Schlüsselwörter COVID-19-Pandemie - Corona - Schwangerschaft - Postpartalzeit - Stress
Einleitung
Die weltweite COVID-19-Pandemie, die im Winter 2019/2020 begann, stellt eine langanhaltende
Ausnahmesituation dar, die sich auf vielen verschiedenen Ebenen auf die betroffenen
Menschen
auswirkt. Neben der Sorge, selbst mit COVID-19 infiziert zu werden und schwer zu erkranken
oder dass nahestehende Personen erkranken, verändern auch die von der Regierung angeordneten
Maßnahmen das gewohnte Leben der Menschen. Insbesondere führten Kontaktbeschränkungen
in vielen Lebensbereichen zu gravierenden Veränderungen. Dazu gehören beispielsweise
Einschränkungen in
der Berufswelt, im Bildungssektor, der Religionsausübung, in der Freizeitgestaltung,
aber auch im Gesundheitssystem [1 ]
[2 ]. Solche Veränderungen können langfristig Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
der Menschen haben [3 ]. Auch wenn einige positive Effekte wie beispielsweise eine „Entschleunigung des
Alltags“ berichtet wurden [4 ], haben verschiedene Studien inzwischen gezeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung
mit erhöhtem Stress und vermehrten Symptomen von
Depression und Angst auf die Umstände der COVID-19-Pandemie reagiert [5 ]
[6 ]
[7 ].
Stress in der Schwangerschaft kann negative Auswirkungen auf die Mutter und somit
auch auf die mentale und die psychomotorische Entwicklung des heranwachsenden Kindes
haben [8 ]
[9 ]. Zu den Risikofaktoren für erhöhten Stress in der Schwangerschaft zählen
belastende negative Lebensereignisse, fehlende soziale und/oder finanzielle Unterstützung,
Depressionen, Ängste bzw. Sorgen und Komplikationen während der Schwangerschaft [10 ]
[11 ]
[12 ]. Treten Symptome
von Depression und/oder Angststörungen während der prä- und postnatalen Zeit auf,
können sich diese nicht nur auf die Mutter, sondern langfristig auch auf das Kind
auswirken. Weiterhin können
symptombezogene Veränderungen des mütterlichen Lebensstils und Stoffwechsels während
und nach der Schwangerschaft einen negativen Einfluss auf die fetale Entwicklung und
später auf die
postnatale Entwicklung des Kindes haben [13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]. Postnatal können
mütterliche Ängste und Depressionen zudem das Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind
bzw. die Mutter-Kind-Interaktion beeinflussen [18 ]
[19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]. Daher stellen die Zeit der Schwangerschaft sowie die postpartale Periode sowohl
für die Mutter als auch für
die langfristige Entwicklung des Kindes ein sensitives Fenster dar.
Besonders in der vulnerablen Zeit von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett können
Veränderungen, die durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen
auftreten, Sorgen und
Ängste auslösen oder auch verstärken und somit das Risiko für die Entwicklung von
prä- und postpartalen Depressionen erhöhen [23 ]
[24 ]. Inzwischen erschienene Studien über Schwangerschaft während der COVID-19-Pandemie
zeigen, dass Angstsymptome bei schwangeren Frauen
generell zuzunehmen scheinen [5 ]. Auch Stresssymptome, die das Risiko für depressive Symptome oder Angstsymptome
erhöhen können, sowie
schwangerschaftsspezifische Ängste treten häufiger auf [25 ]. Der Anstieg von Angst- und depressiven Symptomen schwangerer Frauen während
der COVID-19-Pandemie stellt sich hierbei als multinationaler Trend dar und ist nicht
auf einzelne Staaten beschränkt [24 ]
[26 ]
[27 ]
[28 ].
Eine detaillierte Analyse des Erlebens und des Verhaltens schwangerer Frauen und Müttern
in der Postpartalzeit während der COVID-19-Pandemie erscheint auf diesen Grundlagen
notwendig. Ein
differenziertes Erfassen der Sorgen und Einschränkungen, aber auch möglicher Bewältigungsstrategien
und der als hilfreich wahrgenommenen Unterstützungsangebote bietet die Chance, rechtzeitig
Interventionen zu entwickeln und durchzuführen, um negative Folgen für Mütter und
Kinder zu verringern oder zu vermeiden. Der COPE-IS-Fragebogen (Coronavirus Peripartal
– Impact Survey) wurde
im Rahmen der internationalen COVGEN Initiative (https://www.covgen.org ) zur Erforschung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Peripartalzeit
entwickelt und in verschiedene Sprachen übersetzt [29 ].
In der vorliegenden Studie wurden schwangere Frauen und Mütter in der Postpartalzeit
anhand des COPE-IS-Fragebogens befragt. Bei der Auswertung wurde ein inhaltlicher
Schwerpunkt auf das
subjektive Stressempfinden durch die COVID-19-Pandemie gelegt. Die Erfahrungen in
den Bereichen allgemeines Level an Stress, Stress bezüglich einer eigenen Erkrankung
und Stress bezüglich
einer Erkrankung im engen Familien- oder Freundeskreis wurden mit der aktuell vorhandenen
Betreuungssituation für prä- und postpartale Frauen sowie vorhandenen Vorerkrankungen
in Bezug
gesetzt.
Methoden
Probandinnen
Von Ende November 2020 bis August 2021 wurden in einer fragebogengestützten Querschnittsstudie
die Auswirkung der COVID-19-Pandemie auf die mentale Gesundheit von prä- und postpartalen
Frauen erfasst. Einschlusskriterium waren Schwangerschaft oder Entbindung seit dem
offiziellen Beginn der COVID-19-Pandemie (11.03.2020), Volljährigkeit der Probandinnen
und vorhandene
Deutschkenntnisse.
Fragebogen
Verwendet wurde die deutsche Fassung des COPE-IS. Hierfür wurde eine Onlineversion
des Fragebogens über Poster und Flyer, sowie über soziale Medien beworben. Für stationäre
Patientinnen des
Departments für Frauengesundheit am Universitätsklinikum Tübingen wurde zudem eine
Paper-and-Pencil-Version verwendet, da während des stationären Aufenthaltes ein Onlinezugang
nicht für alle
Patientinnen zur Verfügung stand.
Der Fragebogen besteht für schwangere (Item #P1–Item #P14 sowie Item #20–Item #80)
und postpartale Frauen (Item #1–Item #80) jeweils aus einem separatem sowie einem
gemeinsamen Teil (siehe
ergänzende Materialien S1 ). Die Items beziehen sich auf das Stresserleben in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie
sowie auf veränderte Erfahrungen während der Schwangerschaft und
nach der Geburt. Zudem werden demografische Daten, das Vorliegen weiterer Erkrankungen
und die Verfügbarkeit sozialer Unterstützungsangebote erfragt. Die Studie wurde von
der Ethikkommission
der medizinischen Fakultät der Universität Tübingen befürwortet (586/2020BO1), alle
Studienteilnehmerinnen gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme und Verarbeitung
ihrer
Daten.
Die Items „Allgemeines Level an Stress durch den COVID-19 Ausbruch“ (Item #58), „Allgemeines
Level an Stress bezüglich eigener COVID-19-ähnlicher Symptome oder einer potenziellen
Erkrankung“ (Item #25) und „Allgemeines Level an Stress bezüglich COVID-19-ähnlicher
Symptome oder einer potenziellen Erkrankung im Freundes- und Familienkreis“ (Item
#26) wurden jeweils auf
einer 7-stufigen Skala von 1 („Kein Stress“) bis 7 („Extrem viel Stress“) gemessen
und durch den Median (Mdn) und den Interquartilsabstand (IQA) beschrieben. Ebenfalls
auf einer 7-stufigen
Skala von 1 („nicht unterstützt“) bis 7 („sehr unterstützt“) wurde der „Grad der Unterstützung
des eigenen sozialen Netzwerks“ (Item #41, #42) vor (d. h. retrospektiv) als auch
während der
COVID-19-Pandemie (d. h. zum Zeitpunkt der Befragung) abgefragt.
Statistik
Die Daten waren nicht normalverteilt (Kolmogorov-Smirnov-Test) und wurden durch nicht
parametrische Tests (Kruskal-Wallis-Test, Mann-Whitney-U-Test, Wilcoxon-Test) analysiert.
Für die
statistische Auswertung der Daten wurde SPSS Statistics (Version 27) verwendet. Ergebnisse
mit einem p-Wert von 0 < 0,05 galten als signifikant.
Ergebnisse
Studienteilnehmerinnen
Insgesamt nahmen 503 Probandinnen an der Studie teil. Aufgrund von unvollständigen
Fragebögen mussten jeweils 107 Frauen der Onlinekohorte und 7 Frauen der stationären
Kohorte
ausgeschlossen werden. Da insgesamt 12 Frauen den letzten Entbindungstermin vor dem
01.03.2020 angaben, wurden diese ebenfalls aus der Studie ausgeschlossen ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Flussdiagramm der ausgewerteten Fragebögen. Insgesamt nahmen 503 Probandinnen an der
Studie teil (393 ambulante Frauen erhielten die Onlineversion des Fragebogens und
110 stationäre
Frauen die Paper-and-Pencil-Version). 114 Fragebögen waren entweder unvollständig
oder es lag keine vollständige Einverständniserklärung vor, und 12 Probandinnen hatten
bereits vor dem
offiziellen Beginn der Coronapandemie (01.03.2020) entbunden. Somit wurden 377 (274
ambulante und 103 stationäre Patientinnen) in die Auswertung einbezogen.
Es konnten folglich Fragebögen von 377 Frauen ausgewertet werden. Die Onlinekohorte
bestand aus 156 schwangeren und 118 postpartalen Frauen. Die stationäre Kohorte bestand
aus 103
postpartalen Frauen, die sich nach der Entbindung noch stationär im Department für
Frauengesundheit des Universitätsklinikums Tübingen befanden ([Tab. 1 ]).
Tab. 1
Beschreibung der Stichprobe.
Probandinnen
M = Mittelwert; n = Anzahl der Studienteilnehmerinnen; SD = Standardabweichung.
* Stationäre Patientinnen wurden mit einer Paper-and-Pencil-Version des Fragebogens
abgefragt.
** Es wurde nicht erfasst, wann der COVID-19-Test positiv war bzw. ob die Probandin
zum Zeitpunkt der Befragung erkrankt war.
Eingeschlossene Probandinnen; n (%)
377 (100,0)
156 (41,4)
118 (31,3)
103 (27,3)
Alter; M (SD)
32,09 (3,8)
Schwangerschaft; n (%)
211 (56,0)
166 (44,0)
Schwangerschaftswoche; M (SD)
postpartale Woche; M (SD)
27,1 (9,7)
10,4 (12,7)
positiver COVID-19 Test**; n (%)
12 (3,2)
jährl. Haushaltseinkommen; n (%)
8 (2,1)
10 (2,7)
37 (9,8)
37 (9,8)
51 (13,5)
70 (18,6)
68 (18,0)
47 (12,5)
12 (3,2)
37 (9,8)
Höchster Abschluss; n (%)
30 (8,0)
128 (34,0)
64 (17,0)
54 (14,3)
45 (11,9)
27 (7,2)
27 (7,2)
2 (0,4)
Subjektives Stresslevel durch die COVID-19-Pandemie
Die Studienteilnehmerinnen berichteten über ein erhöhtes allgemeines Level an Stress
(Item #58; Mdn = 4; IQA = 3) durch die COVID-19-Pandemie ([Tab. 2 ]). Dieser Wert unterschied sich in der Gesamtkohorte signifikant von Eins (1 = „kein
Stress“; p < 0,001; Wilcoxon-Test). Analog hierzu wurde von den
Studienteilnehmerinnen sowohl ein erhöhtes Level an Stress bezüglich eigener COVID-19-ähnlicher
Symptome oder einer potenziellen Erkrankung (Item #25; Mdn = 3; IQA = 2), als auch
ein
erhöhtes Level an Stress bezüglich COVID-19-ähnlicher Symptome oder einer potenziellen
Erkrankung im Freundes- und Familienkreis (Item #26; Mdn = 4; IQA = 3) angegeben ([Abb. 2 ]). Bei keinem der 3 Items zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen der
Online- und der stationären Kohorte.
Tab. 2
Stresslevel durch die COVID-19-Pandemie.
allgemeines Level an Stress
Mdn (IQA)
Stress bezüglich eigener potenzieller COVID-19 Erkrankung
Mdn (IQA)
Stress bezüglich potenzieller COVID-19 Erkrankung im Familien-/Freundeskreis
Mdn (IQA)
Dargestellt ist für ambulante Frauen vor bzw. nach der Entbindung und für stationär
entbundene Frauen der Median der Antworten 1 („kein Stress“) bis 7 („extrem viel Stress“)
auf
die Items „Allgemeines Level an Stress durch den COVID-19 Ausbruch“ (Item #58), „Wie
gestresst sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf eigene COVID-19-ähnliche Symptome oder
einer
potentiellen Erkrankung“ (Item #25) und „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen in
Bezug auf COVID-19-ähnliche Symptome oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes-
und
Familienkreis“ (Item #26). IQA = Interquartilsabstand; Mdn = Median; n = Anzahl der
Studienteilnehmerinnen
gesamt; (n = 377)
4 (3)
3 (2)
4 (3)
Schwangere ambulant; (n = 156)
4 (2,75)
3 (2)
4 (2)
postpartum ambulant; (n = 118)
4 (2,25)
4 (3)
4 (2)
postpartum stationär; (n = 103)
4 (3)
3 (2)
4 (3)
Abb. 2 Subjektives Stresslevel durch die COVID-19-Pandemie. Dargestellt ist für ambulante
Frauen vor bzw. nach der Entbindung und für stationär entbundene Frauen die Verteilung
der Antworten 1
(„kein Stress“) bis 7 („extrem viel Stress“) auf die Items a „Allgemeines Level an Stress durch den COVID-19 Ausbruch“ (Item #58), b „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen
in Bezug auf eigene COVID-19-ähnliche Symptome oder einer potentiellen Erkrankung“
(Item #25) und c „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf COVID-19-ähnliche Symptome
oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes- und Familienkreis“ (Item #26). Die
rote Linie entspricht dem jeweiligen Median.
Vorerkrankungen
Insgesamt gaben 233 Frauen (61,8%) an, dass Vorerkrankungen im Haushalt bestünden.
Von diesen litten 93 Frauen (24,7%) an einer eigenen Vorerkrankung, bei 140 Frauen
(37,1%) lag eine
Erkrankung lediglich bei anderen Haushaltsmitgliedern vor. Als Vorerkrankung standen
hierbei die Optionen Atemwegsprobleme, Diabetes, Lungenerkrankung, Herzerkrankung,
Lebererkrankung,
Krebs, krankheitsbedingte Immunschwäche und affektive Störung zur Auswahl (Item #62,
Item #63). In den Qualitäten „Stress bezüglich eigener COVID-19-ähnlicher Symptome
oder einer
potentiellen Erkrankung“, (Item #25; p = 0,003; Kruskal-Wallis-H-Test) und „Stress
bezüglich COVID-19-ähnlicher Symptome oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes-
und Familienkreis“
(Item #26; p = 0,022; Kruskal-Wallis-H-Test) war das Stressslevel in den Gruppen „keine
Vorerkrankung“, „eigene Vorerkrankung“, und „vorerkranktes Haushaltsmitglied“ signifikant
verschieden.
Im Rahmen von Post-hoc-Analysen zeigte sich, dass Frauen mit einer eigenen Vorerkrankung
im Vergleich zu Frauen ohne Vorerkrankung in beiden Qualitäten (Item #25: p = 0,001;
Item #26:
p = 0,021) ein signifikant erhöhtes Stresslevel angaben ([Tab. 3 ]). Insbesondere bei Vorliegen einer eigenen Atemwegserkrankung war der Stress
bezüglich eigener COVID-19-ähnlicher Symptome oder einer potenziellen Erkrankung signifikant
erhöht (Item #25; p = 0,002; Mann-Whitney-U-Test).
Tab. 3
Stresslevel in Relation zu Vorerkrankung im Haushalt.
allgemeines Level an Stress
Mdn (IQA)
Stress bezüglich eigener potenzieller COVID-19-Erkrankung
Mdn (IQA)
Stress bezüglich potenzieller COVID-19-Erkrankung im Familien-/Freundeskreis
Mdn (IQA)
Dargestellt ist für Probandinnen ohne eigene Vorerkrankung oder Erkrankungen im häuslichen
Umfeld, für Frauen mit eigener Vorerkrankung und für Probandinnen mit lediglich
Vorerkrankungen im häuslichen Umfeld der Median der Antworten 1 („kein Stress“) bis
7 („extrem viel Stress“) auf die Items „Allgemeines Level an Stress durch den COVID-19
Ausbruch“
(Item #58), „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf eigene COVID-19-ähnliche
Symptome oder einer potentiellen Erkrankung“ (Item #25) und „Wie gestresst sind Sie
im
Allgemeinen in Bezug auf COVID-19-ähnliche Symptome oder einer potentiellen Erkrankung
im Freundes- und Familienkreis“ (Item #26). Im Rahmen von Post-hoc-Analysen (Dunn-Bonferroni)
zeigte sich im Vergleich zu Frauen ohne eigene Vorerkrankung oder Erkrankungen im
häuslichen Umfeld ein signifikanter Unterschied: * p = 0,001; ** p = 0,021; ***
Kruskal-Wallis-H-Test; IQA = Interquartilsabstand; Mdn = Median; n = Anzahl der Studienteilnehmerinnen
keine Vorerkrankung; (n = 144)
4 (3)
3 (2)
3 (3)
eigene Vorerkrankung; (n = 93)
4 (2)
4 (3)*
4 (2)**
Haushaltsmitglied vorerkrankt; (n = 140)
4 (2)
3 (2)
4 (3)
p-Wert***
0,157
0,003
0,022
Schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen
Insgesamt gaben 177 (46,9%) Frauen das Vorliegen einer schwangerschaftsassoziierten
Erkrankung an (Item #63, [Tab. 4 ]). Hier bestand bei Frauen
mit Gestationsdiabetes (11,9%) ein signifikant höheres allgemeines Level an Stress
durch die COVID-19-Pandemie als bei nicht betroffenen Frauen (Item #58; p = 0,006;
Mann-Whitney-U-Test).
Tab. 4
Schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen.
allgemeines Level an Stress
Mdn (IQA)
p*
Stress bezüglich eigener potenzieller COVID-19-Erkrankung
Mdn (IQA)
p*
Stress bezüglich potenzieller COVID-19-Erkrankung im Familien-/Freundeskreis
Mdn (IQA)
p*
Dargestellt ist für Probandinnen mit bzw. ohne schwangerschaftsassoziierter Erkrankung
der Median der Antworten 1 („kein Stress“) bis 7 („extrem viel Stress“) auf die Items
„Allgemeines Level an Stress durch den COVID-19 Ausbruch“ (Item #58), „Wie gestresst
sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf eigene COVID-19-ähnliche Symptome oder einer
potentiellen
Erkrankung“ (Item #25) und „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf COVID-19-ähnliche
Symptome oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes- und Familienkreis“ (Item
#26). IQA = Interquartilsabstand; Mdn = Median; n = Anzahl der Studienteilnehmerinnen;
* Mann-Whitney-U-Test (Vorliegen einer schwangerschaftsassoziierten Erkrankung: ja
versus
nein)
Gestationsdiabetes
0,006
0,394
0,510
5 (3)
3 (3)
4 (2)
4 (3)
3 (2)
4 (3)
Bluthochdruck
0,182
0,186
0,800
4 (2)
3 (2)
4 (2)
4 (2,5)
3 (2)
4 (3)
Zervixverkürzung
0,110
0,994
0,686
4,5 (3)
3 (3)
4 (3)
4 (3)
3 (2)
4 (3)
fetale Wachstumsretardierung
0,600
0,878
0,447
4 (3)
3 (3)
3 (2,5)
4 (3)
3 (2)
4 (3)
Betreuung und Stress
Die Frage bezüglich der professionellen Betreuungssituation während der Schwangerschaft
durch Frauenärzt*in oder Hebamme (Item #P5 bzw. Item #8) konnte mit „sehr gut“ (n = 293),
„einigermaßen gut“ (n = 78) und „nicht sehr gut“ (n = 6) beantwortet werden. Für die
Auswertung wurden die Antwortmöglichkeiten „einigermaßen gut“ und „nicht sehr gut“
zusammengefasst
(„weniger gute Betreuung“, n = 84). Bezüglich des empfundenen Stresses in den Qualitäten
„allgemeines Level an Stress“ (Item #58), „Stress bezüglich eigener COVID-19-ähnlicher
Symptome oder
einer potentiellen Erkrankung“ (Item #25) und „Stress bezüglich COVID-19-ähnlicher
Symptome oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes- und Familienkreis“ (Item
#26), zeigte sich, dass
bei einer weniger guten Betreuung in allen 3 Stressqualitäten signifikant mehr Stress
empfunden wurde ([Tab. 5 ]).
Tab. 5
Stresslevel in Relation zur Betreuungssituation.
allgemeines Level an Stress
Mdn (IQA)
Stress bezüglich eigener potenzieller COVID-19-Erkrankung
Mdn (IQA)
Stress bezüglich potenzieller COVID-19-Erkrankung im Familien-/Freundeskreis
Mdn (IQA)
Dargestellt ist für Probandinnen mit sehr guter bzw. mit weniger guter Betreuung der
Median der Antworten 1 („kein Stress“) bis 7 („extrem viel Stress“) auf die Items
„Allgemeines
Level an Stress durch den COVID-19 Ausbruch“ (Item #58), „Wie gestresst sind Sie im
Allgemeinen in Bezug auf eigene COVID-19-ähnliche Symptome oder einer potentiellen
Erkrankung“
(Item #25) und „Wie gestresst sind Sie im Allgemeinen in Bezug auf COVID-19-ähnliche
Symptome oder einer potentiellen Erkrankung im Freundes- und Familienkreis“ (Item
#26). IQA =
Interquartilsabstand; Mdn = Median; n = Anzahl der Probandinnen; * Mann-Whitney-U-Test
sehr gute Betreuung; (n = 292)
4 (3)
3(2)
4 (3)
weniger gute Betreuung; (n = 84)
4,5 (3)
4 (3)
4 (2)
p-Wert*
< 0,001
0,016
0,044
Zusätzlich wurde von den Probandinnen angegeben, dass es durch die COVID-19-Pandemie
zu einer Schwächung der Unterstützung aus ihrem sozialen Netzwerk kam (Item #42; signifikanter
Unterschied zu 1 = „nicht unterstützt“; p = 0,003; Wilcoxon-Test). Es lag eine Diskrepanz
zwischen Nachfrage und Angebot von digitalen Unterstützungsangeboten vor: 60,3% der
Schwangeren und
44,3% der postpartalen Frauen wünschten sich, mehr über virtuelle Mutter-Kind-Gruppen
zu erfahren (Item #P14 bzw. Item #19), allerdings nahmen lediglich 16,1% der postpartalen
Frauen
virtuelle Unterstützungsangebote in Anspruch (Item #18).
Diskussion
Die Ergebnisse dieser fragebogenbasierten Querschnittsstudie zeigen, dass Frauen ihr
allgemeines Stresslevel während und nach der Schwangerschaft durch die COVID-19-Pandemie
als signifikant
erhöht empfanden. Schwangere Frauen mit einer Vorerkrankung (beispielsweise Gestationsdiabetes
oder Atemwegserkrankungen) berichteten ein signifikant höheres Stresslevel als Frauen
ohne
relevante Vorerkrankung. Frauen, die sich weniger gut betreut fühlten, berichteten
im Vergleich zu Frauen, die sich sehr gut betreut fühlten, ebenfalls ein signifikant
höheres Level an
Stress.
Diese Erkenntnisse decken sich weitestgehend mit der bislang vorhandenen Literatur.
So berichten Moyer und Kollegen (2020) [20 ]
ebenfalls, dass Frauen in der Schwangerschaft ein erhöhtes Stresslevel und vermehrt
schwangerschaftsassoziierte Ängste aufgrund der COVID-19-Pandemie aufwiesen. Hauptsächlich
sorgten sich die
Studienteilnehmerinnen über im Haushalt auftretende Konflikte, den Job zu verlieren
oder sich mit COVID-19 anzustecken. Auch Stepowicz und Kollegen [30 ] fanden heraus, dass schwangere und postpartale Frauen während der COVID-19-Pandemie
vermehrt Angstsymptome aufwiesen. Ebenfalls war das Stress- und Angstlevel bei
Frauen mit Vorerkrankungen im Vergleich zu Frauen ohne Vorerkrankungen signifikant
erhöht. Ähnliche Ergebnisse zeigten Mappa et al. [26 ],
die ebenfalls Ängste während der Schwangerschaft untersuchten. Hervorzuheben bei diesen
beiden Studien ist, dass diese bereits Anfang 2020 veröffentlicht wurden und somit
weniger Wissen über
COVID-19 und die Eigenschaften der Erkrankung vorhanden war und der zeitliche Verlauf
der Entwicklung bzw. Zulassung von Impfstoffen noch nicht eingeschätzt werden konnte.
Mittlerweile ist
bekannt, dass die transplazentare Infektion des Fetus eher selten ist und die Impfung
schwangerer Frauen wird als sicher eingestuft [31 ]
[32 ]
[33 ]. Zudem war die Prävalenz einer
SARS-CoV-2-Infektion im Rahmen einer Schwangerschaft im Untersuchungszeitraum gering
[34 ].
Frauen mit schwangerschaftsassoziierten Erkrankungen bzw. Risikoschwangerschaften
stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar [35 ]
[36 ]. In der vorliegenden Studie hatten Frauen mit Gestationsdiabetes ein signifikant
erhöhtes Stressempfinden. Bei gestationsbedingter
Hypertonie, Zervix-Insuffizienz und fetaler Wachstumsretardierung konnte hingegen
kein signifikanter Zusammenhang mit dem Stresserleben aufgezeigt werden, hier war
allerdings die Fallzahl
jeweils klein. Um den Zusammenhang von Risikoschwangerschaften und Stresserleben während
der COVID-19-Pandemie näher zu untersuchen und insbesondere Zusammenhänge mit der
Schwangerschaftswoche
zum Zeitpunkt der Befragung auszuwerten, wäre eine größere Stichprobe notwendig.
Frauen, welche die Betreuungssituation durch Frauenarzt oder Hebamme als weniger ausreichend
empfanden, beschrieben ebenfalls ein erhöhtes Stresslevel. Betrachtet man den Einfluss
von
Unterstützungsangeboten während der Schwangerschaft und nach der Geburt sowie die
generelle soziale Unterstützung, bestätigt insbesondere eine Studie von Lebel und
Kollegen einen Zusammenhang
mit Depressionen und Angststörungen [24 ]. Als Schutzfaktoren beschrieben die Autoren unter anderem soziale Unterstützung
sowie sportliche
Aktivität. Nahezu zwei Drittel der Befragten der vorliegenden Studie wünschten sich
vermehrte Unterstützungsangebote in virtueller Form, wobei lediglich ein kleiner Teil
der Patientinnen
solche tatsächlich in Anspruch nahm.
Ein limitierender Faktor der vorliegenden Studie ist, dass der wahrgenommene Stress
nur zu einem Zeitpunkt während der bis zur Auswertung in 3 Wellen abgelaufenen Pandemiesituation
gemessen
wurde. So kann nicht herausgearbeitet werden, inwiefern beispielsweise Lockdown-Maßnahmen
und Einschränkungen das Stressempfinden beeinflussten. Aufgrund der international
unterschiedlichen
Gesundheitssysteme und länderspezifischen politischen Entscheidungen zur Pandemieeindämmung
ist eine länderübergreifende Interpretation der Ergebnisse nur eingeschränkt möglich.
Zudem wurde
der Fragebogen erst mit Aufkommen der COVID-19-Pandemie entwickelt und kann daher
nicht an einem Kontrollkollektiv (bestehend aus Frauen, die ihre Schwangerschaft bzw.
Postpartalzeit außerhalb
der Pandemie erlebten) verglichen werden. Entsprechend wurde erfragt, inwiefern das
Stresslevel durch die COVID-19-Pandemie erhöht ist, wobei nicht ausgeschlossen werden
kann, dass andere
Faktoren zu einem subjektiv erhöhtem Stressempfinden beigetragen haben. Es wurde ein
Fragebogen der internationalen COVGEN-Initiative verwendet, welcher bisher noch nicht
validiert werden
konnte [29 ]
[37 ]. Ein Referenzwert für das Stressempfinden steht daher nicht zur
Verfügung. Ebenso ist der Vergleich mit einer Kontrollgruppe zum aktuellen Zeitpunkt
nicht möglich, da die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die gesamte Bevölkerung betreffen.
Entsprechend
wurde untersucht, inwieweit sich das allgemeine Stressempfinden signifikant von Eins
(„kein Stress“) unterscheidet. Die Drop-out-Rate aufgrund unvollständig ausgefüllter
Fragebögen war vor
allem bei den Teilnehmerinnen der Onlinekohorte hoch. Mögliche Gründe hierfür könnten
sein, dass im häuslichen Umfeld der Onlinekohorte weniger Zeit zur Beendigung des
Fragebogens zur
Verfügung stand als im stationären Kontext. Dies kann zu einer Verzerrung der Ergebnisse
und zu einer entsprechenden Überschätzung des Einflusses von COIVID-19 auf das Stresserleben
führen.
Schlussfolgerungen
Frauen während und nach einer Schwangerschaft sind durch die COVID-19-Pandemie besonders
belastet. Insbesondere das Vorliegen von schwangerschaftsassoziierten Erkrankungen
trägt zu einem
erhöhten Stresserleben durch COVID-19 bei. Insbesondere Frauen mit geringerer sozialer
Unterstützung oder mit Vorerkrankungen sollten frühzeitig identifiziert werden, um
gezielt weiterführende
Betreuungsangebote zu unterbreiten, die unabhängig von Lockdown-Maßnahmen verfügbar
sind.