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DOI: 10.1055/a-1818-1369
Versorgung von chronischen Wunden und Wundheilungsstörungen
Management of chronic wounds and wound healing disordersAuthors
- Abstract
- Abkürzungen
- Einleitung
- Die physiologische Wundheilung
- Die Wundheilungsstörung
- Behandlung von Wundheilungsstörungen
- Abschließende Betrachtung
- Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
- Literatur
Das Verständnis von Wundheilung hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert, sodass die gebräuchlichen Definitionen von akuten und chronischen Wunden, aber auch einer Primär- und Sekundärheilung nicht mehr hilfreich sind. Dieser Beitrag bringt bekannte Aspekte der Wundheilung so miteinander in Bezug, dass Wunden systematisch beurteilt, die Ursachen von Wundheilungsstörungen erkannt und strukturierte Therapien durchgeführt werden können.
Abstract
Physiological healing processes with their separate phases are much better understood today. Current definitions of acute or chronic healing processes, and primary or secondary healing, are therefore being superseded. Impaired healing is characterized by a lack of transition from one phase of healing to the next, which needs medical treatment like any pathological process. Comprehensive diagnostics, followed by a definition of the therapeutic goal and structured treatment planning, can deliver an effective cure. Such a structured process can be followed alongside well-established treatment requirements. Together with data from a wound register these protocols can form the basis for the quality management in wound treatment. The goal of up-to-date wound treatment remains increase the patients’ quality of life to effectively and sustainably.
Abkürzungen
Einleitung
In Deutschland werden etwa 4 Millionen Menschen mit chronischen Wunden versorgt. Die Prävalenz liegt bei ca. 1,2%. Diese wird mit der Alterszunahme der Bevölkerung weiter steigen und durch die Zunahme von Gefäßerkrankungen, des Diabetes mellitus und körperlicher Immobilität begünstigt [1]. Zu den häufigsten Wundentitäten zählen
-
das diabetische Fußulkus,
-
Wunden bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK),
-
das Ulcus cruris venosum und
-
der Dekubitus.
Eine chronische Wunde wird als nicht heilender Defekt der Haut und ihrer anhängenden Strukturen über mehr als 8 Wochen verstanden. Die Eingrenzung einer spezialisierten Wundbehandlung auf chronische Wunden ist nicht sinnvoll. Akute Wunden, die nicht abheilen, werden zu chronischen Wunden, müssen aber in ihrer Ursache viel früher behandelt werden [2]. Aus der Kenntnis der physiologischen Wundheilung lässt sich eine differenzierte Sichtweise ableiten.
Bisher wurden Therapieschemata entwickelt, die sich auf spezielle Wunden und Erkrankungen beziehen [3] [4] [5]. Die im Folgenden dargestellte Behandlungsstruktur lässt sich bei allen Wundentitäten anwenden, ohne im Widerspruch zu etablierten Verfahren zu stehen.
Die physiologische Wundheilung
Von der Entstehung einer Primärläsion bis zu deren Abheilung werden nacheinander physiologische Reparaturmechanismen aktiviert und durchschritten, die in aufeinander folgende Phasen der Wundheilung eingeteilt werden können [6]:
In der Defektphase gibt es viele unterschiedliche Ursachen für die Entstehung einer Primärläsion. Diese kann durch ein Trauma akut entstehen. Ein lokaler Gewebeuntergang im Sinne einer Nekrose kann sich perfusionsbedingt, thermisch oder bei lokalem Druck entwickeln. Gewebeläsionen können auch durch eine Infektion, z.B. als Abszess oder als Symptom einer systemischen Erkrankung, auftreten. In der Phase der Defektentstehung steht die Blutstillung durch Blutgerinnung mit Kapillarverschlüssen und der Ausbildung einer lokalen Hypoxie am Anfang ([Abb. 1]).


In der Exsudationsphase entwickelt sich eine nässende Wunde mit Fibrinbelägen. Ursächlich ist dafür eine Permeabilitätsstörung der Kapillaren. Die Fibrinbeläge werden durch eine Kontamination mit Bakterien zum Biofilm. Nekrotische Gewebeanteile werden durch Makrophagen und Gewebeenzyme lysiert, sodass in dieser Phase vorwiegend ein Gewebeabbau erfolgt. Dadurch bildet sich das für diese Phase typische Exsudat, das die direkte Umgebung der Wunde durch Feuchtigkeit und Proteolyse mazerieren und weiter schädigen kann. Die bakterielle Kontamination des Exsudats fördert die lokale Entzündungsreaktion und kann zu einer Infektexazerbation mit weiterem Gewebeuntergang führen ([Abb. 2]).


In der Granulationsphase kommt es wieder zu einem Gewebeaufbau. Dabei bilden sich Kapillaraussprossungen, die von Fibroblasten umgeben werden. Es entsteht gut kapillarisiertes kollagenfaserreiches Granulationsgewebe, das die Wunde als Regeneratgewebe zunehmend auskleidet und auffüllt, sodass ein weitgehend vitaler Wundgrund resultiert ([Abb. 3]).


In der Epithelisierungsphase dient das Granulationsgewebe an der Wundoberfläche als Ersatz für das Korium. Dieses wird von den basalen Keratinozyten überwachsen, die aus den Rändern intakter Haut stammen. In der Tiefe der Wunde bildet sich aus dem Granulationsgewebe zunehmend faserreiches Bindegewebe, das zu einer Kontraktion der Wunde führt ([Abb. 4]).


In der Konsolidierungsphase bildet sich aus dem noch dünnen Epithel eine ausdifferenzierte und zunehmend belastbare Hautschicht. Aus dem kollagenfaserreichen Bindegewebe in der Tiefe der Wunde entwickelt sich eine stabile Narbe ([Abb. 5]).


Diese Wundheilungsphasen können an einer sekundär heilenden Wunde nacheinander beobachtet werden, wenn auch mit ineinanderfließenden Übergängen. Die Primärheilung entspricht dagegen einem Schnelldurchlauf der Wundheilungsphasen mit zügiger Epithelisierung und geringer Narbenbildung.
Die Wundheilung kann als physiologischer Reparaturmechanismus verstanden werden, der normalerweise zur Abheilung einer Wunde führt und keiner medizinischen Behandlung bedarf.
Geeignete Verbandstechniken können aber die Wundheilung durch die Ausbildung eines phasengerechten Wundmilieus unterstützen, dem Auftreten von Komplikationen vorbeugen und dadurch die Wundheilung begünstigen (s. [Tab. 1]) [7].
Die Wundheilungsstörung
Neben heilenden Wunden gibt es Wunden, die nicht heilen. Diese Wunden zeichnen sich dadurch aus, dass der physiologische Ablauf der Wundheilungsphasen unterbrochen ist.
Der fehlende Übergang der Wundheilung von einer Wundheilungsphase in die nächste kennzeichnet eine Wundheilungsstörung.
Das Vorliegen einer Wundheilungsstörung lässt sich klinisch erkennen und beobachten. Die Wundheilungsstörung kann in allen Phasen der Wundheilung auftreten und ist im Gegensatz zum Begriff der chronischen Wunde unabhängig vom zeitlichen Verlauf der Wundheilung zu verstehen ([Abb. 6]).


Aus einer Wundheilungsstörung entwickelt die Wunde im Laufe der Zeit durch eine chronische Entzündungsreaktion Zeichen der Chronifizierung, die eine Heilung zusätzlich behindern. Dazu gehören
-
die Sklerosierung des Wundgrunds durch minderperfundiertes Bindegewebe,
-
die Ausbildung wulstiger Wundränder, die eine Epithelisierung erschweren, und
-
das Entstehen von Hyperkeratosen in der Umgebung der Wunde.
Entsprechend der vorherrschenden Wundheilungsphase lassen sich bei einer Wundheilungsstörung folgende Wundtypen erkennen:
Areaktive Wunden
Die areaktive Wunde tritt beispielsweise bei stark immunsupprimierten Patienten oder in bestrahlten Gewebearealen auf. Entsteht ein traumatisch bedingter Defekt, bleibt der Wundrand areaktiv, d.h. es bildet sich kein Granulationsgewebe, und es findet keine Epithelisierung statt. Typisch sind auch Nekrosen infolge eines Extravasats von Zytostatika. Die Wunde zeigt keine Veränderung in Richtung einer Heilungsreaktion ([Abb. 7]).


Chronisch infizierte Wunden
Die chronisch infizierte Wunde ist vor allem bei bakterieller Infektion und insuffizienter lokaler Abwehrkraft zu finden, z.B. bei Beteiligung bradytrophen Gewebes mit niedriger Stoffwechselaktivität und geringer Kapillarisierung, aber auch in Kombination mit einer schlechten Kapillarperfusion. Der lokale Infekt führt zu einem verstärkten Fibrinbelag des Wundgrundes und einer vermehrten Exsudatbildung. Durch die schleichend verlaufende lokale Entzündung breiten sich die Wundnekrosen aus, ohne dass sich stabile Wundränder bilden. Dadurch kann es zur Beteiligung tiefer liegender Strukturen wie Sehnen und Gelenke kommen ([Abb. 8]).


Hypergranulierende Wunden
Eine hypergranulierende Wunde entsteht bevorzugt an Stellen hoher Keimbelastung, mechanischer Belastung und in warmem und feuchtem Milieu, z.B. in der Analfalte oder an Drainageaustrittstellen. Das überschießende Granulationsgewebe kann nicht vom Epithel des Wundrands überwachsen werden ([Abb. 9]).


Epithelisierungsstörung
Die Epithelisierungsstörung kann sich bei einer verminderten Qualität des Granulationsgewebes oder durch eine Wachstumsstörung des Epithels selbst entwickeln. Die Wundränder sind scharf begrenzt oder zurückweichend. Bei Systemerkrankungen kann es auch zur Ausbildung einer Wunde kommen, indem sich nach blasiger Abhebung des Epithels eine lokale Epithelnekrose entwickelt, die das darunter liegende Gewebe freilegt ([Abb. 10]).


Behandlung von Wundheilungsstörungen
Wenn die Wundheilung als physiologischer Reparaturmechanismus des Körpers angesehen wird, kann eine Wundheilungsstörung als Erkrankung verstanden werden, die medizinisches Handeln erfordert.
Die Diagnose einer Wundheilungsstörung sollte zur unverzüglichen Einleitung einer medizinischen Behandlung führen, um eine Chronifizierung der Wunde zu vermeiden ([Abb. 11]).


Diagnostik
Bereits das Aussehen der Wunde gibt wichtige Hinweise auf deren Ätiologie [8]. Auch die Lokalisation des fehlenden Phasenübergangs im Ablauf der Wundheilungsphasen lässt Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Ursachen einer Wundheilungsstörung zu.
Da die Ursachen bei chronischen Wunden meistens jedoch multifaktoriell sind, ist eine systematische Diagnostik mit möglichst vollständiger Bestandsaufnahme von lokalen, regionalen und systemischen Ursachen erforderlich ([Tab. 2]).
Ein Patient mit chronischen Wunden ist nicht selten sozial isoliert und körperlich stark beeinträchtigt. Daher ist es von besonderer Bedeutung, nicht nur die Wundsituation, sondern den Patienten ganzheitlich zu betrachten und den Patienten und sein soziales Umfeld in die Behandlungsplanung einzubeziehen.
Definition des Therapieziels
Vor der Planung der Therapie muss die Festlegung eines sinnvollen Therapieziels erfolgen, dem eine Wertung der Gesamtsituation des Patienten zugrunde liegt. So kann ein und dieselbe Wunde mit unterschiedlichen Therapiezielen verbunden sein (s. Infobox und [Abb. 12] zu den Therapiezielen). Von besonderer Bedeutung ist die Unterscheidung,


-
ob voraussichtlich eine Abheilung der Wunde erreicht werden kann,
-
ob eine Stabilisierung der Wundverhältnisse als Behandlungsziel akzeptiert werden muss, da eine Abheilung nicht möglich erscheint, oder
-
ob nur eine Symptomkontrolle möglich ist.
Mögliche Therapieziele bei arterieller Verschlusskrankheit
Mögliche Therapieziele bei pAVK in unterschiedlichen Szenarien fasst [Abb. 12] zusammen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Therapieziel nicht nur die Umsetzung medizinischer Therapiemaßnahmen bedeutet, sondern der Patient eine möglichst hohe Lebensqualität wiedererhalten soll. Einschränkungen der Selbstständigkeit, das Selbstbild des Patienten und Auswirkungen auf sein soziales Umfeld sind Parameter, die dabei von Bedeutung sein können. Fehlt eine ausreichende Adhärenz des Patienten, kann dies allein die Abheilung einer bestehenden Wunde verhindern.
Deshalb muss das Therapieziel gemeinsam mit dem Patienten definiert und verbindlich vereinbart werden. Nur so kann der Patient aktiv in den Behandlungsablauf einbezogen werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da insbesondere bei Patienten mit chronischen Wunden ein erhebliches Selbstpflegedefizit vorliegen kann.
Das Therapieziel – Abheilung, Stabilisierung oder Symptomkontrolle der Wunde – bestimmt Art und Aufwand der Wundtherapie maßgeblich.
Das Ziel einer Abheilung rechtfertigt es, in einem umschriebenen Zeitraum auch einen hohen Aufwand zu betreiben. Dagegen sollte eine langfristig geplante Stabilisierung einer Wunde mit einem möglichst geringen Behandlungsaufwand durchgeführt werden.
Symptomkontrolle bedeutet bei infausten Wunden, z.B. bei Tumorerkrankungen, eine Geruchs- und Exsudatkontrolle zu erreichen.
Während der laufenden Behandlung sollte regelmäßig überprüft werden, ob das anfangs definierte Therapieziel weiterhin beibehalten werden kann.
Letztendlich lassen sich in der Wundbehandlung Therapieverfahren in ihrem Aufwand nur dann vergleichen, wenn das gleiche Therapieziel verfolgt oder erreicht wurde. Dieser Aspekt ist für die Auswertbarkeit von Behandlungsverfahren aus Sicht eines Qualitätsmanagements von wesentlicher Bedeutung.
Therapieplanung
In die medizinische Therapieplanung gehen alle Ursachen einer Wundheilungsstörung ein, die im Rahmen der strukturierten Diagnostik evaluiert werden können. Nicht beeinflussbare Ursachen reduzieren die Wirksamkeit der geplanten Therapie. Ursachen und Erkrankungen, die sich therapeutisch beeinflussen lassen, sind meistens multifaktoriell und erfordern häufig ein Bündel verschiedenartiger Maßnahmen. Um diese in eine sinnvolle Ordnung eines Therapiepfads bringen zu können, ist eine Planung in 3 Schritten hilfreich ([Abb. 13]):


-
Initialtherapie,
-
Schlüsseltherapie,
-
Konsolidierende Therapie.
Initialtherapie
Die Initialtherapie soll die Wunde konditionieren und die Gesamtsituation des Patienten soweit stabilisieren, dass die nachfolgende Schlüsseltherapie optimal wirken kann. Dies wird durch zwei Maßnahmenfelder erreicht:
Die Wundkonditionierung soll die Wunde in eine Ausgangssituation bringen, die für die weitere Behandlung möglichst günstig ist. Dabei ist das definierte Therapieziel von Bedeutung. Die Wunde soll in einen Zustand versetzt werden, der eine Wundheilung zulässt. Insbesondere soll eine akute Verschlechterung der Wunde, z.B. durch eine Infektion, behandelt werden. Die im Zusammenhang mit einer Chronifizierung entstandenen Veränderungen müssen beseitigt werden, um eine heilungsfähige Wundsituation herzustellen. Lokale Störfaktoren, wie eine fehlende Ruhigstellung oder Kontaktallergien, müssen berücksichtigt werden.
Neben wundheilungsphasengerechten Verbänden kommt eine lokale Wundbehandlung zur Anwendung ([Tab. 3]). Dazu wurden auch klinisch erprobte ähnliche Vorgangsweisen beschrieben [9]. Die Unterdrucktherapie wird zur lokalen Wundbehandlung eingesetzt, wobei unterschiedliche Wirkungen dieser Verbandstechnik genutzt werden, aber auch Kontraindikationen beachtet werden sollten (s. Infobox).
Beispiele für Indikationen und Kontraindikationen zum Einsatz der Unterdrucktherapie
Indikationen
-
temporäre Defektdeckung frischer Wunddefekte, z.B. nach Tumorresektionen
-
Vermeidung einer Wundkontamination
-
Unterstützung der Bildung von Granulationsgewebe
-
kontrollierte Exsudationsableitung
-
Unterstützung einer Spalthauttransplantation
-
mechanische Stabilisierung der Wundregion
Kontraindikationen
-
nekrotischer Wundgrund
-
Minderperfusion des Wundgrunds
-
manifeste Wundinfektion
-
ausgeprägte Exsudatbildung
-
Unmöglichkeit einer gasdichten Abdeckung des Verbands
Systemisch unterstützende Maßnahmen sollen die Umfeldbedingungen der Wunde und des Patienten optimieren, um die Wundheilung zu unterstützen. Die Behandlung einer Herzinsuffizienz ist bei Wunden, die in Ödembezirken liegen, von besonderer Bedeutung. Wesentliche Begleiterkrankungen müssen gezielt behandelt werden, wie die Einstellung eines Diabetes mellitus. Die Therapieoptimierung eines Morbus Parkinson verbessert die Mobilität und das Essverhalten. Bei minderernährten Patienten sollte der Schweregrad der Kachexie evaluiert und das bestehende Ernährungsdefizit ausgeglichen werden.
Schlüsseltherapie
Die Schlüsseltherapie stellt die Kernmaßnahme im Rahmen der Wundtherapie dar und bezieht sich auf die Ursache der Wundentstehung.
Allerdings sollte sie erst zum Einsatz kommen, wenn die Maßnahmen der Initialtherapie umgesetzt wurden. Ist sie erfolgreich anwendbar, kann erfahrungsgemäß meistens eine Abheilung der bestehenden Wunde erreicht werden. Kann eine Schlüsseltherapie nicht durchgeführt werden, sind häufig die zusätzlichen Therapiemaßnahmen allein nicht ausreichend genug wirksam, um eine Abheilung zu erreichen. Dies gilt insbesondere für lokale Verbände und eine lokale Wundtherapie allein. Zu den Schlüsseltherapien gehört die Behandlung der Grunderkrankung, die zur Ausbildung von Wunden geführt hat. Beispielsweise ist das die Therapie einer Vaskulitis oder Dermatose, aber auch das Absetzen von Medikamenten, die zu Wunden führen können, wie Hydroxyurea (Litalir) und Imatinib (Glivec).
Da chronische Wunden am häufigsten auf Erkrankungen aus dem Formenkreis der arteriellen Verschlusskrankheit, der venösen Stauungsinsuffizienz, des diabetischen Fußes und des Dekubitus zurückzuführen sind, werden die typischen Schlüsseltherapien dafür in der folgenden Infobox aufgeführt.
Beispiele für Schlüsseltherapien häufiger Krankheitsbilder
Arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV
-
Revaskularisation
Ulcus cruris venosum
-
Kompressionstherapie
-
bei ausgeprägter Dermatoliposklerose: Abrasionsnekrektomie, Fasziektomie
-
bei ausgeprägter Varikosis: Varizenoperation
Diabetischer Fuß
-
Revaskularisation
-
Druckentlastung durch geeignete Entlastungsmaßnahmen:
-
Schuhzurichtung
-
Orthetik
-
innere Amputationen
-
Filzen
-
Dekubitus
-
Druckentlastung durch geeignete Hilfsmittel
-
Lagerungstherapie
-
Bewegungsförderung
Konsolidierende Therapie
Die konsolidierende Therapie besteht zum einen aus einer weiteren Begleitung der Abheilung der Wunde durch konsolidierende Maßnahmen, insbesondere eines geeigneten Verbandsregimes, aber auch eines plastischen Defektverschlusses [10]. Darüber hinaus muss eine dauerhafte Stabilisierung der Wunde oder im Fall einer Abheilung eine konsequente Rezidivprophylaxe betrieben werden. Die übliche konsolidierende Therapie für die häufigsten Wundentitäten chronischer Wunden fasst die Infobox zusammen.
Beispiele für konsolidierende Therapien häufiger Krankheitsbilder
Arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV
-
Antikoagulation
-
Gehtraining
-
Therapie erhöhter Blutfette
Ulcus cruris venosum
-
Tragen von Kompressionsstrümpfen
-
Hautpflege
Diabetischer Fuß
-
konsequente Nutzung geeigneter Schuhversorgung (Diabetikerschutzschuh, orthopädische Maßschuhe)
-
podologische Versorgung von Fußnägeln und Hyperkeratosen
Dekubitus
-
Bewegungsförderung
-
Krankengymnastik
-
Kontrakturprophylaxe
-
konsequente Anwendung und regelmäßige Anpassung druckentlastender Hilfsmittel
Abschließende Betrachtung
Eine systematische Diagnostik und Therapieplanung nach Definition eines Therapieziels tragen dazu bei, dass die Ursachen einer Wundheilungsstörung vollständig erfasst und in einer sinnvollen Reihenfolge therapeutisch angegangen werden. Das Therapieziel ist dabei wegweisend für den Behandlungsaufwand.
Die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden ist ein komplexes Aufgabengebiet, das den interdisziplinären Einsatz verschiedener medizinischer Fachgebiete und eine interprofessionelle Betreuung durch unterschiedliche Berufsgruppen erfordert. Anzustreben ist eine enge intersektorale Zusammenarbeit stationärer und ambulanter Versorgungseinrichtungen. Dabei ist es geboten, dass die Behandlungsverfahren von Ärzten gesteuert werden, die spezielle Kenntnisse in der Behandlung chronischer Wunden besitzen. Die Etablierung von Wundzentren ist in diesem Zusammenhang sinnvoll.
Gegenwärtig werden für die Behandlung chronischer Wunden in Deutschland schätzungsweise 2–4 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Die Entwicklung effektiver und effizienter Versorgungsstrategien ist daher aus medizinischen und ökonomischen Gründen erforderlich. Die von einzelnen Fachverbänden und Vereinigungen entwickelten Verbesserungsvorschläge zur Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden sollten Eingang in die ärztliche Versorgungslandschaft finden. Dazu kann ein Behandlungsschema, das unabhängig von Wundentitäten anzuwenden ist, einen wesentlichen Beitrag leisten.
In diesem Zusammenhang wäre die Einführung eines Qualitätsmanagements in der Wundversorgung dazu geeignet, neue Impulse zu setzen. Ein strukturiertes ärztliches Vorgehen mit umfassender Diagnostik und die Formulierung eines für den Patienten adäquaten Therapieziels kann zur Definition vergleichbarer Ausgangssituationen für einen therapeutischen Ansatz führen
Dabei ist von besonderer medizinischer und ökonomischer Bedeutung, dass es sinnvoll ist, in limitierter Zeit einen hohen Behandlungsaufwand zu betreiben, wenn das begründete Behandlungsziel in der Abheilung der Wunde besteht. Eine stabilisierende Therapie sollte dagegen wirksam, aber mit einem möglichst geringen Aufwand durchgeführt werden. Basierend auf Registerstudien könnten so Effektivität und Effizienz von Behandlungsmethoden umfassend bewertet werden. Das Ziel dabei sollte sein, möglichst vielen Patienten eine wirkungsvolle Therapie zur Verfügung zu stellen, um deren Lebensqualität so weit wie möglich zu verbessern.
-
Jeder Chirurg sollte die Grundlagen zur Erkennung von Wundheilungsstörungen und deren Behandlung kennen. Eine ungezielte Therapie von chronischen Wunden entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand der Wundtherapie.
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Durch ein besseres Verständnis der physiologischen Wundheilung mit ihren einzelnen aufeinander folgenden Phasen relativeren sich die gebräuchlichen Definitionen einer akuten und chronischen Wunde oder einer Primär- und Sekundärheilung.
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Der fehlende Übergang einer Wundheilungsphase in die nächste kennzeichnet eine Wundheilungsstörung, die als pathologischer Vorgang wie eine Erkrankung ärztlicher Behandlung bedarf.
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Eine umfassende Diagnostik mit Bestimmung eines Therapieziels und eine strukturierte Therapie sind erforderlich, um die Behandlung einer Wundheilungsstörung möglichst wirksam durchzuführen.
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Dieses strukturierte Vorgehen, das ohne Widerspruch zu etablierten Verfahren eingesetzt werden kann, wäre geeignet, als Basis für ein Qualitätsmanagement in der Wundbehandlung zu dienen, indem Daten eines Wundregisters ausgewertet werden können.
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Ziel modernen Wundmanagements bleibt, die Lebensqualität der Patienten mit chronischen Wunden so wirksam und nachhaltig wie möglich zu verbessern.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. Stefan Riedl, Göppingen.
Phlebologie 2022; 51: 201–212. doi: 10.1055/a-1818-1369
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Giebeler C, Rieke S, Riedl
S. Versorgung von chronischen Wunden und Wundheilungsstörungen. Allgemein- und Viszeralchirurgie
up2date 2020; 14: 449–462. doi: 10.1055/a-1133-1336
Dr. med. Christoph Giebeler
Dr. med., Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie, Oberarzt der Gefäßchirurgischen Klinik der Alb Fils Kliniken Göppingen. Mitglied im Curriculären Expertengremium der Initiative chronische Wunden (ICW) e.V. und Fachreferent zur Wundbehandlung, Spezialsprechstunde für Patienten mit chronischen Wunden und Wundheilungsstörungen.


Prof. Dr. med. Stefan Riedl
Prof. Dr. med. M.Sc., Chirurg, Unfall- und Visceralchirurg, Proktologe. Ausbildung an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Berufsbegleitendes Studium Krankenhausmanagement an der KFH Köln, Geschäftsführender Chefarzt des Allgemeinchirurgischen Zentrums der Alb Fils Kliniken Göppingen.


Interessenkonflikt
Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit
erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein;
Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Bereich der
Medizin aktiven Firma: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner,
Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen
berührten Firma: nein
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
-
Literatur
- 1 Kröger K, Dissemond J. Epidemiologie. In: Dissemond J, Kröger K. für die Initiative Wunden (ICW) e.V. Chronische Wunden. München: Urban & Fischer; 2020: 21-24
- 2 Augustin M, Dissemond J, Gerber V. et al. Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgungsstruktur für Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland. Deutscher Wundrat e.V. 2019. www.bvmed.de>download> empfehlungen-zur-verbesserung-der-versorgungsstruktur-fuer-menschen-mit-chronischen-wunden-in-deutschland.pdf.
- 3 AWMF. S3-Leitlinie 091–001 Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, PAVK und Diabetes mellitus. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/091-001.html
- 4 AWMF. S1-Leitlinie 179–008 Querschnittspezifische Dekubitusbehandlung und -prävention. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/179-008.html
- 5 AWMF. S3-Leitlinie 128–001 OL Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/128-00101.html
- 6 Tautenhahn J, Jannasch O, Lippert H. Wunde, Wundheilung, Wundbehandlung. Allg Viszeralchir up2date 2007; (03) 201-216
- 7 Protz K, Dissemond J. Systematik der Wundtherapeutika. In: Dissemond J, Kröger K. für die Initiative Chronische Wunden (ICW) e.V. Chronische Wunden. München: Urban & Fischer; 2020: 203-239
- 8 Dissemond J. Blickdiagnose chronischer Wunden. Viavital Verlag GmbH; Köln: 2016
- 9 Dissemond J, Kröger K. Systematik der Lokaltherapie chronischer Wunden – das M.O.I.S.T.-Konzept. In: Dissemond J, Kröger K. für die Initiative Chronische Wunden (ICW) e.V. Chronische Wunden. München: Urban & Fischer; 2020: 187-189
- 10 Möllhoff N, Ehrl D, Giunta RE. Defektdeckung nach schweren Weichteilinfektionen: wann und wie?. Chirurg 2020; 91: 313-318
Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
10. August 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
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Literatur
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