ergopraxis 2023; 16(01): 10-11
DOI: 10.1055/a-1930-2207
Profession

Erzähl deine Erfolgsgeschichte – ergostories

Barbara Aegler
 

Heute schon eine herausfordernde Therapiesituation erlebt? Vermutlich ja und vielleicht in der Pause im Kollegium besprochen. Gab es auch Erfolge? Wahrscheinlich, aber davon erzählen ... Häufig geht der Fokus auf therapeutische Highlights verloren. Grund genug für Barbara Aegler, das Projekt „ergostories“ zu starten, das Erfolge in der Ergotherapie sichtbar macht, die Berufsidentität stärkt und vor allem die Bekanntheit des Berufs fördert.


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Als ich während des Lockdowns alleine und müde nach der Arbeit im Zug saß, las ich überall Berichte über die wertvolle Arbeit der Pflege, der Physiotherapeut*innen und der Hebammen. „Nur wir Ergos werden mal wieder nicht erwähnt“, dachte ich frustriert. Um mich abzulenken, blätterte ich in der Zeitschrift ergopraxis. Da stach mir der Artikel „Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte“ ins Auge (ERGOPRAXIS 4/20, S. 40).

Hochmotiviert telefonierte ich mit Angela Nacke, einer pensionierten, erfolgreichen Ergotherapeutin und Unternehmerin. Gemeinsam wollten wir das in dem Artikel vorgestellte Projekt aus Großbritannien auch in der Schweiz umsetzen mit dem Ziel, die Ergotherapie bekannter zu machen, unsere Berufsidentität zu stärken und dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Schließlich erleben wir im Alltag so viele Erfolgsgeschichten mit Klient*innen – davon sollen Gesellschaft und Politik erfahren. Gesagt, getan: Wir starteten das Projekt „ergostories“, um unseren Erfolgsgeschichten eine Plattform zu bieten.

Britisches Vorbild

Grundlage waren zwei Kampagnen des britischen Ergotherapieverbands: Mit „Occupational Therapy: Improving Lives, Saving Money“ und „Small Change, Big Impact“ zeigten die britischen Ergothera-peut*innen der Öffentlichkeit, wer sie sind, was sie machen und dass die Profession für die Gesundheitsversorgung unentbehrlich ist. Im Sinne von „Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte“ nutzten sie das Storytelling als Kommunikationsmittel und berichteten von echten Erfolgsgeschichten der Ergotherapie [1].


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Dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Der Bedarf an Fachkräften in den Gesundheitsberufen wird stetig steigen [2]. Für die Ergotherapie entsteht eine prognostizierte Erhöhung des Bedarfs von 49 Prozent in der Deutschschweiz, wenn man sowohl die Bevölkerungsentwicklung als auch ein Wachstum der Inanspruchnahme berücksichtigt [2]. Die Ergotherapie in der Schweiz sieht sich mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen dürfte [3]. Die Förderung des Berufsverbleibs der aktuell tätigen Ergotherapeut*innen ist eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken [2]. Ein Faktor, der das Verbleiben beeinflussen kann, ist unsere Berufsidentität [4], [5]. Diese klar zu entwickeln und selbstbewusst nach außen zu vertreten ist jedoch etwas, womit sich die Ergotherapie seit ihrer Entstehung schwertut. Auf der individuellen Ebene kann eine geschwächte Berufsidentität zu Berufsunzufriedenheit führen und das Krankheitsrisiko einer Person erhöhen [6].


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Storytelling als Medium

Eine lebendig erzählte Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit anderer Menschen leichter als eine logisch-sachliche Darlegung von Fakten. Deswegen wird Storytelling seit Jahrtausenden in vielen Kulturen zur Weitergabe von komplexem Wissen angewandt. Storytelling ist eine Erzählmethode, mit der man Wissen in Form von Geschichten weitergibt. Seit dem späten 20. Jahrhundert wird die Rolle von Storytelling im Bereich Gesundheit und Medizin zunehmend reflektiert [7]–[9]. Geschichten, die innerhalb einer Profession erzählt werden, sind für die Kultur und die Identität der Professionsangehörigen prägend [10]. Auf individueller Ebene sind Geschichten dazu da, Emotionen sowie das Nachdenken über zentrale Aspekte des Lebens anzuregen. Durch das Berichten erfreulicher Geschichten aus der Therapie kann das Wohlbefinden von Ergotherapeut*innen gesteigert werden [11].

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Bewegende Erfolgsgeschichten

Darum startete ich zusammen mit Angela Nacke das Projekt „ergostories – bewegende Erfolgsgeschichten” während des Lockdowns 2020. Basierend auf dem Projekt aus England möchten wir dazu beitragen, Ergotherapeut*innen in ihrer Berufsidentität und ihrer Berufszufriedenheit zu stärken, um so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gleichzeitig wollen wir den Beruf in der Gesellschaft bekannter machen und zeigen, dass Ergotherapie wertvoll für die Gesundheitsversorgung ist. Dazu möchten wir das Erzählen und Schreiben von Erfolgsgeschichten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland fördern. Eindrucksvolle Erfolgsgeschichten können wiederum andere Ergotherapeut*innen motivieren und inspirieren sowie Gesellschaft und Politik die Potenziale der Ergotherapie aufzeigen.


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Entwicklung des Projekts

Mit einer großzügigen Unterstützung der Stiftung für Ergotherapie (www.ergo-stiftung.ch) haben wir eine Homepage für Erfolgsgeschichten erstellt: www.ergostories.ch. In Workshops schulen wir Ergotherapeut*innen im wirkungsvollen Erzählen ihrer Geschichten, was für alle Teilnehmenden identitätsstärkend ist. Fördergelder der Schweizer Agentur für Innovationsförderung Innosuisse halfen uns, ein Literaturreview und eine Evaluation der Workshops von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften erstellen zu lassen. Das Literaturreview wurde im September 2022 in der ergoscience publiziert [12]. Unterdessen entstanden an der ZHAW zwei Bachelorarbeiten zum Projekt [13], [14]. Außerdem haben wir einen Verein gegründet und zwei weitere Ergotherapeutinnen für die aktive Mitarbeit gewonnen. Als Nächstes steht der Aufbau von Social Media an.


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Blick in die Zukunft

In den letzten zweieinhalb Jahren ist viel entstanden. Erfolgsgeschichten können uns helfen, die Berufsidentität sowie die öffentliche Wertschätzung und Anerkennung der Ergotherapie zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir viele Ergotherapeut*innen, die ihre Erfolge teilen. Welche erfreuliche Geschichte haben Sie in letzter Zeit erlebt? Erzählen Sie davon unter www.ergostories.ch!

Barbara Aegler


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Fallbeispiel – Eine Erfolgsgeschichte

Herausforderung: Ein 27-jähriger Automechaniker hatte sich vor neun Jahren eine Fraktur seiner Mittelhandknochen zugezogen. Es folgten viele Operationen und Schmerzen in Hand, Schultern, Knie und Rücken. Dass er all die Jahre nicht arbeiten konnte, frustrierte ihn sehr. Seine Rechtschutzversicherung schickte ihn vorbereitend auf eine Umschulung zur Ergotherapie.

Veränderung: In der Ergotherapie arbeiten wir z. B. mit Pacing, Instruktion von selbstständigem Krafttraining, ergonomischer Arbeitsplatzeinrichtung und Selbstwirksamkeitstraining.

Wirkung: 10 Monate später glaubt er daran, die Büro-Umschulung zu packen. Seine Schmerzen sind fast alle weg. Er trainiert alleine weiter, um auch die Schmerzen in der Hand in den Griff zu bekommen.


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Podcast – Ein Erfolgsprojekt

Bei „Performance Skills“ sprechen Barbara Aegler und Céline Delmée über das Projekt ergostories und was sie damit erreichen wollen: ein Wir-Gefühl erzeugen, die Berufsidentität stärken und mehr Motivation für Ergos und Klient*innen. Einfach QR-Code scannen und reinhören!


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Autorin

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Barbara Aegler kommt aus der Schweiz, ist seit 1998 Ergotherapeutin, hat einen Abschluss im European Master of Science in OT und ist seit 2010 Inhaberin der Praxis für Handrehabilitation und Ergotherapie GmbH in Zürich. Zudem ist sie als externe Lehrbeauftragte an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW tätig.Kontakt: aegler@handrehabilitation.ch
  • Literaturverzeichnis

  • 1 Bishop K.. Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte. Öffentlichkeitsarbeit für Ergotherapie in Großbritannien. ergopraxis 2020; 13: 40-43
  • 2 Rüesch P, Bänziger A, Dutoit L. Prognose Gesundheitsberufe Ergotherapie, Hebammen und Physiotherapie 2025. ZHAW Reihe Gesundhei 2014: 3
  • 3 Degen K, Ragni T, Bieri D, Marti S. Fachkräftemangel in der Schweiz. Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage. 2016. Bern: SECO;
  • 4 Cowin LS, Johnson M, Craven RG, Marsh HW. Causal modeling of self-concept, job satisfaction, and retention of nurses. Int J Nurs Stud 2008; 45: 1449-1459 DOI: 10.1016/j.ijnurstu.2007.10.009.
  • 5 Sabanciogullari S, Dogan S. Relationship between job satisfaction, professional identity and intention to leave the profession among nurses in Turkey. J Nurs Manage 2015; 23: 1076-1085 DOI: 10.1111/jonm.12256.
  • 6 Willi Anita. Professional Identity under constant Negotiation. Professional Identity of Occupational Therapists working in Hand Therapy in Switzerland (Unpublished master thesis). ZHAW Departement Gesundheit 2017
  • 7 Bury M. Illness narratives: Fact or fiction?. Sociol Health Ill 2001; 23: 263-285
  • 8 Frank AW.. The wounded storyteller: Body, illness, and ethics. Second Edition. Chicago: University of Chicago Press; 2013
  • 9 Robertson C, Clegg G. Storytelling in medicine: How narrative can improve practice. 1st ed. London: CRC Press; 2016. DOI: 10.1201/9781315381152
  • 10 Clark PG. Narrative in interprofessional education and practice: Implications for professional identity, provider–patient communication and teamwork. J Interprof Care 2014; 28: 34-39 DOI: 10.3109/13561820.2013.853652.
  • 11 Mathisen L. Storytelling: A way for winter adventure guides to manage emotional labour. Scandinavian Journal of Hospitality and Tourism 2019; 19: 66-81 DOI: 10.1080/15022250.2017.1411827.
  • 12 Balmer TH, Aegler B, Nacke A, Gantschnig B.. Die Ergotherapeut*in als Erzähler*in: Zusammenhänge zwischen Storytelling, Berufsidentität, Berufszufriedenheit und Berufsverbleib. ergoscience 2022; 17: 90-95
  • 13 Truninger A, Delmée C.. Platz dem ergotherapeutischen Paradigma! Durch Digital Storytelling zu einer stabilen Berufsidentität (Bachelorarbeit). ZHA 2021
  • 14 Thoolen F, Weber M.. Erzähl mir deine Geschichte - Arten von Storytelling, die in der Ergotherapie Menschen mit psychischen Störungen in der Rehabilitations- oder Integrationsphase unterstützen (Bachelorarbeit). ZHA 2022

Publication History

Article published online:
03 January 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literaturverzeichnis

  • 1 Bishop K.. Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte. Öffentlichkeitsarbeit für Ergotherapie in Großbritannien. ergopraxis 2020; 13: 40-43
  • 2 Rüesch P, Bänziger A, Dutoit L. Prognose Gesundheitsberufe Ergotherapie, Hebammen und Physiotherapie 2025. ZHAW Reihe Gesundhei 2014: 3
  • 3 Degen K, Ragni T, Bieri D, Marti S. Fachkräftemangel in der Schweiz. Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage. 2016. Bern: SECO;
  • 4 Cowin LS, Johnson M, Craven RG, Marsh HW. Causal modeling of self-concept, job satisfaction, and retention of nurses. Int J Nurs Stud 2008; 45: 1449-1459 DOI: 10.1016/j.ijnurstu.2007.10.009.
  • 5 Sabanciogullari S, Dogan S. Relationship between job satisfaction, professional identity and intention to leave the profession among nurses in Turkey. J Nurs Manage 2015; 23: 1076-1085 DOI: 10.1111/jonm.12256.
  • 6 Willi Anita. Professional Identity under constant Negotiation. Professional Identity of Occupational Therapists working in Hand Therapy in Switzerland (Unpublished master thesis). ZHAW Departement Gesundheit 2017
  • 7 Bury M. Illness narratives: Fact or fiction?. Sociol Health Ill 2001; 23: 263-285
  • 8 Frank AW.. The wounded storyteller: Body, illness, and ethics. Second Edition. Chicago: University of Chicago Press; 2013
  • 9 Robertson C, Clegg G. Storytelling in medicine: How narrative can improve practice. 1st ed. London: CRC Press; 2016. DOI: 10.1201/9781315381152
  • 10 Clark PG. Narrative in interprofessional education and practice: Implications for professional identity, provider–patient communication and teamwork. J Interprof Care 2014; 28: 34-39 DOI: 10.3109/13561820.2013.853652.
  • 11 Mathisen L. Storytelling: A way for winter adventure guides to manage emotional labour. Scandinavian Journal of Hospitality and Tourism 2019; 19: 66-81 DOI: 10.1080/15022250.2017.1411827.
  • 12 Balmer TH, Aegler B, Nacke A, Gantschnig B.. Die Ergotherapeut*in als Erzähler*in: Zusammenhänge zwischen Storytelling, Berufsidentität, Berufszufriedenheit und Berufsverbleib. ergoscience 2022; 17: 90-95
  • 13 Truninger A, Delmée C.. Platz dem ergotherapeutischen Paradigma! Durch Digital Storytelling zu einer stabilen Berufsidentität (Bachelorarbeit). ZHA 2021
  • 14 Thoolen F, Weber M.. Erzähl mir deine Geschichte - Arten von Storytelling, die in der Ergotherapie Menschen mit psychischen Störungen in der Rehabilitations- oder Integrationsphase unterstützen (Bachelorarbeit). ZHA 2022

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Barbara Aegler kommt aus der Schweiz, ist seit 1998 Ergotherapeutin, hat einen Abschluss im European Master of Science in OT und ist seit 2010 Inhaberin der Praxis für Handrehabilitation und Ergotherapie GmbH in Zürich. Zudem ist sie als externe Lehrbeauftragte an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW tätig.Kontakt: aegler@handrehabilitation.ch
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