ergopraxis 2023; 16(02): 36-38
DOI: 10.1055/a-1946-7623
Perspektiven

Wertschätzung ist mehr als Lob – Wertschätzung

Lisa Holtmeier
 

Hand aufs Herz: Wünschen Sie sich manchmal ein wenig mehr Wertschätzung? Von den Klient*innen und Teamkolleg*innen, von der Gesellschaft, den Mitarbeitenden, von der kaufmännischen Abteilung oder anderen Personen? Wertschätzung ist eine oft unterschätzte Teambuilding-Maßnahme und Gesundheitsförderung in einem. Welche Säulen der Wertschätzung es gibt, wie Wertschätzung auf Ihre Gesundheit wirkt und wie Sie mehr davon in Ihren Alltag etablieren, erfahren Sie hier.


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Echte Wertschätzung fühlt sich nicht nur gut an, sie fördert auch noch die Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden!Quelle: © S. Schhaf/Thieme

Wertschätzung ist immer mehr zu einem „Modewort“ geworden und wird nahezu inflationär verwendet. Dabei wird es häufig mit Lob und Anerkennung gleichgesetzt. Jede*r wünscht sich Wertschätzung, aber kaum jemand bringt anderen im gleichen Maß Wertschätzung entgegen. Dabei wissen die Allerwenigsten, was Wertschätzung wirklich bedeutet.

Wertschätzung ist mehr als anerkennende Worte und ein freudig ausgesprochenes „gut gemacht“. Vielmehr ist Wertschätzung eine Haltung zu anderen Menschen und auch zu sich selbst. Denn die wertschätzende Haltung sieht den Menschen im Vordergrund und nicht (nur) die Leistungen, die jemand erbringt. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft haben viele Menschen auch einen leistungsorientierten Blick. Das vermittelt schnell die Einstellung: „Du bist nur viel wert, wenn du viel leistest.“ Dabei wird häufig der Blick auf den Menschen vergessen. Denn Menschen sind mehr als die Leistungen, die sie bringen. Deshalb kann es auch passieren, dass sich ein Mensch nicht wertgeschätzt fühlt, obwohl seine Leistungen regelmäßig gelobt werden.

Wertschätzung funktioniert wechselseitig – dabei ist Säen wichtiger als Ernten.

In Leadership Coachings sitzen immer mehr Führungspersonen virtuell vor mir und haben nur dann den Eindruck, erfolgreich und viel wert zu sein, wenn sie sehr viel (über das Maß hinaus) leisten. Selbst dann fällt es vielen Führungspersonen noch schwer, sich wertzuschätzen. Das nagt nicht nur am Selbstvertrauen, sondern hat auch Auswirkungen auf die Gesundheit und den Umgang mit Stress.

Wertschätzung fängt bei Ihnen an

Ich weiß aus meiner Arbeit, dass sich viele Führungspersonen mehr Wertschätzung wünschen. Wie oft habe ich schon gehört: „Na toll, und wer lobt mich!?“ Doch diese Haltung trägt meiner Meinung nach nicht zur Lösung bei. Wertschätzung fängt bei Ihnen an. Wie wertschätzend sind Sie zu sich selbst? Und zu Ihren Mitarbeitenden? Wie wertschätzend sind Sie zu den Klient*innen? Ich bin überzeugt, dass Sie nur etwas für sich selbst „erwarten“ können, wenn Sie es ausreichend geben.


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Eine wertschätzende Praxiskultur

Vielen Teams ist ein wertschätzendes Miteinander wichtig. Das höre ich zumindest regelmäßig in den Teamsitzungen, die ich begleite. Meine Frage lautet an dieser Stelle immer wieder: „Was bedeutet Wertschätzung für euch?“ Die nächste Frage folgt direkt: „Wie könntet ihr diese Form der Wertschätzung in euren Alltag etablieren?“

Teams, die eine wertschätzende Praxiskultur entwickelt haben, sind nicht nur motivierter und zufriedener, sondern auch gesünder und leistungsfähiger. Eine solche wertschätzende Praxiskultur reicht übrigens über alle Positionen – von der Führungsperson über die Mitarbeitenden bis hin zu den Studierenden und Auszubildenden. Es geht vor allem um eine wechselseitige wertschätzende Haltung. Das Säen ist dabei entscheidender als das Ernten.


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Wertschätzung ist genauso wichtig wie Schlaf

Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis und kein „Nice to have“. Alle Menschen brauchen Wertschätzung, damit es ihnen nachhaltig gut geht und sie gesund sind – psychisch und physisch. Ihnen wird völlig klar sein, dass Menschen ausreichend Schlaf brauchen, um leistungsfähig und gesund zu sein. Genauso wichtig wie ausreichend Schlaf ist Wertschätzung, da gibt es tatsächlich keinen Unterschied.

Durch Wertschätzung wird Oxytocin ausgeschüttet. Menschen fühlen sich dadurch zugehörig, die Bindung an die Praxis steigt, das zwischenmenschliche Vertrauen wird gestärkt und die Beziehungen werden gefestigt. Zusätzlich werden Endorphin und Dopamin ausgeschüttet. Das sorgt für Glückshormone, Motivation und Zufriedenheit. All das hemmt die Ausschüttung von Stresshormonen. Menschen sind allgemein leistungsfähiger und werden dadurch auch stressresistenter.

Allein die Zugehörigkeit und das „Sich angenommen fühlen“ sind sehr starke Motivatoren, die zugleich das Immunsystem stärken. Diese ganzen positiven Aspekte verknüpft das Gehirn mit dem Arbeitsplatz. Daraus kann sich über kurz oder lang ein Placebo-Effekt entwickeln.


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Individuelle Unterschiede

So unterschiedlich wie Menschen sind, ist auch ihr Bedürfnis nach Wertschätzung. Manche brauchen häufige, bestärkende Worte, andere mögen ungeteilte Aufmerksamkeit, wieder andere freuen sich, wenn sie Unterstützung erhalten und gefördert werden. Es lohnt sich, in den Mitarbeitendengesprächen zu erfragen, was die jeweiligen Mitarbeitenden als wertschätzend empfinden und was ihnen dabei besonders wichtig ist. Es ist ein großer Irrglaube, der Überzeugung zu sein, dass alle Menschen unter Wertschätzung das Gleiche verstehen. Denn das ist bei Weitem nicht so.

Seien Sie selbst die Veränderung, die Sie sich in Ihrem Umfeld wünschen. Je wertschätzender Sie sich verhalten, desto mehr bekommen sie oftmals zurück. Mit einer wertschätzenden Grundhaltung machen Sie nicht nur anderen eine große Freude, sondern auch sich selbst. Denn Ihr Gehirn kann meistens nicht unterscheiden, an wen sich jetzt diese wertschätzenden Worte gerichtet haben. Zudem können Freude und Dankbarkeit richtig ansteckend sein.

Ich wünsche Ihnen viele wertschätzende Begegnungen!

Lisa Holtmeier

Wertschätzung – so geht’s

Tipps im Überblick

  • Achten Sie beim Aussprechen von Wertschätzung darauf, dass es ehrlich und konkret ist

  • Wertschätzen Sie nicht nur die Leistung, sondern vor allem die Person

  • Seien Sie selbst die Veränderung, die Sie sich wünschen

  • Nutzen Sie die sechs Säulen der Wertschätzung (siehe nächste Seite), um Ihre Wertschätzung zu variieren

  • Achten Sie auf Regelmäßigkeit (mehr als einmal im Jahr)

  • Nutzen Sie kleine Botschaften und Gesten

  • Sprechen Sie mit Ihrem Team über eine wertschätzende Praxiskultur – wie soll diese aussehen?

  • Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden, was Wertschätzung für sie bedeutet


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Inspiration für den Alltag – Die sechs Säulen der Wertschätzung

Nachfolgend lernen Sie die sechs Säulen der Wertschätzung kennen. Sie können diese als sechs Inspirationen für mehr Wertschätzung in Ihrem Alltag nutzen.

Säule 1: „Words of affirmation“ – anerkennende und bestärkende Worte

Was schätzen Sie an der Person, der Sie Wertschätzung aussprechen möchten? Wofür sind Sie der Person dankbar? Was haben Sie Positives beobachtet? Zu dieser Säule gehört auch, jemanden zu bestärken oder der Person eine herausfordernde Aufgabe anzuvertrauen: „Ich sehe das Potenzial in dir. Ich traue dir diese Aufgabe zu.“ Positives Feedback von Klient*innen oder Ärzt*innen sollte ebenfalls immer an die Person weitergegeben werden, die es betrifft.

Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, um anerkennende und bestärkende Worte auszusprechen. Es reicht nicht aus, dies ein- oder zweimal im Jahr zu den Mitarbeitendengesprächen zu tun.

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Quelle: © S. Schhaf/Thieme

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Säule 2: „Quality time“ – ungeteilte Aufmerksamkeit

In einer Zeit, in der kaum freie Zeit zur Verfügung steht, ist der Wert von Zeit viel höher geworden. Verschenken Sie Ihre Zeit. Ungeteilte Aufmerksamkeit ohne Smartphone und ohne Ablenkung ist auch eine Form der Wertschätzung und des Respekts Ihren Mitarbeitenden gegenüber. Führen Sie regelmäßig kurze Gespräche mit ihnen, tauschen Sie sich aus, fragen Sie nach ihrem Wohlbefinden und hören Sie aufmerksam zu. Durch das Verschenken Ihrer Aufmerksamkeit stellen Sie Ihre*n Mitarbeiter*in in Ihr persönliches Aufmerksamkeitszentrum und vermitteln damit „du bist wichtig“, „ich sehe dich“, „ich bin bei dir“. Diese Form der Aufmerksamkeit und des Gesehenwerdens kann sehr wohltuend sein. Manche Praxen führen dafür regelmäßige 15-minütige 1:1-Gespräche.


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Säule 3: „Act of service“ – Hilfsbereitschaft

Bieten Sie Ihre Unterstützung an, wenn Sie den Eindruck haben, dass diese benötigt wird. Der kleine und feine Unterschied ist hier, nicht einfach zu helfen und zu unterstützen, sondern nachzufragen, ob Unterstützung gewünscht ist. Viele Menschen verfolgen eine sehr positive Absicht, indem sie Aufgaben übernehmen oder Probleme für andere lösen. Doch damit wird nonverbal etwas anderes vermittelt. Die nonverbalen Botschaften lauten: „Ich traue dir das nicht zu“, „allein kann ich es schneller“, „ich kann es besser“. Ein sofortiges Eingreifen kann zudem schnell übergriffig wirken. Fragen Sie nach, ob Ihre Unterstützung oder Ihre Idee erwünscht ist.


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Säule 4: „Tangible gifts“ – Gesten, die von Herzen kommen

Nicht umsonst sagt der Volksmund „kleine Gesten erhalten die Freundschaft“. Hier geht es um diese kleinen Gesten. Es geht nicht um große und teure Geschenke. Es sind die Kleinigkeiten, die unseren Alltag bereichern. Kleinigkeiten, mit denen wir im stressigen Alltag überhaupt nicht rechnen. Alles, was regelmäßig auftritt – wenn es zum Beispiel jeden Mittwoch Kuchen gibt – wird zur Gewohnheit und verliert damit leider oft den Charme des Besonderen. Hingegen kann ein kleiner Zettel mit einer wertschätzenden Botschaft im Fach oder eine kleine Anerkennung zur zweijährigen Praxiszugehörigkeit für wahre Freuden sorgen.


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Säule 5: „Physical touch“ – körperlicher Kontakt

Der körperliche Kontakt ist die fünfte Säule der Wertschätzung. Hier möchte ich eine kurze Warnung aussprechen. Nicht jede*r mag das. Manche würden diese Geste als zutiefst übergriffig bewerten und sich sehr unwohl fühlen. In anderen Praxen wiederum ist es gang und gäbe, sich zu umarmen, zum Beispiel wenn jemand Geburtstag hat, oder sich ein „High five“ nach erfolgreichen Therapien zu geben. Prüfen Sie bitte sorgfältig, was in Ihrem Team als „angemessen“ wahrgenommen wird.


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Säule 6: „Empowerment“ – Zutrauen und Vertrauen

Die sechste Säule ist erfahrungsgemäß eine sehr kraftvolle Säule. Vertrauen in die Person und die Kompetenz einer Person ist eine besondere Form der Wertschätzung. Diese Form der Wertschätzung könnte sich wie folgt zeigen: Sie können Mitarbeitende um Rat oder ihre Meinung fragen, „wie würdest du XY gestalten?“, „wie würdet ihr mit der Situation umgehen?“, „was würdest du an meiner Stelle tun?“.

Besondere Zuständigkeiten oder Aufgabenbereiche können auch eine Form der Wertschätzung und des Vertrauens sein. Wichtig ist hierbei, dass niemand im Team unberücksichtigt bleibt. Genauso gehört es dazu, vertrauliche Informationen auch wirklich vertraulich zu behandeln, oder Feedback, das nur an eine Person gerichtet ist, nicht in der Teamsitzung zu geben.


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Autorin

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de

Publication History

Article published online:
30 January 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de
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Echte Wertschätzung fühlt sich nicht nur gut an, sie fördert auch noch die Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden!Quelle: © S. Schhaf/Thieme
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