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DOI: 10.1055/a-1812-9208
Der Webstuhl – mein „Schaaatz“ – Gastkolumne
Es herrscht das veraltete Bildungssystem und die daraus erwachsenen Konsequenzen. Vier Gefährt*innen machen sich auf, weil sie an etwas glauben. Sie wissen, dass es eine gute Sache in dieser Welt gibt und dass es sich lohnt, dafür zukämpfen: der Webstuhl im Keller einer Berufsfachschule für Ergotherapie.
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Die Gefährt*innen begeben sich auf den langen Weg nach Mordor, die Handwerksräume einer Berufsfachschule für Ergotherapie. Wie es sich für viele deutsche Berufsfachschulen gehört, sind diese Räume groß und voller Schätze. Ganze Schatzkammern. Gollum Gollum, mein Schaaatz.
Die tapferen Gefährt*innen bahnen sich den Weg durch die verborgenen Höhlen der Handwerksberge. Dann plötzlich erscheint ER, in der hintersten Ecke und seit vielen Jahren nicht aktiv genutzt, niemand der Gefährt*innen wusste um SEINE Anwesenheit: DER WEBSTUHL. In seiner glanzvollen Erscheinung, aus bestem Holz geschnitzt, taucht er vor ihnen auf, und ehrfürchtig knien sie vor ihm nieder, ein Lichtstrahl durchflutet den Raum, ein schier unbändiges Elixier von Produktivität und Lebenskraft. Wie viele Menschen durch dieses Therapiemedium in ihrer Lebensqualität gestärkt, wie viele gar geheilt wurden, mögen sie gar nicht ermessen.
Nach mehreren Minuten erwachen sie aus ihrer ehrfürchtigen Erstarrung und besinnen sich ihrer eigentlichen Intention, dem steinigen Weg nach Mordor, der Säuberung der genannten kreativen Lehrstätte im Jahre 2022. Spinnen hauchen ihnen zischend entgegen, dass sie hier nichts zu suchen hätten: „Ihr kommt hier nicht vorbei!“
In diesem Moment passiert es: Das Heiligtum, immerhin schon etwas in die Jahre gekommen, knirscht und knarzt, beugt sich nach links und rechts, bäumt sich ein letztes Mal auf und bricht über Galadriel, der mutigsten Gefährtin, zusammen. Spinnen und hinweggeraffte Mäuse fliegen in alle Richtungen, die Kolleg*innen können nur fassungslos zuschauen. Ein letztes gehauchtes „Flieht, ihr Narren!“ vernehmen sie noch, bevor eine riesige Staubwolke den Raum verdunkelt und eine klare Sicht verhindert. Es braucht einige Zeit, bis die Gefährtin geborgen wird – ungefähr so lang, wie ein Webstuhl eingerichtet werden muss.
Nach dieser Geschichte frage ich mich: Hätte dieser Unfall durch eine Aktualisierung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, die schon lange überfällig ist, verhindert werden können? Und: Was bedarf es an präventiven Maßnahmen, bis endlich einer Novellierung der gesetzlichen Grundlagen zugestimmt wird? Liebe Kollegen und Kolleginnen, passen Sie auf sich auf, Sie befinden sich in höchster Lebensgefahr! Aber um es mit Galadriels Worten zu sagen: „Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern.“ Geben wir also nicht auf!
Nicole Kaldewei
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Publication History
Article published online:
30 June 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
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