II. Urteil des OLG Köln vom 20.12.2021 (Az.: I-5 U 39/21)
Das OLG Köln hat entschieden, dass die fehlende Vervollständigung der Diagnostik durch
eine Röntgenaufnahme in einer zweiten seitlichen Ebene einen einfachen Behandlungsfehler
darstellt, wenn eindeutige Symptome für die Aufnahme der zweiten Ebene fehlen. Gegenstand
der Entscheidung sind die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze der horizontalen Arbeitsteilung
von mehreren Behandlern. Hiernach hat jeder Arzt denjenigen Gefahren zu begegnen,
die in seinem Aufgabenbereich entstehen; er muss sich aber, jedenfalls so lange keine
offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf
verlassen dürfen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit
der gebotenen Sorgfalt erfüllt. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht insoweit
nicht (BGH, Urt. v. 26.02.1991, Az.: VI ZR 344/89, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR
376/97). Hinsichtlich des Fachgebiets Radiologie wendet das OLG Köln diese Grundsätze
im zu entscheidenden Fall nur teilweise an, weil radiologische Leistungen nicht auf
einen Behandler beschränkt waren. Außerdem wurde der Patient an den radiologischen
Erstbehandler zurücküberwiesen. Dadurch wird die eigentlich identische radiologische
Behandlung durch denselben Behandler im Ergebnis mit unterschiedlichen Maßstäben bemessen.
1. Sachverhalt
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Patient wurde nach einem
Sturz zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgefunden und noch in der Nacht in die Klinik
der A eingeliefert, wo er zunächst in die Unfallchirurgie geleitet wurde. Dort untersuchte
die angestellte Ärztin der A den Patienten, unter anderem wurde eine radiologische
Untersuchung der Wirbelsäule vorgenommen mit Ausnahme der Halswirbel. Die zweite,
seitliche Ebene wurde ebenfalls nicht dargestellt. Bei der zuvor erfolgten computertomografischen
Untersuchung (CT) des Schädels ergab sich die Diagnose „Felsenbeinfraktur rechts,
subdurale Blutung rechts; Subarachnoidalblutung beidseitig rechts mehr als links,
occipitale Kalottenfraktur links mit möglicher Hirnkontusion“.
Auf die vorläufige Diagnose hin erfolgte eine unmittelbare Überweisung des Patienten
in die Klinik der B. Dort wurde der Patient noch in derselben Nacht operiert. Dabei
erfolgte eine operative Entlastung des Hämatoms epidural und subdural und die Kalottenfraktur
wurde versorgt. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos, sodass
der Patient etwa eine Woche später zur Weiterbehandlung in die Klinik der A zurückverlegt
werden konnte.
Nach einer Woche verließ der Patient die Klinik der A und besuchte die Rehabilitationsklinik
der C, welche eine neurologische Rehabilitationsbehandlung durchführte. Der Patient
konnte trotz dokumentierter Rückenschmerzen dort zunehmend mobilisiert werden, an
Therapiemaßnahmen teilnehmen und die Schmerzmedikation reduzieren.
In den Kliniken der A, B und C fiel das Fehlen der angezeigten zweiten Röntgenaufnahme
der Wirbelsäule in seitlicher Ebene zum Ausschluss einer Fraktur nicht auf.
Nach der Rehabilitationsbehandlung suchte der Patient schließlich wegen bestehender
Rückenschmerzen eine Facharztpraxis für Orthopädie auf, die im CT Kompressionsfrakturen
von LWK 1 und LWK 2 diagnostizierten.
Der Patient behauptet, die Versäumnisse der Behandler der Kliniken der A, B und C
hätten zu diversen erheblichen Schäden der Lendenwirbelsäule, insbesondere einer Funktionsblockade
im Segment L1 und L2 in Achsenfehlstellung mit Zerstörung des Bandscheibenlagers und
permanenten Schmerzen geführt, die mit Schmerzmitteln behandelt werden müssten. Er
könne schwere Lasten nicht mehr tragen und sei im Berufsleben und in der Freizeit
eingeschränkt. Der Patient behauptet weiter, dass bei rechtzeitiger Befunderhebung
bestimmte Maßnahmen hätten erfolgen müssen. Bei rechtzeitiger weiterer Befunderhebung
hätte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund ergeben,
der zu einer Therapie geführt hätte.
2. Urteilsbegründung
Nach Ansicht des OLG erfolgte die Behandlung durch die stationären Einrichtungen der
A, B und C fehlerhaft. Allen Einrichtungen kann nach der Akutbehandlung ein einfacher
Befunderhebungsfehler vorgeworfen werden, weil sie die Vollständigkeit der Befunderhebung
nicht überprüften und daher das Fehlen der Röntgenaufnahme in seitlicher Ebene nicht
bemerkten.
Ein grober Behandlungsfehler kann dagegen vorliegend nicht angenommen werden, da sich
die Unvollständigkeit der Befunderhebung sämtlichen Behandlern nicht aufdrängte. Daher
ist eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten aus diesem Grund zu verneinen. Auch
aus anderen Gründen tritt eine Beweislastumkehr nicht ein, da die Therapie selbst
bei richtiger Diagnose nicht hätte geändert werden müssen. In der Folge konnte der
Patient den Beweis einer Ursächlichkeit des Befunderhebungsfehlers für die fortdauernden
Schmerzen und Beeinträchtigungen nicht führen.
a. Klinik der A
Zur erstbehandelnden Klinik der A führt das erstinstanzliche Landgericht (LG) Aachen
aus, dass die notfallmäßige Behandlung frei von Behandlungsfehlern erfolgt ist, insbesondere
die Zurückstellung weiterer Befunderhebung betreffend der Wirbelsäule zugunsten einer
schnellen Behandlung der lebensgefährlichen Hirnblutung.
Das OLG Köln ergänzt, dass die festgestellte Kopfverletzung zur Lebensrettung einen
unmittelbaren neurochirurgischen Eingriff erforderte und daher vordringlich zu behandeln
war. Eine problemlose weitere Untersuchung der Wirbelsäule in zweiter Ebene ohne Zeitverzögerung
wäre nicht möglich gewesen. Die durchgeführte Röntgenaufnahme ergab keine Fraktur,
daher kann sich der Kläger nicht darauf berufen, die Fraktur sei bereits erkennbar
gewesen. Selbst wenn man von einer Erkennbarkeit der Fraktur ausgehen würde, war diese
nicht akut lebensbedrohlich und die Kopfverletzung vorrangig zu behandeln. Außerdem
erfolgte eine handschriftliche Notiz der Ärztin der A mit der Bemerkung „a. p.“.
Nach Rückverlegung hätte die A jedoch prüfen müssen, ob die zweite Röntgenaufnahme
nachgeholt worden war, was sie jedoch unterließ. Daher kann ihr ein einfacher Befunderhebungsfehler
wegen fehlender Nachholung bzw. Überprüfung der Vervollständigung der Befunderhebung
vorgeworfen werden.
Ein Arzt ist gemäß § 630a BGB verpflichtet, den Patienten nach den zum Zeitpunkt der
Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu behandeln. Gemessen
hieran bezeichnet der Begriff des ärztlichen Behandlungsfehlers daher im umfassenden
Sinn das nach dem jeweiligen Stand der Medizin unsachgemäße und schädigende Verhalten
des Arztes. Ein Arzt muss grundsätzlich diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem
gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs
vorausgesetzt und erwartet werden (BGH, Urt. v. 16.05.2000, Az.: VI ZR 321/98). Dabei
ist auf den medizinischen Standard zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung
beziehungsweise Untersuchung abzustellen. Die erforderlichen Maßnahmen umfassen dabei
auch die Erhebung notwendiger Befunde. Die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers
trifft grundsätzlich den Patienten (BGH, Urt. v. 14.02.1995, Az.: VI ZR 272/93). Die
A hätte nachvollziehen müssen, ob und inwieweit ihre initial nicht komplettierte Diagnostik
(HWS, BWS, LWS von vorne, seitlich nur HWS) bei B komplettiert worden ist. Die seitliche
Röntgenaufnahme sei angezeigt gewesen [vgl. Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung
in der Röntgendiagnostik, Teil B S. 43 ff.] und hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit
die Fraktur der LWK1 und LWK2 gezeigt.
Ein grober Behandlungsfehler lag nach Ansicht der Gerichte nicht vor. Ein Behandlungsfehler
ist dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln
oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat,
der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings
nicht unterlaufen darf (BGH, Urt. v. 20.09.2011, Az.: VI ZR 55/09). Diese Voraussetzungen
sahen die Gerichte für die A nicht als erfüllt an. Hierbei war zu berücksichtigen,
dass der Patient zwischenzeitlich bei einem „Vollversorger“ behandelt und bei der
Verlegung dorthin im Bericht die fehlende Komplementierung angegeben worden ist; also
grundsätzlich mit einer Nachholung der zweiten Aufnahme bei B zu rechnen war.
b. Klinik der B
Nach Ansicht des LG Aachen kann der zweitbehandelnden B lediglich vorgeworfen werden,
dass nach der vordringlich durchgeführten Operation keine Überprüfung der Vollständigkeit
der Diagnostik erfolgte. Die B durfte nicht darauf vertrauen, die Diagnostik sei bereits
vollumfänglich bei der A erfolgt. Aus dem vorläufigen Arztbrief und der mit der Bezeichnung
„a. p.“ versehene Röntgenaufnahme ergibt sich, dass die zweite seitliche Aufnahme
noch fehlte. Die B hätte dies bei genauerer Prüfung erkennen und nachholen müssen.
Da die Behandlung des Schädelhirntraumas im Vordergrund stand, könne kein nicht mehr
verständliches Unterlassen einer Befunderhebung angenommen werden. Der klinische Zustand
des Patienten gab für eine sehr gründliche Überprüfung der übermittelten Unterlagen
keinen unmittelbaren Anlass. Außerdem bestand keine hinweisende Symptomatik des Klägers
auf weitere Verletzungen während seines Aufenthaltes. Insoweit war bei B u. a. zu
berücksichtigten, dass der Patient mit einer potentiell tödlichen, zur Verursachung
schwerster Hirnschäden geeigneten Kopfverletzung und deshalb zur vordringlich angezeigten
Behandlung dieser aus einem vorbehandelnden Krankenhaus verlegt wurde, wo bereits
eine Erstdiagnostik mit u. a. Röntgenuntersuchungen erfolgt waren. Es kann auch bei
B lediglich von einem einfachen fahrlässigen Verstoß ausgegangen werden.
c. Rehabilitationsklinik der C
Anders als die B durfte die C sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Akutkrankenhäuser
die Diagnostik lege artis durchgeführt hatten. Zugunsten der C war zu berücksichtigen,
dass der Patient aus seiner Behandlung in bereits zwei Krankenhäusern überwiesen worden
war. Allerdings hätte auch die C die Unvollständigkeit der Wirbelsäulendiagnostik
erkennen müssen, jedenfalls dadurch, dass der Patient Rückenschmerzen äußerte. Spätestens
dann hätte die C die Abschlussberichte genauer prüfen und dabei feststellen müssen,
dass die zweite seitliche Röntgenaufnahme fehlte.
Anderseits war der Patient im Laufe der Behandlung weiterhin gut mobilisierbar und
die Schmerzmedikamente ließen sich im Behandlungsverlauf stark reduzieren, daher kann
der C kein grobes Verkennen der Situation vorgeworfen werden.
d. Ursächlicher Zusammenhang
Der Patient hat grundsätzlich den Ursachenzusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler
und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen. Die beklagten Kliniken
der A, B und C haben jeweils kunstgerecht zu erhebende Befunde, nämlich die seitliche
Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule, alternativ ein CT der Lendenwirbelsäule, nicht
vorgenommen. Dies wird mit den dargestellten Begründungen jeweils als ein einfacher
Befunderhebungsfehler eingestuft. Eine Beweislastumkehr tritt mangels eines grob fahrlässigen
Verstoßes nicht ein. Bei einem Befunderhebungsfehler – wie er hier vorliegt – reicht
es für die Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem
Fehler und Gesundheitsschaden aus, dass die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht
gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Das Unterlassen
der gebotenen Therapie ist im Falle der Nichterhebung medizinisch gebotener Befunde
nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge
der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten (BGH, Urt. v. 29.09.2009, Az.: VI ZR
251/08). Aufgrund der lediglich einfachen Befunderhebungsfehler verbleibt es dem Patienten,
den Beweis für die Kausalität zwischen den Behandlungsfehlern und seinem Gesundheitsschaden
nachzuweisen.
Es lag auch keine Beweislastumkehr im Falle eines einfachen Befunderhebungsfehlers
vor. Diese kann eintreten, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben
hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn
als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den
tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (BGH, Urt. v. 07.06.2011,
Az.: VI ZR 87/10). Die Therapie hätte selbst bei richtiger Diagnose nicht geändert
werden müssen. Eine nennenswerte Veränderung des Behandlungsschemas oder eine andere
Therapieform sind nicht notwendig geboten gewesen. Eine Operation wäre lediglich indiziert
gewesen, wenn ein Kyphosewinkel über 20 % vorhanden gewesen wäre oder man den Patienten
aufgrund von Schmerzen nicht hätte mobilisieren können, was nicht der Fall war. Weiterhin
war auch keine Behandlung durch ein Korsett bei dem ansonsten gesunden 44-Jährigen
notwendig. Die Leitlinie „Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule“ bezeichnet
die Korsettbehandlung lediglich als „seltenes Verfahren“.
Auch eine andere Schmerzmedikation als die erfolgte war nicht zu verabreichen. Aus
der vorstehenden Leitlinie ergibt sich lediglich die Empfehlung einer adäquaten Schmerztherapie,
ohne dass diese näher konkretisiert würde. Selbst wenn daher im Einzelfall die Infiltrationsanästhesie
in Betracht gekommen wäre, lässt sich eine Unterlassung ohne konkrete klinische Anhaltspunkte
nicht als fehlerhaft oder gar als grob fehlerhaft einordnen.
Schließlich lässt sich nicht ausschließen, dass die Beschwerden auf die posttraumatische
Bandscheibendegeneration zurückzuführen sind statt auf die Kyphose. Die Bandscheibendegeneration
trete behandlungsunabhängig auf. Zudem kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass
die verbliebenen Beeinträchtigungen aus dem Unfall selbst, nicht aber von der übersehenen
Fraktur, die vielmehr regelrecht verheilt sei, herrühren.
III. Rechtliche Bewertung des Urteils
Maßgeblich für die Entscheidung des OLG Köln ist die Beurteilung der Behandlungen
der beklagten Kliniken der A, B und C als medizinisch fehlerhaft und deren Einordnung
als einfache Befunderhebungsfehler. Grundsätzlich wird durch das Vorliegen eines Behandlungsfehlers
die mögliche Haftung des Behandlers erst eröffnet, aber die Beweislast verbleibt bei
einem einfachen Fehler bei dem Patienten, so dass diesem der Nachweis des Ursachenzusammenhangs
zwischen Befunderhebungsfehler und dem behaupteten Gesundheitsschaden weiterhin obliegt.
Diesen Nachweis konnte der Kläger in diesem Verfahren nicht erbringen. Erst das Vorliegen
eines groben Behandlungsfehlers bzw. Befunderhebungsfehlers hätte zu einer Beweislastumkehr
zu Lasten der Behandler geführt, denn in diesem Fall wird gemäß § 630 h Abs. 5 S. 1
BGB „vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nach
§ 630 h Abs. 5 S. 2 BGB gilt dies auch dann, „wenn es der Behandelnde unterlassen
hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit
der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass
zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob
fehlerhaft gewesen wäre.“
Wie bereits erwähnt, hat das OLG die Grundsätze für die horizontale Arbeitsteilung
für einen etwaigen Behandlungsfehler im vorliegenden Fall nur teilweise angewendet.
Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht zwischen Behandlern unterschiedlicher
Fachbereiche grundsätzlich nicht (BGH, Urt. v. 26.02.1991, Az.: VI ZR 344/89, Urt. v.
26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97). Zu berücksichtigen ist, dass A und B jeweils radiologische
Leistungen anbieten und bei C während der Behandlung mit den Rückenschmerzen ein zusätzliches
Symptom aufgetreten ist. Dass A und B gegenseitig nicht auf die fehlerfreie Behandlung
des gemeinsamen Patienten durch den jeweils anderen vertrauen durften, entspricht
der Rechtsprechung des BGH. Dieser hatte entschieden, dass das Mammographie-Screening
im Regelfall nicht einer horizontalen Arbeitsteilung zwischen Gynäkologen unterfällt,
weil die Früherkennung des Brustkrebsrisikos in den Aufgabenbereich sowohl der Radiologen
als auch der die Patientin behandelnden Frauenärzte fällt (BGH, Urt. v. 26.05.2020,
Az.: VI ZR 213/19). Vor diesem Hintergrund bestand vorliegend erst recht zwischen
A und B im identischen Fachgebiet der Radiologie eine gegenseitige Überwachungspflicht
(vgl. BGH, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht,
2020, Rn. 224); aber auch bei der A gegenüber sich selbst nach Rücküberweisung an
sie im Hinblick auf ihre Erstbehandlung. Für A kommt es daher nicht auf den Fachbereich
der B an, weil ihr jedenfalls eine Überwachungspflicht der eigenen Vorbehandlung oblag.
Die C durfte nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung grundsätzlich auf
die vollständige Behandlung durch A und B vertrauen, weil sie außerhalb des Fachbereichs
Radiologie behandelte. Allerdings trat bei ihr während der Behandlung durch die Rückenschmerzen
des Patienten ein zusätzliches Symptom auf, welches der Abklärung bedurfte. Die Rückenschmerzen
erschüttern das berechtigte Vertrauen auf die Vollständigkeit der Vorbehandlung, daher
begründet die Nichtabklärung der zweiten Aufnahme auch für die C einen Befunderhebungsfehler.
Die Gerichte folgten bei der Einordnung den Sachverständigen, nach denen ein grober
Befunderhebungsfehler nicht vorlag; also ein Fehler, der einem Arzt schlechterdings
nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2011, Az.: VI ZR 55/09). Das erscheint
nachvollziehbar. Bei B war die Behandlung der Kopfverletzung vordringlich und der
Patient bereits zuvor stationär aufgenommen, während sich das Fehlen der zweiten Aufnahme
nicht aufdrängte. Bei der Weiterbehandlung durch A war der Patient noch weitergehend
stationär vorbehandelt worden und das Fehlen der zweiten Aufnahme drängte sich auch
hier nicht auf. Bei C war der Patient sodann bereits in zwei Einrichtungen stationär
vorbehandelt. Die Nichtabklärung der vollständigen Befunderhebung begründet erst mit
den Rückschmerzen des Patienten einen Befunderhebungsfehler; in Anbetracht der Mobilisierbarkeit
und möglichen Schmerzmittelreduktion aber nicht in grober Weise.
Nach den vorstehenden Ausführungen sind keine Ansätze erkennbar, dass die Entscheidung
bei der Revision durch den BGH geändert wird.
IV. Folgen für die Praxis
Die in dem Urteil des OLG Köln aufgestellten Grundsätze dürften für die Praxis in
folgenden Punkten von Bedeutung sein.
Behandler sollten Vorbehandlungen von Patienten sorgfältig prüfen. Das gilt insbesondere
dann, wenn der eigene Fachbereich Teil der Vorbehandlung war. In dem Fall darf nicht
darauf vertraut werden, dass der Kollege des eigenen Fachgebiets seine Aufgaben mit
der gebotenen Sorgfalt erfüllt, weil die Privilegierung der horizontalen Arbeitsteilung
keine Anwendung findet. Ein nicht entdeckter Fehler des Kollegen bei der Vorbehandlung
führt dann leicht zu einem eigenen Behandlungsfehler.
Speziell für Radiologen ist bei vorangehenden Krankenhausbehandlungen von Patienten
besondere Vorsicht geboten. Viele Krankenhäuser halten selbst keine eigene radiologische
Abteilung vor. Hierauf dürfen Radiologen aber nicht vertrauen. Regelform bei der stationären
Behandlung eines Kassenpatienten ist der sog. einheitliche (totale) Krankenhausaufnahmevertrag,
bei dem der Krankenhausträger alleiniger Vertragspartner des Patienten wird und sämtliche
ärztlichen und nichtärztlichen Leistungen selbst schuldet (Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 2021, Kap. XI, Rn. 10). Jedenfalls dann,
wenn ein Krankenhaus nicht mit einer Fachabteilung Radiologie im Krankenhausplan ausgewiesen
ist, kann es radiologische Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Krankenhausentgeltgesetz
durch Dritte erbringen (vgl. Bundessozialgericht, Urt. v. 26.04.2022, Az.: B 1 KR
15/21 R).
Demnach sollte ein Radiologe auch eine Voruntersuchung durch ein Krankenhaus ohne
eigene radiologische Fachabteilung sorgfältig prüfen. Denn wenn die Behandlungsunterlagen
des Krankenhauses keine Informationen über radiologische Untersuchungen beinhalten,
könnte dies bereits einen Behandlungsfehler des Krankenhauses darstellen, der bei
einem Übersehen auf Seiten des weiterbehandelnden Radiologen zu einem eigenen Behandlungsfehler
führt.
Im Übrigen ist zu beachten, dass auch die eigene Vorbehandlung im Fall der Weiterbehandlung
genauso sorgfältig geprüft werden muss, wie die Behandlung eines Dritten. Dies dürfte
insbesondere für Behandler mit mehreren Ärzten von Bedeutung sein, also gerade bei
Krankenhäusern wie im vorliegenden Fall, da in diesen Strukturen Behandlungen in unterschiedlichen
Zeiträumen regelmäßig von unterschiedlichen Ärzten – auch gleicher Fachrichtung –
durchgeführt werden und teilweise nicht wechselseitig bekannt sind. Die anschließende
Überprüfung einer Voruntersuchung durch einen Kollegen desselben Krankenhauses sollte
daher in jedem Fall erfolgen, weil sie in Anbetracht der Rechtsprechung zum Behandlungsfehler
geboten ist.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
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