Hamostaseologie 2022; 42(04): 274-275
DOI: 10.1055/a-1868-1917
Mitteilungen des Vorstandes des Berufsverbandes der Deutschen Hämostaseologen e.V. (BDDH)

Gentherapie in der Hämophilie A und B “Ante Portas”: Aktuelle Entwicklungen in der ärztlichen Vergütung und Bericht Tagung Ethikrat

Jürgen Koscielny
1   Charité Universitätsmedizin, Berlin, Germany
,
Bettina Kemkes-Matthes
2   Ehemalige Leitung Interdisziplinärer Schwerpunkt für Hämostaseologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Berlin, Germany
,
Günther Kappert
3   Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr (GZRR), Duisburg, Germany
,
Christoph Sucker
4   Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) COAGUMED Gerinnungszentrum Berlin, Berlin, Germany
5   Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Brandenburg an der Havel, Berlin, Germany
› Author Affiliations
 

Jürgen Koscielny: Gentherapie in der Hämophilie A und B “Ante Portas”: Aktuelle Entwicklungen in der ärztlichen Vergütung

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) innerhalb Deutschlands werden von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen Rabattierungsverträge nach § 130 a nach SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch) mit den pharmazeutischen Unternehmen (PU), auch in der Gentherapie in der Hämophilie A und B angestrebt. Hierbei wird ein „Pay-for-Performance (P4P)-Vergütungsmodell“ nach § 130a Abs. 8 SGB V (messbare Therapierfolge) von Seiten der gesetzlichen Krankenversicherungen mit den PU angestrebt. Diese sollen primär im Rahmen der Versorgungsverträge nach § 132 i nach SGB V eingebettet sein. Manche Kassenverbünde, wie z.B. einige regionale AOKs, überlegen Verträge entsprechend dem Modell § 140a nach SGB V „Besondere Versorgung“ abzuschließen. Hierzu wären separate Ausschreibungen notwendig.

Damit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die ärztlichen Leistungen, die nicht im EBM (einheitlicher Bewertungsmaßstab) oder auch GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) vergütet werden, bezahlt werden. Die umfangreichen ärztlichen und weiteren betreuenden Maßnahmen, insbesondere in den ersten 6 bis 12 Monaten nach Beginn der der Gentherapie, sind bereits durch ein fachliche Arbeitsgruppe des BDDH (Berufsverband der Deutschen Hämostaseologen) in Abstimmung mit der GTH (Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung), der PU in Absprache mit den gesetzlichen Krankenkassen dokumentiert. Diese Vergütungen sollen dann nach Einführung der Gentherapie über zusätzliche Entgelte nach den Versorgungsverträge nach § 132 i SGB V (oder ggf. auch nach § 140 a SGB V) erfolgen. Entsprechend den erbrachten Leistungen sollen diese Vergütungen sowohl für das dosierende als auch für das betreuende ärztliche Zentrum gestaffelt stattfinden. Der Umfang der zu erbringenden Leistungen für die Zentren sind erheblich: mehrstufiges Aufklärungsverfahren, Aufgabenbesprechung dosierendes und betreuendes Zentrum, Durchführung der Eignungstests, Abstimmung der Zentren mit der versorgenden Apotheke (zertifiziert für klinische Prüfungen mit genetisch veränderten Organismen (GVO)), ggf. Anträge für Kostenzusage der Krankenkasse, Applikationstag im Dosierungszentrum und ambulante Überwachung, fast wöchentliche Blutentnahmen, Durchführung und Beratung immunsuppressiver Therapie, umfangreicher „Follow up“ mit Eingabe in die zukünftigen Register.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 14.06.2022 die Beschlussfassung zur Einleitung der Beratung eines Qualitätssicherungsverfahrens im Rahmen der Anwendung von „Arzneimitteln für neuartige Therapien“ (Advanced Therapy Medicinal Products [ATMP]) in der Gentherapie (für die Hämophilie A und B) eingeleitet. Diese neue ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie wird zu weiteren Qualitätsanforderungen an die Hämophiliezentren führen. Da die Gentherapie in der Hämophilie A und B zulassungsgemäß nach der EMA ambulant erfolgen wird, muss die ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie entsprechend angepasst werden. Daher müssen auch die versorgenden Apotheken eine behördliche Genehmigung auf Länderebene für „Gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO) vorweisen. Die zukünftige Meldung ins DHR wird nach dem zu erwartenden Beschluss des G-BA (gemeinsamer Bundesausschuss) bei gentherapierten Patienten umfangreicher werden. Auch dieser Punkt wird bei der zukünftigen Vergütung mitberücksichtigt werden.


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Bettina Kemkes-Matthes: Bericht Tagung Ethikrat

„Hohe Preise – Gute Besserung?“ war das Thema der Tagung des deutschen Ethikrates, die am 22.06.2022 im Estrel-Tagungszentrum in Berlin stattfand. Erstmals war auch die Hämostaseologie mit dabei: Prof. Dr. Bettina Kemkes-Matthes war eingeladen, um unter der Headline „Was bedeutet die Verfügbarkeit sehr teurer Medikamente für den klinischen Alltag?“ die Situation bei der Behandlung Hämophiler zu schildern. Sie ging in ihrem Vortrag darauf ein, was Hämophilie noch im letzten Jahrhundert bedeutete – massiv geschädigte Gelenke, Hepatitis- und HIV-Infektion – und wie im Gegensatz dazu das Leben eines Hämophilie-Patienten in Deutschland heute aussieht: moderne Konzentrate, die Möglichkeit, ein annähernd normales Leben zu führen und vor allem die Möglichkeit zur Teilnahme am Berufs- und sozialen Leben. Dies alles aber nur, weil in Deutschland pro Jahr ca. 900 Millionen Euro für Faktorenkonzentrate ausgegeben werden können. Sie betonte darüber hinaus, dass für die Versorgung von Hämophilie-Patienten aber viel mehr notwendig ist als „nur“ das Zur-Verfügung-Stellen von Faktorenkonzentraten und wies in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der Pharmaindustrie hin, die in den letzten Jahrzehnten die Hämophilen vielfältig unterstützt hat – von der Versorgung mit Informationsbroschüren bis zur Finanzierung von Home-Care-Modellen. Dies alles Dinge, die von den Kassen bisher nicht finanziert wurden.

Für den Vorstand der Deutschen Hämostaseologen

Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny, Vorsitzender

Dr. med. Günther Kappert, Stellvertretender Vorsitzender

Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, 1. Beisitzer des Vorstandes


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Address for correspondence

PD Dr. Christoph Sucker
Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) COAGUMED Gerinnungszentrum Berlin
Berlin
Germany   

Publication History

Article published online:
24 August 2022

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