivität und dem Risiko des Auftretens einer Divertikulitis. Das RR
für kräftige körperliche Aktivität vs. niedrige körperliche Aktivität betrug 0,74
(95 % CI 0,57–0,97) [422].
Empfehlung 5.10 (neu 2021)
Ein gesunder Lebensstil soll zur Primärprophylaxe der Divertikelkrankheit empfohlen
werden.
Ein alle Aspekte berücksichtigender Lebensstil mit reduziertem Verzehr von rotem Fleisch,
vermehrtem Verzehr von Ballaststoffen und kräftiger körperlicher Aktivität bei normalem
BMI sowie Nikotinabstinenz reduziert das Risiko für das Auftreten einer Divertikulitis
um bis zu 50 %.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Aus einigen Kohortenstudien gibt es wenige, aber methodisch gute Daten zum Effekt
eines Lebens unter Berücksichtigung von mehreren Risikofaktoren („gesundes Leben“)
in Hinsicht auf die Entwicklung einer Divertikelkrankheit.
In der Auswertung der HPFS-Kohorte mit 51 529 Männern und 907 Fällen aus 2017 wurde
der Effekt der Kombination verschiedener Lebensstil-Faktoren auf das Risiko der Entwicklung
einer Divertikulitis untersucht [402]. Ein Lebensstil mit niedrigem Risiko wurde definiert als Verzehr von < 51 g rotem
Fleisch/Tag, Verzehr von Ballaststoffen in den Top 40 % der Kohorte (ca. 23 g/Tag),
kräftige körperliche Aktivität in den Top 50 % der Teilnehmer, die mehr als gar keine
kräftige körperliche Aktivität ausübten (grob 2 Stunden Aktivität/Woche), normaler
BMI zwischen 18,5–24,9 kg/m2 sowie Rauchen zu keinem Zeitpunkt. Es fand sich eine inverse, lineare Beziehung zwischen
der Zahl der mit niedrigem Risiko vergesellschaften Lifestyle-Faktoren und der Divertikulitis-Inzidenz.
Verglichen mit Männern mit keinem Niedrig-Risiko Lifestyle-Faktor betrug das RR eine
Divertikulitis zu entwickeln für diejenigen mit 1 Faktor 0,71 (95 % CI 0,59–0,87),
mit 2 Faktoren 0,66 (95 % CI 0,55–0,81), mit 3 Faktoren 0,50 (95 % CI 0,40–0,62),
mit 4 Faktoren 0,47 (95 % CI 0,35–0,62) und mit 5 Faktoren 0,27 (95 % CI 0,15–0,48)
[402].
Die Autoren schätzen, dass durch das Befolgen eines mit wenig Risiko behafteten Lebensstils
etwa 50 % der Divertikulitisfälle vermieden werden könnten. Nachdem es sich bei der
HPFS-Kohorte um eine Gruppe handelt, die gesünder und bewusster lebt, als die generelle
Bevölkerung, könnte der Effekt in letzterer sogar noch größer sein [402].
In einer 42 750 Teilnehmer umfassenden norwegischen Kohorte wurden 358 Fälle beobachtet,
die mit der Diagnose akute Divertikulitis stationär aufgenommen wurden. Neben dem
Lebensalter fanden sich bei Männern ein BMI ≥ 30 kg/m2 (HR = 2,58), Dyspnoe (HR = 2,57) und Leben in einer ländlichen Region (HR = 1,74)
als Risikofaktor, bei Frauen BMI ≥ 30 kg/m2 (HR = 2,06) sowie früheres oder gegenwärtiges Zigarettenrauchen (HR = 1,65). Kein
Effekt wurde hingegen für Bildungsniveau, körperliche Aktivität, Obstipation sowie
Brottyp gefunden [426]. Die Studie weist Schwächen mit einem groben Raster für die Einteilung der Risikofaktor-Kategorien
(z. B. Brot fein, grob, oder beides als Maß für die Ballaststoffzufuhr) und fehlenden
Angaben für mindestens einen Risikofaktor bei ca. 50 % der Teilnehmer auf.
Einen interessanten Blickwinkel erlaubte die Studie an einer Kohorte von 43 772 Rekruten
des schwedischen Militärs, die im Alter von 18 bis 20 Jahren zum Dienst eingezogen
und zu diesem Zeitpunkt gründlich untersucht wurden. Mit Hilfe des Nationalen Patienten
Registers wurden in den folgenden 39 Jahren 444 Männer identifiziert, die mit der
Diagnose Divertikelkrankheit aus der stationären Behandlung entlassen wurden. Auf
diese Weise konnten Lifestyle-Faktoren des jungen Erwachsenenalters identifiziert
werden, die sich in einem höheren Alter als Risiko für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit
manifestieren [427]. Männer mit einem BMI ≥ 25 kg/m2 wiesen eine HR von 2,02 (95 % CI 1,50–2,73) gegenüber der Referenzgruppe mit einem
BMI von 18,5–22,5 auf. Ein hohes Niveau an kardiovaskulärer Fitness erwies sich als
protektiv mit einem HR von 0,94 (95 % CI 0,87–0,99), während Rauchen mit einem erhöhten
Risiko einherging, das für 1–5 Zigaretten/Tag mit einem HR von 1,60 (95 % CI 1,18–2,18)
am stärksten ausgeprägt war. Alkoholgenuss per se bis über 250 g Alkohol/Woche hinaus
stellte keinen Risikofaktor für die Entwicklung einer Divertikelkrankheit im späteren
Leben dar, wohl aber riskanter Alkoholkonsum mit einem HR von 1,43 (95 % CI 1,09–1,88).
Riskanter Alkoholkonsum wurde in Abweichung der in 2.1.6 im deutschen Schrifttum getroffenen
Festlegung definiert als Alkoholkonsum um einen Hangover zu lindern, Festnahme wegen
Trunkenheit und/oder häufiges Betrunken sein [427].
Eine weitere Lifestyle-Entscheidung könnte sein auch in der dunklen Jahreszeit bewusst
die UV-Licht-Exposition zu suchen und damit die Vitamin D Serum-Konzentrationen auf
einem höheren Niveau zu halten. Initial war in einer US-weiten Untersuchung ein saisonaler,
sinusoidaler Verlauf der nichtelektiven stationären Aufnahmen wegen Divertikulitis
mit den tiefsten Zahlen im Februar und einem Anstieg um 25,2 % bis in den August beobachtet
worden [428]. Eine Untersuchung der 25-Hydroxy-Vitamin D Serum-Konzentrationen bei 9116 Personen
mit Divertikulose und 922 Patienten, die wegen einer Divertikulitis hospitalisiert
wurden, zeigte einen deutlich höheren Vitamin D-Spiegel bei den Personen mit Divertikulose
(29,1 vs. 25,3 ng/ml; p < 0,0001). Das multivariate RR wegen einer Divertikulitis
hospitalisiert zu werden war für Personen in der höchsten Vitamin D-Quintile gegenüber
denjenigen in der niedrigsten Quintile 0,49 (95 % CI 0,38–0,62) [429]. Eine weitere Arbeit zeigte eine größere Häufigkeit von Divertikulitis-bedingten
stationären Aufnahmen in Gegenden mit geringerer UV-Licht Exposition für die USA.
Der Peak der stationären Aufnahmen wurde von Juni bis August beobachtet und somit
mit einer Latenz von mehreren Monaten zu der geringsten UV-Licht Exposition [191]. Schließlich konnte auch in Australien für die südliche Hemisphäre ein saisonaler
Peak an Divertikulitis-Erkrankungen im April beschrieben werden [430].
Empfehlung 5.11 (neu 2021)
Die Einnahme von NSAIDs, Corticosteroiden, Opioiden und einer postmenopausalen Hormonsubstitution,
nicht jedoch von Aspirin und Coxiben ist mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten
einer Divertikelkrankheit, einer Divertikulitis oder einer komplizierten Divertikulitis
assoziiert. Die Risiko-Assoziation für Paracetamol bezieht sich vor allen Dingen auf
Divertikelblutungen. Vor dem Hintergrund dieses Risikos sollen die entsprechenden
Medikamente nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung verabreicht werden.
Evidenzlevel 1–2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
NSAIDs und ASS
Eine Metaanalyse, in die acht Fall-Kontrollstudien eingingen, fand ein erhöhtes Risiko
für eine Divertikelperforation im Zusammenhang mit einer Einnahme von NSAIDs (OR 2,49;
95 % CI 1,98–3,14) [431]. Die größte dieser Fall-Kontrollstudien berichtete mit einem OR von 1,51 bzw. 1,62
ein ähnlich hohes Risiko für gegenwärtige wie vergangene Einnahme, allerdings war
nur der Wert für die Einnahme in der Vergangenheit statistisch signifikant [207].
In der Auswertung der HPFS-Kohorte von 1998 mit 35 615 männlichen Teilnehmern fand
sich bei Personen, die NSAIDs einnahmen, ein mit einem RR von 2,24 (95 % CI 1,28–3,91)
erhöhtes Risiko für eine Divertikelkrankheit [143].
In der späteren Auswertung der HPFS-Kohorte 2011 mit 47 210 Teilnehmern lag das RR
der Entwicklung einer Divertikulitis für NSAID-Konsumenten bei 1,72 (95 % CI 1,40–2,11)
[144].
In einer deutschen Studie wurden 194 Patienten untersucht, die eine Koloskopie erhalten
hatten. Bei 144 Personen wurde eine Divertikulose ohne vorausgegangene Divertikulitis-Episode
registriert, 50 hatten bereits eine Divertikulitis erlitten. Die Einnahme von NSAIDs
(OR 3,2; 95 % CI 1,5–6,9), nicht jedoch Aspirin erhöhte das Risiko für eine Divertikulitis
[432].
Die Metaanalyse von drei Fall-Kontrollstudien fand für Aspirin kein erhöhtes Risiko
für eine Divertikelperforation (OR 1,03; 95 % CI 0,69–1,55) [431].
Die Analyse der HPFS-Kohorte von 1998 zeigte kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung
einer symptomatischen Divertikelerkrankung bei Personen, die Aspirin mehr als 2x/Woche
einnahmen (RR 0,80; 95 % CI 0,55–1,18) [143]. In der Analyse von 2011 wurde dagegen ein RR von 1,25 (95 % CI 1,05–1,47) für das
Auftreten einer Divertikulitis für Männer beschrieben, die ≥ 2x/Woche Aspirin einnehmen.
Es fand sich jedoch keine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung. So lag bei Personen, die
2–5,9 Tabletten a 325 mg Aspirin pro Woche einnahmen das Risiko für eine Divertikulitis
mit einer HR von 1,26 höher als bei denjenigen die ≥ 6 Tabletten einnahmen (HR 1,11).
Auf der anderen Seite resultierte die tägliche Einnahme von Aspirin in unbekannter
Dosis in einem höheren Risiko für eine Divertikulitis (HR 1,46) als die 4–6-malige
Einnahme pro Woche (HR1,24) [144].
Eine Untersuchung an der schwedischen Mammographie Kohorte mit 36 586 Teilnehmerinnen,
von denen 44,2 % Aspirin einnahmen, zeigte kein erhöhtes Risiko für die stationäre
Aufnahme wegen einer Divertikelkrankheit [433].
Paracetamol
In der ersten Auswertung der HPFS-Kohorte von 1998 fand sich für Personen mit regelmäßiger
Einnahme von Paracetamol mit einem RR von 1,81 (95 % CI 0,79–4,11) ein erhöhtes Risiko
eine symptomatische Divertikelkrankheit zu entwickeln. Das Hauptrisiko betraf hierbei
vermehrte Blutungen [143].
Coxibe
Humes et al. [207] fanden in der populationsbasierten Fall-Kontrollstudie einen seltenen Einsatz von
Coxiben. 7,8 % der Fälle und 3 % der Kontrollen hatten jemals diese Substanzen eingenommen.
Im Vergleich hierzu berichteten 66 % der Fälle und 52 % der Kontrollen eine Einnahme
von NSAIDs in der Anamnese. Die aktuelle Einnahme eines Coxibs war nach Korrektur
von Störgrößen nicht mehr signifikant mit einem erhöhten Risiko für eine Perforation
assoziiert.
Corticosteroide
Die Metaanalyse von 5 Fall-Kontrollstudien, die den Zusammenhang zwischen der Einnahme
von Corticosteroiden und einer Divertikelperforation untersuchten, berichtete ein
stark erhöhtes Risiko mit einer OR von 9,08 (95 % CI 3,49–23,62) [431]. Die Studie von Humes berichtet ein höheres Risiko für eine Divertikelperforation
für die gegenwärtige Einnahme von Kortikosteroiden gegenüber der Steroideinnahme in
der Anamnese: OR 2,74 (95 % CI 1,63–4,61) vs. 1,69 (95 % CI 1,41–2,04) [207].
In der schwedischen Mammographie-Kohorte war das Risiko für die stationäre Aufnahme
wegen einer Divertikelkrankheit bei oraler Steroideinnahme mit einem RR von 1,37 (95 %
CI 1,06–1,78) und bei inhalativem Gebrauch mit einem RR von 1,71 (95 % CI 1,36–2,14)
von 1,44 (CI 95 % 1,06–1,97) nach 1–10 Jahren, 1,95 (CI 95 % 1,01–3,77) nach 11–20
Jahren und 6,07 (95 % CI 3,00–12,3) nach ≥ 21 Jahren Inhalation [433].
In Dänemark wurden populations-basiert alle Patienten ≥ 18 Jahre, die von 2005–2013
wegen einer perforierten Divertikulitis stationär behandelt wurden, erfasst. Die Kohorte
umfasste 4640 Patienten. Von diesen hatten 897 (19,3 %) Corticosteroide im vergangenen
Jahr eingenommen, bei 725 Patienten handelte es sich um eine systemische Therapie.
Die Mortalität der Patienten mit systemischem Steroidgebrauch nach 7, 30, 90 Tagen
und 1 Jahr wurde berechnet. Die Mortalität nach 7 Tagen bzw. 1 Jahr war gegenüber
den Patienten, die keine Steroide eingenommen hatten bei Steroideinnahme in der Vergangenheit
(91–365 Tage vor Ereignis) mit einer HR von 1,11 und 1,23 leicht erhöht, bei aktueller
Steroideinnahme mit einer HR von 2,10 bzw. 2,05 etwa verdoppelt und bei kürzlich neu
begonnener Steroidmedikation (≤ 90 Tage vor Ereignis) mit einer HR von 2,88 bzw. 2,89
am höchsten [434].
Eine taiwanesische Fall-Kontrollstudie beschrieb hingegen einen protektiven Effekt
einer längerfristigen Steroideinnahme bezüglich einer Notwendigkeit einer stationären
Therapie wegen einer rechtsseitigen Divertikulitis. Die OR betrug 0,60 (95 % CI 0,35–1,06)
für die aktuelle Steroideinnahme und 0,80 (95 % CI 0,64–1,008) für die Steroideinnahme
in der Vergangenheit. Diese Studie wirft die Frage auf, ob die rechtsseitige Divertikulose/-itis
und die in der westlichen Welt vorherrschende linksseitige Divertikulose/-itis vergleichbare
Entitäten darstellen [435].
Östrogen/Progesteron
65 367 postmenopausalen Frauen wurden in die prospektive Nurses Health Study-Kohorte
eingeschlossen und die Assoziation einer menopausalen Hormontherapie mit dem Auftreten
einer Divertikulitis untersucht. Es wurden 5435 Fälle identifiziert. Das Risiko für
eine Divertikulitis wurde sowohl durch Hormoneinnahme aktuell (HR 1,28; 95 % 1,18–1,39)
als auch in der Vergangenheit (HR 1,35; 95 % 1,21–1,42) erhöht und zwar unabhängig
davon ob ein reines Östrogen-Präparat oder ein Östrogen-Progesteron-Kombinations-Präparat
eingesetzt wurde. Das Risiko stieg nicht mit längerer Dauer der Einnahme [437].
Opioide
Die Metaanalyse von drei Fall-Kontrollstudien fand eine gepoolte OR von 2,52 (95 %
CI 1,77–3,57) für eine Divertikelperforation bei Patienten mit Opioid-Gebrauch [431]. Die Studie von Humes et al. fand ein 2,16-fach erhöhtes Risiko für die gegenwärtige
Einnahme von Opiatanalgetika und ein 1,88-fach erhöhtes Risiko für die Opiateinnahme
in der Anamnese [207]. Die Daten von Morris et al. zeigen ein höheres Risiko bei täglicher gegenüber gelegentlicher
Einnahme [437].
Calciumantagonisten
Während einzelne Studien einen protektiven Effekt von Calciumantagonisten auf das
Risiko einer Divertikelperforation berichtet hatten, bestätigte sich dieser Effekt
in der Metaanalyse von drei Fall-Kontrollstudien mit einer gepoolten OR von 0,70 (95 %
CI 0,37–1,34) nicht [431].
Statine
In einer populations-basierten Fallkontrollstudie mit 899 Fällen und 8980 Kontrollen
war die aktuelle Einnahme von Statinen mit einem reduzierten Risiko für eine perforierte
Divertikulitis assoziiert (OR = 0,44; 95 % CI 0,20–0,95). Die Einnahme der Statine
in der Vergangenheit hatte hingegen keinen Effekt [207].
Ein möglicher Zusammenhang zwischen der Einnahme von Statinen und dem Auftreten einer
Divertikelkrankheit wurde nun in einer populations-basierten Fallkontrollstudie mit
13 127 stationär behandelten Fällen und 128 442 Kontrollpersonen in Schweden überprüft.
Aktuelle Statin-Einnahme wurde als Einnahme in den letzten 125 Tagen definiert, lag
die Einnahme länger als 125 Tage zurück, handelte es sich um eine Einnahme in der
Vergangenheit. Es fand sich kein erhöhtes bzw. reduziertes Risiko für die Entwicklung
einer Divertikelkrankheit bei den aktuellen Statin-Konsumenten (OR 1,00; 95 % CI 0,94–1,06),
allerdings mussten sie sich signifikant seltener einer Notfall-Operation unterziehen
(OR = 0,70; 95 % CI 0,55–0,89) [438].
Die Einnahme von NSAIDs, Corticosteroiden, Opioiden und einer postmenopausalen Hormonsubstitution,
nicht jedoch von Aspirin und Coxiben ist mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten
einer Divertikelkrankheit, einer Divertikulitis oder einer komplizierten Divertikulitis
assoziiert. Die Risiko-Assoziation für Paracetamol bezieht sich vor allen Dingen auf
Divertikelblutungen.
Für Tozilizumab und Tofacitinib wurde bei Patienten mit rheumatoider Arthritis ein
erhöhtes Risiko für eine Kolonperforation beschrieben, speziell bei Patienten mit
Divertikulose/Divertikulitis in der Vorgeschichte.
Vor dem Hintergrund dieses Risikos sollen die genannten Medikamente nur nach sorgfältiger
Nutzen-Risiko-Abwägung verabreicht werden.
Medikamentöse und diätetische Therapie
Empfehlung: 5.12 (neu 2021)
Die segmentale Colitis assoziiert mit Divertikulose (SCAD) kann mit Mesalazin behandelt
werden.
Evidenzlevel 5, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Die SCAD ist gekennzeichnet durch eine unterschiedlich ausgeprägte Kolitis zwischen
Divertikeln, die selbst nicht entzündet sind. Im Unterschied zur Colitis ulcerosa
ist das Rektum nicht mitbetroffen. Die Prävalenz dieses Krankheitsbildes wird mit
0,3–1,3 % bei Divertikelträgern angegeben [294], ist also eher selten, nicht zuletzt, weil die Diagnose wahrscheinlich häufig übersehen,
aber auch falsch gestellt wird (Differentialdiagnose u. a. chronisch entzündliche
Darmerkrankungen). Die Prognose scheint günstig, eine Langzeittherapie nicht notwendig.
Formale Therapiestudien liegen nicht vor. Üblicherweise erfolgt die akute Therapie
mit Medikamenten wie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, wobei in erster
Linie oral gegebenes Mesalazin zum Einsatz kommt [93]
[439].
Akute Divertikelkrankheit/Divertikulitis
Empfehlung 5.13 (neu 2021)
Eine akute unkomplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis (CDD Typ 1a und 1b) soll
primär konservativ behandelt werden.
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar:
Eine akute unkomplizierte Divertikulitis wird in der täglichen Routine praktisch immer
konservativ behandelt. Eine Indikation zu einem primär operativen Vorgehen besteht
nicht. Vergleichende Studien eines konservativen und operativen Vorgehens in der Akutsituation
liegen nicht vor. In verschiedenen prospektiven und retrospektiven Fallserien zeigte
die konservative Therapie der akuten unkomplizierten Divertikulitis hohe Erfolgsraten,
auch waren die Rückfallraten gering [154].
Empfehlung 5.14 (modifiziert 2021)
Patienten mit gesicherter unkomplizierter Divertikelkrankheit/Divertikulitis (Typ1a/b)
können bei fehlenden Zeichen einer schweren Erkrankung und fehlenden Risikoindikatoren
sowie bei vorhandener Möglichkeit einer engmaschigen ärztlichen Verlaufsbeobachtung
ambulant behandelt werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
In einem systematischen Review mit Literaturrecherche fanden Friend & Mills 2011 vier
Studien zur Frage, ob eine ambulante orale Antibiotika-Therapie zur Behandlung einer
unkomplizierten Divertikulitis ausreichend ist [440]. Es handelte sich um eine randomisierte kontrollierte Studie mit 79 Patienten, zwei
prospektive Kohortenstudien (jeweils 70 Patienten) und eine retrospektive Kohortenstudie
(693 Patienten). Quintessenz dieser Studien war, dass eine ambulante Behandlung unter
folgenden Voraussetzungen möglich ist: 1. Orale Aufnahme (Flüssigkeit, Medikamente
etc.) möglich, 2. keine signifikanten Komorbiditäten, 3. orale Antibiotika sind verfügbar,
4. eine adäquate Schmerzkontrolle ist möglich, 5. Zugang zum adäquaten Follow-up und
ggf. Unterstützung im sozialen Umfeld liegt vor und 6. Ultraschall oder CT zeigen
eine Divertikulitis ohne signifikanten Abszess.
Ein methodisch sehr gutes systematisches Review kommt zu dem Schluss, dass bei ausgewählten
Patienten, d. h. bei Ausschluss von Komplikationen, Komorbidität, Immunsuppression,
adäquater oraler Zufuhr und sozialer Einbindung, eine ambulante Behandlung der akuten
unkomplizierten Divertikulitis möglich ist. Allerdings wird in dieser Arbeit auch
kritisch angemerkt: methodisch gute randomisierte Studien fehlen, nahezu alle Evidenz
kommt von Beobachtungsstudien und nur drei Studien setzen keine Antibiotika ein. Deshalb
seien bessere Studien ohne Antibiotika notwendig [441].
Voraussetzung zur ambulanten Therapie einer Divertikulitis ist der Ausschluss einer
komplizierten Divertikulitis. Hierzu bedarf es zuverlässiger, rasch und ubiquitär
zur Verfügung stehender Prädiktoren. Ein Kandidat ist das CRP. In einer Kohortenstudie
von 247 Patienten war nur das CRP im Regressionsmodell signifikant mit einer Perforation
korreliert. Die beste Treffsicherheit wurde bei einem CRP von 150 mg/l festgestellt
mit einer Sensitivität von 44 % und einer Spezifität von 81 %. Bei einem CRP< 50 mg/l
(Normwert: < 5 mg/l) betrug der negative prädiktive Wert 0,79 und bei einem CRP > 150 mg/l
der positive prädiktive Wert 0,57 [322]. Es bleibt aber festzuhalten, dass in dieser Studie auch Perforationen bei normalem
CRP gefunden wurden. Zu beachten ist auch, dass sich die Entzündungsparameter i. d. R.
erst über 1–2 Tage als Diskriminierungsmerkmal eines komplizierten Verlaufs entwickeln,
so dass sich eine klinische und laborchemische (CRP) Reevaluation des Patienten nach
48 Stunden empfiehlt (48-Stunden Regel [317]. Weitere Arbeiten bestätigen die Korrelation des CRP mit schwereren Verläufen der
Divertikulitis [442] bzw. mit Therapieversagern [443]
[444]. Leukozyten und Temperatur differenzieren demgegenüber perforierende Verläufe nicht
von einer nicht-perforierten Divertikulitis. Da die klinisch erhebbaren Parameter
durch Anamnese, Untersuchungsbefund und Labor nicht mit hinreichender Sensitivität
und Spezifität zwischen unkomplizierter und komplizierter Divertikulitis differenzieren
können, sind bildgebende Verfahren (Sonographie oder CT) vor einer Entscheidung zur
ambulanten Therapie unerlässlich. Im Umkehrschluss kann man schlussfolgern, dass alle
Patienten, die die Voraussetzungen für eine ambulante Behandlung nicht erfüllen, stationär
behandelt werden sollten.
Diät und Lifestyle bei der Symptomatisch unkomplizierten Divertikelkrankheit
Empfehlung 5.15 (neu 2021)
Es liegt keine ausreichende Evidenz vor, um den Einsatz einer ballaststoffreichen
Diät oder von Ballaststoff-Supplementen in der Therapie der Symptomatisch unkomplizierten
Divertikelkrankheit zu empfehlen.
Die Empfehlung zu einer ballaststoffreichen Kost kann unabhängig davon auf Grund allgemeingültiger
Ernährungsempfehlungen gegeben werden (siehe 2.1.1).
Evidenzlevel 4, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Ein systematischer Review untersuchte die Rolle einer ballaststoffreichen Diät oder
Ballaststoff-Supplementen in dem Management der Symptomatisch unkomplizierten Divertikelkrankheit
(SUDD) [445]. Das Ziel der Intervention ist die Reduktion abdomineller Symptome bzw. die Prävention
eines Schubes einer akuten Divertikulitis. Es wurden 19 Studien mit 2443 Patienten
für den Review berücksichtigt, darunter auch alle in dem früheren Review von Ünlu
aus 2012 besprochenen [446]. Auf der Jadad-Skala für die Studienqualität erreichte nur eine Studie die höchste
Punktzahl von 5, zwölf Studien eine Punktzahl zwischen 1 und 3 und sechs Studien null
Punkte. Auf Grund dieser niedrigen Studienqualität sowie der Heterogenität bzgl. Menge
und Qualität der eingesetzten Ballaststoffe konnte keine Metaanalyse durchgeführt
werden. Eine Aussage bzgl. der Effektivität von Ballaststoffen in der Behandlung der
SUDD war somit weder bzgl. der Reduktion abdomineller Symptome noch der Verhinderung
einer akuten Divertikulitis möglich, obwohl einzelne Arbeiten einen positiven Effekt
von Ballaststoffen nahelegen.
Pharmakologische Therapie der akuten (symptomatisch) unkomplizierten Divertikelkrankheit
(Typ 1a)
Ziel der Pharmakotherapie ist die Verbesserung von Symptomen, insbesondere der Schmerzen.
Darüber hinaus soll die Entwicklung zu einer Divertikulitis, insbesondere einer komplizierten
Divertikulitis verhindert werden.
Empfehlung 5.16 (modifiziert 2021)
Mesalazin kann zur Behandlung von akuten Episoden der unkomplizierten Divertikelkrankheit
(CDD Typ 1a) erwogen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Konsens
Kommentar:
Zur Behandlung der akuten (aktiven) unkomplizierten Divertikelkrankheit mit Mesalazin
liegen neben offenen Beobachtungen [447] mit positiven Ergebnissen zur symptomatischen Verbesserung drei randomisierte kontrollierte
Studien vor. In einer Plazebo kontrollierten 4 Wochen Studie (n = 123) wurden für
1000 mg tid Mesalazin verschiedene Effekte auf Schmerzen beschrieben [448]. In einer anderen randomisierte, Studie mit 12 Wochen Dauer wurden zwei Dosen Mesalazin
gegen zwei Dosen Rifaximin verglichen (n = 170). In beiden Gruppen kam es zu signifikanten
Verbesserungen der Schmerzen. Der Effekt von Mesalazin (1600 g/d) war signifikant
ausgeprägter als der von Rifaximin [449]. In einer weiteren randomisierten Studie (n = 268) mit ähnlichem Design (Mesalazin
vs Rifaximin) wurden die symptomatischen Effekte von Mesalazin bestätigt, wobei sich
auch hier eine signifikante Überlegenheit über Rifaximin zeigte [450]. In allen Studien wird auf die gute Verträglichkeit und die nur wenigen Nebenwirkungen
verwiesen.
Trotz der verschiedenen Studien muss auf die sehr unterschiedliche und eingeschränkte
individuelle Qualität, die sehr unterschiedlichen Designs und unterschiedliche Endpunkte
verwiesen werden, die die formale Evidenz abwerten und eine stärkere Empfehlung verhindern.
Mesalazin ist in Deutschland für diese Indikation nicht zugelassen.
Empfehlung: 5.17 (neu 2021)
Eine Therapie der akuten unkomplizierten Divertikelkrankheit mit Rifaximin oder mit
Probiotika kann nicht empfohlen werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad 0, Konsens
Kommentar:
Auf der Basis von Hinweisen, dass das Mikrobiom eine wesentliche Rolle in der Pathogenese
der unkomplizierten Divertikelkrankheit spielt, wurden in mehreren Studien Antibiotika
und Probiotika eingesetzt.
Das kaum resorbierbare Breitband Antibiotikums Rifaximin wurde in einer Metaanalyse
hinsichtlich einer Wirksamkeit bei unkomplizierter Divertikelkrankheit untersucht
[451]. Es fanden sich 4 kontrollierte Studien, drei davon mit offenem Design (Jadad Score
2–3), eine plazebokontrolliert. Alle Vergleiche fanden mit einer Kombinationstherapie
bestehend aus Rifaximin plus Ballaststoffe statt. In der einzigen Studie mit Plazebo
Kontrolle zeigte sich innerhalb der ersten 3 Monate kein Unterschied in der symptomatischen
Verbesserung zwischen der Gruppe Rifaximin plus Ballaststoffe im Vergleich zu Ballaststoffen
plus Plazebo [452]. Kürzlich wurde eine kontrollierte Studie mit offenem Vergleich zwischen monatlichen
Rifaximin 400 mg bid für 10 Tage mit einem Ballaststoffergänzungsmittel publiziert.
Es fand eine fragliche Randomisierung statt, die Einschlusskriterien verlangten keine
Bildgebung. Nach 3 Monaten verbesserte sich ein globaler Symptomenkomplex in beiden
Guppen, eine Statistik zum interinterventionellen Unterschied wurde nicht angegeben
[453]. Die Datenlage für die Akutbehandlung der unkomplizierten Divertikelkrankheit ist
mithin so gering und uneinheitlich, dass eine Evidenz-Empfehlung nicht ausgesprochen
werden kann.
In zwei systematischen Reviews werden mehrere, auch doppel-blinde, plazebo-kontrollierte
Studien mit Probiotika bei unkomplizierter Divertikelkrankheit besprochen [454]
[455]. Die Studienprotokolle zeichnen sich durch eine hohe Heterogenität aus, z. B. werden
verschiedenste Kombinationen getestet gegen verschiedene Kontrollen, jeweils mit unterschiedlichen
Keimen und Dosierungen. Die Studien sind meist präliminärer Art und von sehr eingeschränkter
Qualität. Eine Metaanalyse war deshalb nicht durchführbar, es wurde vielmehr auf die
Notwendigkeit weiterer und besserer Studien verwiesen [454]. Eine Empfehlung für Probiotika kann deshalb nicht gegeben werden.
Akute unkomplizierte Divertikulitis mit Umgebungsreaktion (CDD Typ 1b)
Mesalazin
Empfehlung 5.18 (neu 2021)
Mesalazin sollte bei akuter unkomplizierter Divertikulitis (CDD 1b) nicht verordnet
werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad B, Konsens
Kommentar:
Im Unterschied zu der akuten symptomatischen unkomplizierten Divertikelkrankheit sind
Therapiestudien mit Mesalazin bei CT-verifizierter akuter Divertikulitis kaum vorhanden.
Eine retrospektive, single Center Kohortenstudie fand keine signifikanten Vorteile
für Mesalazin [456]. In dem letzten systematischen Review zu Mesalazin bei Divertikelkrankheit wird
ein RCT bei akuter Divertikulitis zitiert [447]. Auch hier zeigte sich kein signifikanter Vorteil [457]. Die negative Empfehlung ergibt sich also nicht nur auf Grund einer spärlichen Studienlage,
sondern auch auf Grund der negativen Ergebnisse in den zitierten Studien.
Empfehlung: 5.19 (neu 2021)
Die Therapie der akuten unkomplizierten Divertikulitis mit Probiotika kann nicht empfohlen
werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Zu einer Probiotikatherapie für die akute unkomplizierte Divertikulitis gibt es mehrere
Studien. Zwei systematische Reviews und Metaanalysen [454]
[455] zählen 3 Studien auf, wobei eine Studie hier nicht berücksichtigt wird, weil die
Divertikulitis nicht durch ein bildgebendes Querschnittsverfahren bestätigt war [458]. Ein doppel-blinder RCT zeigte nach 12 Wochen Behandlung mit einer Kombination aus
Probiotika und Mesalazin keinen signifikanten Unterschied des globalen Symptomen Scores
zu Placebo [457]. Ein weiterer verblindeter, placebokontrollierter RCT verglich den therapeutischen
Effekt von 10 Tagen Lactobacillus reuteri gegen Placebo. Beide Gruppen hatten zusätzlich
für 1 Woche eine antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin/Metronidazol [459]. Die Kombination mit L. reuteri führte im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten
Verbesserung des Schmerzes und der Entzündungsmarker sowie zu einem kürzeren Krankenhausaufenthalt.
Auf Grund dieser eingeschränkten und inkonsistenten Datenlage kann für die Anwendung
von Probiotika bei der akuten unkomplizierten Divertikulitis keine Empfehlung ausgesprochen
werden.
Empfehlung 5.20 (modifiziert 2021)
Bei akuter unkomplizierter linksseitiger Divertikulitis (CDD 1b) ohne Risikoindikatoren
für einen komplizierten Verlauf kann unter engmaschiger klinischer Kontrolle auf eine
Antibiotikatherapie verzichtet werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Die Frage einer Antibiotikatherapie bei akuter unkomplizierter Divertikulitis wird
anhaltend heftig und international sehr kontrovers diskutiert. Neben zahlreichen retrospektiven
und kleineren prospektiven Studien gibt es zwei große randomisierte multizentrische
Studien. Die größte Studie mit 623 Patienten mit CT-gesicherter unkomplizierte linksseitiger
Divertikulitis zeigte keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Komplikationsrate
(Perforation, Notwendigkeit Resektion, Dauer des Krankenhausaufenthaltes) während
des Krankenhausaufenthaltes sowie der Wiederaufnahme wegen Divertikulitsrezidiv beim
1-Jahres-Follow-up in der Gruppe ohne Antibiotika im Vergleich zur Antibiotika-Gruppe
[158]. Die Abszessrate war in der Gruppe ohne Antibiotika im statistischen Trend höher
(1 % vs. 0 %; p = 0,08). Die Studie hat einige methodische Schwächen: Die Antibiotikatherapie
(Art des Medikaments, Applikationsweg) war nicht standardisiert, es gab keine Verblindung
und kein Plazebo. Das CRP bei Aufnahme war in der Antibiotikagruppe im statistischen
Trend höher (100 vs. 90 mg/l; p = 0,07). Die Komorbiditäten wurden nicht mittels eines
validierten Komorbiditätsindex erfasst und basierten auf den Daten der chirurgischen
Krankenakte. Einige Ausschlusskriterien (z. B. Sepsis) waren unzureichend definiert
[158]. Inzwischen gibt es eine Folgepublikation, die diese Ergebnisse nach einem medianen
Follow-up von 11 Jahren im Wesentlichen bestätigt [460]. Eine weitere offene Studie schloss 528 Patienten mit den Stadien Hinchey 1a/b ein
[215]. Die Patienten wurden zu 2 Gruppen randomisiert, einer Gruppe mit standardisierter
Antibiotikagabe (initial Amoxicillin/Clavulansäure i. v. für mindestens 4 Tage, danach
konnte oralisiert werden, Amoxicillin/Clavulansäure, oder Ciprofloxazin/Metronidazol,
insgesamt 10 Tage), und einer Vergleichsgruppe, die lediglich beobachtet wurde. Die
mediane Zeit bis zu einer klinischen Besserung (kombinierter Endpunkt) war 12 Tage
(7–30 Tage) in der Antibiotikagruppe und 14 Tage (6–35) in der Vergleichsgruppe. Ähnliche
sekundäre Endpunkte wie in der AVOD-Studie [158] zeigten ebenfalls keine signifikanten Unterschiede. Nur der Krankenhausaufenthalt
war in der Beobachtungsgruppe kürzer. Eine Nachverfolgung der Patienten ergab ähnliche
Aussagen wie in der Initialstudie [461]. Auch zu dieser Studie gab es Kritik. Ein aktuelles, sehr sorgfältiges und kritisch
abwägendes systematisches Review [462] kam zu dem Schluss, dass eine Behandlung der akuten unkomplizierten Divertikulitis
ohne Breitbandantibiotika machbar, sicher und effektiv ist. Einschränkend wird jedoch
darauf verwiesen, dass die Subgruppenanalyse nur der randomisierten Studien eine signifikant
höhere Versagensrate der nicht mit Antibiotika therapierten Patienten zeigt. Es wird
angemerkt, dass der Einfluss bestimmter Risiken wie z. B. Komorbidität auf die Frage
der Notwendigkeit einer Antibiotikatherapie nicht ausreichend untersucht ist. Und
dies weist auf einen entscheidenden Punkt hin, der häufig außeracht gelassen wird.
Alle diese Studien untersuchen ein streng selektioniertes (Einschlusskriterien) Patientengut
mit eher milder Erkrankung. Eine Auswahl von Ausschlusskriterien in der AVOD [158] und der DIABOLO Studie [215] verdeutlicht dies: Schlechter Allgemeinzustand (ASA >III), hohes Fieber, klinischer
V. a. Bakteriämie, Sepsis, Peritonitis, Immunsuppression. Neben den hier erwähnten
Ausschlusskriterien in großen Antibiotikastudien gilt es noch eine Reihe von klinischen
und medikamentenbedingten Risikoindikatoren, die mit einer schwereren Divertikulitis
und ggf. mit dem Risiko eines schlechteren Verlaufs assoziiert sind zu beachten. Insgesamt
spielt die Komorbidität (Charlson Index ≥ 3) sowie die Immunsuppression für den Verlauf
eine besonders wichtige Rolle.
Die [Tab. 7] listet Risikoindikatoren auf die bei der individuellen Indikation zu einer Antibiotikatherapie
bei akuter unkomplizierter Divertikulitis eine Rolle spielen [463].
Tab. 7
Zu beachtende Risikoindikatoren bei der Indikationsstellung einer Antibiotikatherapie
bei akuter Divertikulitis (Starker Konsens).
Risikoindikatoren
|
Klinische Risikoindikatoren
|
Laborchemische Risikoindikatoren
|
Medikamentös induzierte Risikoindikatoren
|
Immunsupprimierter Patient
|
Hohes CRP
|
Immunsuppression
|
Komorbidität
|
Leukozytose
|
NSAR
|
Schlechter Allgemeinzustand
|
|
Kortikosteroide
|
Hohes Fieber/Sepsis
|
|
|
Komplikationen Peritonitis/Abszeß
|
|
|
Die Ergebnisse einer jüngst erschienen randomisierten, Placebo kontrollierten, doppel-blinden
Vergleichsstudie mit 201 Patienten, die noch nicht in Metaanalysen berücksichtigt
ist, unterstreichen, dass die Frage einer Antibiotikatherapie bei akuter unkomplizierter
Divertikulitis nicht abschließend entschieden ist [464]. Untersucht wurde die therapeutische Wirksamkeit eines sehr eingeschränkt resorbierbaren,
topisch wirksamen Antibiotikums, Rifamycin SV. Während die Antibiotikatherapie nach
10 Tagen nur einen statistisch grenzwertigen (p = 0,06) Effekt zeigte, trat der Effekt
der Antibiotika sehr viel schneller auf als in der Placebogruppe. Nach 3 Tagen kam
es zu einer signifikanten Besserung. Signifikant überlegen war das Antibiotikum nach
10 Tagen in der besonderen Gruppe der Patienten mit längeren klinischen Symptomen.
Dass eine kurzzeitige Antibiotikagabe von 4 Tage (Ertapenem) eine längeren Therapiedauer
nicht unterlegen ist wurde schon früher gezeigt [465].
Zusammengefasst ist die Behandlung in vielen Fällen mit akuter unkomplizierter Divertikulitis
ohne Antibiotika möglich. Risikofaktoren, die ebenso wie die nur eingeschränkt beurteilbare
Schwere des akuten Krankheitsbildes einen individuellen Entscheidungsspielraum aufzeigen,
führen zu einer „kann“ Empfehlung. Dieser Grad wird dadurch unterstützt, dass zwar
gute Evidenz gegen eine Antibiotikagabe von 10 Tagen besteht, es aber starke Hinweise
gibt, dass eine kürzere Antibiotikagabe klinische Vorteile haben könnte.
Empfehlung 5.21 (neu 2021)
Bei Diagnosestellung einer akuten Divertikulitis soll einer Abschätzung des allgemeinen
gesundheitlichen Status, die Evaluation von Risikoindikatoren und eine Einschätzung
der Prognose erfolgen.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Da die Entscheidung über die Behandlung bei akuter unkomplizierter Divertikulitis
verschiedene Optionen anbietet, ist die Abschätzung von Schwere und Risiken im jeweiligen
Fall notwendig. Damit kann auch eine Aussage über den möglichen Verlauf getroffen
werden. Hilfreich können für diese Entscheidung Algorithmen sein, die den Verlauf
einer initial unkompliziert erscheinenden akuten Divertikulitis abschätzen helfen
[466]
[467].
Rekonvaleszenz vom Schub einer akuten, unkomplizierten Divertikulitis
Empfehlung 5.22 (neu 2021)
Erwachsene Patienten, die wegen einer akuten, unkomplizierten Divertikulitis stationär
behandelt werden, können ohne spezielle diätetische Einschränkungen ernährt werden
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Im Rahmen der Therapie einer akuten, unkomplizierten Divertikulitis wird häufig kurzfristig
eine ballaststoffarme Diät oder Nulldiät empfohlen in der Annahme, dass ein sich weniger
aktiver oder „ruhender“ Darm günstig auf die Irritation bzw. Entzündung des Darmes
auswirkt. In einem systematischen Review wurde die Datenlage bzgl. einer liberalen
vs. einer eingeschränkten Diät, mit oder ohne Einsatz von Antibiotika in der Behandlung
der akuten, unkomplizierten Divertikulitis im ambulanten und stationären Setting beurteilt
[468]. Fünf Studien, die einen Effekt des Ballaststoffgehalts der Diät untersuchten, wurden
in die Auswertung einbezogen, drei in Form randomisierter, kontrollierter Studien,
zwei in Form einer Beobachtungsstudie. Alle Gruppen erhielten im stationären Setting
Antibiotika p. o. oder i. v. Die Studienqualität war insgesamt sehr niedrig und Metaanalysen
konnten wegen der wenig konsistenten und divergenten Daten nicht durchgeführt werden.
Die Mehrzahl der Studien fand, dass Patienten mit der liberalen Diät das Krankenhaus
früher verlassen konnten, keine Unterschiede fanden sich bzgl. Symptomen, Therapieversagen
und Rezidiven [468].
Insgesamt existieren keine wissenschaftlichen Daten, die einen klinischen Benefit
für eine restriktive Diät zeigen. Es wurden keine Studien identifiziert, die die Hypothese
eines positiven Effektes durch eine Reduktion des Darminhalts auf die Ausheilung einer
akuten, unkomplizierten Divertikulitis belegen. Die verfügbare Evidenz, wenn auch
von sehr niedriger Qualität, legt nahe, dass Einschränkungen in der Ernährung stationär
behandelter Patienten mit akuter, unkomplizierter Divertikulitis nicht generell notwendig
sind.
Sekundärprophylaxe nach dem Schub einer akuten, unkomplizierten Divertikulitis
Empfehlung 5.23 (neu 2021)
Es liegt keine ausreichende Evidenz vor, um den Einsatz einer ballaststoffreichen
Diät oder von Ballaststoff-Supplementen in der Sekundärprophylaxe nach dem Schub einer
akuten, unkomplizierten Divertikulitis zu empfehlen. Die Empfehlung zu einer ballaststoffreichen
Kost soll unabhängig davon auf Grund allgemeingültiger Ernährungsempfehlungen gegeben
werden (siehe 2.1.1).
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar:
Ein systematischer Review identifizierte drei Studien, die den Effekt der Modifikation
des Ballaststoffgehalts in der Diät auf die Prävention eines erneuten Divertikulitisschubes
oder gastrointestinaler Symptome nach einer Episode einer akuten, unkomplizierten
Divertikulitis untersuchten [468]. In zwei der drei Studien fehlten Kontrollgruppen mit niedrigem Ballaststoffgehalt.
Die Arbeit kam zu dem Ergebnis, dass die Evidenz für einen Effekt einer ballaststoffreichen
Diät oder einer Ballaststoff-Supplementierung auf die Prävention eines Divertikulitisschubes
oder die Verbesserung gastrointestinaler Symptome sehr gering ist. Andererseits findet
sich auch keine Evidenz für eine Überlegenheit einer Diät mit niedrigem Ballaststoffgehalt
[468]. Die Autoren empfehlen unabhängig von der fehlenden Evidenz für eine Ballaststoff-Intervention
in der Sekundärprophylaxe nach akuter, unkomplizierter Divertikulitis den langfristigen
Konsum einer ballaststoffreichen Diät basierend auf allgemein anerkannten Ernährungsempfehlungen
[468].
Europaweit wird eine Ballaststoffzufuhr von 25–32 g/Tag für erwachsene Frauen und
von 30–35 g/Tag für erwachsene Männer empfohlen. In Deutschland werden ≥ 30 g/Tag
für Erwachsene unabhängig von Alter und Geschlecht empfohlen. In einigen Ländern wird
die empfohlene Ballaststoffzufuhr im Alter an den reduzierten Kalorienbedarf ebenfalls
nach unten angepasst (z. B. in den USA für Männer 19–50 Jahre 38 g/Tag und für Männer
> 51 Jahre 30 g/Tag). Ein günstiger Effekt einer ballaststoffreichen Diät ist in großen
Metaanalysen von prospektiven Kohortenstudien z. B. für Mortalität unabhängig von
der Ursache, KHK, arterielle Hypertonie, Schlaganfall, Hyperlipidämie, Typ 2 Diabetes,
Adipositas, Obstipation, Divertikelkrankheit sowie verschiedene Krebserkrankungen
inner- und ausserhalb des Gastrointestinaltraktes belegt [406].
Der technische Review zu dem Management der akuten Divertikulitis des Instituts der
American Gastroenterological Association widmet sich unter anderem den Fragen, ob
in der Sekundärprophylaxe der akuten Divertikulitis eine ballaststoffreiche Diät empfohlen
werden soll, ob Mais, Nüsse und Popcorn vermieden werden sollen und ob Aspirin oder
nicht-Aspirin NSAIDs vermieden werden sollen. Bei allen vier Fragen sind die Autoren
unsicher, ob die entsprechende Maßnahme das Risiko für das Wiederauftreten einer Divertikulitis,
einer Komplikation, der Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs oder abdominelle
Schmerzen reduziert [469]. Nur im Fall der ballaststoffreichen Diät wurden Arbeiten gefunden, die die Frage
an einer Population untersuchten, die bereits eine akute Divertikulitis erlitten hatten
(im systematischen Review von Carabotti 2017 enthalten [445]). Die sehr geringe Datenqualität ließ keine tragfähigen Rückschlüsse zu. Die Wertigkeit
der Daten aus den prospektiven Kohortenstudien an Kollektiven ohne vorausgegangene
Divertikulitis (siehe 2.1.1 und 2.4.1) wurde für die Beantwortung der Frage nach der
Sekundärprophylaxe als nicht ausreichend erachtet [469].
Akute komplizierte Divertikulitis (CDD Typ 2a)
Empfehlung 5.24 (modifiziert 2021)
Patienten mit einer komplizierten Divertikulitis sollen stationär behandelt und überwacht
werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Eine akute komplizierte Divertikulitis (Typ 2a, b, c) ist eine schwere Erkrankung,
die mit relevanter Morbidität und Mortalität einhergeht [470]
[471]. In einer Multicenter Studie wurden 743 Patienten mit akuter linksseitiger Divertikulitis
stationär aufgenommen. 67,4 % der Patienten wurden primär konservativ behandelt, 32,6 %
wurden initial operiert. Postoperativ bestätigte sich eine komplizierte Divetikulitis
Hinchey 0–1 bei 60,7 % der Patienten, Hinchey 2 bei 11,6 % und die schwersten Komplikationen
Hinchey 3 und 4 bei 27,7 % % [239].
Von 528 initial als unkompliziert diagnostizierte Patienten mit akuter Divertikulitis
entwickelten sich im Anschluss zu dieser Einschätzung 16 (3,0 %) zu komplizierten
Formen mit Perforationen, Abszessen und Obstruktionen [472]. Hochwahrscheinlich stellt dieser Prozentsatz eine Unterschätzung dar, weil es sich
bei den Patienten um eine Studienpopulation, nicht um eine „real world situation“
handelt, in die spezialisierte Zentren rekrutiert und die Erstdiagnose gestellt haben.
Die amerikanischen PRACTICE Guidelines gehen von 15–30 % der mit einer akuten Divertikulitis
eingewiesenen Patienten aus, die zeitnah zur Aufnahme Komplikationen mit der Notwendigkeit
einer Operation entwickelten [473].
Als prognostische Parameter für das Fortschreiten einer initial als unkompliziert
gewerteten Divertikulitis arbeitete die prospektive DIABOLO-Substudie die Präsenz
von pericolischen Flüssigkeitsansammlungen und eine Länge des entzündeten Kolonsegments
> 8,6 cm im initialen CT heraus. Der Nachweis pericolischer extraluminaler Luft hatte
jedoch keine prognostische Wertigkeit [472].
Zusammengefasst ist die komplizierte Divertikulitis eine schwerwiegende Erkrankung
mit ungewissem Krankheitsverlauf, die eine permanente, interdisziplinäre Überwachung
und differenzierte (konservativ/interventionell/operativ) Therapiestrategie erfordert.
Dazu müssen die entsprechenden diagnostischen Verfahren unmittelbar zur Verfügung
stehen. Die ständige Überwachung mit Überprüfung der Risikoindikatoren für einen komplizierten
Verlauf ist die Voraussetzung für ein schnelles Eingreifen bei einer möglichen Verschlechterung
(siehe auch Statements und Kommentare 4.2.0 und 4.2.1) [474]
[475]
[476].
Empfehlung 5.25 (geprüft 2021)
Eine parenterale Flüssigkeitssubstitution sollte bei mangelhafter oraler Trinkmenge
durchgeführt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Bei der komplizierten Divertikulitis handelt sich um ein schweres intraabdominelles
infektiöses Geschehen. Es gibt zwar keine spezifischen Studien zum Wert einer intravenösen
Flüssigkeitssubstitution, aber es gelten hier die allgemeinen Empfehlungen zu dieser
Situation, die klar die Maßnahme fordern [477].
Empfehlung 5.26 (modifiziert 2021)
In Abhängigkeit von der klinischen Situation kann eine situationsadaptierte orale
Nahrungszufuhr erfolgen.
Evidenzlevel 5, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Es gibt keine Evidenz für einen negativen Effekt einer situationsadaptierten enteralen
Ernährung bei der komplizierten Divertikelkrankheit. Eine kleinere prospektive Studie
mit 25 Patienten zeigt keinen Nachteil einer vorsichtigen schrittweisen flüssigen
Diät im Verlauf der Behandlung [478].
Empfehlung 5.27 (geprüft 2021)
Bei der komplizierten Divertikulitis sollte eine Antibiotikatherapie durchgeführt
werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Studienlage zu diesem Thema ist schwach, wahrscheinlich weil ein breiter klinischer
Konsensus besteht. Aus diesem Grund ist die Therapieempfehlung zur antibiotischen
Therapie nicht durch gezielte Studien für diese Patientengruppe belegt, sondern muss
z. B. aus älteren Studien [479]
[480]
[481] extrapoliert werden, die aber jeweils nur verschiedene Antibiotikaregimes untereinander
verglichen haben. Weitere Hinweise zu dieser Frage können aus einer Subgruppenanalyse
der DIABOLO Studie entnommen werden [215]. Zu eindeutigen Aussagen sind die Autoren auf Grund kleiner Fallzahlen nicht in
der Lage. Sie kommen jedoch zu der Empfehlung, dass bei Patienten mit komplizierter
Divertikulitis (hier Hinchey 1b, keine Angaben zu Komorbidität) eine Antibiotikatherapie
nicht unterlassen werden sollte.
Aus zwei Studienkohorten (u. a. der prospektiven DIABOLO-Studie) wurden retrospektiv
alle Patienten im Divertikulitis-Stadium Hinchey 1a (Wandverdickung des Kolons > 4 mm
mit begrenzter perikolischer Entzündung) und freier extraluminaler, perikolischer
Luft ausgewählt. Im Median fand sich bei den 109 selektierten Patienten eine Luftmenge
von 1,5 cm3. 92 % der Fälle wurden konservativ behandelt. 48 % der Patienten erhielten eine Antibiotikatherapie.
In der Antibiotika-Gruppe war das CRP im Median mit 142 vs. 115 mg/l tendentiell höher
und das mediane Volumen freier Luft mit 2,0 vs 1,5 cm3 signifikant grösser als in der Gruppe, die keine Antibiotika erhielt. Ein Therapieversagen
wurde bei 7/52 (13 %) in der Antibiotikagruppe vs. 2/57 (4 %) in der nicht-Antibiotikagruppe
beobachtet. In der Multivarianz-Analyse hatte die Antibiotikatherapie keinen Einfluss
auf das Therapieversagen, lediglich ein erhöhtes CRP mit einer OR von 1,01 für jedes
mg/l [443].
Empfohlen werden zur Behandlung der komplizierten Divertikulitis Antibiotika, die
das zu erwartende polymikrobielle Erregerspektrum erfassen. Es liegen derzeit keine
Daten vor, die die Überlegenheit einer Kombinationstherapie gegenüber einer Monotherapie
belegen. Bei der Applikationsart (intravenös oder oral) gibt es ebenfalls keine hinreichende
Evidenz. Kleinere Studien haben jedoch die Möglichkeit einer erfolgreichen intravenösen/oralen
Sequentialtherapie aufgezeigt [482]
[483]. Die Auswahl und der Administrationsmodus der Antibiotikatherapie bedürfen einer
individuellen Entscheidung, die den Allgemeinzustand und das Risikoprofil des Patienten
sowie die lokale Resistenzlage berücksichtigt. In der klinischen Routine verwendete
Medikamente sind Cefuroxim, Ceftriaxon oder Ciprofloxacin, jeweils mit Metronidazol,
Ampicillin/Sulbaktam, Piperacillin/Tazobaktam sowie Moxifloxacin. Zu beachten ist
bei dieser Auswahl, dass es zu Fluorchinolonen eine offizielle Warnung gibt („Rote
Hand Brief“), so dass diese nur noch bei Penicillinüberempfindlichkeiten eingesetzt
werden sollten.
Insgesamt sind das Angaben, die den allgemeinen Empfehlungen zur Antibiotikagabe bei
komplizierten intraabdominellen Infektionen aus Leitlinien entstammen [477]. Dort finden sich auch Angaben zur Applikationsart – intravenös oder oral – (keine
Präferenz) und zur Dauer der Therapie. Hier werden 4–7 Tage empfohlen, zumindest in
Patienten, die ansprechen. Es wird darauf hingewiesen, dass eine längere Therapiedauer
keinen nachgewiesenen Effekt gezeigt hat.
Chronische unkomplizierte Divertikelkrankheit (Typ 3a)
Mesalazin
Empfehlung 5.28 (neu 2021)
Eine intermittierende Gabe von Mesalazin kann zur symptomatischen Verbesserung und
zur Verhinderung symptomatischer Episoden bei chronischer unkomplizierter Divertikelkrankheit
gegeben werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Konsens
Kommentar:
Patienten mit anhaltenden (Monate bis Jahre) Beschwerden, häufig nach initialen Episoden
einer akuten Divertikulitis werden als chronische unkomplizierte Divertikelkrankheit
oder auch symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) bezeichnet. Die
Erkrankung ist durch typische Symptome gekennzeichnet (persistierende in der Stärke
ondulierende Schmerzen, Blähungen, Stuhlunregelmäßigkeiten), nicht jedoch durch eindeutige
entzündliche Veränderungen (Fieber, CRP, Schnittbilddiagnostik). Ziel der Therapie
ist demgemäß die Verbesserung, bzw die Verhinderung einer Verschlechterung von Beschwerden.
Es liegen zwei neuere systematische Reviews vor, die unter Verwendung des PRISMA Standards,
verschiedene RCT’s, auch Plazebo-kontrolliert besprechen [447]
[484].
In [484] werden 7 Publikationen analysiert, die die symptomatischen Effekte von 6 RCT‚s beschreiben,
wovon 4 Studien mindestens über eine Zeitdauer von 12 und bis zu 48 Monaten gingen
[484]. Es liegt eine Placebo kontrollierte Studie vor [485]. In dieser Studie wurden in 4 Armen intermittierend (10 Tage/Monat) entweder Mesalazine
1,6 g/d) oder Lactobacillus casei subsp. DG 24 billion/d oder Lactobacillus casei
subsp. DG 24 billion/d plus Mesalazin oder Placebo für 12 Monate gegeben. Es ergaben
sich verschiedene interessante Ergebnisse. Symptomfreiheit wurde unter Mesalazin in
93,3 % erreicht, verglichen mit 54,0 % in der Plazebo Gruppe. Eine Entwicklung zu
einer akuten Divertikulitis trat in 7 (3,1 %) aller Patienten ein, 6 von diesen Patienten
waren in der Plazebo Gruppe. Zu einer neuen symptomatischen Episode der Divertikelkrankheit
kam es unter Mesalazin bei 8 Patienten (14,5 %) im Vergleich zu 23 (46,0 %) der Patienten
unter Placebo. Entsprechend signifikant war der primäre Endpunkt, die Erhaltung der
Symptomfreiheit nach 12 Monaten, wofür die Autoren eine NNT von 3 angeben. Das Review
[484] kommt zu dem Schluss, dass Mesalazin für die Erreichung einer Symptomfreiheit bei
SUDD Plazebo und anderen Therapien überlegen ist. Es wird jedoch die eingeschränkte
Qualität, insbesondere was die Einschlusskriterien betrifft, bemängelt.
Das jüngste systematische Review von Iannone, ebenfalls der Methodik von PRISMA folgend,
kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen [447]. Nach strenger Auswahl wurden 13 randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) in die
Analyse eingeschlossen. Sechs RCT‚s betrafen explizit Patienten mit unkomplizierte
Divertikelkrankheit, 7 RCT‚s betrafen auch Studien bei unkomplizierter Divertikulitis
(hier nicht berücksichtigt). Vier von 6 RCT’s bei SUDD zeigten unter Mesalazin am
Studienende eine signifikant ausgeprägtere Reduktion eines globalen Symptomen Scores
(GSS) im Vergleich zu den Kontrollgruppen. Die Autoren [447] kommen zu dem Schluss, dass Mesalazin möglicherweise die Häufigkeit symptomatischer
Episoden und die Lebensqualität von Patienten mit SUDD verbessern kann.
Nicht resorbierbare Antibiotika (Rifaximin)
Empfehlung 5.29 (neu 2021)
Rifaximin kann für die Behandlung der chronischen unkomplizierten Divertikelkrankheit
nicht empfohlen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Rifaximin ist ein kaum resorbiertes Antibiotikum, das für verschiedene Indikationen
zugelassen ist, z. B. bei hepatischer Enzephalopathie und Reisediarrhö, und das seit
annähernd 20 Jahren off label bei Divertikelkrankheit verordnet wird. Es besitzt ein
breites antimikrobielles Spektrum, gegen gram- positive und -negative sowie aerobe
und anaerobe Keime. Systematische Reviews und Metaanalysen liegen einige Jahre zurück
[451]
[486]. Die Empfehlungen zu Rifaximin bei unkomplizierter Divertikelkrankheit variieren
international sehr stark [161]. In Italien, Polen und Dänemark gibt es eindeutige Empfehlungen zur Kombinationstherapie,
bestehend aus Rifaximin und Ballaststoffen, in anderen Leitlinien wird Rifaximin entweder
nicht erwähnt oder nicht empfohlen.
Die einzige Metaanalyse betrachtet die Ergebnisse von 4 RCT’s, alle Studien mit einer
Kombinationstherapie Rifaximin/Ballaststoffen [451]. Hinsichtlich des Ziels einer Prävention neuer symptomatischer Episoden fand sich
eine gepoolte Differenz von −2 % (95 % CI: −3,4 to −0,6; p = 0,0057; NNT = 50) gegenüber
Kontrollen. In der einzigen doppelblinden Studie (Rifaximin 2x400 mg /d für 7 Tage/Monat
plus Glucomannan 2 g/d im Vergleich zu nur Glucomannan) zeigte sich kein Unterschied
der Wirksamkeit [452].
In derselben Studie [452] kam es in beiden Therapiearmen zu einer signifikanten Verbesserung eines ‚global
symptom scores’, allerdings war der Effekt nach 12 Monaten signifikant ausgeprägter
in der Gruppe mit Rifaximin plus Glucomannan. Dieser Unterschied fand sich auch in
3 offenen Studien mit ähnlichem Design [451].
Eine große retrospektive Studie beschreibt die Ergebnisse einer Beobachtung von Patienten
mit chronischer unkomplizierter Divertikelkrankheit, die intermittierend entweder
mit Rifaximin oder Rifaximin-frei behandelt wurden. Das Wiederauftreten einer symptomatischen
Episode, die Notwendigkeit einer Operation und die Mortalität unterschieden sich in
den beiden Gruppen nicht signifikant. Die Intensität abdomineller Schmerzen unterschied
sich auch nicht, hingegen waren die Ergebnisse für das Stuhlverhalten und ‚Bloating’
in der Rifaximingruppe signifikant besser. Unerwünschte Wirkungen der Rifaximingruppe
wurden nicht berichtet [487].
Empfehlung 5.30 (neu 2021)
Probiotika können zur Erhaltung der Remission bei chronischer unkomplizierter Divertikelkrankheit
nicht empfohlen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms bei der Divertikelkrankheit findet in der
wissenschaftlichen Literatur zunehmendes Interesse, was wiederum zu vermehrter wissenschaftlicher
Aktivität führt. Daten über eine Dysbiose bei der Divertikelkrankheit bilden die Basis
für den therapeutischen Einsatz von Probiotika [487].
Ein aktuelles systematisches Review fand 13 Studien zu Probiotika bei Divertikelkrankheit
aller Typen, die den PRISMA Standard erfüllten [455]. Vier der 13 Studien waren unkontrolliert. Sechs der 9 kontrollierten Studien testeten
eine Kombination aus einem Probiotikum und (meist) Mesalazin. Die verbleibenden 3
Studien verglichen eine Mono-Probiotikatherapie zweimal gegen Placebo.
In einer kleinen Studie zeigte Lactobazillus casei nach 12 Monaten eine ähnliche Rate
an symptomfreien Patienten wie Mesalazin, während die Kombination aus beiden signifikant
überlegen war [488].
In einem weiteren RCT [458] bestand persistierende Symptomfreiheit (Schmerz) während der 12-monatigen Studie
in der Gruppe mit Lactobazillus casei in 14,3 % der Patienten im Vergleich zur Placebogruppe
(4,0 %). Ein episodisches Wiederauftreten von Symptomen ereignete sich unter Probiotika
in 14,5 % im Vergleich zu Plazebo mit 46,0 % (p = 0,0). Während des Studienzeitraums
kam es bei insgesamt 7/210 Patienten zu einer akuten Divertikulitis, bei einem Patienten
in der Probiotika Gruppe und bei 6 Patienten unter Plazebo.
Beim jüngsten RCT handelt es sich um eine doppelblinde Studie (n = 143) aus England
zum Vergleich eines Multi-Spezies Präparates gegen Placebo bei Patienten, die bei
gesicherter Diagnose einer unkomplizierten Divertikelkrankheit (SUDD), mindestens
3 Monate persistierende Schmerzen hatten [489]. Primäres Ziel der Studie war der Schmerzverlauf über 3 Monate Therapie, der sich
zwischen Probiotikum und Plazebo nicht signifikant unterschied. Auch 8 verschiedene,
typische Symptome für SUDD zeigten keine überzeugenden Ergebnisse im Vergleich zu
Plazebo.
Zusammenfassend gibt es nur sehr wenig verwendbare Studienergebnisse, und die wenigen,
die es gibt, haben widersprüchliche Ergebnisse.
Rezidivierende Divertikulitis ohne Komplikationen (Typ 3b)
Empfehlung 5.31 (neu 2021)
Mesalazin soll nicht zur Sekundärprophylaxe der rezidivierenden Divertikulitis eingesetzt
werden.
Evidenzlevel 1, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Es liegen vier prospektive, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-3
Studien vor zum Einsatz von Mesalazin zur Verhinderung eines erneuten Schubs bei rezidivierender
Divertikulitis. Die beiden Studien Prevent 1 und Prevent 2 mit 590 und 592 Probanden
hatten ein identisches Studienprotokoll und wurden gemeinsam publiziert [490]. Es wurden Patienten eingeschlossen, die zumindest einen Schub einer Divertikulitis
in den letzten 24 Monaten hatten, der konservativ ohne Operation therapiert werden
konnte. Die Patienten wurden in 4 Arme randomisiert mit einer Therapie mit 1,2gr/die,
2,4gr/die oder 4,8gr Multimatrix Mesalazin oder einem Placebo über 104 Wochen. Primärer
Endpunkt war das computertomographisch gesicherte Rezidiv einer Divertikulitis. In
der Prevent 1 Studie hatten 53 %–63 % der Patienten mit Mesalazin kein Rezidiv der
Divertikulitis versus 65 % der Patienten unter einem Placebo, in der Prevent 2 Studie
hatten 59 %–69 % versus 68 % der Patienten kein Rezidiv unter Mesalazin versus Placebo.
Hierbei gab es keinen statistischen Unterschied in der 1,2gr und 2,4gr Gruppe versus
Placebo (p = 0,159–0,780) in den beiden Studien. In der 4,8gr Gruppe der Prevent 1 gab
es hingegen einen statistischen Unterschied (52,7 % versus 64 %, p = 0,047), der sich
in der Prevent 2 nicht bestätigte (67 % versus 64 %, p = 0,778). Die Zeit bis zum
Auftreten der Rezidive war in der Prevent 2 Studie unter Mesalazin 1,2gr und 2,4gr
(nicht aber unter 4,8gr) statistisch sogar kürzer als unter Placebo (p = 0,013, p = 0,044,
p = 0,179). In der Prevent 1 zeigten sich keine Unterschiede im Zeitintervall bis
zum Rezidiv.
Die gemeinsam publizierten Studien SAG-37 und SAG-51, die 345 Probanden randomisierte
3gr Mesalazin Granules oder Placebo für 48 Wochen einzunehmen, und SAG-51, die 330
Probanden randomisierte 1,5gr, 3gr oder ein Placebo für 96 Wochen einzunehmen zeigten
ebenfalls keinen Effekt in der Verhinderung eines erneuten Schubs [491]. Eingeschlossen wurden Patienten mit mindestens einem computertomographisch oder
sonographisch gesichertem unkompliziertem Schub einer Divertikulitis. Primärer Endpunkt
war das klinisch und laborchemisch gesicherte Rezidiv innerhalb von 48 bzw 96 Wochen.
In der Studie SAG-37 war der Anteil der rezidivfreien Probanden unter Mesalazin mit
67,9 % nicht signifikant höher als unter Placebo (74,4 %). In der SAG-51 Studie war
der Anteil der rezidivfreien Patienten unter 1,5gr Mesalazin mit 46 % und unter 3gr
Mesalazin mit 52 % nach 96 Wochen ebenfalls nicht höher als unter Placebo (58 %).
In der DIVA Studie, die 117 Probanden mit akuter unkomplizierter Divertikulitis einschloss
und für 12 Wochen in 3 Armen ein Placebo, Mesalazin (2400 mg) oder die Kombination
Mesalazin und Bifidobacterium infantis gab, fand sich kein Unterschied in einem globalen
Symptomscore nach 12 Wochen und lediglich in einer Analyse nach 52 Wochen eine Signifikanz
zugunsten des Mesalazins. Auf die Zahl der Rezidive während der Nachbeobachtung hatte
die Therapie keinen signifikanten Einfluß [457].
Auch die intermittierende Einnahme von Mesalazin für jeweils 10 Tage/Monat über 1
Jahre erbrachte in einer Placebo kontrollierten Studie keinen Rezidiv-verhütenden
Effekt [492].
Zwei Metaanalysen bestätigen den fehlenden Effekt von Mesalazin zur Sekundärpropylaxe
der unkomplizierten Divertikulitis [493]
[494].
Empfehlung 5.32 (neu 2021)
Rifaximin sollte nicht zur Sekundärprophylaxe der rezidivierenden Divertikulitis eingesetzt
werden.
Evidenzlevel 5, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Auch Rifaximin wird zur Prävention rekurrierender Schübe einer akuten Divertikulitis
intensiv diskutiert. Bis heute gibt es jedoch keine kontrollierte Studie, die den
Effekt einer Monotherapie mit Rifaximin zur Remissionserhaltung untersucht hat. Für
die Kombination aus Rifaximin und Fiber gibt es Hinweise auf eine mögliche remissionserhaltende
Wirkung [495]. Die meisten Studien mit Rifaximin wurden in Italien durchgeführt. Ein Positionspapier
der italienischen Gesellschaft für Gastroenterologie kommt zu dem Schluss, dass die
Idee zu einer Therapie mit Rifaximin vielversprechend ist, die Wirksamkeit aber erst
geprüft werden müsse [496].
Viel diskutiert sind Probiotika. Belastbare Studien zur Einnahme von Probiotika im
Stadium 3b liegen hingegen nicht vor. (Siehe auch Übersicht [455].
Es erscheint suggestiv, dass eine Einnahme von Ballaststoffen nicht nur einen Effekt
in der Primärprophylaxe sondern auch in der Sekundärprophylaxe im Stadium 3b haben
könnte. Leider liegen hier aber keine ausreichenden Daten vor, die dies verifizieren
könnten. Lediglich eine ältere kleine retrospektive Studie mit 72 Probanden zeigt
einen Effekt [497].
Ebenfalls liegen keine Studien vor zur Effektivität von körperlicher Bewegung, fleischarmer
Diät und Meidung von Übergewicht. Angesichts des generellen gesundheitlichen Benefits
und der hohen Plausibilität eines positiven Effekts auch für die chronische Divertikelkrankheit
sollte hier aber nicht abgeraten werden.
Kapitel 6: Indikationen zur interventionellen oder operativen Therapie
Kapitel 6: Indikationen zur interventionellen oder operativen Therapie
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 1
Empfehlung 6.1 (neu 2021)
Nach einer akuten unkomplizierten Divertikulitis sollte bei beschwerdefreien Patienten,
unabhängig von Vorerkrankungen, keine elektive Sigmaresektion durchgeführt werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Etwa 20 % der konservativ behandelten Patienten mit Divertikulitis entwickeln im weiteren
Verlauf zumindest ein Rezidiv, die Komplikationsrate nach einer konservativ behandelten
unkomplizierten Divertikulitis ist im Laufe von 10 Jahren mit < 5 % gering. In einer
populationsbasierten retrospektiven Studie aus Schweden [259] hatten 809 Patienten (642 erstmalig, 167 Patienten rezidivierend) eine akute unkomplizierte
Divertikulitis. Etwa 2 % entwickelten Komplikationen unabhängig von erstmaliger/rezidivierender
Divertikulitis, Geschlecht, Entzündungsparameter und Vorerkrankungen wie z. B. Diabetes
mellitus. Lediglich eine immunsuppressive Therapie war mit einem erhöhten Komplikationsrisiko
verbunden. Dass das Komplikationsrisiko für Patienten unter Immunsuppression, insbesondere
Steroiden, erhöht ist, war bereits 2012 in einer großen retrospektiven spanischen
Studie [498] dokumentiert worden, wobei gegenüber nicht immunsupprimierten Patienten Notfalloperationen
nicht häufiger notwendig waren.
Speziell für Patienten nach einer Organtransplantation liegen zwei Meta-Analysen vor
[117]
[261] die insgesamt eine erhöhte Inzidenz der Divertikulitis und einen erhöhten Anteil
von komplizierten Typen zeigen. Mehrere aktuelle retrospektive Kohortenstudien weisen
auf die erhöhten postoperativen Risiken bei diesen Patienten hin und empfehlen keine
grundsätzliche elektive Resektion [499]
[500]
[501]. Eine Übersichtsarbeit zu nationalen und internationalen Leitlinien [152] zeigt, dass nur in 5 von 11 Leitlinien eine elektive Resektion bei Immunsupprimierten
Patienten mit komplizierter Divertikulitis abgegeben wird. Eine Indikation zur prophylaktischen
Sigmaresektion bei Divertikulose wird in keiner Leitlinie abgegeben. Auch für Patienten
unter Chemotherapie wird in einer Kohortenstudie [274] aufgrund der erhöhten postoperativen Komplikationsrisiken und keinem erhöhten Rezidivrisiko
von einer elektiven Sigmaresektion abgeraten.
Bezüglich eines jüngeren Patientenalters liegen insgesamt drei Meta-Analysen vor.
Die Meta-Analyse zur Divertikulitis bei Jüngeren aus Israel [262] zeigt eine Relatives Risiko von 1,7 bei Patienten unter 50 Jahren, bei allerdings
nicht erhöhtem Risiko für dringliche Operationen. Auch eine Systematische Übersichtsarbeit
[236] weist auf das erhöhte Rezidivrisiko bei Jüngeren hin. Die aktuellste Meta-Analyse
[502] bestätigt das insgesamt höhere Rezidivrisiko bei jüngeren Patienten, weist allerdings
darauf hin, dass kein erhöhtes Risiko für eine komplizierte Divertikulitis besteht
und daher keine Anpassung der Therapiestrategie bei jüngeren Patienten erfolgen sollte.
Schließlich liegen auch Daten für Patienten mit Adipositas vor, für die ein erhöhtes
Divertikulitis Risiko bekannt ist. Eine retrospektive Kohortenstudie [503] mit Auswertung von Computertomografien berichtet für Patienten mit einem BMI > 30
von keinem erhöhten Rezidivrisiko.
Empfehlung 6.2 (neu 2021)
Bei einer akuten unkomplizierten Divertikulitis CDD Typ 1 mit anhaltenden Beschwerden
(„smoldering diverticulitis“) kann eine elektive Sigmaresektion zu einer Verbesserung
der Lebensqualität führen.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Etwa 4–10 % der Divertikulitis Patienten haben nach einer akuten Divertikulitis weiter
anhaltende Beschwerden im Sinne einer sogenannten „smoldering diverticulitis“, definiert
als persistierende Symptome nach einer akuten Divertikulitis mit initial erhöhten
Entzündungsparametern, Fieber und im CT nachgewiesener Entzündung [214]. Die Definition ist allerdings in der Literatur nicht einheitlich und eine eindeutige
Abgrenzung zwischen einer dauerhaften Symptomatik nach akuter Divertikulitis oder
einer chronisch rezidivierenden Divertikulitis ist im Einzelfall schwierig.
Aufgrund einer Meta-Analyse [211] zur Lebensqualität nach elektiver Sigmaresektion, welche eine Verbesserung im Vergleich
zur konservativen Therapie zeigen konnte, allerdings bei mangelhafter Qualität der
zugrundeliegenden Kohortenstudien, wurde daraufhin die erste prospektiv randomisierte
Studie zu dieser Fragestellung initiiert. Das holländische DIRECT Trial [504] verglich in einer offenen randomisierten prospektiven Multicenter-Studie den therapeutischen
Effekt einer elektiven Sigmoidektomie (n = 53) gegenüber einer konservativen Therapie
(N = 56) bei Rezidivdivertikulitis bzw. anhaltenden Beschwerden im Sinne einer smoldering
diverticulitis nach einer akuten Divertikulitis (ursprüngliche Diagnosesicherung mit
CT oder Endoskopie). Primärer Endpunkt war der Lebensqualitätsindex (QoL) gemessen
mit dem Gastrointestinal Quality-of-Life Index (GIQLI) nach 6 Monaten. Dieser war
signifikant höher bei den chirurgisch behandelten Patienten (114,4 vs. 100,4). Nach
5 Jahren Follow-up [505] war der GIQLI mit 118,2 vs. 108,5 weiter in der chirurgisch behandelten Gruppe signifikant
besser. 26 Patienten (46 %) der primär konservativ behandelten Gruppe mussten wegen
weiterbestehender Beschwerden letztlich doch operiert werden. Eine Analyse der Kosteneffektivität
nach 5 Jahren zeigte einen Vorteil für die chirurgische Behandlung [505]. Leider werden die Ergebnisse des DIRECT Trials nicht nach Rezidivdivertikulitis
bzw. smoldering diverticulitis differenziert.
In einer retrospektiven deutschen Studie [506] wird bei 44 operierten Patienten mit smoldering Divertikulitis eine signifikante
Verbesserung der Lebensqualität (GLQI 115 (72–143) im Vergleich zur präoperativen
Situation (GLQI 98 (56–139), p = 0,018) beschrieben. 80 % der Patienten waren mit
dem Ergebnis der Operation zufrieden.
Als mögliche Ursache für die anhaltenden Beschwerden wird in einer aktuellen Kohortenstudie
[507] eine erhöhte Inzidenz nicht diagnostizierter intramuraler oder perikolischer Abszesse
im Verlauf nach akuter Divertikulitis diskutiert.
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 2a
Zur Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroabszess kann ein Grenzwert von etwa 3 cm
(bisher 1 cm) verwendet werden, da diese auch die Möglichkeit einer interventionellen
Drainage widerspiegelt und auch das Rezidivrisiko mit der Abszessgröße korreliert.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad 0, Konsens
Kommentar:
Es besteht keine evidenzbasierte Unterscheidung von Mikro und Makroabszessen anhand
der Literatur. In der überwiegenden Zahl der verfügbaren Arbeiten werden die Typen
2a und 2b in einer gemeinsamen Kohorte als Patienten mit gedeckter Perforation zusammengefasst.
In der S2k-Leitlinie wurde ein Grenzwert von 1 cm vorgeschlagen. Besser geeignet erscheint
eine Unterscheidung, welche sich an der Therapie, wie etwa der interventionellen Drainierbarkeit
oder der prognostischen Bedeutung orientiert. Die berichteten Durchmesser der Abszesse,
welche perkutan drainiert wurden, variieren in den vorhandenen Studien erheblich (6 cm
(3–18) [508]; 6 cm (3–18) [509]; 6,7 (3–15) [510]; > 4 cm [511]; 5,6 ± 2 cm, 85 % > 4 cm [512]; 6,4 (5,0–8,5); 6,4 cm (0–5, 5, 5–8) [513]; 8,5 ± 0,9 cm; [342]).
Empfehlung 6.4 (neu 2021)
Eine akute Divertikulitis mit Microabszess (CDD Typ 2a) sollte stationär und antibiotisch
behandelt werden. Eine Indikation zur elektiven Operation nach erfolgreicher konservativer
Therapie besteht nicht.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Spezielle Analysen zu Patienten mit Mikroabszessen liegen in der Literatur bislang
nicht vor. Daher erscheint grundsätzlich eine initiale Behandlung analog CDD Typ 2b
sinnvoll. Da keine Hinweise für die Effektivität einer elektiven Resektion speziell
bei kleinen Abszessen vorliegt und das Rezidivrisiko bei kleineren Abszessen niedriger
ist, besteht aktuell keine Indikation für eine elektive Resektion nach erfolgreicher
konservativer Therapie.
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 2b
Empfehlung 6.5 (modifiziert 2021)
Größere retroperitoneale oder parakolische Abszesse (> 3 cm) können interventionell
(Sonographie, CT) drainiert werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Das Evidenzniveau bzgl. der Indikation zur perkutanen Abszessdrainage bei komplizierter
akuter Divertikulitis ist nach wie vor gering. Die Empfehlungen beruhen ausschließlich
auf retrospektiven Kohortenstudien. Entsprechend heterogen sind die Indikationen zur
Drainageanlage. Sie können von der Abszessgröße, der Lokalisation und dem Ansprechen
auf eine alleinige Antibiotikatherapie abhängen.
Dementsprechend heterogen ist der Anteil der Patienten mit perkutaner Drainage gegenüber
den allein antibiotisch therapierten Patienten in den einzelnen Studien sehr variabel
(von 78 % mit Drainage bei Abszessgröße ≥ 3 cm [510]; 26,7 % bei [513]; bis nur 11 % bei [240].
Auch mehrfache Interventionen bei initial nicht suffizienter Abszessdrainage oder
unzureichendem klinischen Ansprechen wurden in der Literatur berichtet [514]. Dieses Vorgehen war allerdings mit einem steigenden Risiko eines Therapieversagens
mit Konversion zur Operation assoziiert. Mehr als 2 Versuche wurde von den Autoren
dementsprechend nicht empfohlen. Darüber hinaus wurde in einer kleinen Kohortenstudie
[342] von einem 38 % Risiko bzgl. der Entstehung einer Stuhlfistel berichtet. Die technische
Erfolgsrate der Anlage einer perkutanen Drainage kann aufgrund fehlender Daten nicht
abgeschätzt werden. Die Liegedauer einer Drainage war ebenfalls sehr variabel (8 Tage
[1–18 Tage] [508]; 36 Tage [511]; 8 Tage [1–18 Tage] [509]; 28 Tage [510]; 6 Tage [3–16 Tage] [513]).
Diejenigen nicht randomisierten Studien die Effektivität zwischen perkutaner Drainage
und alleiniger Antibiotikatherapie zur Vermeidung einer Operation untersuchten, zeigten
ein vergleichbares Risiko für ein Therapieversagen [508]
[510]
[513]
[515].
Insgesamt fehlt bislang der schlüssige Nachweis, dass eine perkutane Drainageanlage
bei Abszess eine effektive Unterstützung der Antibiotikatherapie darstellt und tatsächlich
dringliche Operationen vermeiden kann. Die Empfehlung beruht daher auf allgemeinen
Grundsätzen einer Abszess-Behandlung. Auch ist unklar, ob ein Abszess primär oder
erst bei Versagen einer Antibiotika-Therapie drainiert werden sollte. Da dieses Verfahren
auch durchaus relevante Komplikationen haben kann, sollte es nur bei größeren und
interventionell sicher zugänglichen Abszesslokalisationen unter engmaschiger Überwachung
des klinischen Verlaufs durchgeführt werden. Die Auswahl des Drainageverfahrens sollte
von der Lokalisation des Abszesses und der lokalen Expertise (Sonographie, CT) abhängig
gemacht werden.
Patienten mit akuter Divertikulitis mit Makroabszess (CDD Typ 2b) sollen stationär
antibiotisch behandelt werden und chirurgisch vorgestellt/mitbeurteilt werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad A, Starker Konsens
Kommentar:
Bei komplizierter akuter Divertikulitis mit Makroabszess handelt es sich um eine potentiell
lebensbedrohliche Erkrankung. In einer dänischen Registerstudie mit 3148 Patienten
wurde eine 30-Tage-Mortalität von 8,7 % berichtet. Ein eher geringerer Anteil von
nur 6 % Operationen im Rahmen des initialen stationären Aufenthalts wird in einer
großen dänischen Registerstudie mit 3148 Patienten angeben [523].
Der Anteil derjenigen Patienten die sich unter der primären nicht-operativen Therapie
klinisch nicht adäquat verbessern oder sogar verschlechtern und dann im Rahmen des
primären stationären Aufenthalts operiert werden müssen ist in der verfügbaren Literatur
sehr variabel und reicht von 5 % [511] bis 33 % [512].
Eine aktuelle multizentrische retrospektive Studie aus den Niederlanden berichtet
von einem Anteil von 8,9 % welche nach initial konservativer Therapie eine kurzfristige
Notfalloperation benötigen [513]. Die einzige verfügbare prospektiv randomisierte Studie zur komplizierten akuten
Divertikulitis berichtet von 11 % Therapieversagern mit Notwendigkeit einer Notfalloperation
[516].
Das Risiko steigt mit der Größe der Abszesse und der Notwendigkeit einer perkutanen
Drainage. Eine Meta-Analyse von 22 Studien mit 1051 Patienten, wobei hiervon 50 %
eine perkutane Drainage erhielten, ergab einen Anteil des Versagens der primär konservativen
Therapie von 30 % [517]. Das Risiko eines Versagens der primär konservativen Therapie ist bei Abszessen
höher als beim Nachweis extraluminaler Luft (15,6 %) [518]. Eine große amerikanische Registerstudie zeigte, dass etwa doppelt so viele Patienten
wegen Versagen einer initial konservativen Therapie eines Abszesses im Rahmen des
ersten stationären Aufenthalts operiert werden müssen, als bei einer freien Perforation,
da diese entsprechend seltener vorkommt [246].
Eine Vorhersage des Erfolgs einer primär nicht-operativen Therapie ist nach radiologischen
Kriterien des initialen CT nicht möglich [519].
Die dringliche Operation bei Versagen einer primär konservativen Therapie hat ein
relevantes Mortalitätsrisiko (5,8 %), allerdings betrug auch die 30-Tage-Mortalität
mit alleiniger antibiotischer Therapie 10,1 % [520]. Es kommt daher darauf an, dass Versagen der primär konservativen Therapie zeitgerecht
zu erkennen, damit eine rasche Indikationsstellung zur Operation und eine dringliche
Durchführung erfolgen kann, um Folgekomplikationen zu vermeiden. Eine amerikanische
Register-basierte Kohortenstudie mit 2,119 Patienten berichtet von einem deutlichen
Anstieg der postoperativen Morbidität je nach Operationszeitpunkt innerhalb der ersten
Woche nach stationärer Aufnahme (von 38 % innerhalb der ersten 24 Stunden auf 61,8 %
nach mehr als einer Woche; 0,001) und einer Verlängerung der postoperativen Liegezeit
(von 10,72 ± 9,35 Tage auf 22,73 ± 12,06 Tage; P< 0,001; [521].
Evidenzbasierte und klar definierte Kriterien, wann ein Versagen der konservativen
Therapie vorliegt, gibt es allerdings bislang noch nicht. Auch fehlen zuverlässige
Prädiktoren für ein Versagen der konservativen Therapie. Dementsprechend empfiehlt
sich eine engmaschige und interdisziplinäre Verlaufsbeobachtung unter chirurgischer
Beteiligung.
Etwa ein Drittel der Patienten mit akuter komplizierter Divertikulitis wird wegen
einer Rezidivdivertikulitis erneut stationär behandelt, zumeist innerhalb eines Jahres.
Evidenzlevel 2, Starker Konsens
Kommentar:
Ein systematisches Review zur Rezidivhäufigkeit nach akuter Divertikulitis mit 35
Studien und 396 676 Patienten beschrieb den Abszess als Hauptrisikofaktor für Rezidive
mit einem etwa doppelt so hohen Risiko wie nach einer unkomplizierten Divertikulitis.
Darüber hinaus waren > 50 % der Rezidive erneut kompliziert, während 88 % der Rezidive
nach unkomplizierter Divertikulitis erneut unkompliziert waren. Die Abszessgröße (≥ 5 cm),
eine Drainageeinlage und eine retroperitoneale Lage wurden als Riskofaktoren für das
Auftreten einer Rezidivdivertikulitis beschrieben [236].
Ein systematisches Review speziell zur komplizierten akuten Divertikulitis mit Abszess
von 2016 berichtet anhand von 23 ausgewerteten Studien mit 7653 Patienten eine Rezidivrate
von insgesamt 25,5 % (1949 Pat.), in dieser Auswahl war das Rezidivrisiko bei Patienten
nach zusätzlicher perkutaner Drainage niedriger als nach alleiniger Antibiotikatherapie
(15,9 % vs. 22,2 %, 560 vs. 126 Pat.; [264].
In einem weiteren systematischen Review speziell zur komplizierten akuten Divertikulitis
mit Abszess von 2014 wurden relativ häufiger Patienten mit zusätzlicher perkutaner
Drainage (49 %) ausgewertet. Bei diesem Studienkollektiv wurde eine Rezidvirate von
28 % berichtet und letztlich wurden nur 28 % der Patienten langfristig nicht operiert
[517].
In der ersten publizierten, prospektiv-randomisierten Studie zur komplizierten akuten
Divertikulitis mit Abszess (oder extraluminärer Luft) wird bei konservativer Therapie
eine Rezidivrate von 32 % nach 3 Jahren berichtet, wobei alle Patienten ein kompliziertes
Rezidiv aufwiesen [516].
In einzelnen Kohortenstudien wurden jedoch auch teilweise deutlich niedrigere (10 %;
[522] als auch höhere Rezidivraten berichtet (60 %; [266].
Darüber hinaus sind große Register-basierte Kohortenstudien mit hoher Fallzahl aus
Dänemark, Kanada und den USA verfügbar. Die dänische Studie mit 3148 Patienten berichtet
Rezidivraten von 15,5 % nach alleiniger antibiotischer Therapie und 23,6 % im Falle
einer zusätzlichen perkutanen Drainage [523]. Die kanadische Studie mit 14,124 Patienten berichtet eine Rezidivrate von 12 %
[244]. Die amerikanische Studie mit 237 879 Patienten berichtet Abszesse als Haupt-Einflussfaktor
für Rezidive (Odds Ratio 1,67, Risiko 14,0–18,2 %) und schlechtes Outcome (Odds Ratio
3,84, Risiko 10,2 %–13,7 %, [234]). Über alle Studien hinweg wurden > 50 % der Rezidive innerhalb eines Jahres nach
der komplizierten Divertikulitis berichtet.
Zusammenfassend kann man trotz heterogener Datenlage festhalten, dass das Rezidivrisiko
nach erfolgreich antibiotisch bzw. interventionell behandelter akuter komplizierter
Divertikulitis mit Makroabszess für ein kompliziertes Rezidiv deutlich größer ist
als das nach einer unkomplizierten Divertikulitis. Das absolute Rezidiv-Risiko wurde
in den systematischen Reviews und der verfügbaren randomisierten Studie zwischen 25 %–28 %
angegeben.
Empfehlung 6.8 (neu 2021)
Patienten nach erfolgreich konservativ bzw. interventionell behandelter komplizierter
akuter Divertikulitis mit Makroabszess (CDD Typ 2b) kann eine Operation im entzündungsfreien
Intervall angeboten werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Zahlreiche Kohortenstudien berichten das langfristig die Mehrheit (56 %–83 %) der
Patienten nach initial komplizierter akuter Divertikulitis mit Makroabszess operiert
wurden [267]
[517]
[522]. Allerdings ist die Indikation zur elektiven Operation oftmals nicht konkret beschrieben.
Ob die Indikationsstellung wegen rezidivierender Entzündungsschüben, anhaltenden Symptomen
oder primär aufgrund des initialen Schubs gestellt wurde ist hierbei nicht erkennbar.
Größere registerbasierte Kohortenstudien berichten von einem deutlich niedrigeren
Anteil elektiver Operation im Verlauf (z. B. 16 % von 3148 Pat., [264]
[523]; 18,6 % von 10 342 Pat., [524]. In der Vergangenheit wurde die Indikation zur elektiven Operation nach komplizierter
Divertikulitis u. a. mit dem vermeintlichen Risiko einer freien Perforation beim Rezidiv
begründet. Anhand neuer Studien ist jedoch bekannt, dass das Perforationsrisiko beim
1. Schub am höchsten ist [246].
Die einzige verfügbare prospektiv randomisierte Studie zur komplizierten akuten Divertikulitis
zeigt, dass eine konservative Therapie langfristig auch ohne Risiko einer Perforation
bzw. einer dringlichen Operation, bei allerdings deutlich erhöhtem Rezidivrisiko möglich
ist (32 % vs. 9 %, alle Rezidive kompliziert, [516]). Problematisch bei der Bewertung der Studie ist allerdings neben der unizentrischen
Durchführung und der niedrigen Fallzahl, die Tatsache, dass nur 49/107 (45 %) der
randomisierten Patienten einen Abszess aufwiesen, während bei der Mehrzahl der Patienten
nur extraluminale Luftperlen ohne Abszedierung beschrieben wurden. Eine Untersuchung
der Symptomatik oder Lebensqualität der Patienten wurde in dieser Studie nicht durchgeführt.
Das 5-Jahres-Mortalitätsrisiko durch eine Rezidivdivertikulitis wird in einer amerikanischen
Registerstudie mit 10 342 Patienten mit 1,9 % für Patienten mit konservativer Therapie
und 0,6 % für Patienten nach einer Operation angegeben. In dieser Studie betrug die
postoperative 30-Tages-Letalität 0,2 % [524].
In einer anderen, ebenfalls amerikanischen Registerstudie mit 210 268 Patienten wurde
das Mortalitätsrisikos durch eine Rezidivdivertikulitis mit 2,2 % bei erneuter konservativer
Therapie, bei dringlicher operativer Therapie mit 4,6 % berichtet. Demgegenüber betrug
die postoperative Krankenhausmortalität nach elektiver Operation 0,3 % [246]. Auch in der dänischen Registerstudie mit 1248 Patienten wurde ein 5-Jahres-Mortalitätsrisikos
durch eine Rezidivdivertikulitis mit 2,0 % nach konservativer Therapie mit perkutaner
Drainage, mit 1,1 % nach alleiniger Antibiotikatherapie und mit 0,6 % nach Operation
angegeben (P = 0,24).
Insgesamt lässt sich anhand dieser Daten feststellen, dass eine elektive Operation
das Risiko an einer Rezidivdivertikulitis zu sterben, deutlich reduzieren kann, wenn
Patienten mit geringem Operationsrisiko durch Chirurgen mit entsprechender Expertise
operiert werden.
Die Übersichtsarbeit von Galentin fasst die 11 international verfügbaren Leitlinien
zur Divertikulitis zusammen [152]. Hier zeigt sich, dass 5 Leitlinien eine elektive Operation nach komplizierter Divertikulitis
empfehlen, 4 Leitlinien eine elektive Operation nach komplizierter Divertikulitis
mit Einschränkungen empfehlen und 2 Leitlinien keine Aussagen hierzu treffen. Die
aktuellste verfügbare NICE Guideline des britischen National Institute for Health
and Care Excellence empfiehlt eine Operation zu erwägen, falls nach erfolgreicher
konservativer Therapie Symptome der Divertikelkrankheit persistieren.
In neueren Studien steht neben dem Risiko für Rezidive, Perforationen oder Notfalloperationen
zunehmend die Lebensqualität im Fokus [504]
[525]. In eine deutschen Kohortenstudie mit 290 Patienten aber geringer Follow-Up Rate
(47,6 %) und entsprechend hohem Selektions-Bias hatten Patienten nach elektiver Sigmaresektion
bei komplizierter Divertikulitis mit Makroabszess eine signifikant bessere Lebensqualität
als konservativ behandelte Patienten [525]. Auch die erste prospektiv-randomisierte Studie zur Effektivität der elektiven Resektion
bei persistierenden Symptomen nach Divertikulitis enthält einen hohen Anteil von Patienten
mit primärerer Abszedierung [504].
Zusammengefasst kann Patienten in gutem Allgemeinzustand aufgrund des relevanten Rezidiv-
und Mortalitätsrisikos, und der häufig verbesserten Lebensqualität eine elektive Operation
angeboten werden. Mit dem Patienten sollte anhand der individuellen Operations-, Rezidiv-
bzw. Komplikationsrisiken Vor- und Nachteile sowie Risiken eines abwartenden Procederes
besprochen werden. Dies gilt insbesondere für Patienten, die nach der konservativen
Therapie nicht beschwerdefrei werden.
Eine elektive Operation nach erfolgreicher konservativer Initialtherapie einer akuten
komplizierten Divertikulitis mit Makroabszess sollte ca. 6 Wochen nach Abschluss der
konservativen Therapie erfolgen.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Sämtliche o. g. Studien beschreiben die höchste Inzidenz von Rediziven im erst Jahr
nach der Indexdivertikulitis. Die verfügbaren Kaplan-Meier-Kurven zur Rezidivdivertikulitis
zeigen darüber hinaus eindeutig, dass das Rezidivrisiko in den ersten 6 Monaten noch
deutlich höher ist als in den Monaten 7–12 [244]
[246]
[523]. In einer Kohortenstudie mit 210 Patienten wird das mediane Zeitintervall bis zum
Rezidiv mit 3,5 Monaten angegeben.
Entsprechend empfehlen Gregersen et al. auf der Basis ihrer retrospektiven Registerstudie,
dass eine elektive Operation am möglichst rasch nach Abklingen der akuten Entzündungssymptome
erfolgen sollte [523].
Bezüglich des optimalen Zeitpunkts einer elektiven Operation ist ein systematisches
Review basierend auf 4 Kohortenstudien verfügbar, das zwischen Patienten mit einer
Operation innerhalb von 6 Wochen oder nach einem längeren Intervall vergleicht. Hier
ergibt sich kein Unterschied bzgl. des Risikos einer Anastomoseninsuffizienz und der
postoperativen Mortalität. Allerdings fand sich bei mittlerer Heterogenität der Studiendaten
sowohl eine längere Operationsdauer als auch ein höheres Konversionsrisiko zur offenen
Operation bei denjenigen Patienten die frühzeitig elektiv operiert wurden [526].
Zusammengefasst, sollte eine elektive Operation frühzeitig durchgeführt werden, um
das Risiko einer Rezidivdivertikulitis zu minimieren. Da eine (zu) frühzeitige Operation
aber mit erschwerten Operationsbedingungen verbunden sein kann, sollte ein Intervall
von 6 Wochen nach vollständiger Infektkonsolidierung mit entsprechender Rekonvaleszenz
abgewartet werden.
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 2c
Empfehlung 6.10 (modifiziert 2021)
Patienten mit freier Perforation und Peritonitis bei akuter komplizierter Divertikulitis
sollten innerhalb von 6 Stunden nach Diagnosestellung operiert werden (Notfall-Operation).
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Konsens
Kommentar:
Es gibt nur wenige Studien, die Indikation zum konservativen Vorgehen bei der perforierten
Sigmadivertikulitis untersucht haben. Speziell die Frage nach der OP-Indikation bei
freier extraluminaler Luft ohne eine begleitende Peritonitis bzw. dem Vorhandensein
einer eitrigen (Typ 2c1) oder fäkalen (Typ 2c2) Peritonitis wurde wenig untersucht.
Dies liegt unter anderem daran, dass in der Vergangenheit viele Studien die Klassifikation
nach Hinchey verwendet haben. Diese Klassifikation beschreibt jedoch nicht das Auftreten
von freier Luft ohne größere Abszesse bzw. Sepsis/Peritonitiszeichen. Ebenso sieht
die CDD Klassifikation derzeit die freie Perforation ohne Peritonitis nicht vor.
In einer retrospektiven Kohortenstudie von Sallinen et al. [527] wurde hingegen explizit die freie Perforation ohne das Vorhandensein eines Makroabszesses
untersucht. Dabei wurden 132 Patienten in 3 Gruppen mit unterschiedlicher Ausprägung
von extraluminaler Luft untersucht. In der Gruppe I (n = 82) zeigte sich lediglich
Luft parakolisch. In der Gruppe II (n = 29) konnte die freie Luft intraabdominell
detektiert werden, in der Gruppe III (n = 14) befanden sich die Gaseinschlüsse generalisiert
retroperitoneal. Im weiteren Verlauf war die konservative Therapie in den Gruppen
I–III in 99 %, 62 % und 43 % der Patienten erfolgreich mit einer Letalität von 0 %,
5 % und 7 %. Obwohl die Autoren die Ergebnisse aufgrund des retrospektiven Charakters
limitiert ansahen, wird ein konservatives Vorgehen bei Patienten mit wenig intraperitonealer
bzw. parakolischer Luft ohne klinische Zeichen einer Peritonitis diskutiert.
Bei der freien Perforation mit eitriger oder fäkaler Peritonitis (CDD Typ 2c1 und
2c2) besteht grundsätzlich eine OP-Indikation.
Ähnliche Ergebnisse beschrieben auch Thorisson et al. [528] von 107 untersuchten Patienten, welche bei einer perforierten Divertikulitis konservativ
behandelt wurden. Die Erfolgsrate der konservativen Therapie lag aber lediglich bei
34 % wenn freie Luft diagnostiziert werden konnte. Wenn zusätzlich noch ein Makroabszess
vorhanden war, sank die Erfolgsrate auf 17 %.
Colas et al. [529] untersuchten ebenfalls die Gründe für das Versagen der konservativen Therapie in
dieser Patientengruppe. Von 91 Patienten wurden lediglich 29 Patienten (31,9 %) als
Therapieversager identifiziert. Die Menge an freier intraabdomineller Luft und das
Vorhandensein von Abszessen waren dabei signifikante Risikofaktoren.
Eine sehr hohe Erfolgsrate von 84,4 % bezüglich der konservativen Therapie einer freien
Perforation wurde von Titos-Garcia et al [518] beschrieben. Auch in dieser Arbeit konnten die weitaus besseren Ergebnisse mit 90,2 %iger
Erfolgsrate bei Patienten mit lediglich parakolischer Luft verzeichnet werden, im
Gegensatz zu 61,5 % bei Patienten mit generalisierter freier intraabdomineller Luft.
Insgesamt rechtfertigt die Datenlage und die Qualität der Studien nur in sehr ausgewählten
Fällen ein konservatives Vorgehen. Speziell bei Patienten mit fehlenden Zeichen einer
Peritonitis und lediglich lokaler parakolischer Luft kann über ein konservatives Vorgehen
als individueller Heilversuch diskutiert werden. Die operative Versorgung stellt nach
wie vor die Therapie der Wahl dar.
Da bei diesen Patienten die Indikation aufgrund einer Peritonitis bzw. Sepsis gestellt
wird, sollten die generellen chirurgischen Kriterien der Notfalllaparotomie bei Hohlorganperforationen
herangezogen werden. Hierfür spricht auch die Arbeit von Mozer et al. [521]. Die Autoren analysierten, dass das Outcome besser ist, je früher die Operation
erfolgt, wenn eine chirurgische Therapie notwendig wird.
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 3a
Empfehlung 6.11 (neu 2021)
Die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit sollte nicht operativ behandelt
werden.
Evidenzlevel 4, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) ist eine Ausschlussdiagnose,
d. h. es gibt keine objektiven Kriterien, die diese Diagnose sichern. Die Abgrenzung
zum Reizdarmsyndrom ist auch klinisch in vielen Fällen nicht möglich. Es gibt keine
kontrollierten Studien, die eine Wirksamkeit einer operativen Therapie zweifelsfrei
belegen. In einer retrospektiven Kohortenstudie wurden 47 Patienten mit „atypischer
schwelender Divertikelkrankheit“ mit Symptomen für mindestens 6 Monate in einem 10-Jahres-Zeitraum
einer Sigmaresektion unterzogen [530]. Für 68 % der Patienten lagen Daten eines 12-Monate-Follow-up vor. Von diesen Patienten
waren 76,5 % komplett symptomfrei und 88 % schmerzfrei.
Es gibt Hinweise aus einer randomisierten, plazebokontrollierten konservativen Interventionsstudie,
dass Patienten mit einer SUDD möglicherweise ein erhöhtes Risiko für eine akute Divertikulitis
haben [485]. Die Rate betrug im Plazeboarm im ersten Jahr 12 %. Unter konservativer Therapie
mit Probiotika +/– Mesalazin war diese Rate deutlich niedriger. In einer solchen Situation
wäre eine Operation eine Primärprävention einer Divertikelkomplikation. Auch für dieses
klinische Szenario gibt es keine unterstützende Datenlage. Werden oder bleiben Patienten
nach einer Divertikulitis oder rezidivierenden Divertikulitisschüben symptomatisch,
handelt es sich nicht um eine SUDD im engeren Sinne.
Zusammenfassend muss bei unklarer Pathogenese/Pathophysiologie, unsicherer Diagnose
und fehlender schlüssiger Evidenz für eine Wirksamkeit einer Operation, die eine Nutzen-Risiko-Abwägung
ermöglichen würde, gegenwärtig von einer solchen Intervention abgeraten werden.
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 3b
Empfehlung 6.12 (neu 2021)
Das Rezidivrisiko bei der chronisch-rezidivierenden Divertikulitis CDD Typ 3b steigt
mit jedem Entzündungsschub. Das Perforationsrisiko ist beim ersten Schub am höchsten
und nimmt mit der Anzahl der weiteren Schübe ab. Die Indikation zur Operation sollte
daher nicht von der Anzahl der vorangegangenen Entzündungsschübe abhängig gemacht
werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Das Rezidivrisiko liegt nach dem ersten Schub einer Divertikulitis bei ca. 8 % und
steigt mit jedem weiteren Entzündungsschub; nach dem fünften Schub liegt es bei ca.
45 % [236]. Allerdings ist das Perforationsrisiko beim ersten Schub einer Divertikulitis mit
ca. 5–25 % am höchsten und nimmt mit der Anzahl der weiteren Schübe ab, beim fünften
Schub liegt das Perforationsrisiko unter 1 % [233]
[531]. Dies entsprich in etwa einer Halbierung des Perforationsrisikos mit jeder weiteren
Episode einer akuten Divertikulitis. Die Ursache hierfür ist nicht abschließend geklärt,
möglicherweise spielen Adhäsionen durch vorangegangene Entzündungsepisoden eine Rolle.
Nur ca. 5 % der Patienten, die aufgrund einer rezidivierenden Divertikulitis stationär
behandelt werden, müssen sich einer Notfalloperation unterziehen [154]
[532]. Grundsätzlich führen rezidivierende Episoden einer Divertikulitis weder zu einer
höheren Komplikationsrate noch zu einer höheren Versagensrate der konservativen Therapie
[228]. Allerdings sind Risikofaktoren für das Auftreten einer komplizierten Rekurrenz
(Steroidmedikation, Abszess) beschrieben [245]. In einer retrospektiven Kohortenstudie an 210 Patienten lag das Risiko für ein
Rezidiv mit Perforation bei 0,7 % [533]. Eine weitere retrospektive Kohortenstudie zu den Langzeitergebnissen (Follow-up
13 Jahre) von 252 Patienten mit konservativ behandelter Sigmadivertikulitis zeigte
eine Rezidivrate von 34 % und eine Rate letaler divertikulitisbedingter Komplikationen
von 0,8 % [250]. Die früher propagierte Empfehlung zur Resektion nach dem zweiten Entzündungsschub
ist daher heute als obsolet anzusehen, vielmehr muss die Entscheidung auf individueller
Basis getroffen werden [498]. Eine entscheidende Rolle kommt hierbei auf Grundlage einer randomisiert-kontrollierten
Multicenter-Studie aus den Niederlanden (DIRECT-Trial) der Beeinträchtigung der Lebensqualität
durch die rezidivierende Entzündung zu [504]
[505]. Im Falle eines Versagens der konservativen Therapie profitieren drei von vier Patienten
von einer elektiven Resektion [147]
[534].
Empfehlung 6.13 (neu 2021)
Die elektive Sigmaresektion kann bei der chronisch-rezidivierenden Divertikulitis
CDD Typ 3b die Lebensqualität signifikant verbessern. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität
durch die rezidivierende Erkrankung sollte bei diesen Patienten als wesentliche Entscheidungshilfe
zur Indikationsstellung herangezogen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Es existiert nur eine randomisiert-kontrollierte multizentrische Studie, die eine
konservative gegen eine operative Therapie der rezidivierenden Divertikulitis vergleicht
(DIRECT-Trial). Im Rahmen dieser niederländischen Studie wurden insgesamt 109 Patienten
mit rezidivierender oder anhaltender symptomatischer Divertikelkrankheit in einen
konservativen bzw. operativen Therapiearm randomisiert. Inzwischen liegen aus dieser
Studie sowohl Kurzzeit- als auch Langzeitergebnisse sowie Daten zur Kosteneffektivität
vor [504]
[505]
[535]. Primärer Studienendpunkt war die subjektive gesundheitsbezogene Lebensqualität
der Patienten. Hierbei war die Operation der konservativen Therapie in der Nachverfolgung
sowohl nach 6 Monaten als auch nach 5 Jahren signifikant überlegen. Darüber hinaus
wurden 23 % der Patienten im konservativen Behandlungsarm innerhalb von 6 Monaten
aufgrund anhaltender abdomineller Beschwerden operiert. In beiden Studienarmen gab
es keine Mortalität bei vergleichbarer 6-Monats-Morbidität (34 % operativer Arm; 40 %
konservativer Arm). Obwohl die Studie aufgrund von Rekrutierungsschwierigkeiten vorzeitig
beendet wurde, stellt sie die beste verfügbare Evidenz zur Therapie der chronisch-rezidivierenden
Sigmadivertikulitis Typ 3b dar. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die elektive
Operation bei diesen Patienten zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität
führen kann. Daher sollte die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die rezidivierende
Erkrankung bei diesen Patienten als wesentliche Entscheidungshilfe zur Indikationsstellung
herangezogen werden. Bereits vor Auswertung des DIRECT-Trial hatten retrospektive
Kohortenstudien darauf hingewiesen, dass Patienten mit chronischen, divertikulitisbedingten
Beschwerden häufig von einer elektiven Resektion profitieren und in 75–88 %der Fälle
symptomfrei werden [147]
[211].
Die prädiktiven Faktoren für ein gutes postoperatives Ergebnis bei der chronisch-rezidivierenden
Divertikulitis Typ 3b unterscheiden sich nicht von den für die elektive Sigmaresektion
geltenden Faktoren bzw. Empfehlungen. Angestrebt wird eine Sigmaresektion mit primärer
Anastomose. In Zentren mit entsprechender Expertise sollte diese laparoskopisch erfolgen,
da dies in der Regel mit einer schnelleren postoperativen Rekonvaleszenz vergesellschaftet
ist [315]. Allgemein durchgesetzt hat sich, die linke Flexur zu mobilisieren; zur Prävention
persistierender Symptome postoperativ wird die Anastomose im oberen Rektum angelegt
[315]
[498]. Bezüglich der proximalen Resektionsgrenze wird ein Absetzen des Darmes im Gesunden,
d. h. im nicht entzündlich veränderten Kolon empfohlen, wobei eine Resektion sämtlicher
divertikeltragender Darmabschnitte nicht erforderlich ist [534].
Statement 6.14 (neu 2021)
Die Risikofaktoren für einen komplikativen postoperativen Verlauf bei der chronisch-rezdivierenden
Sigmadivertikulitis Typ 3b entsprechen den allgemeinen Risikofaktoren bei einer elektiven
Kolonresektion.
Evidenzlevel 1, Starker Konsens
Kommentar:
Spezifische Risikofaktoren für einen komplikativen postoperativen Verlauf bei der
chronisch-rezidivierenden Divertikulitis Typ 3b sind nicht untersucht. Es ist davon
auszugehen, dass die allgemein bekannten perioperativen Risikofaktoren kolorektaler
Eingriffe auch für diese Patienten gelten (z. B. Komorbiditäten, Hypalbuminämie).
Die Gesamtrate an postoperativen Komplikationen nach laparoskopisch intendierter elektiver
Sigmaresektion bei Patienten mit Divertikulitis wird in einer retrospektiven Kohortenstudie
an 576 Patienten mit 14,2 % angegeben [536]. Unabhängige Risikofaktoren für einen komplikativen postoperativen Verlauf waren
in der multivariablen Analyse in dieser Untersuchung ein BMI > 35 kg/m2 (RR 2,10), eine Konversion auf offene Operation (RR 2,21) sowie ein intraoperativer
Blutverlust > 100 mL (RR 1,06). Immunsupprimierte Patienten, die sich aufgrund einer
Divertikulitis einer elektiven Sigmaresektion unterziehen, haben im Vergleich zu Immunkompetenten
ein erhöhtes Morbiditätsrisiko (chirurgische Major-Komplikationen, Wunddehsizenz)
bei allerdings vergleichbarer Mortalität [501]. Für jüngere Patienten (< 50 Jahre) ist sowohl ein höheres perioperatives Risiko
als auch ein erhöhtes Rezidivrisiko in einigen Arbeiten diskutiert worden; insgesamt
ist die Datenlage hierzu aber nicht konklusiv, so dass ein jüngeres Alter nicht als
prädiktiver Faktor für einen komplikativen postoperativen Verlauf herangezogen werden
kann [498]. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Operation hat die frühelektive Resektion keinen
Vorteil im Vergleich zu einer zeitverzögerten Operation [526].
Konservatives versus operatives Procedere – Typ 3c
Statement 6.15 (neu 2021)
Die chronisch-rezidivierende Divertikulitis Typ 3c mit Nachweis von Fisteln sollte
operativ behandelt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Evidenz zur Behandlung von Fisteln bei der chronischen Divertikulitis beruht auf
Fallberichten und retrospektiven Fallserien. Divertikulitis bedingte Fisteln können
zur Harnblase, zu anderen Darmsegmenten, zur Haut oder zur Vagina bestehen. In der
Regel wird eine Linderung der Beschwerdesymptomatik nur durch eine Operation erreicht
[537]. Dementsprechend wird die Operation für die chronisch-rezidivierende Divertikulitis
Typ 3c mit Nachweis von Fisteln von der überwiegenden Anzahl der Leitlinien empfohlen
[147]
[154]
[315]. In > 90 % der Fälle ist beim Typ 3c mit Nachweis von Fisteln im Falle einer Resektion
die Anlage einer primären Anastomose möglich, wenn dies auch mit einem erhöhten Konversionsrisiko
im Falle einer primär laparoskopischen Operation einhergeht [315]
[537]
[538]. Im Falle kolovesikaler Fisteln beruht die Rationale hinter der Operationsindikation
zudem auf der prinzipiellen Gefahr der Urosepsis, auch wenn diese in der Vergangenheit
möglicherweise überschätzt worden ist. Einzelne Fallserien zeigen, dass bei benignen
Verläufen Patienten mit kolovesikalen Fisteln auch über Jahre konservativ behandelt
werden können [539]
[540]. In diesen Fällen sollte die Indikation zur Operation in Abhängigkeit vom Beschwerdebild
und dem individuellen Leidensdruck des Patienten gestellt werden. Hierbei muss allerdings
beachtet werden, dass ein maligner Prozess sicher ausgeschlossen werden muss. Ist
dies nicht möglich, so ist die Operation zu empfehlen [147].
Empfehlung 6.16 (neu 2021)
Die chronisch-rezidivierende Divertikulitis Typ 3c mit Nachweis einer symptomatischen
Kolonstenose sollte operativ behandelt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Zur Behandlung divertikulitisbedingter symptomatischer Kolonstenosen liegen keine
prospektiven Daten vor. Im Regelfall wird eine divertikulitisbedingte Kolonstenose
dann als klinisch relevant angesehen, wenn sie zu einer behandlungsbedürftigen Behinderung
der Stuhlpassage führt. In diesem Falle stellt die Operation die einzig sinnvolle
kausale Therapie dar[147]
[154]
[315]
[531]. Die interventionell-endoskopische Therapie mittels Stent hat experimentellen Charakter
und sollte palliativen Situationen vorbehalten bleiben [541]
[542].
Kapitel 7: Operative Verfahrenswahl
Kapitel 7: Operative Verfahrenswahl
Empfehlung 7.1. (neu 2021)
Die minimal-invasive Sigmaresektion sollte – wenn technisch möglich – der offenen
Operation vorgezogen werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Überlegenheit des minimal-invasiven Zugangs ist hinsichtlich der sogenannten Minor-Komplikationen
belegt. Darüber hinaus ist die Lebensqualität im kurzfristigen postoperativen Verlauf
nach minimal-invasiver Operation besser [543]. Die Ergebnisse in anderer Hinsicht (Major-Komplikationen, Langzeit-Lebensqualität)
sind zwischen dem offenen und laparoskopischen Verfahren als gleichwertig anzusehen
[544]. Die minimal-invasive Sigmaresektion ist auch bei colo-vesikalen Fisteln technisch
möglich [545]
[546] sowie bei der rechtsseitigen Divertikulitis [547].
Statement 7.2. (modifiziert 2021)
Die total laparoskopische Operation, die laparoskopisch-assistierte Operation sowie
roboter-assistierte Operation und Hand-Port Verfahren sind allesamt erprobt, sicher
und effektiv.
Evidenzlevel 3, Starker Konsens
Kommentar:
Vergleichende Studien zu unterschiedlichen minimal-invasiven Verfahren liegen nur
mit einem niedrigen Evidenzlevel vor und zeigen keine relevanten Unterschiede [548]. Deshalb ist eine relative Bewertung der einzelnen Verfahren nicht möglich.
Operative Verfahrenswahl bei CDD 2c
Empfehlung 7.3. (modifiziert 2021)
Als Standardeingriff bei der perforierten Sigmadivertikulitis mit generalisierter
Peritonitis (CDD Typ 2c1/2) sollte als Operationsverfahren die Sigmaresektion mit
primärer Kontinuitätswiederherstellung mit Anastomose und Vorschaltung eines Ileostomas
bevorzugt werden. Bei septischen und instabilen Patienten sollte eine Hartmann-Operation
durchgeführt werden.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Mortalität und Morbidität nach primärer Anastomosierung mit vorgeschaltetem Ileostoma
verglichen mit der Hartmann – Operation ist in der Mehrzahl der prospektiv randomisierten
Untersuchungen, systematischen Metaanalysen sowie der weltweit größten Kohortenanalysen
gleich [549]
[550]
[551]
[552]
[553]
[554]. Allerdings zeigten 2 von 3 dieser randomisiert-kontrollierten Studien auch, daß
die Rate an Patienten, die eine Stomarückverlagerung bzw. eine Wiederanschluß Operation
erhalten nach primärer Anastomosierung mit protektiver Ileostomaanlage höher ist [550]
[551]. In einer Metaanalyse der RCTs wird dieser Vorteil einer Stomarückverlagerung bzw.
Reanastomosierung nicht bestätigt [552] im Gegensatz zu Metaanalysen, die neben RCTs auch Kohortenstudien analysierten [555]
[556]. Daraus kann gefolgert werden, daß die primäre Anastomosierung mit protektivem Ileostoma
für diese Patienten vorteilhaft sein könnte.
Empfehlung 7.4. (neu 2021)
Bei der perforierten Divertikulitis mit eitriger Peritonitis (CDD 2c1) sollte eine
primäre Sigmaresektion durchgeführt werden. Eine potentielle alternative Therapiestrategie
ist die laparoskopische Peritoneallavage und Drainage, ohne Resektion.
Evidenzlevel 2, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Mittlerweile haben prospektiv randomisierte Studien gezeigt, daß die laparoskopische
Lavage bei perforierter Sigmadivertikulitis mit eitriger Peritonitis eine minimal-invasive
organerhaltende Alternative zur Hartmann Operation sowie zur primären Resektion mit
Kontinuitätswiederherstellung mit Ileostomaschutz darstellt. Trotzdem waren in den
meisten Studien die Re-operationsrate nach alleiniger Lavage signifikant höher als
nach definitver Sanierung des Infektherdes [557]. Dies betrifft v. a. Fälle mit TypIIc2 Erkrankung, wo auch eine Konversionsrate
zum resezierenden Verfahren von bis zu 45 % beobachtet wurde [558]. In 35 % der Fälle wurde die laparaskopische Lavage in einem zweizeitigen Verfahren
mit konsekutiver frühelektiver laparoskopischer Sigmaresektion durchgeführt, weswegen
dieses Verfahren der primären Sigmaresektion mit Kontinuitätswiederherstellung unterlegen
war.
Die prospektiv-randomisierten Studien zum Vergleich der laparoskopischen Lavage mit
einer Diskontinuitätsresektion nach Hartmann (DILALA trial) oder Resektion mit primärer
Anastomose (SCANDIV trial) zeigten eine, wenn auch nicht signifikant höhere 1-Jahres-Komplikationsrate
(Differenz 7,2 % (95 % KI –6,5 to 20,4); P = 0,323) in der Lavagegruppe [559]. Im DILALA trial zeigte sich sogar für den Typ IIc1 eine signifikant geringere Rate
an Folgeoperationen nach laparoskopischer Lavage (mean 0,63 versus 1,08), Reduktion
von 49 % (ratio 0,51, 95 % KI 0,31–0,87; P = 0,024) [560].
Empfehlung 7.5. (neu 2021)
Das „Damage control“ Verfahren mit Sigmaresektion und Blindverschluß der Darmenden
sowie abdomineller Vakuumtherapie mit zweizeitiger Anastomosierung nach max. 72 h
nach Beherrschung des abdominellen Infektes kann als Behandlungsstrategie bei Divertikulitis
CDD 2c1/2 eingesetzt werden.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad 0, Starker Konsens
Kommentar:
Uni- und multizentrische Beobachtungsstudien konnten nachweisen, dass mit dem damage
control Konzept die Rate an Hartmann Situationen sowie permanenten Stomata deutlich
reduziert werden konnten [561]
[562]
[563]
[564]
[565]
[566]
[567]. Damage control bedeutet im Fall der frei perforierten Sigmadivertikulitis mit eitriger
oder fäkulenter Peritonitis Entfernen des perforierten Darmsegmentes als erster rasch
durchzuführender Schritt mit sparsamer Resektion und Belassen blinder Enden mit Anlage
einer Vakuumversiegelung des Abdomens zur Unterdruckbehandlung der Peritonitis. Im
zweiten Schritt nach klinischer Stabilisierung des meist septischen Patienten wird
nach frühestens 48 Stunden ein second look mit Vervollständigung der Sigmaresektion
und Anlage einer Anastomose oder einer Hartmannsituation mit oder ohne neuerlicher
Anwendung eines Unterdrucksystems je nach Lokalbefund durchgeführt. Der Vorteil dieses
Konzeptes ist zweierlei: zum einen muss die primäre Operation (Sigmaresektion mit
Blindverschluss der Kolonenden und Anlage eines abdominellen Vakuumsystems) nicht
zwingend von einem kolorektal erfahrenen Viszeralchirurgen durchgeführt werden; zum
anderen kann die Entscheidung zur Kontinuitätswiederherstellung (73 % in einem systematischen
Review von Sohn et al. [567]) oder Hartmann Situation vertagt und diese Operation dann unter frühelektiven Bedingungen
vom Spezialisten durchgeführt werden. Dadurch konnte die Rate an permanenten Stomata
relativ niedrig gehalten werden (ca. 20 %) [561]. Die anhaltende Peritonitis bei der second look Operation ist ein unabhängiger Prognosefaktor
und korreliert signifikant mit der Rate an Organversagen und Operationsdauer bei der
Erstoperation. Patienten mit anhaltender Peritonitis trotz Unterdrucktherapie hatten
in der Beobachtungsstudie von Sohn et al. einen signifikant längeren Krankenhausaufenthalt,
höhere Stomarate bei Entlassung und eine höhere Rate an Folgeoperationen. Die Mortalitätsrate
und Komplikationsrate waren ebenso wenn auch nicht signifikant erhöht [566]. Prospektive randomisierte Studien fehlen bis dato.
Empfehlung 7.6. (neu 2021)
Der orale Resektionsrand bei der Sigmaresektion sollte direkt proximal der akut oder
chronisch entzündlich veränderten Darmabschnitte gewählt werden. Eine Resektion weiterer
divertikeltragender Darmabschnitte ohne entzündliche oder postentzündliche Veränderung
sollte nicht erfolgen.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Datenlage zur Festlegung des oralen Resektionsrandes ist äußerst schwach. Die
Resektionshöhe orientiert sich an den intraoperativen Befunden von entzündlichen/
postentzündlichen Veränderungen und sollte in einem makroskopisch unauffälligen Darmabschnitt
erfolgen [568]. Ist die Darmwand noch akut oder chronisch entzündlich induriert und somit nicht
ausreichend dehnbar, kann eine ausreichend weite End-zu-End-Stapleranastomose nicht
sicher hergestellt werden [569]. Ob eine am oberen Absetzungsrand nachweisbare Entzündung ein Rezidiv begünstigt,
bleibt fraglich: Thaler fand 2003 eine Entzündungsreaktion nur in 1 von 12 Rezidiven
[570]. Aus Gründen der Anastomosensicherheit sollte der anastomosierte Bezirk selbst frei
von Divertikeln sein [568].
Inwieweit ein Belassen von Divertikeln im restlichen proximalen Kolon Einfluss auf
eine Rezidivdivertikulitis nimmt, ist unzureichend untersucht. Hierzu existiert eine
ältere Analyse aus dem Jahr 1984. Hier fand sich bei 61 Patienten nach einem Follow-up
von mindestens 5 Jahren eine Rezidivdivertikulitis nach Sigmaresektion in 11,4 %.
Die Rezidivrate war unabhängig von der Anzahl der initial belassenen Divertikelanzahl
[571].
Empfehlung 7.7. (modifiziert 2021)
Der aborale Absetzungsrand sollte im oberen Rektum liegen.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Evidenz im Hinblick auf den Einfluss des aboralen Resektionsrandes auf die Rezidivrate
nach Sigmaresektion und Anastomose ist limitiert.
Einzelne Arbeiten belegen, dass eine Anastomose zum Rektum mit einer verminderten
Rezidivwahrscheinlichkeit belegt ist im Vergleich zu einer Anastomose mit dem distalen
Sigma. Als Hintergrund hierfür werden die Hinweise auf das Vorliegen einer Hochdruck-Zone
am rektosigmoidalen Übergang angegeben [572]
[573]. Deren Bedeutung für die Entstehung einer Rezidivdivertikulose des Kolons bleibt
spekulativ.
Benn verglich Patienten mit kolosigmoidaler versus kolorektaler Anastomose und fand
nach einem 10-jährigen Follow-up eine 20 %-ige Rezidivrate für die Sigmagruppe im
Vergleich zu 8 % für die Rektumgruppe (p < 0,05) [574].
Thaler untersuchte 2003 den Einfluss unterschiedlicher Anastomosentechniken auf die
Rezidivrate nach unkomplizierter Sigmadivertikulitis. Dabei wiesen Patienten mit einer
kolosigmoidalen Anastomose ein 4-fach erhöhtes Rezidivrisiko auf im Vergleich zur
kolorektalen Anastomose [575]. Andere Untersucher bestätigen den Zusammenhang mit der Anastomosenlokalisation
nicht [227].
Empfehlung 7.8. (geprüft 2021)
Es soll eine spannungsfreie, gut durchblutete und dichte Anastomose hergestellt werden.
Sofern hierzu die Mobilisation der linken Flexur erforderlich ist, soll diese erfolgen.
Expertenkonsens, starke Empfehlung, Starker Konsens
Kommentar:
Die Notwendigkeit zur Mobilisation der linken Kolonflexur ist in erster Linie technischen
Erfordernissen bei der Anlage einer kolorektalen Anastomose geschuldet. Um hier den
chirurgischen Grundprinzipien der guten Durchblutung und einer spannungsfreien Nahtreihe
gerecht zu werden, kann die Mobilisation der linken Flexur notwendig werden. Hierzu
liegen keine systematischen Studien vor. Damit gibt es nach wie vor keine Evidenz
für eine Mobilisation der linken Kolonflexur en principe. Eine Untersuchung zeigt
immerhin ein inverses Ergebnis: Wird die Mobilisation der linken Flexur vermieden,
so steigt das Risiko, entzündliche Anteile des Kolon descendens bzw. Sigma im Bereich
des proximalen Absetzungsrandes zu belassen. Damit erhöht sich auch das Risiko für
ein Divertikulitisrezidiv [576]. Dies wurde in der britisch/irischen Leitlinie übernommen. Die US-amerikanische
und dänische Leitlinie geben bei unsicherer Datenlage keine explizite Empfehlung ab.
Prinzipiell zeigen die Studien vieler Autoren, dass die Mobilisation der linken Kolonflexur
sowohl laparoskopisch als auch in der offenen Technik ohne erhöhte Major-Komplikationsrate
möglich ist [577]
[578].
Empfehlung 7.9. (neu 2021)
Eine Ligatur der Arteria mesenterica inferior zentral des Abgangs der Arteria colica
sinistra sollte nicht erfolgen.
Evidenzlevel 3, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Die Evidenzlage bezüglich der Absetzung der Arteria mesenterica inferior ist nach
wie vor uneinheitlich.
Als Argumente für eine tubuläre Resektion mit Erhalt der A. rectalis superior werden
einerseits eine bessere Durchblutung der Anastomosenregion und in Konsequenz davon
eine niedrigere Anastomoseninsuffizienzrate angeführt. Außerdem hat die tubuläre Resektion
ein ebenfalls geringeres Risiko für eine Verletzung des Plexus hypogastricus und damit
ein hypothetisch besseres funktionelles Ergebnis.
Der Hauptvorteil der hohen Ligatur der A. mesenterica inferior wird vor allem die
bessere Mobilität im Bereich des Kolon descendens zugeschrieben, woraus wiederum eine
spannungsfreie Anastomose resultiert.
Problematisch in der Beurteilung der Ergebnisse ist unter anderem auch die Tatsache,
dass mehrere Verfahren miteinander verglichen werden: Komplette Ligatur der A. mesenterica
inferior, Schonung der A. rectalis superior, ausschließliche Resektion der Aa. sigmoideae.
Eine Metaanalyse verschiedener Studien aus dem Jahr 2012 hatte keinen Unterschied
zwischen einer kompletten Ligatur der A. mesenterica inferior und einer tieferen Ligatur
gesehen in Bezug zur Anastomoseninsuffizienzrate [579]. Allerdings wurde bei dieser Metaanalyse neben drei klinischen Kohortenstudien nur
eine einzige randomisierte Untersuchung eingeschlossen [580] und diese zeigte bei Erhalt der A. rectalis superior einen Vorteil bezüglich einer
klinischen Anastomoseninsuffizienzrate. Entsprechend dieser Ergebnisse wurde 2017
[581] in einer anderen retrospektiven Fallanalyse bei 267 Patienten ein signifikanter
Vorteil bei Erhalt der A. rectalis superior nachgewiesen. Die Anastomosenleckagerate
war bei erhaltener arterieller Perfusion 1,9 % verglichen mit 7 % (p = 0,053). Die
letzten publizierten Daten stammen aus dem Jahr 2018 [582]. Dabei wurde die radikale Ligatur der A. mesenterica inferior im Vergleich zur Resektion
der Äste der Aa. sigmoidea (Erhalt der A. rectalis superior) betrachtet. Die retrospektive
Analyse an 1016 Patienten fand keinerlei Unterschied zwischen beiden Gruppen, wobei
die Anastomoseninsuffizienzrate (1,2 vs 1,4 %, p = 0,794) insgesamt sehr niedrig war.
Um hier Unterschiede mit ausreichender Power nachzuweisen zu können, wäre ein Kollektiv
von 100 000 Patienten erforderlich.
Statement 7.10. (geprüft 2021)
Stapler und Handnaht sind bei technisch korrekter Durchführung der Anastomosierung
als gleichwertig anzusehen.
Evidenzlevel: 1, Starker Konsens
Kommentar:
Es liegen zahlreiche Publikationen vor [583]
[584], die keinen Unterschied hinsichtlich Mortalität, Anastomoseninsuffizienzrate, Blutungen,
Reoperationsrate, Wundinfektionen, Strikturen oder Krankenhausaufenthaltsdauer bei
Anastomosierung mittels Stapler oder Handnaht beschrieben. Dies wurde durch einen
systematischen Cochrane Review, der 2012 aktualisiert wurde, anhand von 9 randomisiert-kontrollierten
Studien belegt [584].
Empfehlung 7.11. (neu 2021)
Bei einer Anastomoseninsuffizienz nach Sigmaresektion sollte abhängig von der klinischen
Ausprägung nach einem Stufenkonzept vorgegangen werden. Im Falle einer diffusen Peritonitis
sollte eine Reoperation mit Anlage eines Stomas (protektiv oder endständig) erfolgen.
Evidenzlevel 4, Empfehlungsgrad B, Starker Konsens
Kommentar:
Randomisiert-kontrollierte Studien zum Management einer Anastomoseninsuffizienz nach
Sigmaresektion liegen nicht vor. Kommt es zur Peritonitis ergeben sich unterschiedliche
Behandlungsoptionen, die je nach klinischem Befund gewählt werden können. Hierzu gehören
das damage control Konzept (vgl. Statement 5), die Aufhebung der Anastomose und Anlage
einer Hartmann-Situation oder die Neuanlage bzw. Übernähung der Anastomose mit vorgeschaltetem
protektiven Ileo- oder Colostoma.
Kapitel 8: Qualitätsindikatoren
Kapitel 8: Qualitätsindikatoren
Qualitätsindikatoren sind Messgrößen, deren Erhebung der Beurteilung der Qualität
der zugrunde liegenden Strukturen, Prozesse bzw. Ergebnisse dient. Ziel ihres Einsatzes
ist die stetige Verbesserung der Versorgung indem die Ergebnisse der Versorgung dargestellt,
kritisch reflektiert und wenn nötig verbessert werden. Für den Ableitungsprozess konstituierte
sich eine „Arbeitsgruppe Qualitätsindikatoren“. Die umfangreiche Kommunikation und
Diskussion erfolgte über ein E-Mail Umlaufverfahren. Es wurde ein Set der Qualitätsindikatoren
erstellt, welches einvernehmlich abgestimmt wurde.
Die Diagnose einer Divertikelkrankheit soll eine Klassifikation beinhalten.
Qualitätsziel: möglichst häufig Anwendung einer Klassifikation
QI 2: (Empfehlung 4.7) – Klug entscheiden
Ultraschall oder Computertomographie (CT) sollen als diagnostische Verfahren bei V. a.
Divertikulitis eingesetzt werden.
Qualitätsziel: möglichst häufig Einsatz eines Ultraschalls oder einer Computertomographie
Patienten mit freier Perforation und Peritonitis bei akut komplizierter Divertikulitis
sollten innerhalb von 6 Stunden nach Diagnosestellung operiert werden (Notfall-Operation).
Als Standardeingriff bei der perforierten Sigmadivertikulitis mit generalisierter
Peritonitis (CDD Typ 2c1/2) sollte als Operationsverfahren die Sigmaresektion mit
primärer Kontinuitätswiederherstellung mit Anastomose und Vorschaltung eines Ileostomas
bevorzugt werden. Bei septischen und instabilen Patienten sollte eine Hartmann-Operation
durchgeführt werden.
Qualitätsziel: möglichst häufig Anwendung des adäquaten Operationsverfahrens bei perforierter
Sigmadivertikulitis
Eine akute Divertikulitis mit Microabszess (CDD Typ 2a) sollte stationär und antibiotisch
behandelt werden. Eine Indikation zur elektiven Operation nach erfolgreicher konservativer
Therapie besteht nicht.
Qualitätsziel: möglichst häufig stationäre antibiotische Therapie bei Divertikulitis
mit Mikroabszess