ergopraxis 2022; 15(09): 42-44
DOI: 10.1055/a-1831-2238
Perspektiven

Lösungsorientierung ist gefragt! – Gesunde Fehlerkultur

Lisa Holtmeier
 

„Getretener Quark wird breit, nicht stark“, sagte schon Johann Wolfgang von Goethe. Kaum ein Zitat beschreibt ungesunde Fehlerkultur und den ungesunden Umgang mit Problemen so passend wie dieses. Dabei trägt Orientierung auf das Problem zu seiner Verschlimmerung bei, obwohl es doch eigentlich aus der Welt geräumt werden sollte. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Sie Probleme ab sofort effektiv lösen und zu einer gesunden Fehlerkultur beitragen.


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Fehler passieren. Statt sich auf das Warum zu fokussieren, sollten Sie eine Lösung des Problems anstreben. Und wenn dabei alle mithelfen, passiert dieser spezielle Fehler sicher nicht noch einmal. Quelle: © S. Schhaf/Thieme

Um den Umgang mit Fehlern und Problemen ressourcenschonend für alle Beteiligten zu gestalten, ist eine gesunde Fehlerkultur unabdingbar. Meiner Beobachtung nach fehlt in vielen Praxen eine gesunde Fehlerkultur oder ein lösungsorientierter Umgang mit Problemen. Oft wird die Frage nach dem Warum gestellt, zum Beispiel: „Warum ist das passiert?“, „Warum hat sich darum keiner gekümmert?“, „Warum ist die Patientin so unzufrieden?“ – und im nächsten Schritt kümmert sich die Führungsperson höchstpersönlich um die Problemlösung. Das ist weder ressourcenschonend, noch lernen die Mitarbeitenden zukünftig mit diesen Situationen umzugehen. Mitarbeitende werden dadurch in die erlernte Hilflosigkeit geführt, sind wenig motiviert, fühlen sich unwohl, sind unzufrieden und frustriert. All das trägt nicht zur emotionalen Bindung an die Praxis bei. Die Führungsperson hat noch mindestens ein Problem mehr, um das sie sich kümmern muss, ist noch gestresster und verliert womöglich auch das Vertrauen in die Mitarbeitenden. Das ist eine echt ungünstige Situation.

Solange Sie es mit Menschen zu tun haben, wird es zu Fehlern kommen.

Etablieren Sie eine gesunde Fehlerkultur

Solange Sie es mit Menschen zu tun haben, wird es zu Fehlern kommen. Niemand ist unfehlbar, auch wenn sich das einige wünschen oder sich schlimmstenfalls für unfehlbar halten. Einige Führungspersonen haben sogar die Erwartung an sich selbst, keine Fehler machen zu dürfen. Damit definieren sie ein Ziel, das sie unmöglich erreichen können, bauen unfassbar viel Druck auf – und was passiert? Genau, es kommt zu Fehlern. Oft folgen dann massive Selbstvorwürfe und ungesunde innere Dialoge, und auch Ihre Mitarbeitenden spüren diese Stimmungen und „Schwingungen“, ob Sie wollen oder nicht. Gesunde Fehlerkultur fängt also bei Ihnen an. Es ist wichtig, dass Sie anfangen, die Tatsache zu akzeptieren, dass es immer wieder zu Fehlern kommen kann und dass weder Sie noch irgendjemand anderes schuld daran ist. Die Schuldfrage ist überhaupt nicht angezeigt. Fehler passieren, Punkt.

Die nachfolgenden sechs Punkte sollen Ihnen ein paar Ideen geben, wie Sie eine gesunde Fehlerkultur etablieren können und effektiv Probleme lösen.


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Punkt 1 – Vorbild sein

Wie soll in Ihrer Praxis mit Fehlern umgegangen werden? Wie würde für Sie das optimale Szenario aussehen, nachdem es zu einem Fehler gekommen ist? Seien Sie selbst ein Vorbild. Leben Sie gesunde Fehlerkultur vor. Was an dieser Stelle wichtig zu betonen ist: Es ist völlig normal, dass sich Menschen ärgern, wenn es zu einem Fehler gekommen ist. Sie sollen jetzt nicht Ihre Gefühle verdrängen und funktionieren, ganz im Gegenteil. Ärgern Sie sich darüber, fluchen Sie von mir aus auch und suchen Sie anschließend nach einer Lösung.

Was inspirierend für Mitarbeitende ist und erheblich zum Vertrauensverhältnis beiträgt, ist, wenn Sie Fehler transparent machen. Schaffen Sie eine Offenheit für Fehler. Erzählen Sie Ihrem Team von der Situation und lassen Sie Ihr Team daran teilhaben, wie Sie damit umgegangen sind und welche Schritte Sie zur Lösung eingeleitet haben. Damit sind Sie eine Inspiration für alle Mitarbeitenden, Sie schaffen eine Offenheit für Fehler, stärken das Vertrauen und ermöglichen so ein gemeinsames Lernen. Durch Fehler lernen Menschen mehr als durch Erfolge. Wenn Sie möchten, dass Ihre Mitarbeitenden einen ehrlichen und aufgeschlossenen Umgang pflegen, dann fangen Sie damit an. Diese transparente Kommunikation ist nachhaltig stärkend und macht Mut. Sie ermöglichen dadurch, dass andere von Ihnen lernen dürfen. Zudem vermeiden Sie gegebenenfalls, dass dieser Fehler erneut begangen wird, oder die Mitarbeitenden lernen dadurch, wie sie mit solchen Situationen umgehen können.


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Punkt 2 – Ehrlichkeit wertschätzen

Es ist wichtig, dass sich Mitarbeitende trauen, zu Fehlern oder Missgeschicken zu stehen. Denn auf Dauer können unentdeckte Fehler teuer werden. Fehler sind letztendlich nichts anderes als Erfahrungen. Die Person, die den Fehler gemacht hat, nimmt sich selbst die Situation am übelsten – umso wichtiger ist es, sie nicht noch zusätzlich zu tadeln oder gar zu bestrafen. Wenn Mitarbeitende zu Fehlern oder Missgeschicken stehen, sollte dieses Verhalten gewürdigt werden. Bedanken Sie sich für die Ehrlichkeit, vielleicht auch für den Mut, und erklären Sie, warum Sie dankbar dafür sind, beispielsweise weil dadurch Folgeprobleme vermieden werden können oder jetzt sofort gemeinsam gehandelt werden kann. Eine Kultur, in der sich niemand traut, zu Missgeschicken, Herausforderungen oder Fehlern zu stehen, ist nachhaltig geschäftsschädigend und ungesund. In dieser Kultur wird irgendwann auch niemand mehr um Hilfe bitten, denn das Resultat wird immer gleichgültiger.

Unentdeckte Fehler können teuer werden.Würdigen Sie es daher, wenn Mitarbeitende zu ihren Fehlern stehen.


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Punkt 3 – Erfahrungen machen dürfen

Viele Führungspersonen wünschen sich eigenverantwortlicheres Verhalten Ihrer Mitarbeitenden. Um eigenverantwortlich handeln zu können, braucht es immer einen gewissen Handlungsspielraum, und in diesem Handlungsspielraum läuft, insbesondere am Anfang, nicht alles reibungslos. Einer der Hauptgründe, weshalb sich Menschen nicht trauen, eigenverantwortlich zu handeln, ist die Angst vor Fehlern. Doch wer keine Fehler macht, lernt nicht viel dazu. Erfahrungen helfen Mitarbeitenden dabei, sich weiterzuentwickeln. Es zeigt sich, dass Mitarbeitende, die eigene Erfahrungen machen, mehr Verständnis für ihre Führungspersonen haben, weil sie viele Situationen besser nachvollziehen können. Durch Ihr Führungsverhalten und Ihre Kommunikation können Sie Mitarbeitende in die Eigenverantwortung führen und ermöglichen dadurch Selbsterfahrung.


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Punkt 4 – Warum-Fragen vermeiden

Warum ist das passiert? Warum konnte das nicht verhindert werden? Das sind Fragen, die die Situation auf keinen Fall besser machen oder Klärung in den Prozess bringen. Ganz im Gegenteil: die Warum-Frage bringt die Gesprächspartner*innen automatisch in eine Rechtfertigungsposition. Oftmals wissen die Personen selbst nicht, warum das passiert ist, und haben gar keine konkrete Antwort auf die Frage. Plötzlich stehen sie mit dem Rücken zur Wand, und diese Situation führt dazu, dass sich Menschen verteidigen. Dadurch kann eine Situation schnell eskalieren. Die Warum-Frage kann in diesem Kontext schnell als Vorwurf, Anklage oder als „Vorführen“ wahrgenommen werden. Das verhindert einen Dialog auf Augenhöhe. Übrigens gilt das auch im Kontakt mit Klient*innen.

Wer keine Angst vor Fehlern hat, agiert mit mehr Eigenverantwortung und entwickelt sich dadurch weiter.


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Punkt 5 – Statt Probleme zu fokussieren lieber Lösungsorientierung

Statt das Problem wie bei der Warum-Frage zu fokussieren, sollten lieber lösungsorientierte Fragen gestellt werden, denn die Situation lässt sich nicht rückgängig machen. Auch ein empörtes „Wie konnte das passieren?“ hilft nicht weiter. Das Problem ist jetzt da und möchte gelöst werden. „Die Lösung wird gebeten, das Problem zu klären, die Lösung bitte!“

Um diesen Lösungsprozess einzuleiten, sollten Fragen gestellt werden, die dorthin führen. Lösungs- und zukunftsorientierte Fragen könnten beispielsweise folgende sein:

  • „Was können wir jetzt in diesem Augenblick tun, um die Situation X zu verändern, zu verbessern oder zu lösen?“

  • „Welche Möglichkeiten gibt es, um X zu klären?“

  • „Wie würdest du nun mit der Situation umgehen?“

  • „Wer könnte dir dabei behilflich sein, X zu lösen?“

  • „Wie könnte ich dich dabei unterstützen?“

  • „Welche deiner Stärken kannst du dafür nutzen?“

  • „Was können wir gemeinsam tun, um zukünftig zu verhindern, dass dieses Problem noch einmal auftritt?“


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Punkt 6 – Erkenntnisgewinn

Zum Abschluss eines solchen Prozesses ist es immer sinnvoll, den Weg zu reflektieren, damit alle Beteiligten etwas daraus lernen können. Dieser Schritt dient auch dazu, ein erneutes Auftreten derselben Situation zu vermeiden. Kernfragen in diesem Prozess können sein:

  • „Was ist eure Erkenntnis aus der Situation?“

  • „Was habt ihr aus der Situation gelernt?“

  • „Was bedeutet dieses Learning für deine Zukunft?“

Wenn das Problem auftaucht, kann auch folgende Frage sehr hilfreich sein: „Was ist das Gute im Schlechten?“ Auch wenn es etwas pathetisch klingt, sind viele problematische und herausfordernde Situationen für etwas gut. Wenn das Wort Fehler nur ein wenig verändert wird, steckt schließlich das Wort Helfer darin.


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Zum guten Schluss

Zum Abschluss möchte ich Ihnen folgendes mitteilen: Fehler passieren. Täglich. In jeder Praxis. Das ist völlig normal und darf auch so sein. Natürlich träumt jede*r Praxisinhaber*in von einem reibungslosen Arbeitsalltag, aber insbesondere im Gesundheitswesen ist das wirklich ein sehr hoher Anspruch. Versuchen Sie, die Dinge anzunehmen, auch wenn es manchmal schwierig ist. Suchen Sie lösungsorientierte Gespräche und besprechen Sie gemeinsam in Teamsitzungen, wie solche Situationen vermieden oder wenigstens reduziert werden können. Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden, was sie brauchen, um XY zukünftig so durchzuführen, wie es Ihrer Vorstellung entspricht. Erläutern Sie bitte auch, warum Sie es so erwarten. Suchen Sie den Dialog und finden Sie gemeinsam Lösungen. Sie als Führungsperson müssen nicht für alles sofort eine Lösung haben. Es erweist sich als sehr förderlicher Prozess, wenn das Team gemeinsam Lösungen und Arbeitsablaufoptimierungen entwickelt. Diese neuen Prozesse werden dann auch wesentlich konsequenter eingehalten, als würde es ausschließlich die Führungsperson einfordern. Durch diesen co-kreativen Prozess führen Sie Ihre Mitarbeitenden in die Eigenverantwortlichkeit, stärken die Identifizierung mit der Praxis und erhöhen die Zufriedenheit mit der Lösung. Das sind die ersten Schritte für eine gesunde Fehlerkultur. Dauerhaft erhöhen Sie damit das Commitment der Mitarbeitenden, fördern die Gesundheit, stärken die emotionale Bindung – und stärken das gesamte Team.

Warum-Fragen helfen nicht weiter – Lösungsorientierung ist gefragt!

Ich wünsche Ihnen viele Lösungen, Inspirationen und Ideen und freu mich, wenn dieser Artikel ein wenig dazu beitragen kann.


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Autorin

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de

Publication History

Article published online:
01 September 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de
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Fehler passieren. Statt sich auf das Warum zu fokussieren, sollten Sie eine Lösung des Problems anstreben. Und wenn dabei alle mithelfen, passiert dieser spezielle Fehler sicher nicht noch einmal. Quelle: © S. Schhaf/Thieme