Liebe Leserinnen und Leser,
die Zeit des Übergangs zwischen Jugend und Erwachsenenalter ist eine besondere, aber
auch sehr herausfordernde Phase für junge Menschen. In der Literatur wird diese Phase
als Adoleszenz, z. T. auch als „emerging adulthood“ bezeichnet. Wichtige Entwicklungsaufgaben
sind der Aufbau neuer sozialer Beziehungen und fester Partnerschaften, der Aufbau
eines eigenen Haushalts und der Einstieg in das Berufsleben. Auch die Identitätsentwicklung
ist zentral. Diese Transitionszeit, die insbesondere die Lebensjahre zwischen 16 und
25 Jahren (z. T. auch 27 Jahren) umfasst, stellt junge Menschen aufgrund der Fülle
von Entwicklungsaufgaben vor vielfältigen Herausforderungen. Daher ist die Adoleszenz
eine Zeit, in der eine hohe Heterogenität bezüglich der Entwicklungsaufgaben vorliegen
kann, auch innerhalb einer normativen Entwicklung. So kann es sehr selbstständige
18-jährige Personen geben, aber auch Personen in ihren 20iger Jahren, die sich noch
in Ausbildung befinden und ggf. noch bei den Eltern wohnen.
Junge Menschen mit psychischen Erkrankungen werden in dieser Zeit besonders gefordert.
Zentral ist ein gutes soziales Unterstützungssystem, das junge Menschen bei der Bewältigung
dieser Entwicklungsaufgaben hilft. Leider fehlt genau dieses häufig in unserer heutigen
Versorgungsrealität. Mit dem Übertritt ins Erwachsenenalter steht für diese jungen
Menschen mit (chronischen) psychischen Erkrankungen auch ein Systemwechsel von der
Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in die Erwachsenenpsychiatrie. Diese
Übergänge sind häufig nicht gut organisiert und können damit Entwicklungseinbrüche
und Behandlungsabbrüche nach sich ziehen.
Neben der Transition im medizinischen Bereich stehen junge Menschen mit psychischen
Erkrankungen auch in anderen Bereichen vor einem Systemwechsel, etwa von der Kinder-
und Jugendhilfe in den Bereich der Eingliederungshilfe. Auch diese Wechsel können
eine Reihe von zusätzlichen Belastungen für die jungen Menschen mit sich bringen.
Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz und dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz will
der Gesetzgeber diesen Problemen begegnen. Die Rechte der jungen Volljährigen sollen
gestärkt und eine verbesserte Zusammenarbeit der Schnittstellen im Übergang erreicht
werden.
Das vorliegende Themenheft der Nervenheilkunde berichtet über die Chancen und Herausforderungen
dieser Entwicklungen und beinhaltet 6 Publikationen aus 2 wissenschaftlichen Projekten
zum Thema Transition. Im Projekt ProTransition liegt der Fokus auf der Transition
im medizinischen Bereich. Das Projekt „Dazugehören BaWü“ fokussiert auf den Übergang
von der Kinder- und Jugendhilfe in die Eingliederungshilfe.
Die Herausforderungen und Problematiken in der Transition im psychiatrischen Bereich
führen bei adoleszenten Patienten zu einer niedrigeren Inanspruchnahme von Behandlungen,
zu einer erhöhten Rate an Therapieabbrüchen und einer unzureichenden Kontinuität in
der psychiatrischen Versorgung. Ein zentraler Ansatz diesen Problemen zu begegnen
ist es, eine ausreichende fachliche Expertise bei den beteiligten Fachkräften sicherzustellen.
In ihrem Beitrag beschreiben Elisa König und Kollegen die Entwicklung und Inhalte
des Online-Kurs „ProTransition“ für Fachkräfte aus den Heilberufen zur Thematik der
Transition. Ayca Ilgaz et al. fokussieren in ihrem Artikel auf Unterstützungsmöglichkeiten
von Betroffenen und stellen traditionelle und neue digitale Möglichkeiten (ProTransition-App)
zur Unterstützung junger Menschen in dieser Lebensphase vor.
Die Transition von der Kinder- und Jugendhilfe in die Eingliederungshilfe wird durch
unterschiedliche Rahmenmodelle erschwert, während sich die Eingliederungshilfe, auch
mit dem in Krafttreten des Bundesteilhabegesetzes am biopsychosozialen Störungsmodell
und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
der Weltgesundheitsorganisation orientiert, ist das Vorgehen in der Kinder- und Jugendhilfe
zur Ermittlung des Teilhabebedarfes junger Menschen noch ein anderes. In ihrem Artikel
untersuchen Lena-Maria Esch und Koautoren Barrieren und Schwierigkeiten beim Übergang
von der Kinder- und Jugendhilfe in den Bereich der Eingliederungshilfe auf Basis einer
qualitativen Studie mit Fachkräften. Eine zentrale Forderung ist dabei ein einheitliches
Bedarfseinschätzungs- und Übergabeinstrument, das sowohl Fachkräfte als auch Leistungsberechtigte
im Transitionsprozess unterstützt und den Übergangsprozess mit den jeweiligen Rahmenbedingungen
erleichtert. Aufbauend auf diesen Ergebnissen beschreiben Verena Gindele und Kollegen
die partizipative Entwicklung eines digitalen Instrumentes zur Einschätzung einer
(drohenden) Teilhabebeeinträchtigung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Unter
Berücksichtigung gesetzlicher Veränderungen und in enger Zusammenarbeit mit 4 Praxisstandorten
soll durch das Instrument neben der Einschätzung der Teilhabebeeinträchtigung der
Übergang von der Jugendhilfe in das Hilfesystem für Erwachsene erleichtert werden.
Neben unterschiedlichen Rahmenmodellen zeichnen sich auch unterschiedliche Kulturen
zwischen den Hilfesystemen ab. Während im Hilfesystem für Kinder und Jugendliche der
Fokus darauf liegt, Kindern und Jugendlichen mit Problemen möglichst viel Unterstützung
zukommen zu lassen, besteht im Hilfesystem für Erwachsene ein größerer Bedarf, eigenständig
sinnvolle Hilfen zu identifizieren und aufzusuchen. Um diesen Unterschieden zu begegnen,
beschreiben Johanna Neumerkel et al. in ihrem Artikel die partizipative Entwicklung
und Ausgestaltung einer Intervention für Adoleszente zur Stärkung der Selbstlenkungs-
und Problemlösefähigkeit, um junge Menschen im Übergang zu unterstützen. Neben den
gesetzlichen Änderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und im Bundesteilhabegesetz
bringt die Einführung einer neuen Version der Internationalen Klassifikation psychischer
Störungen Veränderungen mit sich. Dies macht eine Anpassung der Inhalte der heilberuflichen
Stellungnahme nach § 35 a SGB VIII erforderlich. In ihrem Artikel machen Therese Hiller
und Kollegen einen Vorschlag zur Anpassung der heilberuflichen Stellungnahme nach
§ 35a SGB VIII, der die aktuellen Änderungen mit einbezieht und die Chance bietet,
verschiedene Systemlogiken (ICD, ICF und Kinder- und Jugendhilfe) zusammen zu führen.
Dieses Themenheft macht deutlich, dass Transition eine Herausforderung für Jugendliche,
Adoleszente und junge Erwachsene darstellt, aber auch für alle Fachkräfte, die beruflich
mit ihnen zu tun haben. Um den Transitionsprozess erfolgreich zu gestalten, bedarf
es Ansätze auf unterschiedlichen Ebenen. Dies beinhaltet die Qualifikation von Fachkräften
genauso wie das Empowerment von Betroffenen. Um die Logiken der unterschiedlichen
beteiligten Systeme zusammen zu bringen, braucht es innovative Instrumente, die helfen,
den Prozess zu strukturieren und zu unterstützen. Die Digitalisierung bietet dabei
große Möglichkeiten. Die Fülle der Herausforderungen macht jedoch deutlich, dass das
Thema der Transition ein großes und wichtiges ist, dass in der Zukunft weiterhin Beachtung
finden sollte. Die in diesem Themenheft publizierten Artikel bieten eine Reihe von
Ansatzpunkten zur Lösung der Probleme im Transitionsprozess und zur Unterstützung
von Adoleszenten. Um die Transition grundlegend zu verbessern, bedarf es weiterer
Anstrengungen, um diese Ansätze ihren Weg in die generelle Anwendung finden zu lassen.
Vera Clemens und Andreas Witt, Ulm