Schlüsselwörter
chronische Wunde - Wundmanagement - Wundheilungsstörung - pAVK
Keywords
chronic wound - wound management - impaired wound healing - wound healing disorder
Abkürzungen
COPD:
chronisch obstruktive Lungenerkrankung
pAVK:
periphere arterielle Verschlusskrankheit
Einleitung
In Deutschland werden etwa 4 Millionen Menschen mit chronischen Wunden versorgt. Die
Prävalenz liegt bei ca. 1,2%. Diese wird mit der Alterszunahme der Bevölkerung weiter
steigen und durch die Zunahme von Gefäßerkrankungen, des Diabetes mellitus und körperlicher
Immobilität begünstigt [1]. Zu den häufigsten Wundentitäten zählen
-
das diabetische Fußulkus,
-
Wunden bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK),
-
das Ulcus cruris venosum und
-
der Dekubitus.
Eine chronische Wunde wird als nicht heilender Defekt der Haut und ihrer anhängenden
Strukturen über mehr als 8 Wochen verstanden. Die Eingrenzung einer spezialisierten
Wundbehandlung auf chronische Wunden ist nicht sinnvoll. Akute Wunden, die nicht abheilen,
werden zu chronischen Wunden, müssen aber in ihrer Ursache viel früher behandelt werden
[2]. Aus der Kenntnis der physiologischen Wundheilung lässt sich eine differenzierte
Sichtweise ableiten.
Bisher wurden Therapieschemata entwickelt, die sich auf spezielle Wunden und Erkrankungen
beziehen [3]
[4]
[5]. Die im Folgenden dargestellte Behandlungsstruktur lässt sich bei allen Wundentitäten
anwenden, ohne im Widerspruch zu etablierten Verfahren zu stehen.
Die physiologische Wundheilung
Die physiologische Wundheilung
Von der Entstehung einer Primärläsion bis zu deren Abheilung werden nacheinander physiologische
Reparaturmechanismen aktiviert und durchschritten, die in aufeinander folgende Phasen
der Wundheilung eingeteilt werden können [6]:
In der Defektphase gibt es viele unterschiedliche Ursachen für die Entstehung einer Primärläsion. Diese
kann durch ein Trauma akut entstehen. Ein lokaler Gewebeuntergang im Sinne einer Nekrose
kann sich perfusionsbedingt, thermisch oder bei lokalem Druck entwickeln. Gewebeläsionen
können auch durch eine Infektion, z.B. als Abszess oder als Symptom einer systemischen
Erkrankung, auftreten. In der Phase der Defektentstehung steht die Blutstillung durch
Blutgerinnung mit Kapillarverschlüssen und der Ausbildung einer lokalen Hypoxie am
Anfang ([Abb. 1]).
Abb. 1 Wunde in der Defektphase nach Grenzzonenamputation mit angestrebter Sekundärheilung.
In der Exsudationsphase entwickelt sich eine nässende Wunde mit Fibrinbelägen. Ursächlich ist dafür eine
Permeabilitätsstörung der Kapillaren. Die Fibrinbeläge werden durch eine Kontamination
mit Bakterien zum Biofilm. Nekrotische Gewebeanteile werden durch Makrophagen und
Gewebeenzyme lysiert, sodass in dieser Phase vorwiegend ein Gewebeabbau erfolgt. Dadurch
bildet sich das für diese Phase typische Exsudat, das die direkte Umgebung der Wunde
durch Feuchtigkeit und Proteolyse mazerieren und weiter schädigen kann. Die bakterielle
Kontamination des Exsudats fördert die lokale Entzündungsreaktion und kann zu einer
Infektexazerbation mit weiterem Gewebeuntergang führen ([Abb. 2]).
Abb. 2 Wunde des gleichen Patienten in der Exsudationsphase.
In der Granulationsphase kommt es wieder zu einem Gewebeaufbau. Dabei bilden sich Kapillaraussprossungen,
die von Fibroblasten umgeben werden. Es entsteht gut kapillarisiertes kollagenfaserreiches
Granulationsgewebe, das die Wunde als Regeneratgewebe zunehmend auskleidet und auffüllt,
sodass ein weitgehend vitaler Wundgrund resultiert ([Abb. 3]).
Abb. 3 Wunde des gleichen Patienten in der Granulationsphase.
In der Epithelisierungsphase dient das Granulationsgewebe an der Wundoberfläche als Ersatz für das Korium. Dieses
wird von den basalen Keratinozyten überwachsen, die aus den Rändern intakter Haut
stammen. In der Tiefe der Wunde bildet sich aus dem Granulationsgewebe zunehmend faserreiches
Bindegewebe, das zu einer Kontraktion der Wunde führt ([Abb. 4]).
Abb. 4 Wunde des gleichen Patienten in der Epithelisierungsphase kurz vor Abheilung.
In der Konsolidierungsphase bildet sich aus dem noch dünnen Epithel eine ausdifferenzierte und zunehmend belastbare
Hautschicht. Aus dem kollagenfaserreichen Bindegewebe in der Tiefe der Wunde entwickelt
sich eine stabile Narbe ([Abb. 5]).
Abb. 5 Wunde des gleichen Patienten in der Konsolidierungsphase.
Diese Wundheilungsphasen können an einer sekundär heilenden Wunde nacheinander beobachtet
werden, wenn auch mit ineinanderfließenden Übergängen. Die Primärheilung entspricht
dagegen einem Schnelldurchlauf der Wundheilungsphasen mit zügiger Epithelisierung
und geringer Narbenbildung.
Die Wundheilung kann als physiologischer Reparaturmechanismus verstanden werden, der
normalerweise zur Abheilung einer Wunde führt und keiner medizinischen Behandlung
bedarf.
Geeignete Verbandstechniken können aber die Wundheilung durch die Ausbildung eines
phasengerechten Wundmilieus unterstützen, dem Auftreten von Komplikationen vorbeugen
und dadurch die Wundheilung begünstigen (s. [Tab. 1]) [7].
Tab. 1 Wundheilungsphasengerechtes Verbandsregime (Beispiele).
Wundheilungsphase
|
Funktion des Verbands
|
Beispiele für Verbandstechniken
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Defektphase
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-
steriler Kompressenverband, bei größeren Exsudatmengen mit Superabsorber
-
als Verklebungsschutz Wunddistanzgitter
-
Polstermaterialien als Wundschutz
-
Ruhigstellung bei gelenknahen Wunden
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Exsudationsphase
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-
Aufnahme und Bindung von Wundexsudat
-
Entfernung von Biofilm und Krusten
-
Reduktion bakterieller Kontamination
-
Schutz der Wundumgebung vor Mazeration
|
-
mechanische Wundreinigung (Pinzette, Kürette, Kompresse u.a.)
-
antiseptische Wundspüllösungen
-
Alginate, Hydrofasern
-
silberhaltige Wundauflagen
-
Superabsorber: Polyacrylatverband zur maximalen Exsudatbindung und zum Wundrandschutz
-
Hautpflege in der Wundumgebung
|
Granulationsphase
|
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-
Hydropolymerverband
-
Polyurethan-Schaumverband
-
Hydrogel
-
Hydrokolloide
-
physiologische Wundspüllösungen
-
Hautpflege der Wundumgebung
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Epithelisierungsphase
|
|
|
Konsolidierungsphase
|
-
Hautschutz
-
Ödemprophylaxe
-
Druckprophylaxe
-
Keloidprophylaxe
|
|
Die Wundheilungsstörung
Neben heilenden Wunden gibt es Wunden, die nicht heilen. Diese Wunden zeichnen sich
dadurch aus, dass der physiologische Ablauf der Wundheilungsphasen unterbrochen ist.
Der fehlende Übergang der Wundheilung von einer Wundheilungsphase in die nächste kennzeichnet
eine Wundheilungsstörung.
Das Vorliegen einer Wundheilungsstörung lässt sich klinisch erkennen und beobachten.
Die Wundheilungsstörung kann in allen Phasen der Wundheilung auftreten und ist im
Gegensatz zum Begriff der chronischen Wunde unabhängig vom zeitlichen Verlauf der
Wundheilung zu verstehen ([Abb. 6]).
Abb. 6 Zusammenhang von Wundheilung und Wundheilungsstörung.
Aus einer Wundheilungsstörung entwickelt die Wunde im Laufe der Zeit durch eine chronische
Entzündungsreaktion Zeichen der Chronifizierung, die eine Heilung zusätzlich behindern.
Dazu gehören
-
die Sklerosierung des Wundgrunds durch minderperfundiertes Bindegewebe,
-
die Ausbildung wulstiger Wundränder, die eine Epithelisierung erschweren, und
-
das Entstehen von Hyperkeratosen in der Umgebung der Wunde.
Entsprechend der vorherrschenden Wundheilungsphase lassen sich bei einer Wundheilungsstörung
folgende Wundtypen erkennen:
Areaktive Wunden
Die areaktive Wunde tritt beispielsweise bei stark immunsupprimierten Patienten oder
in bestrahlten Gewebearealen auf. Entsteht ein traumatisch bedingter Defekt, bleibt
der Wundrand areaktiv, d.h. es bildet sich kein Granulationsgewebe, und es findet
keine Epithelisierung statt. Typisch sind auch Nekrosen infolge eines Extravasats
von Zytostatika. Die Wunde zeigt keine Veränderung in Richtung einer Heilungsreaktion
([Abb. 7]).
Abb. 7 Areaktive Abdominalwunde ohne Zeichen einer Granulation oder Epithelisierung.
Chronisch infizierte Wunden
Die chronisch infizierte Wunde ist vor allem bei bakterieller Infektion und insuffizienter
lokaler Abwehrkraft zu finden, z.B. bei Beteiligung bradytrophen Gewebes mit niedriger
Stoffwechselaktivität und geringer Kapillarisierung, aber auch in Kombination mit
einer schlechten Kapillarperfusion. Der lokale Infekt führt zu einem verstärkten Fibrinbelag
des Wundgrundes und einer vermehrten Exsudatbildung. Durch die schleichend verlaufende
lokale Entzündung breiten sich die Wundnekrosen aus, ohne dass sich stabile Wundränder
bilden. Dadurch kann es zur Beteiligung tiefer liegender Strukturen wie Sehnen und
Gelenke kommen ([Abb. 8]).
Abb. 8 Chronisch infizierte Wunde mit Wundbelägen und Exsudatbildung.
Hypergranulierende Wunden
Eine hypergranulierende Wunde entsteht bevorzugt an Stellen hoher Keimbelastung, mechanischer
Belastung und in warmem und feuchtem Milieu, z.B. in der Analfalte oder an Drainageaustrittstellen.
Das überschießende Granulationsgewebe kann nicht vom Epithel des Wundrands überwachsen
werden ([Abb. 9]).
Abb. 9 Hypergranulation: vulnerables Granulationsgewebe mit Blutungsneigung.
Epithelisierungsstörung
Die Epithelisierungsstörung kann sich bei einer verminderten Qualität des Granulationsgewebes
oder durch eine Wachstumsstörung des Epithels selbst entwickeln. Die Wundränder sind
scharf begrenzt oder zurückweichend. Bei Systemerkrankungen kann es auch zur Ausbildung
einer Wunde kommen, indem sich nach blasiger Abhebung des Epithels eine lokale Epithelnekrose
entwickelt, die das darunter liegende Gewebe freilegt ([Abb. 10]).
Abb. 10 Epithelisierungsstörung mit lividen fliehenden Wundrändern.
Behandlung von Wundheilungsstörungen
Behandlung von Wundheilungsstörungen
Wenn die Wundheilung als physiologischer Reparaturmechanismus des Körpers angesehen
wird, kann eine Wundheilungsstörung als Erkrankung verstanden werden, die medizinisches
Handeln erfordert.
Die Diagnose einer Wundheilungsstörung sollte zur unverzüglichen Einleitung einer
medizinischen Behandlung führen, um eine Chronifizierung der Wunde zu vermeiden ([Abb. 11]).
Abb. 11 Komponenten der medizinischen Wundbehandlung.
Diagnostik
Bereits das Aussehen der Wunde gibt wichtige Hinweise auf deren Ätiologie [8]. Auch die Lokalisation des fehlenden Phasenübergangs im Ablauf der Wundheilungsphasen
lässt Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Ursachen einer Wundheilungsstörung zu.
Da die Ursachen bei chronischen Wunden meistens jedoch multifaktoriell sind, ist eine
systematische Diagnostik mit möglichst vollständiger Bestandsaufnahme von lokalen,
regionalen und systemischen Ursachen erforderlich ([Tab. 2]).
Tab. 2 Beispiele für eine systematische Diagnostik bei Wundheilungsstörungen.
Systematik
|
Beispiele
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lokale Ursachen
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regionale Ursachen
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systemische Ursachen
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-
Systemerkrankungen
-
dermatologische Erkrankungen
-
Vaskulitis und Gefäßerkrankungen
-
systemische Infektionskrankheiten
-
metabolische Erkrankungen
-
Gerinnungsstörungen
-
genetische Syndrome
-
chronisch entzündliche Darmerkrankungen
-
Begleiterkrankungen
-
Herzinsuffizienz
-
COPD
-
Niereninsuffizienz
-
Leberzirrhose
-
Diabetes mellitus
-
Medikamentennebenwirkung
-
Hydroxyurea (Litalir)
-
Marcumar
-
Imatinib (Glivec)
-
patientenbedingt
-
soziales Umfeld
|
Ein Patient mit chronischen Wunden ist nicht selten sozial isoliert und körperlich
stark beeinträchtigt. Daher ist es von besonderer Bedeutung, nicht nur die Wundsituation,
sondern den Patienten ganzheitlich zu betrachten und den Patienten und sein soziales
Umfeld in die Behandlungsplanung einzubeziehen.
Definition des Therapieziels
Vor der Planung der Therapie muss die Festlegung eines sinnvollen Therapieziels erfolgen,
dem eine Wertung der Gesamtsituation des Patienten zugrunde liegt. So kann ein und
dieselbe Wunde mit unterschiedlichen Therapiezielen verbunden sein (s. Infobox und
[Abb. 12] zu den Therapiezielen). Von besonderer Bedeutung ist die Unterscheidung,
Abb. 12 Mögliche Therapieziele bei arterieller Verschlusskrankheit.
-
ob voraussichtlich eine Abheilung der Wunde erreicht werden kann,
-
ob eine Stabilisierung der Wundverhältnisse als Behandlungsziel akzeptiert werden
muss, da eine Abheilung nicht möglich erscheint, oder
-
ob nur eine Symptomkontrolle möglich ist.
Mögliche Therapieziele bei arterieller Verschlusskrankheit
Mögliche Therapieziele bei pAVK in unterschiedlichen Szenarien fasst [Abb. 12] zusammen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Therapieziel nicht nur die Umsetzung medizinischer
Therapiemaßnahmen bedeutet, sondern der Patient eine möglichst hohe Lebensqualität
wiedererhalten soll. Einschränkungen der Selbstständigkeit, das Selbstbild des Patienten
und Auswirkungen auf sein soziales Umfeld sind Parameter, die dabei von Bedeutung
sein können. Fehlt eine ausreichende Adhärenz des Patienten, kann dies allein die
Abheilung einer bestehenden Wunde verhindern.
Deshalb muss das Therapieziel gemeinsam mit dem Patienten definiert und verbindlich
vereinbart werden. Nur so kann der Patient aktiv in den Behandlungsablauf einbezogen
werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da insbesondere bei Patienten mit chronischen
Wunden ein erhebliches Selbstpflegedefizit vorliegen kann.
Das Therapieziel – Abheilung, Stabilisierung oder Symptomkontrolle der Wunde – bestimmt
Art und Aufwand der Wundtherapie maßgeblich.
Das Ziel einer Abheilung rechtfertigt es, in einem umschriebenen Zeitraum auch einen
hohen Aufwand zu betreiben. Dagegen sollte eine langfristig geplante Stabilisierung
einer Wunde mit einem möglichst geringen Behandlungsaufwand durchgeführt werden.
Symptomkontrolle bedeutet bei infausten Wunden, z.B. bei Tumorerkrankungen, eine Geruchs-
und Exsudatkontrolle zu erreichen.
Während der laufenden Behandlung sollte regelmäßig überprüft werden, ob das anfangs
definierte Therapieziel weiterhin beibehalten werden kann.
Letztendlich lassen sich in der Wundbehandlung Therapieverfahren in ihrem Aufwand
nur dann vergleichen, wenn das gleiche Therapieziel verfolgt oder erreicht wurde.
Dieser Aspekt ist für die Auswertbarkeit von Behandlungsverfahren aus Sicht eines
Qualitätsmanagements von wesentlicher Bedeutung.
Therapieplanung
In die medizinische Therapieplanung gehen alle Ursachen einer Wundheilungsstörung
ein, die im Rahmen der strukturierten Diagnostik evaluiert werden können. Nicht beeinflussbare
Ursachen reduzieren die Wirksamkeit der geplanten Therapie. Ursachen und Erkrankungen,
die sich therapeutisch beeinflussen lassen, sind meistens multifaktoriell und erfordern
häufig ein Bündel verschiedenartiger Maßnahmen. Um diese in eine sinnvolle Ordnung
eines Therapiepfads bringen zu können, ist eine Planung in 3 Schritten hilfreich ([Abb. 13]):
Abb. 13 Therapieplanung beim Ulcus cruris.
Initialtherapie
Die Initialtherapie soll die Wunde konditionieren und die Gesamtsituation des Patienten
soweit stabilisieren, dass die nachfolgende Schlüsseltherapie optimal wirken kann.
Dies wird durch zwei Maßnahmenfelder erreicht:
Die Wundkonditionierung soll die Wunde in eine Ausgangssituation bringen, die für die weitere Behandlung
möglichst günstig ist. Dabei ist das definierte Therapieziel von Bedeutung. Die Wunde
soll in einen Zustand versetzt werden, der eine Wundheilung zulässt. Insbesondere
soll eine akute Verschlechterung der Wunde, z.B. durch eine Infektion, behandelt werden.
Die im Zusammenhang mit einer Chronifizierung entstandenen Veränderungen müssen beseitigt
werden, um eine heilungsfähige Wundsituation herzustellen. Lokale Störfaktoren, wie
eine fehlende Ruhigstellung oder Kontaktallergien, müssen berücksichtigt werden.
Neben wundheilungsphasengerechten Verbänden kommt eine lokale Wundbehandlung zur Anwendung
([Tab. 3]). Dazu wurden auch klinisch erprobte ähnliche Vorgangsweisen beschrieben [9]. Die Unterdrucktherapie wird zur lokalen Wundbehandlung eingesetzt, wobei unterschiedliche
Wirkungen dieser Verbandstechnik genutzt werden, aber auch Kontraindikationen beachtet
werden sollten (s. Infobox).
Tab. 3 Beispiele für eine lokale Wundtherapie.
Wundheilungsstörung
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Therapieziel
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Beispiele für therapeutische Maßnahmen
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-
Debridement (mechanisch, enzymatisch, Madentherapie)
-
Wundspülung (intermittierend, kontinuierlich)
-
Applikation bakterizider Wirkstoffe (Wundspüllösungen, Antibiotika, silber- oder polyhexanidhaltige
Materialien)
-
Therapie infizierter Gelenke, Sehnen oder Faszien
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-
mechanischer Schutz der Wundoberfläche durch Okklusionsverband und Hautpflege
-
Sekundärnaht
-
Abtragen überstehender Wundränder
-
Hauttransplantation, ggf. unterstützt durch Unterdrucktherapie
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Beispiele für Indikationen und Kontraindikationen zum Einsatz der Unterdrucktherapie
Indikationen
-
temporäre Defektdeckung frischer Wunddefekte, z.B. nach Tumorresektionen
-
Vermeidung einer Wundkontamination
-
Unterstützung der Bildung von Granulationsgewebe
-
kontrollierte Exsudationsableitung
-
Unterstützung einer Spalthauttransplantation
-
mechanische Stabilisierung der Wundregion
Kontraindikationen
-
nekrotischer Wundgrund
-
Minderperfusion des Wundgrunds
-
manifeste Wundinfektion
-
ausgeprägte Exsudatbildung
-
Unmöglichkeit einer gasdichten Abdeckung des Verbands
Systemisch unterstützende Maßnahmen sollen die Umfeldbedingungen der Wunde und des Patienten optimieren, um die Wundheilung
zu unterstützen. Die Behandlung einer Herzinsuffizienz ist bei Wunden, die in Ödembezirken
liegen, von besonderer Bedeutung. Wesentliche Begleiterkrankungen müssen gezielt behandelt
werden, wie die Einstellung eines Diabetes mellitus. Die Therapieoptimierung eines
Morbus Parkinson verbessert die Mobilität und das Essverhalten. Bei minderernährten
Patienten sollte der Schweregrad der Kachexie evaluiert und das bestehende Ernährungsdefizit
ausgeglichen werden.
Schlüsseltherapie
Die Schlüsseltherapie stellt die Kernmaßnahme im Rahmen der Wundtherapie dar und bezieht
sich auf die Ursache der Wundentstehung.
Allerdings sollte sie erst zum Einsatz kommen, wenn die Maßnahmen der Initialtherapie
umgesetzt wurden. Ist sie erfolgreich anwendbar, kann erfahrungsgemäß meistens eine
Abheilung der bestehenden Wunde erreicht werden. Kann eine Schlüsseltherapie nicht
durchgeführt werden, sind häufig die zusätzlichen Therapiemaßnahmen allein nicht ausreichend
genug wirksam, um eine Abheilung zu erreichen. Dies gilt insbesondere für lokale Verbände
und eine lokale Wundtherapie allein. Zu den Schlüsseltherapien gehört die Behandlung
der Grunderkrankung, die zur Ausbildung von Wunden geführt hat. Beispielsweise ist
das die Therapie einer Vaskulitis oder Dermatose, aber auch das Absetzen von Medikamenten,
die zu Wunden führen können, wie Hydroxyurea (Litalir) und Imatinib (Glivec).
Da chronische Wunden am häufigsten auf Erkrankungen aus dem Formenkreis der arteriellen
Verschlusskrankheit, der venösen Stauungsinsuffizienz, des diabetischen Fußes und
des Dekubitus zurückzuführen sind, werden die typischen Schlüsseltherapien dafür in
der folgenden Infobox aufgeführt.
Beispiele für Schlüsseltherapien häufiger Krankheitsbilder
Arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV
Ulcus cruris venosum
-
Kompressionstherapie
-
bei ausgeprägter Dermatoliposklerose: Abrasionsnekrektomie, Fasziektomie
-
bei ausgeprägter Varikosis: Varizenoperation
Diabetischer Fuß
Dekubitus
Konsolidierende Therapie
Die konsolidierende Therapie besteht zum einen aus einer weiteren Begleitung der Abheilung
der Wunde durch konsolidierende Maßnahmen, insbesondere eines geeigneten Verbandsregimes,
aber auch eines plastischen Defektverschlusses [10]. Darüber hinaus muss eine dauerhafte Stabilisierung der Wunde oder im Fall einer
Abheilung eine konsequente Rezidivprophylaxe betrieben werden. Die übliche konsolidierende
Therapie für die häufigsten Wundentitäten chronischer Wunden fasst die Infobox zusammen.
Beispiele für konsolidierende Therapien häufiger Krankheitsbilder
Arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV
Ulcus cruris venosum
Diabetischer Fuß
-
konsequente Nutzung geeigneter Schuhversorgung (Diabetikerschutzschuh, orthopädische
Maßschuhe)
-
podologische Versorgung von Fußnägeln und Hyperkeratosen
Dekubitus
Abschließende Betrachtung
Abschließende Betrachtung
Eine systematische Diagnostik und Therapieplanung nach Definition eines Therapieziels
tragen dazu bei, dass die Ursachen einer Wundheilungsstörung vollständig erfasst und
in einer sinnvollen Reihenfolge therapeutisch angegangen werden. Das Therapieziel
ist dabei wegweisend für den Behandlungsaufwand.
Die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden ist ein komplexes Aufgabengebiet,
das den interdisziplinären Einsatz verschiedener medizinischer Fachgebiete und eine
interprofessionelle Betreuung durch unterschiedliche Berufsgruppen erfordert. Anzustreben
ist eine enge intersektorale Zusammenarbeit stationärer und ambulanter Versorgungseinrichtungen.
Dabei ist es geboten, dass die Behandlungsverfahren von Ärzten gesteuert werden, die
spezielle Kenntnisse in der Behandlung chronischer Wunden besitzen. Die Etablierung
von Wundzentren ist in diesem Zusammenhang sinnvoll.
Gegenwärtig werden für die Behandlung chronischer Wunden in Deutschland schätzungsweise
2–4 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Die Entwicklung effektiver und effizienter
Versorgungsstrategien ist daher aus medizinischen und ökonomischen Gründen erforderlich.
Die von einzelnen Fachverbänden und Vereinigungen entwickelten Verbesserungsvorschläge
zur Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden sollten Eingang in die ärztliche
Versorgungslandschaft finden. Dazu kann ein Behandlungsschema, das unabhängig von
Wundentitäten anzuwenden ist, einen wesentlichen Beitrag leisten.
In diesem Zusammenhang wäre die Einführung eines Qualitätsmanagements in der Wundversorgung
dazu geeignet, neue Impulse zu setzen. Ein strukturiertes ärztliches Vorgehen mit
umfassender Diagnostik und die Formulierung eines für den Patienten adäquaten Therapieziels
kann zur Definition vergleichbarer Ausgangssituationen für einen therapeutischen Ansatz
führen
Dabei ist von besonderer medizinischer und ökonomischer Bedeutung, dass es sinnvoll
ist, in limitierter Zeit einen hohen Behandlungsaufwand zu betreiben, wenn das begründete
Behandlungsziel in der Abheilung der Wunde besteht. Eine stabilisierende Therapie
sollte dagegen wirksam, aber mit einem möglichst geringen Aufwand durchgeführt werden.
Basierend auf Registerstudien könnten so Effektivität und Effizienz von Behandlungsmethoden
umfassend bewertet werden. Das Ziel dabei sollte sein, möglichst vielen Patienten
eine wirkungsvolle Therapie zur Verfügung zu stellen, um deren Lebensqualität so weit
wie möglich zu verbessern.
-
Jeder Chirurg sollte die Grundlagen zur Erkennung von Wundheilungsstörungen und deren
Behandlung kennen. Eine ungezielte Therapie von chronischen Wunden entspricht nicht
mehr dem aktuellen Stand der Wundtherapie.
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Durch ein besseres Verständnis der physiologischen Wundheilung mit ihren einzelnen
aufeinander folgenden Phasen relativeren sich die gebräuchlichen Definitionen einer
akuten und chronischen Wunde oder einer Primär- und Sekundärheilung.
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Der fehlende Übergang einer Wundheilungsphase in die nächste kennzeichnet eine Wundheilungsstörung,
die als pathologischer Vorgang wie eine Erkrankung ärztlicher Behandlung bedarf.
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Eine umfassende Diagnostik mit Bestimmung eines Therapieziels und eine strukturierte
Therapie sind erforderlich, um die Behandlung einer Wundheilungsstörung möglichst
wirksam durchzuführen.
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Dieses strukturierte Vorgehen, das ohne Widerspruch zu etablierten Verfahren eingesetzt
werden kann, wäre geeignet, als Basis für ein Qualitätsmanagement in der Wundbehandlung
zu dienen, indem Daten eines Wundregisters ausgewertet werden können.
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Ziel modernen Wundmanagements bleibt, die Lebensqualität der Patienten mit chronischen
Wunden so wirksam und nachhaltig wie möglich zu verbessern.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Stefan Riedl, Göppingen.
Zitierweise für diesen Artikel
Phlebologie 2022; 51: 201–212. doi: 10.1055/a-1818-1369
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Giebeler C, Rieke S, Riedl
S. Versorgung von chronischen Wunden und Wundheilungsstörungen. Allgemein- und Viszeralchirurgie
up2date 2020; 14: 449–462. doi: 10.1055/a-1133-1336