IV Leitlinie
1 Einleitung
Der Leidensdruck von Paaren mit wiederholten Spontanaborten (WSA) ist hoch, was dazu
führt, dass oftmals bereits nach einem Abort eine ausführliche Diagnostik und Behandlungsstrategie
gefordert wird. Zudem divergieren therapeutische Ansätze aufgrund mangelnder
Studienlage und der aus diesem Grund fehlenden evidenzbasierten Therapieempfehlungen.
2 Inzidenz und Definition
Etwa 1% bis 3% aller Paare im reproduktionsfähigen Alter erleben den wiederholten
Verlust einer Schwangerschaft, was eine tiefgreifende Problematik für die Partnerschaft
und die
Lebensqualität darstellt [5]. Eine Fehlgeburt ist der Verlust einer Schwangerschaft vom Beginn der Konzeption
bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) bzw. bei
einem Gewicht des Fetus < 500 g [6]. Die World-Health-Organization-(WHO-)Definition des wiederholten Spontanaborts lautet:
„3 und mehr konsekutive
Fehlgeburten vor der 20. SSW“ [6]. Die amerikanische Fachgesellschaft (ASRM) definiert bereits das Vorkommen von 2
Aborten als WSA [4], [7]. Diese Definition erhöht die Inzidenz des WSA auf bis zu 5% aller Paare im reproduktionsfähigen
Alter [8].
Aufgrund des steigenden mütterlichen Alters bei der 1. Schwangerschaft gibt es eine
zunehmende Tendenz, bereits Patientinnen mit 2 Fehlgeburten einer ausführlichen Diagnostik
zu
unterziehen.
Dies scheint gegebenenfalls – wie in der Empfehlung der ASRM aufgeführt – bereits
nach 2 klinischen Schwangerschaften gerechtfertigt, was auch durch eine aktuelle Metaanalyse
unterstrichen
wurde [9]. Die dieser Leitlinie zugrunde liegende Definition für WSA entspricht der Definition
der WHO mit 3 oder mehr konsekutiven Fehlgeburten [6].
Bei der Einschätzung, ob bereits nach 2 Fehlgeburten eine umfangreichere Diagnostik
sinnvoll ist, spielt neben der genauen Abortanamnese auch die reproduktionsmedizinische
Gesamtsituation
des betroffenen Paares eine wesentliche Rolle. Dabei sollte eine sinnvolle Abklärung
alle relevanten Abortursachen umfassen, gleichzeitig aber auch therapierelevant und
kosteneffektiv
sein.
Die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt in Schwangerschaften nach Fehlgeburten schwankt
in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren erheblich. Dabei nimmt neben dem Alter
der Patientin
auch die Anzahl der vorangegangenen Aborte Einfluss. [Tab. 5] zeigt die Daten einer dänischen Registerstudie [10].
Tab. 5 Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt in Abhängigkeit vom maternalen Alter und der
Anzahl vorangegangener Aborte (nach Kolte et al. [10]).
vorausgegangene Aborte
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Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt
|
|
25 – 29 Jahre
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30 – 34 Jahre
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35 – 39 Jahre
|
40 – 44 Jahre
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1 Abort
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~ 85%
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~ 80%
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~ 70%
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~ 52%
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2 Aborte
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~ 80%
|
~ 78%
|
~ 62%
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~ 45%
|
3 Aborte
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~ 75%
|
~ 70%
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~ 55%
|
~ 32%
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≥ 4 Aborte
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< 65%
|
< 60%
|
< 45%
|
> 25%
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Konsensbasierte Empfehlung 2.E1
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Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
|
Die in der vorliegenden Leitlinie aufgeführten Risikofaktoren sollen nach 3 konsekutiven
Aborten abgeklärt werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 2.E2
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Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
|
Eine Abklärung möglicher Risikofaktoren für WSA sollte in begründeten Fällen bereits
nach 2 konsekutiven Aborten erfolgen.
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3 Diagnose und Therapie relevanter Risikofaktoren
3.1 Lebensstil und Verhalten
Verschiedene Lebensumstände und das individuelle Gesundheitsverhalten werden in der
Literatur als ursächlich für das Auftreten von Spontanaborten diskutiert. Zu diesen
zählen Stress,
Über- oder Untergewicht, körperliche Aktivität, Koffein-, Nikotin- und Alkoholkonsum
sowie weitere Faktoren [11].
3.1.1 Stress
Eine Vielzahl von Studien belegt, dass Infertilität und auch WSA mit Depressivität
und Ängstlichkeit bei den betroffenen Frauen einhergehen. Noch immer ist unklar, ob
diese Symptome
bzw. psychischer Stress auch WSA auslösen können (Übersicht bei [12]). Als kritisch ist bei der Mehrzahl der vorliegenden Studien einzuschätzen, dass
retrospektiv erhobene und von den Frauen mit WSA selbstberichtete Angaben zur
Stressbelastung vor dem Abortgeschehen anfällig für Erinnerungslücken (sog. recall
bias) sein können.
Konsensbasiertes Statement 3-1.S1
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Stress und traumatische Erlebnisse während der Schwangerschaft können zu einem Abortgeschehen
beitragen, wobei derzeit unklar ist, ob dies durch das Stressereignis selbst oder
durch das damit einhergehende gesundheitsschädliche Verhalten ausgelöst
wird.
|
3.1.2 Koffeinkonsum
Eine aktuelle Metaanalyse umfasst 4 Beobachtungsstudien zu Effekten des Kaffeetrinkens
auf WSA [11]. Es zeigte sich kein nachweisbares dosisabhängig
höheres WSA-Risiko bei Koffeinkonsum (OR 1,35, 95%-KI 0,83 – 2,19).
Internationale Leitlinien empfehlen die Reduktion das Kaffeekonsums auf weniger als
3 Tassen pro Tag [13].
Konsensbasiertes Statement 3-1.S2
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Aktuelle Studien zeigen keine Korrelation zwischen Koffeinkonsum und Abortwahrscheinlichkeit.
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3.1.3 Nikotinkonsum
Nikotinkonsum ist mit einem ungünstigen geburtshilflichen sowie neonatalen Verlauf
wie z. B. Eileiterschwangerschaft, Totgeburt, Placenta praevia, Frühgeburt, geringem
Geburtsgewicht
und angeborenen Fehlbildungen assoziiert. Eine komplette Karenz des Nikotinkonsums
ist somit allen Schwangeren zu empfehlen [14].
Konsensbasiertes Statement 3-1.S3
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei WSA soll bereits präkonzeptionell dem betroffenen Paar eine Nikotinkarenz angeraten
werden.
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3.1.4 Alkoholkonsum
Aufgrund des hohen Risikos für eine Schädigung des Embryos im Sinne eines „Fetalen
Alkoholsyndroms“ bzw. einer „Fetalen Alkoholspektrumerkrankung (FASD)“ mit einer Prävalenz
von
0,2 – 8,2 pro 1000 Geburten soll jeglicher Alkoholkonsum ab Bekanntwerden der
Schwangerschaft unterlassen werden. Für weitere Informationen verweisen wir auf die
S3-Leitlinie „Diagnose
der Fetalen Alkoholspektrumstörungen, FASD“ (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/022-025.html).
Konsensbasierte Empfehlung 3-1.E3
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Paare mit WSA sollen informiert werden, dass Alkoholkonsum während der Schwangerschaft
mit schweren embryonalen Entwicklungsstörungen verbunden sein kann. Eine Schwangere
soll
auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten.
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3.1.5 Vitamin-D-Mangel
Aktuelle Studien zeigen einen möglichen Zusammenhang zwischen einem Vitamin-D-Mangel
und auto- bzw. alloimmunologischen Störungen bei Frauen mit WSA. Jedoch kann derzeit
aufgrund der
schwachen Datenlage keine generelle Empfehlung zur Gabe von Vitamin D bei WSA
zur Abortprophylaxe erfolgen. In Risikokollektiven ist eine präkonzeptionelle Bestimmung
des
Vitamin-D-Spiegels anzuraten.
3.1.6 Body-Mass-Index
Zahlreiche Studien weisen auf die Assoziation eines erhöhten BMI mit einem erhöhten
Abortrisiko hin. Neben einem erhöhten BMI scheint auch ein erniedrigter BMI die Abortrate
negativ zu
beeinflussen. In einer Metaanalyse von 32 Studien (n = 265 760) stieg die Abortrate
– verglichen mit Frauen mit einem Normalgewicht (BMI 18,5 – 24,9 kg/m2) – bei erhöhtem (BMI
25 – 29,9 kg/m2, RR 1,09, 95%-KI 1,04 – 1,13; p < 0,0001; BMI ≥ 30 kg/m2, RR 1,21, 95%-KI 1,15 – 1,27; p < 0,00 001) und vermindertem BMI (BMI
< 18,5 kg/m2, RR 1,08, 95%-KI 1,05 – 1,11; p < 0,0001) [15].
Studien zum Effekt einer Gewichtsreduktion auf die Lebendgeburten- bzw. Abortrate
zeigen uneinheitliche Ergebnisse, sodass auf Basis der vorliegenden Untersuchungen
derzeit unklar ist,
ob eine Gewichtsreduktion das Abortrisiko senkt [16], [17]. Insgesamt wird auf die AWMF-Leitlinie 015/081 „Adipositas und
Schwangerschaft“ verwiesen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-1.E4
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und Unter- oder Übergewicht/Adipositas soll eine Gewichtsnormalisierung
angestrebt werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-1.E5
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Geeignete Maßnahmen zur BMI-Reduktion bei einem BMI ≥ 25 kg/m2 sowie zur BMI-Erhöhung bei einem BMI < 18,5 kg/m2 sollten angeraten werden.
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3.2 Genetische Faktoren
3.2.1 Chromosomenstörungen
Die häufigste Ursache für Spontanaborte stellen embryonale/fetale Chromosomenaberrationen
dar. Je früher ein Abort eintritt, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer
embryonalen/fetalen Chromosomenstörung. So lassen sich im 1. Trimenon in etwa
50% der Fälle Chromosomenaberrationen nachweisen, während die Rate im 2. Trimenon
nur noch bei etwa 30%
liegt [18]. Nach Daten einer systematischen Übersicht [19] beträgt die Prävalenz einer Chromosomenaberration bei einem
Spontanabort 50% und sinkt geringfügig auf 40% bei Frauen mit mindestens 3
vorangegangenen Aborten. Mit zunehmendem mütterlichem Alter steigt das Risiko für
embryonale/fetale Trisomien
aufgrund von Chromosomenaberrationen. Am häufigsten zeigt sich bei Aborten
die Trisomie 16, gefolgt von der Trisomie 22. Polyploidien finden sich bei etwa 15 – 20%
der zytogenetisch
auffälligen Aborte. Eine Monosomie X ist für etwa 10 – 20% der Aborte im 1. Trimester
verantwortlich. Für die Monosomie X, Polyploidien und strukturelle Chromosomenaberrationen
ist kein
Zusammenhang mit dem mütterlichen Alter erkennbar. Strukturelle Chromosomenveränderungen
werden bei 5 – 10% der Aborte nachgewiesen und stellen eine Indikation zur Untersuchung
der
Eltern im Hinblick auf einen balancierten Chromosomenumbau dar. Bei Paaren
mit 2 oder mehr Aborten lässt sich in etwa 4% bis 5% der Fälle bei einem Partner eine
balancierte
Chromosomenaberration nachweisen [20].
Wird bei einem der Partner eine balancierte Chromosomenaberration nachgewiesen, erhöht
sich in Abhängigkeit von den beteiligten Chromosomen das Risiko für Aborte oder für
die Geburt
eines Kindes mit einer Chromosomenaberration. Hieraus ergeben sich Konsequenzen
für das Angebot einer pränatalen Diagnostik in weiteren Schwangerschaften (s. 3.2.5).
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E6
|
Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
|
Bei Paaren mit WSA soll eine zytogenetische Analyse erfolgen. Diese kann mittels einer
konventionellen Chromosomenanalyse beider Partner präkonzeptionell oder aus dem
Abortmaterial (molekular-zytogenetisch) erfolgen.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E7
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Nachweis einer strukturellen Chromosomenstörung im Abortmaterial soll eine zytogenetische
Untersuchung beider Partner erfolgen.
|
Konsensbasiertes Statement 3-2.S4
|
Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
|
Das Ergebnis muss im Rahmen einer genetischen Beratung entsprechend den nationalen
gesetzlichen Regelungen durch eine/n Fachärztin/-arzt für Humangenetik oder eine/n
Ärztin/Arzt mit entsprechender Qualifikation mitgeteilt werden.
|
Konsensbasiertes Statement 3-2.S5
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Wird bei einem der Partner eine balancierte Chromosomenveränderung nachgewiesen, erhöht
sich in Abhängigkeit von den beteiligten Chromosomen das Risiko für Aborte oder für
die
Geburt eines Kindes mit einer Chromosomenstörung. Hieraus ergeben sich
Konsequenzen für das Angebot einer pränatalen Diagnostik in weiteren Schwangerschaften
oder einer
Polkörper- oder Präimplantationsdiagnostik.
|
3.2.2 Monogene Krankheiten
Insbesondere bei X-chromosomal dominanten Krankheitsbildern mit Letalität im männlichen
Geschlecht besteht ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten. Aber auch bei autosomal-dominanten
und
-rezessiven Krankheitsbildern, die schwere Fehlbildungen aufweisen, kann es
zu einer erhöhten intrauterinen Mortalität kommen. In diesen Fällen, insbesondere
wenn das Krankheitsbild
pränatal nicht identifiziert wurde, sollte eine klinisch-genetische und fetal-pathologische
Untersuchung erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E8
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Hinweisen auf eine monogene Krankheit als Abortursache soll eine genetische Abklärung
im Rahmen einer humangenetischen Beratung erfolgen.
|
3.2.3 Ergebnisse von Assoziationsstudien
Zahlreiche Studien deuten auf mögliche maternale, paternale oder fetale genetische
Effekte hin, die aber bisher nur einen geringen Einfluss auf das Abortrisiko haben.
Eine Metaanalyse
zum väterlichen Alterseffekt ergab geringfügig ansteigende Risiken für Aborte
(OR 1,04 – 1,43) mit steigendem väterlichem Alter [21]. Nach einer
Metaanalyse von 428 Fallkontrollstudien (1990 bis 2015) bei Frauen mit 3 und
mehr Aborten wurden 472 genetische Varianten in 187 Genen überprüft [22]. Die
relativen Risikoerhöhungen durch die genetischen Varianten waren durchwegs
gering (OR 0,5 – 2,3). Für die Zukunft werden einheitliche Studienbedingungen und
größere Kohorten gefordert,
die genomweite Assoziationsstudien unter Berücksichtigung beider Partner und
des Abortmaterials einschließen sollten.
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E9
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine molekulargenetische Analyse von Genvarianten, die bislang im Rahmen von Assoziationsstudien
ermittelt wurden, soll bei Paaren mit WSA nicht durchgeführt werden.
|
3.2.4 Pränataldiagnostische Optionen
Eine ursächliche Therapie von Chromosomenaberrationen ist nicht möglich. Bei Nachweis
einer elterlichen Chromosomenaberration wird meist eine pränatale Chromosomenanalyse
nach
Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese in weiteren (spontan eingetretenen)
Schwangerschaften angeboten. Damit verbunden ist ein Fehlgeburtenrisiko, welches nach
DEGUM-Empfehlungen
allgemein bei 0,5% bis 1% eingeordnet wird [23]. In Einrichtungen mit großer Erfahrung, konsequenter ultraschallgestützter Durchführung
des Eingriffs und
unter Berücksichtigung maternaler Risikofaktoren kann die Abortrate wahrscheinlich
auf 0,2% bzw. 1 zu 500 reduziert werden [24], [25].
3.2.5 Präimplantationsdiagnostik
Bei Paaren mit einem nachgewiesenen balancierten Chromosomenumbau ist eine Vermeidung
von Aborten über eine Auswahl von zytogenetisch unauffälligen Gameten oder Embryonen
nach
Präimplantationsdiagnostik (PGT, preimplantation genetic testing) möglich.
Im Falle maternaler Chromosomenaberrationen kann eine Polkörperdiagnostik (PKD) an
spezialisierten Zentren
durchgeführt werden. Der männliche Chromosomensatz bleibt hierbei unberücksichtigt.
PKD und PGT sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter gewissen gesetzlich
geregelten
Voraussetzungen zulässig.
Zahlreiche Studien zeigen keine Verbesserung in der Lebendgeburtenrate (LGR), bei
Frauen mit WSA nach In-vitro-Fertilisation (IVF) mit PGT-SR (im Vergleich zu Spontanschwangerschaften),
auch nicht bei Paaren mit Vorliegen einer balancierten Chromosomenaberration
bei einem Partner. Eine systematische Übersicht (n = 20 Studien) hat ebenso keine
verbesserte LGR nach PGT-SR
ermittelt [26]. Paare, die auf natürlichem Weg schwanger werden, haben aber eine deutlich höhere
Abortrate im Vergleich zu Paaren, die nach PGT-SR
schwanger werden. In den wenigen Studien, in denen Spontanschwangerschaften
und IVF mit PGT-SR-Schwangerschaften direkt verglichen wurden, zeigte sich ein längerer
Zeitraum bis zur
Lebendgeburt nach PGT-SR [26]. Die LGR war dabei in beiden Gruppen vergleichbar, die Abortrate bei Spontanschwangerschaften
etwa 20 – 40% höher [27], [28]. Die Autoren der Übersicht schlussfolgern, dass ein PGT-SR keinen Vorteil gegenüber
einer natürlichen Konzeption
bei Paaren mit WSA auf der Grundlage einer balancierten Chromosomenveränderung
bietet [26]. Weder in der ESHRE- und RCOG-Leitlinie noch in der
ASRM-Stellungnahme wird derzeit ein PGT bei Paaren mit WSA empfohlen.
Konsensbasierte Empfehlung 3- 2.E10
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Paaren mit WSA mit nachgewiesener familiärer Chromosomenstörung kann zur Verringerung
der Abortrate eine Präimplantationsdiagnostik angeboten werden, wenngleich damit
bisher keine Verbesserung der Lebendgeburtenrate gezeigt wurde.
|
3.3 Anatomische Faktoren
3.3.1 Diagnostik anatomischer Faktoren
Die Prävalenz einer per Hysteroskopie (HSK) diagnostizierten angeborenen (Uterusfehlbildung)
oder erworbenen (Adhäsion, Polyp, submuköses Myom) intrauterinen Pathologie ist bei
Patientinnen nach 2, 3 und ≥ 4 konsekutiven Aborten gleich [29].
3.3.2 Angeborene Fehlbildungen
Die Angaben über die Inzidenz uteriner Anomalien bei WSA variieren in der Literatur
zwischen 10% bis 25% (im Vergleich zu 5% bei Kontrollen) [30] bzw. 3%
bis 7% [31]. Frauen mit einem Uterus subseptus haben ein 2,6-fach höheres Risiko für Frühaborte
(RR 2,65, 95%-KI 1,39 – 5,06) [32]. Ein Uterus arcuatus ist als eine Normalvariante anzusehen und hat keine klinische
Bedeutung [33]. Frauen mit einem Uterus bicornis haben ein
erhöhtes Risiko für einen Frühabort (RR 2,32, 95%-KI 1,05 – 5,13) sowie für
Spätaborte (RR 2,90, 95%-KI 1,56 – 5,41) [34].
3.3.3 Erworbene Fehlbildungen
Intrauterine Adhäsionen
In 2 Übersichtsarbeiten konnten mittels einer HSK nach einem Abort in 19% (95%-KI:
12,8 – 27,5%) [35] bzw. 22% (95%-KI: 18,3 – 27%) [36] der Patientinnen intrauterine Adhäsionen nachgewiesen werden.
Das Adhäsionsrisiko steigt mit der Zahl der Aborte und scheint im Zusammenhang mit
der Häufigkeit einer Abortkürettage zu stehen [35]. Präventiv sollte
daher individuell die Notwendigkeit einer Kürettage abgewogen werden.
Myome
In einer Auswertung retro- und prospektiver Daten von Patientinnen mit WSA lag die
Inzidenz submuköser Myome bei 2,6% (25/966) [37]. Intramurale Myome
ohne submukösen Anteil verursachen keine signifikant höhere Abortrate (relatives
Risiko [RR] 1,24; 95%-KI: 0,99 – 1,57), wie eine Metaanalyse von 19 Beobachtungsstudien
(4 prospektiv
und 15 retrospektiv) zeigte. Bei Frauen mit Myomen, die nicht das Cavum verdrängen,
wird ohne Intervention in 70,3% von einer nachfolgend erfolgreichen Schwangerschaft
berichtet [37].
Polypen
Inwieweit auch Polypen als intrakavitäre Pathologie in Analogie zu den submukösen
Myomen das Abortrisiko beeinflussen, ist unklar. Eine diffuse Mikropolyposis (Polypen
< 1 mm)
findet sich häufig bei einer chronischen Endometritis [38].
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E11
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Zum Ausschluss einer Uterusfehlbildung, submuköser Myome und Polypen soll bei Frauen
mit WSA eine 3-D-Vaginalsonografie und/oder eine Hysteroskopie durchgeführt werden.
Zum
Ausschluss von intrauterinen Adhäsionen soll eine Hysteroskopie durchgeführt
werden.
|
3.3.4 Therapie anatomischer Faktoren
3.3.4.1 Angeborene Fehlbildungen
Bei Uterus arcuatus, Uterus bicornis sowie Uterus didelphys ist eine operative Intervention
nicht indiziert [31], [39], [40].
Eine europäische retrospektive Kohortenstudie mit 257 Frauen mit Uterus septus und
belasteter Anamnese durch Subfertilität, Fehl- oder Frühgeburten hat eine Septumresektion
bei 151
Frauen mit einem exspektativen Management bei 106 Frauen über im Median 46
Monate verglichen und konnte keinen Unterschied in der Fehlgeburtsrate (46,8% vs.
34,4%; OR 1,58
[0,81 – 3,09]) noch in der LGR (53,0% vs. 71,7%; HR 0,71, 95%-KI 0,49 – 1,02)
feststellen [41]. Im April 2021 wurde eine erste randomisierte
kontrollierte Studie veröffentlicht, die 80 Frauen mit Uterusseptum eingeschlossen
hat, die entweder für eine hysteroskopische Septumresektion (n = 40 initial, n = 36
zum Studienende)
oder ein abwartendes Vorgehen (n = 40 initial, n = 33 zum Studienende) randomisiert
wurden [42]. Die LGR war in beiden Gruppen gleich, sodass die
Autoren eine hysteroskopische Septumresektion zur Verbesserung der LGR nicht
mehr empfehlen. Allerdings muss für die Interpretation der Daten berücksichtigt werden,
dass in der
multizentrischen Untersuchung (ursprünglich monozentrisch geplant) nur ein
kleines Studienkollektiv über einen sehr langen Zeitraum (2010 – 2018) eingeschlossen
wurde. Zudem kamen
unterschiedliche diagnostische Methoden zum Einsatz. Außerdem änderten sich
im langen Studienverlauf wiederholt die Einschlusskriterien, sodass auch ein relevanter
Anteil von
Patientinnen mit Subfertilität und Z. n. Frühgeburt zur Auswertung kamen.
Somit sollten die Patientinnen mit WSA und gesichertem Uterusseptum über die weiterhin
nicht eindeutige Evidenz aufgeklärt und im Idealfall in eine randomisierte Studie
eingeschlossen
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E12
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Frauen mit WSA und Uterusseptum sollen in einer Nutzen-Risiko-Analyse über die Möglichkeit
eines abwartenden Vorgehens oder einer hysteroskopischen Septumresektion
informiert werden.
|
3.3.4.2 Erworbene Fehlbildungen
Ob intrauterine Adhäsionen generell bzw. ab welchem Grad sie das Abortrisiko beeinflussen
bzw. eine Adhäsiolyse dieses senkt, ist unklar. Therapie der Wahl intrauteriner Adhäsionen
ist die hysteroskopische Adhäsiolyse [43]. Einige retrospektive Studien scheinen ein verbessertes reproduktives Outcome nach
eine operativen HSK
nachzuweisen [44], [45]; kontrollierte randomisierte Studien fehlen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E13
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und intrauterinen Adhäsionen kann eine hysteroskopische Adhäsiolyse
zum Zweck der Abortprophylaxe angeboten werden.
|
Die aktuelle Cochrane-Analyse zeigt keine signifikante Reduktion des Abortrisikos
nach Myomenukleation (intramural: OR 1,33, 95%-KI 0,26 – 6,78, submukös: OR 1,27,
95%-KI 0,27 – 5,97)
bei allerdings nur geringer Studienqualität [46]. Die Indikation für eine Myomenukleation kann bei Frauen mit WSA in Abhängigkeit
von der Klinik
(Hypermenorrhö, Größe und Lage der Myome) gestellt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E14
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und submukösen Myomen kann eine operative Resektion zum Zweck der
Abortprophylaxe angeboten werden.
|
Es finden sich keine randomisierten Studien zum Effekt eine HSK bei Frauen mit Endometriumpolypen
oder intrauterinen Synechien [47]. Eine Metaanalyse
zeigte, dass die hysteroskopische Resektion im Ultraschall darstellbarer intrauteriner
Polypen vor einer intrauterinen Insemination die klinische Schwangerschaftsrate steigern
kann
[48].
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E15
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und persistierenden Polypen kann eine hysteroskopische Resektion
zum Zweck der Abortprophylaxe angeboten werden.
|
3.4 Mikrobiologische Faktoren
3.4.1 Diagnostik mikrobiologischer Faktoren
Wegen des unklaren Zusammenhanges zwischen Infektionen und WSA wird ein generelles
Screening auf vaginale Infektionen außerhalb der im Rahmen der Schwangerenvorsorge
üblichen
Abklärungen nicht empfohlen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E16
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Ein infektiologisches Screening durch Vaginalabstriche soll bei asymptomatischen Frauen
mit WSA nicht durchgeführt werden.
|
3.4.1.1 Chronische Endometritis
Bei 7% bis 67% ansonsten symptomloser Frauen mit WSA sowie bei 30% bis 66% der Frauen
mit wiederholtem Implantationsversagen findet sich eine chronische Endometritis, nachgewiesen
durch Plasmazellen im Endometriumbiopsat [49], [50], [51], [52], [53]. Eine aktuelle Metaanalyse von 12 Studien beziffert die Prävalenz einer chronischen
Endometritis bei Frauen mit WSA mit 29,67%
(95%-KI 20,81 – 38,53; p > 0,0001) [54]. Nach antibiotischer Erstlinientherapie kann eine Heilungsrate von ca. 90% erreicht
werden [54]. Daher kann mit Patientinnen eine Therapiekontrolle in einem Folgezyklus mittels
Re-Biopsie diskutiert werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E17
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA kann eine Endometriumbiopsie zum Ausschluss einer chronischen Endometritis
(mithilfe einer immunhistochemischen Untersuchung des plasmazellspezifischen
Antigens CD138) durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E18
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine persistierende chronische Endometritis nach erfolgter antibiotischer Behandlung
kann mittels einer Re-Biopsie diagnostiziert werden.
|
3.4.1.2 Mikrobiomdiagnostik
Ein auffälliges vaginales Mikrobiom bzw. eine bakterielle Vaginose (BV) führt zu einer
signifikant verminderten Schwangerschaftsrate bei IVF (prospektive Multicenterstudie
[55]). Ist das Endometrium nicht Laktobazillenspezies-dominiert, nimmt die Wahrscheinlichkeit
einer Implantation nach einem Embryotransfer signifikant ab
und die Wahrscheinlichkeit eines Abortgeschehens zu (prospektive, fallkontrollierte
Studie mit vaginalem und/oder endometrialem Mikrobiom [56]) [57]. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt eine aktuelle prospektive Multicenter-Beobachtungsstudie
auf der Basis des endometrialen Mikrobioms [58]. Restituiert man mittels Antibiotika/Laktobazillenapplikation eine zuvor nicht bestehende
Laktobazillendominanz, zeigen sich hingegen keine
Unterschiede in den Schwangerschaftsraten (prospektive, fallkontrollierte
Studie [59]).
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E19
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine Untersuchung des vaginalen oder endometrialen Mikrobioms soll außerhalb von Studien
bei Frauen mit WSA nicht erfolgen.
|
3.4.2 Therapie mikrobiologischer Faktoren
Bei einer chronischen Endometritis kann vor einer Schwangerschaft eine antibiotische
Therapie mit Doxycyclin (z. B. 200 mg 1 – 0 – 0 über 14 Tage) und im Falle einer Persistenz
bei
weiterhin nachweisbaren Plasmazellen z. B. mit Ciprofloxacin mit/ohne Metronidazol
angewandt werden [49]. Eine Metaanalyse von 12 Studien zeigte bei
Patientinnen, die nach Diagnose einer chronischen Endometritis antibiotisch
therapiert wurden, einen Therapieerfolg von 87,9% [54]. Erfolgte keine
Therapie, waren in circa 90% der Fälle weiterhin Plasmazellen nachweisbar,
die spontane Heilungsrate somit gering [60], [61]. Prospektive randomisierte kontrollierte Studien zur Bestätigung dieser Ergebnisse
sind ausständig.
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E20
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und chronischer Endometritis kann zum Zweck der Abortprophylaxe
eine antibiotische Therapie durchgeführt werden.
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3.5 Endokrine Faktoren
3.5.1 Diagnostik endokriner Faktoren
3.5.1.1 Progesteron
Eine Lutealphaseninsuffizienz wird als mögliche Ursache habitueller Aborte diskutiert.
Nach heutiger Kenntnis stellt die Lutealinsuffizienz allerdings eine klinische (und
keine
Labor-)Diagnose dar und basiert auf dem klinischen Symptom einer Zyklusstörung.
Es gibt keinen Cut-off-Wert für das Progesteron im Serum, der diese Diagnose definiert
[62]. Aus den genannten Gründen wird eine routinemäßige Ovulationskontrolle bei Frauen
mit einer Eumenorrhö nicht empfohlen [63], [64].
3.5.1.2 PCO-Syndrom
Die Frage, ob das PCOS per se kausal zu einem erhöhten Abortrisiko führt, ist nach
der derzeitigen Studienlage nicht zu beantworten, da das Krankheitsbild sehr heterogen
ist und unter
anderem eine Hyperandrogenämie, ein metabolisches Syndrom mit Insulinresistenz
oder eine Adipositas aufweisen kann.
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E21
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und einem PCOS sollten die damit einhergehenden endokrinen und
metabolischen Pathologien diagnostiziert werden.
|
3.5.1.3 Schilddrüsenfunktionsstörungen
Der aktuelle Cochrane Review zieht wegen der unzureichenden Daten keine eindeutigen
Schlussfolgerungen hinsichtlich einer Schilddrüsenhormonsubstitution bei euthyreoten
Frauen mit
positiven TPO-Ak bzw. bei Frauen mit einer subklinischen Hypothyreose [65].
Dies unterstützt auch eine doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte und kontrollierte
Studie, in der 952 euthyreote Frauen mit einer vorherigen Fehlgeburt oder einer
Infertilität bei Nachweis erhöhter Konzentrationen von TPO-AK entweder 50 µg
Levothyroxin oder ein Placebo erhielten [66]. Weder die Abortrate noch die
LGR wurden durch die Therapie beeinflusst. Dies galt auch für Frauen mit ≥ 3
vorherigen Aborten. Allerdings entwickelten 10% dieser Frauen in der Schwangerschaft
einen pathologischen
Schilddrüsenfunktionstest [67].
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E22
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll TSH bestimmt werden. Bei einem auffälligen TSH-Wert soll eine
weiterführende Diagnostik erfolgen.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E23
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und Vorliegen von TPO-Antikörpern sollte eine Kontrolle der TSH-Konzentration
in der Frühschwangerschaft erfolgen.
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3.5.2 Therapie endokriner Faktoren
3.5.2.1 Progesteron
Die Daten zum Effekt einer Therapie mit Progesteron oder Progestagenen im 1. Trimenon
sind kontrovers und befassen sich vorwiegend mit idiopathischen WSA, weshalb im Kapitel
3.9 eine
ausführliche Darstellung erfolgt.
3.5.2.2 PCO-Syndrom
Das PCOS geht oft mit einem erhöhten BMI einher, der mit einem erhöhten Abortrisiko
assoziiert ist. Bei einem erhöhten BMI ist eine Gewichtsreduktion vor der Schwangerschaft
auch aus
anderen Gründen medizinisch sinnvoll (siehe S3-Leitlinie Gestationsdiabetes,
AWMF-Leitlinie 057/008) [68]. Wahrscheinlich haben auch die dem PCOS
zugrunde liegenden endokrinen und metabolischen Veränderungen einen Einfluss
auf das Abortrisiko.
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E24
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA, einem PCOS und damit einhergehenden endokrinen und metabolischen
Pathologien sollen diese behandelt werden.
|
3.5.2.3 Schilddrüsenfunktionsstörungen
Eine manifeste Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion soll, auch vor dem Hintergrund
der angestrebten Schwangerschaft, grundsätzlich diagnostiziert und therapiert werden.
Auch latente
Schilddrüsenfunktionsstörungen sollten abgeklärt werden, um einer möglichen
Verschlechterung in der Frühschwangerschaft begegnen zu können. Nach der derzeitigen
Datenlage ist unklar,
ob eine Schilddrüsenhormonsubstitution das Abortrisiko senken kann.
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E25
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine manifeste Hypo- oder Hyperthyreose soll präkonzeptionell therapiert werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E26
|
Expertenkonsens
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Konsensusstärke ++
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Bei Frauen mit WSA und einer latenten Hypothyreose sollte keine Substitutionstherapie
erfolgen.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E27
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Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
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Bei Vorliegen von TPO-Antikörpern und normwertigem TSH sollte keine Schilddrüsenhormon-Substitutionstherapie
durchgeführt werden.
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3.6 Psychische Faktoren
3.6.1 Diagnostik psychischer Faktoren
Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin ist eine direkte Verursachung von WSA allein
aufgrund psychischer Faktoren wie z. B. Stress nicht gegeben [1], [69], [70], [71]. Nach jetzigem Erkenntnisstand ist eine mittelbare
Beeinflussung über Verhaltensänderungen der Schwangeren (wie z. B. Einnahme
von Genussgiften oder Mangelernährung) anzudenken [72], ebenso bei ihrem
Partner [1]. Die in der älteren Literatur genannten Erklärungsmodelle für Spontanaborte bzw.
WSA sind entweder aufgrund ihrer theoretischen Vorannahmen
einer empirischen Überprüfung nicht zugänglich oder sie wurden bisher nicht
repliziert [73]. Die psychischen Auswirkungen von WSA sollten hingegen nicht
unterschätzt werden [74] – [76].
Konsensbasierte Empfehlung 3-6.E28
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Vorliegen von psychischen Vorerkrankungen, ungewollter Kinderlosigkeit, fehlenden
oder eingeschränkten sozialen Ressourcen sowie mit Schuldgefühlen assoziierter
Verarbeitung der WSA soll auf psychosoziale Hilfs- und Unterstützungsangebote
(auch Selbsthilfegruppen und Internetforen) hingewiesen werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-6.E29
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei der Verdachtsdiagnose einer reaktiven Depression nach WSA soll ein/e Psychotherapeut/-in/Psychiater/-in
zur Abklärung der weiteren Behandlungsbedürftigkeit der betroffenen
Patientin/des Paares hinzugezogen werden.
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3.6.2 Therapie psychischer Faktoren
Ein durchgängig empathischer und entlastender Umgang mit der Patientin (und ihrem
Partner [77]) im Sinne des „Patient-centered care“ (individuell
abgestimmte Informationsgabe und Angebot emotionaler Unterstützung) sowohl
in der Arzt-Patientin-Beziehung als auch durch weiteres medizinisches Personal wird
von Betroffenen gewünscht
[78] und empfohlen [79], [80], [81]. Insbesondere werden
ein ernstnehmendes, zuhörendes, verständnisvolles und empathisches Gesprächsverhalten
vonseiten der/s Ärztin/Arztes sowie Informationen zum weiteren Verlauf und Erfragen
möglicher
emotionaler Bedürfnisse erwartet [1], [78]. Während einer Folgeschwangerschaft sollte zudem auch eine hochfrequente
Kontaktaufnahme (physisch, telefonisch, online) durch die Patientin mit WSA
niedrigschwellig möglich sein.
Konsensbasiertes Statement 3-6.S6
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Die Effektivität von „Tender Loving Care“ als therapeutische Intervention zur Abortprophylaxe
bei Frauen mit WSA ist nicht belegt. Nach einer Fehlgeburt kann durch
psychologische Interventionen allerdings das psychische Wohlbefinden stabilisiert
und dadurch das Risiko stressbedingter Schwangerschaftskomplikationen in einer nachfolgenden
Schwangerschaft reduziert werden. Ein durchgängig empathischer und entlastender
Umgang mit der Patientin (und ihrem Partner) ist unbedingt empfehlenswert.
|
3.7 Immunologische Faktoren
Immunologische Dysfunktionen werden insbesondere bei Paaren mit idiopathischen WSA
als ursächlich diskutiert, wobei eine ausgesprochene Heterogenität der vorliegenden
Studien (u. a.
hinsichtlich der Einschlusskriterien der Patientinnen und der angewandten diagnostischen
Methoden) mit teils kleinen Fallzahlen zu einer uneinheitlichen Datenlage führt [82], [83], [84], [85].
3.7.1 Diagnostik immunologischer Faktoren
3.7.1.1 Alloimmunologische Faktoren
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E30
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Alloimmunologische Untersuchungen wie z. B. Bestimmung des TH1/TH2-Quotienten, des
T4/T8-Index, Analyse der pNK- und/oder uNK-Zellen, NK-Toxizitätstests,
Lymphozytenfunktionstests, molekulargenetische Untersuchungen auf „nichtklassische“
HLA-Gruppen (Ib) oder Rezeptorfamilien wie KIR sowie HLA-Bestimmungen sollten bei
Frauen
mit WSA ohne Hinweis auf eine präexistente Autoimmunerkrankung nicht
außerhalb von Studien durchgeführt werden.
|
3.7.1.2 Autoimmunologische Faktoren
Ein Antiphospholipid-Syndrom (APLS) liegt nur dann vor, wenn gemäß der Definition
([Tab. 6]) sowohl die klinischen als auch die Laborkriterien
erfüllt sind. Etwa 2% bis 15% der Frauen mit WSA weisen ein APL-Syndrom auf
[86]. Die Diagnosekriterien sind über 20 Jahre alt und eine zunehmende
Anzahl an Studien geht von einer geringeren Inzidenz (< 5%) aus [87], [88]. Bei der Diagnosestellung soll darauf
geachtet werden, dass die APL-Antikörper-Titer auch bei der Kontrolle 12 Wochen
nach Erstbestimmung immer noch im mittleren bis hohen Bereich liegen, das bedeutet
> 99. Perzentile
gemessen an unauffälligen Probanden [89].
Tab. 6 Diagnosekriterien für das Antiphospholipid-Syndrom [89].
klinische Kriterien
|
≥ 1 venöse oder arterielle Thrombose(n)
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1 oder 2 unerklärte Fehlgeburten bei morphologisch unauffälligen Feten > 10 SSW
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≥ 3 Aborte < 10. SSW
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≥ 1 später Abort bzw. Frühgeburt < 34. SSW aufgrund einer Plazentainsuffizienz oder
Präeklampsie
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Laborkriterien (2-maliger Nachweis im Abstand von 12 Wochen)
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Anti-Cardiolipin-Ak (IgM, IgG) mittlere bis hohe Titer
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Anti-β2-Glykoprotein-1-Ak (IgM, IgG) hohe Titer
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Lupusantikoagulans
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Für die einzelnen klinischen und laborchemischen Kriterien gilt, dass sie jeweils
gemeinsam, aber auch einzeln auftreten können. Es muss per Definition aber mindestens
1 klinisches
und 1 laborchemisches Kriterium erfüllt sein, um die Diagnose eines Antiphospholipid-Syndroms
zu stellen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E31
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll ein Antiphospholipid-Syndrom anhand klinischer und laborchemischer
Parameter ([Tab. 6]) abgeklärt werden.
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Wie bereits in der S2k Leitlinie „Diagnostik und Therapie vor einer ART“ dargelegt
[90] gibt es ein sog. „triple-positives“ APLS mit schlechtem
mütterlichem bzw. kindlichen Verlauf im Falle des gleichzeitigen Auftretens
von allen 3 APL-AK (siehe Laborkriterien [Tab. 6]). Diese Patientinnen
bedürfen bereits präkonzeptionell einer interdisziplinären Betreuung und Therapieplanung.
Ebenso weisen einzelne Studien auf das Vorkommen eines sog. „non-criteria APL-Syndroms“
hin, insbesondere wenn klinische Manifestationen (wie z. B. Livedo reticularis, Ulzerationen,
renale Mikroangiopathie, neurologische Störungen und kardiale Manifestationen)
zu beobachten sind und die Diagnosekriterien des klassischen APL-Syndroms nicht oder
nur teilweise
erfüllt (z. B. APL-AK-Titer im niedrigen Bereich oder Z. n. 2 Aborten) [89] bzw. nichtkonventionelle Apl-Ak nachweisbar sind [91].
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E32
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und einer Autoimmunerkrankung bzw. Vorliegen eines „triple-positiven“
Antiphospholipid-Syndroms soll insbesondere aufgrund der maternalen Gefährdung
bereits präkonzeptionell eine interdisziplinäre Betreuung eingeleitet
werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E33
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA sollte ein Non-criteria APLS anhand klinischer und laborchemischer
Parameter abgeklärt werden, insbesondere bei Vorliegen von klinischen Manifestationen
(Livedo reticularis, Ulzerationen, renale Mikroangiopathien, neurologische
Störungen und kardiale Manifestationen).
|
3.7.2 Therapie immunologischer Faktoren
Aktuelle Publikationen weisen darauf hin, dass viele Therapiestudien bei Patientinnen
mit (idiopathischen) WSA erfolgen, ohne dass eine spezifische immunologische Diagnostik
der
Therapie vorausging. Es fehlt somit eine klare Identifikation der Patientinnen
mit immunologischen Störungen, was möglicherweise zu einer mangelnden Stratifizierung
führt [82], [83], [84], [85].
Die aktuelle ESHRE-Leitlinie zu WSA betont, dass die Studiendaten zu immunmodulatorischen
Therapien bei Patientinnen mit identifizierten zugrunde liegenden immunologischen
Auffälligkeiten auf vorteilhafte Effekte hinweisen [1]. Insgesamt besteht allerdings eine uneinheitliche Datenlage. Weitere Studien, die
eine Gruppierung
der Patientinnen nach definierten immunologischen Auffälligkeiten (Targets)
durchführen, sind dringend erforderlich.
3.7.2.1 Therapie alloimmunologischer Faktoren
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E34
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA ohne Hinweis auf eine präexistente Autoimmunerkrankung soll eine
Glukokortikoidgabe zum Zweck der Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt
werden.
|
3.7.2.2 Intravenöse Immunglobuline
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E35
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen zur Abortprophylaxe
außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.3 Lipidinfusionen
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E36
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA sollte eine Therapie mit Lipidinfusionen zur Abortprophylaxe außerhalb
von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.4 Allogene Lymphozytenübertragung (LIT)
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E37
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +
|
Bei Frauen mit WSA soll eine allogene Lymphozytenübertragung zum Zweck der Abortprophylaxe
außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.5 TNF-α-Rezeptor-Blocker
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E38
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Therapie mit TNF-α-Rezeptor-Blockern außerhalb von Studien
nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.6 Therapie autoimmunologischer Faktoren
WSA-Patientinnen mit APLS profitieren von der Gabe von Aspirin (50 – 150 mg/d) und
niedermolekularem Heparin [92], [93], [94], [95], [96]. Die Therapie mit Aspirin kann bereits präkonzeptionell
oder ab positivem Schwangerschaftstest erfolgen und bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt
werden [97]. Die Gabe von LMWH sollte mit positivem
Schwangerschaftstest starten und bis mindestens 6 Wochen post partum erfolgen.
Andere Therapieansätze wie Glukokortikoide, Immunglobuline oder Aspirin alleine haben
im Gegensatz zu NMH und Aspirin keine signifikante Verbesserung der LGR von WSA-Patientinnen
mit
APLS gezeigt [92].
Die Behandlung des Non-criteria APLS sollte gemäß der aktuellen Studienlage identisch
erfolgen, da die wenigen zur Verfügung stehenden Studien einen möglichen Benefit bei
Gabe von
LMWH und ASS aufzeigen [98], [99], [100], [101], [102], [103].
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E39
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und Antiphospholipid-Syndrom soll eine Therapie mit niedrig dosierter
Acetylsalicylsäure und niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Ab Vorliegen
eines positiven Schwangerschaftstests soll neben Acetylsalicylsäure,
welche bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt werden soll, die Heparin-Gabe bis mindestens
6 Wochen post partum
durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E40
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und einem Non-criteria Antiphospholipid-Syndrom soll eine Therapie
mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure und niedermolekularem Heparin durchgeführt
werden. Ab Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests sollte neben
Acetylsalicylsäure (welches bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt werden sollte) die Heparin-Gabe
bis
mindestens 6 Wochen post partum durchgeführt werden.
|
3.8 Gerinnung
3.8.1 Diagnostik angeborener thrombophiler Faktoren
In den letzten Jahrzehnten wurden in zahlreichen Studien mögliche Zusammenhänge zwischen
einer maternalen (sowie auch paternalen [104], [105]) Thrombophilie und WSA diskutiert. Dabei wurden zahlreiche prokoagulatorische Faktoren
untersucht: Faktor-V-Leiden-Mutation (FVL; c.1601G>A in
F5, rs6025), Prothrombin G20210A-Mutation (PT; c.*97G>A in F2, rs1799963),Faktor-XIII-Polymorphismen, Antithrombin-, Protein-C-, Protein-S-, Protein-Z-
oder
Faktor-XII-Mangel, Erhöhung von Faktor VIII oder Lipoprotein (a) [106], [107], [108]
sowie Veränderungen im Rahmen einer Thrombelastogramm-Untersuchung [109]. Als Pathomechanismus einer Thrombophilie als Abortursache wurde eine
uteroplazentare Thrombosierung vermutet, welche die plazentare und embryonale/fetale
Versorgung beeinflusst [110].
Eine im Jahr 2010 publizierte Metaanalyse [111] zeigte ein statistisch leicht erhöhtes Risiko für Fehlgeburten bei Frauen mit Heterozygotie
für die
FVL-, nicht aber für die PT-Mutation. In einer 2012 publizierten Metaanalyse
wurden geringgradig erhöhte Abortraten (OR ca. 2) bei Trägerinnen der FVL- oder der
PT-Mutation ermittelt.
Bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis zur Abortprophylaxe und den potenziellen
Nebenwirkungen einer Heparinisierung bei Frauen mit WSA kommen die Autoren zu dem
Schluss, dass eine Testung
auf die FVL- bzw. die PT-Variante – mit der Konsequenz einer möglichen Heparinisierung
zur Abortprophylaxe – derzeit einen höheren Schaden als Nutzen habe [112].
Auch neuere Publikationen kommen in ihrer Empfehlung in Bezug auf eine Abklärung hereditärer
Thrombophilien bei Frauen mit WSA zu dieser Schlussfolgerung [108], [113], [114].
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E41
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine Thrombophiliediagnostik zum Zweck der Abortprophylaxe sollte nicht durchgeführt
werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E42
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und thromboembolischen Risiken soll eine Thrombophiliediagnostik
durchgeführt werden. Diese umfasst eine Bestimmung der Aktivität von Antithrombin,
Protein
C/S im Blutplasma und eine molekulargenetische Analyse der Faktor-V-Leiden-
und der Prothrombin-G20210A-Mutation.
|
3.8.2 Therapie bei thrombophilen Risiken
Für vorteilhafte Effekte einer prä- oder perikonzeptionellen Heparinisierung zur Prävention
weiterer Aborte liegt keine Evidenz vor.
Inwieweit Subgruppen von Patientinnen – z. B. solche mit nachgewiesener hereditärer
Thrombophilie – tatsächlich von einer Heparinisierung in einer Folgegravidität profitieren,
bedarf
weiterer Untersuchungen, wie der seit 2013 rekrutierenden, multinationalen
ALIFE2-Studie [115], [116]. Eine 2016
veröffentlichte, individualisierte Metaanalyse prospektiv-randomisierter Studien
(n = 8) zur Abortprophylaxe konnte bei 483 inkludierten Frauen keinen Vorteil einer
niedermolekularen
Heparin-Anwendung in Bezug auf die LGR erbringen [117].
Zum jetzigen Zeitpunkt ist somit eine generelle Heparinisierung auch bei thrombophilen
Frauen mit WSA (bei fehlendem Nachweis eines APLS) allein aus der Indikation „Abortprävention“
außerhalb klinischer Studien nicht indiziert [118], [119].
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E43
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Therapie mit Heparinen zum alleinigen Zweck der Abortprophylaxe
nicht durchgeführt werden. Dies gilt auch bei Vorliegen einer hereditären
Thrombophilie.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E44
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und einem erhöhten Thromboserisiko soll in der Schwangerschaft
aus maternaler Indikation eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden.
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3.8.2.1 Acetylsalicylsäure (ASS)
Die Anwendung von ASS in der Gravidität zur Abortprävention stellt einen Off-Label-Use
dar. Eine ASS-Gabe in niedriger Dosierung ab dem 1. Trimenon reduziert das Risiko
für
plazentaassoziierte Komplikationen in der Spätschwangerschaft [120], während ein protektiver Effekt auf die Fehlgeburtsrate nicht nachgewiesen werden
konnte.
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E45
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
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Bei Frauen mit WSA soll eine Acetylsalicylsäure-Therapie zur Abortprophylaxe nicht
durchgeführt werden.
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3.8.3 Monitoring in der Schwangerschaft – D-Dimere
Konsensbasierte Empfehlung 3 – 8.E46
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll ein Monitoring plasmatischer Gerinnungsmarker (D-Dimere, Prothrombin-Fragmente,
etc.) in der Schwangerschaft nicht erfolgen. Ebensowenig soll aus der
Bestimmung solcher Parameter eine Therapieindikation zur Abortprophylaxe
abgeleitet werden.
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3.9 Idiopathische WSA
Idiopathische WSA liegen dann vor, wenn die Kriterien für die Diagnose von WSA erfüllt
sind und genetische, anatomische, endokrine, etablierte immunologische sowie hämostaseologische
Faktoren ausgeschlossen wurden. Der Anteil idiopathischer WSA am Gesamtkollektiv
von Frauen mit WSA ist hoch und beträgt 50 bis 75% [3].
3.9.1 Diagnostik idiopathischer WSA
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E47
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Von idiopathischen WSA soll erst dann gesprochen werden, wenn die Leitlinien-konforme
diagnostische Abklärung keinen Hinweis auf eine Ursache der WSA erbracht hat.
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3.9.2 Therapie idiopathischer WSA
Die LGR von Frauen mit idiopathischen WSA beträgt ohne Therapie 35 bis 85% [121], [122]. In einer Metaanalyse
randomisierter Therapiestudien betrug die LGR von Frauen mit idiopathischen
WSA in den Kontroll- bzw. Placebogruppen zwischen 60% und 70% [123]. Gerade
bei Frauen mit idiopathischen WSA werden in der täglichen Praxis oftmals empirische
Therapien eingesetzt. Dies ist aufgrund des starken Therapiewunsches der betroffenen
Paare und der
Frustration nach ergebnisloser Abklärung verständlich. Allerdings sollte auch
in diesem Fall eine evidenzbasierte Beratung und Therapie betroffener Paare erfolgen.
In einer aktuellen Cochrane-Metaanalyse von 7 Studien mit 5682 Probandinnen zeigte
die Anwendung von vaginalem mikronisierten Progesteron (RR 1,03; 95%-KI 1,00 – 1,07)
einen marginal
nachweisbaren Effekt [124]. Bei Frauen mit 1 oder mehreren Aborten in der Anamnese sowie einer Abortus-imminens-Blutung
wurde ein etwas stärkerer Effekt
nachgewiesen (RR 1,03; 95%-KI 1,02 – 1,15). In dieser Metaanalyse wurde keine
erhöhte Fehlbildungsrate nach Therapie mit vaginalem Progesteron im 1. Trimenon beobachtet
(RR 1,00; 95%-KI
0,68 – 1,46) [125].
Insgesamt kann also – basierend auf den gemeinsamen Daten der PROMISE- und PRISM-Studien
– bei Frauen mit WSA eine vaginale Progesterontherapie bis zur 16. SSW angeboten werden,
wenn
eine Abortus-imminens-Blutung diagnostiziert wird [126]. Basierend auf den Daten der aktuellen Cochrane-Metaanalyse kann diese Empfehlung
auch auf Frauen
mit Abortus-imminens-Blutung und 1 oder 2 spontanen Fehlgeburten in der Anamnese
ausgeweitet werden [124].
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E48
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Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA kann eine Therapie mit natürlichem mikronisierten
Progesteron oder mit einem synthetischen Gestagen im 1. Trimenon zur Abortprophylaxe
durchgeführt werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E49
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Expertenkonsens
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Konsensusstärke +++
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Bei Frauen mit WSA und Abortus imminens sollte eine vaginale Therapie mit natürlichem
mikronisiertem Progesteron bis zur 16. SSW zur Abortprophylaxe durchgeführt werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E50
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Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
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Bei Frauen mit idiopathischen WSA soll eine Therapie mit G-CSF zur Abortprophylaxe
außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
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Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E51
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
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Bei Frauen mit idiopathischen WSA soll eine Therapie mit Acetylsalicylsäure mit oder
ohne Heparin zum Zweck der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
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