MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2022; 26(03): 120
DOI: 10.1055/a-1827-2300
Forum

Sektorale Heilpraktiker-Erlaubnis für Chiropraktik?

Rolf Jungbecker

Anmerkung zum Chiropraktik-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Das System der Gesundheitsberufe in Deutschland ist stark mitgeprägt durch das Heilpraktikerrecht. In dem Heilpraktikergesetz (HPG) ist festgelegt, dass nur diejenigen Heilkunde betreiben dürfen, die Ärztinnen/Ärzte, Psychotherapeut*innen oder Heilpraktiker*innen (HPs) sind. Die HP-Erlaubnis setzt keine Prüfung voraus, sondern nur, dass die HPs sich daraufhin überprüfen lassen müssen, ob sie als HPs eine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen könnten.

Nun betreiben allerdings auch die Physiotherapeut*innen, die Logopäd*innen, die Podolog*innen Heilkunde. Sie tun das in ihrer Eigenschaft als sog. Heilhilfsberufe, nämlich auf Verordnung einer Ärztin bzw. eines Arztes oder eben auch einer Heilpraktikerin bzw. eines Heilpraktikers.

Dieses System ist sicherlich eigenartig. Denn Physiotherapeut*innen sind eben nicht befugt, selbstständig, also ohne ärztliche Verordnung, Heilkunde zu betreiben, obwohl sie auf dem Gebiet der Physiotherapie eine erhebliche berufsrechtliche Qualifikation erlangt haben. „Volle“ HPs hingegen dürfen sehr wohl physiotherapeutisch behandeln und darüber hinaus auch die entsprechende Diagnose und Indikation stellen, obwohl sie eine entsprechende Ausbildung gar nicht absolviert haben müssen.

Um dieses Missverhältnis etwas abzumildern, gibt es für die Physiotherapeut*innen seit längerem die Möglichkeit, eine HP-Erlaubnis, beschränkt auf den Sektor der Physiotherapie, zu erhalten. Dann können sie all das an Diagnosen und Indikationen selbst erstellen, was auf diesem Sektor denkbar ist. Auch für diese Erlaubnis bedarf es dann nur der beschriebenen „Überprüfung“, die sich jetzt aber allein auf den betreffenden Sektor beschränkt (sog. „eingeschränkte Kenntnisüberprüfung“). Ein solcher Sektor, auf den die HP-Erlaubnis beschränkt werden kann, ist nur dann denkbar, wenn die Tätigkeiten auf diesem Sektor hinreichend klar abgrenzbar sind, damit für jedermann klar ist, wo die Befugnisse beginnen und wo sie aufhören: quasi an der „Sektorengrenze“.

Sektor Chiropraktik Das Bundesverwaltungsgericht hatte jetzt über die interessante Frage zu entscheiden gehabt, ob es auch einen Sektor Chiropraktik gibt, auf den die HP-Erlaubnis beschränkt werden kann (Urteil vom 25.02.2021 – 3 C 17/19). Ist auch hier der Tätigkeitsbereich klar genug abgrenzbar?

Gegenüber der Physiotherapie besteht das Problem darin, dass es für die Chiropraktik in Deutschland keine staatlich geregelte Ausbildung gibt. Das war für die Vorinstanz noch Grund genug für die Annahme, die Chiropraktik sei nicht hinreichend abgrenzbar. Das Bundesverwaltungsgericht betont hingegen, dass sich Berufsbilder international entwickeln, sodass es nicht darauf ankommen kann, ob ein nationaler Gesetzgeber ein Berufsbild geregelt hat oder (noch) nicht. Dass sich in der Chiropraktik ein eigenständiges, klar umrissenes Berufsbild entwickelt hat, zeigt das Ausland. So gibt es das in vielen europäischen Ländern oder auch in den USA staatlich geregelte und anerkannte 4- bis 6-jährige Studium der sog. Chiropraktoren. Die dort geregelte Ausbildung basiert auf den WHO-Richtlinien zum Studium der Chiropraktik.

Aus verfahrensrechtlichen Gründen muss sich jetzt die Vorinstanz nochmals mit dieser Frage befassen. Es ist deshalb noch nicht sicher, dass der Sektor der Chiropraktik letztlich anerkannt wird, aber es spricht einiges dafür.

Dr. Rolf Jungbecker

Rechtsanwalt, Medizinrecht

Justitiar der Deutschen Chiropraktoren Gesellschaft (DCG)



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Article published online:
19 July 2022

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