Red Flags sind ein wichtiger Bestandteil des Medical Screenings im Rahmen der physiotherapeutischen
Differentialdiagnose und damit auch ein bedeutsamer Faktor in der Debatte um die Berufsautonomie
von Physiotherapeuten. Professionelles Handeln, auch das von Sportphysiotherapeuten,
ist von Expertenwissen geprägt, das unter regelmäßiger Evidenzauffrischung an internationalen
Standards ausgerichtet ist und in der modernen (akademischen) Physiotherapie längst
Fuß gefasst hat. Berufspolitische Debatten z. B. um die Handlungshoheit sowie die
ausschließliche Zuständigkeit im Erstkontakt von Ärzten sollten sich lieber an der
internationalen Faktenlage der Versorgungsforschung orientieren, um so entspannter
geführt werden zu können.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) zum Beispiel
unterstützt bereits die derzeit laufende Kampagne um die Notwendigkeit der Vollakademisierung
der Physiotherapie. Dies ist als gutes Zeichen für eine interprofessionelle Zusammenarbeit
auf Augenhöhe zu verstehen. Die internationale Studienlage hat längst und vielfach
bewiesen, dass bei ausreichender Kompetenzschulung die arztunabhängige physiotherapeutische
Versorgung nicht nur sicher ist, sondern auch kostengünstiger und von höherer Versorgungsqualität [1]! Mehr kann man nicht wollen.
Aber selbstverständlich gilt ebenso: Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit ist ein wichtiger Garant für eine hohe Versorgungsqualität unserer Patienten.
Wann immer es geht, sollte eine kollegiale, gleichrangige Teamarbeit von Sportphysiotherapeuten
mit (Sport-)Medizinern und Sportwissenschaftlern angestrebt werden. Notwendige Bedingung
für das physiotherapeutische Expertenhandeln ist sie aber nicht.
Im Einführungsartikel gehe ich auf die wichtigsten Begriffe im Themenfeld des physiotherapeutischen
Erstkontakts ein, auch unter Verweis auf diesbezüglich bedeutende Erkenntnisse aus
der Versorgungsforschung. Auch zum Thema physiotherapeutische Diagnose und Differentialdiagnose
erfolgen unmissverständliche Klarstellungen. Und schließlich wird das Flaggen-Konzept
ausführlich erläutert.
Beim Artikel über Situationen am Spielfeldrand haben sich die Autoren, Harry von Piekartz und ich, in die Situation hineinversetzt,
wie es ist, bei Wettkämpfen als Physiotherapeut die einzige gesundheitskompetente
Person zu sein, und welche häufigen Fragen hier hinsichtlich einer Notfallversorgung
auftreten können. Und schließlich haben sich die Sportphysiotherapeuten Annika Griefahn
und Maximilian Perschk in ihrem Vertiefungsartikel einem besonderen Fall aus dem Fußball
gewidmet.
Dass fast alle der Autoren, mich eingeschlossen, ihre klinische und wissenschaftliche
Heimat an der Hochschule Osnabrück haben, ist vermutlich kein Zufall: Seit vielen
Jahren vermitteln wir differentialdiagnostische Kompetenzen in unseren Bachelor- und
Masterprogrammen für Physiotherapeuten, und bereits seit 2008 führen wir eine Erstkontaktsprechstunde
in unserem Institut für angewandte Physiotherapie und Osteopathie (INAP/O) durch.
Im Rahmen der Reakkreditierung unserer physiotherapeutischen Programme dehnen wir
die Vermittlung von Medical Screening und Differentialdiagnose zukünftig sogar noch weiter aus.
Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe der Sportphysio wünscht
Christoff Zalpour