Phlebologie 2022; 51(06): 306-308
DOI: 10.1055/a-1920-2921
Kasuistik

Mit intermittierender pneumatischer Kompression Amputationen abwenden – am Beispiel eines Ulcus hypertonicum (Martorell)

Avoiding Amputation with Intermittent Pneumatic Compression – a Case of Martorell Ulcer

Authors

  • Lasse Kröger

    1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland (Ringgold ID: RIN54360)
  • Sören Dräger

    1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland (Ringgold ID: RIN54360)
  • Birgit Kahle

    1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland (Ringgold ID: RIN54360)
 

Zusammenfassung

In diesem Fall berichten wir von einer Patientin mit Ulcus cruris hypertonicum Martorell, bei welcher sich in einem mehrjährigen Zeitraum Ulzera sequenziell an beiden Unterschenkeln entwickelten. Zwei Jahre vor der Vorstellung in unserer Klinik war das initial betroffene Bein bereits auf Oberschenkelhöhe amputiert worden. Zum Zeitpunkt der Vorstellung zeigte sich am verbliebenen Bein eine progrediente schmerzhafte Ulzeration. Unter einer, bei der Arbeitsdiagnose eines Pyoderma gangraenosums, initial begonnenen immunsuppressiven Dexamethason-Pulstherapie zeigte sich eine deutliche Verschlechterung des Befundes, sodass die Diagnose revidiert wurde und eine Therapie mit intermittierender pneumatischer Kompression begonnen wurde. Hierauf zeigte sich eine langsame Abheilung des Ulkus. Der Fall zeigt den Stellenwert einer adäquaten Behandlung mittels intermittierender pneumatischer Kompression zur Vermeidung einer Amputation.


Abstract

We report the case of a patient with martorell ulcer, who over the course of a few years developed ulcers on the thighs. Two years before the initial presentation in our clinic the first affected leg was amputated transfemorally. At the time of presentation, the remaining leg was developing a progressive painful ulceration. We initiated a Dexamethason-pulse therapy assuming pyoderma gangraenosum but revised the diagnosis when the wound conditions became worse. We changed the therapy, focussing on intermittent pneumatic compression and the ulceration started to heal. This case highlights the importance of adequate intermittent pneumatic compression in avoiding amputation.


Anamnese

Eine 70-jährige Patientin stellte sich mit einem Ulcus cruris rechts unklarer Genese in unserer Klinik vor ([Abb. 1]a). Das Ulkus würde seit etwa einem Jahr bestehen, und sowohl Schmerzen als auch die Ausmaße des Ulkus würden kontinuierlich zunehmen. Es komme häufig zu Phasen intensiverer Schmerzen. Kurz zuvor sei eine diabetisch bedingte Angiopathie diagnostiziert und zugleich eine höhergradige pAVK oder Varikosis ausgeschlossen worden. Die Patientin berichtete, dass 2 Jahre zuvor ein gleichartiges Ulkus mit ähnlichem Verlauf kontralateral bestanden habe. Zunächst sei, bei Verdacht auf ein Pyoderma gangraenosum, eine topische Therapie mit Clobetasol und eine systemische Therapie mit Prednisolon erfolgt. Innerhalb weniger Wochen kam es zu einer lebensbedrohenden nekrotisierenden Fasziitis mit intensivmedizinischer Behandlung, sodass im weiteren Verlauf eine Oberschenkelamputation notwendig wurde. Bei der Patientin bestand nebenbefundlich ein Diabetes mellitus Typ 2, eine arterielle Hypertonie, eine rheumatoide Arthritis und eine dilatative Kardiomyopathie mit hocheingeschränkter Ejektionsfraktion bei koronarer Herzerkrankung. Aufgrund des ausgedehnten progredienten Befundes erfolgte eine stationäre Behandlung zur Diagnostik und weiteren Behandlung.

Zoom
Abb. 1 Ulcus cruris am Unterschenkel rechts im zeitlichen Verlauf: A bei Erstvorstellung, B nach 3 Dexamethason-Pulstherapien, C nach Beginn der intermittierenden pneumatischen Kompression, D 6 Monate nach der letzten stationären Behandlung. Quelle: Fotolabor, Klinik für Dermatologie, UKSH Campus Lübeck.

Diagnostik

Duplexsonografie

Biphasische Signale über der A. fem. comm., der A. fem. superf. und der A. popl. rechts. Plaquebildung.

=> V.a. Mediasklerose


CT-Angiografie Becken/Bein

Konstant mäßige, gemischt atheromatös kalzifizierende Arteriosklerose der abdominellen Aorta. Unauffällige femoropopliteale Strombahn rechts; 3-Gefäßversorgung des rechten Unterschenkels. Unauffällige Kontrastierung der linken A. femoralis bis zu ihrer Absetzungsstelle. Bekanntes Ulcus cruris rechts, keine Knochenbeteiligung.


Ausgewählte Laborwerte

HbA1c: 9,1%

Indirekte Immunfluoreszenz auf HEp-2-Zellen: kein Nachweis antinukleärer Antikörper (ANA)

CCP-Antikörper: >500kU/l (Ref.-Bereich <17kU/l)


Verlauf

In der initial durchgeführten Diagnostik zeigte sich duplexsonografisch der Verdacht einer Mediasklerose, wobei eine höhergradige pAVK ausgeschlossen werden konnte. Aufgrund des deutlich erhöhten HbA1c-Wertes (9,1%) erfolgte eine Anpassung der Diabetesmedikation. In der Zusammenschau der Klinik sowie der weiteren Befunde erfolgte unter der Arbeitsdiagnose eines Pyoderma gangraenosums eine intravenöse Dexamethason-Pulstherapie mit 50mg/Tag über 3 Tage. Zudem erfolgte eine Befund-adaptierte Wundtherapie. Eine Kompressionstherapie mittels IPK wurde bei ausgeprägter Schmerzhaftigkeit nicht toleriert.

Einen Monat später zeigte sich eine deutliche Befundverschlechterung. Schmerzhaftigkeit und Größe des Ulkus hatten stark zugenommen. Es erfolgte eine stationäre Aufnahme und die Durchführung einer zweiten Dexamethason-Pulstherapie. Bei sehr starken stechenden Schmerzen wurde eine Therapie mit Gabapentin und Tapentadol begonnen. Eine dritte Dexamethason-Pulstherapie wurde im Abstand von 4 Wochen durchgeführt, wobei die Dosis bei unzureichendem Ansprechen auf 100mg/Tag erhöht wurde. Die nächste Vorstellung der Patientin erfolgte 2 Wochen später ([Abb. 1]b). Da auch nach der Durchführung von 3 Dexamethason-Pulsen weiterhin eine starke Schmerzhaftigkeit sowie eine Progredienz des Ulkus bestanden, wurde die initiale Arbeitsdiagnose hinterfragt. Bei fehlendem Ansprechen sowie der vorbekannten arteriellen Hypertonie und dem Diabetes mellitus wurde die Diagnose eines Ulcus hypertonicum Martorell gestellt. Die Dexamethason-Pulstherapie wurde beendet, und in einer stationären Behandlung erfolgte nach Anpassung der Schmerzmedikation und ausführlicher Aufklärung der Patientin eine IPK mit individuell angepassten Parametern (initial mit 80mmHg, 10 Sekunden Inflation, 10 Sekunden Deflation für 20 Minuten).

Auf diese Therapie zeigte sich eine beginnende Abheilung des Ulkus; nach 2 Wochen zeigte sich bereits eine Granulation der Wunde, wobei die Wundsekretion deutlich abnahm ([Abb. 1]c). Es wurde ein IPK-Heimgerät zur Fortführung der Therapie verordnet. Da die Krankenkasse der Patientin den Antrag auf ein Heimgerät ablehnte, erfolgte die Behandlung im weiteren Verlauf wiederholt stationär. Es zeigte sich eine gute Verträglichkeit der Therapie und ein gutes Ansprechen, welches auch nach bis zu 6 Monaten nach der letzten Behandlung persistierte ([Abb. 1]d).



Diskussion

Die IPK kann durch verschiedene Manschetten (Ein- vs. Mehrkammer bzw. Fuß-, Unterschenkel-, Extremitäten-, Hosen- oder Jackenmanschetten) und die Anordnung dieser (überlappend/nicht überlappend) sowie die Befüllungsart (gleichzeitig/nacheinander) und die Zeit- (Inflation, Plateau und Deflation) und Druckparameter an die individuelle Behandlung, je nach Diagnose, angepasst werden. Zur Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit werden Zieldrücke von 85–120mmHg, eine kurze Inflationszeit mit 3 Zyklen pro Minute sowie eine tägliche Anwendung empfohlen. Hierbei wird die Wirksamkeit der IPK auf eine Steigerung der arteriellen Flussgeschwindigkeit, Anregung einer Kollateralenbildung sowie eine verbesserte Perfusion der Haut durch eine transiente Aufhebung der autoregulativen Vasokonstriktion zurückgeführt [1].

Der Nutzen einer IPK bei einem Ulkus mikroangiopathischer Genese konnte in diesem Fall gezeigt werden. Der Fall demonstriert zudem, wie schwierig sich die korrekte Diagnosestellung bei Patienten mit Ulzerationen der unteren Extremität darstellt; insbesondere, wenn keine eindeutige venöse- oder arteriell-makroangiopathisch bedingte Genese besteht. Pathophysiologisch liegt der Mikroangiopathie eine stenosierende Arteriolosklerose in der Subkutis zugrunde. Diese ist apparativ schwer zu objektivieren [2].

In dem hier beschriebenen Fall erschwerte die vorbekannte rheumatoide Arthritis die richtige ätiologische Einordnung des Ulkus. Diese zeigt sich gehäuft bei einem Pyoderma gangraenosum und geht der Diagnosestellung oft voraus [2]. Neben dem gehäuft beidseitigen Auftreten findet man bei einem Ulcus hypertonicum im Vergleich zum Pyoderma gangraenosum typischerweise ein höheres Lebensalter (durchschnittlich 73,5 vs. 61,2 Jahre), ein an der unteren Extremität gelegenes Ulkus (100% vs. 67%) sowie häufiger eine arterielle Hypertension (100% vs. 29%) und einen Diabetes mellitus (53% vs. 9%) [3]. Eine verzögerte Diagnosestellung eines Ulcus hypertonicum stellt keine Seltenheit dar [2].

Auch zeigt sich in diesem Fall die iatrogen erzeugte Progredienz des Ulcus hypertonicum, wenn aufgrund des klinischen Verdachts eines Pyoderma gangraenoums immunsuppressiv behandelt wird. Mehrere Studien zeigen, dass bei initialem Verdacht auf ein Pyoderma gangraenosum in Wirklichkeit ein Ulcus hypertonicum Martorell vorliegt. In diesen retrospektiven Studien war dies bei ca. 50% der Patienten der Fall [2] [3]. Nichtsdestotrotz gelten beide Diagnosen als Ausschlussdiagnose und werden durch die Gesamtkonstellation und nicht durch einzelne richtungsweisende Befunde diagnostiziert. Aufgrund des sehr unterschiedlichen Ansprechens auf eine immunsuppressive Therapie sollte die Diagnose immer wieder reevaluiert werden.

Das Therapieziel einer Behandlung mittels IPK bei arterieller Mikroangiopathie liegt in einer Verbesserung der Hautperfusion durch Modulation der Vasokonstriktion und Anregung der Kollateralenbildung [4] [5] und unterscheidet sich somit von der bekannteren entstauenden IPK. Dieser Fall zeigt, dass die IPK unter adäquater Schmerztherapie bei mikroangiopathischen Ulzera einen Nutzen hat und daher in der Therapie vermehrt berücksichtigt werden sollte.

Fazit
  • Die ätiologische Einordnung von Ulzera sollte auch unter einer bereits begonnenen Therapie fortlaufend reevaluiert werden.

  • Eine intermittierende pneumatische Kompression sollte bei Ulzera der Unterschenkel, sofern keine absoluten Kontraindikationen vorliegen, angestrebt werden.



Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Lasse Kröger
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Deutschland   

Publication History

Article published online:
12 September 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


Zoom
Abb. 1 Ulcus cruris am Unterschenkel rechts im zeitlichen Verlauf: A bei Erstvorstellung, B nach 3 Dexamethason-Pulstherapien, C nach Beginn der intermittierenden pneumatischen Kompression, D 6 Monate nach der letzten stationären Behandlung. Quelle: Fotolabor, Klinik für Dermatologie, UKSH Campus Lübeck.