Jürgen Koscielny: Gentherapie in der Hämophilie A und B “Ante Portas”: Aktuelle Entwicklungen
in der ärztlichen Vergütung
Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) innerhalb Deutschlands werden
von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen Rabattierungsverträge nach § 130 a nach
SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch) mit den pharmazeutischen Unternehmen (PU),
auch in der Gentherapie in der Hämophilie A und B angestrebt. Hierbei wird ein „Pay-for-Performance (P4P)-Vergütungsmodell“ nach §
130a Abs. 8 SGB V (messbare Therapierfolge) von Seiten der gesetzlichen Krankenversicherungen
mit den PU angestrebt. Diese sollen primär im Rahmen der Versorgungsverträge nach
§ 132 i nach SGB V eingebettet sein. Manche Kassenverbünde, wie z.B. einige regionale
AOKs, überlegen Verträge entsprechend dem Modell § 140a nach SGB V „Besondere Versorgung“
abzuschließen. Hierzu wären separate Ausschreibungen notwendig.
Damit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die ärztlichen Leistungen, die nicht
im EBM (einheitlicher Bewertungsmaßstab) oder auch GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte)
vergütet werden, bezahlt werden. Die umfangreichen ärztlichen und weiteren betreuenden
Maßnahmen, insbesondere in den ersten 6 bis 12 Monaten nach Beginn der der Gentherapie,
sind bereits durch ein fachliche Arbeitsgruppe des BDDH (Berufsverband der Deutschen
Hämostaseologen) in Abstimmung mit der GTH (Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung),
der PU in Absprache mit den gesetzlichen Krankenkassen dokumentiert. Diese Vergütungen
sollen dann nach Einführung der Gentherapie über zusätzliche Entgelte nach den Versorgungsverträge
nach § 132 i SGB V (oder ggf. auch nach § 140 a SGB V) erfolgen. Entsprechend den
erbrachten Leistungen sollen diese Vergütungen sowohl für das dosierende als auch
für das betreuende ärztliche Zentrum gestaffelt stattfinden. Der Umfang der zu erbringenden
Leistungen für die Zentren sind erheblich: mehrstufiges Aufklärungsverfahren, Aufgabenbesprechung
dosierendes und betreuendes Zentrum, Durchführung der Eignungstests, Abstimmung der
Zentren mit der versorgenden Apotheke (zertifiziert für klinische Prüfungen mit genetisch
veränderten Organismen (GVO)), ggf. Anträge für Kostenzusage der Krankenkasse, Applikationstag
im Dosierungszentrum und ambulante Überwachung, fast wöchentliche Blutentnahmen, Durchführung
und Beratung immunsuppressiver Therapie, umfangreicher „Follow up“ mit Eingabe in
die zukünftigen Register.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 14.06.2022 die Beschlussfassung zur Einleitung
der Beratung eines Qualitätssicherungsverfahrens im Rahmen der Anwendung von „Arzneimitteln
für neuartige Therapien“ (Advanced Therapy Medicinal Products [ATMP]) in der Gentherapie
(für die Hämophilie A und B) eingeleitet. Diese neue ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie
wird zu weiteren Qualitätsanforderungen an die Hämophiliezentren führen. Da die Gentherapie
in der Hämophilie A und B zulassungsgemäß nach der EMA ambulant erfolgen wird, muss
die ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie entsprechend angepasst werden. Daher müssen
auch die versorgenden Apotheken eine behördliche Genehmigung auf Länderebene für „Gentechnisch
veränderte Organismen“ (GVO) vorweisen. Die zukünftige Meldung ins DHR wird nach dem
zu erwartenden Beschluss des G-BA (gemeinsamer Bundesausschuss) bei gentherapierten
Patienten umfangreicher werden. Auch dieser Punkt wird bei der zukünftigen Vergütung
mitberücksichtigt werden.
Bettina Kemkes-Matthes: Bericht Tagung Ethikrat
„Hohe Preise – Gute Besserung?“ war das Thema der Tagung des deutschen Ethikrates,
die am 22.06.2022 im Estrel-Tagungszentrum in Berlin stattfand. Erstmals war auch
die Hämostaseologie mit dabei: Prof. Dr. Bettina Kemkes-Matthes war eingeladen, um
unter der Headline „Was bedeutet die Verfügbarkeit sehr teurer Medikamente für den
klinischen Alltag?“ die Situation bei der Behandlung Hämophiler zu schildern. Sie
ging in ihrem Vortrag darauf ein, was Hämophilie noch im letzten Jahrhundert bedeutete
– massiv geschädigte Gelenke, Hepatitis- und HIV-Infektion – und wie im Gegensatz
dazu das Leben eines Hämophilie-Patienten in Deutschland heute aussieht: moderne Konzentrate,
die Möglichkeit, ein annähernd normales Leben zu führen und vor allem die Möglichkeit
zur Teilnahme am Berufs- und sozialen Leben. Dies alles aber nur, weil in Deutschland
pro Jahr ca. 900 Millionen Euro für Faktorenkonzentrate ausgegeben werden können.
Sie betonte darüber hinaus, dass für die Versorgung von Hämophilie-Patienten aber
viel mehr notwendig ist als „nur“ das Zur-Verfügung-Stellen von Faktorenkonzentraten
und wies in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der Pharmaindustrie hin, die in
den letzten Jahrzehnten die Hämophilen vielfältig unterstützt hat – von der Versorgung
mit Informationsbroschüren bis zur Finanzierung von Home-Care-Modellen. Dies alles
Dinge, die von den Kassen bisher nicht finanziert wurden.
Für den Vorstand der Deutschen Hämostaseologen
Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny, Vorsitzender
Dr. med. Günther Kappert, Stellvertretender Vorsitzender
Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, 1. Beisitzer des Vorstandes