ergopraxis 2022; 15(10): 44-46
DOI: 10.1055/a-1868-1897
Perspektiven

In sieben Phasen zum gesunden Wandel – Veränderungen gemeinsam gestalten

Lisa Holtmeier
 

Nichts ist so beständig wie der Wandel – das wusste schon der Philosoph Heraklit vor mehr als 2500 Jahren. Insbesondere im Gesundheitswesen ändert sich ständig irgendetwas. Eine Kollegin ist schwanger, ein neuer Standort wird eröffnet, Arbeitsabläufe werden optimiert, es gibt neue Auflagen, Vorlagen oder Verträge, wechselnde Mitarbeitende und ständig neue Klient*innen. Warum Veränderungen oft unbeliebt sind und wie Sie Veränderungsprozesse gesund gestalten können, zeigt der folgende Beitrag.


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ABB. Bei Veränderungen durchlaufen Menschen häufig sieben Phasen – vom Schock (o. l.) bis zur Integration des Neuen in den Arbeitsalltag (u. r.). Quelle: © S. Schaaf/Thieme

Veränderungsprozesse ereilen uns in einer schnelllebigen Zeit, wie wir sie gerade erleben, ständig. Denn immer häufiger lautet das Credo: Stillstand ist Rückschritt. Alles ist im Wandel. Noch nie wurde mehr Flexibilität von uns erwartet. Darin liegen sehr viele Chancen und Möglichkeiten, jedoch bedeutet diese Entwicklung für viele Menschen Stress. Führungspersonen und Mitarbeitende fühlen sich unter enormem Druck, innovative Ideen zu haben, sich abzuheben und ständig irgendetwas zu verändern. Oft lassen sich dabei sehr ungesunde Entwicklungen beobachten.

Dabei ist es möglich, dass Sie Veränderungsprozesse gesund gestalten, ohne auf dem Weg Ihr Team zu verlieren.

Warum Veränderungen häufig unbeliebt sind

Veränderung bedeutet für viele Menschen Unsicherheit und Stress. Deshalb hören Sie häufiger ein „Nein“ oder ein „Ja, aber“ als ein klares „Ja“. Denn wenn ein Nein verbalisiert wird, bleibt alles so, wie es ist. Sagen Menschen zu etwas Ja, lassen Sie sich auf Veränderungen ein. Auch wenn diese nur ganz klein sind. Viele Personen suchen Beständigkeit in dieser unbeständigen Welt. Deshalb folgt auf eine neue Idee oder einen Optimierungsvorschlag oft keine La-Ola-Welle der Begeisterung. Viel eher spukt durch die Köpfe: „Was soll ich denn noch alles tun? Schaffe ich das?“

Überforderung, Stress und Druck stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Viele Mitarbeitende sind froh, wenn sie das „Daily Business“ gemanagt bekommen, weil das schon meistens anders läuft als eingangs geplant. Denn wann läuft ein Praxis- oder Kliniktag mal nach Plan? Richtig, nahezu nie.

Zudem haben viele Mitarbeitende Angst vor Fehlern. Bei Veränderungsprozessen ist die Fehlerwahrscheinlichkeit viel höher als bei gewohnten Tätigkeiten. Menschen möchten in der Regel „gut dastehen“ und nicht unsicher oder gar inkompetent wirken. So fühlen sich allerdings viele in Veränderungsprozessen: unsicher und inkompetent – ein weiterer Grund für die Unbeliebtheit solcher Wandel.


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Ängste der Mitarbeitenden

Verunsicherung und Hilflosigkeit

Viele Mitarbeitende können Veränderungsprozesse kaum nachvollziehen, weil sie nur wenig involviert und eher als „ausführende Instanz“ betrachtet werden. So fehlen ihnen wichtige Informationen, die Sicherheit geben und ein Verständnis für das Bevorstehende schaffen. Zudem haben Mitarbeitende immer wieder den Eindruck, keine Einflussmöglichkeiten zu bekommen und sich dem Wandel hingeben zu müssen. Das stresst und verunsichert obendrein. Das Gefühl, „Opfer der Umstände“ zu sein, verstärkt die Verunsicherung noch. Der Wunsch vieler Führungspersonen ist es hingegen, dass ihre Mitarbeiter*innen sich engagieren.


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Mehrarbeit

Veränderungsprozesse fühlen sich für viele Menschen so an, als würden sie mehr arbeiten als zuvor. Dabei werden beispielsweise neue Arbeitsabläufe einfach viel bewusster und aufmerksamer durchgeführt, weshalb manchmal der Eindruck entsteht, als wäre es deutlich mehr Arbeit.


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Soziale Veränderungen

Veränderungsprozesse beeinflussen auch oft das Teamgefüge. Jeder Mensch geht mit Veränderungen anders um. Manchmal kommt es auch zu Positionierungsveränderungen innerhalb des Teams oder bei den verschiedenen Teamrollen. Auch wenn Mitarbeitende aufgrund von Schwangerschaft, Stellenwechsel oder Ähnlichem das Team verlassen, kommt es zu einer Veränderung im Teamgefüge. Egal aus welchem Grund: Solche Veränderungen können zur Verunsicherung der Mitarbeiter*innen führen.


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Überforderung

Sie sollten immer damit rechnen, dass Mitarbeitende auf Veränderungen mit Überforderung reagieren. Denn jede*r Mitarbeiter*in hat neben dem Berufsleben auch ein Privatleben. Wenn im Privatleben bereits sehr viel im Wandel ist, kann eine Veränderung im beruflichen Kontext zu viel werden. Deshalb ist es von großer Bedeutung, immer wieder den Kontakt und den Dialog zu allen Teammitgliedern zu suchen, um den Wandel gemeinsam zu erleben und zu gestalten.


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Verschiedene Phasen

Prof. K. Streich befasste sich mit der emotionalen Reaktion im Changemanagement und entwickelte das „7-Phasen-Modell“. Vielleicht kommt Ihnen das Modell bekannt vor. Diese sieben Phasen entstanden aus dem Modell „5 Phasen der Trauer“. Die sieben Phasen im Überblick (ABB.):

1. Schock

2. Verneinung & Ablehnung

3. Rationale Akzeptanz

4. Emotionale Akzeptanz

5. Lernen & Ausprobieren

6. Erkenntnis

7. Integration

In der ersten Phase reagieren die Mitarbeitenden häufig mit Schock, Entsetzen oder Hilflosigkeit. In Phase zwei wird oft diskutiert: „Muss das sein?“ „Ich finde die Idee gar nicht gut!“ Anschließend, in Phase drei, kommt die Einsicht, dass der Wandel wohl unvermeidbar ist. In Phase vier folgt dann die emotionale Einsicht. Austesten und Lernen erfolgen in Phase fünf. Die Mitarbeitenden lernen hier, mit der neuen Situationen umzugehen, und kommen wieder in einen ressourcenvollen Zustand. In Phase sechs sammeln sie viele Erkenntnisse und ihnen werden die Vorteile der Veränderung bewusst. In Phase sieben ist der Veränderungsprozess dann selbstverständlich geworden und bereits in den Alltag integriert.

Dieses Phasenmodell gibt eine ungefähre Orientierung, welchen emotionalen Verlauf Veränderungen mit sich bringen. Wichtig: Diese Phasen werden nicht immer Punkt für Punkt durchlaufen und sollten eher als Anhaltspunkte dienen, um ein Verständnis für die Reaktion und die damit einhergehenden Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu schaffen.


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Tipps für gesunden Wandel

In meiner Arbeit als Coach begleite ich viele Praxen, Praxisinhaber*innen, therapeutische Leitungen und Teams. In den allermeisten Fällen durchlaufen wir gemeinsam Veränderungsprozesse. Es ist mir ein großes Anliegen, diese gesund zu gestalten und transparent zu kommunizieren. Kommunikation ist in Zeiten des Wandels unverzichtbar und eine der wichtigsten Führungsaufgaben. Gerade zu Beginn eines Veränderungsprozesses ist es zwingend notwendig, dass ausreichend kommuniziert wird, damit alle den gleichen Wissensstand haben. Die Personen, die den Wandel einleiten – in den meisten Fällen die Führungspersonen – haben sich schon lange und intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Diese mentale Vorbereitung fehlt den Mitarbeitenden häufig, weshalb sie sich oft überrannt fühlen.

Begegnen Sie den Ängsten Ihrer Mitarbeitenden, indem Sie den Wandel gemeinsam gestalten.

Tipp 1: Machen Sie die Story hinter dem Wandel bekannt

Wie kommt es zu der Veränderung? Welche Gedanken haben Sie sich dazu gemacht? Welchen Prozess haben Sie selbst durchlaufen, bis Sie diese Entscheidung getroffen haben?

Im Optimalfall entsteht der Veränderungsprozess gemeinsam mit dem Team. In den Praxen beobachte ich allerdings häufiger, dass die Führungspersonen den Veränderungsprozess einleiten. Auch das ist völlig in Ordnung. Geben Sie den Mitarbeitenden die Chance, den Prozess, den Sie bis dahin durchlaufen haben, nachvollziehen zu können. Holen Sie die Mitarbeitenden ab.


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Tipp 2: Machen Sie den Vorteil bewusst

Was haben die Mitarbeitenden davon, diese Veränderung umzusetzen? Welche Vorteile hat der Wandel für die Mitarbeitenden? Je bewusster ihnen der Vorteil ist, desto höher sind Motivation und Commitment. Gemeinsam mit den Führungspersonen bereite ich Argumente und Vorteile vor, um den Mitarbeitenden die Sorge vor der Veränderung zu nehmen. Denn die Mitarbeitenden fragen sich mit Recht, „Warum sollte ich das tun?“, und diese Frage sollten Sie tunlichst beantworten. Am besten schon, bevor sie gestellt wird.


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Tipp 3: Stellen Sie niemanden vor vollendete Tatsachen

Das ist letztlich der häufigste Fehler, den ich in Teams beobachte. Die Veränderung wird verkündet, und dann soll diese so durchgeführt werden. Das ist in den allermeisten Fällen zum Scheitern verurteilt. „Ab sofort wird XY gemacht“, lautet die Anweisung, und die Führungspersonen wundern sich, warum diese nicht durchgeführt wird. Die Antwort ist ganz einfach: Die Kommunikation ist eine Katastrophe. Richten Sie bei Veränderungen bitte immer eine Probezeit ein. Darum bitte ich alle Führungspersonen, und es zeigt sich, dass die Mitarbeitenden wesentlich aufgeschlossener gegenüber Veränderungen sind, ihre Ideen aktiver einbringen, es weniger Diskussionen gibt und die Veränderungsprozesse viel erfolgreicher laufen.

„XY probieren wir nun 14 Tage aus. In der Teamsitzung in 14 Tagen sprechen wir gemeinsam darüber: Was hat richtig gut geklappt? Was lief gar nicht gut? Wie können wir bestimmte Dinge adaptieren? Was nehmen wir aus der Erfahrung mit?“

Anschließend kann wieder eine Probezeit von 14 Tagen gestartet werden. Auf 14 Tage lassen sich die meisten Mitarbeitenden ein. Ich hatte zumindest noch nie den Fall, dass das Konzept nicht aufgegangen ist. Ehe Sie sichs versehen, ist aus der Probezeit eine Gewohnheit geworden.


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Tipp 4: Involvieren Sie durch Fragen

Gern gebe ich den Führungspersonen noch Fragemuster an die Hand, die sie nutzen können, um den Veränderungsprozess gemeinsam mit dem Team zu gestalten. Insbesondere wenn die Umsetzung noch nicht ganz klar ist, können Sie an dieser Stelle schon die Mitarbeitenden ins Boot holen.

Wie könnte XY umgesetzt werden? Welche Ideen habt ihr, um XY umzusetzen? Was sollten wir bei der Umsetzung auf jeden Fall beachten? Was würde euch helfen, mit der Veränderung gut umgehen zu können? Was braucht ihr, um XY umzusetzen? Was könnte euch daran erinnern, XY in Zukunft anders zu machen?

Erkundigen Sie sich auch während des Prozesses, wie es den Teammitgliedern dabei geht oder ob sie Optimierungsbedarf sehen. Zeigen Sie echtes Interesse an den Sorgen, Ideen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden, sonst steigen diese mental aus und Sie stehen allein da.


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Das Team gewinnt!

Denken Sie daran: Allein kommen Sie vielleicht schneller voran, jedoch kommen Sie gemeinsam mit Ihrem Team weiter! Also lohnt es sich immer, Zeit dafür zu investieren, dass alle ihren Platz im Veränderungsprozess gefunden haben. Intensivieren Sie Ihre Kommunikation, sodass Sie niemanden auf dem Weg verlieren. Denn Veränderung ist immer Teamsache.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Reise – und kommen Sie gut an!

Lisa Holtmeier


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Autorin

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de

Publication History

Article published online:
29 September 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de
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ABB. Bei Veränderungen durchlaufen Menschen häufig sieben Phasen – vom Schock (o. l.) bis zur Integration des Neuen in den Arbeitsalltag (u. r.). Quelle: © S. Schaaf/Thieme