CC BY-NC-ND 4.0 · Z Gastroenterol 2023; 61(04): 381-389
DOI: 10.1055/a-1852-9822
Originalarbeit

Diagnostik erhöhter Leberwerte in der Primärversorgung – Befunde einer Studienreihe aus haus- und fachärztlicher Perspektive

Clarification of increased liver values in primary care – Findings from a series of studies from a general practitioner and specialist perspective
Julian Wangler
1   Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Germany
,
Michael Jansky
1   Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund In der Primärversorgung treten Leberwerterhöhungen häufig als Zufallsbefund in Erscheinung. Neben der Beachtung von Symptomen ist für eine effektive Abklärung entscheidend, welche Leberwerte als Indikatoren einbezogen und wann Patient*innen zur weiterführenden Diagnostik überwiesen werden. Ebenso kommt es auf eine geregelte Zusammenarbeit zwischen haus- und fachärztlicher Versorgungsebene an. Bislang fehlt es für den deutschsprachigen Raum an belastbaren Erkenntnissen über den Status quo hinsichtlich der Abklärung (unklarer) Leberwerterhöhungen im niedergelassenen und hausärztlichen Bereich. Der Überblicksartikel komprimiert die Bilanz einer explorativen Studienreihe, deren Ziel darin bestand, eine Bestandsaufnahme hinsichtlich des Status quo der hausarztbasierten Diagnostik (unklar) erhöhter Leberwerte zu leisten. Aus den Ergebnissen werden Ansatzpunkte einer Optimierung abgeleitet.

Methodik Zwischen 2017 und 2021 wurden 4 schriftliche Befragungen von Hausärzt*innen und gastroenterologischen Fachärzt*innen in verschiedenen Bundesländern durchgeführt. Die vorliegende Studienbilanz diskutiert die Gesamtbefunde komprimiert auf übergeordneter Ebene, geht jedoch auch auf spezifische Befunde ein.

Ergebnisse Mit Blick auf Abklärung erhöhter Leberwerte zeigen sich diverse Herausforderungen und Problematiken. So ziehen Hausärzt*innen stark unterschiedliche Laborparameter heran (95% γ-GT, 65% AST, 63% ALT), die sich in verschiedenen Clustern bündeln. Im Fall erhöhter Leberwerte präferiert eine Mehrheit der Hausärzt*innen ein kontrolliertes Zuwarten (66%), macht allerdings im Alltag oft aufgrund von diagnostischen Unsicherheiten von direkten Überweisungen zu Spezialist*innen Gebrauch (40%). In der Zusammenarbeit mit gastroenterologischen Fachärzt*innen bestehen aus hausärztlicher Sicht Schnittstellenprobleme, die u.a. mit der im Vorfeld geleisteten Abklärung sowie dem Überweisungszeitpunkt einhergehen. Sowohl Haus- als auch Fachärzt*innen erachten die Einführung eines evidenzbasierten Diagnosealgorithmus als wichtigen Ansatz für die Verbesserung der Früherkennung sowie eine bessere Koordination zwischen den Versorgungsebenen (80% bzw. 85%).

Diskussion Es sollte darauf hingewirkt werden, zu einer stärkeren Professionalisierung und Vereinheitlichung der primärärztlichen Diagnostik beizutragen und die Zusammenarbeit mit gastroenterologischen Spezialisten besser zu strukturieren. Dazu zählen ein breiteres Angebot von Fortbildungsformaten, die Entwicklung eines validierten Diagnosepfads und die feste Verankerung einer leberwertassoziierten Blutuntersuchung im Rahmen des Check-ups. Auch die Entwicklung einer hausarztbasierten Leitlinie zum Umgang mit erhöhten Leberwerten erscheint ratsam.


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Abstract

Introduction In primary care, elevated liver values are often an incidental finding. In addition to observing symptoms, it is crucial for an effective clarification which liver values are included as indicators and when patients are referred for further diagnostics. It also depends on regular cooperation between general practitioner and specialist care level. So far, there has been a lack of reliable studies for German-speaking countries on the status quo with regard to the clarification of (unclear) elevated liver values in primary care. This overview article compresses the balance of an exploratory series of studies, the aim of which was to take stock of the general practitioner’s diagnostics of (unclear) elevated liver values. Starting points for optimizing GP care are derived from the results.

Methods and participants Between 2017 and 2021, four written surveys of general practitioners and gastroenterological specialists were carried out in different federal states. The present study review discusses the overall findings in a condensed manner at a higher level, but also deals with specific findings.

Results When it comes to clarifying elevated liver values, there are various challenges and problems in general practitioner care. For example, GPs use widely different liver-associated laboratory parameters (95% γ-GT, 65% AST, 63% ALT) that are bundled in different clusters. In the case of elevated liver values, the majority of general practitioners prefer to wait in a controlled manner (66%), but often make use of direct and early referrals to specialists in everyday practice due to diagnostic uncertainties (40%). When working with gastroenterological specialists, there are various interface problems, which, among other things, are associated with the GP’s preliminary clarification and the time of referral. Both GPs and specialists see the introduction of a structured, evidence-based diagnostic algorithm as an important approach for improving early detection and better coordination between the levels of care (80% respective 85%).

Discussion It makes sense to take measures that contribute to the professionalization and standardization of general practitioner diagnostics and better structure cooperation with gastroenterological specialists. These include, for example, a broader range of training and advanced training formats, the development of a validated diagnostic pathway or the permanent establishment of a liver value-associated blood test as part of the check-up. The development of a well-founded GP-based guideline for the detection and handling of elevated liver values also appears advisable.


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Einleitung

Erhöhte Leberwerte stellen in der hausärztlichen Versorgung einen häufigen Zufallsbefund dar [1]. Zugleich ist die Prävalenz für Leberwerterhöhungen unter primärärztlich versorgten Patient*innen weitgehend unklar [1] [2]. Entsprechende Hinweise hat etwa die Gutenberg-Herz-Studie geliefert, wo bei rund 20% der Patient*innen Leberwerterhöhungen ausgemacht wurden [3]. Die SHIP-Studie konnte eine ALT-Erhöhung für ein Viertel aller eingeschlossenen Patient*innen nachweisen [4].

Dass Leberwerterhöhungen mit vermehrter Mortalität und Begleiterkrankungen einhergehen, ist inzwischen von diversen Arbeiten belegt worden [2] [5] [6] [7] [8] [9] [10]. Verbreitete Ursachen sind Alkoholabusus, Medikamenteneinnahme, die nichtalkoholische Leberverfettung und Virushepatitiden [11] [12] [13] [14]. Da erhöhte Leberwerte auf vital bedrohliche Erkrankungen hinweisen können, ist eine möglichst frühzeitige Abklärung und Einleitung therapeutischer Maßnahmen entscheidend.

In den meisten Fällen sind Hausärzt*innen die ersten Behandler*innen, die im Rahmen einer Routinekontrolle auf (unklar) erhöhte Leberwerte aufmerksam werden [15] [16] [17]. In ihrer Rolle als Primärversorger*innen obliegt ihnen die Beurteilung solcher Befunde und Initiierung weitergehender diagnostischer Schritte. Angesichts der Zeit- und Ressourcenknappheit im hausärztlichen Versorgungsgeschehen kann eine differenzialdiagnostische Abklärung zur Früherkennung von Lebererkrankungen anspruchsvoll ausfallen [18] [19]. Dies gilt mit Blick auf die ätiologische Einordnung und Bewertung spezifischer erhöhter Leberwerte, aber auch die Berücksichtigung anderer möglicher Warnzeichen [12] [20] [21]. Neben der Frage, welche Werte in welchen Referenzbereichen und Konstellationen als aussagekräftige Indikatoren einbezogen werden [17] [19] [22], ist für den hausärztlichen Umgang mit (unklar) erhöhten Leberwerten eine Differenzierung ausschlaggebend, in welchem Fall ein abwartendes Offenhalten (mit Wiederholung des Labors) geboten und wann eine sofortige Abklärung indiziert ist, z.B. durch direkte Überweisung zum Facharzt oder zu einer Leberambulanz [17] [18] [19].

Sowohl in Deutschland als auch anderen europäischen Ländern werden bislang Mängel bei der konsequenten Identifizierung und Abklärung erhöhter Leberwerte im hausärztlichen Setting wahrgenommen [3] [15] [21] [22] [23]. So wird zum einen ein geringer Anteil an Frühdiagnosen moniert, zum anderen ein uneinheitliches und stark vom einzelnen Hausarzt abhängiges differenzialdiagnostisches Vorgehen. Ein Grund hierfür wird im Fehlen strukturierter, zielgerichteter Früherkennungsprogramme für chronische Leberkrankheiten im Rahmen der Regelversorgung gesehen [19] [20] [24]. Für Deutschland kommt hinzu, dass Allgemeinmediziner*innen bislang nicht auf explizit hausarztbasierte, evidenzgeprüfte Leitlinien und andere Instrumente der Erkennung, Einordnung und Bewertung von Leberwerterhöhungen zurückgreifen können [11] [19] [25] [26] [27] [28] [29] [30].

Bislang liegen für den deutschsprachigen Raum keine systematischen Untersuchungen vor, die die primärärztliche Versorgungsrealität bei Leberwerterhöhungen sowie damit einhergehende Herausforderungen und Problematiken in belastbarer Weise erfassen. Damit einhergehend fehlen Erkenntnisse zu hausärztlichen Vorgehensweisen im Umgang mit (unklar) erhöhten Leberwerten, zu technisch-apparativen Voraussetzungen und möglichen Schnittstellenproblemen zwischen Haus- und Fachärzt*innen.


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Methodik

Gesamtstudie und Erkenntnisinteresse

Der Überblicksartikel komprimiert die Bilanz einer explorativen Studienreihe und stellt die Resultate der bisherigen Forschungslage gegenüber. Die sich aus 4 Teilstudien zusammensetzende Untersuchung steht als eigenständige Ergänzungsstudie im weiteren Kontext des Innovationsfonds-Modellprojektes SEAL (Structured Early Assessment for Asymptomatic Liver Cirrhosis) zur Früherkennung einer Leberfibrose oder asymptomatischen Leberzirrhose.

Forschungsleitend für die Gesamtstudie waren v.a. folgende Fragestellungen:

  • Welche Voraussetzungen bestehen im hausärztlichen Setting hinsichtlich der Erkennung und Abklärung von Leberwerterhöhungen?

  • Wie gehen Hausärzt*innen bei der Einordnung und Abklärung (unklar) erhöhter Leberwerte vor?

  • Wie gestaltet sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzt*innen und fachärztlich-internistischen bzw. gastroenterologischen Fachärzt*innen bei der Behandlung von Patient*innen mit Leberwerterhöhungen?

  • Wie ließe sich die Früherkennung und Diagnostik von Lebererkrankungen im primärärztlichen Setting verbessern?

Entsprechend der Fragestellungen bestand das Ziel darin, eine Bestandsaufnahme hinsichtlich des Status quo der hausärztlichen Diagnostik (unklar) erhöhter Leberwerte zu leisten. Im Besonderen sollte es darum gehen, derzeit bestehende Vorgehensweisen, Herausforderungen und Probleme zu identifizieren.

Um möglichst weit gefächerte Erkenntnisse mit Blick auf das formulierte Erkenntnisinteresse zu gewinnen, wurden im Zuge der Studienreihe sowohl Hausärzt*innen als auch niedergelassene Ärzt*innen in gastroenterologischen Schwerpunktpraxen befragt.

Vor dem Hintergrund der als Zusammenschau aufgegriffenen Befunde soll der Artikel Ansatzpunkte für eine Optimierung und Effektivierung der Diagnostik erhöhter Leberwerte in der Primärversorgung ableiten. Ergo soll der Fokus auf festgestellte Schwachpunkte im Hausarztsetting gerichtet werden.


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Teilstudien

Angesichts des stark lückenhaften Forschungsstands mit Blick auf die Versorgung von Lebererkrankungen im niedergelassenen Bereich wurden sämtliche Teilstudien bewusst explorativ angelegt.

Basierend auf einer Vorstudie, bei der 2.680 rheinland-pfälzische und saarländische Allgemeinmediziner*innen zu ihrem Vorgehen bei Leberwerterhöhungen befragt wurden [31] (Rücklauf: 391 bzw. 16%), wurde der Fragebogen aktualisiert und die Studie in deutlich größerem Maßstab neu aufgelegt, um zu eruieren, inwiefern sich die damaligen Resultate bestätigen lassen. Diese erweiterte Befragung erfolgte zwischen Oktober 2019 und März 2020 und holte die Standpunkte und Erfahrungen von insgesamt 10.503 Hausärzt*innen in Hessen und Baden-Württemberg zum Vorgehen bei Leberwerterhöhungen ein [32] (Rücklauf: 2.701 bzw. 26%).

Ein analoges Vorgehen wurde mit Blick auf die Befragung niedergelassener gastroenterologischer Fachärzt*innen verfolgt. Zuerst erfolgte im Frühjahr 2018 eine Voruntersuchung, bei der 135 rheinland-pfälzische und saarländische Gastroenterolog*innen zu ihrem Vorgehen bei Leberwerterhöhungen sowie ihrer Zusammenarbeit mit Hausärzt*innen befragt wurden [33] (Rücklauf: 54 bzw. 40%). Der im Jahr 2017 ursprünglich von den Autoren entwickelte und konzeptionell erprobte Fragebogen wurde aktualisiert und mündete in einer erweiterten Studie. Zwischen April und Oktober 2020 wurden im Zuge einer Online-Befragung 529 in gastroenterologischen Schwerpunktpraxen tätigen Fachärzt*innen in Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen befragt [34] (Rücklauf: 313 bzw. 59%).

Für keine der beschriebenen Studien wurden Incentives eingesetzt.


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Entwicklung der Erhebungsinstrumente

Da die Studien aufeinander aufbauten, war ein kontinuierlicher Lernprozess für die Konzeption der nachfolgenden Teilstudie die Folge. Daneben waren die entwickelten Erhebungsinstrumente durch weitere Elemente abgestützt:

  • Vorbereitungen und Austausch innerhalb des SEAL-Projektes

  • Hausärzt*innen-Befragung: Der im Jahr 2017 ursprünglich entwickelte Fragebogen [31] wurde durch eine im Erstellungsprozess erfolgte Gruppendiskussion mit 10 Hausärzt*innen angereichert.

  • Fachärzt*innen-Befragung: Mehrere Expert*innen des Zirrhose-Centrums der Universitätsmedizin Mainz wurden im Entwicklungsprozess beratend hinzugezogen, um die Vollständigkeit und Angemessenheit des Fragebogens [33] aus fachärztlicher Sicht zu prüfen und den Fragebogen dicht entlang der Versorgungsrealität auszurichten.

  • Weitere Vorstudien der Autoren zur strukturierten, evidenzorientierten hausärztlichen Versorgung [u.a. 35]

  • Allgemeine Literaturrecherchen bei der Konzeption aller Teilstudien (hier wurden Arbeiten herangezogen, in denen die Abklärung erhöhter Leberwerte in der Primärversorgung im Zentrum stehen [u.a. 36])

  • Durchführung von Pretests im Vorfeld der Datenerhebung

Einige Fragen in den Erhebungsinstrumenten wurden sowohl Hausärzt*innen als auch gastroenterologischen Fachärzt*innen in gleichartiger Weise gestellt (z.B. Einstellung zum abwartenden Offenhalten, Ansätze zur Optimierung der Früherkennung). Dies diente einer besseren Gegenüberstellung der Resultate.


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Datenanalyse

Die Daten der quantitativen Studien wurden mittels SPSS 23.0 ausgewertet. Um unterschiedliche Vorgehensweisen von Hausärzt*innen sichtbar zu machen, wurde neben der deskriptiven Analyse auf das Verfahren der Faktorenanalyse (Varimax-Rotation) zurückgegriffen, bei der Variablen aufgrund von systematischen Beziehungen (Korrelationen) untereinander zu Faktoren zusammengefasst werden.


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Ergebnisse

Im Folgenden soll unter Rückgriff auf die jeweils zentralen Befunde auf jede der dargestellten Dimensionen eingegangen werden und ein Zusammenhang zur Forschungslage hergestellt werden. Als primäre Referenz dienen die Befragungen mit den deutlich größeren Samples [32] [34].

Leberwerte und Leberwert-Konstellationen

Die Befragung der Hausärzt*innen [32] hat eruiert, dass im Versorgungsalltag bei der Abklärung (unklar) erhöhter Leberwerte eine starke Fokussierung auf vergleichsweise wenige ausgewählte Leberparameter vorliegt. So wird v.a. die γ-GT als Laborwert betrachtet (95%). Rund zwei Drittel (65%) beziehen die Aspartat-Aminotransferase (ASAT, AST, GOT) in ihre Untersuchung ein, gefolgt von der Alanin-Aminotransferase (ALAT, ALT, GPT) (63%), der alkalischen Phosphatase (AP, 62%) und der Thrombozytenzahl (57%). In einer Nachfrage wurden die Befragten gebeten, die ihrer Auffassung nach 3 wichtigsten und aussagekräftigsten Indikatoren zur Früherkennung einer Leberzirrhose zu nennen. Analog werden hier γ-GT (92%), Aspartat-Aminotransferase (83%) und Alanin-Aminotransferase (79%) genannt, wohingegen andere Werte mit deutlichem Abstand folgen.

Zugleich konnte eine Faktorenanalyse ein stark heterogenes und divergierendes hausärztliches Vorgehen bei der Abklärung einer möglichen chronischen Leberparenychmerkrankung offenlegen. So achten Hausärzt*innen nicht nur auf stark unterschiedliche Symptome, sondern ziehen im Rahmen der hausärztlich veranlassten Labordiagnostik unterschiedliche leberassoziierte Laborparameter bzw. Wertekonstellationen als Indikatoren zur Identifikation einer (beginnenden) Leberkrankheit heran. Während ein Cluster sich auf Funktionsparameter wie Bilirubin, Quick (INR), Cholinesterase und Albumin konzentriert, betrachtet ein anderer in erster Linie Indikatoren für eine toxische Zellschädigung oder eine schon eingetretene Lebererkrankung. Neben weiteren Parametern findet hier v.a. die Alanin-Aminotransferase Beachtung. Zudem fällt ein dritter Cluster auf, der auf die γ-GT als Parameter für eine mögliche Leberkrankheit fokussiert.

Die Befragung niedergelassener Gastroenterolog*innen [34] konnte aus fachärztlicher Perspektive bestätigen, dass sich Hausärzt*innen im Praxisalltag an stark divergierenden Leberwerten orientieren. So erleben es 57% der Fachärzt*innen als beträchtliche Erschwernis, dass aufgrund einer je nach Hausarzt sehr unterschiedlichen bzw. uneinheitlichen Erhebung von Leberwerten eine stete Neueinstellung auf die diagnostischen Voraussetzungen erforderlich seien. Entsprechend divers stellt sich auch das Spektrum für Schlussfolgerungen und weitere Versorgungsentscheidungen dar.


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Diagnostisches Verhalten

Die Befragung der Hausärzt*innen [32] konnte zeigen, dass 29% der einbezogenen Allgemeinmediziner*innen in der eigenen Praxis neben der GKV-Früherkennungsuntersuchung eine spezielle Leber-Check-up-Untersuchung zur Früherkennung anbieten. Hingegen halten 66% kein solches Angebot als Zusatz zum GKV-Gesundheits-Check-up vor. Im Hinblick auf die apparativ-diagnostischen Voraussetzungen ist in den meisten hausärztlichen Praxen üblicherweise ein standardmäßige Oberbauchsonografie zur Identifizierung und weiteren Abklärung von Lebererkrankungen gegeben (89%), seltener eine erweiterte Labordiagnostik (64%)[1]. Jeweils 5% bieten eine Untersuchung mittels Elastografie bzw. Fibroscan an.

Wie sich im Rahmen einer detaillierten Abfrage via Itembatterie zeigte, liegen bestimmte, zu tiefergehender Diagnostik veranlassende Hinweise auf eine beginnende Leberkrankheit im Fokus der befragten Hausärzt*innen, während andere geringere Beachtung erfahren. Aus ihrer bisherigen Erfahrung achten Hausärzt*innen dabei v.a. auf einen übermäßigen Konsum von Alkohol (94%), aber auch auf Anzeichen wie Oberbauchbeschwerden (76%), Müdigkeitserscheinungen (75%), Aszites (71%), Juckreiz (71%) und Hautveränderungen (65%). Andere mögliche Hinweise wie z.B. Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Dupuytren’sche Kontrakturen oder Gynäkomastie werden erheblich seltener mit einer potenziellen Lebererkrankung in Verbindung gebracht.

Damit einhergehend gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Hausärzt*innen bei der Abklärung (unklar) erhöhter Leberwerte mangelnde diagnostische Sicherheit sowie einen Mangel an Orientierungsoptionen verspüren. So halten sich 38% bei der Abklärung von Leberwerterhöhungen für sehr oder eher kompetent, während rund 50% sich hier als weniger oder überhaupt nicht kompetent einstufen. Praxis- bzw. Handlungsempfehlungen, Expertisen medizinischer Fachgesellschaften oder von Gesundheitsakteuren angebotene Diagnosepfade (z.B. Deutsche Leberstiftung) werden lediglich von einem Drittel der befragten Hausärzt*innen schon einmal herangezogen. Das von einer Mehrheit der Befragten artikulierte Interesse an einem Ausbau adäquater Fortbildungsangebote ist ebenfalls ein Indiz für einen themenbezogenen Schulungsbedarf von Hausärzt*innen.


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Überweisungsverhalten

Im Lichte der Studienresultate offenbart das hausärztliche Zuweisungsverhalten feststellbare Inkonsequenzen. Zum einen halten es fast zwei Drittel (60%) der befragten Hausärzt*innen [32] für sinnvoll, nach Feststellung moderat erhöhter Leberwerte zunächst ein abwartendes Offenhalten von mehreren Wochen (Median: 5,0) zu praktizieren und damit erst nach einer erneuten Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt eine Überweisung an eine höhere Fachgebietsebene zu erwägen. Allerdings machen die Befragten abweichende Angaben über ihr tatsächliches Überweisungsverhalten, das sie in einer offenen Nachfrage v.a. mit diagnostischen Unsicherheiten begründen. So geben rund 40% an, die Patient*innen in der Regel nach Feststellung unklar erhöhter Leberwerte direkt zum Facharzt oder sogar an eine Spezialambulanz überwiesen zu haben. Nur 32% haben hingegen erst einmal konsequent zugewartet.

79% der Hausärzt*innen geben an, die eigenen Patient*innen im Fall einer Überweisung bei einer gastroenterologischen Schwerpunktpraxis vorgestellt zu haben; 44% haben direkt an eine Leberspezialambulanz überwiesen sowie 27% zu einer gastroenterologischen Abteilung oder Klinik.

Die Ergebnisse belegen die zentrale Lotsenfunktion des Hausarztes im Gesundheitssystem. 98% der befragten internistischen Fachärzt*innen geben an, dass Patient*innen mit (unklar) erhöhten Leberwerten üblicherweise durch den Hausarzt überwiesen werden. 23% nennen die Überweisung durch einen anderen Facharzt bzw. 20%, dass Patient*innen ihre Praxis auf Anraten der Klinik aufsuchen (40% direktes Aufsuchen durch den Patienten).

Aus der Perspektive gastroenterologischer Fachärzt*innen [34] zeigt sich, dass diese ihrerseits Kritik am hausärztlichen Zuweisungsverhalten üben, das nach Auffassung dieser Befragten häufig entweder deutlich verfrüht (64%) oder zu stark verzögert (57%) erfolgt. Zudem stellten sich Patient*innen mit unklar erhöhten Leberwerten oftmals als unspezifisch heraus (69%).


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Interdisziplinäre Kooperation

Für eine effektive, frühzeitig greifende Diagnostik zur Abklärung von Leberwerterhöhungen und eine passgenaue Therapie ist eine geregelte Zusammenarbeit von Haus- und Facharztebene essenziell. Obgleich sowohl Haus- als auch Fachärzt*innen die Kooperation mit der jeweils anderen Seite mehrheitlich als positiv erleben, werden erhebliche Schnittstellenproblematiken und Hürden in der interdisziplinären Kooperation artikuliert.

Häufige Erschwernisse für Hausärzt*innen [32] stellen neben einem Mangel spezialisierter internistischer Praxen in der Umgebung (73%) mangelnde Erreichbarkeit dar, um sich über die meist komplexen Patient*innenprobleme auszutauschen (69%). 90% geben an, dass es häufig zu längeren Wartezeiten auf einen Termin zur differenzialdiagnostischen Klärung beim Verdacht auf eine Leberkrankheit kommt. Im ländlichen Raum stellen sich diese Herausforderungen in Anbetracht der deutlich niedrigeren Facharztdichte in verschärfter Weise dar. Als beträchtliche Problematik wird von Hausärzt*innen zudem erlebt, dass Patient*innen vom fachärztlichen Kollegen nicht ausreichend über ihre Situation aufgeklärt und aus Unsicherheit zum Hausarzt zurückkehren (72%). Ebenso scheint das Überweisungsverhalten der Fachärzt*innen im Anschluss an die Diagnosestellung einer Lebererkrankung durch häufige Rücküberweisungen zum Hausarzt geprägt (63%). Ohne eine rasche Vorstellung in einer klinischen Spezialambulanz besteht zumindest die Gefahr, dass der Patient durch Rücküberweisung in eine unnötige Schleife gerät.

Aus der Perspektive gastroenterologischer Fachärzt*innen [34] zeigt sich, dass diese ebenfalls Kritik an der Kooperation mit der Primärarztebene üben. Jenseits des Zeitpunkts einer Patient*innenvorstellung wird besonders der hausärztliche Verzicht auf eine genuine Basisabklärung und ein Überweisen auf Vermutung oder Zweifel hin als bedeutendes Problem in der Interaktion mit Allgemeinmediziner*innen erlebt (71%). Weitere Hindernisse bei der Zusammenarbeit mit Hausärzt*innen ergeben sich aus Sicht niedergelassener Gastroenterolog*innen dadurch, dass Leberwerterhöhungen von diesen nicht immer weiterverfolgt (65%) werden. Der erwähnte Umstand, dass Hausärzt*innen oftmals ein stark unterschiedliches Vorgehen bei der Abklärung von Leberwerterhöhungen praktizieren (z.B. Erhebung abweichender Leberwerte, 57%), stellt aus Sicht eines Teils der Befragten eine zusätzliche Hürde dar und korrespondiert mit dem von Fachärzt*innen artikulierten Eindruck, dass Untersuchungen, Ergebnisse und gestellte Diagnosen nicht immer transparent sind (63%).


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Optimierungsansätze für die hausärztliche Versorgung

Die Befragten erhielten eine Auflistung verschiedener möglicher Maßnahmen, um den Frühdiagnose-Anteil von Patient*innen zu erhöhen. Dabei zeigen sich bei den einbezogenen hausärztlichen und fachärztlichen Mediziner*innen große Übereinstimmungen. Eingedenk des wahrgenommenen uneinheitlichen Vorgehens bei der Abklärung von Leberwerterhöhungen im ambulanten Bereich sowie vorhandener Schnittstellenprobleme befürworten 80% der Hausärzt*innen und 85% der Fachärzt*innen die Einführung eines strukturierten, evidenzbasierten und breitflächig einzusetzenden Diagnose- und Therapiealgorithmus als (sehr) effektive Maßnahme. 65% der Hausärzt*innen und 55% der Fachärzt*innen sehen eine Erweiterung der Laboruntersuchung im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung ab dem 35. Lebensjahr als wirksame Maßnahme. 61% der Haus- und 60% der Fachärzt*innen sehen die Entwicklung einer explizit hausarztkonformen, evidenzbasierten S3-Leitlinie zur systematischen Abklärung von Leberwerterhöhungen als besonders effektiv an. 50% der Haus- und 52% der Fachärzt*innen sprechen sich für die Einführung eines genuinen Leber-Checks im Rahmen der GKV aus.

Darüber hinaus halten 70% der Haus- und 76% Fachärzt*innen einen deutlichen Ausbau an verschiedenartigen Fortbildungsveranstaltungen für Hausärzt*innen zur Abklärung von Leberwerten und Einübung einer strukturierten Interaktion innerhalb der Versorgungskette für (sehr) effektiv.


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Abgeleitete Ansatzpunkte

Vor dem Hintergrund der präsentierten Ergebnisse zeigt [Abb. 1] die im Zuge der Auswertung der Teilstudien verdichteten Ansatzpunkte mit Blick auf eine effektivierte hausärztliche Leberdiagnostik.

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Abb. 1 Abgeleitete Ansatzpunkte für eine effektivierte hausärztliche Leberdiagnostik (eigene Darstellung).

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Diskussion

Zusammenfassung und Befunde anderer Studien

Die breitflächige Befragung von Hausärzt*innen und fachärztlich-internistischen bzw. gastroenterologischen Fachärzt*innen in mehreren großen Bundesländern [32] [34] untermauern, dass Leberwerterhöhungen ein häufiger Befund in der primärärztlichen Versorgung sind. Damit geht die Notwendigkeit einer systematischen und konsequenten Abklärung sowie einer funktionierenden Kooperation mit höheren Versorgungsebenen einher. Die Befragungsergebnisse bestätigen in sämtlichen Bereichen die Befunde der Vorstudien [31] [33] und liefern Hinweise, dass beim Management erhöhter Leberwerte in der hausärztlichen Versorgung eine Reihe von Schwachpunkten bestehen.

  • Erstens zeigt sich ein ausgeprägt heterogenes und abweichendes hausärztliches Vorgehen bei der Abklärung einer möglichen chronischen Leberparenychmerkrankung. So variieren unter Allgemeinmediziner*innen nicht nur die beachteten Symptome, sondern es werden im Rahmen der hausärztlich veranlassten Labordiagnostik unterschiedliche leberassoziierte Laborparameter bzw. Wertekonstellationen als Indikatoren zur Identifikation einer (beginnenden) Leberkrankheit herangezogen. Bei der Laborwertanalyse konnten 3 Cluster identifiziert werden, die in dieser Form bereits in der Vorstudie ermittelt wurden [31]. Diese dürften damit zusammenhängen, dass die beauftragten Labore keine deckungsgleichen Portfolios zur Verfügung stellen. Zugleich scheint es bei einem Teil der Hausärzt*innen die Tendenz zu geben, im Praxisalltag auf möglichst wenige griffige Parameter zu fokussieren [19] [29]. Insbesondere die γ -GT scheint dabei für viele Allgemeinärzt*innen ein nahe liegender und oft singulär betrachteter Indikator zu sein, obgleich eine isolierte Erhöhung der γ -GT ohne Alkoholkonsum nicht zwangsläufig auf eine Leberpathologie hindeutet [21] [35] [36].

  • Zweitens sind die diagnostischen Voraussetzungen in der Hausarztpraxis für eine adäquate Abklärung von Leberwerterhöhungen oftmals nicht in ausreichendem Umfang gegeben. Dies betrifft die technisch-apparative Ausstattung ebenso wie ein konsequentes Angebot von diagnostischen Angeboten (z.B. erweiterte Labordiagnostik, Leber-Check-up). Hausärzt*innen selbst artikulieren einen ausgeprägten Bedarf nach Schulung ihrer diagnostischen Fähigkeiten bzw. an einem Ausbau adäquater Fortbildungsangebote in diesem Bereich, was sich u.a. darin zeigt, dass Hinweise auf (beginnende) Lebererkrankungen oftmals eher selektiv registriert werden. Hausärzt*innen scheinen sowohl anamnestisch als auch von der Befundseite her lebensstilbedingte Lebererkrankungen wie die alkoholische Lebererkrankung stärker zu betonen und demgegenüber das hepatologische Problem der Fettleber, virale Lebererkrankungen und systemische Autoimmunphänomene weniger zu betrachten [32]; darauf weisen auch andere Arbeiten hin [14] [30] [36]. Für eine stärkere Unterstützung der diagnostischen Kompetenzen von Hausärzt*innen spricht neben der im Zuge der Befragung ermittelten Selbsteinschätzung der Ärzt*innen auch die Tatsache, dass Praxisempfehlungen und Expertisen medizinischer Fachgesellschaften eher selten genutzt werden.

  • Drittens gibt es Hinweise darauf, dass das hausärztliche Überweisungsverhalten mit Blick auf die Abklärungsbedürftigkeit von (unklaren) Leberwerterhöhungen nicht immer passgenau ist. Dies betrifft insbesondere die Frage, inwiefern nach Feststellung erhöhter Leberwerte kontrolliert zugewartet wird und ab welchem Zeitpunkt eine Überweisung angezeigt ist. Zwar bevorzugt grundsätzlich eine Mehrzahl der Befragten ein kontrolliertes Zuwarten von bis zu 8 Wochen, allerdings machen sie im Versorgungsalltag von rascheren und häufigeren Überweisungen zu Fachärzt*innen oder Leberambulanzen Gebrauch. Auch hierfür können neben systembedingten Einschränkungen (zeitlicher Aufwand für eine vertiefte Abklärung, Laborbudgetierung usw.) diagnostische Unsicherheiten mitverantwortlich sein. Nach Einschätzung der befragten Fachärzt*innen kommt es häufiger vor, dass hausärztliche Überweisungen zu früh oder zu spät stattfinden [33] [34].

  • Viertens bestehen diverse Herausforderungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Hausärzt*innen und niedergelassenen internistisch-gastroenterologischen Fachärzt*innen. Vor allem die mangelnde Erreichbarkeit und der Umstand, dass es relativ häufig zu längeren Wartezeiten auf einen Termin zur differenzialdiagnostischen Klärung beim Verdacht auf eine Leberkrankheit kommt, stellen Erschwernisse für Hausärzt*innen dar. Zudem scheint das Überweisungsverhalten der Fachärzt*innen im Anschluss an die Diagnosestellung einer Lebererkrankung durch häufige Rücküberweisungen zum Hausarzt geprägt [16] [17] [21]. Indes belegt die Befragung von gastroenterologischen Fachärzt*innen, dass der hausärztliche Verzicht auf eine genuine Basisabklärung ein bedeutendes Problem in der Interaktion mit Fachärzt*innen darstellen kann. Der Umstand, dass Hausärzt*innen oftmals ein stark unterschiedliches Vorgehen bei der Abklärung von Leberwerterhöhungen praktizieren, stellt aus Sicht eines Teils der Befragten eine zusätzliche Hürde dar.

Die ermittelten Befunde und Problematiken können dahingehend verdichtet werden, dass der Umgang mit erhöhten Leberwerten, welche im Rahmen einer allgemeinen Blutuntersuchung auffallen, eine diagnostische Herausforderung darstellt, die bislang stark vom individuellen Vorgehen des einzelnen Hausarztes abhängt und entsprechend heterogen bearbeitet wird. Die Ergebnisse können mit dem Umstand in Zusammenhang gestellt werden, dass bislang ein validierter, flächendeckend etablierter diagnostischer Algorithmus für die Identifizierung von Patient*innen mit erhöhten Leberwerten fehlt, insbesondere mit Blick auf Patient*innen mit hohem Risiko für eine Leberzirrhose [11] [19] [25] [26] [27] [28] [29] [30]. Ein solcher in der Breite der Versorgung angewandter strukturierter Diagnose- und Behandlungspfad könnte ein wertvolles Tool zu evidenzbasierter Professionalisierung und Vereinheitlichung des hausärztlichen Vorgehens sein [24] [26] [28].

Seit geraumer Zeit machen verschiedene Forschungs- und Hilfsnetzwerke sowie Fachgesellschaften auf den Stellenwert eines systematischen Diagnosepfads aufmerksam. Im Zuge dessen wurden Algorithmen entwickelt, die bei erhöhten Leberwerten suffizient angewendet werden können [37] [38] [39] [40]. Holstege kategorisiert beispielsweise Vorgehensweisen anhand des Musters der pathologisch veränderten Leberwerte in 3 verschiedene Gruppen [41]. Liegen erhöhte Transaminasen vor, sollte geklärt werden, ob eine virale Genese, eine genetisch induzierte Stoffwechselerkrankung oder eine medikamentös-toxische Schädigung vorliegt. Im Fall erhöhter Cholestaseenzyme sollte mittels Sonografie abgeklärt werden, ob eine intra- oder extrahepatische Ursache der Cholestase vorliegt. Bei einem Anstieg der γ-GT ist stärker auf extrahepatischen Krankheitsursachen und physiologische Enzymerhöhungen zu achten.

Internationale Arbeiten lassen vermuten, dass ein belastbarer, in der Breite der Versorgung angewandter Diagnosealgorithmus entscheidende Vorteile generieren könnte, darunter Kosten-Nutzen-Effekte und eine raschere Früherkennung. Zudem ließe sich das differenzialdiagnostische Vorgehen besser strukturieren, vorschnelle oder verspätete Überweisungen vermeiden, der Informationsfluss optimieren und eine reibungslosere Arbeitsteilung zwischen Haus- und Fachärzt*innen sicherstellen [18] [34] [35]. Die Entwicklung und breite Etablierung eines praxisnahen, situationsbezogenen Algorithmus zur (weiteren) Abklärung erhöhter Leberwerte wäre nicht zuletzt ein wertvoller Beitrag zu einer effektiveren Verlaufsbegleitung und individuell passgenaueren Therapiemaßnahmen, die ein Fortschreiten der Krankheit verhindern und sogar zu einer Zirrhoseregression führen können [26] [27] [28] [29] [30]. Diese könnten kombiniert werden mit zusätzlichen Maßnahmen, Strukturen und Angeboten, die klare Versorgungspfade unterstützen, so etwa eine feste Verankerung leberwertassoziierter Blutuntersuchungen im Rahmen des hausärztlichen Check-ups, standardisierte Parameter für das Routinelabor und die Entwicklung einer fundierten hausarztbasierten Leitlinie zur Erkennung und zum Umgang mit erhöhten Leberwerten [15] [16] [17] [29] [35].

Eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung eines strukturierten Diagnosealgorithmus wird indes sein müssen, dass dieser in der Lage ist, sich möglichst dicht entlang der hausärztlichen Versorgungsrealität zu orientieren [16] [35]. Dazu zählt u.a. der Einfluss von Kosten und zeitlichem Aufwand, der von einem evidenzbasierten Diagnosepfad mit Blick auf Fragen der Abklärung und des Überweisungsverhaltens zu berücksichtigen ist [17].


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Stärken und Schwächen

Der vorliegende Beitrag diente als komprimierte Zusammenschau und Studienbilanz, um Erkenntnisse mit Blick auf die Diagnostik erhöhter Leberwerte in der Primärversorgung zu verdichten und einen Bezug zur Forschungslage herzustellen. Die präsentierten Befragungen waren aufgrund mehrerer Vorstudien bereits konzeptionell erprobt und auf das allgemein- bzw. fachärztliche Versorgungsgeschehen zugeschnitten. Im Zuge der Durchführung konnten große, durchmischte Stichproben gewonnen werden, die ein breites Bild über den hausärztlichen Umgang und entsprechende Voraussetzungen bei der Leberwertabklärung eröffnen. Dennoch kann keine der vorgestellten Studien einen repräsentativen Anspruch erheben (u.a. regionale Schwerpunkte, begrenzter Rücklauf). Weiter ist es aufgrund der Anonymisierung – die als Voraussetzung für eine breite Teilnahme diente – nicht möglich, zurückzuverfolgen, aus welchen Teilen der entsprechenden Bundesländer Haus- bzw. Fachärzt*innen teilgenommen haben. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich thematisch interessierte Ärzt*innen in stärkerem Maße zur Teilnahme bereiterklärt haben.

Mit Blick auf die Limitationen ist insbesondere hinsichtlich der Hausärzt*innen-Befragung anzumerken, dass sowohl anamnestisch als auch von der Befundseite die alkoholische Lebererkrankung stärker betont wird und demgegenüber das hepatologische Problem der Fettleber, virale Lebererkrankungen und systemische Autoimmunphänomene weniger Beachtung finden [42]. Somit kann die Befragung der Breite von Lebererkrankungen in der hausärztlichen Versorgung nicht umfänglich gerecht werden. Diese Forschungslücke zu bearbeiten wird Aufgabe von Folgearbeiten sein müssen.

Für künftige Studien wäre interessant, zu erfassen, welche Maßnahmen aus Sicht von Hausärzt*innen mit hepatologischer Kompetenz dazu geführt haben, sicherer im Umgang mit Leberwerterhöhungen zu werden und welche Maßnahmen darüber hinaus aus Sicht dieser Behandler*innen ergriffen werden sollten, um die Effektivität der hausärztlichen Früherkennung zu verbessern.


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Schlussfolgerungen

Erhöhte Leberwerte treten als häufiger Zufallsbefund in der hausärztlichen Versorgung auf. Umso größer ist die Bedeutung, die einer effektiven Abklärungs- und Ausschlussdiagnostik zukommt, um zu verhindern, dass vorhandene Leberkrankheiten übersehen werden. Dabei ist nicht nur relevant, welche Leberwerte in welchen Konstellationen herangezogen oder wann Patient*innen zur weiterführenden Untersuchung überwiesen werden. Ebenfalls ist die Qualität einer funktionierenden Kooperation zwischen Haus- und Facharztebene entscheidend.

Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass die frühzeitige, konsequente Identifizierung und Abklärung (unklarer) Leberwerterhöhungen in der Hausarztpraxis derzeit nicht immer möglich ist, da verschiedene Hürden und Herausforderungen bestehen. Um die Effektivität der primärärztlichen Versorgung sukzessive zu steigern, erscheint es ratsam, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer verstärkten Professionalisierung und Vereinheitlichung der Diagnostik beitragen und die Zusammenarbeit mit gastroenterologischen Spezialisten besser strukturieren. In diesem Zusammenhang kann die Etablierung eines an der ambulanten Versorgungsrealität orientierten, ausreichend validierten Diagnose- und Behandlungspfads ein wertvolles Instrument sein. Sinnvoll wäre zudem ein breiteres Angebot von themenbezogenen Schulungsformaten sowie die feste Verankerung einer leberwertassoziierten Blutuntersuchung im Rahmen des Check-ups. Die Entwicklung einer fundierten hausarztbasierten Leitlinie zur Erkennung und zum Umgang mit erhöhten Leberwerten erscheint ratsam, um ambulanten Allgemeinmedizinern bessere und hausarztkonforme Orientierungsmöglichkeiten bei der diagnostischen Abklärung von Leberwerten zu vermitteln. Flankiert durch die angesprochenen Maßnahmen sollten Hausärzt*innen grundsätzlich darin bestärkt werden, die Basisdiagnostik bei erhöhten Leberwerten selbst durchzuführen und dann anlassbezogen zu überweisen, um so ihre Zuweiserrolle optimal ausfüllen zu können.

Kernaussagen
  • Erhöhte Leberwerte treten als häufiger Zufallsbefund in der hausärztlichen Versorgung auf. Neben der Beachtung von Symptomen ist für eine effektive Abklärung entscheidend, welche Leberwerte als Indikatoren einbezogen und wann Patienten zur weiterführenden Diagnostik überwiesen werden.

  • Die frühzeitige, konsequente Identifizierung und Abklärung (unklarer) Leberwerterhöhungen ist in der Hausarztpraxis derzeit aufgrund diverser Hürden und Herausforderungen nicht immer möglich. Um die Effektivität der primärärztlichen Versorgung zu steigern, erscheint es ratsam, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer verstärkten Professionalisierung und Vereinheitlichung der Diagnostik beitragen und die Zusammenarbeit mit gastroenterologischen Spezialist*innen besser strukturieren.

  • Ein validierter, evidenzbasierter Diagnosealgorithmus zur Einordnung und Bewertung erhöhter Leberwerte kann in Verbindung mit gezielten hausärztlichen Schulungs- und Fortbildungsformaten ein wertvolles Instrument sein, um Hausärzt*innen bei der Diagnostik zu unterstützen und die Versorgungskette konsequenter zu gestalten.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1 Bei der erweiterten Laboruntersuchung werden neben dem Blutbild auch Leber- und Nierenwerte sowie Elektrolyte bestimmt. Dieser erweiterte Laborcheck wird als sogennante IGeL-Leistung i.d.R. privat in Rechnung gestellt.



Korrespondenzadresse

Dr. Julian Wangler
Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz
Am Pulverturm 13
55131 Mainz
Germany   

Publication History

Received: 05 January 2022

Accepted after revision: 04 April 2022

Article published online:
14 July 2022

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Abb. 1 Abgeleitete Ansatzpunkte für eine effektivierte hausärztliche Leberdiagnostik (eigene Darstellung).