Osteologie 2022; 31(03): 250-253
DOI: 10.1055/a-1898-3508
Gesellschaftsnachrichten
Informationen der Arbeitsgemeinschaft Knochentumoren e.V. (agkt)

Die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Behandlung von Knochentumoren und deren sozioökonomische Relevanz

Jendrik Hardes
1   Klinik für Tumororthopädie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55 45147 Essen
,
Volker Vieth
2   Klinik für Radiologie, Klinikum Ibbenbüren, Große Straße 41, 4947 Ibbenbüren
,
Arne Streitbürger
1   Klinik für Tumororthopädie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55 45147 Essen
,
Wolfgang Hartmann
3   Sektion für Translationale Pathologie, Gerhard-Domagk-Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster
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Einleitung

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit war in der Medizin schon immer von enormer Wichtigkeit. Der Wissensfortschritt in der modernen Medizin inklusive des unaufhaltsamen Trends zu Subspezialisierungen macht es für den jeweiligen Facharzt heutzutage unmöglich, die jeweiligen „Partnerdisziplinen“ erschöpfend zu überblicken. Das in der Vergangenheit erlangte Studienwissen bezüglich anderer Fachgebiete ist in vielen Bereichen nicht mehr aktuell. Somit bestand und besteht keine Alternative zu interdisziplinärer Zusammenarbeit. Durch diese entsteht zum einen ein Mehrwert für den behandelnden Arzt, zum anderen – viel wichtiger – für die zu behandelnden Patienten.


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Mit einem Anteil von ca. 0.2% an allen Krebserkrankungen gehören Knochensarkome zu den sehr seltenen Malignomerkrankungen. Hierbei stellen das Osteosarkom mit ca. 250 Fällen und das Chondrosarkom mit ca. 140 Fällen pro Jahr in Deutschland die häufigsten Entitäten dar, gefolgt vom Ewing-Sarkom mit ca. 80 Fällen [1]. Diese Seltenheit erschwert die Diagnostik und Therapie noch zusätzlich und sorgt sowohl bei tumororthopädisch weniger erfahrenen Ärzten, aber auch bei in spezialisierten Sarkomzentren tätigen Ärzten häufig für Verunsicherung hinsichtlich der geeigneten Diagnostik und Therapie. Erschwerend kommt bei Sarkomen hinzu, dass die Behandlung auf viele medizinische Fachdisziplinen verteilt ist [2].

Im Gegensatz zu malignen Knochentumoren sind benigne Knochentumoren oder tumorähnlichen Knochenläsionen weitaus häufiger. Viele dieser benignen Befunde werden aufgrund ihrer Asymptomatik häufig erst per Zufallsbefund im Jugend- aber auch Erwachsenalter diagnostiziert. Oft führt eine vom Tumor unabhängige muskuloskelettale Schmerzsymptomatik oder ein Trauma zu einer konsekutiven Durchführung einer radiologischen Untersuchung, die dann als Zufallsbefund die Knochenläsion aufdeckt. Aufgrund ihrer Asymptomatik muss daher generell eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Tumoren angenommen werden. Viele dieser Läsionen stellen sogenannte leave-me-alone lesions (z. B. das Enchondrom oder das Nicht-ossifizierende Fibrom (NOF)) dar, welche in der Regel bei passendem Röntgenbild keiner weiteren Diagnostik oder Therapie bedürfen [3]. Sowohl für im niedergelassenen Bereich als auch im stationären Bereich tätige Ärzte verschiedener Disziplinen (u. a. Orthopäden und Unfallchirurgen, Kinderärzte, Hausärzte, Radiologen) gilt, dass sie weitaus häufiger mit einem benignen als einem malignen Befund konfrontiert sein werden. Hier gilt es insbesondere, benigne Befunde sicher einschätzen zu können (Frage nach einer Biopsieindikation) und potenziell maligne oder zumindest lokal aggressive Tumoren (z. B. Riesenzelltumor des Knochens) zu erkennen und einer bioptischen Abklärung zuzuführen – bevorzugt interdisziplinär in einem erfahrenen Zentrum [1].

Darstellung der Versorgungsrealität in Deutschland

Die Mehrzahl der benignen und malignen Knochentumoren wird in Deutschland im ambulanten Sektor diagnostiziert, aufgrund der großen Anzahl an asymptomatischen leave-me alone lesions häufig als Zufallsbefund in einer Röntgen- und/oder MRT-Bildgebung. Aus den zuvor genannten Gründen kann aber bei niedergelassenen Kollegen zu Recht eine große Unsicherheit in der Diagnostik bestehen. Es besteht häufig die Angst, einen – zwar seltenen – maligen Knochentumor zu übersehen. Zwar erfolgt idealerweise und in den meisten Fällen dann eine Überweisung in ein auf die Behandlung von Knochentumoren spezialisiertes Sarkomzentrum. In der Versorgungsrealität aber erfolgt auch heute noch bei vielen Patienten eine zu weitreichende Diagnostik und Therapie bei benignen und eine unzureichende Diagnostik bei malignen Tumoren, da Schnittstellenprobleme zwischen den Sektorengrenzen, aber auch zwischen den jeweiligen Institutionen innerhalb eines Sektors bestehen können ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Übersicht über die an der Diagnostik und Therapie von Knochentumoren beteiligten Stakeholder.

Seit dem Jahre 2018 ist es möglich, sich von der Deutschen Krebsgesellschaft bei Erreichen bestimmter Behandlungszahlen pro Zentrum und weiterer struktureller, organisatorischer und personeller Vorgaben als Sarkomzentrum zertifizieren zu lassen – laut aktuellem Stand gibt es in Deutschland 19 zertifizierte Sarkomzentren ([Abb. 2]). Neben einer benötigen personellen Expertise und einer Tumordokumentation nimmt insbesondere das Vorhandensein einer interdisziplinären Tumorkonferenz (bestehend u. a. aus Orthopäden und Unfallchirurgen, Plastischen Chirurgen, Thoraxchirurgen, (pädiatrischen) Onkologen, Strahlentherapeuten, Radiologen, Patholgen) für eine prä- und posttherapeutische Vorstellung der Patienten den zentralen Stellenwert ein.

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Abb. 2 Verteilung der 19 bisher von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Sarkomzentren in Deutschland (Quelle: OnkoZert (https://www.oncomap.de/centers; zuletzt aufgerufen am 7.7.2022)).

Maligne Knochentumoren müssen in diesen Zentren in einer prä- und posttherapeutischen Tumorkonferenz vorgestellt werden. Diese dient hierbei nicht nur der interdisziplinären Absprache der geeigneten therapeutischen Maßnahmen, sondern sollte sich idealerweise auch auf die adäquate Diagnostik der Tumoren fokussieren.

In Deutschland finden entitätsbezogenen Tumorkonferenzen häufig nur in den Organkrebszentren von Comprehensive Cancer Centers (CCC) statt. Eichler et al. [4] ermittelten in einer Umfrage (2017–2020) in deutschen Kliniken, dass Sarkompatienten innerhalb eines CCC in 83% der Fälle zu zumindest einem Zeitpunkt in einer Tumorkonferenz vorgestellt wurden – in einem Nicht-CCC waren dies nur in 51% der Fall. Eine Vorstellung in einer Tumorkonferenz vor der Therapie erfolgte unter allen befragten Kliniken in nur 56.1% der Fälle – trotz der nachweislich besseren onkologischen Ergebnisse durch eine solche Vorstellung.

Explizite Aussagen zu den seit 2018 existierenden zertifizierten Sarkomzentren finden sich in der Studie allerdings noch nicht. Man muss jedoch davon ausgehen, dass eine Vielzahl an Patienten mit einem Knochensarkom in Deutschland nicht in einer Tumorkonferenz besprochen wurde bzw. wird. Es ist zu hoffen, dass durch die zunehmende Zentralisierung der Behandlung von Sarkompatienten in zertifizierten Sarkomzentren die Vorstellungquoten zwangsläufig steigen werden. In der Studie von Eichler et al. [4] verbesserte sich die prätherapeutische Vorstellung von 43.3% vor dem Jahre 2013 auf 66.2% im Jahr 2018/2019. Eine interdisziplinäre Konferenz zur Diagnosefindung – mit oder ohne notwendige Biopsie – bestehend aus „Kliniker“, Radiologen und Patholgen, sowohl bei Vorliegen eines benignen als auch eines maligen Befundes, ist also in Deutschland definitiv noch kein Standard [4].

Die chemosensiblen malignen Knochentumoren (insbesondere das Ewing- und Osteosarkom) werden zudem in der Mehrzahl der Fälle in Studien eingeschlossen (Euro-Ewing Studie, COSS-Studie), um die Diagnostik und Therapie dieser seltenen Tumoren weiter zu optimieren. Diese Studien bieten auch bei Meldung der jeweiligen Patienten entitätsspezifische nationale bzw. internationale Tumorkonferenzen an [5].

Nach Behandlungsabschluss der onkologischen Therapie (Operation, ggf. Chemo- und Strahlentherapie) übernehmen die Sarkomzentren die interdisziplinäre Nachsorge der Patienten gemäß leitliniengerechter Nachsorgeschemata in Spezialsprechstunden für in der Regel 10 Jahre. Die Nachsorge der Patienten bindet hierbei enorme strukturelle und personelle Ressourcen.


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Medizinischer Stellenwert der interdisziplinären Zusammenarbeit

Der Nutzen von Tumorkonferenzen wurde durch eine Reihe von internationalen Studien belegt. So konnte nachgewiesen werden, dass die Behandlungsergebnisse von Patienten, die anhand standardisierter Diagnose- und Therapiealgorithmen in einem spezialisierten Sarkomzentrum inklusive Vorstellung in einer Tumorkonferenz behandelt werden, überlegen sind – und zwar sowohl bezüglich der Rate an R0-Resektionen als auch des Gesamtüberlebens der Patienten [6] [7] [8]. In Frankreich konnte eine Studie von Blay et al. [8] zeigen, dass trotz einer weitestgehend in Sarkomzentren organisierten Behandlung nur 42.2% der Patienten mit einem Weichteilsarkom in der Altersgruppe über 15 Jahre (n=12528) vor Therapiebeginn und 57.8% nach Therapiebeginn in einer Tumorkonferenz vorgestellt wurden. Die Vorstellung der Patienten in einer prätherapeutischen Tumorkonferenz war mit einer signifikant höheren leitliniengerechten Therapie (keine nicht indizierten Resektionsbiospien, adäquate Bildgebung, höhere Rate an R0-Resektionen, weniger Revisionsoperationen bei initial nicht erfolgter R0-Resektion) assoziiert – resultierend in ein signifikant besseres local-relapse free survival (p<0.001, multivariate Analyse).

Auch über den medizinischen Nutzen interdisziplinärer internationaler Tumorboards gibt es erste Erkenntnisse. So konnten Kreyer et al. [5] zeigen, dass sich durch Empfehlungen des Tumorboards der Ewing-Sarkom Studie (EURO E.W.I.N.G. 99) das Gesamtüberleben der Patienten mit einer metastasierten Erkrankung verbesserte.


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Sozioökonomischer Stellenwert der interdisziplinären Zusammenarbeit

Die Behandlung in Sarkomzentren verursacht für jedes einzelne Zentrum aufgrund oben beschriebener Prozesse zusätzliche Kosten – u. a. aufgrund eines vermehrten Personalbedarfs (u. a. für Tumorkonferenzen, Tumordokumentation, Psychoonkologie, Referenzpathologie) und einer zumeist differenzierteren Diagnostik und Therapie. Über die Höhe dieser – sicherlich zwischen den Zentren variablen – Kosten können aus unserer Sicht keine verlässlichen Angaben gemacht werden.

Während der medizinische Nutzen einer leitliniengerechten Therapie als sicher gelten kann, so ist über mögliche kostensparende Effekte im gesamten Behandlungsverlauf eines Patienten wenig bekannt. Einzelne Studien weisen aber darauf hin, dass eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie helfen können, Behandlungskosten zu sparen [7] [8]. Aus der klinischen Perspektive muss aus unserer Sicht aber als sicher gelten, dass unnötige Diagnostik und/oder Therapie bei benignen Tumoren, eine Therapieverzögerung oder gar inadäquate Therapie bei malignen Tumoren die Behandlungskosten des jeweiligen Patienten drastisch steigern [7] [9]. In der Gegenwart behandeln Sarkomzentren nicht selten solche inadäquat, nicht leitliniengerecht vorbehandelte Patienten.


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Ausblick

Die interdisziplinäre, klinikenübergreifende Therapie von Patienten mit malignen Knochentumoren hat sich durch die Etablierung von Sarkomzentren in Deutschland verbessert. Die routinemässige Vorstellung von Patienten in Tumorkonferenzen findet hier weitestgehend statt. Optimierungspotential besteht aus unserer Sicht in der Versorgung von Patienten ausserhalb von Zentren. Hier kann es vermehrt zu Über- bzw. Untertherapien kommen mit primär teils dramatischen medizinischen Konsequenzen für den einzelnen Patienten und sekundär einem erhöhten Kostenbedarf im individuellen Behandlungsverlauf. Es gilt daher, durch ein verbessertes Schnittstellenmanagement zwischen den Behandlungspartnern (ambulant vs. stationär, innerhalb des stationären Sektors) insbesondere durch die Etablierung von gemeinsamen Daten- und Informationsplattformen und Tumorkonferenzen eine Über- bzw. Untertherapie zu vermeiden und damit die medizinische Versorgung der Patienten weiter zu verbessern. Für den einzelnen Patienten als Kostenträger werden so die Gesamtkosten der Behandlung reduziert [2]. Im Gegenzug muss aber der Aufbau solcher Strukturen finanziell ermöglich werden, um eine leitliniengerechte – kostensparende – Therapie flächendeckend anbieten zu können.


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Korrespondenzadresse

Prof.Dr.med. Jendrik Hardes
Klinik für Tumororthopädie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55
45147
Essen

Publication History

Article published online:
08 September 2022

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Abb. 1 Übersicht über die an der Diagnostik und Therapie von Knochentumoren beteiligten Stakeholder.
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Abb. 2 Verteilung der 19 bisher von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Sarkomzentren in Deutschland (Quelle: OnkoZert (https://www.oncomap.de/centers; zuletzt aufgerufen am 7.7.2022)).