Phlebologie 2022; 51(03): 132-136
DOI: 10.1055/a-1808-2395
Kasuistik

Beinvenenthrombose und Lungenembolie nach Varizensklerosierung

Leg Vein Thrombosis and Pulmonary Embolism after Varicose Sclerotherapy
Peter Elsner
1   Dermatologie, Allergologie, Dermatohistologie, SRH Wald-Klinikum Gera, Gera, Deutschland
,
Jochen Meyer
2   Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, Hannover, Hannover, Deutschland
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

Bei einer Patientin erfolgte unter der klinischen Diagnose „Venektasien Oberschenkel- und Unterschenkelbereich“ eine Schaumsklerosierungsbehandlung mittels Äthoxysklerolschaum. 5 Tage später stellte sich die Patientin mit starken Schmerzen im Wadenbereich und starker Behinderung beim Auftreten wieder vor, wobei nach klinischer Befunderhebung mit diskretem Rötungsnachweis der Verdacht auf eine Thrombophlebitis geäußert wurde. Die Behandlung erfolgte mit Ibuprofen. Ein Termin zu einer duplexsonografischen Untersuchung 11 Tage später wurde vereinbart, von der Patientin allerdings erst nach 16 Tagen wahrgenommen, wobei eine Phlebografie erfolgte, die eine tiefe Venenthrombose zeigte. Eine folgende stationäre Behandlung ergab zusätzlich eine Lungenarterienembolie.

Die Patientin bemängelte ihre Behandlung in der Hautarztpraxis. Durch eine fehlerhafte Verödungsbehandlung bzw. Nachkontrolle sei eine tiefe Thrombose mit nachfolgender Lungenembolie nicht erkannt worden und durch Verkennung offenkundiger Symptome eine Falschbehandlung erfolgt.

Von einem hinzugezogenen dermatologischen Gutachter und der Schlichtungsstelle wurde ein Behandlungsfehler bestätigt. Die Verödungstherapie stellte zwar eine anerkannte Behandlungsmethode der Varikosis nach Facharztstandard dar. Eine tiefe Venenthrombose nach Sklerosierungstherapie ist zwar sehr selten, jedoch wären nach Wiedervorstellung der Patientin wegen erheblicher Beschwerden weiterführende diagnostische Maßnahmen, insbesondere eine duplexsonografische Abklärung, ohne wesentliche Zeitverzögerung indiziert gewesen. Es handelte sich um einen Befunderhebungsmangel, der im konkreten Fall zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden führte.

Nach endovenösen Eingriffen bei Varikosis sind tiefe Venenthrombosen mit dem Risiko einer Lungenembolie seltene, aber typische Komplikationen. Bei nach einer Schaumsklerosierung auftretenden Extremitätenschmerzen sollte eine tiefe Venenthrombose differenzialdiagnostisch erwogen und unverzüglich durch eine Duplexsonografie und Bestimmung der D-Dimere bestätigt oder ausgeschlossen und ggf. leitliniengerecht therapiert werden. Die Verzögerung eines indizierten Thromboseausschlusses kann als schuldhafter Befunderhebungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr gewertet werden.


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ABSTRACT

A female patient underwent foam sclerotherapy with ethoxysclerol under the clinical diagnosis of varicosis. 5 days later, the patient presented again with severe pain in the calf area and severe walking problems, and based on minor clinical findings with discrete evidence of redness a clinical diagnosis of thrombophlebitis was made and treated with ibuprofen. An appointment for a duplex sonographic examination was made 11 days later, but the patient did not attend until 16 days later. A phlebography was performed to exclude thrombosis, which showed deep vein thrombosis. Subsequent inpatient treatment additionally revealed pulmonary artery embolism.

The patient claimed mistreatment by the dermatologist. Due to an incorrect sclerotherapy treatment or follow-up check, a deep thrombosis with subsequent pulmonary embolism had not been recognised, and an incorrect treatment had been carried out by misjudging obvious symptoms.

A dermatological expert and the Independent Medical Expert Council (IMEC) confirmed a treatment error. While the sclerotherapy was an accepted treatment method for varicosis according to specialist standards, and although deep vein thrombosis after sclerotherapy is a very rare complication, further diagnostic measures, in particular a duplex sonographic examination, would have been indicated without significant delay after the patient presented again due to considerable complaints. This was a deficiency in performing required medical examinations, which in the specific case led to a reversal of the burden of proof with regard to the causation of the treatment error for the damage that occurred.

Deep vein thrombosis with the risk of pulmonary embolism is a rare, but typical complication after endovenous procedures for varicosis. If limb pain develops after foam sclerotherapy, deep vein thrombosis should be considered as a differential diagnosis and immediately confirmed or ruled out by duplex sonography and determination of D-dimers and, if necessary, treated according to guidelines. The delay of an indicated exclusion of thrombosis can be regarded as a culpable error in the performing of required medical examinations with the possible consequence of a reversal of the burden of proof.


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Klinischer Fall

Aus den von der Schlichtungsstelle herangezogenen Krankenunterlagen, auch der vor- und nachbehandelnden Ärzte, ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:

Die Patientin stellte sich in einer Hautarztpraxis vor, wobei nach ärztlicher Dokumentation die klinische Diagnose „Venektasien Oberschenkel- und Unterschenkelbereich“ gestellt und eine Sklerosierungsbehandlung bzw. Lasertherapie besprochen wurde. Mit zeitlichem Abstand erfolgte eine Verödung laut Dokumentation im Oberschenkel- und Kniebereich der oberflächigen Venen mittels 0,5%-Äthoxysklerolschaum 1:4 verdünnt. Zusätzlich wurde eine Lasertherapie durchgeführt. Angaben zu einer Sklerosierungstherapie im Unterschenkelbereich waren laut Patientenkartei nicht zu erheben. Nach Bericht aus der Hautarztpraxis sei direkt nach der Verödung ein exzentrischer Kompressionsverband am Unterschenkel mit aufgeklebten Kugeltupfern und Kurzzugbinden angelegt worden. Nachfolgend wurde das Tragen von Kompressionsstrümpfen empfohlen. Eine Wiedervorstellung sei bei Beschwerden angeboten worden. 5 Tage später erfolgte nach Anruf der Patientin mit den aktenkundigen anamnestischen Angaben starker Schmerzen im Wadenbereich und starker Behinderung beim Auftreten am gleichen Tag eine ärztliche Vorstellung, wobei nach klinischer Befunderhebung mit diskretem Rötungsnachweis der Verdacht auf eine Thrombophlebitis rechts geäußert wurde. Die Behandlung erfolgte mit Ibuprofen 600. 11 Tage danach war ein erneuter Termin zur Laserbehandlung und Doppleruntersuchung laut Kartei aufgeführt, der patientenseits nicht wahrgenommen wurde. Die Vorstellung der Patientin erfolgte stattdessen 16 Tage später, wobei in der Akte „unklare Unterschenkelbeschwerden, Ausschluss Thrombose, Phlebografie“ dokumentiert wurde und die Überweisung zum Radiologen erfolgte. Nach phlebografischem Nachweis einer tiefen Venenthrombose aller 3 Unterschenkelvenen in Gruppen sowie der Vena poplitea links erfolgte eine stationäre Behandlung in einer Medizinischen Klinik unter den gesicherten Diagnosen Lungenarterienembolie, tiefe Venenthrombose links nach Besenreiserverödung linkes Bein. Die langzeitige intensive Nachbehandlung wurde durch den Hausarzt sowie eine Ambulanz für Angiologie durchgeführt. Der letzte vorliegende Dopplerbefund stellte sich thrombenfrei bei kräftiger Restseptumbildung der gesamten Vena poplitea links dar, rechts thrombenfrei.


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Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Die Patientin bemängelte ihre Behandlung in der Hautarztpraxis. Durch eine fehlerhafte Verödungsbehandlung bzw. Nachkontrolle sei eine tiefe Thrombose mit nachfolgender Lungenembolie nicht erkannt worden und durch Verkennung offenkundiger Symptome eine Falschbehandlung erfolgt, sodass eine langzeitige Nachbehandlung erforderlich wurde, die zu weiteren Beschwerden, u. a. eingeschränkter Lungenfunktion, geführt habe.


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Stellungnahme des behandelnden Dermatologen

Der Dermatologe stellte Behandlungsfehler in Abrede. Bei der ersten Kontrolluntersuchung hätte sich klinisch die Diagnose einer Thrombophlebitis ergeben. Die Ultraschalldiagnostik sei 11 Tage später vorgesehen gewesen, die Patientin sei jedoch erst 16 Tage später erschienen, wobei aufgrund der Befunde der Verdacht auf eine Thrombose vorgelegen habe und die sofortige weiterführende Diagnostik eingeleitet wurde. Die Vorstellung der Patientin sei zu jeder Zeit bei Beschwerdezunahme möglich gewesen, sodass die patientenverschuldete Zeitverzögerung bis zur Vorstellung als wesentlicher Faktor der Schwere der Erkrankung darzustellen sei.


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Dermatologische Begutachtung

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter führte aus, dass anhand der vorliegenden Patientenakte der Hautarztpraxis eine sichere Bewertung der Wahl des Therapieverfahrens der Schaumsklerosierung oberflächlicher Venektasien nicht möglich sei. Einträge zur vorbestehenden Anamnese, klinischer Untersuchung, diagnostischen Maßnahmen wie Doppler- und/oder Duplexsonografie, wie in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie empfohlen, seien nicht vorhanden. Somit sei nach Aktenlage eine standardgerechte Behandlung am ersten Behandlungstag nicht beweisbar. Es sei ferner nicht sicher nachweisbar, welches Bein einer Schaumsklerosierungsbehandlung unterzogen worden sei. Ein sicheres Datum für eine Kontrolluntersuchung nach Therapie sei nicht aktenkundig. Die erste Wiedervorstellung der Patientin sei aufgrund von Schmerzen erfolgt, wobei ohne Duplexdiagnostik der klinische Verdacht auf eine Thrombophlebitis geäußert und eine Schmerztherapie mit Ibuprofen eingeleitet worden sei. Nach der Sklerosierungstherapie sei in der Patientenakte kein Eintrag zu einer Nachbehandlung enthalten. Im ärztlichen Bericht sei die Anlage eines exzentrischen Kompressionsverbandes am Unterschenkel aufgeführt. Bei einer Behandlung im Ober- und Unterschenkelbereich sei nach Fachempfehlung eine Kompression des Gesamtbeines angeraten. Auch bei sorgfältiger Sklerosierungstherapie sei das Auftreten einer Thrombose als Risiko nicht mit absoluter Sicherheit zu vermeiden, jedoch wäre bei sorgfältiger Anamnese und sonografischer Untersuchung vor der Sklerosierungstherapie eine bessere individuelle Risikobewertung möglich gewesen. Rötungen an der Injektionsstelle für 1–2 Tage bzw. Entzündung und geringe Schwellung bis 10 Tage nach Sklerosierung seien als therapiebedingte Nebenwirkungen einzuordnen. Auf die patientenseits erfolgte Vorstellung mit starken Schmerzen hin hätte eine sonografische Untersuchung die klinisch diagnostizierte Thrombophlebitis im Ausmaß dokumentieren lassen und es wäre eine Mitbeteiligung von Perforansvenen, welche zu einer Aszension des Thrombus in die tiefen Venen führen könne, zu identifizieren gewesen. Sowohl die zu diesem Zeitpunkt nach Facharztstandard empfohlene Kompressionstherapie bzw. eine bei starkem Ausmaß in Erwägung zu ziehende Antikoagulation seien laut ärztlicher Dokumentation nicht erfolgt. Durch eine rechtzeitige adäquate Diagnostik und Therapie hätte das Ausmaß der thrombembolischen Komplikationen mit Ausbildung einer Lungenarterienembolie mit hoher Wahrscheinlichkeit günstig beeinflusst werden können; es sei aber nicht mit Sicherheit zu verhindern gewesen. Der Verlauf der Erkrankung mit dem eingetretenen Ausmaß der Thrombembolie bei verspätet eingeleiteter Diagnostik und Therapie sei jedoch als Fehler ärztlichen Handelns zu bewerten. Eine frühzeitige leitliniengerechte Behandlung hätte das Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit günstig beeinflussen können.


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Stellungnahme der Patientin zum Gutachten

Patientenseits wurde die Auffassung vertreten, dass das Risiko für den eingetretenen Schaden bei ordnungsgemäßer, entsprechend der Leitlinien vorgesehener Behandlung auf nahezu Null zu minimieren gewesen wäre.


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Stellungnahme des behandelnden Hautarztes zum Gutachten

Der Hautarzt wandte ein, dass die Sklerosierung standardgerecht durchgeführt worden sei. Entgegen der Darstellung im Gutachten sei dokumentiert worden, welches Bein und welches Mittel in welcher Menge verwendet worden sei. Die Kompressionsbehandlung und die Mobilisation seien standardmäßig durchgeführt worden. Die klinische Untersuchung hätte keinen Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose ergeben. Die Kompression mittels Kompressionsstrumpf Klasse 2 sei fortgeführt worden. Der Termin zur Duplexuntersuchung nach 11 Tagen sei patientenseits nicht wahrgenommen worden, sodass die verspätete Patientenvorstellung den ungünstigen Krankheitsverlauf wesentlich mitbedingt habe. Darauf sei im Gutachten nicht eingegangen worden.


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Beurteilung durch die Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachter im Ergebnis an.

Die vorliegende Patientenkartei genügte nicht den Dokumentationsansprüchen, u. a. wegen differierender Angaben zur Behandlungslokalisation (ärztliche Dokumentation rechtes Bein, Patientenangabe und Angabe weiterbehandelnde Ärzte linkes Bein). Die Verödungstherapie mittels 0,5%igem 1:4-Schaum stellte eine anerkannte Sklerosierungsmethode nach Facharztstandard dar. Laut Dokumentation erfolgte diese im Knie-Oberschenkel-Bereich. Die in den Arztberichten dargestellte Sklerosierung im Bereich Unterschenkel war nicht ausreichend dokumentiert. Ebenso war erst durch ärztliche Nachberichte der Hautarztpraxis der Hinweis für die erforderliche Nachbehandlung mittels Kompressionstherapie ohne sicheren Nachvollzug einer korrekten Durchführung bzw. Patientenanleitung zu erheben.

Die zur Bewertung anstehende Frage des Auftretens einer tiefen Venenthrombose des Unterschenkels links sowie Lungenarterienembolie war unter der Gesamtführung der Patientin durch die Hautarztpraxis einzuordnen. Die Entstehung einer tiefen Venenthrombose stellt bei einer Sklerosierungstherapie bei oberflächlichen Venektasien ein sehr seltenes Risikogeschehen dar. Bei laut ärztlicher Dokumentation der durch die Patientin geschilderten deutlichen Beschwerdesymptomatik nach der Sklerosierung und dem erhobenen diskreten klinischen Befund wären weiterführende diagnostische Maßnahmen ohne wesentliche Zeitverzögerung indiziert gewesen, u. a. zum Ausschluss einer Mitbeteiligung der Perforansvenen zum Ausmaß der klinisch gestellten Diagnose einer Thrombophlebitis. Die Terminvergabe für eine Doppleruntersuchung erst 11 Tage später war als fehlerhaft einzuordnen. Die medikamentöse Therapieeinleitung mittels Ibuprofen entsprach nicht den Fachempfehlungen. Der von der Patientin trotz zunehmender Beschwerden verspätet wahrgenommene Vorstellungstermin war nicht als hauptverursachend für die Schwere der Folgezustände der durchgeführten Sklerosierungstherapie einzuordnen.

Im vorliegenden Fall waren Mängel in der Befunderhebung festzustellen. Es stellte sich daher die Frage, inwieweit Veränderungen in der Beweislastverteilung zwischen den Parteien daraus resultieren können.

Eine fehlerhafte Unterlassung der medizinisch gebotenen Befunderhebung führt dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden, wenn sich bei der gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und wenn sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde [1]. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt: Die sonografische Untersuchung hätte frühzeitig die Thrombose zur Darstellung bringen lassen. Dann nicht umgehend weitere therapeutische Maßnahmen zu ergreifen, hätte in Anbetracht des weiteren Verlaufs einen schweren Behandlungsfehler dargestellt.

Vor dem Hintergrund der Beweislastumkehr reicht es für den Kausalitätsnachweis aus, dass die zu unterstellende fundamentale Verkennung des zu erwartenden Befundes oder die Nichtreaktion darauf generell geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen.


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Gesundheitsschaden

Die Beweislastumkehr bezog sich auf folgende Primär- und typischerweise damit verbundene sekundäre Gesundheitsschäden: das Ausmaß der Thrombembolie mit Auftreten einer Lungenarterienembolie mit anschließendem Krankenhausaufenthalt, Heparinisierung, 3-wöchige Reha-Behandlung und Beeinträchtigung der Lungenfunktion.

Das Auftreten einer Thrombophlebitis nach einer Sklerosierungsbehandlung war nicht als Behandlungsfehler anzulasten, da eine Thrombophlebitis auch bei fehlerfreiem Sklerosieren auftreten kann. Anhaltspunkte für fehlerhaftes Handeln bestanden diesbezüglich nicht ersichtlich.

Die Schlichtungsstelle hielt daher Schadensersatzansprüche im dargestellten Rahmen für begründet und empfahl, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.


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Medizinische und rechtliche Interpretation

Die Varikosis der unteren Extremität ist eine häufige Erkrankung, die zu einer erheblichen dermatologischen Morbidität führt. Nach den Daten der zwischen 2000 und 2002 durchgeführten Bonner Venenstudie an über 3000 Probanden lag bei 14,3% der untersuchten erwachsenen Bevölkerung eine Varikose vor, bei 13,4% bestand ein prätibiales Ödem, bei 2,9% Hautveränderungen und bei 0,7% entweder ein aktives oder ein abgeheiltes venöses Ulkus [2]. Die Varikose erfordert eine differenzierte diagnostische Abklärung insbesondere zur Abgrenzung der primären und der sekundären Varikose oder syndromaler Erkrankungen, die nach heutigem Stand apparativ primär mit der Duplex-Sonografie durchgeführt werden sollte und ggf. durch weitere Verfahren ergänzt werden kann [3].

Bei der Behandlung der Varikosis ist eine konservative Therapie mit externer Kompression durch Kompressionsverbände, Kompressionsstrümpfe oder eine intermittierende apparative Kompression möglich [4], die allerdings häufig auf praktische Grenzen der Durchführung durch die Patienten stößt. Für eine invasive Therapie stehen heute zahlreiche Verfahren zur Verfügung, neben der klassischen operativen Therapie (Stripping mit Krossektomie) insbesondere die Verfahren der endovenösen Therapie mit Radiofrequenzobliteration, endovenöser Lasertherapie (ELVT) und Heißdampftherapie [3]. Zu den nichtthermischen Verfahren gehören die Sklerosierungstherapie, die mechanochemische Ablation und das Verklebungsverfahren mit Cyanoacrylat [3]. Bei der Sklerosierung werden pathologisch veränderte Venensegmente mittels der gezielten Injektion von Agenzien, die Endothelzellen irritieren oder zerstören, behandelt. In der Folge kommt es durch die induzierte Inflammation zu einer Verklebung der irritierten Venenwände.

Für die Sklerosierungsbehandlung existiert eine regelmäßig aktualisierte interdisziplinäre S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie [5]. Danach kann die Sklerosierungsbehandlung für alle Formen der Varikose verwendet werden [5]; absolute Kontraindikationen sind Allergien auf das Sklerosierungsmittel, die akute venöse Thromboembolie, lokale Infektionen im Bereich der Sklerosierung oder schwere generalisierte Infektion und für die Schaumsklerosierung zusätzlich ein bekannter symptomatischer Rechtslinks-Shunt. Keine dieser Bedingungen lag bei der behandelten Patientin vor, und auch ein hohes Thromboembolierisiko als relative Kontraindikation war nicht bekannt, sodass die Indikation zur Sklerosierungstherapie, wie auch von der Schlichtungsstelle bestätigt, gegeben war. Bez. der schwerwiegenden Komplikationen der Schaumsklerosierung nennt die Leitlinie die distale tiefe Venenthrombose als gelegentlich und die proximale tiefe Venenthrombose als in Einzelfällen vorkommend. Schwere thromboembolische Ereignisse (proximale TVT, Lungenembolie) treten nach einer Sklerosierungsbehandlung nur sehr selten auf [5]. Entsprechend der Leitlinie werden die meisten Fälle während der routinemäßigen Nachuntersuchung mittels Duplexultraschall aufgedeckt und sind asymptomatisch [5]. Bei der Nachbehandlung der Sklerotherapie soll gemäß der Leitlinie „sorgfältig auf alle Anzeichen von unerwünschten Reaktionen geachtet werden“ [5], wobei die Leitlinie keine detaillierten Nachbehandlungs-Intervalle vorschreibt.

Der wesentliche Behandlungsfehler im vorliegenden Fall, der zur Anerkennung der Haftungsvoraussetzungen durch die Schlichtungsstelle führte, war die verzögerte Reaktion auf die Wiedervorstellung der Patientin mit starken Schmerzen im Wadenbereich, die zu einer sofortigen, nicht verzögerten duplexsonografischen Abklärung hätten führen müssen, deren Unterbleiben als schuldhafter Befunderhebungsfehler mit folgender Beweislastumkehr zu werten war.

TAKE HOME MESSAGE

Nach endovenösen Eingriffen bei Varikosis sind tiefe Venenthrombosen mit dem Risiko einer Lungenembolie zwar seltene, aber typische Komplikationen. Bei nach einer Schaumsklerosierung auftretenden Extremitätenschmerzen sollte eine tiefe Venenthrombose differenzialdiagnostisch erwogen und unverzüglich durch eine Duplexsonografie und Bestimmung der D-Dimere bestätigt oder ausgeschlossen und ggf. leitliniengerecht therapiert werden. Die Verzögerung eines indizierten Thromboseausschlusses kann als schuldhafter Befunderhebungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr gewertet werden.


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Zitierweise für diesen Artikel

Akt Dermatol 2021; 47: 367–371. doi: 10.1055/a-1347-6770


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Peter Elsner
SRH Wald-Klinikum Gera, Dermatologie, Allergologie, Dermatohistologie
Straße des Friedens 122
07548 Gera
Deutschland   

Publication History

Article published online:
14 June 2022

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