Schlüsselwörter
Extensor pollicis longus - Strecksehnenruptur - Kinder - Unterarmfraktur - Sehnentransposition
Key words
extensor pollicus longus - extensor tendon rupture - children - forearm fractur -
tendon transposition
Einleitung
Unterarmfrakturen zählen zu den häufigsten Frakturen bei Kindern
[1]
[2]
[3]. Durch das große
Korrekturpotential des wachsenden Körpers, insbesondere im distalen
Unterarm, können viele kindliche Frakturen konservativ behandelt werden
[4]. Die Indikation zur Operation besteht
bei offenen Frakturen, instabilen Querfrakturen des Unterarmschaftes,
sekundärer Dislokation nach konservativer Therapie, Kombinationsverletzungen
wie Monteggia-Frakturen und Refrakturen [5].
Die Verwendung von elastisch-stabilen intramedullären Nägeln (ESIN)
zur Versorgung von Frakturen des Unterarmschaftes und des proximalen Drittels hat
sich seit der Erstbeschreibung 1977 durch Perez Sicilia und den Weiterentwicklungen
von Lascombes, Prévot und Métaizeau zum Goldstandard etabliert [5]
[6]
[7]
[8]. Durch das Aufspannen der Membrana
interossea und eine Drei-Punkt-Abstützung der intramedullär
geführten, vorgebogenen Drähte erzeugt die Technik der ESIN ihre
Stabilität [8]. Das Verfahren ist
minimal-invasiv, respektiert die Wachstumszonen der Knochen, hat geringe
Infektionsquoten, kurze OP-Zeiten und erzielt, bei korrekter Anwendung der Technik,
eine Stabilität der Frakturversorgung, die eine Ruhigstellung
verkürzt oder unnötig macht [5]
[8]. Diese Vorteile
führten zu einer breiten Akzeptanz und Zunahme der operativ versorgten
kindlichen Unterarmschaftfrakturen in den letzten Jahren [5]
[9].
Das biomechanische Grundprinzip der ESIN begrenzt ihre Anwendung auf das mittlere
und
proximale Drittel der langen Röhrenknochen. Die ebenfalls häufigen
distalen Unterarmfrakturen können in der intramedullären Technik
nicht adressiert werden. Sie werden nach Reposition durch perkutan eingebrachte
Kirschnerdrähte stabilisiert [5].
Der Radius wird bei beiden Verfahren in retrograder Technik mit distalem Eintritt
des
Osteosynthesemateriales versorgt. In der Praxis werden zwei verschiedene
Eintrittspunkte in den Radius mit jeweils charakteristischen Komplikationen
benutzt.
Zum einen kann ein proximal der Wachstumsfuge gelegener radialer Zugang zur
Markhöhle gewählt werden [8].
Der Zugangsweg liegt im Verlauf des Ramus superficialis nervi radialis, in
2,9% der Fälle werden vorübergehende und in 0,4%
permanente Irritationen des Nervs beschrieben [10].
Zum anderen wird ein dorsaler Zugang auf Höhe des gut zu palpierenden und in
der Durchleuchtung gut zu identifizierenden Tuberculum Listeri benutzt. Beim
dorsalen Zugang kann die Sehne des Extensor pollicis longus (EPL)
beeinträchtigt werden, die distal um das Tuberculum Listeri im Sinne einer
Trochlea auf den ersten Strahl umgelenkt wird [11]. Die EPL-Sehne kann entweder primär im Rahmen der Operation
oder sekundär durch überstehendes Osteosynthesematerial verletzt
werden. Die Inzidenz hierbei wird in der Literatur mit 1,4 – 2,6%
angegeben [9]
[10]
[12]. Die Kinder werden mit
einer Streckunfähigkeit des Daumenendgliedes und fehlender Retropulsion des
Daumens vorstellig ([Abb. 1a−d])
[13]. Neben der richtungsweisenden Klinik
ist der distale Sehnenstumpf teilweise tastbar.
Abb. 1 Junge (15 Jahre) mit Unterarmschaftfraktur links. a)
Postoperatives Röntgenbild mit Überstand des ESIN
über die dorsale Kortikalis des Radius (gelbe Linie); b)
Klinisches Bild mit fehlender Streckung im Endgelenk des linken Daumens;
c) Klinisches Bild mit fehlender Retropulsion des linken Daumens
und fehlendem Relief der EPL-Sehne; d) Intraoperativer Befund mit
eröffnetem Retinaculum extensorum (*), Überstand des
ESIN im leeren Gleitkanal der EPL-Sehne (rote Linie); e)
Durchflechtungsnaht nach Pulvertaft zwischen EI- (proximal) und EPL-Sehne
(distal) in „Auto-Stopp“ Position des Daumens.
Wird die Verletzung der EPL-Sehne frühzeitig erkannt, besteht die
Möglichkeit einer direkten Naht der EPL-Sehne [13]
[14].
In den meisten Fällen tritt die Durchtrennung der EPL-Sehne jedoch
zeitverzögert durch Aufreiben der Sehne am dorsal aus dem Knochen stehenden
Osteosynthesematerial auf ([Abb. 1d]) [15]. Aufgrund der bestehenden Defektstrecke ist
eine direkte Naht der Sehne nicht möglich, so dass analog zu den Erwachsenen
die Funktion der EPL-Sehne durch eine Transposition der Extensor indicis Sehne
(EI-Sehne) rekonstruiert wird [13]
[16]
[17].
Die postoperativen Ergebnisse werden in der Literatur als gut beschrieben ohne
konkrete Angaben zum Funktionsumfang der betroffenen Hände oder zu den
verwendeten Beurteilungskriterien [14]
[15].
Unter dem Gesichtspunkt einer meist iatrogen verursachten Komplikation am wachsenden
Skelett eines Kindes stellt sich nicht nur dem behandelnden Arzt, sondern auch den
betroffenen Kinder und ihren Eltern die Frage, welche Langzeitfolgen bei den Kindern
nach Ruptur der EPL-Sehne und ihrer Rekonstruktion mittels Transposition der
EI-Sehne zu erwarten sind.
Anhand einer Nachuntersuchung von Kindern einer überregionalen
handchirurgischen Abteilung werden die langfristigen Ergebnisse der
EPL-Rekonstruktion mittels EI-Transposition vorgestellt.
Patienten und Methoden
Im Zeitraum von 15 Jahren (1.1.2007–31.12.2021) wurden an unserer Klinik der
Maximalversorgung insgesamt 4478 Kinder und Jugendliche im Alter von 16 Jahren und
jünger aufgrund einer Unterarmfraktur behandelt. In 39% der
Fälle (1746 Patienten) war eine Operation mit Reposition der Fraktur und
Stabilisierung mittels Kirschnerdrähten oder ESIN erforderlich. In
6,3% (110 Patienten) lag die zu versorgende Fraktur im proximalen Drittel,
in 40,9% (714 Patienten) im Schaftbereich und in 52,8% (922
Patienten) im distalen Drittel. Im Rahmen der Nachbehandlung wurde bei 18 der
operativ versorgten Kinder und Jugendlichen (1,0%) eine Ruptur der EPL-Sehne
festgestellt. Im gleichen Zeitraum stellten sich zusätzlich 4 Patienten nach
auswärtiger Versorgung von Unterarmfrakturen und aufgetretener EPL-Ruptur
zur Rekonstruktion vor.
Im Rahmen der Rekonstruktionsoperationen zeigte sich, dass bei allen Patienten die
EPL-Sehne auf Höhe des Tuberculum Listeri durch das von dorsal eingebrachte
Osteosynthesematerial mit einer Defektstrecke verletzt war. Eine direkte Naht der
EPL-Sehne war somit nicht möglich. Die Funktion der EPL-Sehne wurde durch
die Transposition der EI-Sehne rekonstruiert [13]. Die Sehnenenden wurden mittels Durchflechtungsnaht nach Pulvertaft
verbunden ([Abb. 1e]). Postoperativ wurde das
Handgelenk und der Daumen in Extensionsstellung („Auto-Stopp“)
für 3 Wochen ruhiggestellt [17].
Anschließend wurden die Kinder zu einer freifunktionellen Bewegung und
Belastung der betroffenen Extremität motiviert. Lediglich bei zwei Patienten
war aufgrund eingeschränkter Beweglichkeiten des Zeigefingergrundgelenkes
bzw. des Handgelenkes eine physiotherapeutische Unterstützung für 9
bzw. 17 Wochen erforderlich.
Nach positivem Votum der lokalen Ethikkommission (Ethikantrag 114/22) konnten
insgesamt 15 Kinder (68,1%) durchschnittlich 66,5 Monate (±37,7;
12–134) nach der EI-Transposition nachuntersucht werden. 7 Kinder waren
unbekannt verzogen.
Die sechs Mädchen und neun Jungen hatten ein Durchschnittsalter von 10,9
Jahren (±3,9; 5–16) zum Zeitpunkt der EI-Transposition. Sechsmal war
die rechte und neunmal war die linke Seite betroffen. Die Gebrauchshand war
insgesamt siebenmal verletzt. Die durchschnittliche
Körpergröße betrug 147 cm (±24,3;
100–182) und das Körpergewicht 39,1 kg (±16,3;
15–64). In 14 Fällen trat die Unterarmfraktur beim Spielen und
einmal im Rahmen eines Verkehrsunfalles ein. Elfmal lag eine Fraktur beider
Unterarmknochen vor. Bei vier Patienten war lediglich der Radius betroffen. Die
Frakturen waren zehnmal im mittleren Drittel und fünfmal im distalen Drittel
lokalisiert. Alle Frakturen hatten einen geschlossenen Weichteilmantel ([Tab. 1]).
Tab. 1 Demographische Angaben, Frakturversorgung und
Zeitintervalle in Wochen (♀=weiblich;
♂=männlich; R=rechts; L=links;
UA S.=Unterarmschaft; Rad. dist.=distaler Radius; UA
dist.=distaler Unterarm; ESIN=Elastisch-stabiler
intramedullärer Nagel; KD=Kirschnerdrähte;
EPL=Extensor pollicis longus; EI=Extensor indicis;
*=Metallentfernung und EI-Transposition in gleicher
Operation).
Patient
|
Alter (Jahre)
|
Geschlecht
|
Gebrauchshand
|
Unfallseite
|
Lokalisation
|
Osteosynthese-verfahren
|
Dauer Ruhigstellung nach Fraktur
|
Dauer Fraktur bis Metallentfernung
|
Dauer Frakturversorgung bis Diagnose EPL-Ruptur
|
Dauer Frakturversorgung bis EI-Transposition
|
1
|
7
|
♀
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
2,0
|
8,4
|
61,6
|
65,4
|
2
|
11
|
♀
|
R
|
R
|
Rad. dist.
|
KD
|
1,0
|
12,4
|
14,7
|
18,6
|
3
|
10
|
♀
|
R
|
R
|
UA S.
|
ESIN
|
–
|
*
|
14,3
|
14,9
|
4
|
5
|
♂
|
R
|
R
|
UA S.
|
ESIN
|
4,1
|
*
|
8,4
|
11,3
|
5
|
16
|
♂
|
R
|
L
|
Rad. dist.
|
KD
|
0,7
|
18,4
|
84,4
|
94,6
|
6
|
16
|
♂
|
R
|
R
|
UA dist.
|
KD
|
4,1
|
4,1
|
4,1
|
5,3
|
7
|
11
|
♂
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
2,1
|
*
|
8,3
|
14,1
|
8
|
5
|
♂
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
3,7
|
*
|
12,1
|
14,0
|
9
|
15
|
♂
|
R
|
L
|
Rad. dist.
|
POS
|
4,3
|
*
|
8,4
|
11,1
|
10
|
12
|
♀
|
R
|
R
|
UA S.
|
ESIN
|
4,1
|
*
|
6,0
|
20,6
|
11
|
8
|
♂
|
R
|
R
|
UA S.
|
ESIN
|
2,1
|
14,3
|
34,9
|
53,4
|
12
|
7
|
♀
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
2,1
|
21,3
|
23,6
|
25,1
|
13
|
14
|
♂
|
L
|
L
|
Rad. dist.
|
KD
|
3,7
|
4,9
|
6,9
|
11
|
14
|
15
|
♂
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
2,6
|
*
|
21,6
|
25,9
|
15
|
6
|
♀
|
R
|
L
|
UA S.
|
ESIN
|
2,0
|
22,7
|
27,4
|
88,1
|
Die operative Frakturversorgung dauerte durchschnittlich 30,1 Minuten (±14,0;
14–59) und konnte bei allen Patienten geschlossen erfolgen. Der Radius wurde
insgesamt elfmal mit einem intramedullären Nagel (ESIN) und viermal mit
Kirschnerdrähten stabilisiert. Der Eintrittspunkt in den Radius war in allen
Fällen dorsal auf Höhe des Tuberculum Listeri. Die Ulna wurde
zusätzlich in neun Fällen mittels ESIN adressiert. Verwendet wurden
Kirschnerdrähte der Stärke 1,8 mm und 2,0 mm und
ESIN der Stärke 2,0 mm, 2,5 mm und 3,0 mm. Alle
Osteosynthesematerialien wurden unterhalb des Hautniveaus gekürzt.
Postoperativ erfolgte eine Ruhigstellung über durchschnittlich 2,6 Wochen
(±1,3; 0–4,3). Das eingebrachte Osteosynthesematerial wurde nach
14,6 Wochen (±6,1; 4,1–25,9) entfernt. Durchschnittlich 22,4 Wochen
(±22,0; 4,1–84,4) nach Unfallereignis wurde die Diagnose der
EPL-Ruptur gestellt, und weitere 9,1 Wochen (±14,7; 0,6–60,7)
später wurde die EI-Transposition durchgeführt. In 7 Fällen
wurde die Entfernung des Osteosynthesemateriales mit der EI-Transposition kombiniert
([Tab. 1]). Die EPL-Rekonstruktion
dauerte durchschnittlich 51,6 Minuten (±13,8; 31–74).
Bei der Nachuntersuchung wurden zur Beurteilung der Ergebnisse neben der
Beweglichkeit des Daumengrund- und -endgelenkes zusätzlich die Retropulsion
des Daumens als dorsaler Abstand von der Tischplatte bis zur Daumennagelmitte
gemessen. Zusätzlich wurde die adduzierende Wirkung des EPL als Kraft im
Spitzgriff mit dem Jamar Hydraulic Pinch Gauge (Fa. Performance Health Supply,
Cedarburg, WI, U.S.A.), der Kapandji-Index zur Prüfung der
Oppositionsfähigkeit des Daumens und die Palmarduktion ermittelt.
Die Funktionseinbuße des Zeigefingers durch die Transposition der EI-Sehne
wurden durch die Fähigkeit der isolierten Streckung des Zeigefingers,
gemessen bei flach aufliegender Hand als Abstand von der Tischplatte bis zur
Fingernagelmitte, bestimmt. Die Fähigkeit der isolierten
Zeigefingerstreckung bei gebeugten übrigen Fingern wurde in Bezug zur
verlängerten Handrückenebene erhoben. Streckdefizite im
Zeigefingergrundgelenk wurden als positive, Überstreckbeweglichkeiten als
negative Winkel angegeben.
Die komplexen Bewegungen der Hand, die durch ein Mitwirken von EPL- und EI-Sehne
entstehen, wurden als Handspanne zwischen der Daumen- und Kleinfingerkuppe, als
Spanne zwischen der Daumen- und Zeigefingerkuppe in Palmar- und Radialduktion, der
Kraft beim Grobgriff ermittelt mit dem Handdynamometer SH 5001 (Fa. Saehan
Cooperation, Korea) und dem Schlüsselgriff, gemessen mit dem Jamar Hydraulic
Pinch Gauge (Fa. Performance Health Supply, Cedarburg, WI, U.S.A.), jeweils in
Kilogramm, erfasst.
Der Einfluss einer Sehnenumlagerung auf das Wachstum des Skelettes wurde durch
Längenbestimmung des Daumens und Zeigefingers von der Zwischenfingerfalte
bis zur Finger- und Daumenspitze beurteilt.
Alle gewonnen Werte wurden mit der unverletzten Gegenseite verglichen.
Das subjektive Operationsergebnis wurde auf einer Skala von 0 (=sehr
schlecht) bis 10 (=sehr gut) von den Kindern eingeschätzt. Das
funktionelle Ergebnis wurde anhand des Disabilities of Arm, Shoulder and Hand Score
(DASH-Score) erhoben [18].
Die gewonnenen Daten wurden einer deskriptiven statistischen Auswertung mit
Mittelwert, Standardabweichung (±), Minimal- und Maximalwert unterzogen. Die
Prüfung auf Normalverteilung erfolgte mittels Shapiro-Wilk Test. Bei
normalverteilten Variablen wurde der Unterschied zwischen den Körperseiten
mittels Student t-Test für abhängige Stichproben ermittelt.
Für alle nicht normalverteilten Variablen wurde der Vorzeichen-Rang-Test
nach Wilcoxon verwendet. Das statistische Signifikanzlevel wurde mit p<0,05
festgelegt (IBM SPSS Statistics, Version 27, Chicago, IL, U.S.A.).
Ergebnisse
In einem Zeitraum von 15 Jahren konnte bei 1% aller operativ versorgten
kindlichen Unterarmfrakturen eine Ruptur der EPL-Sehne festgestellt werden. Von den
22 Patienten standen 15 Kinder für eine Nachuntersuchung zur
Verfügung. 7 Patienten waren unbekannt verzogen.
Im Rahmen der Nachuntersuchung, durchschnittlich 5,5 Jahre (±3,1;
1–11,2) nach EPL-Rekonstruktion durch Transposition der EI-Sehne, fanden
sich lediglich für die Beweglichkeit im Daumengrundgelenk (p=0,006),
die Streckfähigkeit des Zeigefingers bei flach aufliegender Hand
(p=0,037), die isolierte Streckfähigkeit des Zeigefingers bei
Beugung der anderen dreigliedrigen Finger (p=0,002), die Spanne zwischen der
Daumen- und Zeigefingerkuppe bei Palmarduktion des Daumens (p=0,03) und bei
der Kraft im Spitzgriff (p=0,009) signifikante Unterschiede zwischen
operierter und gesunder Seite ([Tab. 2]).
Tab. 2 Übersicht der untersuchten Parameter bei
N=15 Patienten. (ROM=range of
motion=Bewegungsumfang; MCP=Metakarpophalangealgelenk;
(D)/(P)IP=(distales)/(proximales)
Interphalangealgelenk; D1=Daumen; D2=Zeigefinger;
E/F=Extension/Flexion;
U/R=Ulnarduktion/Radialduktion;
S/P=Supination/Pronation; *Minuswerte
zeigen Überstreckfähigkeit des Grundgelenkes
an).
|
Parameter (Einheit)
|
Ergebnis
|
% der Gegenseite
|
p
|
Daumen
|
ROM MCP D1 (°)
|
56,3 (±14,8; 30–80)
|
85,0%
|
p=0,006
|
ROM IP D1 (°)
|
97,0 (±14,6; 70 – 120)
|
97,3%
|
p>0,05
|
Retropulsion D1 (cm)
|
5,7 (±0,9; 4,0 – 7,5)
|
97,0%
|
p>0,05
|
Spitzgriff (kg)
|
4,7 (±1,7; 2,0 – 7,5)
|
86,7%
|
p=0,009
|
Palmarduktion (°)
|
38,3 (±4,5; 30 – 45)
|
106,6%
|
p>0,05
|
Zeigefinger
|
ROM MCP D2 (°)
|
100,3 (±10,8; 80 – 120)
|
97,1%
|
p>0,05
|
ROM PIP D2 (°)
|
116,0 (±9,1; 100 – 130)
|
104,4%
|
p>0,05
|
ROM DIP D2 (°)
|
79,3 (±12,9; 50–85)
|
108,0%
|
p>0,05
|
Extension D2 bei flacher Hand (cm)
|
6,0 (±0,8; 5,0–7,0)
|
93,4%
|
p=0,037
|
Extension D2 bei flacher Hand (° im MCP)
|
28,0 (±5,9; 20–40)
|
90,7%
|
p>0,05
|
Streckdefizit D2 zum Handrückenniveau bei gebeugten D3-D5
(°)
|
+12,3 (±11,6; -10*
–+30)
|
|
p=0,002
|
Kombinations-bewegungen
|
Handspanne D1-D5 (cm)
|
20,2 (±2,2; 16,5–24,5)
|
99,0%
|
p>0,05
|
Spanne D1 – D2 in Palmarduktion (cm)
|
15,3 (±2,0; 11,5–18,5)
|
96,6%
|
p=0,03
|
Spanne D1 – D2 in Radialduktion (cm)
|
14,9 (±1,9; 12,0–18,0)
|
98,4%
|
p>0,05
|
Grobgriff (kg)
|
23,6 (±14,0; 3,5–56,0)
|
94,6%
|
p>0,05
|
Schlüsselgriff (kg)
|
6,7 (±2,0; 3,0–10,0)
|
96,3%
|
p>0,05
|
|
ROM Handgelenk E/F (°)
|
139,7 (±12,3; 110–150)
|
96,2
|
p>0,05
|
ROM Handgelenk U/R (°)
|
61,0 (±6,6; 50–75)
|
106,6%
|
p>0,05
|
ROM Handgelenk S/P (°)
|
170,3 (±6,9; 155–180)
|
99,4%
|
p>0,05
|
Länge D1 (cm)
|
6,3 (±0,7; 4,5–7,5)
|
101,1%
|
p>0,05
|
Länge D2 (cm)
|
7,5 (±0,7; 6,0–8,5)
|
101,0%
|
p>0,05
|
Ein signifikanter Unterschied im Längenwachstum der Daumen und Zeigefinger
konnte nicht festgestellt werden ([Tab.
2]).
Der DASH-Score ergab mit durchschnittlich 2,8 Punkten (±5,5;
0,0–21,7) ein sehr gutes funktionelles Ergebnis. Mit durchschnittlich 9,2
(±1,0; 6,4–10,0) spiegeln sich die funktionell gemessenen guten
Ergebnisse auch in den subjektiv eingeschätzten Ergebnissen wider ([Abb. 2]).
Bei zwei Patienten konnten im Rahmen der Nachuntersuchung Komplikationen festgestellt
werden. Zum einen gab ein Patient eine verminderte Sensibilität über
der dorsoulnaren Seite des Daumens seit der operativen Versorgung der distalen
Radiusfraktur an. Die Fraktur war mit zwei Kirschnerdrähten versorgt worden;
ein Kirschnerdraht war von dorsal, der andere war von radial im Verlauf des Ramus
superficialis nervi radialis eingebracht worden. Zum anderen fiel bei einer
Patientin im Rahmen der Funktionsprüfung der Hände auf, dass bei
maximaler passiver Beugung des Handgelenkes eine seitendifferente
Überstreckung des IP-Gelenkes am Daumen im Sinne einer verkürzten
EPL-Sehne auf der operierten Seite bestand. Ein Spitzgriff war der Patientin in
dieser Handgelenksposition nicht möglich, sehr wohl auf der unverletzten
Gegenseite.
Diskussion
Kindliche Unterarmfrakturen sind ein häufiges Verletzungsbild in der
Unfallchirurgie [1]
[2]
[3].
Besteht die Indikation zur operativen Stabilisierung, hat sich die Verwendung von
ESIN bei Unterarmschaftfrakturen und von Kirschnerdrähten bei distalen
Unterarmfrakturen etabliert [5]
[8]. Bei beiden Verfahren wird der Radius
retrograd von distal versorgt. Die zahlreichen Weichteilstrukturen –
Strecksehnen, A. radialis, Ramus superficialis nervi radialis, etc. – die
den Radius distal umgeben, beschränken die operativen Zugänge zu
seiner Markhöhle [15].
Jeder Zugang hat seine eigene Komplikationscharakteristik: Der radiale Zugang liegt
im Versorgungsgebiet des Ramus superficialis nervi radialis mit dem Risiko von
vorübergehenden Dysästhesien in 2,9% und permanenten
Ausfällen in 0,3% [10].
Wird ein dorsaler Eintrittspunkt für das Osteosynthesematerial auf
Höhe des Tuberculum Listeri gewählt, besteht die Gefahr der
Verletzung der EPL-Sehne, entweder primär im Rahmen der Operation oder
sekundär durch Reibung am Osteosynthesematerial ([Abb. 1d]) [19]
[20]. In einer
Literaturrecherche wurde die Inzidenz der EPL-Ruptur mit 2,6% aller operativ
versorgten Unterarmfrakturen bei Kindern angegeben [10]. Im eigenen Kollektiv mit insgesamt 1746 operierten Unterarmfrakturen
in einem Zeitraum von 15 Jahren konnte in 1% eine postoperative EPL-Ruptur
festgestellt werden. Durch die Zunahme der operativen Versorgung von kindlichen
Unterarmfrakturen in den letzten Jahrzehnten ist mit einer Zunahme der
Komplikationen zu rechnen [5]
[9].
In allen nachuntersuchten Fällen lag eine Defektstrecke der EPL-Sehne vor, so
dass eine direkte Naht der Sehne nicht möglich war. Neben einer
Überbrückung der Defektstrecke mit einem freien Sehneninterponat
kann die Funktion der EPL-Sehne durch eine Transposition der EI-Sehne im Sinne einer
motorischen Ersatzoperation wiederhergestellt werden [13]
[21].
Vorteile der 1925 erstmals beschriebenen Technik liegen in der geringen
Hebemorbidität, einfachen Operationstechnik mit einer Sehnennaht und damit
einhergehender kurzer Operationszeit [13]
[16]
[22].
Durch die Verwendung eines gesunden Motors ist die Transposition das Verfahren der
Wahl bei zeitlich verzögerter Rekonstruktion und zu erwartender Degeneration
des EPL-Muskels [17]. Die Zeigefingerstreckung
bleibt durch die Sehne des Extensor digitorum erhalten.
Abb. 2 Mädchen (10 Jahre) mit Unterarmschaftfraktur rechts.
a) 8 Monate nach Transposition der EI-Sehne; b) 5 Jahre
nach Transposition der EI-Sehne.
Da die EPL- und die EI-Sehne in Bezug auf Kraftübertragung und in der
Bewegungsamplitude ähnlich sind und vom gleichen Nerven innerviert werden,
sind die funktionellen und subjektiven Ergebnisse der Transposition bei Erwachsenen
gut bis sehr gut, so dass die EI-Transposition als Verfahren der Wahl zur
Rekonstruktion der EPL-Sehne angesehen wird [16]
[23].
Die EI-Sehne fehlt in ca. 1–4% der Fälle [24], eine mögliche Alternative ist die
Verwendung der Sehne des Extensor digiti minimi, die ebenfalls ein vergleichbares
Kraft- und Bewegungspotential hat wie die EPL- oder EI-Sehne [23]
[24]
[25].
Berichte über kindliche EPL-Rupturen liegen in der aktuellen Literatur
überwiegend als Fallberichte vor [20]
[26]
[27]
[28].
Murphy und Mitarb. berichten über fünf eigene und weitere 23
Patienten mit einer EPL-Ruptur, die in einer Literaturrecherche des Zeitraumes von
1989 bis 2014 identifizieren werden konnten [15]. Zusammenfassend wird bei 13 Patienten über eine
EI-Transposition berichtet. Die Ergebnisse werden als gut beschrieben ohne konkrete
Informationen zu den Parametern anzuführen. Auch die in der Studie
erwähnte Arbeit von Brooker und Mitarb. mit insgesamt vier
EI-Transpositionen und der längsten Nachbeobachtungsdauer von 14 Monaten
informiert nicht über die dem Ergebnis zugrundeliegenden Merkmale [14].
Langzeitbeobachtungen von Kindern nach EI-Transposition nach EPL-Ruptur bei
Unterarmfraktur liegen in der aktuellen Literatur bislang nicht vor.
Die eigenen klinischen Ergebnisse zeigen durchschnittlich 5,5 Jahre nach der
EI-Transposition bei Kindern lediglich in fünf erhobenen Parametern einen
signifikanten Unterschied zur Gegenseite. Neben einer reduzierten Beweglichkeit im
Daumengrundgelenk fällt insbesondere eine signifikante Veränderung
der Streckfähigkeit des Zeigefingers, ausgedrückt durch eine
reduzierte Streckfähigkeit über die verlängerte
Handrückenebene, eine reduzierte Streckfähigkeit des Zeigefingers
bei gebeugten übrigen dreigliedrigen Fingern und eine reduzierte Spanne
zwischen D1 und D2 in Palmarduktion auf.
Wie bei den Erwachsenen ist die intraoperativ zu wählende individuelle
Sehnenvorspannung schwierig einzuschätzen. Eine zu lockere Sehnenspannung
reduziert die Streckfähigkeit und Retropulsion des Daumens bei guter
Beugefähigkeit, wohingegen eine zu starke Sehnenspannung das Gegenteil
bewirkt. Da die Beugekräfte an der Hand überwiegen, wird die
intraoperative Sehnenspannung in der Extensionsendstellung des Handgelenkes und des
Grund- und Endgelenkes des Daumens, sogenannte Auto-Stopp-Position gewählt
[17]. Bei der Betrachtung der
funktionellen Ergebnisse scheint dieses Vorgehen eine erhöhte
Strecksehnenspannung, einhergehend mit einer reduzierten unabhängigen
Streckfähigkeit des Zeigefingers als langfristige Folge zu haben.
Die Längen der betroffenen Finger und Daumen waren nicht signifikant
different zur unverletzten Körperseite, so dass ein Einfluss der
Sehnentransposition auf das Längenwachstums ebenso unwahrscheinlich
erscheint wie der Einfluss des Längenwachstums auf die
Sehnentransposition.
Analog zu den Ergebnissen der Erwachsenen fielen die messtechnisch erhobenen,
signifikanten Seitenunterschiede den Patienten und begleitenden Eltern erst in der
Nachuntersuchung auf. Subjektiv waren alle Patienten mit dem operativen Ergebnis
zufrieden ([Abb. 2]).
Die messtechnisch nachvollziehbaren Einschränkungen der isolierten
Zeigefingerstreckfähigkeit kann der Grund für eine
Sehneninterposition als alternative Operationsmethode sein, wenn ein
vollständiger Erhalt der Zeigefingerstreckfähigkeit für den
Oktavgriff z. B. bei Musikern, gewünscht wird [17]. Pillukat und Mitarb. konnten keine
signifikanten Unterschiede in den klinischen Ergebnissen der EI-Transposition im
Vergleich zur freien Sehnentransplantation bei Erwachsenen feststellen [21].
Im Rahmen der Aufklärung der betroffenen Kinder und ihrer Eltern zur
Rekonstruktion der EI-Sehne sollte auf die reduzierte Beweglichkeit des Zeigefingers
und die Diskrepanz zwischen messtechnisch erhebbaren Unterschieden und subjektivem
Empfinden hingewiesen werden. Insbesondere bei Patienten mit Berufswünschen,
die den Oktavgriff benötigen, sollte neben einer additiven postoperativen
Ergotherapie mit speziellem Augenmerk auf die genannten Funktionsparameter die
Sehneninterposition als Alternative bedacht, den Betroffenen erläutert und
angeboten werden, da in diesem Fall keine Alteration des Zeigefingers erforderlich
ist.
Wesentliche Schwäche der Studie liegt in der kleinen Studienpopulation, die
die statistischen Aussagen mindert, aber der geringen Inzidenz geschuldet ist.
Zusätzlich sind die Ergebnisse des DASH-Score kritisch zu beurteilen, da
eine Validierung des Fragebogens für Kinder nicht vorliegt. Trotzdem
demonstrieren die abgefragten Einzeltätigkeiten eine gute
Alltagstauglichkeit der Hand.
Für die Beurteilung der Strecksehnenfunktion wird bei Erwachsenen
üblicherweise der Geldmacher-Score verwendet [29]. Auf ihn wurde in der Untersuchung bewusst
aus drei Gründen verzichtet. Erstens liegt auch für dieses
Bewertungssystem keine Validierung für Kinder vor. Zweitens ist das zu
beurteilende Kriterium – die Retropulsion des Daumens – den anderen
drei Untersuchungsparametern in den Punktwerten gleichgestellt. Somit ist die
Aussagefähigkeit des Geldmacher-Scores bezüglich des funktionellen
Ergebnisses einer EPL-Rekonstruktion reduziert. Drittens erscheint die
höchste Punktvergabe der Abduktion/Adduktion des Daumens
mit>70° klinisch unrealistisch.
Verschiedene Ergänzungen im Rahmen der Frakturversorgung des Unterarmes zur
Verhinderung der Sehnenverletzung wurden unternommen. Ein perkutaner
Überstand des Osteosynthesemateriales hatte das gleiche Risiko der
Sehnenverletzung wie eine Kürzung der Drähte unter Hautniveau [30]. Die intraoperative sonographisch
kontrollierte Implantation der Drähte scheint die Gefahr der EPL-Ruptur zu
verhindern, setzt aber einen Operateur voraus, der die Technik der intraoperativen
Sonographie beherrscht [31].
Schlussfolgerung
Die Ruptur der EPL-Sehne in Zusammenhang mit einer kindlichen Unterarmfraktur ist
mit
1% aller operierten Unterarmfrakturen insgesamt ein seltenes Ereignis und
tritt charakteristisch bei dorsal auf Höhe des Tuberculum Listeri
eingebrachten Drähten oder ESIN auf. Die Langzeitergebnisse nach
Transposition der EI-Sehne zur Rekonstruktion der EPL-Sehnenfunktion zeigen eine
messtechnisch signifikante Reduktion der Zeigefingerbeweglichkeit auf der
betroffenen Seite. Bei insgesamt langfristiger guter Gesamtfunktion werden die
Unterschiede subjektiv weder von den Kindern noch den Eltern wahrgenommen.