Psychiatr Prax 2022; 49(04): 227
DOI: 10.1055/a-1824-4044
Mitteilungen BDK

Arbeitskreis Digitalisierung der Bundesdirektorenkonferenz

 

    Das erste Treffen des Arbeitskreises wurde im Oktober 2019 in Göttingen als Präsenzveranstaltung durchgeführt. Es stand unter dem Eindruck, dass die Digitalisierung von Arbeits- und Behandlungsprozessen das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie als Gesamtsystem verändert. Entsprechend anspruchsvoll war auch die Auswahl der ersten Arbeitsschwerpunkte des Arbeitskreises.

    Ein Fokus war zunächst der Wunsch nach Entscheidungshilfen für die Auswahl von Therapieapplikationen zur eigenständigen Nutzung durch Patient*innen als Selbstmanagementinterventionen. Da zu diesem Zeitpunkt der gerade erst beginnende Zulassungsprozess für digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA) noch keine Orientierungshilfen bot, erschien das Feld mit einer hohen Zahl digitaler Gesundheitsapps kaum überschaubar. Die zunächst geplante Erstellung eines Überblicks erwies sich daher aufgrund der Ressourcen des Arbeitskreises und der unüberschaubaren Zahl der Gesundheitsapplikationen als nicht umsetzbar. Ein weiterer Themenwunsch zum Start des Arbeitskreises war die Anpassung von Krankenhausinformationssystemen an die speziellen Anforderungen der Psychiatrie und Psychotherapie. Hier begannen wir Ende 2019 einen Austausch zwischen den Teilnehmern, der allerdings durch die plötzlichen neuen Anforderungen durch die Coronapandemie Anfang 2020 zunächst unterbrochen wurde.

    Auf dem BDK-Treffen in Emmendingen im Herbst 2021 wurde in Anknüpfung an dieses Thema der Wunsch der Klinikleiter*innen nach Unterstützung bei der Auswahl und Optimierung von digitalen Therapieplattformen formuliert. Als Neustart der Arbeitskreisarbeit führten wir im März 2022 einen ersten Workshop zu diesem Thema durch, der als Prototyp weiterer Veranstaltungen dienen soll. Ziel dieses Workshops war die Definition der Anforderung von digitalen Therapieplattformen und -applikationen für den Einsatz in Kliniken und insbesondere in der sektorübergreifenden Behandlung. Es zeigte sich, dass die DIGA inzwischen z. B. in Institutsambulanzen auch als unterstützte Selbstmanagementanwendungen, d. h. auch mit Einbindung von Behandlern, eingesetzt werden. Diese Beteiligung von Ärzt*innen und psychologischen Psychotherapeut*innen stellt bereits eine erfreuliche Erweiterung des ursprünglichen DIGA Prinzips dar, das ja keine Einbindung von Behandlern in die Anwendung vorsah. Der initiale Ausschluss der Behandler*innen erklärt möglicherweise auch die eher zögerliche Verordnung von DIGA mit insgesamt knapp 40 000 Verordnungen zwischen 09/2020 und 09/2021 laut DIGA-Report der GKV.

    Dementsprechend diskutierten wir im Workshop auch die Auswahl bzw. Anpassung von IT-Plattformen zur kooperativen Nutzung durch Patient*innen und Therapeut*innen im Sinne des „Blended Care“-Prinzips. Idealerweise sollten solche Systeme Patient*innen einen niederschwelligen Zugang zu gestuften, sektorübergreifenden Versorgungsangeboten bieten, die in Deutschland bisher kaum verwirklicht sind. Ein Grund hierfür liegt möglicherweise in der fehlenden Anpassung der gesetzlichen Finanzierungsmöglichkeiten auf die Bedarfe im Fachgebiet. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist auch das Investitionsprogramm im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes. Für die Investitionsplanung fehlt zudem häufig eine lokale Digitalstrategie und eine Orientierung darüber, welche Systeme tatsächlich für die Patientenbehandlung in der Psychiatrie und Psychotherapie geeignet sind. Als mögliche Planungshilfe erwies sich im Workshop das Instrument der Patientenreise als sehr hilfreich, um die benötigten Systeme und Einzelapplikationen zu identifizieren. Die in der Softwareentwicklung regelmäßig eingesetzte Perspektive der Nutzererfahrung auf der Nutzerreise durch die IT-Anwendung in verschiedenen Behandlungsschritten bietet die Möglichkeit, ein IT-System bereits in der Planungsphase zu simulieren und so an die alltäglichen Bedarfe der Nutzer anzupassen.

    Auf der Basis der bisherigen Arbeit wird der Arbeitskreis im September 2022 ein Treffen mit mehreren Workshops durchführen. Themen werden die Definition von digital unterstützen Behandlungspfaden auf der Basis der Patientenreise, neue Möglichkeiten der telemedizinischen Interaktion und digitale Behandlungsplattformen im regionalen Versorgungskontext sein. Wir wollen herausfinden, wie sich mit diesen Werkzeugen auch für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen niederschwellige Zugänge zu psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystemen entwickeln lassen. Wir planen, neben professionellen Behandlern auch Patienten und Angehörige zu beteiligen, um so Nutzererfahrungen in die Gestaltung zukünftiger Digitalstrategien für die Psychiatrie und Psychotherapie einzubringen. Die Ankündigung dieser Veranstaltung wird in Kürze über die BDK-Webseite verfügbar sein.

    Prof. Dr. med. Knut Schnell, Göttingen


    #

    Publication History

    Article published online:
    06 May 2022

    © 2022. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany