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DOI: 10.1055/a-1814-0008
Zum Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers durch Unterlassen einer weiteren Röntgenaufnahme bei Behandlung in verschiedenen stationären Einrichtungen nach einem Unfall – OLG Köln, Urteil vom 20.12.2021 (Az.: I-5 U 39/21)
- I. Einführung
- II. Urteil des OLG Köln vom 20.12.2021 (Az.: I-5 U 39/21)
- III. Rechtliche Bewertung des Urteils
- IV. Folgen für die Praxis
I. Einführung
Bereits frühere Beiträge hatten die zivilrechtliche Rechtsprechung zu den Anforderungen und Rechtsfolgen von Behandlungsfehlern bzw. Befunderhebungsfehlern zum Gegenstand, beispielsweise im Bereich des Mammographie-Screening (RöFo 11/2020, S. 1099 ff.).
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Zum Befunderhebungsfehler auf dem Gebiet der Radiologie hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Köln mit Urteil vom 20.12.2021 (Az.: I-5 U 39/21) mit der interessanten Fragestellung befasst, ob das Unterlassen einer weiteren Röntgenaufnahme als grober Behandlungsfehler zu bewerten ist, wenn der Patient zur Behandlung in verschiedenen stationären Einrichtungen nach einem Unfall versorgt worden ist. Das OLG Köln nimmt insbesondere eine Abgrenzung zwischen grobem und einfachem Behandlungsfehler bzw. Befunderhebungsfehler vor. Diese Abgrenzung ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob eine Umkehr der Beweislast vom Patienten auf den Behandler hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden erfolgt (vgl. zuvor genannter Beitrag und § 630 h Abs. 5 Satz 1 BGB). Außerdem prüft das OLG Köln, ob aus anderen Gründen eine Beweislastumkehr eintritt (vgl. § 630 h Abs. 5 Satz 2 BGB). Von der Beweislast hängt regelmäßig der Ausgang des zivilgerichtlichen Prozesses ab, weil das Gericht gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Zweifel des Gerichts an einer Behauptung gehen zu Lasten der Partei, welche die Behauptung zu beweisen hat. Das Revisionsverfahren ist gegenwärtig bei dem Bundesgerichtshof (BGH) anhängig (Az.: VI ZR 6/22).
II. Urteil des OLG Köln vom 20.12.2021 (Az.: I-5 U 39/21)
Das OLG Köln hat entschieden, dass die fehlende Vervollständigung der Diagnostik durch eine Röntgenaufnahme in einer zweiten seitlichen Ebene einen einfachen Behandlungsfehler darstellt, wenn eindeutige Symptome für die Aufnahme der zweiten Ebene fehlen. Gegenstand der Entscheidung sind die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze der horizontalen Arbeitsteilung von mehreren Behandlern. Hiernach hat jeder Arzt denjenigen Gefahren zu begegnen, die in seinem Aufgabenbereich entstehen; er muss sich aber, jedenfalls so lange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf verlassen dürfen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht insoweit nicht (BGH, Urt. v. 26.02.1991, Az.: VI ZR 344/89, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97). Hinsichtlich des Fachgebiets Radiologie wendet das OLG Köln diese Grundsätze im zu entscheidenden Fall nur teilweise an, weil radiologische Leistungen nicht auf einen Behandler beschränkt waren. Außerdem wurde der Patient an den radiologischen Erstbehandler zurücküberwiesen. Dadurch wird die eigentlich identische radiologische Behandlung durch denselben Behandler im Ergebnis mit unterschiedlichen Maßstäben bemessen.
1. Sachverhalt
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Patient wurde nach einem Sturz zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgefunden und noch in der Nacht in die Klinik der A eingeliefert, wo er zunächst in die Unfallchirurgie geleitet wurde. Dort untersuchte die angestellte Ärztin der A den Patienten, unter anderem wurde eine radiologische Untersuchung der Wirbelsäule vorgenommen mit Ausnahme der Halswirbel. Die zweite, seitliche Ebene wurde ebenfalls nicht dargestellt. Bei der zuvor erfolgten computertomografischen Untersuchung (CT) des Schädels ergab sich die Diagnose „Felsenbeinfraktur rechts, subdurale Blutung rechts; Subarachnoidalblutung beidseitig rechts mehr als links, occipitale Kalottenfraktur links mit möglicher Hirnkontusion“.
Auf die vorläufige Diagnose hin erfolgte eine unmittelbare Überweisung des Patienten in die Klinik der B. Dort wurde der Patient noch in derselben Nacht operiert. Dabei erfolgte eine operative Entlastung des Hämatoms epidural und subdural und die Kalottenfraktur wurde versorgt. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos, sodass der Patient etwa eine Woche später zur Weiterbehandlung in die Klinik der A zurückverlegt werden konnte.
Nach einer Woche verließ der Patient die Klinik der A und besuchte die Rehabilitationsklinik der C, welche eine neurologische Rehabilitationsbehandlung durchführte. Der Patient konnte trotz dokumentierter Rückenschmerzen dort zunehmend mobilisiert werden, an Therapiemaßnahmen teilnehmen und die Schmerzmedikation reduzieren.
In den Kliniken der A, B und C fiel das Fehlen der angezeigten zweiten Röntgenaufnahme der Wirbelsäule in seitlicher Ebene zum Ausschluss einer Fraktur nicht auf.
Nach der Rehabilitationsbehandlung suchte der Patient schließlich wegen bestehender Rückenschmerzen eine Facharztpraxis für Orthopädie auf, die im CT Kompressionsfrakturen von LWK 1 und LWK 2 diagnostizierten.
Der Patient behauptet, die Versäumnisse der Behandler der Kliniken der A, B und C hätten zu diversen erheblichen Schäden der Lendenwirbelsäule, insbesondere einer Funktionsblockade im Segment L1 und L2 in Achsenfehlstellung mit Zerstörung des Bandscheibenlagers und permanenten Schmerzen geführt, die mit Schmerzmitteln behandelt werden müssten. Er könne schwere Lasten nicht mehr tragen und sei im Berufsleben und in der Freizeit eingeschränkt. Der Patient behauptet weiter, dass bei rechtzeitiger Befunderhebung bestimmte Maßnahmen hätten erfolgen müssen. Bei rechtzeitiger weiterer Befunderhebung hätte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund ergeben, der zu einer Therapie geführt hätte.
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2. Urteilsbegründung
Nach Ansicht des OLG erfolgte die Behandlung durch die stationären Einrichtungen der A, B und C fehlerhaft. Allen Einrichtungen kann nach der Akutbehandlung ein einfacher Befunderhebungsfehler vorgeworfen werden, weil sie die Vollständigkeit der Befunderhebung nicht überprüften und daher das Fehlen der Röntgenaufnahme in seitlicher Ebene nicht bemerkten.
Ein grober Behandlungsfehler kann dagegen vorliegend nicht angenommen werden, da sich die Unvollständigkeit der Befunderhebung sämtlichen Behandlern nicht aufdrängte. Daher ist eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten aus diesem Grund zu verneinen. Auch aus anderen Gründen tritt eine Beweislastumkehr nicht ein, da die Therapie selbst bei richtiger Diagnose nicht hätte geändert werden müssen. In der Folge konnte der Patient den Beweis einer Ursächlichkeit des Befunderhebungsfehlers für die fortdauernden Schmerzen und Beeinträchtigungen nicht führen.
a. Klinik der A
Zur erstbehandelnden Klinik der A führt das erstinstanzliche Landgericht (LG) Aachen aus, dass die notfallmäßige Behandlung frei von Behandlungsfehlern erfolgt ist, insbesondere die Zurückstellung weiterer Befunderhebung betreffend der Wirbelsäule zugunsten einer schnellen Behandlung der lebensgefährlichen Hirnblutung.
Das OLG Köln ergänzt, dass die festgestellte Kopfverletzung zur Lebensrettung einen unmittelbaren neurochirurgischen Eingriff erforderte und daher vordringlich zu behandeln war. Eine problemlose weitere Untersuchung der Wirbelsäule in zweiter Ebene ohne Zeitverzögerung wäre nicht möglich gewesen. Die durchgeführte Röntgenaufnahme ergab keine Fraktur, daher kann sich der Kläger nicht darauf berufen, die Fraktur sei bereits erkennbar gewesen. Selbst wenn man von einer Erkennbarkeit der Fraktur ausgehen würde, war diese nicht akut lebensbedrohlich und die Kopfverletzung vorrangig zu behandeln. Außerdem erfolgte eine handschriftliche Notiz der Ärztin der A mit der Bemerkung „a. p.“.
Nach Rückverlegung hätte die A jedoch prüfen müssen, ob die zweite Röntgenaufnahme nachgeholt worden war, was sie jedoch unterließ. Daher kann ihr ein einfacher Befunderhebungsfehler wegen fehlender Nachholung bzw. Überprüfung der Vervollständigung der Befunderhebung vorgeworfen werden.
Ein Arzt ist gemäß § 630a BGB verpflichtet, den Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu behandeln. Gemessen hieran bezeichnet der Begriff des ärztlichen Behandlungsfehlers daher im umfassenden Sinn das nach dem jeweiligen Stand der Medizin unsachgemäße und schädigende Verhalten des Arztes. Ein Arzt muss grundsätzlich diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden (BGH, Urt. v. 16.05.2000, Az.: VI ZR 321/98). Dabei ist auf den medizinischen Standard zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung beziehungsweise Untersuchung abzustellen. Die erforderlichen Maßnahmen umfassen dabei auch die Erhebung notwendiger Befunde. Die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers trifft grundsätzlich den Patienten (BGH, Urt. v. 14.02.1995, Az.: VI ZR 272/93). Die A hätte nachvollziehen müssen, ob und inwieweit ihre initial nicht komplettierte Diagnostik (HWS, BWS, LWS von vorne, seitlich nur HWS) bei B komplettiert worden ist. Die seitliche Röntgenaufnahme sei angezeigt gewesen [vgl. Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik, Teil B S. 43 ff.] und hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fraktur der LWK1 und LWK2 gezeigt.
Ein grober Behandlungsfehler lag nach Ansicht der Gerichte nicht vor. Ein Behandlungsfehler ist dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urt. v. 20.09.2011, Az.: VI ZR 55/09). Diese Voraussetzungen sahen die Gerichte für die A nicht als erfüllt an. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Patient zwischenzeitlich bei einem „Vollversorger“ behandelt und bei der Verlegung dorthin im Bericht die fehlende Komplementierung angegeben worden ist; also grundsätzlich mit einer Nachholung der zweiten Aufnahme bei B zu rechnen war.
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b. Klinik der B
Nach Ansicht des LG Aachen kann der zweitbehandelnden B lediglich vorgeworfen werden, dass nach der vordringlich durchgeführten Operation keine Überprüfung der Vollständigkeit der Diagnostik erfolgte. Die B durfte nicht darauf vertrauen, die Diagnostik sei bereits vollumfänglich bei der A erfolgt. Aus dem vorläufigen Arztbrief und der mit der Bezeichnung „a. p.“ versehene Röntgenaufnahme ergibt sich, dass die zweite seitliche Aufnahme noch fehlte. Die B hätte dies bei genauerer Prüfung erkennen und nachholen müssen.
Da die Behandlung des Schädelhirntraumas im Vordergrund stand, könne kein nicht mehr verständliches Unterlassen einer Befunderhebung angenommen werden. Der klinische Zustand des Patienten gab für eine sehr gründliche Überprüfung der übermittelten Unterlagen keinen unmittelbaren Anlass. Außerdem bestand keine hinweisende Symptomatik des Klägers auf weitere Verletzungen während seines Aufenthaltes. Insoweit war bei B u. a. zu berücksichtigten, dass der Patient mit einer potentiell tödlichen, zur Verursachung schwerster Hirnschäden geeigneten Kopfverletzung und deshalb zur vordringlich angezeigten Behandlung dieser aus einem vorbehandelnden Krankenhaus verlegt wurde, wo bereits eine Erstdiagnostik mit u. a. Röntgenuntersuchungen erfolgt waren. Es kann auch bei B lediglich von einem einfachen fahrlässigen Verstoß ausgegangen werden.
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c. Rehabilitationsklinik der C
Anders als die B durfte die C sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Akutkrankenhäuser die Diagnostik lege artis durchgeführt hatten. Zugunsten der C war zu berücksichtigen, dass der Patient aus seiner Behandlung in bereits zwei Krankenhäusern überwiesen worden war. Allerdings hätte auch die C die Unvollständigkeit der Wirbelsäulendiagnostik erkennen müssen, jedenfalls dadurch, dass der Patient Rückenschmerzen äußerte. Spätestens dann hätte die C die Abschlussberichte genauer prüfen und dabei feststellen müssen, dass die zweite seitliche Röntgenaufnahme fehlte.
Anderseits war der Patient im Laufe der Behandlung weiterhin gut mobilisierbar und die Schmerzmedikamente ließen sich im Behandlungsverlauf stark reduzieren, daher kann der C kein grobes Verkennen der Situation vorgeworfen werden.
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d. Ursächlicher Zusammenhang
Der Patient hat grundsätzlich den Ursachenzusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen. Die beklagten Kliniken der A, B und C haben jeweils kunstgerecht zu erhebende Befunde, nämlich die seitliche Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule, alternativ ein CT der Lendenwirbelsäule, nicht vorgenommen. Dies wird mit den dargestellten Begründungen jeweils als ein einfacher Befunderhebungsfehler eingestuft. Eine Beweislastumkehr tritt mangels eines grob fahrlässigen Verstoßes nicht ein. Bei einem Befunderhebungsfehler – wie er hier vorliegt – reicht es für die Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden aus, dass die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Das Unterlassen der gebotenen Therapie ist im Falle der Nichterhebung medizinisch gebotener Befunde nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten (BGH, Urt. v. 29.09.2009, Az.: VI ZR 251/08). Aufgrund der lediglich einfachen Befunderhebungsfehler verbleibt es dem Patienten, den Beweis für die Kausalität zwischen den Behandlungsfehlern und seinem Gesundheitsschaden nachzuweisen.
Es lag auch keine Beweislastumkehr im Falle eines einfachen Befunderhebungsfehlers vor. Diese kann eintreten, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (BGH, Urt. v. 07.06.2011, Az.: VI ZR 87/10). Die Therapie hätte selbst bei richtiger Diagnose nicht geändert werden müssen. Eine nennenswerte Veränderung des Behandlungsschemas oder eine andere Therapieform sind nicht notwendig geboten gewesen. Eine Operation wäre lediglich indiziert gewesen, wenn ein Kyphosewinkel über 20 % vorhanden gewesen wäre oder man den Patienten aufgrund von Schmerzen nicht hätte mobilisieren können, was nicht der Fall war. Weiterhin war auch keine Behandlung durch ein Korsett bei dem ansonsten gesunden 44-Jährigen notwendig. Die Leitlinie „Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule“ bezeichnet die Korsettbehandlung lediglich als „seltenes Verfahren“.
Auch eine andere Schmerzmedikation als die erfolgte war nicht zu verabreichen. Aus der vorstehenden Leitlinie ergibt sich lediglich die Empfehlung einer adäquaten Schmerztherapie, ohne dass diese näher konkretisiert würde. Selbst wenn daher im Einzelfall die Infiltrationsanästhesie in Betracht gekommen wäre, lässt sich eine Unterlassung ohne konkrete klinische Anhaltspunkte nicht als fehlerhaft oder gar als grob fehlerhaft einordnen.
Schließlich lässt sich nicht ausschließen, dass die Beschwerden auf die posttraumatische Bandscheibendegeneration zurückzuführen sind statt auf die Kyphose. Die Bandscheibendegeneration trete behandlungsunabhängig auf. Zudem kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die verbliebenen Beeinträchtigungen aus dem Unfall selbst, nicht aber von der übersehenen Fraktur, die vielmehr regelrecht verheilt sei, herrühren.
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III. Rechtliche Bewertung des Urteils
Maßgeblich für die Entscheidung des OLG Köln ist die Beurteilung der Behandlungen der beklagten Kliniken der A, B und C als medizinisch fehlerhaft und deren Einordnung als einfache Befunderhebungsfehler. Grundsätzlich wird durch das Vorliegen eines Behandlungsfehlers die mögliche Haftung des Behandlers erst eröffnet, aber die Beweislast verbleibt bei einem einfachen Fehler bei dem Patienten, so dass diesem der Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Befunderhebungsfehler und dem behaupteten Gesundheitsschaden weiterhin obliegt. Diesen Nachweis konnte der Kläger in diesem Verfahren nicht erbringen. Erst das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers bzw. Befunderhebungsfehlers hätte zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der Behandler geführt, denn in diesem Fall wird gemäß § 630 h Abs. 5 S. 1 BGB „vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nach § 630 h Abs. 5 S. 2 BGB gilt dies auch dann, „wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre.“
Wie bereits erwähnt, hat das OLG die Grundsätze für die horizontale Arbeitsteilung für einen etwaigen Behandlungsfehler im vorliegenden Fall nur teilweise angewendet. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht zwischen Behandlern unterschiedlicher Fachbereiche grundsätzlich nicht (BGH, Urt. v. 26.02.1991, Az.: VI ZR 344/89, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97). Zu berücksichtigen ist, dass A und B jeweils radiologische Leistungen anbieten und bei C während der Behandlung mit den Rückenschmerzen ein zusätzliches Symptom aufgetreten ist. Dass A und B gegenseitig nicht auf die fehlerfreie Behandlung des gemeinsamen Patienten durch den jeweils anderen vertrauen durften, entspricht der Rechtsprechung des BGH. Dieser hatte entschieden, dass das Mammographie-Screening im Regelfall nicht einer horizontalen Arbeitsteilung zwischen Gynäkologen unterfällt, weil die Früherkennung des Brustkrebsrisikos in den Aufgabenbereich sowohl der Radiologen als auch der die Patientin behandelnden Frauenärzte fällt (BGH, Urt. v. 26.05.2020, Az.: VI ZR 213/19). Vor diesem Hintergrund bestand vorliegend erst recht zwischen A und B im identischen Fachgebiet der Radiologie eine gegenseitige Überwachungspflicht (vgl. BGH, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 2020, Rn. 224); aber auch bei der A gegenüber sich selbst nach Rücküberweisung an sie im Hinblick auf ihre Erstbehandlung. Für A kommt es daher nicht auf den Fachbereich der B an, weil ihr jedenfalls eine Überwachungspflicht der eigenen Vorbehandlung oblag. Die C durfte nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung grundsätzlich auf die vollständige Behandlung durch A und B vertrauen, weil sie außerhalb des Fachbereichs Radiologie behandelte. Allerdings trat bei ihr während der Behandlung durch die Rückenschmerzen des Patienten ein zusätzliches Symptom auf, welches der Abklärung bedurfte. Die Rückenschmerzen erschüttern das berechtigte Vertrauen auf die Vollständigkeit der Vorbehandlung, daher begründet die Nichtabklärung der zweiten Aufnahme auch für die C einen Befunderhebungsfehler.
Die Gerichte folgten bei der Einordnung den Sachverständigen, nach denen ein grober Befunderhebungsfehler nicht vorlag; also ein Fehler, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2011, Az.: VI ZR 55/09). Das erscheint nachvollziehbar. Bei B war die Behandlung der Kopfverletzung vordringlich und der Patient bereits zuvor stationär aufgenommen, während sich das Fehlen der zweiten Aufnahme nicht aufdrängte. Bei der Weiterbehandlung durch A war der Patient noch weitergehend stationär vorbehandelt worden und das Fehlen der zweiten Aufnahme drängte sich auch hier nicht auf. Bei C war der Patient sodann bereits in zwei Einrichtungen stationär vorbehandelt. Die Nichtabklärung der vollständigen Befunderhebung begründet erst mit den Rückschmerzen des Patienten einen Befunderhebungsfehler; in Anbetracht der Mobilisierbarkeit und möglichen Schmerzmittelreduktion aber nicht in grober Weise.
Nach den vorstehenden Ausführungen sind keine Ansätze erkennbar, dass die Entscheidung bei der Revision durch den BGH geändert wird.
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IV. Folgen für die Praxis
Die in dem Urteil des OLG Köln aufgestellten Grundsätze dürften für die Praxis in folgenden Punkten von Bedeutung sein.
Behandler sollten Vorbehandlungen von Patienten sorgfältig prüfen. Das gilt insbesondere dann, wenn der eigene Fachbereich Teil der Vorbehandlung war. In dem Fall darf nicht darauf vertraut werden, dass der Kollege des eigenen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt, weil die Privilegierung der horizontalen Arbeitsteilung keine Anwendung findet. Ein nicht entdeckter Fehler des Kollegen bei der Vorbehandlung führt dann leicht zu einem eigenen Behandlungsfehler.
Speziell für Radiologen ist bei vorangehenden Krankenhausbehandlungen von Patienten besondere Vorsicht geboten. Viele Krankenhäuser halten selbst keine eigene radiologische Abteilung vor. Hierauf dürfen Radiologen aber nicht vertrauen. Regelform bei der stationären Behandlung eines Kassenpatienten ist der sog. einheitliche (totale) Krankenhausaufnahmevertrag, bei dem der Krankenhausträger alleiniger Vertragspartner des Patienten wird und sämtliche ärztlichen und nichtärztlichen Leistungen selbst schuldet (Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 2021, Kap. XI, Rn. 10). Jedenfalls dann, wenn ein Krankenhaus nicht mit einer Fachabteilung Radiologie im Krankenhausplan ausgewiesen ist, kann es radiologische Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Krankenhausentgeltgesetz durch Dritte erbringen (vgl. Bundessozialgericht, Urt. v. 26.04.2022, Az.: B 1 KR 15/21 R).
Demnach sollte ein Radiologe auch eine Voruntersuchung durch ein Krankenhaus ohne eigene radiologische Fachabteilung sorgfältig prüfen. Denn wenn die Behandlungsunterlagen des Krankenhauses keine Informationen über radiologische Untersuchungen beinhalten, könnte dies bereits einen Behandlungsfehler des Krankenhauses darstellen, der bei einem Übersehen auf Seiten des weiterbehandelnden Radiologen zu einem eigenen Behandlungsfehler führt.
Im Übrigen ist zu beachten, dass auch die eigene Vorbehandlung im Fall der Weiterbehandlung genauso sorgfältig geprüft werden muss, wie die Behandlung eines Dritten. Dies dürfte insbesondere für Behandler mit mehreren Ärzten von Bedeutung sein, also gerade bei Krankenhäusern wie im vorliegenden Fall, da in diesen Strukturen Behandlungen in unterschiedlichen Zeiträumen regelmäßig von unterschiedlichen Ärzten – auch gleicher Fachrichtung – durchgeführt werden und teilweise nicht wechselseitig bekannt sind. Die anschließende Überprüfung einer Voruntersuchung durch einen Kollegen desselben Krankenhauses sollte daher in jedem Fall erfolgen, weil sie in Anbetracht der Rechtsprechung zum Behandlungsfehler geboten ist.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
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Rechtsanwalt
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Publication History
Article published online:
25 May 2022
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