Neonatologie Scan 2022; 11(02): 85-86
DOI: 10.1055/a-1758-8664
Gasteditorial zur Jubiläumsausgabe

Editorial zum 10-jährigen Jubiläum

Christoph Bührer
 
    Zoom Image
    Christoph Bührer

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    die Neonatologie ist ein Handwerk, das Übung, Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert. Deshalb ist es so wichtig, den Ausbildungsstand aller dort tätigen hochzuhalten und Sorge zu tragen, dass sich ihr Können durch ihre berufliche Exposition festigt. Aber damit ist es nicht getan – wenn die Ergebnisse gut und im Laufe der Zeit immer besser sein sollen, muss unser Tun evidenzbasiert sein: Wir müssen wissen, was wir warum machen, von welchen sinnlosen oder gar gefährlichen Maßnahmen wir uns trennen müssen, welche Neuerungen wir vielleicht einführen können und welche wir auf jeden Fall einführen müssen. Deshalb ist die Neonatologie auch eine klinische Wissenschaft, eine Wissenschaft, die in Deutschland seit über fünfzig Jahren mit Lehrstühlen vertreten ist und immer komplexer wird. Sie schreitet in kleinen Schritten voran, mit Ergebnissen und Zwischenergebnissen, die sich widersprechen, mit therapeutischen Fortschritten, deren Einführung auf falschen Annahmen beruhte, mit scheinbar überzeugenden Resultaten großer Studien, die sich in der Praxis nicht umsetzen lassen, und bisweilen mit schleichend verlaufenden Änderungen, deren Sinnhaftigkeit oder Gefährlichkeit sich erst im Nachhinein im Rahmen wissenschaftlichen Arbeiten erweist.

    Selbst Profis, zu deren gesellschaftlich zugewiesenen Aufgaben es gehört, die Evidenzgrundlage unseres Faches kontinuierlich im Auge zu haben, kommen ob der Fülle der verfügbaren Informationen ständig an ihre Grenzen. Der Umfang einer Cochrane-Metaanalyse überschreitet heutzutage rasch 60–70 Seiten, und für Fragestellungen aus der Neonatologie gibt es davon hunderte. Neonatologisch relevante Artikel erscheinen nicht nur in den klassischen internationalen Pädiatrie-Journalen, sondern auch in Zeitschriften, deren Titel erst einmal nicht vermuten lässt, dass es dort um kranke Neugeborene oder Frühgeborene geht, und in Zeitschriften, die schwer zugänglich sind und wo einem oft nichts anderes übrig bleibt, als den federführenden Autor zu kontaktieren und um die Übermittlung einer elektronischen Kopie des in Frage stehenden Artikels zu bitten. Wie kann man der klinisch tätigen Neonatologin, dem klinisch tätigen Neonatologen helfen, sich trotzdem zu informieren und am Ball zu bleiben?

    Diese Frage haben sich vor über zehn Jahren Mitarbeiter des Thieme-Verlags gestellt und traten mit dem Konzept eines Print-Journals, das sich zum Ziel setzt, wichtig Arbeiten aus anderen Zeitschriften zu besprechen, an Prof. Dr. Gerhard Jorch und Priv.-Doz. Dr. Axel Hübler heran. Beide waren dem Verlag als Herausgeber des zwei Jahre zuvor veröffentlichten deutschsprachigen Lehrbuchs „Neonatologie – Die Medizin des Früh- und Reifgeborenen“ bekannt. Sie wussten, dass die beiden nicht nur erfahrene Neonatologen waren, die wissenschaftlich anspruchsvolle Themen einem breiten Fachpublikum vermitteln konnten, sondern es vor allem geschafft hatten, für das erwähnte Lehrbuch über fünfzig Experten zu Beiträgen zu motivieren. Genau ein solches Netzwerk war vonnöten, um das Konzept von „Neonatologie Scan“ umzusetzen, wie die neue Zeitschrift heißen sollte: Die Fülle neonatologischer Arbeiten zu scannen, wichtige Arbeiten auszuwählen, ihren Inhalt kompakt darzustellen und dann von zwei unabhängigen Experten besprechen zu lassen. Das Konzept ging auf, das Netzwerk hielt, ja es vergrößerte sich: Mittlerweile haben über zweihundert Experten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum mitgewirkt und die eine oder andere Arbeit besprochen. Dass jede Arbeit von zwei Experten unter die Lupe genommen wird, macht es für die Leser leichter, die Wertigkeit eines Manuskripts besser einzuschätzen. Nicht jedes gefeierte Resultat einer Studie hält beim genaueren Hinsehen stand, und es braucht oft mehr als eine Person, um in der zeitraubenden Auseinandersetzung mit den Details einer Studie ihre Brauchbarkeit zu hinterfragen.

    Der Erfolg gibt den Initiatoren Recht. Entgegen dem Trend der letzten Jahre im Bereich der Printmedien hat Neonatologie Scan im Laufe der Zeit immer mehr Leser hinzugewonnen – jetzt erscheint unter Federführung von Prof. Roland Hentschel, der Ende 2017 Prof. Gerhard Jorch abgelöst hat, und Priv.-Doz. Dr. Axel Hübler die 40. Ausgabe. Mit dieser Jubiläumsausgabe sind seit Beginn rund achtzig Weiterbildungsbeiträge (mit jeweils 3 CME-Punkten), etwa 300 Diskussionsbeiträge und rund 2000 Studienzusammenfassungen in Neonatologie Scan erschienen. Man darf dem Verlag und den Herausgebern also gratulieren und hoffen, dass Neonatologie Scan weiterhin so viele Leser, aber auch so viele Mitarbeiter hat!

    Prof. Dr. med. Christoph Bührer
    Präsident der GNPI und Direktor der Klinik für Neonatologie,
    Charité – Universitätsmedizin Berlin


    #

    No conflict of interest has been declared by the author(s).


    Korrespondenzadresse

    Prof. Dr. med. Christoph Bührer
    Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin

    Publication History

    Article published online:
    28 April 2022

    © 2022. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


    Zoom Image
    Christoph Bührer