Zeitschrift für Phytotherapie 2022; 43(02): 83-84
DOI: 10.1055/a-1764-6993
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Dr. med. vet. Samuel N. Okpanyi – ein Pionier der Phytopharmakologie

Seine Präsenz gehörte viele Jahre zu den Konstanten der Kongresse und Symposien der GPT, und seine sonore Stimme dürfte vielen in Erinnerung sein: Dr. Samuel Nwachukwu Okpanyi, einer der Protagonisten der rationalen Phytotherapie in Deutschland und Ehrenmitglied der GPT, ist am 23.02.2021 in Wiesbaden verstorben. Er hinterlässt seine Ehefrau Barbara sowie zwei Töchter.

Es war sicherlich nicht vorgezeichnet, dass Samuel Okpanyi ([Abb. 1]) einmal ein Pionier der Phytopharmakologie in Deutschland werden würde. Geboren wurde er am 23.09.1941 als Sohn einer Bauernfamilie in Udi, im christlich geprägten Südosten Nigerias. Dort schon begründet sich seine Affinität zu pflanzlichen Heilmitteln, denn wie er eindrucksvoll zu schildern vermochte, zeigte seine Mutter ihm beispielsweise schon früh, wie bei einheimischen Heilpflanzen eine gleichbleibende Qualität des daraus gewonnenen Heilmittels erzielt werden kann, indem man die Blätter mehrerer Pflanzen sowie alte und junge Blätter systematisch auswählt.

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Abb. 1 Dr. Samuel N. Okpanyi. Quelle: Sascha Domke/arto-graphie.de

Seine Primarschulausbildung erhielt Samuel Okpanyi 1947 bis 1955 an der Central School in Onitsha, einer etwa 100 km entfernt am Niger gelegenen Stadt. Durch seine ausgezeichneten Leistungen qualifizierte er sich für die Dennis Memorial Grammar School, eine Eliteschule ebenfalls in Onitsha, aus der zahlreiche Angehörige der späteren Bildungselite Nigerias hervorgingen. Dieses Internatsgymnasium vermittelte Bildung nach britischen Standards, wozu auch höchste Ansprüche an Disziplin und Pflichtbewusstsein gehörten. Diese exzellente Schulbildung war die Basis dafür, dass Samuel Okpanyi als English Native Speaker gelten konnte und in jeder Lebenslage Shakespeare zu zitieren wusste. 1961 bis 1962 schloss er dort die Higher School ab, mit dem britischen A-Level und dem Cambridge Higher School Certificate, bevor er dann 1963 bis 1964 am Metropolitan College in Onitsha eine Ausbildung zum Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie absolvierte.

Seine herausragenden Leistungen brachten Samuel Okpanyi Stipendien in unterschiedlichen Ländern ein. Er entschied sich schließlich für ein Studium der Veterinärmedizin in Gießen. Für dieses verließ er Nigeria im Jahr 1964 und zog nach Hessen, wo er zunächst für drei Monate am damaligen Goethe-Institut in Bad Arolsen/Waldeck Deutsch lernte. Die Studienzeit war für ihn eine schöne, wenn auch herausfordernde Zeit, da er, während in seiner Heimat der Biafra-Krieg ausbrach, seinen Lebensunterhalt durch Nachtwachen an der von dem bekannten Neurologen Prof. Friedrich Erbslöh geleiteten neurologischen Universitätsklinik bestritt. Im Jahr 1969 schloss er das Studium mit dem Staatsexamen ab und beendete im selben Jahr ebenfalls seine Promotion zum Dr. med. vet. Als wissenschaftlicher Assistent war er anschließend bei Prof. Hans-Georg Blobel am Institut für Bakteriologie und Immunologie in Gießen tätig.

1971 trat Samuel Okpanyi seine Tätigkeit bei der Firma Steigerwald Arzneimittelwerk GmbH in Darmstadt an, um dort die Abteilung Pharmakologie und Toxikologie sowie ein pharmakologisches und toxikologisches Labor aufzubauen. Um sich in das Arbeitsgebiet einzuarbeiten, entsandte ihn der damalige Geschäftsführer des Unternehmens, Guido Schäfer, zu Forschungsaufenthalten zu Prof. Dr. Fritz Hubertus Kemper, damals Leiter des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Münster und später einer der Gestalter des regulatorischen Rahmens der Phytotherapie in Europa und langjähriger Präsident und Ehrenpräsident der Gesellschaft für Phytotherapie. Aus dieser Zeit rührte auch seine lebenslange Freundschaft mit dem Pharmakologen Prof. Mohamed T. Khayyal aus Kairo, Präsident der Ägyptischen Gesellschaft für Pharmakologie und Ehrenmitglied der GPT, mit der Humanpharmakologin Prof. Hildegard Sourgens, München, sowie mit der zu früh verstorbenen Pharmakologin Prof. Hilke Winterhoff, ebenfalls am Institut für Pharmakologie und Toxikologie in Münster tätig und später Vorstandsmitglied der GPT, Mitglied der Kommission E und Leiterin der AG Wissenschaft der Kooperation Phytopharmaka.

Zusätzlich zu seiner Tätigkeit bei Steigerwald war Samuel Okpanyi damals auch in einer tierärztlichen Praxis tätig und auf den Bauernhöfen im hessischen Ried als Tierarzt unterwegs.

Da sich der Aufbau des Labors verzögerte, folgte er 1975 dem Ruf als Hochschullehrer an das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Ibadan, der ältesten, 1948 als College der University of London gegründeten Universität Nigerias. Durch regelmäßige Besuche zusammen mit seiner Frau Barbara, die er während seines Studiums in Gießen im Jahr 1965 kennengelernt hatte und 1975 heiratete, hielt er jedoch stets den Kontakt nach Darmstadt. Und als 1980 die Voraussetzungen für die Schaffung des pharmakologischen und toxikologischen Labors bei Steigerwald geklärt waren, zog er zurück nach Deutschland und übernahm als Leiter der Abteilung Pharmakologie und Toxikologie den Aufbau und die Leitung dieses Labors. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre waren hier vier Laborantinnen, zwei Tierpfleger und ein halbes Dutzend Doktoranden tätig.

Samuel Okpanyis Arbeits- und Forschungsschwerpunkte waren vielfältig. Zu diesen gehörten, in Zusammenarbeit mit Prof. H.P.T. Ammon, dem langjährigen Leiter des Institutes für Pharmakologie an der Universität Tübingen, auch In-vivo-Studien zur glatten Muskulatur des Darms an isolierten Ileumpräparaten. Sie dienten der Aufklärung, welchen Beitrag die pflanzlichen Extrakte, die in dem damals noch nicht allzu bekannten Kombinationspräparat des Unternehmens zur Behandlung des Reizmagen- und Reizdarmsyndroms, Iberogast, enthalten sind, zu dessen Wirkung leisten. Aus diesen Arbeiten ging Anfang der 90er-Jahre auch das sechs statt neun Extrakte enthaltende Präparat Iberogast Advance hervor, das auf eine längerfristige Behandlung dieser Syndrome optimiert ist. Auch für die Optimierung der standardisierten Herstellung von Extrakten, beispielsweise des in Iberogast enthaltenen Iberis-Extraktes, leistete Samuel Okpanyi mit seinen pharmakologischen Untersuchungen wichtige Beiträge. Ein weiterer seiner Forschungsschwerpunkte waren pflanzliche Arzneimittel zur Behandlung von schmerzhaften Gelenkerkrankungen, zu denen insbesondere Phytodolor zählt, dessen heutige, durch zahlreiche pharmakologische Studien bestätigte Zusammensetzung ebenfalls auf ihn zurückgeht.

Erinnert werden soll darüber hinaus an die ersten pharmakologischen In-vivo-Studien zur antidepressiven und anxiolytischen Wirkung von Johanniskraut, die er in Zusammenarbeit mit Prof. H. Winterhoff und M.L. Weischer auf den Weg brachte, sowie an Studien zu einer ganzen Reihe von weiteren pflanzlichen Arzneimitteln und Arzneipflanzen, darunter Baldrian. Samuel Okpanyis Expertise sind auch toxikologische Studienprogramme zu verdanken, so ein ICH-konformes präklinisches Zulassungsdossier zu Iberogast und insbesondere wegweisende Untersuchungen mit gentoxikologischem Schwerpunkt in Zusammenarbeit mit Prof. Herbert Miltenburger, TU Darmstadt.

Forschungsergebnisse auf Tagungen und Kongressen der Fachgesellschaften, allen voran denen der GPT, dem Fachpublikum vorzustellen, war Samuel Okpanyi stets ein großes Anliegen – auch, da ihm dies die Gelegenheit bot, sein wissenschaftliches Netzwerk stetig auszubauen. So ging sein enger Kontakt zu Prof. Heinz Schilcher und seiner Frau Barbara, Autoren des bekannten Leitfadens Phytotherapie, auf einen der internationalen WOCMAP-Kongresse zurück.

Zu den vielfältigen Aktivitäten von Samuel Okpanyi im Interesse der Phytotherapie gehörte ebenfalls seine langjährige Mitgliedschaft im Ausschuss Phytopharmaka des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller, BAH, dem er bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben im Jahre 2006 angehörte, und in dessen Rahmen er u. a. wichtige experimentelle Beiträge zur Aufklärung der Toxikologie der Aristolochiasäure leistete.

Als langjähriger Stufenplanbeauftragter, und in späteren Jahren auch als Qualitätssicherungsbeauftragter, prägte Samuel Okpanyi in der Firma Steigerwald wichtige Arbeitsbereiche. Durch diese Tätigkeiten, wie auch durch die Mitwirkung an der wissenschaftlichen Schulung vieler Generationen von Außendienstmitarbeitern, hat er einen wesentlichen Anteil an der wissenschaftlich geprägten Ausrichtung des Unternehmens. Damit trug er auch dazu bei, die Grundlage für die heutige Rolle des Unternehmens als Phytomedicines Supply and Development Center von Bayer Consumer Health, nach der Übernahme von Steigerwald durch Bayer im Jahr 2013, zu legen. Durch seinen unbedingten Einsatz für die Wissenschaft und seine hohe Integrität machte er es sich selbst nicht immer einfach und scheute dabei auch Konflikte nicht; eine seiner großen Stärken war es jedoch, auf andere zugehen zu können und sie für seine Überzeugungen zu gewinnen.

Auch nach dem Eintritt in den Ruhestand war Samuel Okpanyi weiterhin als Experte auf dem Gebiet der Phytotherapie im Einsatz. So setzte er sich auch für die Rehabilitierung von Kava-Kava ein, nachdem dieses 2002 vom BfArM aus dem Verkehr gezogen worden war, und vertrat sein Unternehmen als Delegierter bei den Gesellschafterversammlungen der Kooperation Phytopharmaka.

Auch weiterhin gehörte er unverzichtbar zum Bild der Kongresse der GPT, die ihm 2018 für seinen lebenslangen Einsatz für die Phytotherapie die Ehrenmitgliedschaft verlieh ([Abb. 2]). Bis zuletzt verfolgte er die Entwicklungen in der GPT wie auch im Unternehmen mit großem Interesse, auch wenn sein Bewegungsradius durch die aus einer chronischen Nierenerkrankung resultierende Dialysepflicht zunehmend eingeschränkt war, was zuletzt noch durch die Corona-Pandemie verschärft wurde.

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Abb. 2 Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der GPT am 17. Oktober 2018. Quelle: Olaf Kelber

Samuel Okpanyi hat sich viele Jahre mit sehr großem Engagement und Leidenschaft für die Phytotherapie eingesetzt. Er war für viele Mitglieder der GPT ein guter Freund und kritischer Gesprächspartner, der seinem Gegenüber stets Wertschätzung und Respekt entgegenbrachte. Seine positive Lebenseinstellung, seine Kollegialität und sein leidenschaftlicher Einsatz für eine wissenschaftliche Phytotherapie werden unvergessen bleiben.

Dr. Olaf Kelber, Mainz



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Article published online:
26 April 2022

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